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KARL MARX: DAS KAPITAL – KURZFASSUNG VON OTTO RÜHLE (III)


Content:

Inhaltsverzeichnis
I. Ware und Geld
II. Die Verwandlung von Geld in Kapital

5. Arbeitsprozess und Verwertungsprozess

a) Arbeitsprozess
b) Verwertungsprozess

6. Konstantes und variables Kapital

7. Die Rate des Mehrwertes

a) Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft
b) Darstellung des Produktenwertes in proportionellen Teilen des Produkts

8. Der Arbeitstag

a) Die Grenzen des Arbeitstages
b) Der Heisshunger nach Mehrarbeit
c) Der Kampf um den Normalarbeitstag
9. Rate und Masse des Mehrwertes

IV. Die Produktion des relativen Mehrwertes
V. Die Produktion des absoluten und des relativen Mehrwertes
VI. Der Arbeitslohn
VII. Der Akkumulationsprozess des Kapitals

Fremdwörtererklärung und Anhang
Source


Der Produktionsprozess des Kapitals

III. Die Produktion des absoluten Mehrwertes

5. Arbeitsprozess und Verwertungsprozess

a) Arbeitsprozess

Der Kapitalist kauft Arbeitskraft, um sie zu gebrauchen. Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft konsumiert sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten lässt.

Arbeit ist zunächst ein Prozess, an dem Mensch und Natur beteiligt sind, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert.

Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, die sie als ausschliesslich menschlich stempelt. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er seinen Bau im Kopf baut, bevor er ihn in Wirklichkeit errichtet. Am Ende des Arbeitsprozesses erhalten wir ein Resultat, das beim Beginn derselben schon in der Vorstellung des Arbeiters vorhanden war. Er bewirkt nicht nur eine Formänderung des Materials, an dem er arbeitet, sondern er verwirklicht zugleich seinen Zweck, der die Art und Weise seines Tuns bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss.

Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind
1. die persönliche Tätigkeit des Menschen, d. h. die Arbeit selbst
2. der Gegenstand dieser Arbeit und
3. die Arbeitsmittel.

Alles Rohmaterial ist Arbeitsgegenstand, aber nicht jeder Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial; er kann nur zu Rohmaterial werden, nachdem er bereits eine durch Arbeit bewirkte Veränderung erfahren hat, z. B. das Holz, das gefällt worden ist.

Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand in der Natur vorfindet, wie Bergbau, Jagd, Fischfang usw., behandeln alle Industriezweige Rohmaterial, das bereits durch Arbeit filtrierter Gegenstand, also selbst schon Arbeitsprodukt ist.

Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Tätigkeit dienen. Er benutzt die mechanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um andere Dinge seinem Willen zu unterwerfen. Sobald der Arbeitsprozess nur einigermassen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen.

Im Arbeitsprozess bewirkt also die Tätigkeit des Menschen mit Hilfe der Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsmaterials. Der Prozess erlischt im Produkt; das letztere ist ein Gebrauchswert. Die Arbeit hat sich mit ihrem Gegenstand verbunden; sie ist materialisiert und der Gegenstand ist verarbeitet. Der Arbeiter hat gesponnen und das Produkt ist ein Gespinst.

Betrachten wir den ganzen Prozess vom Standpunkt seines Resultates, des Produktes, aus, so erscheinen sowohl Arbeitsmittel als auch Arbeitsgegenstand als Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit.

Ob ein Gebrauchswert als Rohmaterial, als Arbeitsmittel oder als Produkt anzusehen ist, hängt ganz und gar von seiner Funktion im Arbeitsprozess, von der Stelle, die er in ihm einnimmt.

Der Kapitalist kauft auf dem offenen Markt die zum Arbeitsprozess notwendigen Faktoren, die gegenständlichen Faktoren oder die Produktionsmittel sowie den subjektiven Faktor, die Arbeitskraft. Dann setzt er sich daran, die von ihm gekaufte Ware, die Arbeitskraft zu konsumieren, indem er den Arbeiter, die Verkörperung jener Arbeitskraft, die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumieren lässt.

Der Arbeitsprozess, wie er als Konsumtionsprozess der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt zwei charakteristische Erscheinungen: Erstens arbeitet der Arbeiter unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört; zweitens ist das Produkt Eigentum des Kapitalisten und nicht des Arbeiters, des unmittelbaren Produzenten. Durch den Kauf der Arbeitskraft hat der Kapitalist die Arbeit als lebendigen Gärungsstoff den leblosen Bestandteilen des Produktes einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsprozess nur die Konsumtion der von ihm gekauften Ware Arbeitskraft, aber diese Konsumtion kann nur verwirklicht werden, wenn die Arbeitskraft mit Produktionsmitteln versehen wird.

b) Verwertungsprozess

Das Ziel des Kapitalisten ist es, nicht nur einen Gebrauchswert zu produzieren, sondern eine Ware, und nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert.

Wie die Waren selbst gleichzeitig Gebrauchswerte und Werte. sind, so muss ihr Produktionsprozess zugleich Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess sein.

Wird der Prozess der Wertbildung nicht über den Punkt hinausgetragen, an dem der Wert, den der Kapitalist für die Arbeitskraft bezahlt, durch ein genaues Äquivalent ersetzt wird, dann handelt es sich einfach um einen Wertbildungsprozess; wird er jedoch über diesen Punkt hinaus fortgesetzt, dann handelt es sich um einen Mehrwertbildungsprozess.

