Wie die chinesische Revolution zugrunde gerichtet wurde
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WIE DIE CHINESISCHE REVOLUTION ZUGRUNDE GERICHTET WURDE
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Content:

Wie die chinesische Revolution zugrunde gerichtet wurde
Der Aufschwung der Arbeiter- und Bauernbewegung
Die Beziehungen zwischen Russland, der Kommunistischen Internationale und der Kuomintang
Kanton 1926 Der »Streich vom 20. März«
Shanghai 1927: Der Märzaufstand und der »Streich vom 12. April«
Anmerkungen
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Zum 50. Jahrestag des Massakers von Shanghai (April 1927)

Wie die chinesische Revolution zugrunde gerichtet wurde
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Im Juli 1920, an einem Höhepunkt des Kampfes um die Weltrevolution, hielt die Kommunistische Internationale ihren zweiten Kongress. Zu den wichtigsten Punkten der Tagesordnung gehörte die nationale und koloniale Frage. Lenin selbst trat hier als Referent und Verfasser der Leitsätze auf. Wie er erklärte, beruhte die gesamte Politik der Kommunistischen Internationale in der Nationalitäten- und Kolonialfrage hauptsächlich auf dem
»
Zusammenschluss der Proletarier und werktätigen Massen aller Nationen und Länder zum gemeinsamen revolutionären Kampf für den Sturz der Grundbesitzer und der Bourgeoisie. Denn nur ein solcher Zusammenschluss sichert den Sieg über den Kapitalismus, ohne welchen die Vernichtung der nationalen Unterdrückung und der Nichtgleichberechtigung unmöglich ist(1)

Im Kampf gegen die Weltbourgeoisie musste die Sowjetrepublik also
»
einerseits die Sowjetbewegungen der Arbeitervorhut aller Länder und andererseits alle nationalen Freiheitsbewegungen der Kolonien und der unterdrückten Völkerschaften um sich scharen, die sich durch bittere Erfahrung überzeugt haben, dass es für sie keine Rettung gibt ausser ihrer Verbindung mit dem revolutionären Proletariat und dem Sieg der Sowjetmacht über den Weltimperialismus

Dieser war der gemeinsame Feind. Es ging jetzt noch darum, den Charakter der Beziehungen zwischen der proletarischen Bewegung und den nationalen Befreiungsbewegungen zu bestimmen. Der 11. Punkt der Leitsätze des 2. Kongresses erklärte:
»
Alle Kommunistischen Parteien müssen die revolutionären Freiheitsbewegungen in diesen Ländern [in den unterdrückten und rückständigen Ländern, IKP] durch die Tat unterstützen.« Ebenso ausdrücklich wurde aber erklärt: »Die Kommunistische Internationale hat die Pflicht, die revolutionäre Bewegung in den Kolonien und den rückständigen Ländern nur zu dem Zweck zu unterstützen, um die Bestandteile der künftigen proletarischen Parteien — der wirklich und nicht nur dem Namen nach kommunistischen — in allen rückständigen Ländern zu sammeln und sie zum Bewusstsein ihrer besonderen Aufgaben zu erziehen, und zwar zu den Aufgaben des Kampfes gegen die bürgerlich-demokratische Richtung in der eigenen Nation
Der Unterschied zwischen revolutionärer Bewegung und bürgerlich-demokratischer Bewegung wurde in Punkt 7 der Ergänzungsthesen verdeutlicht:
»
Es lassen sich zwei Bewegungen feststellen, die mit jedem Tage mehr auseinandergehen. Eine von ihnen ist die bürgerlich-demokratische, nationalistische Bewegung, die das Programm der politischen Unabhängigkeit unter Beibehaltung der kapitalistischen Ordnung verfolgt; die andere ist der Kampf der besitzlosen Bauern um ihre Befreiung von jeglicher Ausbeutung. Die erste Bewegung versucht, oft mit Erfolg, die zweite zu kontrollieren; die Kommunistische Internationale aber muss gegen eine derartige Kontrolle ankämpfen ...«

In seiner Einleitungsrede zu den Leitsätzen erklärte Lenin,
»
dass wir als Kommunisten die bürgerlichen Befreiungsbewegungen in den kolonialen Ländern nur dann unterstützen müssen und werden, wenn diese Bewegungen wirklich revolutionär sind, wenn ihre Vertreter uns nicht hindern, die Bauernschaft und die breiten Massen der Ausgebeuteten in revolutionärem Geist zu erziehen und zu organisieren

So soll die Kommunistische Internationale
»
ein zeitweiliges zusammengehen, ja selbst ein Bündnis mit der revolutionären Bewegung der Kolonien und der rückständigen Länder herstellen, darf sich aber mit ihr nicht zusammenschliessen, sondern muss unbedingt den selbständigen Charakter der proletarischen Bewegung — sei es auch in ihrer Keimform — aufrechterhalten« (Pkt. 11).

Diese unbedingte Selbständigkeit soll der Partei dazu dienen, in der Perspektive einer Revolution in Permanenz die Führung der Bewegung zu erobern. Das wird in Punkt 9 der Ergänzungsthesen unterstrichen:
»
In der ersten Zeit wird die Revolution in den Kolonien keine kommunistische Revolution sein; wenn jedoch von Anfang an die kommunistische Vorhut an ihre Spitze tritt, werden die revolutionären Massen auf den richtigen Weg gebracht werden, auf dem sie durch allmähliche Sammlung von revolutionärer Erfahrung das gesteckte Ziel erreichen werden. [...] Auf der ersten Stufe ihrer Entwicklung muss die Revolution in den Kolonien nach dem Programm rein kleinbürgerlicher, reformistischer Forderungen, wie: Aufteilung des Landes usw., durchgeführt werden. Daraus folgt aber nicht, dass die Führung in den Kolonien sich in den Händen der bürgerlichen Demokraten befinden darf. Im Gegenteil, die proletarischen Parteien müssen eine intensive Propaganda der kommunistischen Ideen betreiben und bei der ersten Möglichkeit Arbeiter- und Bauernräte gründen. Diese Räte müssen in gleicher Weise wie die Sowjetrepubliken der vorgeschrittenen kapitalistischen Länder arbeiten, um den endgültigen Sturz der kapitalistischen Ordnung der ganzen Welt herbeizuführen

Absolute Voraussetzung dieser Strategie — die nicht notwendigerweise zu sofortigen Ergebnissen führen müsste — war und ist die vollkommene Selbständigkeit der Klassenpartei, selbst wenn sich diese Partei noch in Keimform befindet. Mit anderen Worten, man durfte niemals, in keiner Situation, die gegenwärtigen und zukünftigen Interessen des Proletariats den Interessen seines zeitweiligen Verbündeten, der nationalen Bourgeoisie opfern, auch nicht unter dem Vorwand, beide hätten einen gemeinsamen Feind, nämlich den Imperialismus im Weltmassstab und den Feudalismus im nationalen. Man durfte niemals vergessen, dass der heutige Verbündete morgen der Feind sein würde.

