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THESEN VON LYON (1926)


Content:

Thesenentwurf der Linken für den dritten Kongress der KP Italiens (1926)
I. Allgemeine Fragen

1. Grundsätze des Kommunismus
2. Wesen der Partei
3. Aktion und Taktik der Partei
II. Internationale Fragen
1. Die Bildung der Dritten Internationale
2. Wirtschaftliche und politische Weltlage (1926)
3. Arbeitsmethode der Internationale
4. Organisationsfragen
5. Disziplin und Fraktionen
6. Fragen der Taktik bis zum V. Weltkongress
7. Fragen der »neuen Taktik«
8. Gewerkschaftsfrage
9. Agrarfrage
10. Nationale Frage
11. Russische Fragen (1926)
III. Italienische Fragen
1. Die Lage in Italien (1926)
2. Politische Orientierung der kommunistischen Linken
3. Die Tätigkeit der linken Zentrale
4. Beziehungen zwischen der italienischen Linken und der Kommunistischen Internationale
5. Ordinovismus als Tradition der jetzigen Zentrale
6. Die politische Tätigkeit der heutigen Parteizentrale
7. Gewerkschaftliche Tätigkeit der Partei
8. Tätigkeit der Partei in der Agrar- und Nationalfrage
9. Organisatorische Arbeit der Zentrale
10. Das Handeln der Zentrale in der Frage des Fraktionismus
11. Entwurf eines Arbeitsprogramms der Partei
12. Aussichten der inneren Parteilage
Anmerkungen

Vorworte zu den Thesen von Lyon: Die Thesen der Kommunistischen Linken


Thesenentwurf der Linken für den 3. Kongress der KP Italiens (1926)[1]

I. Allgemeine Fragen

1. Grundsätze des Kommunismus

Die theoretischen Grundsätze der kommunistischen Partei sind die des Marxismus, der im Kampf gegen die opportunistischen Abweichungen von Grund auf wiederhergestellt wurde und das Fundament der 3. Internationale bildet. Diese Grundsätze sind:
der dialektische Materialismus als allgemeine Weltanschauung und Geschichtsauffassung; die grundlegenden ökonomischen Theorien aus Marx’ Kapital als Erklärung der heutigen kapitalistischen Wirtschaft;die programmatischen Aussagen des Manifests der Kommunisten als historischer und politischer Leitfaden für die Befreiung der Arbeiterklasse der ganzen Welt.

Die grossartige, siegreiche Erfahrung der russischen Revolution und das Werk Lenins – Führer dieser Revolution und Meister des Weltkommunismus – sind die Bestätigung, die Wiederherstellung und die folgerichtige Entwicklung jenes Systems von Grundsätzen und Methoden.

Wer auch nur einen einzigen Teil davon ablehnt, ist kein Kommunist und darf nicht in den Reihen der Internationale kämpfen.

Dementsprechend weist die kommunistische Partei die Lehren der herrschenden Klasse zurück, von den mystisch-religiösen, die idealistisch in der Philosophie und reaktionär in der Politik sind, bis zu den positivistischen Lehren der Freidenker à la Voltaire, die in der Politik freimaurerisch, antiklerikal und demokratisch sind.

In gleicher Weise lehnt sie folgende politische Schulen ab, die in der Arbeiterklasse eine gewisse Anhängerschaft haben: den sozialdemokratischen Reformismus, der eine friedliche und ohne bewaffneten Kampf erfolgende Entwicklung von der kapitalistischen Macht zur Arbeitermacht für möglich hält und die Klassenkollaboration predigt; den Syndikalismus, der die politische Aktion der Arbeiterklasse und die Notwendigkeit der Partei als oberstes revolutionäres Organ leugnet; den Anarchismus, der die historische Notwendigkeit des Staates und der Diktatur des Proletariats als Mittel zur Umwandlung der Gesellschaft und zur Aufhebung der Klassenteilung bestreitet. Ebenso bekämpft die kommunistische Partei die vielfältigen Erscheinungen jener gefährlichen pseudorevolutionären Strömung, die mit dem nunmehr allgemein bekannten Ausdruck »Zentrismus« benannt wird und sich dadurch kennzeichnet, die oben erwähnten irrigen Tendenzen »kommunistisch« zu verbrämen, um somit deren Fortbestand zu sichern.

2. Wesen der Partei

Der geschichtliche Prozess der Befreiung des Proletariats und der Gründung einer neuen Gesellschaftsordnung ergibt sich aus der Tatsache des Klassenkampfes. Jeder Klassenkampf ist politischer Kampf, d. h. er tendiert zu einem Kampf um die Eroberung der politischen Macht und die Führung eines neuen Staatsapparats. Folglich ist das Organ, das den Klassenkampf zu seinem Endsieg führt, die politische Klassenpartei, das einzig mögliche Werkzeug zuerst der revolutionären Erhebung und dann der revolutionären Regierung. Aus dieser elementaren und genialen Behauptung von Marx, die von Lenin bis aufs äusserste hervorgehoben wurde, ergibt sich die Definition der Partei als Organisation all derer, die die Weltanschauung, die die historische Aufgabe der revolutionären Klasse zusammenfasst, teilen und entschlossen sind, für den Sieg dieser Klasse zu kämpfen. Dank der Partei erlangt die Arbeiterklasse die Kenntnis ihres Weges und den Willen, ihn zu beschreiten; folglich vertritt die Partei in den aufeinanderfolgenden Phasen des Kampfes historisch die Klasse, auch wenn sie in ihren eigenen Reihen nur einen mehr oder minder grossen Teil der Klasse umfasst. Das ist die Bedeutung der Definition der Partei, die Lenin auf dem 2. Weltkongress gab.

