IBKL – Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken
[home] [content] [end] [search] [print]


DER KAPITALISMUS UND DIE ERNÄHRUNG DER MENSCHHEIT


Content:

Der Kapitalismus und die Ernährung der Menschheit
Die marxistische These
Der Ernährungsbankrott des Kapitalismus
Bankrott der bürgerlichen Wissenschaften
Die Seuche der kapitalistischen Agrikultur
Notes
Source


Der Kapitalismus und die Ernährung der Menschheit

Immer häufiger wiederholen die bürgerlichen Ideologen und Wissenschaftler die melancholische Überlegung, dass die unbesonnene Menschheit von heute drauf und dran ist, die Erde zunehmend zu zerstören. Dieser Überlegung folgt unweigerlich der Appell an die »gutwilligen Menschen«, damit sie mit bravem Bürgersinn »eingehend darüber nachdächten« und rechtzeitig »vorsorgen würden«. Die FAO (Welternährungsorganisation) schloss die Arbeiten ihres kürzlichen Weltkongresses in Rom mit diesem unausbleiblichen Hilfeschrei ab.

Ein in der internationalen Zeitschrift »Scientific American« im März 1975 erschienener Artikel mit dem Titel »Nahrung und Bevölkerung«, der von einem älteren »Experten«, niemand geringeren als dem Direktor des Zentrums für Bevölkerungsstudien der Harvard University, geschrieben wurde, greift die seit mehr als einem Jahrhundert unveränderten bürgerlichen Positionen wieder auf. Das gibt uns die Gelegenheit, in einer Kritik des erwähnten Artikels die Positionen des revolutionären Marxismus darzulegen, Positionen, die »Erneuerer« und »Aktualisierer« gern kastrieren und zu »harmlosen Götzen« machen möchten, die aber ihnen zum Trotz genauso unveränderlich sind.

Bevor wir jedoch zum Kernpunkt kommen, ist es angebracht, eine kurze Zusammenfassung der marxistischen Position zur Frage der Ernährung und der Ware »Nahrungsmittel« vorauszuschicken.

Die marxistische These

Eine der Schlüsseltheorien des Marxismus – die Theorie der Agrarfrage – gipfelt in der historischen Grundthese, dass die kapitalistische Produktionsweise einerseits und auf Weltmassstab der Menschheit die Möglichkeit gibt, die verschiedenartigsten Industriegüter zu konsumieren, andererseits die Verfügung über Nahrungsmittel und Agrarprodukte im allgemeinen relativ immer mehr erschwert. Der revolutionäre Kommunismus erhebt den Ruf von Blanqui»Wer Eisen hat, hat auch Brot« – zur Wissenschaft der Revolution und der Klassendiktatur, zum Aufruf an das Proletariat, die Zivilisation des Profits, die mit Nahrung für die Lebenden und noch mehr für die Nachkommen geizt, mit der Gewalt des Eisens zu stürzen. Der revolutionäre Kommunismus hat die kapitalistische Produktionsweise und ihre historische Laufbahn entschlüsselt, und damit die Gründe für die immer grössere Störung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Erde, für die unheilbare Beraubung des Bodens und für die immer grösser werdende und sich verschärfende Diskrepanz zwischen Agrikultur und Industrie: ein unlösbarer Gegensatz, der als zusätzlicher Nachweis für die historische Relativität der bürgerlichen Gesellschaft und zugleich als mächtiger objektiver Impuls für die antikapitalistische Revolution zu begrüssen ist. Diesbezüglich genügt es, eine unter vielen Stellen des Kapitals zu zitieren:
»In der Sphäre der Agrikultur wirkt die grosse Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den ›Bauer‹, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen.«

Zu bemerken ist, dass hier wie in jeder anderen Zeile des »Kapitals« die wissenschaftliche ökonomische Untersuchung mit der Aufzeichnung des Programms für den proletarischen Klassenkampf untrennbar verknüpft ist: in diesem Fall die Vereinigung der Massen des Stadtproletariats und der Landarbeiter, die sich mit materieller Notwendigkeit aus dem Kapitalismus selbst ergibt.

»An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewusste, technologische Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreissung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten«
(hier spricht der Kommunismus, der »unmögliche« Kommunismus, wehrte Spiesser, akademische Marxologen, Marktschreier der »Kultur«: dies ist nicht Eure Sprache, sondern die unverwechselbare des »red terror doctors«!)
»mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in grossen Zentren zusammenhäuft, häufte die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andererseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, das heisst die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter. Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloss naturwüchsig entstandenen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, dass Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über grössere Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und grössere Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt«
(hört gut zu, scheinheilige Fortschrittler!)
»der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit.«

Eure Verseuchung, Ihr Herrn Beschützer des Grüns und der reinen Luft, Ihr Freunde der blühenden Wiesen, die Ihr in Expertenweste das bisschen Luft, dass uns noch bleibt, mit Moralpredigten verseucht – die Umweltverschmutzung ist nicht von heute, sie wurde gänzlich von einer Wissenschaft vorausgesehen und erklärt, die in Euren modernsten Abhandlungen vergeblich gesucht wird!

»Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika zum Beispiel, von der grossen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozess. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (die Hervorhebungen sind von uns)[1].

Wie für alle grossen historischen Gegensätze, so auch für den, der sich auf das Verhältnis zwischen Industrie und Agrikultur bezieht, gibt es keine progressive sondern nur eine revolutionäre Lösung. Zugleich rechnet Marx ab mit der »persönlichen Verantwortung« des einen oder anderen Kapitalisten und mit den reformistischen Träumen – denen seinerzeit die Utopisten nachhingen, während heute, im voll entfalteten Imperialismus, nur Ultrareaktionäre, die eine Bourgeoisie ohne Proletariat, eine Profitproduktion ohne die unausbleiblichen Folgen der abgepressten Mehrarbeit und ohne zunehmendes Elend der enteigneten Massen ersehnen, solche Träume haben können. Dem philantropischen Bourgeois, der bereit ist, heisse Tränen über die Begleiterscheinungen dieses zunehmenden »Zerstörungsprozesses« zu vergiessen, hat Marx im Voraus das Maul gestopft. Dem lamentierenden Bourgeois antwortete Marx in einer Fussnote zum zitierten Passus.