Gerade in China, einem Land, wo sich das revolutionäre Potential immer mehr steigerte und die junge kommunistische Partei die Aufgaben der Vorbereitung und Durchführung einer doppelten Revolution erfüllen musste, gerade hier hätten die Leitsätze des 2. Kongresses ihre volle Anwendung finden müssen. Unglücklicherweise geschah gerade das Gegenteil.

Der Aufschwung der Arbeiter- und Bauernbewegung (2)
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Am Ende des Jahres 1916 gab es bereits eine Million Arbeiter in China. 1922 hatte sich diese Zahl fast verdoppelt. Die Arbeiterstreiks spielten eine wichtige Rolle in der »Maibewegung«, die sich 1919 gegen die japanhörige Pekinger Regierung erhob. Während man 1918 nur 25 Streiks im Lande gezählt hatte, an denen sich weniger als 10.000 Arbeiter beteiligt hatten, so waren es 1922 bereits 91, die 150.000 Arbeiter mit sich rissen. Im Januar 1922 fand der Streik der Seeleute von Hongkong statt, im September desselben Jahres der der Kohlenbergwerke von Kailan. Ersterer begann am 13. Januar mit einem Streik eines Teils der Matrosen der Handelsschiffahrt, dehnte sich nach und nach auf alle Schiffahrtarbeiter aus, um später mehr als 100.000 Arbeiter und Angestellte mit in die Bewegung zu ziehen und den Hafen von Hongkong völlig stillzulegen. Dieser Streik dauerte bis zu den ersten Märztagen und hatte im ganzen Land eine grosse Ausstrahlung, denn er bedrohte direkt die Interessen Grossbritanniens, das zur damaligen Zeit die in China vorherrschende imperialistische Macht war.

Im Januar 1922 gab es ebenfalls Streiks auf der Eisenbahnlinie von Kinhan (zwischen Peking und Hankow). Die Eisenbahner und Werkstättenarbeiter hatten beschlossen, ihre verschiedenen lokalen Gewerkschaften in eine allgemeine Vereinigung für das ganze Netz zusammenzufassen, wogegen sich die Autoritäten mit Gewalt auflehnten: Es gab vier Tote und über hundert Verletzte unter den Streikenden, deren Führer entweder inhaftiert oder entlassen wurden.

Die Bewegung erlitt Niederlagen in den Streiks der Eisenbahner von Kinhan, der Giesserei von Hanyang in Hupeh und in den Bergwerken von Anyan in Kiangsi. Am 1. Mai 1924 erfasste dennoch die Strassenkundgebung in Shanghai 100.000 Arbeiter und in Kanton doppelt so viel. In Wuchang, Hanyang und Hankow wehten trotz des Kriegsgesetzes die roten Fahnen in den Arbeitervierteln. Auf den an diesem Tag verteilten Flugblättern konnte man lesen: »Vierzig Jahre lang hat die Arbeiterjugend ihr Blut vergossen, um dieses Ziel (den 8-Stunden-Tag) zu erreichen. Die Zeit ist vergangen, in der die Arbeiter nur Arbeitstiere für die Kapitalisten waren. Wenn sie eine Revolution brauchen, werden sie sie haben« (3).

Am 15. März 1925 wurde ein chinesischer Arbeiter von einem japanischen Meister in einer japanischen Spinnerei in der internationalen Konzession von Shanghai getötet. Nach zwei Agitationswochen beschlossen die Studenten am 30. Mai, eine Grosskundgebung in der Konzession zu veranstalten. Ein englischer Polizist eröffnete das Feuer, 12 Demonstranten wurden getötet, unzählige verletzt. Die Kundgebungen und Streiks breiteten sich aus. Am 23. Juni greifen die Demonstranten in Kanton die Shameen-Insel an, die unter englischer und französischer Konzession stand. Ca. 50 von ihnen verlieren dabei das Leben. Auch in Hankow gibt es Manifestationen.

Diese »Bewegung des 30. Mai« setzte sich monatelang fort und ergriff die industriell fortgeschrittenen Gebiete, in denen die ausländischen Interessen meistens vorherrschten. Im China des Jahres 1925 beschäftigten die ausländischen Spinnereien z.B. mehr Arbeiter als die chinesischen, und zwei Drittel der Textilindustrie konzentrierten sich in Shanghai und Tsingtao. Die Demonstranten verlangten den Rückzug der ausl~hdischen Truppen und die Rückgabe der Konzessionen an China.

Einen Höhepunkt erreichte die Bewegung in Hongkong. In einem der längsten und kompaktesten Streiks der Geschichte hat die chinesische Arbeiterklasse das Wunder vollbracht, Honkong vom Oktober 1925 bis zum Oktober 1926 lahmzulegen.

Im August 1921 hatte die KP Chinas kurz nach ihrer Gründung das »Sekretariat der Organisationen der chinesischen Arbeiter« gebildet. Unter der Initiative dieses Sekretariats fand am 1. Mai 1925 der 1. Kongress der chinesischen Gewerkschaften in Kanton statt. Rund hundert Gewerkschaften aller Strömungen (Kuomintang, Anarchisten, reine Standesorganisationen) nahmen daran Teil mit 162 Delegierten, die 270.000 Gewerkschaftler aus 12 Städten vertraten. Der Kongress unterstrich seine Opposition gegen den Imperialismus und Feudalismus, forderte den 8-Stunden-Tag, verfasste eine Arbeitscharta und legte.das Prinzip der gegenseitigen Hilfe bei Streiks fest.

Der 2. nationale Gewerkschaftskongress fand zwischen dem 1. und dem 7. Mai 1925 ebenfalls in Kanton statt. 261 Delegierte aus 166 Gewerkschaften, die 540.000 Mitglieder zählten, nahmen daran teil. Das 1921 gebildete Sekretariat wurde durch einen allgemeinen Gewerkschaftsverband ersetzt.