Der Tageswert der Arbeitskraft beträgt z. B. 3 Shilling, weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft erforderlichen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Der Wert der Arbeitskraft und der Wert, den diese Arbeitskraft erzeugt, sind zwei ganz verschiedene Grössen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war für ihn nur eine unerlässliche Bedingung, weil Arbeit in einer nützlichen Form verausgabt werden muss, um Wert zu erzeugen. Was ihn aber wirklich beeinflusste, war der besondere Gebrauchswert dieser Ware, nämlich nicht nur Quelle von Wert zu sein, sondern von mehr Wert als sie selbst hat. Dies ist der besondere Dienst, den der Kapitalist von der Arbeitskraft erwartet, und er verfährt dabei gemäss den »ewigen Gesetzen« des Warenaustausches. Der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder anderen Ware, realisiert ihren Tauschwert und veräussert ihren Gebrauchswert. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft oder, mit anderen Worten, die Arbeit, gehört nach ihrem Verkauf ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Öls dem Ölhändler. Der Geldeigentümer hat den Tageswert der Arbeitskraft bezahlt: ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die Tagesarbeit. Der Umstand, dass die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich diese Arbeitskraft einen ganzen Tag arbeiten kann, dass daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt so gross ist als ihr Tageswert, ist ein besonderes Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.

Der Arbeiter findet daher in der Werkstatt die nötigen Produktionsmittel nicht nur für sechs sondern für zwölf Stunden. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem vollen Wert, Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht. Dann tat er, was jeder Käufer von Waren tut; er konsumierte ihren Gebrauchswert. Die Konsumtion der Arbeitskraft, die zugleich den Produktionsprozess der Ware darstellte, ergab ein Produkt. Der Kapitalist, früher Käufer, kehrt nun als Verkäufer von Waren auf den Markt zurück. Er zieht 3 Shilling mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineingeworfen hat. Diese Verwandlung von Geld in Kapital geht innerhalb der Zirkulationssphäre vor sich und auch nicht. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Markt, und nicht in der Zirkulation, weil sie nur eine Vorstufe der Produktion des Mehrwertes ist, die sich vollkommen in der Produktionssphäre abspielt. Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als stoffliche Elemente eines neuen Produktes oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit lebendige Arbeit einverleibt, verwandelt er Wert, vergangene, materialisierte und tote Arbeit in Kapital, in wertschwangeren Wert.

Als Wertbildungsprozess betrachtet, stellt derselbe Arbeitsprozess sich nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt sich hier nur noch um die Zeit, welche der Arbeiter benötigt, um die Arbeit zu tun, um die Dauer, während deren die Arbeitskraft nützlich verausgabt wird. Ob in den Produktionsmitteln zuvor enthalten oder zum erstenmal während des Prozesses durch die Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zählt in jedem Fall nur nach ihrem Zeitmass.

Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Artikels verbrauchte Zeit unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen notwendig ist. Die Folgen hieraus sind verschieden. Erstens muss die Arbeitskraft unter normalen Bedingungen funktionieren. Wenn die Spinnmaschine das herrschende Arbeitsmittel für die Spinnerei ist, so wäre es absurd, dem Spinner ein Spinnrad in die Hand zu geben. Auch die Baumwolle darf nicht solcher Schund sein, dass bei der Verarbeitung Extraabfall entsteht, sondern muss von normaler Qualität sein. Ob die materiellen Faktoren des Prozesses von normaler Qualität sind oder nicht, hängt allein von dem Kapitalisten ab. Ausserdem muss die Arbeitskraft selbst von durchschnittlicher Güte sein. In dem Fach, in dem sie arbeitet, muss sie das herrschende Durchschnittsmass von Geschick, Fertigkeit und Schnelligkeit besitzen, und sie muss in dem gewöhnlichen Durchschnittsmass der Anstrengung und dem üblichen Grad der Intensität angewandt werden; darüber wacht der Kapitalist sorgfältig. Er hat die Arbeitskraft für eine bestimmte Zeitdauer gekauft und besteht auf seinen Rechten. Er will nicht bestohlen werden. Endlich ist jede verschwenderische Konsumtion des Rohmaterials oder der Arbeitsmittel streng verboten.

Als Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess betrachtet, ist der Produktionsprozess ein Produktionsprozess von Waren; als Einheit von Arbeitsprozess und Mehrwertbildungsprozess betrachtet, ist er kapitalistischer Produktionsprozess, die kapitalistische Form der Warenproduktion.

Für die Schaffung von Mehrwert ist es durchaus gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, ungelernte Durchschnittsarbeit oder kompliziertere Arbeit ist. Jede Arbeit von höherem oder komplizierterem Charakter als Durchschnittsarbeit bedeutet die Verausgabung einer teueren Arbeitskraft, in die höhere Bildungskosten eingegangen sind, einer Arbeitskraft, deren Produktion mehr Zeit und Arbeit gekostet und die daher einen höheren Wert als ungelernte oder einfache Arbeitskraft hat. Ihre Konsumtion ist daher Arbeit höherer Klasse, Arbeit, die in denselben Zeiträumen verhältnismässig höhere Werte erzeugt als ungelernte Arbeit. Der Mehrwert resultiert nur aus einem quantitativen Arbeitsüberschuss, aus der Verlängerung ein und desselben Arbeitsprozesses.

6. Konstantes Kapital und variables Kapital

Die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiedenen Anteil an der Bildung des Produktenwertes. Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Wert zu durch die Ausgabe eines bestimmten Quantums zusätzlicher Arbeit. Andererseits finden wir die Werte der verbrauchten Produktionsmittel wieder als wesentliche Bestandteile des Wertes des Produktes, z. B. die Werte von Baumwolle und Spindel im Garnwert. Der Wert der Produktionsmittel wird also durch seine Übertragung in das Produkt erhalten. Die Übertragung geschieht während der Verwandlung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsprozess. Sie wird durch Arbeit vermittelt; aber wie?

Da der Zusatz von neuem Wert zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werte im Produkt zwei ganz verschiedene Resultate sind, die der Arbeiter gleichzeitig hervorbringt während einer Operation, kann diese zweifache Natur des Resultates nur durch die zweifache Natur der Arbeit selbst erklärt werden. In derselben Zeit muss sie in einer Eigenschaft Wert erzeugen und in einer anderen Eigenschaft Wert erhalten oder übertragen.

