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OBJEKTIVE UND SUBJEKTIVE FAKTOREN DES KLASSENKAMPFES – DIALEKTISCHE BINDEGLIEDER EINES EINZIGEN PROZESSES


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Objektive und subjektive Faktoren des Klassenkampfes – dialektische Bindeglieder eines einzigen Prozesses
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Objektive und subjektive Faktoren des Klassenkampfes – dialektische Bindeglieder eines einzigen Prozesses

Die Partei hat sich in letzter Zeit eingehend mit den Fragen der indirekten praktischen Aktion befasst und insbesondere mit der Frage der gewerkschaftlichen Einheitsfront, um aus den Beispielen der Tätigkeit der Kommunistischen Partei Italiens in ihren ersten Jahren, in denen sie von der Linken geführt wurde, Elemente für die Lösung der wichtigen taktischen Probleme der sich anbahnenden Periode zu holen. Es geht uns aber gleichzeitig darum, durch eine genaue Kennzeichnung aller wirkenden Faktoren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu zeigen, wie gefährlich es wäre, die Erfahrungen und Methoden einer revolutionären Periode mechanisch auf eine Zeit anzuwenden, in der die Klassenkämpfe noch bevorstehen, geschweige denn in einer Periode der tiefsten Konterrevolution.

Wenn jene Erfahrung einen allgemeingültigen Bezugspunkt in der Arbeit für den Wiederaufbau der Klassenpartei darstellt und wenn eine richtige Taktik angewandt wurde, wäre es eine selbstmörderische Vereinfachung zu denken, dass die formellen Direktiven in jedem beliebigen Moment verwendet werden können.

Die Arbeit über die Einheitsfront selbst wird bei anderer Gelegenheit zusammengefasst werden. Wir möchten heute nur darauf hinweisen, dass in dieser Arbeit klar dargelegt wird, wie die ganze Aktion der Italienischen Linken sich vollständig auf dem Boden der marxistischen Prinzipien vollzog und der richtigen Auffassung der Beziehungen zwischen Partei und Klasse entsprach und, trotz Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich gewisser taktischer Lösungen, sich im vollkommenen Einklang mit den Thesen und Beschlüssen der Internationale befand. Das Thema liefert uns aber einen guten Anlass, um gewisse Missverständnisse (oder gewollte Entstellungen) über unsere Auffassungen und strategischen Perspektiven zu klären.

In unseren Thesen von 1972 über die Partei gegenüber der Gewerkschaftsfrage steht:
»Die prinzipiellen Fragen bleiben unveränderlich und werden gegenüber der Auflösung der Bewegung – und zwar nicht nur der kommunistischen, sondern der Arbeiterbewegung im allgemeinen und in der ganzen Welt – mit noch schneidenderer Schärfe wiederholt. Die Partei hat aber in der Nachkriegszeit ständig verneint, dass die Phase, die nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges anbrach, sich als mechanische Wiederholung der sozialen Lage nach dem Ersten Weltkrieg gestalten oder als solche interpretiert werden könnte«.

Diese Aussage wird von unseren Feinden oft so ausgelegt: in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges waren die objektiven und subjektiven Bedingungen gleichzeitig vorhanden, in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges hingegen und heute, da ihr euch für eine in jeder Hinsicht gebildete Partei erklärt, nur letztere; demnach kann eure Position als ein Warten auf das Wiederauftauchen der objektiven Bedingungen, unabhängig von der Aktion der revolutionären Partei selbst, gekennzeichnet werden. Daher wäre eure Aufgabe bis zu diesem Tag, so fahren jene fort, auf die Propaganda der kommunistischen Ideen, auf die Vorbereitung des revolutionären Organs ohne die revolutionäre Funktion beschränkt; letztere wird sich dann entwickeln, wenn die Krise des Kapitalismus und ihre Folgen das Proletariat zu der Überzeugung gebracht haben werden, dass eure Ideen doch die Richtigen waren.