Die Ereignisse des Jahres 1925 mussten der Gewerkschaftsbewegung neuen Aufschwung geben. Auf dem 3. Gewerkschaftskongress waren bereits 502 Delegierte anwesend, die 1.240.000 Gewerkschaftsmitglieder repräsentierten. Die Mitgliederzahl der Gewerkschaften hatte sich in einem Jahr mehr als verdoppelt.

Zum Zeitpunkt des Bruches der Kuomintang zählten die chinesischen Gewerkschaften 2,8 Millionen Mitglieder und der Einfluss der Kommunisten war massgebend:
»
Der brutale Bruch mit der Kommunistischen Partei am 12. April 1927 war eine Entscheidung, die Tschiang Kai-schek gerade angesichts der zunehmenden Ausdehnung der Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter, die über bewaffnete Gruppen verfügte, traf(4)

Die Arbeiterbewegung wurde von der Entfaltung der Bauernbewegung begleitet. Diese entstand im Umkreis von Kanton und blühte im Jahre 1922 auf. Die Bauernverbände versuchten eine Senkung des Pachtzinses und die Abschaffung der Abarbeit durchzusetzen. Den offiziellen Statistiken zufolge zählten die Verbände zum Zeitpunkt ihres 1. Kongresses (1. Mai 1925) 200.000 Mitglieder in 22 Bezirken. Zum 2. Kongress (Mai 1926) entsandten 600.000 Bauern aus 66 Bezirken ihre Delegierten.

Der 2. nationale Kongress der Gewerkschaften und die erste Provinzversammlung der Bauernvereinigungen tagten gleichzeitig in Kanton. Die Arbeiter- und Bauerndelegierten organisierten eine gemeinsame Strassenkundgebung, an der Tausende von Arbeitern und Bauern aus Kanton und Umgebung teilnahmen.
»
Es handelte sich wahrscheinlich um die erste konkrete Manifestation der Solidarität zwischen Arbeitern und Bauern in der Geschichte Chinas(5)

Einige Wochen später wurde Kanton von der nationalistischen Regierung übernommen. Im September 1925 säuberten die nationalistischen Truppen die Bezirke des Ostufers endgültig von den Truppen der Warlords, die sich dort aufgehalten hatten. Sobald die Provinz von Kuantung vereint und von den Nationalisten gut kontrolliert war, konnte die Kuomintang ihren Blick nach dem Norden, nach den wirklichen Machtstützpunkten Zentral- und Nordchinas richten. Sie sollte zwar diese Ziele in weniger als zwei Jahren erreichen, hatte das aber einzig und allein der spektakulären Ausdehnung der Massenbewegung zu verdanken. (6)

Die Beziehungen zwischen Russland, der Kommunistischen Internationale und der Kuomintang
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Seit Ende 1923 wurde die Kuomintang mit der Hilfe sowjetischer Militärberater reorganisiert. Auf dem 1. Kongress der Kuomintang (1924) wurde der Beitritt der Mitglieder der kommunistischen Partei und der sozialistischen Jugend formell bestätigt. Ebenfalls 1924 wurde die Militärakademie von Whampoa gegründet. Sie sollte von Tschiang Kai-schek geführt werden, dem Tschou En-Iai als politischer Direktor beigeordnet wurde. Die Russen haben die Regierung Sun Yat-sens gleichzeitig durch die Hilfe beim Aufbau ihrer Armee und durch die Entsendung von Rüstungsmaterial unterstützt. Seitens der Nationalisten geht die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit Russland und der Komintern aus dem politischen Testament von Sun, der 1925 starb, klar hervor: »Ich habe der Kuomintang befohlen, die Bewegung der nationalen Revolution fortzusetzen, damit China sich von den Fesseln der halbkolonialen Lage befreien kann, die der Imperialismus unserem Land aufzwingt. Mit diesem Ziel haben ich die Kuomintang angewiesen, weiterhin Hand in Hand mit Euch zu marschieren«. Der Kuomintang ging es darum, sich auf eine Massenbewegung, ohne die sie zu nichts fähig wäre, zu stützen, diese Bewegung in eine rein nationalistische Richtung des Kampfes gegen den Imperialismus und die Warlords zu lenken und daran zu hindern, sich als national-revolutionäre und in der Folge als kommunistische Bewegung zu entwickeln.

Seitens Russlands wurde die Position in der von Sun und Joffe unterzeichneten Vereinbarung vom Januar 1923 so fixiert: »Dr. Sun Yat-sen ist der Ansicht, dass die chinesischen Bedingungen nicht günstig sind für die Einführung und Anwendung des kommunistischen oder selbst des sowjetischen Systems. Dieser Standpunkt wird von Herrn Joffe geteilt. Seiner Ansicht nach sind die nationale Vereinigung und die volle Unabhängigkeit des ganzen Landes die dringendsten Probleme Chinas. Herr Joffe versicherte Dr. Sun Yat-sen, China geniesse die volle Sympathie des russischen Volkes und könne mit der Hilfe Russlands für die Erreichung jener Ziele rechnen«.

Wir können hier nicht im einzelnen auf die Frage der Verhältnisse zwischen Russland und der chinesischen nationalistischen Bewegung eingehen. Diese Frage muss in einem grösseren, allgemeinen Rahmen untersucht werden, handelt es sich ja um eins der schwierigsten Probleme der Diktatur des Proletariats, wenn diese über eine längere Zeit mitten in einer feindlichen, imperialistischen Umgebung isoliert bleibt. Es wäre kindisch gewesen, keine Verträge mit Nord- oder Südchina abzuschliessen, und noch kindischer, sich zu entrüsten, dass solche Verträge abgeschlossen wurden. Die grosse Gefahr — die sich in der gemeinsamen Erklärung von Joffe und Sun abzeichnete und bald die tragische Dimension der vollendeten Tatsache annehmen sollte — lag darin, dass man in der Bemühung um gute aussenpolitische Beziehungen zu dieser oder jener militärischen nationalistischen Organisation dazu käme, die wirkliche und langfristig einzige Stütze der proletarischen Diktatur in Russland, nämlich die kommunistische Bewegung des Weltproletariats, zu unterschätzen und schliesslich ganz beiseite zu lassen, um gleichzeitig die proletarische Diktatur, die ihrerseits die wirkliche und einzige Stütze der kommunistischen Bewegung und der Weltrevolution war, in den Dienst von unsicheren »Verbündeten«, die lediglich die Interessen von lokalen Bourgeoisien zum Ausdruck brachten, zu stellen: die periodischen Moskau-Besuche chinesischer Generäle, die zu Helden gefeiert wurden und sich kurz darauf als »reaktionäre Banditen« entpuppten und umgekehrt, spricht hierfür Bände. Mit anderen Worten,die Gefahr lag darin, dass in absolutem Gegensatz zur Politik Lenins die diplomatische und militärische Staatsräson die internationale Strategie der kommunistischen Bewegung bestimmte, während das richtige Verhältnis genau umgekehrt läuft.