Diese Auffassung von Marx und Lenin steht genau im Gegensatz zur typisch opportunistischen Auffassung einer trade-unionistischen oder ouvrieristischen Partei, der rechtmässig alle Individuen angehören, die ihrem sozialen Stand zufolge Proletarier sind. Es ist klar: in einer solchen Partei – auch wenn sie zahlenmässig einen stärkeren Eindruck macht – können, und müssen in gewissen Situationen, die direkten konterrevolutionären Einflüsse der herrschenden Klasse vorwiegen (vertreten durch die Diktatur von Funktionären und Führern, egal ob sie nun als Individuen aus dem Proletariat oder aus anderen Klassen stammen). Deshalb haben Marx und Lenin diesen fatalen theoretischen Fehler nicht allein bekämpft: sie haben auch in der Praxis nicht davor gezögert, die falsche proletarische Einheit zu brechen, um in Momenten des Schwindens der sozialen Aktion des Proletariats das Fortbestehen der politischen Funktion der Partei in der Vorbereitung auf die zukünftigen Aufgaben des Proletariats wenigstens durch kleine, am revolutionären Programm festhaltende politische Gruppen zu sichern. Es hat sich ergeben, dass dies der einzig mögliche Weg ist, um in der Zukunft den Zusammenschluss des grösstmöglichen Teils der Arbeiter unter der Führung und unter dem Banner einer kampf- und siegesfähigen kommunistischen Partei zu verwirklichen.

Eine unmittelbare Organisation aller vom wirtschaftlichen Standpunkt als Arbeiter zu betrachtenden Personen kann nicht zu politischen d. h. revolutionären Aufgaben aufrücken, da die einzelnen beruflichen und lokalen Gruppen nur beschränkte Impulse für die Befriedigung partieller, durch die direkten Folgen der kapitalistischen Ausbeutung determinierter Bedürfnisse wahrnehmen. Erst wenn sich an der Spitze der Arbeiterklasse eine politische Partei einschaltet, die sich durch den politischen Beitritt ihrer Mitglieder kennzeichnet, erfolgt die fortschreitende Zusammenfassung aller partiellen Impulse zu einer gemeinsamen Auffassung und Handlung, in der es Individuen und Gruppen gelingt, jeden Partikularismus zu überwinden und Schwierigkeiten und Opfer für den allgemeinen und endgültigen Sieg der Arbeiterklasse auf sich zu nehmen. Die Definition der Partei als Partei der Arbeiterklasse hat bei Marx und Lenin eine historische und endzielbezogene und nicht eine vulgär-statistische und statutenmässige Bedeutung.

Jede Betrachtung der inneren Organisationsfragen der Partei, die zum Fehler einer trade-unionistischen Parteiauffassung zurückführt, verrät eine schwere theoretische Abweichung, denn sie setzt an Stelle einer revolutionären eine demokratische Auffassung und misst ausgeklügelten, utopistischen Organisationsschemata mehr Bedeutung zu als der dialektischen Wirklichkeit des Zusammenpralls der Kräfte zweier entgegengesetzter Klassen; sie stellt eine Gefahr des Rückfalls in den Opportunismus dar.

Was nun die Gefahren einer Entartung der revolutionären Bewegung anbelangt sowie die Mittel, um die nötige Kontinuität der politischen Richtung bei Führern und Anhängern zu sichern, so ist es nicht möglich, diese Gefahren mittels einer Organisationsformel zu beseitigen. Durch die Formel, der zufolge nur der echte Arbeiter ein Kommunist sein kann, werden sie um so weniger beseitigt, als diese Auffassung durch eine lange Erfahrung, durch die riesige Mehrzahl von Beispielen von Individuen und Parteien widerlegt wird. Die Garantie, um die es geht, muss anderswo gesucht werden, wenn man nicht dem grundlegenden marxistischen Postulat: »Die Revolution ist keine Frage der Organisationsform«, widersprechen will, ein Postulat, das die ganze Überlegenheit des wissenschaftlichen Sozialismus gegenüber den ersten Phantasiegebilden des Utopismus zusammenfasst.

Von diesen Anschauungen über das Wesen der Klassenpartei muss man ausgehen, um die Antwort auf die heutigen unmittelbaren Fragen der inneren Organisation der Internationale und der Partei zu geben.

3. Aktion und Taktik der Partei

Die allgemeine Taktik befasst sich mit der Frage, wie die Partei auf die Situationen und auf die anderen Gruppen, Organe und Einrichtungen der Gesellschaft, in der sie sich bewegt, einwirkt. Ihre allgemeinen Elemente müssen in Übereinstimmung mit der Gesamtheit unserer Grundsätze festgesetzt werden. In einem zweiten Schritt werden dann die Richtlinien der praktischen Aktion bezüglich der verschiedenen Bereiche von praktischen Problemen und der aufeinanderfolgenden Phasen der historischen Entwicklung genau bestimmt.

Indem sie der revolutionären Partei ihren Platz und ihre Aufgabe in der revolutionären Gestaltung einer neuen Gesellschaft zuteilt, löst die marxistische Theorie die Frage von Freiheit und Notwendigkeit in der Tätigkeit des Menschen auf die glanzvollste Art und Weise. Auf die Abstraktion »Individuum« bezogen, wird diese Frage noch für lange Zeit Material für die metaphysischen Hirngespinste der Philosophen der herrschenden und dekadenten Klasse liefern. Der Marxismus setzt sie in das rechte Licht einer wissenschaftlichen und objektiven Gesellschafts- und Geschichtsauffassung.

So wie unsere Auffassung den Gedanken ausschliesst, dem zufolge das Individuum – ein Individuum! – nach seinem Gutdünken und dank einer Art von göttlicher Gabe umwandelnd und formend auf seine Umwelt einwirken kann, so ist für uns die voluntaristische Auffassung der Partei zu verurteilen, der zufolge eine kleine Gruppe von Menschen ihr Credo verbreitet und mit einer ungeheuerlichen Willensanstrengung, mit einer riesigen Aktivität und Heroismus, der Welt aufzwingt.