In ihrer abstrakten allgemeinen Eigenschaft, als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinnens dem Wert der Baumwolle und der Spindel Neuwert zu; andererseits, in ihrer besonderen Eigenschaft, als konkreter, nützlicher Prozess, überträgt die gleiche Spinnarbeit den Wert der Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Wert im Produkt. Daher das zweifache Resultat in derselben Zeit.

Solange die Produktionsbedingungen gleichbleiben, erhält und überträgt der Arbeiter mehr Wert, je mehr Wert er durch neue Arbeit zusetzt, aber dies geschieht nur, weil sein Zusatz von Neuwert unter gleichbleibenden Bedingungen vor sich ging, die von seiner Arbeit unabhängig sind. Allerdings kann in gewissem Sinn gesagt werden, dass der Arbeiter stets in derselben Proportion alte Werte erhält, worin er Neuwert zusetzt.

In dem Arbeitsprozess übertragen die Produktionsmittel ihren Wert auf das Produkt nur, soweit sie ihren Gebrauchswert sowie ihren Tauschwert verlieren. Sie geben an das Produkt nur soviel Wert ab, als sie selbst als Produktionsmittel verlieren. Das Maximum des Wertverlustes, den sie im Produktionsprozess erleiden können, ist offenbar begrenzt durch die ursprüngliche Wertgrösse, mit dem sie in den Arbeitsprozess eingetreten sind, daher können die Produktionsmittel dem Produkt nie mehr Wert zusetzen, als sie unabhängig vom Arbeitsprozess, dem sie dienen, besitzen.

Das gleiche Produktionsmittel nimmt als ganzes am Arbeitsprozess teil, während es als Element der Wertbildung nur stückweise eingeht. Andererseits kann ein Produktionsmittel als ganzes an der Bildung des Wertes teilnehmen, während es nur stückweise in den Arbeitsprozess eingeht.

Im Wert des Produktes erscheint der Wert der Produktionsmittel wieder, aber streng genommen ist, dies keine Reproduktion des Wertes. Was produziert wurde, ist ein neuer Gebrauchswert, in dem der alte Austauschwert wiedererscheint.

Der Überschuss des Gesamtwertes des Produktes über die Wertsumme seiner wesentlichen Bestandteile ist der Überschuss des verwerteten Kapitals über den ursprünglich vorgeschossenen Kapitalwert. Produktionsmittel auf der einen Seite und Arbeitskraft auf der anderen Seite sind nur die verschiedenen Existenzformen, die der ursprüngliche Kapitalwert annahm, als er aus Geld in die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses umgewandelt wurde.

Der Teil des Kapitals, der sich in Produktionsmitteln, d. h. in Rohmaterial, Hilfsmaterial und Arbeitsmittel, darstellt, erfährt in dem Produktionsprozess keine quantitative Wertänderung. Ich nenne ihn daher konstanten Kapitalteil oder kürzer, konstantes Kapital.

Andererseits erfährt der Teil des Kapitals, der sich in Arbeitskraft darstellt, in dem Produktionsprozess eine Wertveränderung. Er produziert sowohl das Äquivalent seines eigenen Wertes als auch ein Überschuss, einen Mehrwert der selbst wechseln, grösser oder kleiner sein kann, je nach den Umständen. Dieser Teil des Kapitals wird fortgesetzt von einer konstanten in eine variable Grösse umgewandelt. Ich nenne ihn daher den variablen Teil des Kapitals oder kurz, variables Kapital.

Dieselben Bestandteile des Kapitals, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive und subjektive Faktoren unterscheiden, als Produktionsmittel und Arbeitskraft, unterscheiden sich vom Standpunkt des Mehrwertbildungsprozesses als konstantes und variables Kapital.

7. Die Rate des Mehrwertes

a) Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft

Der Mehrwert, den C, das vorgeschossene Kapital, im Produktionsprozess erzeugt hat, oder, mit anderen Worten, die Verwertung des vorgeschossenen Kapitalwertes C, stellt sich zunächst dar als Überschuss des Wertes des Produktes über den Wert seiner wesentlichen Elemente. Wir haben gesehen, dass der Arbeiter, während eines Abschnittes des Arbeitsprozesses nur den Wert seiner Arbeitskraft produziert, d. h. den Wert seiner Lebensmittel. Da nun aber seine Arbeit einen Teil des Systems bildet, das auf gesellschaftlicher Teilung der Arbeit beruht, produziert er nicht direkt seine Lebensmittel; er produziert vielmehr eine besondere Ware, z. B. Garn, dessen Wert gleich dem Wert seiner Lebensmittel oder gleich dem Geld ist, womit er sie kaufen kann. Der Teil seines Arbeitstages, den er hierzu braucht, wird grösser oder kleiner sein, je nach dem Wert seiner durchschnittlichen täglichen Lebensmittel, oder, was dasselbe heisst, je nach der zu ihrer Produktion durchschnittlich erforderlichen Arbeitszeit. Den Teil des Arbeitstages, worin diese Reproduktion stattfindet, nenne ich »notwendige« Arbeitszeit, und die Arbeit, die während dieser Zeit verausgabt wird, nenne ich »notwendige« Arbeit. Notwendig für den Arbeiter, weil unabhängig von der besonderen gesellschaftlichen Form seiner Arbeit; notwendig für das Kapital und seine Welt, weil das beständige Dasein des Arbeiters ihre Basis.

Während der zweiten Periode des Arbeitsprozesses, die der Arbeiter über die Grenzen der »notwendigen« Arbeit hinausschanzt, arbeitet der Arbeiter, er verausgabt Arbeitskraft, aber erzeugt keinen Wert für sich selbst. Er erzeugt Mehrwert, der für den Kapitalisten den ganzen Reiz einer Schöpfung aus dem Nichts hat. Diesen Teil des Arbeitstages nenne ich Surplusarbeitszeit, und die Arbeit, die während dieser Zeit verausgabt wird: Mehrarbeit. So entscheidend es für die Erkenntnis des Wertes ist; ihn als blosse Gerinnung von Arbeitszeit, als materialisierte Arbeit zu begreifen, so entscheidend ist es für das Verständnis des Mehrwertes, ihn als blosse Gerinnung der Surplusarbeitszeit, als materialisierte Mehrarbeit zu begreifen.