»Ihr teilt das Volk in zwei feindliche Lager, plumpe Bauern und verweichlichte Zwerge. Lieber Himmel! Eine Nation, zerspalten in landwirtschaftliche und Handelsinteressen, nennt sich gesund, hält sich für aufgeklärt und zivilisiert, nicht nur trotz, sondern gerade zufolge dieser ungeheuerlichen und unnatürlichen Trennung.«, schreibt der Bourgeois; dazu Marx: »Diese Stelle zeigt zugleich die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiss.«[2]

Heute, mit der Verwüstung zweier Weltkriege, mit der Entwicklung eines Imperialismus, der die Erde und die Biosphäre selbst immer mehr vergiftet, wird dasselbe Klagelied widerlich verschlimmert in tausend Tönen wiederholt, ein Lied, das seine »Jungfräulichkeit« längst verloren hat, hinter denen sich die erhabene »ökologische« Industrie – neueste Errungenschaft des Kapitals – versteckt.

In der Tat, weit über das Äusserliche hinaus, wird die kapitalistische Produktionsweise in ihrem Wesen durch die Formel charakterisiert: »Der Konsum ist das Mittel, die Produktion ist der Zweck«. Darin liegt ihre revolutionäre Funktion, und, in der ganzen Entwicklung der Produktivkräfte, ihre historische Schranke.

»Da nicht Befriedigung der Bedürfnisse, sondern Produktion von Profit Zweck des Kapitals, und da es diesen Zweck nur durch Methoden erreicht, die die Produktionsmasse nach der Stufenleiter der Produktion einrichten, nicht umgekehrt, so muss beständig ein Zwiespalt eintreten zwischen den beschränkten Dimensionen der Konsumtion auf kapitalistischer Basis und einer Produktion, die beständig über diese ihre immanente Schranke hinausstrebt. (…) Darin, dass die Aneignung unbezahlter Arbeit, und das Verhältnis dieser unbezahlten Arbeit zur vergegenständlichten Arbeit überhaupt, oder, kapitalistisch ausgedrückt, dass der Profit und das Verhältnis dieses Profits zum angewandten Kapital, also eine gewisse Höhe der Profitrate über Ausdehnung oder Beschränkung der Produktion entscheidet, statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen, zu den Bedürfnissen gesellschaftlich entwickelter Menschen. Es treten daher Schranken für sie ein schon auf einem Ausdehnungsgrad der Produktion, der umgekehrt unter der anderen Voraussetzung weitaus ungenügend erschiene. Sie kommt zum Stillstand, nicht wo die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern wo die Produktion und Realisierung von Profit diesen Stillstand gebietet. (…) Die Profitrate ist die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion, und es wird nur produziert, was und soweit es mit Profit produziert werden kann.«[3].

Die endgültige Vernichtung dessen, was sich damals noch als eine Utopie des falschen Sozialismus definieren konnte und was heute den Opportunismus, den Hüter der bürgerlichen Macht, kennzeichnet, geht klar aus diesem Abschnitt, wie aus dem ganzen »Kapital« hervor: nämlich die Utopie, das gesellschaftliche Elend durch ein »gerechtes« Tauschverhältnis, ein Tauschverhältnis »ohne Ausbeutung«, ohne »Betrugsmomente« im Kreislauf Arbeit-Ware-Arbeit-Geld, abzuschaffen, aber unter Beibehaltung der Formen in denen sich das Arbeitsjoch verkörpert: der Ware, des Geldes und somit der Lohnarbeit. Sozialismus ist keine Tauschgleichheit, Sozialismus ist Verteilung ohne Tausch.

Im Schlussteil des dritten Bandes, soweit er uns überliefert wurde, kommt Marx auf die Ware Nahrungsmittel zurück. Durch die Kooperation von grossen Arbeitermassen in der Manufaktur, durch die technische Arbeitsteilung in der Fabrik, durch die berufliche Arbeitsteilung in der Gesellschaft (was ja parallel läuft zur Trennung des freien Arbeiters, des Handwerkers, von seinen Arbeitsbedingungen, von der eigenen Werkstatt, den eigenen Werkzeugen und Rohstoffen; zur Verwandlung der freien Produzenten in Proletarier, mit gleichwohl positiven allgemeinen gesellschaftlichen Folgen, da in der Fabrik alles viel schneller produziert wird) bedeutete die kapitalistische Produktionsweise zwar einen historischen grossartigen Schritt vorwärts in der Arbeitsproduktivität. Sie wird aber niemals in der Lage sein, die Produktion von Grundnahrungsmitteln mit dem zahlenmässigen und produktionstechnischen Wachstum der Menschheit Schritt halten zu lassen. Im Kapitalismus (wir haben gesehen, dass »die Profitrate die treibende Macht in der kapitalistischen Produktionsweise ist«) werden sowohl Kapital als auch menschliche Arbeitskraft unaufhörlich in die Industrie und nicht in die Landwirtschaft getrieben. Die technologische und organische Zusammensetzung des Kapitals ist in der Industrie günstiger als in der Landwirtschaft. Die Umschlagszeit des Kapitals ist in der Industrie unendlich viel kürzer. Der unglaublichen Geschwindigkeit der technologischen Revolutionen in der Industrie entspricht eine enorm langsame Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion. Die jährliche Getreideproduktion in Tonnen je Landarbeiter ist im Laufe eines Jahrhunderts aller Wahrscheinlichkeit nach um nicht mehr als 50 Prozent gestiegen. Bei der Stahlproduktion betrug diese Steigerung mehr als das zehnfache.