Es wäre nicht der Mühe wert, gegen solche Gegner zu polemisieren, die unsere Positionen auf derart niedriger Ebene verzerren, aber da es uns angeblich nahestehende Gruppen gibt, die gerade solche winzigen Formeln zum »politischen Glauben« erheben und somit dem Opportunismus eine angenehme Karikatur des marxistischen Revolutionarismus liefern, haben wir die Pflicht darauf zu antworten: wenn es sicher ist, dass sich die Widersprüche im Kapitalismus bis aufs Äusserste zuspitzen werden, und demzufolge auch sicher ist, dass unsere Ideen nicht mehr den Charakter ihrer teuflischen Besessenheit vom marxistischen und bolschewistischen »Irrtum« haben werden, für die die Propaganda der Bourgeoisie und ihrer offenen Agenten sie in den Augen der Arbeiter anschwärzen und dass diese Ideen so die Massen ergreifen werden können, ist es andererseits auch war, dass die Arbeitermassen uns niemals von selbst recht geben werden, zumindest nicht in dem Masse, wie wir es wünschen, wenn nicht wir sie dazu bringen und dafür arbeiten, die Bedingungen für die Führung der Arbeiterbewegung im Sinne des revolutionären Programms zu schaffen. Bedingungen, die nicht vom Himmel fallen werden, wie das Manna für die Juden in der Wüste.

Hier haben wir die polemische Vertretungen direkt schon vor Augen: ihr kehrt den marxistischen Determinismus um!

Nebenbei sei daran erinnert, dass schon Kautsky dasselbe zu Lenin 1917 sagte und es zuvor die Menschewiki den Bolschewiki vorgeworfen hatten, die damit vorgaben, im Vergleich zu ihnen, links zu stehen. Man wird dann feststellen, dass gerade der revolutionäre Fatalismus mit dem abenteuerlichen Voluntarismus tendenziell zusammenfliesst. Letzterer enthält auf jeden Fall die Bedingungen für die Unterstützung des Opportunismus, da er die revolutionäre Vorbereitung ablehnt und folglich die primäre Funktion der Partei (allenfalls erkennt er sie in rein technischem oder rein ideellem Masse an), und somit – dort wo es möglich ist – eine selbstmörderische Gegenüberstellung zwischen Vorhut und Nachhut des Proletariats, sondern auch zwischen Vorhut und den von den reformistischen Agenten der Bourgeoisie beeinflussten Massen predigt und verwirklicht.

Vor mehr als einem halben Jahrhundert war der revolutionäre Syndikalismus – obwohl er zum Teil eine gesunde Reaktion der Arbeiter auf das legalitäre und pazifistische Gehabe der Sozialdemokratie und der dazugehörigen Gewerkschaften ausdrückte – das andere Gesicht des Revisionismus. Er gab zwar vor, die bekannte bernsteinsche Position zurückzuweisen, ihn aber von denselben Voraussetzungen aus, wie wir in unserem Text »Grundlagen des revolutionären marxistischen Kommunismus« zeigten. Und musste daher die gesunde Reaktion auf Abwege führen. In ewiger Erwartung der allgemeinen Wiederaufnahme des Klassenkampfes, gibt der Fatalismus genauso die sich auflehnenden Proletarier dem wütenden Eingriff der bürgerlichen Reaktion preis, weil sie nicht mit derselben Bewusstseinshöhe auftreten können, die er voraussetzt; er wird schliesslich, da die »revolutionären Bedingungen« »fehlen« (übrigens hat er mit seiner Politik nicht unwesentlich zu diesem »Fehlen« beigetragen), nicht Bankrott erklären, sondern den weissen Terror selbst organisieren. Die Voluntaristen hingegen verwandeln sich in Aktivisten der feindlichen Seite, unter dem Deckmantel des Beitrags zur Entwicklung der Bedingungen des grossen sozialen Krachs.