Voraussetzung und Grenze für die Beziehungen zwischen dem russischen proletarischen Staat und den nationalistischen Bewegungen der rückständigen Länder konnte nur die absolute Selbständigkeit der kommunistischen Bewegung im Weltmassstab und an Ort und Stelle sein. Diese Selbständigkeit hatte die KP Chinas bereits im Juni 1922, ein Jahr nach ihrer Gründung, faktisch verloren, als der Delegierte der Komintern sie — übrigens gegen ihren Willen — dazu zwang, der Kuomintang beizutreten (und man muss darauf hinweisen, dass die Kuomintang den Einzelbeitritt der kommunistischen Militanten verlangte). Das stand in krassem Gegensatz zu den Thesen des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationale. (7)

Das zwangsläufig zeitweilige Bündnis, von dem die Thesen Lenins sprachen, entartete zum permanenten und somit prinzipiellen Bündnis. Während es sich in den Kolonien und rückständigen Ländern nur darum handeln konnte, die Führung der revolutionären Bewegung für das Proletariat zu erobern, um die demokratische und nationale Revolution radikal durchzuführen und als Hebel für die proletarische Machtergreifung zu benutzen, erklärte die KPCh auf ihrem 3. Kongress (1923), dass die Kuomintang die Hauptkraft der nationalen Revolution wäre.

Auf ihrem 4. Weltkongress hatte die Internationale die Leitsätze zur Orientfrage angenommen, die die Losung der antiimperialistischen Einheitsfront im kolonialen Osten betonten. Trotz ihrer Schwächen und Widersprüche liessen diese Thesen eine Politik, wie sie die Komintern in China zunehmend verfolgte, nicht zu. Vielmehr erklärten die Thesen ausdrücklich:
»
Die Arbeiterbewegung in den kolonialen und halbkolonialen Ländern muss sich vor allem die Stellung eines selbständigen revolutionären Faktors in der antiimperialistischen Gesamtfront erkämpfen. Erst wenn ihr diese selbständige Bedeutung zuerkannt wird und sie sich dabei ihre politische Unabhängigkeit bewahrt, sind zeitweilige Verständigungen mit der bürgerlichen Demokratie zulässig und notwendig

Am 18. März 1925 sollte Stalin jedoch schon so weit sein, zu erklären, dass in den kolonialen und halbkolonialen Ländern der nationalistische Block
»
die Form einer einzigen Partei der Arbeiter und Bauern, wie die Kuomintang, annehmen kann«.
Die 6. Erweiterte Exekutive der Komintern setzte im März 1926 diese »Umdeutung« fort: Die Kuomintang wird beschrieben als revolutionärer Block, der die Arbeiter, Bauern, Intellektuellen und die städtische Demokratie (hübsches Wort für Bourgeoisie) auf der Grundlage der gemeinsamen Klasseninteressen dieser verschiedenen Schichten im Kampf gegen die Imperialisten und die ganze Feudal- und Militärordnung zusammenfasst. Damit nicht genug: im selben Monat wird die Partei von Sun Yat-sen, an deren Führung nunmehr Tschiang Kai-schek steht, als »sympathisierende Partei« in die Komintern aufgenommen (8)
.Tschiang selber, jener Mann, der zwangsläufig entweder zum Opfer oder zum Metzger des chinesischen Proletariats werden musste, bekleidete eine Zeitlang einen hohen Ehrenposten in der Komintern.

Trotz der Vorbehalte einiger Kuomintang-Führer gegen die Zusammenarbeit mit der KP, wurden im Januar 1926 auf dem 2. Kongress der Kuomintang sieben Kommunisten in das zentrale Exekutivkomitee gewählt (sieben weitere, darunter Mao Tsetung, wurden Stellvertreter).

Borodin, der Delegierte der Komintern für China, sollte wenig später die politische Situation in Kanton während des Winters 1925/26 analysieren und erklären, dass jede Selbständigkeitsbestrebung der Kommunisten gegenüber der politischen Macht »in einem Blutbad enden würde«.

Proletarische Bewegung (und mit ihr die Bewegung der armen Bauern) und bürgerliche Bewegung mussten aber früher oder später zwangsläufig aneinanderprallen. Das ist eine objektive, gesetzmässige Entwicklung. Der ganze Sinn der kommunistischen Strategie liegt in der Vorbereitung des Proletariats, damit es als Sieger aus diesem unumgänglichen Zusammenstoss hervorgeht, was ja die Bedingung für das Fortschreiten der Revolution ist. Die Entwicklung der sozialen Bewegung in China sollte bald zeigen, dass die kriminelle Politik der Unterordnung und Fesselung der proletarischen Bewegung unter die bürgerliche Bewegung von vornherein einen einzigen Ausgang för diesen Zusammenstoss offen liess: das Blutbad der Proletarier und armen Bauern.

Kanton 1926 Der »Streich vom 20. März«
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Bereits im März provozierte Tschiang Kai-schek einen Zwischenfall — eine testende Kraftprobe — mit den Kommunisten. Er befahl das Kanonenboot »Tschung Shan« nach Kanton und liess dessen kommunistischen Kapitän inhaftieren unter dem Vorwand, dieser hätte eine Verschwörung gegen seine Person angezettelt. In der Nacht vom 20. März wurden die politischen Komissare (zumeist Kommunisten) der Einheiten, die unter Tschiangs Befehl standen, inhaftiert und alle sowjetischen Berater unter Hausarrest gestellt. Gegen den Führungsausschuss des Streiks von Kanton-Hongkong wurde eine Razzia durchgeführt und die Streikposten wurden entwaffnet.