Die gelehrten Professoren der bürgerlichen Intelligenz suchen in Tabellen, befragten Computer, um die Zeit zu errechnen, in der wir am Hunger sterben werden. Der historische Klassendeterminismus hindert sie daran, über die kapitalistische Produktionsweise hinaus zu sehen. Den Kommunismus können sie nicht begreifen, obwohl sie bei jedem Anzeichen seiner materiellen Notwendigkeit das grosse Zittern bekommen. Ihre Beklemmungsgefühle – die nichts anderes widerspiegeln als die allgemeineren Beklemmungsgefühle der Expropriateure gegenüber dem unentrinnbaren Fall der Durchschnittsprofitrate – wird sich entweder in den Orgien des Existentialismus auflösen oder in der Philosophie des »natürlichen Katastrophismus« Zuflucht suchen. Das zeigt sich heute mit viel drastischerer Deutlichkeit im Schrecken vor dem Versiegen der Energiequellen (für sie ist die Erde ein »beachtliches, aber kein ewiges Kapital«), vor dem Bevölkerungsüberschuss, vor dem Nahrungsmittelmangel und vor der Verurteilung zum Hunger- und Dursttod (was von den Völkern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens schon – und nicht metaphorisch – erlitten wurde, die das Glück hatten, die Freuden kapitalistischer Plünderungen kennenzulernen). Wie sehen aber die Wege aus, die die bürgerliche Wissenschaft einschlägt, wenn sie dem Katastrophismus den Rücken kehren will? Auf welche Mittel greift sie zurück? Da sie an die historische Begrenztheit der Produktionsweise, deren Ausdruck sie ist, gefesselt ist, gräbt sie Rezepte aus, die bereits von Marx zerfetzt wurden, und die von der Geburteneinschränkung bis zur Entwicklungshilfe (typisch für die menschenfreundlichkeitskranken Priester und Krämer), den Agrarreformen und den »Ernährungsbanken« reichen. In dem Artikel, den wir jetzt untersuchen werden, wird sich zeigen, dass all diese Wege denselben Ursprung haben, verschiedene Seiten eines selben Prismas darstellen und derselben determinierenden Notwendigkeit gehorchen: nämlich der Apologie des Kapitalismus.

Der Ernährungsbankrott des Kapitalismus

Zuerst gibt der Verfasser die Zahlen wieder, die sich auf den Bevölkerungszuwachs und die Erhöhung der Getreideproduktion in der ganzen Welt beziehen. Während die Bevölkerung in den 20 Jahren von 1951 bis 1971 um weniger als 50 Prozent zunahm, erhöhte sich die Getreideproduktion um mehr als das Doppelte, so dass das pro Kopf verfügbare Getreide rein arithmetisch um 40 Prozent gestiegen ist. Diese sterile Statistik verschleiert die wahre Klassenverteilung innerhalb der einzelnen Nationen selbst, und ist schon deshalb von vorneherein äusserst betrügerisch. Anschliessend liefert der Verfasser die Zahlen, die sich auf die wirkliche Verteilung unter den verschiedenen geohistorischen Räumen beziehen. Mehr als die Hälfte der Getreideprodukte ging an die reicheren Länder, die 30 Prozent der Weltbevölkerung darstellen, während der Rest – weniger als die Hälfte – »zu gleichen Teilen« an die arme Welt (70 Prozent der Bevölkerung) ging, also an die »2,6 Milliarden Einwohner von Asien, Afrika und Lateinamerika«. Während die Verfügbarkeit über Getreide im Weltdurchschnitt um 40 Prozent zunahm, lag in diesen ärmeren Kontinenten »der Produktionszuwachs von Lebensmitteln zwischen 1953 und 1971 nur knapp über der Bevölkerungszunahme: jährlich 2,9 Prozent gegen 2,6 Prozent, also pro Kopf nur 0,3 Prozent mehr«, das heisst in den 18 untersuchten Jahren stieg die Verfügbarkeit nur um 5,4 Prozent aber »nicht einmal die geringe Verbesserung hat sich gerecht verteilt. Die dickste Scheibe bekam Lateinamerika mit einer durchschnittlichen Jahresverbesserung von pro Kopf nur 0,9 Prozent. In den nicht kommunistischen (!) Ländern Asiens betrug die jährliche Pro-Kopf-Erhöhung nur 0,2 Prozent. In Afrika schliesslich erfuhr das Volumen der Lebensmittelproduktion in diesen 18 Jahren sogar einen Rückgang von ca. 1,1 Prozent pro Kopf. (…) 1972 bis 1973 hat sich diese Situation weiter verschlechtert«. Man muss darauf hinweisen, wie wir es in dieser Zeitung schon getan haben, dass in den USA »60 Prozent der Getreideproduktion als Futtermittel für 120 Millionen Rinder und einen riesigen Viehbestand an Schweinen, Schafen, Hühnern und dergleichen verwendet werden«. Die USA »die die grössten Exporteure von Nahrungsmitteln der Welt sind«, verkaufen »den grössten Teil ihres Getreideüberschusses an die anderen entwickelten Länder zu Preisen, die für die Entwicklungsländer unerschwinglich sind; gleichzeitig nimmt die Lieferung von Hilfen in Form von Nahrungsmitteln laufend ab«.

Selbst in diesen einfachen statistischen Durchschnittswerten, die nichts darüber aussagen, wie dieses »bisschen Nahrung« zwischen den hungrigen Massen und den Reichen Rentiers oder Bürokraten von bürgerlichen Staaten und Bananenrepubliken verteilt wird, kommen die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise mit ihrem unlösbaren Widerspruch zwischen menschlichen Bedürfnissen und der Produktion für den Profit krass zum Ausdruck. Bevor wir zu den theoretischen Hirngespinsten unseres Experten gegenüber einem so verwirrenden und »unverständlichen« Phänomenen übergehen, wollen wir dessen Ursachen in der marxistischen Analyse erläutern:

»Da nicht Befriedigung der Bedürfnisse, sondern Produktion von Profit Zweck des Kapitals, und da es diesen Zweck nur durch Methoden erreicht, die die Produktionsmasse nach der Stufenleiter der Produktion einrichten, nicht umgekehrt, so muss beständig ein Zwiespalt eintreten zwischen den beschränkten Dimensionen der Konsumtion auf kapitalistischer Basis und einer Produktion, die beständig über diese ihre immanente Schranke hinausstrebt. […] Wie könnte es sonst an Nachfrage für die selben Waren fehlen, deren die Masse des Volkes ermangelt, und wie wäre es möglich, diese Nachfrage im Ausland suchen zu müssen, auf ferneren Märkten, um den Arbeitern zu Hause das Durchschnittsmass der notwendigen Lebensmittel zahlen zu können? Weil nur in diesem spezifischen, kapitalistischen Zusammenhang das überflüssige Produkt eine Form erhält, worin sein Inhaber es nur dann der Konsumtion zur Verfügung stellen kann, sobald es sich für ihn in Kapital rückverwandelt.«[4]

Einzig und allein auf Mehrwertrealisierung bedacht, wird die kapitalistische Produktionsweise von der bis zum Überdruss gepriesenen »persönlichen Freiheit« ideologisch umhüllt.