Der wesentliche Unterschied zwischen den verschiedenen ökonomischen Formen der Gesellschaft, z. B. zwischen einer Gesellschaft, die auf Sklavenarbeit beruht und einer, die auf Lohnarbeit basiert, liegt nur in der Form, in der diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepresst wird.

Da einerseits der Wert dieser Arbeitskraft den notwendigen Teil des Arbeitstages bestimmt, und da andererseits der Mehrwert durch den überschüssigen Teil des Arbeitstages bestimmt wird, so folgt, dass, der Mehrwert sich zum variablen Kapital verhält wie die Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit oder, mit anderen Worten, die Rate des Mehrwertes

m

=

Mehrarbeit



v

notwendige Arbeit

Beide Proportionen, m/v und Mehrarbeit/notwendige Arbeit, drücken dasselbe Verhältnis auf verschiedene Art aus, das eine Mal durch Bezug auf materialisierte, vergegenständlichte Arbeit, das andere Mal durch Bezug auf lebendige, flüssige Arbeit.

Die Rate des Mehrwertes [d. h. das Verhältnis des Mehrwertes zum variablen Kapital] ist daher der exakte Ausdruck für den Grad der Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten.

Die Methode zur Berechnung der Mehrwertrate ist also kurz folgende: Wir nehmen den Gesamtwert des Produktes und setzen den darin nur wiedererscheinenden konstanten Kapitalteil gleich Null. Die übrigbleibende Wertsumme ist das einzige im Produktionsprozess der Ware wirklich erzeugte Wertprodukt. Ist der Mehrwert gegeben, so müssen wir ihn nur von diesem Wertprodukt abziehen, um das variable Kapital zu finden. Wir tun das Umgekehrte, wenn letzteres gegeben ist, und wir den Mehrwert finden müssen. Sind beide gegeben, so haben wir nur die Schlussoperation zu verrichten, d. h. m/v, das Verhältnis von Mehrwert zum variablen Kapital zu berechnen.

b) Darstellung des Produktenwertes in proportionellen Teilen des Produkts

Ein Beispiel zeigt uns, wie der Kapitalist Geld in Kapital verwandelt. Das Produkt eines 12stündigen Arbeitstages sind 20 Pfund Garn zum Wert von 30 Shilling. Nicht weniger als 8/10 dieses Wertes oder 24 Shilling sind gebildet durch den nur wiedererscheinenden Wert der Produktionsmittel (20 Pfund Baumwolle zu 20 Shilling und aufgebrauchte Spindel usw. zu 4 Shilling) oder bestehen aus konstantem Kapital. Die übrigen 2/10 oder 6 Shilling sind der während des Spinnprozesses entstandene Neuwert, wovon eine Hälfte den Tageswert der Arbeitskraft ersetzt oder das variable Kapital, und die andere Hälfte einen Mehrwert von 3 Shilling bildet. Der Gesamtwert der 20 Pfund Garn setzt sich also folgendermassen zusammen:
Garnwert von 30 Shilling = 24 Shilling konstantes + 3 Shilling variables Kapital + 3 Shilling Mehrwert.

Da dieser Gesamtwert in dem Gesamtprodukt von 20 Pfund Garn enthalten ist, müssen auch die verschiedenen Wertelemente in proportionellen Teilen des Produktes darstellbar sein.

Da 12 Arbeitsstunden des Spinners sich in 6 Shilling verkörpern, sind im Garnwert. von 30 Shilling 60 Arbeitsstunden verkörpert. Und diese Arbeitszeitmengen existieren in der Tat in 20 Pfund Garn; denn in 8/10 oder 16 Pfund sind 48 Arbeitsstunden materialisiert, die vor dem Beginn des Spinnprozesses für die Produktionsmittel verausgabt wurden, und in den übrigen 2/10 oder 4 Pfund sind die 12 Stunden materialisiert, die während des Prozesses selbst gearbeitet wurden.

Früher sahen wir, dass der Garnwert gleich der Summe des in seiner Produktion erzeugten Neuwertes plus des in seinen Produktionsmitteln vorher bestehenden Wertes ist. Jetzt wurde gezeigt, wie die verschiedenen Bestandteile des Produktenwertes, die sich funktionell voneinander unterscheiden, in proportionellen Teilen des Produktes selbst darstellbar sind.

Diese Zerlegung des Produktes in verschiedene Teile, von denen ein Teil nur die in den Produktionsmitteln enthaltene Arbeit oder das konstante Kapital, ein anderer nur die im Produktionsprozess zugesetzte notwendige Arbeit oder das variable Kapital und ein letzter Teil die in dem gleichen Prozess verausgabte Mehrarbeit oder den Mehrwert darstellt, ist ebenso einfach wie wichtig. wie wir später bei ihrer Anwendung auf komplizierte und bisher ungelöste Probleme sehen werden. Den Teil des Produktes, worin sich der Mehrwert darstellt, nennen wir »Mehrprodukt«. Die Grösse des Mehrproduktes wird nicht bestimmt durch sein Verhältnis zum Rest des Gesamtproduktes, sondern zu dem Teil des Produktes, der die notwendige Arbeit verkörpert. Da die Produktion des Mehrwertes der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion ist, ist es klar, dass die Grösse des Reichtums eines Menschen oder einer Nation nicht an der absoluten produzierten Menge, sondern an der relativen Grösse des Mehrproduktes gemessen werden müsste.

8. Der Arbeitstag

a) Die Grenzen des Arbeitstages

Die Summe der notwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, d. h. der Zeitabschnitte, worin der Arbeiter den Wert seiner Arbeitskraft ersetzt und den Mehrwert produziert, bildet die tatsächliche Arbeitszeit, d. h. den Arbeitstag.