Auf der anderen Seite ist jene Auslegung des Marxismus abartig und töricht, wonach – da Geschichte und Revolution nach unabänderlichen Gesetzen ablaufen – uns nichts anderes übrig bliebe, als diese Gesetze objektiv zu ermitteln und zu versuchen, Prognosen für die Zukunft zu formulieren, ohne etwas auf dem Gebiet der Aktion zu unternehmen. Eine solche Auffassung ist fatalistisch und kommt einer Ableugnung der Notwendigkeit der Existenz und Funktion der Partei gleich. Der marxistische Determinismus liegt nicht in der Mitte, ist aber in seiner mächtigen Originalität diesen beiden Auffassungen in gleicher Weise überlegen. Eben weil sie jedem Apriorismus fern bleibt und nicht mit dem Anspruch hausieren geht, es gäbe eine einzige abstrakte Antwort, die für alle Epochen und für alle Gesellschaftsformen gültig wäre, ist die marxistische Lösung dieses Problems dialektisch und historisch. Wenn auch nach dem heutigen Entwicklungsstand der Wissenschaft keine vollständige Untersuchung der Ursachen, die das einzelne Individuum zum Handeln bewegen, möglich ist, eine Untersuchung, die von den physischen und biologischen Gesetzen ausgehen müsste, um zu einer Wissenschaft der psychologischen Aktivitäten zu gelangen, so kann das Problem doch auf dem Gebiet der Soziologie gelöst werden, indem man – wie Marx es tat – die Untersuchungsmethoden der modernen, positiven und experimentellen Wissenschaft anwendet, deren Erbe der Marxismus voll antritt, und die nicht zu verwechseln sind mit der sogenannten materialistischen und positivistischen Philosophie, die die Bourgeoisie bei ihrem historischen Vormarsch anwandte. Man beseitigt somit in einem gewissen Sinn die Unbestimmtheit über den in jedem Individuum stattfindenden Prozess, indem man mit der kritischen Untersuchung der ökonomischen Verhältnisse und der Geschichte den gegenseitigen Einflüssen zwischen den Individuen rational Rechnung trägt und dabei das Feld von allen Vorurteilen der traditionellen Ideologien geräumt hat. Von diesem Ausgangspunkt aus stellt der Marxismus ein System von Kenntnissen auf, das kein unwandelbares und festes Evangelium ist, sondern ein lebendiges Werkzeug, um die Gesetze des geschichtlichen Werdegangs zu verfolgen und zu erkennen. Die Grundlage dieses Systems liegt in Marx’ Entdeckungen über den ökonomischen Determinismus: die Untersuchung der ökonomischen Formen und Verhältnisse und der Entwicklung der technischen Produktionsmittel liefert uns den objektiven Boden, in dem wir die Formulierung der Gesetze des gesellschaftlichen Lebens und in einem gewissen Ausmasse auch die Prognose der kommenden Entwicklung fest verankern können.

Nachdem wir an all das erinnert haben, muss betont werden, dass die Endlösung keine immanente Formel ist, die als universeller Schlüssel die Aussage erlaubt, dass, wenn man die ökonomischen Phänomene sich entwickeln lässt, eine vorhergesehene und feststehende Reihe von politischen Ereignissen sich ohne weiteres ergeben wird.

Zwar bedeutet unsere Kritik die vollständige und endgültige Abwertung, nicht so sehr dessen, was den einzelnen Individuen – auch wenn sie die »Hauptrollen« der Geschichte spielen – als ihre Aktion erscheint, sondern viel mehr der Absichten und Perspektiven, mit denen sie sich diese Aktion zu koordinieren einbilden; das will aber keineswegs heissen, dass ein kollektives Organ, wie die Klassenpartei, keine eigene Initiative und keinen eigenen Willen hat oder diese gar entbehren kann. In unseren grundlegenden Texten wird die hierfür gegebene Lösung wiederholt dargelegt.

Die Menschheit sowie auch ihre mächtigsten Vereinigungen wie Klassen, Parteien und Staaten, haben sich beinahe wie Spielzeug in den Händen der ökonomischen Gesetze bewegt, die ihnen bis heute grösstenteils unbekannt waren. Diesen Vereinigungen fehlte gleichzeitig das theoretische Bewusstsein des ökonomischen Prozesses und die Möglichkeit, ihn zu leiten und zu lenken. Für die Klasse jedoch, die in der heutigen geschichtlichen Epoche erscheint, nämlich das Proletariat und für die politischen Vereinigungen (Partei und Staat), die von ihm ausgehen müssen, ändert sich das Problem.

Diese Klasse ist die erste, die nicht zur Machtergreifung getrieben wird, um soziale Privilegien zu konsolidieren und um in einer in Klassen geteilten Gesellschaft eine neue Klasse zu unterwerfen und auszubeuten. Und gleichzeitig ist sie die erste, der es gelingt, sich eine Theorie über die ökonomische, historische und soziale Entwicklung zu bilden, die eben im marxistischen Kommunismus besteht.

Zusammen mit seiner Befreiung von der heute herrschenden und privilegierten Klasse besteht das Programm des Proletariats in der Befreiung der Menschheit von der Sklaverei der ökonomischen Gesetze, die das Proletariat heute erkennt und morgen in einer rationalen und wissenschaftlichen, unter dem direkten Eingriff der Menschheit stehenden Wirtschaft beherrschen wird. In diesem Sinn und aus diesem Grund schrieb Engels, dass die proletarische Revolution den Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit darstellt.

Das heisst jedoch nicht, den illusorischen Mythos des Individualismus wieder aufleben zu lassen, der das Ich des Menschen von den äusseren Einflüssen befreien will, während in Wirklichkeit ihre Verflechtung immer unentwirrbarer wird und das Leben des Einzelnen immer mehr zu einem untrennbaren Teil eines kollektiven Lebens zu werden neigt.

Wenn auch nur die proletarische Menschheit, von der wir noch weit entfernt sind, frei und eines Willens fähig sein wird, der nicht sentimentale Illusion ist, sondern Fähigkeit, die Wirtschaft im weitesten Sinne des Wortes zu organisieren und in ihrer Gewalt zu halten; wenn auch heute die Klasse des Proletariats immer noch – allerdings weniger als die anderen Klassen – in den Grenzen ihrer eigenen Aktion durch äussere Einflüsse determiniert ist, so ist hingegen die politische Partei gerade das Organ, in dem sich das Maximum an Willensmöglichkeit und Initiative in seinem gesamten Tätigkeitsfeld zusammenfasst; gewiss nicht eine x-beliebige Partei, sondern die Partei der proletarischen Klasse, die kommunistische Partei, die sozusagen durch einen ununterbrochen Faden an die Endziele des kommenden Prozesses gebunden ist. Eine solche Willensfähigkeit in der Partei sowie ihr Bewusstsein und ihre theoretische Vorbereitung sind ausdrücklich kollektive Funktionen. Die Parteiführer sind in der marxistischen Auffassung als Werkzeuge und als Ausführende zu betrachten, die das Verständnis und die Erklärung der Ereignisse, den Willen zur Aktion und die geeignete Führung der Aktion (alles Fähigkeiten, die immer vom Leben und vom Wesen des kollektiven Organs ausgehen) am besten zum Ausdruck bringen.

Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich, dass die marxistische Auffassung der Partei und ihrer Aktion, wie schon erwähnt, sowohl den Fatalismus, das passive Abwarten von Ereignissen, auf die direkt einzuwirken sie nicht vermag, ausschliesst, als auch jede voluntaristische Auffassung im individuellen Sinn, der zufolge unterschiedslos von jedem einzelnen Militanten der Partei die Qualitäten theoretischer Vorbereitung, Willensstärke und Opfergeist, kurz und gut eine besondere Art moralischer Figur und ein Stempel von »Reinheit« zu verlangen sind, wodurch man die Partei zu einer Elite herabsetzt, die sich von den restlichen gesellschaftlichen Elementen, aus denen die Arbeiterklasse besteht, unterscheidet und ihnen überlegen wäre. Der fatalistische und passivistische Fehler wurde indessen dazu führen, wenn nicht die Funktion und Nützlichkeit der Partei überhaupt zu leugnen, so doch zumindest dazu, sie ohne weiteres in die im ökonomischen, statistischen Sinn aufgefasste proletarische Klasse aufzulösen. Die in der vorhergehenden These über das Wesen der Partei angedeuteten Schlussfolgerungen werden folglich bekräftigt und verurteilen sowohl die ouvrieristische Auffassung als auch jene der Elite intellektueller und moralischer Natur, beides Abweichungen vom Marxismus, die dazu bestimmt sind, in den gemeinsamen Weg des Opportunismus zusammenzufliessen.

Da die allgemeine Frage der Taktik auf derselben Ebene wie die Frage der Natur der Partei gelöst wird, muss man die marxistische Lösung unterscheiden:
— von der doktrinären Entfremdung gegenüber der Wirklichkeit des Klassenkampfes, die sich mit abstrakten Ausklügelungen zufrieden gibt und die konkrete Aktivität versäumt;
— vom sentimentalen Ästhetisismus, der mit aufsehenerregenden Gesten und heldenhafter Haltung winziger Minderheiten neue Situationen und historische Bewegungen hervorrufen möchte;
— vom Opportunismus, der die Bindung mit den Prinzipien, also mit den allgemeinen Zielen der Bewegung vergisst, und nur im Hinblick auf einen momentanen Scheinerfolg der Aktion sich damit begnügt, sich für beschränkte und isolierte Forderungen einzusetzen, ohne sich darum zu kümmern, ob diese den Bedürfnissen der Vorbereitung auf die höchsten Eroberungen der Arbeiterklasse widersprechen oder nicht.

Die anarchistische Politik leidet sowohl unter einer doktrinären Sterilität, die unfähig ist, die dialektischen Etappen der realen historischen Entwicklung zu verstehen, als auch unter der voluntaristischen Illusion, die sich der Täuschung hingibt, durch die Schlagkraft des Beispiels und des Opfers eines Einzelnen oder Weniger die gesellschaftlichen Prozesse beschleunigen zu können.

Der Fehler der sozialdemokratischen Politik geht in der Theorie sowohl auf eine falsche, fatalistische Auffassung des Marxismus zurück, der zufolge die Revolution langsam und von selbst, ohne einen aufständischen Eingriff des proletarischen Willens heranreifen würde, als auch auf einen voluntaristischen Pragmatismus der sofortige Ergebnisse seiner Initiative und seiner täglichen Intervention nicht entbehren kann. Ob es sich hierbei um Reformen, Zugeständnisse, partielle Vorteile wirtschaftlicher oder politischer Natur, zu denen die Unternehmer und der bürgerliche Staat bewogen werden, handelt: dieser voluntaristische Pragmatismus beschränkt sich auf Ziele, die nur anscheinend bestimmte Gruppen des Proletariats interessieren, in Wirklichkeit aber nicht im Sinne der Vorbereitung des proletarischen Sieges, sondern in Erfüllung des konservativen Spiels der herrschenden Klasse durchgesetzt werden.

Die äusseren Sympathien, die der Reformismus für den bürgerlichen Positivismus zeigt, werden als Vorwand benutzt, um den Versuch, die Klassenbewegung mit theoretischen Auffassungen der »modernen« voluntaristischen und pragmatistischen Philosophie idealistischer Prägung (Bergson, Croce, Gentile) zu verseuchen, als Reaktion gegen den Reformismus auszugeben. In Wirklichkeit bedeutet dieser Versuch nichts anderes als die Vorbereitung weiterer opportunistischer Schritte in der Entwicklung des Reformismus.