Nun, sogar und vor allem auf der Ebene der Befriedigung der elementarsten menschlichen Bedürfnisse, wie der Ernährung, zeigt der Kapitalismus wie und bis zu welchen Gipfeln das Privateigentum seine Herrschaft über den Menschen perfektioniert hat, und zur »allgemeinsten weltgeschichtlichen Macht«, die ihn unterjocht, geworden ist; hier deckt er auch, hinter den lumpigen Schleiern, die der Opportunismus zusammenzuflicken versucht, sein historisches Urteil auf: Waren werden die Menschheit niemals satt machen!

Unser Verfasser hebt seinen bedenklichen Zeigefinger:
»In den Entwicklungsländern verurteilt die Abnahme der Pro-Kopf-Produktion von Grundnahrungsmitteln die Mehrheit der Bevölkerung zu einer einseitigen und qualitativ schlechten Kost, die sich hauptsächlich aus Getreide und Knollen oder anderen Wurzeln zusammensetzt. Bei den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung sind die Ernährung unter dem physiologischen Bedarf einer gesunden und normal tätigen Person (…). Unter den schlecht ernährten Säuglingen und Kindern ist die Sterblichkeit relativ hoch, die Folgen der Unterernährung bei den Überlebenden sind aber gesellschaftlich ernsthafter. Die betreffenden Kinder sind in der Tat gegen Kinderkrankheiten und ihre bleibenden Folgen anfälliger, und sowohl ihre körperliche als auch ihre geistige Entwicklung werden dadurch gehemmt«.

Hier muss man wiederholen, dass die grössten Erzeuger von landwirtschaftlichen Produkten, an deren Spitze die USA stehen, ihre Erzeugnisse an die Länder verkaufen, die im echtesten Sinne des Wortes ihre Partner und gleichzeitig ihre Erzkonkurrenten genannt werden können, und dies zu einem Preis, der für die weniger entwickelten Länder unerschwinglich ist. Letztere leiden Hunger also nicht aus Mangel an Kapitalismus (Mangel an »Entwicklung«, wie die Herrschaften zu sagen pflegen), sondern gerade wegen der eisernen Herrschaft der marktwirtschaftlichen Gesetze, die den Kapitalismus kennzeichnen. Dieselben Gesetze machen andererseits die Ghettos und Slums der Mehrheit der hochentwickelten kapitalistischen Metropolen zu Horten der Unterernährung, des Hungers, der Kinderkrankheiten und der Kindersterblichkeit. Die Beispiele von Marx aus dem England des letzten Jahrhunderts, können heute, wo der Kapitalismus fast die ganze Welt ergreift, verhundertfacht werden. Wir wollen uns hier nicht bei der Litanei der endlosen Statistiken über Elend und Hunger aufhalten. So hilfreich diese Statistiken für denjenigen sein können, der aus ihnen das zugrundeliegende allgemeine Gesetz herauslesen kann und herauslesen will, so sind sie doch Klagelied all derer, die, entweder mit dem alten naturalistischen Plunder behaftet oder von der »Entwicklungs- und Reformindustrie« getrieben, dieses Material auf dem Ideenmarkt absetzen, um dieselbe Gesellschaft zu verherrlichen, die diesen Hunger und dieses Elend ständig reproduziert. Wesentlich für uns ist – wie die Zitate von Marx zeigen – der Beweis, dass all dies, was der Spiesser beklagt, ein notwendiger, unabdingbarer und unreformierbarer Aspekt der Anarchie ist, die die kapitalistische Produktionsweise beherrscht.

Es ist angebracht, und sei es lediglich aus polemischen Zwecken, die Daten über die »fette Küche« der USA und über die »magere Küche« Indiens wiederzugeben:
»Getreide, Gemüse, Nüsse bilden gut 81 Prozent der indischen Durchschnittskost, jedoch kaum 21 Prozent der amerikanischen. Fleisch, Eier und Molkereiprodukte machen 36 Prozent der amerikanischen Kost, gegenüber vier Prozent der indischen aus. Zucker, Glykosen, Fette und Öle bilden weitere 35 Prozent in den USA und 11 Prozent in Indien. Die ›magere Küche‹ Indiens hat einen täglichen Durchschnittsgehalt von 2150 Kalorien pro Kopf, die alle verbraucht werden, während von den 3300 Kalorien der ›fetten Küche‹ Amerikas ungefähr 600 beim Kochen und als Tellerreste verlorengehen«.
Obwohl die Darstellung durch die bürgerlich-demokratische Statistik entstellt ist, die die Kost eines Managers aus einem Chicagoer Unternehmen mit der des Schwarzen oder Puertoricaners aus den tausend und abertausend Ghettos gleichsetzt, erkennen wir die Zahlen der bürgerlichen Presse als »gültig« an und multiplizieren die 600 Kalorien, die jeder USA-Bürger auf dem Teller lässt, mit der Zahl der Yankee-Bevölkerung. Wir kommen zum Schluss, dass zur vollständigen Freude der entsprechend anwachsenden Spülmittelproduktion über 120 Milliarden Kalorien auf Tellern und in Pfannen gelassen werden. Wenn man diese Zahl mit den 2150 Kalorien, die dem Inder im Durchschnitt zufallen, vergleicht, ergibt sich, dass die amerikanischen Reste den Hunger von 60 Millionen Indern stillen könnten. Irgend ein kleiner Galbraight aus dem demokratischen Wohlstandsparadies wird noch den Vorschlag machen, dass die Amerikaner für ein paar Cents sich die Teller auslecken lassen. Diese Ernährungslehre des Elends ist weit von uns entfernt. Das oben berichtete soll nur zum Beweis dienen, wie der Kapitalismus die Wirtschaft der Verschwendung ist, der Verschwendung lebendiger Arbeit zugunsten des Blutsaugers Kapital. Dieser, eine Zusammenballung toter Arbeit, regeneriert sich ständig an der Ausbeutung der lebendigen. Despotischer Herrscher, unterjocht er alle menschlichen Bedürfnisse, schaltet und waltet mit seinen unpersönlichen Gesetzen über das elementarste Überlebensbedürfnis, die Ernährung. Das ist, »freier« Mensch, deine Freiheit, dich zu ernähren!