Auf der Plenarsitzung des Exekutivkomitees der Kuomintang vom 15. Mai wurde den Kommunisten befohlen, »Sun Yat-sen und seine Prinzipien weder zu kritisieren noch in Zweifel zu ziehen«. Von ihnen wurde ausserdem eine Namensliste aller der Kuomintang angehörenden Genossen verlangt. Die Anzahl der Kommunisten in den Kommunal-, Provinz- und Zentralkomitees wurde auf ein Drittel der Komiteemitglieder begrenzt. Die Kommunisten wurden aus den Bezirksführungen der Partei und der Regierung entfernt. Umgekehrt wurde es den Kuomintang-Mitgliedern ausdrücklich untersagt, sich an anderen politischen Organisationen oder Aktivitäten zu beteiligen. D.h. die Kommunisten durften der Kuomintang einzeln beitreten, die Kuomintang-Mitglieder wurden aber aus der Partei ausgeschlossen, wenn sie der KP beitraten. Jede Anweisung des kommunistischen Zentralkomitees musste von nun an zunächst von einer paritätisch besetzten Sonderkommission genehmigt werden.

Tschiang übernahm die ganze Macht. Er sicherte sich die Kontrolle über die Partei und die Regierung und wurde zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt. Trotzdem (oder eben deswegen) wurde er nach wie vor als unerlässlicher Verbündeter angesehen:
»
Tschiang Kai-schek — schrieb der Generalsekretär der KPCh, Tschen Tu-hsiu — ist eine der Säulen der nationalen revolutionären Bewegung. Wenn die Kommunistische Partei nicht das Werkzeug der Imperialisten sein will, wird sie mit Sicherheit keine Politik einschlagen, die die Spaltung der Einheit der chinesischen revolutionären Kräfte verfolgt! [...] Im Gegensatz zu den Behauptungen rechtsstehender Leute verfolgt die Politik der Kommunistischen Partei nicht nur den Zusammenhalt der revolutionären Kräfte in der Provinz Kanton, sondern auch die Vereinigung der revolutionären Kräfte des ganzen Landes. Andernfalls ist es unmöglich, den gemeinsamen Feind zu bekämpfen«.

Im Mai 1926 wurde Tschlang Kai-schek als Ehrengast zum 3. nationalen Arbeiterkongress eingeladen, auf dem 500 Delegierte 400 Gewerkschaften und 1.250.000 Arbeiter vertraten. 800.000 unter diesen Arbeitern hatten seit Mai des vorigen Jahres an mehr als 200 ökonomischen und politischen Streiks teilgenommen. Tschiang räumte in seiner Rede ein, welche Rolle die Arbeiter und Bauern bei den Kämpfen von 1925 gespielt hatten:
»
In dieser Periode — sagte er — haben die Arbeiter- und Bauernmassen die Vereinigung von Kuantung beschleunigt, sie haben die Konterrevolutionäre gestürzt und die Grundlage der nationalen Regierung gefestigt. Seitdem können wir feststellen, dass die Arbeiter und Bauern bereits in der Lage sind, mit ihren eigenen Kräften und ohne Hilfe der Armee den Imperialismus zu bekämpfen«.

Nachdem er den chinesischen Arbeitern das sagte, was ihre eigenen Führer ihnen nie zu sagen gewagt hatten, grüsste Tschiang Kai-schek mit geballter Faust, rief »Es lebe die Weltrevolution« und verliess unter Ovationen das Podium.

In Wirklichkeit hatte der Streich vom 20. März das Signal für die offene Repression in Kanton und in den Feldern von Kuantung gegeben. In Kanton wurde der Belagerungszustand ausgerufen. Die öffentlichen Organisationen, die Versammlungen, die Presse, die Streiks und die Milizen der Arbeiter und Bauern fielen unter den Schlägen der Militärmachthaber. Die Arbeiter verteidigten sich mit improvisierten Waffen. In sechs Tagen wurden 50 Arbeiter getötet. Am 9. August erliessen die Machthaber Bestimmungen für die Schlichtung aller Arbeitskämpfe unter Schirmherrschaft der Regierung. Den Arbeitern wurde verboten, Waffen zu tragen, sich zu versammeln und zu demonstrieren.

Gleichzeitig hatte der Nordfeldzug begonnen.

• • •

Mit diesem Feldzug, der im Juli 1926 gestartet wurde, wollte die Kuomintang ihre Truppen in den Norden marschieren lassen, um die alten Militaristen zu stürzen und die eigene Macht zu errichten. Die Operationen begannen zu einem Zeitpunkt, zu dem Nord- und Zentralchina von drei grossen Warlords-Gruppen beherrscht wurde. Diese Kriegsherren verfügten über Armeen, deren Stärke sich insgesamt auf rund eine Million Mann belief. Die nationalistische Armee Tschiang Kai-scheks zählte hingegen kaum hunderttausend Mann. Es war die Erhebung der Volksmassen, die den nationalistischen Expeditionskorps den Weg bis zu den Ufern des Yangtse frei machte:
»
Durch die spontane Erhebung des Volkes hatten die nationalistischen Streitkräfte oft nichts anderes zu tun, als Territorien zu besetzen, die ihnen auf dem Tablett dargereicht wurden. Die Propagandagruppen und die politischen Arbeiter, die den Truppen vorauseilten, konnten eine Bewegung auslösen, die alle Hindernisse hinwegfegte«. (9)

Die Bauern nahmen einen wichtigen Anteil an diesen Kämpfen. Die Siege des Nordfeldzuges fielen mit einer raschen Ausdehnung der Bauernbewegung zusammen. Ende November zählte man in Hunan 44 organisierte Bezirke, und die Bauernvereinigungen hatten 1.070.000 Mitglieder. Im Januar 1927 war diese Zahl bereits auf 2 Millionen gestiegen. Die Bauern forderten vor allem die Senkung der Pacht und die Abschaffung einer Unzahl von Steuern und Gebühren; nicht zuletzt forderten sie aber Waffen, um die Grundbesitzer zu bekämpfen. In Hunan und auch in anderen Provinzen begannen die Bauern, die Pachtzahlungen zu verweigern, um sich anschliessend direkt daran zu machen, Land zu besetzen.