Der Arbeitstag ist keine konstante, sondern eine variable Grösse. Einer seiner Teile ist sicherlich die zur Reproduktion seiner Arbeitskraft erforderliche Arbeitszeit, aber seine Gesamtgrösse wechselt mit der Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt.

Die Minimalgrenze ist indessen nicht bestimmbar. Andererseits hat der Arbeitstag eine Maximalgrenze. Er kann über einen gewissen Punkt hinaus nicht verlängert werden. Während der 24 Stunden eines natürlichen Tages kann der Mensch nur ein bestimmtes Quantum seiner Lebenskraft verausgaben. Während eines Teiles des Tages muss diese Kraft ruhen, schlafen; während eines anderen Teiles muss der Mensch andere physische Bedürfnisse befriedigen. Neben diesen rein physischen Grenzen stösst die Verlängerung des Arbeitstages auf moralische Schranken. Der Arbeiter benötigt Zeit, um seine geistigen und sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, deren Umfang und Anzahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstages bewegt sich daher innerhalb physischer und sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den grössten Spielraum.

Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswert gekauft. Ihm gehört ihr Gebrauchswert während eines Arbeitstages. Er hat also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tages für sich arbeiten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag?

Der Kapitalist hat seine eigene Ansicht über die notwendige Grenze eines Arbeitstages. Als Kapitalist ist er nur personifiziertes Kapital. Seine Seele ist die Seele des Kapitals. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu erzeugen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln, die grösstmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen. Kapital ist tote Arbeit, die, vampirgleich, nur durch das Einsaugen lebendiger Arbeit lebt und die um so mehr lebt, je mehr lebendige Arbeit sie einsaugt. Die Zeit, während deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapitalist die von ihm gekaufte Arbeitskraft konsumiert. Konsumiert der Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapitalisten. Der Kapitalist beruft sich dann auf das Gesetz des Warenaustausches. Er, Wie jeder andere Käufer, sucht den grösstmöglichen Nutzen aus dem Gebrauchswert seiner Ware herauszuziehen.

Plötzlich aber erhebt sich die Stimme des Arbeiters: Die Ware, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von anderen Waren dadurch, dass ihr Gebrauch Wert erzeugt, und zwar einen Wert, der grösser als ihr eigener ist. Dies war der Grund, warum du sie kauftest. Was auf deiner Seite als Verwertung von Kapital erscheint, ist auf meiner Seite extra Verausgabung von Arbeitskraft. Du und ich kennen auf dem Markt nur ein Gesetz, das des Warenaustausches. Und der Konsum der Ware gehört nicht dem Verkäufer, sondern dem Käufer. Dir gehört daher der Gebrauch meiner täglichen Arbeitskraft. Aber vermittels des Preises, den du täglich für sie zahlst, muss ich fähig sein, sie täglich zu reproduzieren und wieder zu verkaufen. Ich will wie ein vernünftiger, sparsamer Eigentümer mit meinem einzigen Vermögen, der Arbeitskraft, haushalten und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten. Ich will täglich nur soviel von ihr ausgeben, in Arbeit umsetzen, als sich mit ihrer Normaldauer und ihrer gesunden Entwicklung verträgt. Durch masslose Verlängerung des Arbeitstages kannst du in einem Tag ein grösseres Quantum meiner Arbeitskraft verbrauchen, als ich in drei Tagen ersetzen kann. Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an Arbeitssubstanz. Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind ganz verschiedene Dinge. Wenn die Durchschnittszeit, die ein Arbeiter bei vernünftigem Arbeitsmass leben kann, 30 Jahre beträgt, dann ist der Wert meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den anderen zahlst I/365x30 oder 1/10950 ihres Gesamtwertes. Konsumierst du sie aber in 10 Jahren, so zahlst du mir täglich 1/10950 statt 1/3650 ihres Gesamtwertes, also nur 1/3 ihres täglichen Wertes und du beraubst mich daher jeden Tag um 2/3 des Wertes meiner Ware. Du bezahlst mir die Arbeitskraft eines Tages, während du die Arbeitskraft von 3 Tagen verbrauchst. Das ist wider unseren Vertrag und das Gesetz des Austausches. Ich verlange einen Arbeitstag von normaler Länge, und ich verlange ihn ohne Appell an dein Herz. Du kannst ein Musterbürger sein, aber das Ding, das du mir gegenüber repräsentierst, hat kein Herz in der Brust.

Man sieht: abgesehen von ausserordentlich elastischen Schranken, ergibt sich aus der Natur des Warenaustausches selbst keine Grenze des Arbeitstages und der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als, Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang wie möglich und aus einem Arbeitstag, wenn möglich, zwei zu machen versucht. Andererseits schliesst, die eigentümliche Natur der verkauften Ware eine Grenze ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Hier ergibt sich also eine Antimonie, Recht gegen Recht, beide gleichmässig durch das Gesetz des Austausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. So stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Bestimmung des Arbeitstages als Ergebnis eines Kampfes dar, eines Kampfes zwischen der Klasse der Kapitalisten und der Arbeiterklasse.

b) Der Heisshunger nach Mehrarbeit

Das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit extra Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigentümer der Produktionsmittel zu produzieren, ob dieser Eigentümer nun atheniensischer Edelmann, etruskischer Theokrat, römischer Bürger, normännischer Baron, amerikanischer Sklaveneigentümer, walachischer Bojar, moderner Grossgrundbesitzer oder Kapitalist ist. Indes ist klar, dass, wenn in einer ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert des Produktes vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, aber kein schrankenloses Bedürfnis nach Mehrarbeit aus dem Charakter der Produktion selbst entspringt. Entsetzlich wird im Altertum Überarbeit daher nur dann, wo es gilt, den Tauschwert in seiner selbständigen, spezifischen Geldform zu gewinnen, in der Produktion von Gold und Silber. Zwangsmässiges Tod-Arbeiten ist hier die Form der Überarbeit.