Was bedeutet die periodische Vernichtung von Lebensmitteln (die in Italien vor allem bei Obst oft vorkommt), um einen Preissturz zu vermeiden, wenn die »zahlende« Nachfrage kleiner ist als das Angebot (den hungernden Massen zum Hohn), anderes als die Erhebung des göttlichen Profitgesetzes zum unbestrittenen Herrscher der Gesellschaft?

Bankrott der bürgerlichen Wissenschaften

Vor dieser verheerenden Bilanz erklärt der Doktor aus Harvard:
»Es gibt keine einfache und spektakuläre Formel« – gegen die revolutionäre Formel, mein Herr, sind sie von Natur aus allergisch – »um diesen Abgrund zu vermeiden. Etwas, was man selbstverständlich tun muss, weil es, wenn auch schwierig, so doch langfristig absolut unerlässlich ist, ist die Rate der Bevölkerungszunahme zurückzuschrauben. In der Zwischenzeit kann man das Lebensmittelangebot in dreifacher Hinsicht erhöhen; kurzfristig durch die Schaffung einer Welternährungsbank, etwas längerfristig durch die Modernisierung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern und schliesslich durch eine starke Intensivierung der Forschung auf dem Gebiet der Landwirtschaft und Ernährung.«

Malthusianismus und »optimistisches« Fortschrittlertum sind die zwei Strömungen, die schon vor Marx und bis zu den »aktuellen« FAO-Kongressen den Olymp der bürgerlichen Wissenschaft beherrschen.

Die makabre Wiederausgrabung Malthus ist für eine solche »Askesenlehre«, wie die politische Ökonomie, unvermeidlich.

Deren »wahres Ideal ist der asketische aber wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave. (…) der Arbeiter, der in die Sparkasse einen Teil seines Salärs bringt, und sie hat für diesen ihren Lieblingseinfall sogar einige knechtische Kunst vorgefunden. Man hat das sentimental aufs Theater gebracht. Sie ist daher – trotz ihres weltlichen und wollüstigen Aussehens – eine wirklich moralische Wissenschaft, die allermoralischste Wissenschaft. Die Selbstentsagung, die Entsagung des Lebens und aller menschlichen Bedürfnisse, ist ihr Hauptlehrsatz. (…) die Bedürfnislosigkeit als das Prinzip der Nationalökonomie zeigt sich am glänzendsten in ihrer Bevölkerungstheorie. Es gibt zuviel Menschen. Sogar das Dasein der Menschen ist ein purer Luxus, und wenn der Arbeiter ›moralisch‹ ist (Mill schlägt öffentliche Belobung für die vor, die sich enthaltsam in gesellschaftlicher Beziehung zeigen, und öffentlichen Tadel für die, die sich versündigen an dieser Unfruchtbarkeit der Ehe… Ist das nicht Morallehre von der Askese?), wird er sparsam an Zeugung. Die Produktion des Menschen erscheint als öffentliches Elend«.[5]

So hatte der junge Marx den guten Malthus samt »kritischen Kritikern« an den Pranger gestellt. Die heutigen bürgerlichen Wissenschaftler finden hinter den Lochstreifen der »magischen« Computer und EDV-Anlagen, die das Marketing ihnen zur Verfügung stellt, trotz aller Denkanstrengungen nichts anderes für die »wissensdurstigen Massen« und für die immer verblödetere »öffentliche Meinung« als: »nicht verzagen, Malthus fragen«, also: am Oberleib den Gürtel enger schnallen, am Unterleib den Keuschheitsgürtel!

Unser Fachmann merkt nicht, in welchem Widerspruch er sich verstrickt hat, was wohlgemerkt nicht auf seine geistige Unfähigkeit, sondern auf die Ideologie, der er sich verschreibt, zurückzuführen ist. Wenn die Getreideproduktion viel stärker als die Bevölkerung angestiegen ist, und wenn er selbst gezeigt hat, wie die Verteilung – die mit der Produktionsweise ein ganzes bildet – die Bedürfnisbefriedigung nicht berücksichtigt, ist offensichtlich, dass die Ursachen des Problems keineswegs durch eine Bevölkerungabnahme entfernt werden können. Wenn das Wachstum der Agrarproduktion bei weitem hinter dem der Industrie zurückbleibt, und mit der Reproduktion der Menschheit nicht schritthält, so ist auch die Menge der Lebensmittelproduktion, gemäss unserem Autor, doch gross genug, um alle Magen in der ganzen Welt – wie wir sehen werden sogar zehnmal soviel Magen – füllen zu können. Es gäbe also für alle genug zu essen. Der Haken liegt darin, dass das Essen nicht an die Hungrigen gelangt, weil Regierungen einen Teil der Produktion dem Markt entziehen oder gar vernichten, um Preissenkungen zu vermeiden und die Erzeugergewinne zu schützen. Gesellschaftliche Verteilungskriterien kommen im Kapitalismus nicht zur Geltung.