Dies war die allgemeine Lage, als im Dezember die nationalistische Regierung Kanton verliess, um sich am Yangtse niederzulassen. Zu diesem Zeitpunkt fing die politische Gegenoffensive in den von den nationalistischen Truppen besetzten Gebieten. In Wuhan hat man ein Schlichtungskomitee ins Leben gerufen, um die Vereinbarung von Lohnerhöhungen »in vernünftigen Grenzen« zu ermöglichen und die verschiedenen Berufszweige dahingehend zu beraten, »die überlieferten Arbeitgzeiten zu befolgen« und »die Entscheidung über Anstellung und Entlassung der Arbeiter ganz in den Händen der Arbeitgeber zu lassen«. Dieses Komitee wurde gebildet von Delegierten der Kuomintang, des allgemeinen Gewerkschaftsverbandes und der Handelskammer.

Die Haltung der nationalistischen Regierung gegenüber den Bauern entsprach denselben Prinzipien. Andererseits hatten sich Borodin und der radikale Kuomintang-Flügel in Wuhan niedergelassen, aber auch diese linke Regierung wich jedem konkreten Programm im Sinne der Bauernforderungen aus.

Die Herabsetzung des Pachtzinses blieb, was die Aktion der Regierung angeht, auf dem Papier. Umso mehr haben aber die Führer die »Übertreibungen« der Bauern bedauert, weil diese die Einheitsfront aller Klassen gefährden könnten (10).

Die spektakuläre Ausweitung der Bauernbewegung fiel mit einer Streikwelle zusammen, die während des ganzen Jahres 1926 alle Industriezentren des Landes ergriff. Unvollständige Berichte zählten 535 Streiks gegen 318 im Vorjahr 1925. Über eine Million Arbeiter hatten die Arbeit niedergelegt; mehr als die Hälfte dieser Streiks hatte zum Erfolg oder Teilerfolg geführt. Am Ende des Jahres hatten die Streiks die Ebene des rein ökonomischen Kampfes überwunden und sich in eine politische Bewegung verwandelt.

Im Juni 1927 haben die Arbeiter die britische Konzession von Hankow und daraufhin jene von Kiukiang besetzt. Die Delegierten der Komintern erzählten in einem ihrer Berichte, dass die Besetzung von Hankow spontan erfolgt war, ohne jegliche Direktive seitens der Regierung, der Kuomintang oder der kommunistischen Partei.

Um diese Zeit hatte sich Tschiang Kai-schek mit seinen Truppen in Nantschang, der Hauptstadt von Kiangsi, niedergelassen. Sein Blick war auf Shanghai gerichtet, das wichtigste Wirtschaftszentrum, den politischen Stützpunkt der Kompradorenbourgeoisie, das Herz des nationalen und ausländischen Kapitals in China.

Shanghai 1927: Der Märzaufstand und der »Streich vom 12. April«
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Ermutigt vom siegreichen Vormarsch der nationalistischen Truppen führten die Industriearbeiter von Shanghai eine Reihe von Streiks, die von einer bisher ungekannten Kampflust gekennzeichnet waren. Nach offiziellen Angaben hat es 1927 569 Streiks von 200.000 Arbeitern in 165 Betrieben gegeben. Mit diesen Streiks entgegneten die Arbeiter den Repressionsmassnahmen der ausländischen und lokalen Machthaber. Der Gewerkschaftsverband war in Shanghai illegal und die Streiks wurden brutal unterdrückt. Diese Massnahmen konnten aber die Bewegung nicht zurückschlagen; parallel zur Besetzung von Wuhan und von Kiukiang am Yangtse durch die Nationalisten nahm diese Bewegung vielmehr zunehmend einen offen politischen Charakter an.

Am 17. Februar eroberten die nationalistischen Truppen Hangtschou und bewegten sich am nächsten Tag auf Kiashing, weniger als 80 km von Shanghai entfernt, zu. In Shanghai erwarteten die Gewerkschaften einen sofortigen Vorstoss der nationalistischen Truppen und riefen den Generalstreik für den Morgen des 19. Februar aus. In weniger als 48 Stunden haben mehr als 350.000 Arbeiter die Arbeit niedergelegt. Die Zusammenstösse mit der Polizei fingen an. Die kommunistischen Führer beschränkten sich auf die Losungen »Unterstützen wir die Armee des Nordfeldzugs« und »Es lebe Tschiang Kai-schek«. Allerdings gab man auch die Parole »Für eine Versammlung der Delegierten der Bürger« aus, es wurde jedoch nichts unternommen, damit sich diese Versammlung de facto in eine revolutionäre provisorische Regierung verwandelte. Dem bereits zitierten Bericht der Kominterndelegierten zufolge hat die Partei die Massen auf die Strasse gebracht und sie dann drei Tage lang ohne Direktiven sich selbst überlassen.

Die Repression schlug zu. Studenten und Streikende, die bei der Verteilung von Flugblättern gefasst wurden, wurden hingerichtet oder an Ort und Stelle erschlagen. Mit Säbeln bewaffnete Kommandos patrouillierten durch die Strassen der Stadt. Die Arbeiter fingen an, sich zu bewaffnen, um sich gegen den Terror zu wehren. Die Führer zögerten jedoch, bis sie schliesslich den Aufstand für den Abend des 22. Februar beschlossen. Man glaubte, der Aufstand würde somit mit der Ankunft der nationalistischen Truppen zeitlich zusammenfallen. Es war der dritte Streiktag, viele Arbeiterköpfe waren bereits gefallen, Arbeiterblut floss durch die Strassen von Shanghai. Die Truppen von Tschiang Kai-schek rührten sich aber nicht. Sie warteten ab — bis die Mörderbanden des lokalen Warlords möglichst viele Streikende niedergemetzelt hätten. Der Aufstandsversuch, der am Abend des 22. Februars begann, endete mit einem Massaker. Die Ereignisse vom 19. bis 24. Februar sollten aber nur das Vorspiel noch wichtigerer Ereignisse sein.