Es ist relativ wenig schlimm, wenn sich dieses Phänomens heute ereignet. Verhängnisvoll wäre es, wenn es sich ohne eine positive Opposition morgen ereignen würde, wenn die Partei mit schwierigen Aufgaben der Formierung der Arbeiterbewegung konfrontiert werden wird, sei es in Vorbereitungs-, sei es in Angriffsphasen. Im Juli 1917 zum Beispiel wirkte in ausschlaggebender Weise in der sogenannten russischen Arbeiterspontanität eine Partei, die sich im jahrelangen Kampf gehärtet hatte. Man muss sich fragen, was morgen dagegen geschehen würde, wenn es nicht gelungen sein sollte, eine Partei aufgebaut zu haben, die effektiv fähig ist, die Massen – die von der Krise des Regimes in Bewegung gesetzt werden – revolutionär zu führen: eine Partei, die so fest ist wie die bolschewistische, und sogar noch mehr, denn in der Welt der christlichen, parlamentarischen und marktwirtschaftlichen Zivilisation bewegt sich die Revolution auf einem viel unsicheren Boden.

In Bestätigung dessen und der Beharrlichkeit auf diesen Positionen, die uns kennzeichnen, schrieben wir 1957 (»40 Jahre organische Bewertung der Ereignisse Russlands in der sozial und historisch dramatischen internationalen Entwicklung«, deutsch in »Revolution und Konterrevolution in Russland«, 1972):
»Eine kürzlich erschienene Studie bürgerlicher Ökonomen in den USA über die internationale Dynamik des Warenaustausches kalkuliert, dass das gegenwärtige Wettrennen um die Eroberung der Märkte (was sich nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem anrüchigen Puritanismus der hilfreichen USA verbarg) im Jahre 1977 einen kritischen Punkt erreichen werde. Zwanzig Jahre trennen uns noch vom neuen Aufflammen der permanenten Revolution im internationalen Massstab und dies deckt sich sowohl mit den Ergebnissen jener so fern liegenden Diskussion von 1926, wie mit den Ergebnissen unserer Untersuchungen.
Eine erneute Niederlage der Arbeiter kann nur unter der Voraussetzung vermieden werden, dass die Wiederherstellung der revolutionären Theorie nicht erst dann erfolgt, nachdem ein dritter Weltkrieg bereits wieder die Arbeiter hinter alle wohlbekannten fluchwürdigen Fahnen geschart hat (und hier sei an die gigantischen Anstrengungen Lenins ab 1914 erinnert). Es muss möglich sein, dass diese Wiederherstellung der Theorie schon vorher sich entwickelt mit der Organisation einer Weltpartei, die ohne Zögern ihre eigene Diktatur von vorneherein anmeldet: in diesem Punkt zu zögern entspricht einer Liquidation«
.

Also theoretische Wiederherstellung und Aufbau der Weltpartei und nicht nur die Nennung eines Datums, wie es gewissen Jammergestalten gefallen würde, oder – für den Geschmack der anderen Gattung – Revolution ohne Vorbereitung und ohne das Organ, das sie verkörpert.

Und theoretisch und praktisch Klärung zu schaffen, wiederholen wir noch einmal einige Begriffe über das Verhältnis zwischen Partei und Klasse, die für jeden, der sich Marxist nennt, Grundbegriffe sein sollten.

Die Grundlage für die kommunistische Revolution – zur Bildung deren Partei wir unnachgiebig nach Richtlinien arbeiten, die nicht aus Wahlen oder Ausklügelungen resultieren, sondern aus dem Marxismus und der Geschichte der Klassenkämpfe (und daher bezeichnen wir uns als Partei, obwohl wir nur einen äusserst kleinen Kern darstellen) – wird vom Gegensatz zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen gegeben. Dieser Gegensatz drückt sich wiederum im Interessengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat aus, der, wenn auch offensichtlich nicht den einzigen Konflikt der modernen Gesellschaft darstellt, doch als einziger von einer solchen Unversöhnlichkeit gekennzeichnet wird, dass er die Arbeiter in eine Lage versetzt, die unter gegebenen Bedingungen einen revolutionären Ausgang haben kann.