Die Partei kann sich nicht darauf beschränken, lediglich die Reinheit der theoretischen Prinzipien und die Reinheit des organisatorischen Gefüges zu bewahren. Sie darf sich aber auch nicht darauf ausrichten, unmittelbare Erfolge und grosse Popularität um jeden Preis zu erzielen. Die Tätigkeit der Partei muss in allen Zeiten und in allen Lagen folgende drei Punkte umfassen:
a) die Verteidigung und Präzisierung der grundlegenden programmatischen Postulate, d. h. des theoretischen Bewusstseins der Arbeiterbewegung gegenüber allen neu auftauchenden Ereignissen;
b) Sicherung der Kontinuität der Parteiorganisation und deren Schlagkraft, sowie die Verteidigung der Parteiorganisation vor einer Verseuchung mit fremden und dem revolutionären Interesse des Proletariats entgegengesetzten Einflüssen;
c) die aktive Teilnahme an allen Kämpfen der Arbeiterklasse, auch wenn diese durch bescheidene Teilinteressen hervorgerufen werden. Die Partei beschränkt sich aber nicht darauf, die Entfaltung dieser Kämpfe zu fördern, sondern trägt das Bewusstsein ihrer Verbindung mit den revolutionären Zielen ständig in sie hinein; sie zeigt, dass die Erfolge des Klassenkampfes Brücken sind zu den unerlässlichen zukünftigen Kämpfen; sie warnt vor der Gefahr, die darin besteht, sich auf Teilsiege wie auf einem erreichten Endziel auszuruhen oder die Bedingungen für die Aktion und die Kampflust des Proletariats (wie Selbständigkeit und Unabhängigkeit seiner Ideologie und seiner Organisation, an allererster Stelle der Partei) gegen Tageserrungenschaften einzutauschen.
Der höchste Zweck dieser vielseitigen Aktivität der Partei liegt darin, die subjektiven Bedingungen für die Vorbereitung des Proletariats zu schaffen, d. h. es in die Lage zu versetzen, die objektiven revolutionären Möglichkeiten, die die Geschichte bietet, zu nutzen, sobald sie auftauchen und zwar so zu nutzen, dass es aus dem Kampf als Sieger und nicht als Besiegter her- vorgeht.

Wir nehmen das alles als Ausgangspunkt, um die Fragen bezüglich der Verhältnisse zwischen der Partei und den proletarischen Massen, zwischen der Partei und den anderen politischen Parteien und zwischen dem Proletariat und den anderen Gesellschaftsklassen zu klären.
Als abwegig zu betrachten ist die taktische Formulierung, derzufolge jede echte kommunistische Partei in jeder Lage fähig sein muss, eine Massenpartei zu sein, d. h. eine sehr zahlreiche Organisation mit einem sehr grossen politischen Einfluss auf das Proletariat, so dass sie die anderen sogenannten Arbeiterparteien mindestens überbieten kann. Diese Formulierung ist eine Karikatur der These Lenins. Lenin gab 1921 eine praktische und für die anvisierte Situation voll zutreffende Losung: Für die Machteroberung genügt es nicht, »echte« kommunistische Parteien gebildet zu haben und sie in die Offensive für den Aufstand zu stürzen; es ist im Gegenteil nötig, zahlenmässig starke Parteien zu haben, deren Einfluss auf das Proletariat überwiegt. Diese These bedeutet, dass in der Phase, die der Machteroberung vorausgeht und auf sie zuführt, die Partei die Massen auf ihrer Seite haben muss, vor allen Dingen die Massen erobern muss. Gefährlich ist bei dieser Formulierung in einem gewissen Sinne nur der Ausdruck »Mehrheit« der Massen, da er die buchstäblichen »Leninisten« der theoretischen und taktischen Gefahr sozialdemokratischer Auslegungen aussetzt, wie bereits geschehen. Obwohl sie eine vollkommen richtige Auffassung ausdrückt und der praktischen Gefahr zuvorkommt, mit ungenügenden Kräften und in unreifen Momenten »verzweifelte« Aktionen zu unternehmen, kann diese Losung andererseits – da sie nicht besagt, woran man die Mehrheit misst, ob an den Parteien, an den Gewerkschaften oder an anderen Organen – Anlass zur anderen Gefahr einer Ablenkung von der Aktion zu Zeitpunkten geben, wo diese Aktion hingegen möglich und geboten ist, wenn sie nur mit wirklich leninistischer Entschlossenheit und Initiative angepackt wird.

Dieser Satz, dass die Partei am Vorabend des Kampfes um die Macht die Massen auf ihrer Seite haben muss, ist jedoch in der dämlichen Auslegung der heutigen Pseudoleninisten zu einer Formel mit rein opportunistischem Beigeschmack geworden: Sie behaupten, dass die Partei »in jeder Situation« eine Massenpartei sein muss. Es gibt Lagen, die für die Revolution objektiv ungünstig sind, die hinsichtlich der Kräfteverhältnisse von ihr weit entfernt sind (obwohl sie sie von ihr zeitlich mehr oder weniger entfernt sein können, denn die historische Entwicklung weist – wie es der Marxismus lehrt – äusserst verschiedene Geschwindigkeiten auf). Nur wenn man auf die kommunistischen Grundsätze und Methoden verzichtet und eine sozialdemokratische und kleinbürgerliche Politik betreibt, kann man dazu kommen, in solchen ungünstigen Lagen um jeden Preis eine Massen- und Mehrheitspartei sein zu wollen, um jeden Preis einen vorherrschenden politischen Einfluss haben zu wollen.

Man muss offen sagen, dass die Mehrheit des Proletariats in bestimmten vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Situationen zwangsläufig eine nicht revolutionäre Position, sowie eine Position der Passivität bzw. der Kollaboration mit dem Feind einnahm, einnimmt und einnehmen wird, ferner dass dabei trotz allem das Proletariat immer und überall die potentiell revolutionäre Klasse und der Träger der revolutionären Befreiung bleibt, solange seine kommunistische Partei – ohne je auf die Möglichkeiten konsequenter Behauptung und Propagierung ihres Programms zu verzichten – imstande ist, den scheinbar leichteren Weg einer unmittelbaren Popularität zu vermeiden, denn dieser Weg würde die Partei nur von ihrer Aufgabe ablenken und dem Proletariat den unerlässlichen Stützpunkt für die Wiederaufnahme des Kampfes nehmen. Auf einer solchen dialektischen und marxistischen, nie jedoch auf einer ästhetischen und sentimentalen Grundlage, weisen wir die bestialische opportunistische Formel zurück, der zufolge eine kommunistische Partei sich die Freiheit nehmen könne, alle Mittel und alle Methoden anzuwenden. Man sagt, dass die Partei, eben weil sie wirklich kommunistisch ist, d. h. gesund in ihren Grundsätzen und in ihrer Organisation, sich alle Akrobatenstücke des politischen Manövers erlauben kann; dabei vergisst man aber, dass für uns die Partei gleichzeitig Faktor und Produkt der historischen Entwicklung ist und dass die Kräfte dieser Entwicklung das Proletariat noch leichter beeinflussen. Das Proletariat wird nicht durch die krummen Rechtfertigungen der Parteiführer für gewisse »Manöver« beeinflusst, sondern durch reale Auswirkungen, die man anhand der Erfahrung der vergangenen Fehler vorhersehen muss.