Ein Monat später, in der Nacht vom 20. März, erreichte eine nationalistische Armee die unmittelbare Umgebung von Shanghai. In der Stadt rief der Gewerkschaftsverband den Generalstreik und den Aufstand für den Mittag des 21. März aus — und am Mittag des 21. März gab es in Shanghai den Totalstreik. Die Angestellten des Handels und die grossen Massen der Armen der Stadt schlossen sich den Streikenden an. Zwischen 500.000 und 800.000 Menschen gingen auf die Strasse. Diesmal hatte man Pläne für den Aufstand vorbereitet.Die Miliz bestand aus 5.000 Mann. Der Angriff gegen die Polizei und die Truppe begann: mit Knüppeln, Äxten und Messern. Ausgenommen die französischen und internationalen Konzessionen war die ganze Stadt sehr bald in den Händen der Arbeiter. Erst dann marschierte Tschlang Kai-schek auf Shanghai. D.h.: am 26. März wurde der Belagerungszustand ausgerufen; es wurde verboten, Waffen ohne »besondere Genehmigung« zu besitzen und zu tragen; eine »Arbeiterallianz wurde gebildet, die sich als »gemässigte« Gewerkschaft darstellte. Eine am 29. März gebildete, provisorische Stadtregierung wurde von Tschiang nicht anerkannt — und er konnte sich dies erlauben, weil diese »provisorische Regierung«, obwohl von mehreren 100.000 Gewerkschaftsmitgliedern unterstützt, nicht einmal ein Sozialprogramm ausgearbeitet hat, das als Bezugspunkt hätte dienen können.

Der Gewerkschaftsverband versuchte seinerseits alles, um die Empfehlungen der Komintern zu befolgen und den »offenen Kampf« zu vermeiden. Er versuchte, die Streikbewegung zurückzuhalten und die Aktion der Arbeiterwachtrupps einzuschränken. Die nationalistische Regierung untersagte den Arbeiterwachtrupps, Inhaftierungen vorzunehmen — sie sollten sich damit begnügen, »die Ordnung in Zusammenarbeit mit Polizei und Armee aufrechtzuerhalten«. Am 4. April veröffentlichte die KP eine Erklärung, in der sie die Befürwortung der »Politik der Zusammenarbeit aller Klassen mit der Stadtregierung« bestätigte. Zwei Wochen vorher hatte die Internationale Korrespondenz geschrieben:
»
Die Einheitsfront innerhalb der Kuomintang ist so fest wie zuvor. [...] Weit davon entfernt, sich — wie die Imperialisten sagen — zu spalten, schliesst sie ihre Reihen immer enger zusammen«.
In Paris berichtete die Humanité am 23. März über eine Veranstaltung, auf der die Arbeiter die Zusicherung der »lückenlosen Einheit der Kuomintang« mit lebhaftem Beifall entgegengenommen hätten.

Die Konterrevolution hatte keinen Grund, ihren Kannibalismus vorzeitig zu entfesseln. Dennoch brauchte Tschiang Kai-schek nicht länger als zwei Wochen, um den Industriellen, den Bankleuten, den Händlern und den lokalen Dienern des englischen Imperialismus neue Zuversicht und neuen Mut einzuflössen; nicht länger als zwei Wochen waren nötig, um das heilige instinktive Misstrauen der proletarischen und plebejischen Massen durch die Kollaborations- und Friedens- und Vertrauenspredigten ihrer stalinistischen Führer zu zersetzen: am 12. April, morgens um 4 Uhr, entfesselte Tschiang Kai-schek seine Offensive. Ein chinesisches Kanonenboot, das in Nantao vor Anker lag, gab ein Sirenensignal: »im selben Augenblick — berichtet China Press - fingen die Maschinengewehre an zu rattern«.

An der Seite der Soldaten traten die Banden des Shanghaier Untergrunds in Aktion. Am nächsten Nachmittag um 16 Uhr erklärten die Militärs, sie hätten die Lage unter Kontrolle. Aber erst an diesem 13. April, als der Kampf bereits verloren war, riefen die Gewerkschaften zum allgemeinen Proteststreik auf. »Wir werden unter dem Banner der nationalen Revolution bis zum Tode kämpfen« hiess es in ihrem Aufruf. »Es ist glorreich, dafür zu sterben«. Es hat sich aber gezeigt, über welche Kraft und über welchen Zusammenhalt die Arbeiter noch verfügten. Hunderttausende von ihnen folgten dem Streikaufruf. Am Mittag marschierten die Arbeiter auf das Hauptquartier der 2. Division. Frauen und Kinder beteiligten sich an der Kundgebung; niemand war bewaffnet. Als sie sich dem Hauptquartier näherten, wurden sie von Maschinengewehren niedergeschossen.

Einem englischen Journalisten zufolge führte Tschiang Kai-schek eine Säuberung von Kommunisten durch, »wie sie kein Warlord zu führen gewagt hätte, nicht einmal in seiner Domäne.«

An diesem selben 13. April richtete die Komintern-Delegation, die nunmehr von Roy geführt wurde, ein Telegramm an Tschiang, wo man unter anderem lesen kann:
»
In diesem Augenblick, in dem sich der Imperialismus in einem unverschämten Angriff auf die chinesische nationale Revolution vereint, ist die Einheit der revolutionären Kräfte das oberste Gebot. [...] Angesichs dieser gefährlichen Lage beschwören wir Sie, von ihrem Projekt einer Konferenz in Nankin abzusehen, denn dadurch würde die Kuomintang faktisch gesprengt werden, und Sie würden die Verantwortung für die Spaltung der nationalistischen Front in diesem kritischen Augenblick tragen«.

Während sich in Shanghai die Ausrottung der kommunistischen Kader und der Gewerkschaftler vollzog, war sie in den anderen Provinzen, wo sie oft vor dem 12. April begonnen hatte, noch nicht zu Ende. Die Gewerkschaftsführer von Kanschow in Kiangsi waren zum Beispiel am 11. März ermordet worden, während die Gewerkschaften von Kiukiang und Hangtschou am 17. bzw. 27. März geschlossen wurden. In Kanton wurden der Gewerkschaftssitz und das Lokal des Streikkomitees geschlossen und die sowjetischen Berater unter strengste Überwachung gestellt. Die Repression entfesselte sich überall.

In Moskau, als es nicht mehr möglich war, über die Ereignisse von Shanghai zu schweigen, erklärte ein Komintern-Sprecher: »der Verrat von Tschiang Kai-schek kam nicht unerwartet«. Stalin selbst erklärte am 27. April 1927, »die Ereignisse hätten die Richtigkeit der Linie der Komintern voll und ganz bestätigt«.