Die Unversöhnlichkeit zwischen Proletariat und Bourgeoisie drückt sich aus und verwirklicht sich jedoch nur – und hier liegt das Problem jener Bedingungen – auf einer allgemeinen Ebene. Demzufolge kann die besondere Ebene der Bewegungen, die durch im buchstäblichen Sinn unmittelbare Interessen hervorgerufen werden, nur in dem Masse als Grundlage des Klassenkampfes betrachtet werden, dass in diesen Bewegungen auch die Tendenz zur revolutionären Entwicklung wirkt; und diese Tendenz ist kein automatisches Ergebnis der Arbeiterbewegung.

Beispiele? Die Position der Abstentionistischen Kommunistischen Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens während der Fabrikbesetzungen 1920 und die grossartige Antwort Lenins auf eine der vielen kautskyanischen Rechtfertigungen für die Politik der deutschen Sozialdemokratie gegenüber dem Ersten Weltkrieg, mit welcher die Verantwortung für den Verrat in edler Weise auf die Massen abgeschoben wurde. Die Zentristen behaupteten, letzten Endes nur dem Willen der Arbeiter entsprochen zu haben. Das stimmt auch, insofern die akzeptierte Mobilmachung eine Fortsetzung der relativen Interessensolidarität zwischen dem Proletariat und dem deutschen Imperialismus darstellte. Aufgabe der Partei war aber die allgemeinen und ständigen Ziele der Befreiung des Proletariats zu vertreten, sogar gegen die unmittelbare Stimmung wichtiger oder sogar überwiegender Schichten des Proletariats. Die Massen konnten ausserdem in kritischen Momenten nichts gegen den Verrat ihrer Führung unternehmen – sagte noch Lenin –; die Führer hatten hingegen alle Möglichkeiten und die Pflicht, den Verpflichtungen nachzukommen, die sie noch 1912 nicht gegenüber ihren Wählern oder Gewerkschafts- und Genossenschaftsmitgliedern, sondern gegenüber der Revolution eingegangen waren.

Die Arbeiterbewegung ist nicht allein das Ergebnis der Tendenz, die Schwierigkeiten des Kampfes gegen die Kapitalisten zu überwinden. Sie ist auch ein notwendiges Produkt der kapitalistischen Entwicklung und unter bestimmten Bedingungen ein integrierender Bestandteil des Kapitalismus. Für den Kommunismus handelt es sich darum, aus ihr einen Hebel zur revolutionären Vorbereitung zu machen und sie geistig sowie materiell zum ersten dieser zwei Pole auszurichten, zwischen denen sie schwebt, zu einem Pol, der heute unter den Trümmern der Konterrevolution verschüttet scheint.

Es ist eine marxistische These, dass das Proletariat seine unmittelbaren Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht verbessern kann, wenn es nicht in die allgemeinen Existenzbedingungen der Gesellschaft eingreift. Die Ursache der wirtschaftlichen Kämpfe und ihrer Organisationen muss man – um Marx zu umschreiben – in den Veränderungen, in den Wechselbeziehungen zwischen Produktivkräften, Produktion, Arbeitswert und Geldwert, Ausdehnung und Intensität der Ausbeutung, Preisschwankungen als Folge von Angebot und Nachfrage, in den verschiedenen Phasen des Wirtschaftszyklus suchen. Es ist also wichtig, von Widerstand gegen und Reaktion auf den Kapitalismus zu sprechen. Und als man früher Arbeiterbewegung sagte, verstand man darunter eben diese Bewegung, ohne sie mit der politischen sozialistischen Bewegung auf ein und dieselbe Stufe zu stellen.