Theoretische Glaubensbekenntnisse und organisatorische Sanktionen allein werden nie eine Garantie gegen die Degenerierungen liefern. Um sich eine solche Garantie geben zu können, muss die Partei auf dem Gebiet der Taktik zu handeln wissen und sich energisch mit präzisen und stets befolgten Aktionsregeln die falschen Wege verschliessen.

Ein anderer Fehler in der allgemeinen Frage der Taktik, der direkt in die klassisch opportunistische, von Marx und Lenin zerschmetterte Position zurückführt, besteht in der Behauptung, dass die Partei zwar zur gegebenen Zeit die Triebkraft der totalen und endgültigen proletarischen Revolution sein wird, zunächst aber im Falle von Klassen- und Parteikämpfen, die noch nicht die ihres spezifischen Terrains sind, zwischen den beiden im Streit liegenden Kräften diejenige wählen muss, die eine für die allgemeine historische Entwicklung günstigere Voraussetzung darstellt, um sie dann mehr oder weniger offen zu unterstützen und sich mit ihr zu verbünden. Das wird damit begründet, dass ja die Bedingungen für die Revolution nur durch eine Entfaltung der politischen und sozialen Verhältnisse heranreifen werden.

Eine solche Politik geht von einer grundfalschen Voraussetzung aus. Das typische Schema einer in allen ihren Einzelheiten festgesetzten sozialen und politischen Evolution zu einem bestvorbereiteten definitiven Aufkommen des Kommunismus entspricht einer ausschliesslich opportunistischen Lesart des Marxismus. Es bildet die Grundlage für die Verleumdung der russischen Revolution und der heutigen kommunistischen Bewegung durch Kautsky & Co. Genauso wenig kann man im allgemeinen die These vertreten, dass unter bestimmten Regierungsformen der Bourgeoisie (so z. B. unter den demokratischsten) günstigere Bedingungen für eine ergiebige Arbeit der kommunistischen Partei zu finden sind. Es stimmt zwar, dass reaktionäre und »rechte« Massnahmen der bürgerlichen Regierungen das Proletariat mehrmals gebremst haben; es stimmt aber ebenso (und ist sogar viel häufiger vorgekommen), dass die liberale und linke Politik bürgerlicher Regierungen den Klassenkampf wiederholt gedrosselt und die Arbeiterklasse von entscheidenden Aktionen abgelenkt hat.

Die marxistische Einschätzung ist exakter und bricht effektiv den demokratischen, evolutionistischen und »progressiven« Zauber: die Bourgeoisie versucht ihre konterrevolutionären Interessen durch den Wechsel ihrer Regierungsmethoden und -parteien durchzusetzen, was ihr oft gelingt. Ferner zeigt unsere gesamte Erfahrung, dass der Opportunismus immer den Weg gegangen ist, das Proletariat für den wechselnden Lauf der bürgerlichen Politik zu begeistern.

Selbst wenn es wahr wäre, dass gewisse Regierungsumbildungen im Rahmen der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung die weitere Entwicklung der proletarischen Aktion erleichtern, so zeigt doch die Erfahrung klipp und klar, dass dies von einer ausdrücklichen Bedingung abhängt: von der Existenz einer Partei, die die Massen rechtzeitig vor der Enttäuschung warnt, die anstelle des gepriesenen unmittelbaren Erfolgs treten wird; und nicht bloss von der Existenz der Partei als solche, sondern von ihrer Fähigkeit, auch bereits vor diesem Kampf in einer in den Augen des Proletariats offensichtlich autonomen Weise zu handeln, denn das Proletariat folgt ihr aufgrund ihrer konkreten Verhaltensweise und nicht nur aufgrund willkürlicher offizieller Pläne.

Bei Kämpfen, die noch nicht als Endkampf für den Sieg des Proletariats ablaufen können, wird die kommunistische Partei also nicht die Rolle eines Verwalters von Reformen und Errungenschaften übernehmen, die das Proletariat nicht direkt. interessieren. Ihr Wesen und ihre autonome Haltung wird sie nicht preisgeben, um sich in eine Art von Versicherungsgesellschaft für alle sogenannten politischen »Erneuerungen« oder für die erstbesten politischen Systeme und Regierungen, die von einem angeblichen »grösseren Übel« bedroht werden, zu verwandeln.

Gegen die Notwendigkeit dieser Aktionslinie wird oft und fälschlicherweise Marx’ Satz ins Feld geführt, dass die Kommunisten überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände unterstützen, ferner alle Ausführungen Lenins gegen die »Kinderkrankheit des Kommunismus«. Die diesbezügliche Spekulation innerhalb unserer Bewegung unterscheidet sich ihrem innersten Wesen nach nicht von den gleichartigen Spekulationen, die seit je von den Revisionisten und Zentristen angestellt werden, die – ob nun ihre Führer Bernstein oder Nenni heissen – im Namen von Marx und Lenin sich anmassen, die revolutionären Marxisten zu verhöhnen.