Sobald aber Völker, deren Produktion sich noch in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Fronarbeit usw. bewegt, hineingezogen werden in einen durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, der Leibeigenschaft usw. der zivilisierte Greuel der Überarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union ihren patriarchalischen Charakter, solange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren örtlichen Bedarf gerichtet war. In dem Grad aber, wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse dieser Staaten wurde, wurde die Überarbeitung des Negers, manchmal die Konsumtion seines Lebens in 7 Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems.

Nichts ist von diesem Gesichtspunkt aus charakteristischer als die Bezeichnung der (englischen) Arbeiter, die volle Zeiten arbeiten, als »Voll-Zeitler« und der Kinder unter 13, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als »Halb-Zeitler«. Der Arbeiter ist hier nichts als personifizierte Arbeitszeit. Alle individuellen Unterscheidungen gehen auf in der Unterscheidung von »Voll-Zeitlern« und »Halb-Zeitlern«. Arbeit während aller 24 Stunden des Tages sich anzueignen, ist der immanente Trieb der kapitalistischen Produktion.

c) Der Kampf um den Normalarbeitstag

»Was ist ein Arbeitstag? Wie gross ist die Zeit, während deren das Kapital die Arbeitskraft, deren Tageswert es zahlt, konsumieren darf? Wie weit kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Reproduktion der Arbeitskraft selbst notwendige Arbeitszeit?« Man hat gesehen, dass das Kapital auf diese Fragen antwortet: der Arbeitstag zählt volle 24 Stunden, abzüglich der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Arbeitskraft den weiteren Dienst absolut verweigert. Es versteht sich von selbst, dass der Arbeiter sein ganzes Leben lang. nichts als Arbeitskraft ist, dass daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist und daher der Ausdehnung des Kapitals angehört. Zeit zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen und geselligem Verkehr, zum freien Spiel seiner körperlichen und geistigen Kräfte, sogar die Ruhezeit des Sonntags – Unsinn!

In seinem blinden Trieb, seinem Werwolfhunger nach Mehrarbeit, überrennt das Kapital nicht nur die Moral, sondern sogar die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstages. Es usurpiert die Zeit für Wachstum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Körpers. Es raubt die Zeit, die für die Konsumtion von frischer Luft und Sonnenlicht notwendig ist. Es feilscht um die Essenszeit und verleibt sie womöglich dem Produktionsprozess selbst ein, so dass dem Arbeiter als blossem Produktionsmittel Nahrung zugesetzt wird, wie dem Dampfkessel Kohle und der Maschinerie Schmiere. Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneuerung und Erfrischung der körperlichen Kräfte reduziert er auf gerade so viele Stunden, als die Wiederbelebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht. Nicht die normale Erhaltung der Arbeitskraft bestimmt die Grenzen des Arbeitstages, sondern die grösste täglich mögliche Verausgabung von Arbeitskraft, wie zwangsmässig und schmerzhaft sie auch immer sein mag, bestimmt die Grenze für die Ruhezeit des Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessiert, ist einzig und allein das Maximum an Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann. Es erreicht dieses Ziel durch Verkürzung der Lebensdauer des Arbeiters, wie ein habgieriger Landwirt gesteigerten Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht.

Die kapitalistische Produktionsweise (im wesentlichen Produktion von Mehrarbeit, Einsaugung von Mehrarbeit) produziert also durch Verlängerung des Arbeitstages nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeitskraft, indem sie diese ihrer normalen, moralischen und physischen Entwicklungs- und Betätigungsbedingungen beraubt; sie produziert auch die vorzeitige Erschöpfung und den Tod dieser Arbeitskraft selbst. Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während einer gegebenen Zeit durch Verkürzung seiner Lebenszeit.

Es kostet Jahrhunderte, bis der »freie« Arbeiter dank der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d. h. durch gesellschaftliche Bedingungen gezwungen ist, seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit, selbst für den Preis seiner Lebensmittel zu verkaufen.

Was im 19. Jahrhundert z. B. im Staate Massachusetts als Staatsschranke der Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamiert ist, war in England noch Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag erwachsener Handwerker, robuster Ackerknechte und Grobschmiede.

Die Festsetzung eines normalen Arbeitstages ist das Ergebnis jahrhundertelanger. Kämpfe zwischen Kapitalist und Arbeiter.

Das erste »Arbeitergesetz« (23 Eduard III, 1349) fand seinen unmittelbaren Vorwand (nicht seine Ursache) in der grossen Pest, die das Volk derart dezimierte, dass ein Tory-Schriftsteller sagt
»Die Schwierigkeit, Leute zu vernünftigen Bedingungen zur Arbeit zu bekommen, wurde unerträglich«.
Daher wurden vernünftige Löhne sowohl als auch die Grenzen des Arbeitstages durch Gesetz festgelegt. Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht hat, um den Arbeitstag bis zu seiner Maximalgrenze und dann über diese hinaus bis zu den Grenzen des natürlichen Tages von 12 Stunden auszudehnen, erfolgte nun, nach der Geburt der modernen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartige Überstürzung. Jede Schranke von Sitte und Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht wurde niedergerissen. Das Kapital feierte seine Orgien.

Sobald die vom Produktionslärm übertölpelte Arbeiterklasse zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im Geburtsland der grossen Industrie, in England. 30 Jahre lang jedoch blieben die Konzessionen, welche die Arbeiterklasse erobern konnte, rein nominell. Das Parlament liess zwischen 1802 und 1833 fünf Arbeitsgesetze durchgehen, aber es war schlau genug, nicht einen Penny für ihre Durchführung, für die erforderlichen Beamten usw. zu bewilligen. Sie blieben toter Buchstabe. Tatsache ist, dass vor dem Gesetz von 1833 Kinder und junge Leute die ganze Nacht, den ganzen Tag oder beides nach Belieben arbeiten mussten.