Makabrer Zynismus des Stalinismus, der die Emanzipationsbewegung des Proletariats und der armen Bauern politisch und materiell entwaffnet und der verheerenden Niederlage ausgelieferte hatte; der im Laufe dieser Monate dabei war, seine »Hoffnungen« auf das »neue Zentrum der Revolution« (die »linke« Kuomintang-Regierung von Wuhan) zu verlagern, um das Drama mit anderen Akteuren aber nach demselben monotonen und makabren Drehbuch abspielen zu lassen. (11)

• • •

Auf dem Plenum vom August 1927 sagte Trotzki in seiner Replik auf Molotow: »Die Partei, ihr habt sie erdrosselt!« Wenn man diese Antwort nicht nur auf die chinesische oder russische Partei bezieht, sondern auf die ganze Internationale, wenn man — zum Leidwesen Trotzkis — in der Zeit zurückgeht bis auf die Wurzeln dieses Schlussdebakels, erhält man die Antwort auf die Kernfrage, die nicht allein die Frage nach den Ursachen der chinesischen Niederlage ist, sondern nach den Gründen, weshalb diese Niederlage im Gegensatz zur Pariser Kommune von 1871 und zur Petersburger Kommune von 1905 in der weiteren Entwicklung nicht zum Nährboden eines noch grösseren Sieges wurde. Man hatte die Partei nicht nur als Führer der heldenhaften Proletarier und armen Bauern erdrosselt, man hatte sie darüberhinaus auch als Organ erdrosselt, das, weil es die Verantwortung für die Niederlage nicht trägt, diese Niederlage überleben kann, in dieser Niederlage also die Bestätigung seiner Thesen sehen kann, aus ihr die universellen und bleibenden Lehren ziehen kann, aus ihr das Vorspiel neuer Siege, die »Generalprobe« der siegreichen Revolution von morgen machen kann. (12)

Die stalinistische Konterrevolution konnte ihr Siegesjahr mit einer der schrecklichsten Niederlagen des Proletariats in der Geschichte besiegeln und aus dieser Niederlage kraft für die eigene Ausbreitung und Festigung schöpfen.

Wir Kommunisten des fortgeschrittenen Westens, die wir verfehlten, den Kommunen von Petersburg und Shanghai die Unterstützung einer europäischen Kommune zu bringen, müssen uns vor den unzähligen Opfern verbeugen. Sie waren der Preis, den zwei grosse Revolutionen, die eine siegreich und dann geschlagen, die andere geschlagen, bevor sie den Sieg überhaupt erringen konnte, dafür entrichten mussten, dass wir nicht fähig waren, aus unseren Reihen die lähmenden Mythen der Demokratie, der »Einheitsfront« mit anderen Parteien, die die Interessen des Feindes vertreten, der Klassenblöcke, vollständig auszurotten, um den klaren Weg der von der Klassenpartei zentralisierten revolutionären Vorbereitung zielgerade zu verfolgen.

Die Opfer des schrecklichen Massakers von 1927 warten noch auf die Rache. Rächen kann sie aber nur das chinesische und internationale Proletariat — indem die Bilanz der Ursachen und Folgen der Erdrosselung der Weltpartei gezogen wird, um die Weltpartei wiederzubilden.

Anmerkungen:
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  1. Leitsätze und Ergänzungsthesen des 2. Weltkongresses gem. »Die Kommunistische Internationale«, Nr. 13, 1920; Lenins Rede, LW Bd. 31; Leitsätze des 4. Weltkongresses gem. »Protokoll«. [back]
  2. Für eine eingehendere Untersuchung der Niederlage von 1927 siehe »Shanghai, avril 1927 — le bain de sang du prolétariat chinois arrose la victoire du stalinisme« in »Programme Communiste« Nr. 73, April 1977 [back]
  3. Siehe H. Isaacs, »The tragedy of chinese proletariat«, hier zitiert nach der französischen Ausgabe, Paris, Gallimard, 1973, S. 79. Der interessierte Leser sollte das Buch von Isaacs heranziehen. [back]
  4. J. Guillermaz, »Histoire du PCC«, Payot, Paris, 1975, Bd. 1, S. 96. [back]
  5. Siehe H. Isaacs, »The tragedy of chinese proletariat«, hier zitiert nach der französischen Ausgabe, Paris, Gallimard, 1973, S. 103 bzw. 107 [back]
  6. Siehe H. Isaacs, »The tragedy of chinese proletariat«, hier zitiert nach der französischen Ausgabe, Paris, Gallimard, 1973, S. 103 bzw. 107 [back]
  7. Als die Thesen — Von Bucharin-Stalin für die 8. Erweiterte Exekutive (1927) für die KPCh die Richtlinie der »Aufrechterhaltung der Selbständigkeit« ausgaben, antwortete Trotzki: »Aufrechterhalten? Aber die KP Chinas war ja bis heute noch nie selbständig«. Der Beitritt der chinesischen Kommunisten in die Kuomintang wurde seinerzeit gegen die Stimme Trotzkis — der aber damals nicht insistierte — vom Politbüro bestätigt. [back]
  8. Auch hier hat Trotzki als einziger dagegen gestimmt. Es war aber gegen den Begriff der »sympathisierenden Partei« überhaupt, dass die italienische Linke von vornherein auftrat. Siehe diesbzgl. u.a. die »Thesen von Lyon«. [back]
  9. Siehe H. Isaacs, »The tragedy of chinese proletariat«, hier zitiert nach der französischen Ausgabe, Paris, Gallimard, 1973, S. 149 [back]
  10. siehe ausser Isaacs auch J. Chesneaux, »Le mouvement paysan chinois«, Paris, Seuil, 1976 [back]
  11. Gewiss wurde Tschiang Kai-schek später schliesslich geschlagen. Die Partei von Mao hat aber nichts anderes getan, als die Perspektive von Sun Yat-sen zu erfüllen und die Rolle der »wahren Kuomintang« zu spielen. Für eine nähere Untersuchung siehe unsere Reihe »Die soziale Bewegung in China« in Bulletin Nr. 10, 11, 12 und 13. Diese Reihe wird in der nächsten Nr. fortgesetzt. [back]
  12. Wir können hier nicht näher auf die Frage der opportunistischen Entartung und konterrevolutionären Vernichtung der Komintern eingehen. Siehe hierzu in den folgenden Seiten die »Thesen von Lyon«. [back]

Source: Kommunistisches Programm, Nr. 14, Mai 1977

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