So verstanden ist die Arbeiterbewegung eine »naturnotwendige« Erscheinung und bildet in der klassischen Formulierung ein Mittel zur revolutionären Politik: genauer gesagt, die Gelegenheit, dass Kampffeld zu erweitern und immer breitere Arbeiterschichten gegen die Staatsmacht zu führen. Wie? Indem man die Teil- und Anfangsbewegungen mit Hilfe der lebendigem Erfahrung integriert und überwindet, indem man sie anspornt, indem man darin aktiv teilnimmt und die Entwicklung aufmerksam verfolgt; das alles im Bewusstsein, dass es zwischen ökonomischem und politischem Kampf kein mechanisches Ableitungsverhältnis weder in der einen noch in der anderen Richtung gibt, sondern eine dialektische Beziehung, und das (was in der imperialistischen Epoche besonders offensichtlich ist) die Wirksamkeit und Ausdehnung des Widerstandes von einer wirklichen Tendenz zur Umwälzung der Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen nicht zu trennen sind.

Die kommunistische Politik entwickelt sich aber nicht nach einer geraden und gleichförmig Linie, sondern ist den unvermeidlichen Fluten und Ebben des Klassenkampfes ausgesetzt. Die revolutionäre Partei ist gleichzeitig ein Faktor und ein Produkt dieses Klassenkampfes: als Brücke, auf der sich die Ursachen der Niederlagen in Siegesgründe umwandeln, wird die Partei nur fungieren können, wenn sie die Arbeiterspontanität nicht zum Fetisch erhebt und fähig ist, die Kontinuität der Bewegung in Richtung des revolutionären Endzieles auch gegen den Strom zu sichern. Allzuoft wird das von den »leichtfertigen Revolutionären« vergessen, die in der Geschichte der Arbeiterbewegung und in den Schriften, die diese begleiten, eine Art »vollständiges Handbuch für junge Faultiere« erblickten.

Eben dieses Prinzipiengerüst findet man angewandt und bestätigt in der Einheitsfronttaktik, die von der italienischen Linken befolgt wurde. Gegenüber dem gemeinsamen Angriff des Faschismus und des demokratischen Staates, und dem stillen Einverständnis des Opportunismus, vermochte es die Linke, dem Proletariat zu zeigen, dass es ausserhalb der allgemeinen revolutionären Vorbereitung keinerlei Hoffnung auf Verteidigung der unmittelbaren Lebensbedingungen gab. Sie war auch fähig, die konsequente praktische Direktive zu geben: Wiederherstellung der ökonomischen und politischen Verteidigungsfront auf der Grundlage der unmittelbaren Forderung des gesamten Proletariats. Diese Wiederherstellung musste wiederum notwendigerweise durch die Säuberung des noch gesunden Körpers der Gewerkschaftsorganisationen von der reformistischen oder anarchistischen Ansteckung samt dazugehörigen Träger gehen.

Alle prinzipiellen Überlegungen, die wir behandelt haben und die in den Gewerkschaftsthesen von 1972 sowie in anderen grundlegenden Texten wie »Revolutionäre Partei und ökonomische Aktion« zu finden sind (beide Texte erscheinen in deutscher Sprache im ersten Quartal 1975), alle diese Überlegungen führen zur richtigen Einschätzung der Funktion der Gewerkschaften und des gewerkschaftlichen Kampfes in unserer Auffassung des revolutionären Prozesses und seiner notwendigen Vorbereitung, mit speziellem Bezug auf die Phase, die mit dem Zweiten Weltkrieg eröffnet wurde.

In den Thesen (I.3) heisst es:
»Die Arbeitergewerkschaft, wie alle anderen Formen von unmittelbarer Organisation, ob ausschliesslich ökonomisch oder nicht, ist nie revolutionär an sich. Durch ihre Unmittelbarkeit selbst und durch das Vorhandensein von unterschiedlichen zeitweiligen Interessen von verschiedenen Arbeitergruppen neigt sie vielmehr dazu, sich im kleinlichen und korporativen Horizont einer minimalistischen und reformistischen Aktion abzuschliessen; sie kann dennoch zu einem wichtigen Instrument der Revolution und zunächst der Vorbereitung des Proletariats auf die Revolution werden, und zwar insofern die Partei in den Gewerkschaften, das heisst bei den organisierten Massen, einen bedeutenden Einfluss gewinnt… Um diese Aufgabe zweckmässig erfüllen zu können und im Hinblick auf die revolutionäre Endaktion, die unter anderem die Zentralisierung der Arbeiterkräfte voraussetzt, ist die Einheitsgewerkschaft erstrebenswert, das heisst die Gewerkschaft, die alle Arbeiter einer spezifischen Wirtschaftssparte erfasst«.