Der normale Arbeitstag der modernen Industrie datiert erst seit dem Fabrikgesetz von 1833. Nichts charakterisiert den Geist des Kapitals besser als die Geschichte der englischen Fabrikgesetze von 1833 bis 1864.

Das Gesetz von 1833 erklärt den gewöhnlichen Fabrikarbeitstag von halb sechs morgens bis halb neun abends und während dieser Arbeitszeit von 15 Stunden, ist es rechtmässig, junge Leute zwischen 13 und 18 Jahren zu jeder Tageszeit zu beschäftigen, vorausgesetzt, dass kein junger Mensch mehr als 12 Stunden an einem Tage arbeitet, ausser in gewissen besonders vorgesehenen Fällen.

Die Gesetzgeber waren soweit davon entfernt, die Freiheit des Kapitals, die erwachsene Arbeitskraft auszubeuten, oder wie sie es nannten, »die Freiheit der Arbeit« anzutasten, dass sie ein besonderes System ausheckten zur Verhinderung so übermässiger Folgen der Fabrikgesetze.
»Das grosse Übel des augenblicklich herrschenden Fabriksystems«, heisst es im ersten Bericht des Zentralausschusses der Kommission. vom 25. Juni 1833, »besteht darin, dass es die Notwendigkeit schafft, die Kinderarbeit zur Länge des Arbeitstages der Erwachsenen auszudehnen. Die einzige Abhilfe für dieses Übel, ausser der Begrenzung der Erwachsenenarbeit, was ein grösseres Übel als das zu beseitigende erzeugen würde, scheint der Plan zu sein, in doppelten Kinderschichten zu arbeiten…«
Dieser Plan wurde unter der Bezeichnung Ablösungssystem durchgeführt.

Nachdem die Fabrikanten alle während der letzten 22 Jahre erlassenen Gesetze betreffs Kinderarbeit in der schamlosesten Weise ignoriert hatten, verfügte das Parlament, dass nach dem 1. März 1834 kein Kind unter 11, nach dem 1. März 1835 kein Kind unter 12 und nach dem 1. März 1836 kein Kind unter 13 Jahren länger als 8 Stunden in einer Fabrik arbeiten dürfte. Dasselbe Parlament, das aus Zartsinn für die Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch jahrelang dazu verdammte, 72 Stunden in der Woche in der Fabrikhölle zu arbeiten, verbot andererseits den Pflanzern von Anfang an, einen Negersklaven länger als 45 Stunden in der Woche arbeiten zu lassen.

Die Jahre 1846 und 1847 sind in der ökonomischen Geschichte Englands Epoche machend: Die Korngesetze und die Zölle auf Baumwolle und anderes Rohmaterial wurden abgeschafft; Freihandel wurde zum Leitsatz der Gesetzgebung erklärt, in einem Wort, die Ankunft des Tausendjährigen Reiches. Andererseits erreichten in denselben Jahren die Chartistenbewegung und die 10-Stunden-Agitation ihren Höhepunkt. Das 10-Stunden-Gesetz wurde am 1. Mai 1848 in Kraft gesetzt. Zum besseren Verständnis müssen wir uns daran erinnern, dass keines der Fabrikgesetze von 1833, 1844 und 1847 den Arbeitstag des männlichen Arbeiters über 18 Jahre begrenzte, und dass seit 1833 der 15-Stunden-Tag von 5.30 Uhr morgens bis 8.30 Uhr abends der gesetzmässige »Tag« blieb, in dessen Grenzen zunächst die 12-Stunden- und später die 10-Stunden-Arbeit für junge Leute und Frauen nach den vorgeschriebenen Bedingungen ausgeführt werden musste.

Die Leidenschaft des Kapitals nach unbegrenzter und rücksichtsloser Ausdehnung des Arbeitstages wurde zuerst befriedigt in den Industrien, die am frühesten durch Wasserkraft, Dampf und Maschinen umgestaltet wurden, d. h. in der Baumwoll-, Woll-, Flachs- und Seidenspinnerei und -weberei. Die Änderungen in der Produktionsweise und die entsprechend veränderten sozialen Verhältnisse der Produzenten verursachten zuerst die masslose Ausschreitung und riefen dann die gesellschaftliche Kontrolle hervor, die den Arbeitstag gesetzlich begrenzt. Diese Kontrolle erscheint während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bloss als Ausnahmegesetzgebung.

Die Geschichte der Regulierung des Arbeitstages in einigen Produktionszweigen und der fortdauernde Kampf um solche Regulierung beweist, dass der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter als »freier« Verkäufer seiner Arbeitskraft, ohne Widerstand unterliegt, sobald die kapitalistische Produktion eine gewisse Stufe erreicht hat. Die Schaffung eines normalen Arbeitstages ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr oder weniger verborgenen Bürgerkrieges zwischen der Kapitalisten- und der Arbeiterklasse. Die englischen Fabrikarbeiter waren nicht nur die Vorkämpfer der englischen, sondern der modernen Arbeiterklasse überhaupt, wie auch ihre Theoretiker die ersten waren, die der Kapitaltheorie den Fehdehandschuh hinwarfen.

Frankreich hinkt langsam hinter England her. Die Februarrevolution war notwendig, um das 12-Stunden-Gesetz in die Welt zu setzen, das noch unzureichender als das englische Original ist. Trotzdem hat die französische revolutionäre Methode ihre besonderen Vorzüge.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, so lange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in der weissen Haut kann sich nicht emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aus dem Tod der Sklaverei entspross sofort neues Leben. Die erste Frucht des Bürgerkrieges war die 8-Stunden-Bewegung, die mit Siebenmeilenstiefeln vom Atlantik bis zum Pazifik, von Neuengland bis Kalifornien lief.