Zu den betreffenden Aussagen Marx’ und Lenins sind zunächst zwei Bemerkungen zu machen. Erstens beziehen sie sich auf eine bestimmte historische Situation: bei Marx auf das noch nicht bürgerliche Deutschland und bei der von Lenin in seinem Buch beschriebenen bolschewistischen Erfahrung auf das zaristische Russland. Nicht auf diesen Grundlagen allein beruht die Lösung des taktischen Problems in seiner klassischen Form: Proletariat im Kampf mit einer voll entwickelten kapitalistischen Bourgeoisie. Zweitens: die Unterstützung, von der Marx spricht, und die Kompromisse, von denen Lenin spricht, (und Lenin zieht diesen Ausdruck anderen vor, um damit als grossartiger marxistischer Dialektiker zu »kokettieren«, während er der Meister der echten und nicht formalen Unnachgiebigkeit im unbeugsamen Streben nach einem unwandelbaren Ziel bleibt), sind Unterstützungen und Kompromisse mit Bewegungen, die noch unter dem Druck stehen, (und dies selbst gegen die Ideologien und Absichten ihrer Anführer), sich mit dem bewaffneten Aufstand den Weg gegen die vergangenen Formen zu bahnen. Der Eingriff der kommunistischen Partei erfolgt hier als Eingriff auf dem Boden des Bürgerkrieges: siehe die leninistischen Lösungen für die Bauernfrage und für die nationale Frage, siehe die Episode Kornilow und hundert andere. Auch abgesehen von diesen beiden wesentlichen Bemerkungen steht die Bedeutung sowohl der Kritik Lenins gegen die Kindereien, als auch aller marxistischen Texte über die Beweglichkeit der revolutionären Politik keineswegs im Widerspruch zu der von Lenin selbst und allen Marxisten absichtlich errichteten Barriere gegen den Opportunismus, welcher von Engels und von Lenin als Prinzipienlosigkeit, d. h. als Preisgabe des Endziels definiert wird.
Es wäre im Widerspruch zu Lenin und Marx, die kommunistische Taktik mit einer nicht dialektischen, sondern formalistischen Methode aufzubauen. Auch wäre es ein kolossaler Fehler, von äusserlichen und wir würden beinahe sagen ethischen, psychologischen und ästhetischen Ähnlichkeiten und Analogien auszugehen, um zielgerechte Mittel zu suchen. Die Mittel müssen den Zwecken entsprechen, aber nach dem Kriterium ihrer historischen und dialektischen Aufeinanderfolge im Entwicklungsprozess. Man darf auf dem Gebiet der Taktik nicht den Fehler wiederholen, den Anarchisten und Reformisten auf dem Gebiet der Prinzipien begehen, wo es ihnen absurd erscheint, dass die Aufhebung der Klassen und der Staatsmacht durch die Klassenvorherrschaft und den diktatorischen Staat des Proletariats vorbereitet werden müsse, bzw. dass die Abschaffung aller sozialen Gewalt sich durch die Anwendung der offensiven und defensiven Gewalt verwirklicht, um die heutige Macht umzuwälzen und die proletarische Macht zu schützen. Ebenso irrig wäre die Behauptung, dass eine revolutionäre Partei in jedem Moment für den Kampf sein müsse, ohne die Kräfte von Freund und Feind zu zählen, dass der Kommunist bei einem Streik z. B. nur dessen Fortsetzung ohne zeitliche Begrenzung verfechten könne, dass ein Kommunist gewisse Mittel wie Heuchelei, List, Spionage usw. scheuen müsse, weil es wenig noble oder sympathische Mittel sind. Die Kritik des Marxismus, die Kritik Lenins an der pseudorevolutionären Oberflächlichkeit, die den Weg des Proletariats verpestet, wird vom Bestreben diktiert, diese dummen und sentimentalen Kriterien von der Lösung der taktischen Fragen auszuschliessen. Diese Kritik gehört endgültig zur Erfahrung der kommunistischen Bewegung.
Wie eine solche fehlerhafte taktische Ableitung, die demnach zu vermeiden ist, aussieht, ist folgendem Beispiel ersichtlich: da wir die politische Spaltung der Kommunisten von den Opportunisten durchführten, müssen wir auch die Spaltung der von den »Gelben« geführten Gewerkschaften anstreben.
Nur dank eines organisierten polemischen Schwindels fährt man seit geraumer Zeit fort zu behaupten, die italienische Linke habe ihre Schlussfolgerungen auf Gedankengängen der Art begründet, dass es würdelos sei, sich persönlich den Führern der opportunistischen Parteien auch nur zu nähern und dergleichen.

Die Kritik an dem Linksradikalismus bedeutet keineswegs, dass auf dem Gebiet der Taktik Unbestimmtheit, Chaos und Willkür herrschen müssen und dass »alle Mittel« für die Erreichung unserer Zwecke geeignet seien. Zu sagen, die Garantie für die Anwendung zielgerechter Mittel liege in dem von der Partei erworbenen revolutionären Wesen oder im Beitrag, den hervorragende Männer oder Gruppen, die auf eine glänzende Tradition zurückblicken können, zu ihren Entscheidungen leisten, ist ein nicht-marxistisches Wortspiel, da die Rückwirkungen übersehen werden, die die Aktionsmittel selbst auf die Partei im dialektischen Wechselspiel von Ursache und Wirkung ausüben, und ferner nicht berücksichtigt wird, dass wir den »Absichten«, die zu den Initiativen von Einzelnen oder Gruppen führen, jeglichen Wert abstreiten – und dies ganz abgesehen davon, dass man, wie blutige Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, solchen Absichten immer mit einem gewissen »Verdacht« (im nicht-beleidigenden Sinn) begegnen muss.

Lenin sagt in seinem Buch über den Linksradikalismus, dass die taktischen Mittel im Hinblick auf die Verwirklichung des revolutionären Endzwecks auf der Grundlage eines klaren historischen Überblicks über den Kampf des Proletariats und seinen Ausgang ausgewählt werden müssen, und dass es absurd ist, einen gewissen taktischen Notbehelf zu verwerfen, nur weil er »hässlich« scheint und die Bezeichnung »Kompromiss« verdient: es muss vielmehr geprüft werden, ob dieses Mittel dem Zweck entspricht oder nicht. Diese Frage muss immer aufs neue gelöst werden und ihre Lösung stellt eine gewaltige Aufgabe für die kollektive Arbeit der Partei und der Kommunistischen Internationale dar. Wenn wir sagen können, dass wir dank Marx und Lenin im Besitz eines sicheres Erbes auf dem Gebiet der theoretischen Grundsätze sind, ohne damit sagen zu wollen, dass für den Kommunismus alle Aufgaben neuer theoretischer Forschungen beendet seien, so kann man dasselbe nicht auf das Gebiet der Taktik übertragen, selbst nicht nach der russischen Revolution und den Erfahrungen der ersten Lebensjahre der neuen Internationale, die Lenins Beitrag zu früh entbehren musste.