Was das andere Allheilmittel, das optimistische Fortschrittlertum, angeht, behauptet man, dass die Erde auch im Falle einer spektakulären demographischen Explosion in der Lage wäre, alle heutigen und zukünftigen Menschen zu ernähren, unter der Voraussetzung, dass der technische Stand der Bodenerhaltung und Intensivierung der Agrarproduktion wesentlich verbessert würden. Man erfleht also nicht nur mehr Investitionen in den Notstandsgebieten, sondern auch die Durchführung eines Antihungerplans durch Schaffung von Lebensmittelfonds, Kapitalhilfe und Lieferung von modernen Maschinen an die Agrarländer, und zugleich mehr oder weniger kostenlose Nahrungsmittellieferungen. Unser Autor vertritt diesen »aufgeklärten« Standpunkt:
»Um die Wiederholung der Situation von 1972–73 zu vermeiden (in der Trockenheit und ungünstige Bedingungen einen Sturz der landwirtschaftlichen Weltproduktion verursachten, was zu einer Senkung der Getreidereserven Anfang 1974 auf den Bedarf von weniger als einem Monat und zu Preisverdoppelungen und -verdreifachungen binnen weniger Wochen führte), wurde von vielen Seiten der Vorschlag gemacht, eine Weltbank für Nahrungsmittel unter internationaler Kontrolle (!) zu gründen. Um eine derartige Weltreserve zu verwalten, wäre grösste Umsicht geboten (…), denn man müsste jegliches Manöver zu unstatthaften (!) Senkung der Agrarpreise verhindern«.
Mitten im überreifen Imperialismus, wo die Umverteilung der Welt unter wenigen Staatsmonstern immer mehr auf die Tagesordnung kommt, gibt es noch fromme Seelen, die an die Möglichkeit einer internationalen Kontrolle glauben, so wie der gute Vater das tägliche Brot unter seinen Kindern gerecht verteilt. Man könnte meinen, vor einem dieser kitschig-süsslichen Aufrufe an die gutwilligen Menschen einer Zeitung des offiziellen Kommunismus zu stehen. Im Appell an die Umsicht, um »unstatthafte« Senkungen der Agrarpreise zu verhindern, schaut die Kaufmannsideologie aber offener durch. Was ist ihre Sorge? Dass der Überschuss der als »Bankreserven« akkumulierten Lebensmittel nicht zu einem »unerwünschten« Faktor auf dem Weltmarkt werde und schliesslich zu einer Preissenkung führe. Und was für ein Ziel verfolgt unser Autor, wenn er eine Nahrungsmittelbank vorschlägt? Lassen wir ihn selbst reden:
» …Die Bildung einer gut geführten Weltbank für Nahrungsmittel in den nächsten drei oder vier Jahren könnte für die Landwirte der wichtigsten Exportländer förderlich sein« (darum geht es also!). »Bei normalen Witterungsverhältnissen können die USA eine Reihe von ausserordentlich guten Ernten erwarten, die unvermeidlich einen starken Druck auf die Preise ausüben würden. Die Möglichkeit einer Rezession in Europa und Japan macht die Perspektive eines unkontrollierbaren Preisrutsches noch finsterer«.
Die stillschweigende Sorge unseres Autors spiegelt die Klassenfurcht der Bourgeoisie wieder, die das Gespenst einer immer breiteren Überproduktionskrise und den Sturz der Profitrate am Horizont wittert. Einerseits müssen die Bourgeois den Lebensmittelmangel herbeiwünschen, damit die Produktion ansteigt, sonst wäre sie nicht weiter rentabel. Andererseits, sobald der Mangel auftritt, merkt man, dass es nicht gelingt, genug zu verkaufen, dass der »Mangel« zum »Überschuss« wurde. Also Preissenkung und Wiederbeginn der Hungerspirale, wenn auch vom anderen Ende her. Unter anderem bedeutet der Gedanke einer Welternährungsbank auch den Versuch (wohlgemerkt Versuch, keine wirkliche Möglichkeit), dieser Katastrophe vorzubeugen. Einmal die Subventionierung einer solchen Bank durch alle Staaten und Staatsattrappen der Erdkugel, und dazu ihre Kontrolle durch die stärksten Produzenten, allen voran die USA, gesichert, hätten letztere die Garantie, ihre Erzeugnisse zu höheren Preisen zu verkaufen, als dies auf einem »freieren« Markt möglich wäre. Gerade in den USA ist seit Jahrzehnten eine kostspielige Verwaltungsmaschine tätig, um die Preise durch den Ankauf der unabsetzbaren Überschüsse hochzuhalten. Einerseits eine lawinenartige Vermehrung der leeren Bäuche, andererseits vollgestopfte Getreidesilos, damit die Preise ja nicht fallen. Können die USA auf eine Politik der Bildung von Agrarreserven verzichten? Ganz bestimmt nicht. Diese Überschüsse ermöglichten die ausreichende Ernährung des Kanonenfutters und der waffenproduzierenden Arbeiter während der Kriege (Weltkriege, Koreakrieg und Vietnamkrieg). Unmittelbar nach dem Weltkrieg ermöglichten sie die Lebensmittelpakete usw. und dienten letztendlich dazu, unter dem Deckmantel der »Freundschaft« dem Finanzkapital den Weg zu öffnen. In jüngster Zeit, süsse Frucht der »Entspannung«, haben sie die russischen Tore dem amerikanischen Kapital geöffnet. Die Einrichtung einer Ernährungsbank wäre ein nützliches Mittel, um vom Markt nicht direkt aufgenommene Lebensmittel anderswie abzusetzen. Wir schrieben nach dem Zweiten Weltkrieg in unserer Zeitschrift Prometeo (siehe Nachdruck in »Per l’organica sistemazione dei principi comunisti«, Mailand 1974, Seite 161 ff):

»Das konstante Kapital ist die Erbschaft, die die vergangenen Generationen in jahrhundertelanger Akkumulierung ihrer Arbeitsanstrengungen an die Nachkommen vermachen. Darauf thront das Klassenprivileg, da die von den Toten hinterlassenen Milliarden Arbeitstage mit allen Lebenden gehören, sondern nur einer kleinen Minderheit. Dieses Eigentumsverhältnis würde aber den Kapitalisten wenig dienen, wenn sie nur über das konstante Kapital verfügten. Sie könnten dann wohl ihre unbeweglichen Maschinenberge und das kalte Schornsteinmeer betrachten, das würde sie aber nicht dem Hungertod entziehen. Das konstante Kapital muss sich variables Kapital, d. h. menschliche Arbeitskraft einverleiben, um Profite zu erzeugen und akkumulierten Reichtum zu verbrauchen. Das Wirtschaftsgefüge erlaubt den Monopolisten der Produktionsmittel, den Arbeitern das Lebensnotwendige vorzuschiessen, und zugleich Nutzniesser des gesamten Produktes aus Kombination von Maschinen und Arbeit zu bleiben (…). Die Entwicklung des Kapitalismus hatte die einzelnen Betriebe in eine immer grössere Abhängigkeit voneinander gebracht, und das Problem der Befruchtung des fixen Kapitals durch das Lohnkapital wird von der Bourgeoisie im Weltmassstab planmässig angepackt«.