Zum »Schutz« gegen »die Schlange ihrer Qualen« müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenstecken und als Klasse den Erlass eines Gesetzes erzwingen, das sie selbst daran hindert, sich durch freiwilligen Vertrag mit dem Kapital in Sklaverei und Tod zu verkaufen. An Stelle des hochtrabenden Verzeichnisses der »unveräusserlichen Menschenrechte« tritt die bescheidene Magna Charta eines gesetzlich begrenzten Arbeitstages.

9. Rate und Masse des Mehrwertes

Mit der Rate ist zugleich die Masse des Mehrwertes gegeben, die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten während einer bestimmten Zeitperiode liefert. Beträgt z. B. die notwendige Arbeit täglich 6 Stunden, ausgedrückt in einem Quantum Gold = 3 Shilling, dann sind 3 Shilling der Tageswert einer Arbeitskraft oder der im Kauf einer Arbeitskraft vorgeschossene Kapitalwert. Ist ferner die Rate des Mehrwertes 100 Prozent, dann produziert dieses variable Kapital [das variable Kapital ist der Geldausdruck für den Gesamtwert aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig verwendet] von 3 Shilling eine Masse Mehrwert von 3 Shilling oder der. Arbeiter liefert täglich eine Masse Mehrarbeit von 6 Stunden.

Die Masse des produzierten Mehrwertes ist gleich der Grösse des vorgeschossenen variablen Kapitals multipliziert mit der Rate des Mehrwertes; mit anderen Worten, sie wird bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältnis zwischen der Anzahl der gleichzeitig durch denselben Kapitalisten ausgebeuteten Arbeitskräfte und dem Grad der Ausbeutung jeder einzelnen Arbeitskraft.

In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwert kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des anderen ersetzt werden. Verminderung des variablen Kapitals ist also ausgleichbar durch proportionelle Erhöhung im Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder die Abnahme der Anzahl der beschäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstages. Innerhalb gewisser Grenzen ist daher die Versorgung mit vom Kapital ausbeutbarer Arbeit unabhängig von der Versorgung mit Arbeitern. Andererseits, ein Fallen der Rate des Mehrwertes lässt die Masse des produzierten Mehrwertes unverändert, wenn die Grösse des variablen Kapitals oder die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im gleichen Verhältnis steigt.

Indes hat der Ersatz der Arbeiterzahl oder der Grösse des variablen Kapitals durch eine Erhöhung der Rate des Mehrwertes oder Verlängerung des Arbeitstages unüberspringbare Schranken. Die absolute Grenze des durchschnittlichen Arbeitstages – der von Natur aus immer weniger als 24 Stunden beträgt – bildet eine Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch eine höhere Mehrwertrate oder von verringerter Anzahl der ausgebeuteten Arbeiter durch einen höheren Ausbeutungsgrad der Arbeitskraft.

Die von verschiedenen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert verhalten sich bei gegebenem Wert und gleichgrossem Ausbeutungsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Grössen der variablen Bestandteile dieser Kapitale, d. h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgewandelten Bestandteile.

Nicht jede Geld- oder Wertsumme kann nach Belieben in Kapital umgewandelt werden. Zu dieser Umwandlung muss ein bestimmtes Minimum an Geld oder Tauschwert in der Hand des einzelnen Geld- oder Wareneigentümers vorausgesetzt werden. Das Minimum an variablem Kapital ist der Kostenpreis der einzelnen Arbeitskraft, die Tag für Tag zur Produktion des Mehrwertes beschäftigt wird.

Wäre dieser Arbeiter im Besitze seiner eigenen Produktionsmittel und begnügte er sich, als Arbeiter zu leben, so brauchte er nicht über die zur Reproduktion seiner Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, sagen wir 8 Stunden täglich, hinaus zu arbeiten. Er brauchte also auch nur Produktionsmittel für 8 Stunden Arbeit. Der Kapitalist dagegen, der ihn ausser diesen 8 Stunden zum Beispiel 4 Stunden Mehrarbeit verrichten lässt, benötigt eine zusätzliche Geldsumme zur Beschaffung der zusätzlichen Produktionsmittel. Unter unserer Annahme jedoch müsste er zwei Arbeiter beschäftigen, um von dem täglich angeeigneten Mehrwert seine notwendigen Bedürfnisse befriedigen zu können. In diesem Fall wäre der blosse Lebensunterhalt Zweck seiner Produktion und nicht die Vermehrung des Reichtums; das letztere ist aber in der kapitalistischen Produktionsweise eingeschlossen. Damit er nur doppelt so gut wie ein gewöhnlicher Arbeiter lebe und die Hälfte des produzierten Mehrwertes in Kapital zurück verwandele, müsste er zugleich mit der Arbeiterzahl das Minimum des vorgeschossenen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann er selbst arbeiten, d. h. direkt am Produktionsprozess teilnehmen, aber dann ist er nur Mittelding zwischen einem Kapitalisten und einem Arbeiter, ein »kleiner Meister«. Eine gewisse Produktionsstufe verlangt aber, dass der Kapitalist die ganze Zeit, während deren er als Kapitalist, d. h. als personifiziertes Kapital funktioniert, zur Aneignung und daher Kontrolle fremder Arbeit und zum Verkauf der Produkte dieser Arbeit verwenden kann.

Innerhalb des Produktionsprozesses erwarb das Kapital, wie wir gesehen haben, das Kommando über die Arbeit. Der Kapitalist passt auf, dass der Arbeiter seine Arbeit regelmässig und mit dem gehörigen Grad von Intensität verrichtet.

Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhältnis, welches die arbeitende Klasse zwingt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eigenen Lebensbedürfnisse vorschreibt. Als Produzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Ausbeuter der Arbeitskraft übergipfelt es an Energie, Masslosigkeit und Wirksamkeit alle früheren auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.

Heute ist es nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Anstatt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eigenen Lebensprozesses, und der Lebensprozess des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als sich ständig ausdehnender, ständig multiplizierender Wert.


Source: »Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, Offenbach/M., Bollwerk Verlag, 1949

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