Und weiter (I.4):
»Die Partei betrachtet als Bedingung ihrer eigenen Existenz als wirkender Faktor der Vorbereitung des Proletariats auf den revolutionären Angriff und Sieg:
a) den Ausbruch von ökonomischen Kämpfen in breitem Massstab und in einer nicht-episodischen Form, so wie die intensive Beteiligung der Partei an diesen Kämpfen mit den angezeigten Zielen;
b) die Existenz eines nicht-episodischen und soliden Netzes von Zwischenorganisationen zwischen ihr und der Klasse und ihr Eingriff in diesen Organisationen, nicht unbedingt um deren Mehrheit und somit deren Führung zu erobern, sondern um mindestens einen solchen Einfluss zu erlangen, der es ihr erlaubt, diese Organisationen als Transmissionsriemen ihres Programms unter den organisierten Arbeitermassen zu gebrauchen, sowie die kämpferischsten Arbeiterschichten für dieses Programm durch und durch zu gewinnen«
.

Wenn wir jetzt zu dem Ausgangspunkt zurückkehren, müsste klar sein, dass das, was wir als subjektives Moment der revolutionären Vorbereitung bezeichnen, eine untergeordnete Funktion gegenüber dem, was wir objektive Bedingungen zu nennen pflegen, einnimmt. Marx, Engels und Lenin würden sich im Grabe drehen wegen eines Materialismus, der den Klassenkampf als blosse Summe dieser beiden Momente betrachtete und nicht vielmehr als deren Synthese.

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
»war der Opportunismus, obwohl er die objektiven Tendenzen der imperialistischen Phase zum Ausdruck brachte, nicht in der Lage, im selben Ausmass wie heute (…) als unmittelbarer Träger der Unterjochung der Gewerkschaftsorganisationen unter den Staat zu fungieren« (II/2).
Und warum nicht? Weil einerseits die spontane Massenbewegung, andererseits der Kampf der revolutionären Tendenz gegen die opportunistische in den Reihen der Arbeiterbewegung während der ganzen vorhergehenden Phase nun zusammentrafen. Diese Zusammenwirkung bestimmte den Klassencharakter der unmittelbaren Organisationen des Proletariats, in gewissen Fällen trotz der opportunistischen Führung. Heute leiden wir unter einer Konterrevolution, deren Ausmass die Geschichte vorher nie gekannt hat, und die zerstörende Wirkung des Opportunismus konnte und kann sich viel tiefer und breiter entfalten.

»Der Prozess (der Unterjochung der Gewerkschaften unter die Bourgeoisie) lässt sich nicht umkehren, und ebensowenig die wirtschaftliche und politische Entwicklung des imperialistischen Kapitalismus in einem zentralisierenden und totalitären Sinne. Dieser Prozess liefert den Schlüssel für das Verständnis der Entwicklung der Gewerkschaften in allen grossen kapitalistischen Ländern. Es gehört aber zu unseren wissenschaftlichen Überzeugungen, dass sich der Prozess umkehren wird, der seit über 30 Jahren die Klasse von ihrer Partei trennt…; es gehört zu unseren wissenschaftlichen Überzeugungen, dass, wenn das ununterbrochene Fortschreiten der Unterjochung der Gewerkschaften unter den bürgerlichen Staat in den objektiven Bestimmungen der imperialistischen Phase des Kapitalismus geschrieben steht, darin ebenso der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und die exklusive allgemeine Wiederaufnahme des Klassenkampfes geschrieben stehen, so entfernt sie heute scheinen mögen. Die wirkliche, grundlegende und beständige Errungenschaft einer solchen Wiederaufnahme wird die Rückkehr der straffen und zentralisierten Organisation der Partei als wirkender Faktor auf die historische Bühne bringen. Diese Rückkehr wird aber notwendigerweise von der Wiedergeburt von Massenorganisationen begleitet, die sich zwischen der grossen Klasse und ihrem politischen Organ spannen. Diese Organisationen müssen nicht unbedingt die Gewerkschaften sein… Das Problem besteht jedenfalls nicht in den Formen, die die Wiederaufnahme des Klassenkampfes annehmen wird und ebensowenig in der Weise, in der sie sich zu organisieren neigen wird, sondern vielmehr in dem Prozess, der zu diesen Formen und Weisen führend wird!« (II/5)