Somit hat der Kapitalismus einen Apparat geschaffen, der imstande ist, der hungernden Bevölkerung die Lebensmittel vorzuschiessen.

»Dieser als Geschenk verpackte Vorschuss bildet in Wirklichkeit als variables Kapital die echte Profitquelle und wird daher unter Ausbeutungbedingungen wieder ausgepresst, die tausendmal schlimmer sind als die einer ›Barzahlung‹ oder die einer späteren Eröffnung eines regulären Schuldkontos zu Lasten des wankenden europäischen Kapitals«.

»Die Literatur der bürgerlichen Frühzeit schauderte vor dem wuchernden Shylock, der seinen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Besitzlosen in das Recht verwandelte, vom Körper des Schuldners ein Stück Fleisch abzuschneiden. Der intelligente Kapitalismus von heute hält hingegen den Schuldner mit Dosen von meat and vegetables auf den Beinen. So kommt der Urhauch der christlichen und aufgeklärten kapitalistischen Zivilisation, die von unseren Ufern in die Meere hinauszog, um die Welt zu erobern, zu uns durch den ›Far West‹ veredelt zurück«.

Das Projekt für eine Ernährungsbank bewegt sich also nach den präzisen Richtlinien des Grosskapitals, von dem die FAO und die verschiedenen Schulen, wo sich unser Autor seine Lorbeeren geholt hat, die Handlanger sind. Aber nicht einmal eine solche Bank, wenn sie überhaupt errichtet werden sollte, könnte umhin, auf die Dauer und dazu im breiteren Massstab und mit noch zugespitzteren Konflikten, dieselben Widersprüche zu reproduzieren, die sie hätte lindern sollen. In der Tat müssten nach den im Artikel erwähnten Mechanismus alle Industrieländer aus verschiedenen Gründen und nicht zuletzt wegen der Kräfteverhältnisse »bereit sein«, eine Weltbank zu finanzieren, deren Hauptzweck darin bestünde, die Engpässe der Überproduktion in den stärksten Wirtschaften zu überwinden. Wenn man aber die Traumvorstellungen einer harmonischen Welt von verbrüderten Händlern beiseite lässt, zeigen die Geschichte und der Marxismus, das schon im Strudel von Teilkrisen des Systems jedes in die »Verlustzone« geratene Land und bei der erst besten Gelegenheit auf »philantropische« Finanzierungen verzichtet und sich zentrifugal bewegt: die Bank wird zur einer leeren Hülle.

Wir haben bis jetzt zwei von den drei Fachrezepten unseres Experten besprochen, das malthusianische und das der Welternährungsbank. Kommen wir jetzt zum dritten, der »Modernisierung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern« und der »starken Intensivierung der Forschung auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Ernährung«. Die gelieferten Daten sprechen für sich:
»Die potentielle Anbaufläche beträgt in der ganzen Welt 3,2 Milliarden Hektar. Diese Zahl entspricht 24 Prozent des Festlandes unseres Planeten und ist 2,3 mal grösser als die heutzutage bebaute Fläche sowie dreimal so gross wie die Fläche, die jährlich effektiv eine Ernte hervorbringt. (…) Wenn man die feuchten Tropen beiseite lässt und den Wassermangel der trockenen Gebiete berücksichtigt, verringert sich die potentielle Anbaufläche auf insgesamt 2, 5 Milliarden ha (die heutigen 1,4 Milliarden zzgl. 1,1 Milliarden), während die potentielle Brutto-Fläche des bebauten Bodens etwas weniger als 4,1 Milliarden ha betragen würde. Wenn 10 Prozent dieser anbaufähigen Brutto-Fläche für die Fasergewinnung sowie für andere industrielle Rohstoffe benutzt würden und die restlichen 90 Prozent mit den gleichen technologischen Mitteln (…), bebaut würden, wie sie beim Maisanbau in Iowa verwendet werden, wäre es möglich 4000 bis 5000 Kilokalorien essbarer pflanzlicher Substanzen für eine zwischen 30 und 48 Milliarden schwankende Bevölkerungszahl zu liefern, d. h. für eine Weltbevölkerung, die 10 bis 13 mal grösser als die heutige wäre (…). Das würde eine immense Kapitalinvestition in der Grössenordnung von 500 bis 1000 US-Dollar pro Hektar erfordern. (…) Die Fläche, die in der Zukunft in der ganzen Welt der Landwirtschaft gewidmet wird, ist mehr als eine physikalische hauptsächlich eine ökonomische und soziale Variable«.

Diese Zahlen, die lediglich auf einer technologischen Einschätzung und auf den heute vorhandenen landwirtschaftlichen Kenntnissen und Techniken beruhen, haben das Verdienst zu zeigen, dass es sich in der Tat keineswegs um ein technisches Problem handelt, und das andererseits die malthusianische Auffassung des Problems als Frage der Kontrolle der Bevölkerungszunahme eine Ablenkung von den Kernpunkten darstellt. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass seine Wissenschaftler es nicht mehr als metaphysisch ansehen, das Problem der Ernährungskontrolle der Menschheit auf Weltmassstab zu stellen, sowie das Problem des Einsatzes des gewaltigen Maschinenparks, der grossartigen technologischen Errungenschaften und der organisierten und zentralisierten Arbeit, um die volle und assoziierte Nutzniessung der riesigen Wüsten- und Halbwüstengebiete durch die Menschheit zu ermöglichen. Darauf kommt aber sofort das Geständnis:
»Das würde eine immense Kapitalinvestition erfordern…«.
Was sie sonst zu sagen haben, wenn sie mal über die engen Schranken ihrer jeweiligen »Fachgebiete« hinaus schauen, ist, dass die Verwirklichung von alledem
»mehr als eine physikalische hauptsächlich eine ökonomische und soziale Variable« ist.

Was kann das aber bedeuten, wenn nicht, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse viel zu eng für die Produktivkräfte sind, und das eine unendliche Energieanstrengung lediglich zu dem Zweck vergeudet wird, dieser abgedienten Hülle eine gewisse »Flexibilität« zu bewahren? Gerade wegen dieser »Flexibilität« muss der Kapitalismus die Produktivkräfte soweit komprimieren, dass er eine Bevölkerung nicht ernähren kann, die 10 bis 13 mal kleiner ist als die, die er seinen eigenen »Experten« zufolge theoretisch ernähren könnte (und dies wohlgemerkt heute, ohne die Perspektive einer raschen technologischen Entwicklung zu berücksichtigen). Mit den Worten seiner eigenen Rettungsmannschaften und Priester gesteht er seine historische Verurteilung.

Alle utopistischen Eingriffe auf dem Gebiet der Landwirtschaft, alle Beschwörungen zu gesteigerten Forschungsanstrengungen in diese Richtung, alle Projekte zu einer breit angelegten Lösung der immer wachsenden Diskrepanz zwischen der Quantität von konstantem Kapital und Arbeitskraft, die jeweils in der Industrie und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, sind zum Scheitern verurteilt. Das Kapital verlässt immer mehr das Land, um eine günstige Anlagemöglichkeit in der Industrie zu suchen, wo die Umschlagszeit kürzer ist, die permanente und nicht saisonbedingte Ausnützung der Anlagen möglich ist, wo die Produktivität höher und die Amortisationskosten geringer sind, wo der Industrieapparat viel mehr an Lohn (nicht an Arbeitskraft) sparen kann als auf dem Lande (wo die Löhne gewöhnlich niedriger sind), und wo die Transport- und Instandhaltungskosten geringer sind als für die landwirtschaftlichen Maschinen (Folgen der Verstädterung usw.).

Dies ist die unüberschreitbare historische, kapitalistisch bedingte Schranke, die niemals mit der Verteidigung der herrschenden Gesellschaftsordnung in Einklang gebracht werden kann. Dies ist die Granitmauer, an der alle Pläne, und seien die auch von Harvard, scheitern müssen. Die Wirtschaftsmacht, die all diese Professoren vertreten, noch eine riesige Kraft, birgt in sich eine monströse Zusammenballung von virtueller und effektiver Gewalt, die jederzeit bereit ist, sich zu entfesseln, um die bestehende Ordnung zu verteidigen. Die Ohnmacht der bürgerlichen Ideologen gegenüber einer einheitlichen wissenschaftlichen Erklärung der Natur und Geschichtsphänomene, der ganze philosophische Plunder, den sie gezwungen sind, seit mehr als einem Jahrhundert wiederzukäuen, um vergeblich zu versuchen, das stets vorhandene Gespenst des Kommunismus zu bannen, deuten jedoch für den revolutionären Marxismus auf den noch fernen aber mit deterministischer Gewissheit kommenden Zeitpunkt, wo man von der »Waffe der Kritik zur Kritik der Waffen« wird übergehen können. Im Bankrott der bürgerlichen Theorien läutet die Totenglocke für den Kapitalismus.

Die Seuche der kapitalistischen Agrikultur

»Das kleine Grundeigentum setzt voraus, dass die bei weitem überwiegende Majorität der Bevölkerung ländlich ist und nicht nur die gesellschaftliche, sondern die isolierte Arbeit vorherrscht; dass daher der Reichtum und die Entwicklung der Reproduktion, sowohl ihrer materiellen wie geistigen Bedingungen, unter solchen Umständen ausgeschlossen ist, daher auch die Bedingungen einer rationellen Kultur. Auf der anderen Seite reduziert das grosse Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in grossen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebenen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eigenen Landes hinausgetragen wird. (Liebig.)
Wenn das kleine Grundeigentum eine halb ausserhalb der Gesellschaft stehende Klasse von Barbaren schafft, die alle Rohheit primitiver Gesellschaftsformen mit allen Qualen und aller Misere zivilisierter Länder verbindet, so untergräbt das grosse Grundeigentum die Arbeitskraft in der letzten Region, wohin sich ihre naturwüchsige Energie flüchtet, und wo sie als Reservefonds für die Erneuerung der Lebenskraft der Nationen sich aufspeichert, auf dem Lande selbst. Grosse Industrie und industriell betriebene grosse Agrikultur wirken zusammen. Wenn sie sich ursprünglich dadurch scheiden, das erste mehr die Arbeitskraft und daher die Naturkraft des Menschen, die letztere mehr direkt die Naturkraft des Bodens verwüstet und ruiniert, so reichen sich später im Fortgang beide die Hand, in dem das industrielle System auf dem Land auch die Arbeiter entkräftet und Industrie und Handel ihrerseits der Agrikultur die Mittel zur Erschöpfung des Bodens verschaffen.«
[6]

Notes:
[prev.] [content] [end]

  1. K. Marx, »Das Kapital«, 1. Band, IV. Abschnitt, Kapitel 13, Paragraph 10, S.528/529, MEW, Band 23, Dietz Verlag Berlin 1973 [⤒]

  2. K. Marx, »Das Kapital«, 1. Band, IV. Abschnitt, Kapitel 13, Paragraph 10, S.528, MEW, Band 23, Dietz Verlag Berlin 1973 [⤒]

  3. K. Marx, »Das Kapital«, 3. Band, s. 267 und 269, MEW, Band 25, Dietz Verlag Berlin 1973 [⤒]

  4. K. Marx, »Das Kapital«, 3. Band, s. 267, MEW, Band 25, Dietz Verlag Berlin 1973 [⤒]

  5. K. Marx, »Ökonomisch-Philosophische Manuskripte, 1844, Teil 3, »Bedürfnis, Produktion und Arbeitsteilung«, in »Texte zu Methode und Praxis II«, S.89 und 91, Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1966 [⤒]

  6. K. Marx, »Das Kapital«, 3. Band, Buch III, 4. Abschnitt, 47. Kapitel: »Genesis der kapitalistischen Grundrente«, in MEW, Band 25, Seite 821, Dietz Verlag Berlin 1973 [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr.9, Januar 1976

[top] [home] [mail] [search]