»Die Paradoxie des jetzigen historischen Zyklus (…) besteht darin, dass gegenüber der Zusammenballung der Widersprüche und Zerfleischungen der kapitalistischen Produktionsweise, die Arbeiterklasse auf eine Stufe zurückgeworfen wurde, die noch viel tiefer steht, als die, die Lenin in »Was tun?« beschrieb. Da ging es darum, in ihre Reihen das politische Bewusstsein, den Sozialismus hineinzutragen; hier geht es um die harte und schwierige Aufgabe, die politische Intervention der Partei mit einer ökonomischen Aktion zusammenzubringen, die in ihrer Spontanität nicht einmal das Niveau erreicht, dass Lenin »tradeunionistisches Bewusstsein« nannte und, abgesehen von äusserst seltenen Ausnahmen, einen sporadischen, korporativen zersplitterten Charakter behält. Es ist klar, dass die Partei den Klassenkampf nicht erzeugen kann; es ist jedenfalls ihre Aufgabe, mitten in den ökonomischen Kämpfen, auch wenn sie sporadisch und beschränkt sind, auf die grundlegenden und unentbehrlichen Bedingungen ständig hinzuweisen, mit Losungen zu agitieren und allgemeine Methoden zu predigen, die auf die Zusammenfassung der Proletarier aller Betriebe, Kategorien und Städte hinzielen (…), sowie die sabotierende und auflösende Rolle des Opportunismus in den Gewerkschaften anzuzeigen, der nicht ohne Grund solche Forderungen ablehnt« (III/1).

»Die heute existierenden Assoziationsformen enthalten nichts, dass wir verteidigen müssten (…). Wir haben im Gegenteil gegenüber diesen Organisationen das ständige Prinzip der Arbeitervereinigung und die Bedingungen für ihre Wiederbehauptung in der Entwicklung der Klassenkämpfe zu vertreten – denn von diesen Kämpfen sind die unmittelbaren Massenorganisationen ohne Zweifel ein Ergebnis, aber auch ein Faktor« (II/5).

Aus den drei letzten Zitaten geht klar hervor, dass – zusammenfassend – das Herauskristallisieren von günstigen Bedingungen für die revolutionäre Aktion nicht nur eine allgemeine Wiederaufnahme der ökonomischen Kämpfe unter dem Antrieb der kapitalistischen Krise voraussetzt, sondern die parallele Wiederentstehung eines Netzes von Arbeiterorganisationen, in denen sich die Verbindung der Partei mit der Klasse herstellt. Eine solche Wiederentstehung impliziert die Zerbröckelung der Strukturen, die der Opportunismus geschaffen hat, um die Desorganisation des Proletariats zu verewigen. Eine ihrer grundlegenden Bedingungen ist daher die Arbeit der Kommunisten im Rahmen der Tageskämpfe, um den Einfluss der revolutionären Partei unter dem kämpferischsten Arbeitern zu verbreiten, in dem man gegen das reformistische Vorhaben ankämpft, das geringste Anzeichen von Radikalisierung der Arbeiter zu ersticken, einzuschüchtern und zurückzuhalten. Diese Aktion – sagen wir es zum x-ten Mal – ist Bestandteil der Arbeit zum Wiederaufbau der Partei selbst.


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 4, Oktober 1974, übersetzt aus »Il Programma Comunista«, Nr. 18, 27. 09. 1973

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