Die Frage der Taktik ist viel weitgreifender als die einfältigen sentimentalen Antworten der »Linksradikalen« und muss noch besser ins rechte Licht gerückt werden, mit dem Beitrag der gesamten internationalen kommunistischen Bewegung und ihrer gesamten vergangenen und heutigen Erfahrung. Im Einklang mit Marx und Lenin steht die Behauptung, dass man bei der Lösung der taktischen Fragen Aktionsregeln einhalten muss, die sowohl für Anhänger als auch für leitende Organe der Bewegung verbindlich sind, auch wenn sie nicht so lebenswichtig sind wie die Prinzipien; Aktionsregeln, die die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten der Situation vorhersehen, um mit der grösstmöglichen Genauigkeit vorzuzeichnen, in welcher Richtung sich die Partei zu bewegen hat, sobald die Situationen bestimmte Aspekte zeigen.

Bevor man taktische Entscheidungen trifft, ist es notwendig, die Situationen zu untersuchen und zu überblicken, nicht aber um dadurch nach Gutdünken der Führer »Improvisationen« und »Überraschungen« zuzulassen, sondern damit die Organisation feststellen kann, dass die Stunde für eine im grösstmöglichen Mass vorhergesehene Aktion gekommen ist. Zu bestreiten, dass die Taktik in ihren grossen Linien vorhergesehen werden kann – nicht dass die Situationen vorhergesehen werden können, was mit noch geringerer Sicherheit möglich ist, sondern dass vorhergesehen werden kann, wie wir bei den verschiedenen möglichen Alternativen des Verlaufs der objektiven Situationen vorgehen müssen – bedeutet soviel wie die Rolle der Partei zu verleugnen und auf die einzige Garantie zu verzichten, die wir für den Gehorsam der Parteimitglieder und der Massen gegenüber den Befehlen der leitenden Zentrale unter allen Umständen haben können. In diesem Sinn ist die Partei kein Heer und auch kein staatliches Räderwerk, d. h. kein Organ, in dem die hierarchische Autorität vorwiegt und die freiwillige Anhängerschaft nichts zählt. Dem Parteimitglied bleibt allerdings immer ein Weg für die Nichtausführung der Befehle offen, dem sich keine materielle Sanktionen entgegensetzen: der Austritt aus der Partei selbst. Die gute Taktik ist diejenige, die bei einer Wende der Situationen, in der dem leitenden Zentrum keine Zeit für eine Konsultation der Partei und weniger noch der Massen bleibt, weder in der Partei selbst noch im Proletariat zu unerwarteten Reaktionen führt, welche der Durchführung des revolutionären Kampfes entgegenwirken können.

Die Kunst vorauszusehen, wie die Partei auf die Befehle reagieren wird und welche Befehle die richtige Reaktion hervorrufen werden, ist die Kunst der revolutionären Taktik – sie besteht gerade in der kollektiven Nutzung der Aktionserfahrungen der Vergangenheit, die in klaren Aktionsregeln zusammenzufassen ist. Indem die Parteimitglieder die Führer mit deren Ausführung beauftragen, sichern sie sich, dass jene ihr Mandat nicht verraten werden, und verpflichten sich ihrerseits – effektiv und nicht nur formell – einer wirksamen und entschiedenen Ausführung der Befehle der Bewegung. Da die Partei selbst vervollkommnungsfähig und nicht vollkommen ist, Zögern wir nicht zu sagen, dass der Klarheit und Überzeugungskraft der taktischen Richtlinien viel geopfert werden muss, selbst wenn das eine gewisse Schematisierung mit sich bringt: sollten die Situationen die von uns vorbereiteten taktischer Schemata mit Gewalt sprengen, könnte man dem nicht durch ein Rutschen in den Opportunismus oder in dem Eklektizismus abhelfen; man würde in Gegenteil eine erneute Anstrengung machen müssen um die taktische Linie den Parteiaufgaben anzupassen. Es ist nicht nur so, dass eine gute Partei eine gute Taktik schafft, sondern auch dass eine gute Taktik eine gute Partei schafft, und die gute Taktik kann nur eine sein, die von allen in den grundlegenden Linien verstanden und gewählt wurde.

Wir bestreiten hundertprozentig die Möglichkeit, die kollektive Anstrengung und Arbeit der Partei zur Bestimmung der taktischen Regeln zurückzustellen und dann Kadavergehorsam gegenüber einem Mann, einem Komitee oder einer einzelnen Partei der Internationale und ihrem traditionellen Führungsapparat zu verlangen.

In den gipfelnden Augenblicken des Kampfes um die Macht, in denen ihr wesentlicher Teil militärischen Charakter annimmt, offenbart sich die Parteiaktion als Strategie. Aber auch in den vorhergehenden Situationen beschränkt sich die Parteiaktion nicht auf die rein ideologische, propagandistische und organisatorische Funktion, sondern besteht wie gesagt in der aktiven Teilnahme an den einzelnen proletarischen Kämpfen. Das System der taktischen Regeln verfolgt also gerade den Zweck, vorzugeben, welche Bedingungen der Eingriff der Partei und ihre Aktion in solchen Bewegungen, ihre Agitation mitten im Pulsieren der proletarischen Kämpfe, erfüllen muss, um sich dem revolutionären Endzweck zuzuordnen und gleichzeitig das wirksame Fortschreiten der ideologischen, organisatorischen und taktischen Vorbereitung sicherzustellen.

In den nachstehenden Punkten wird bei den einzelnen Fragen geklärt, wie sich diese Ausarbeitung der einzelnen Richtlinien kommunistischer Aktion im gegenwärtigen Entwicklungsstadium der revolutionären Bewegung darstellt.

II. Internationale Fragen

1. Die Bildung der Dritten Internationale

Die durch den Weltkrieg hervorgerufene Krise der 2. Internationale hat durch die Gründung der Kommunistischen Internationale eine vom Standpunkt der Wiederherstellung der revolutionären Theorie vollständige und endgültige Lösung erhalten. Vom organisatorischen und taktischen Standpunkt stellt die Bildung der Komintern zwar eine unermessliche historische Errungenschaft dar, hat jedoch der Krise der proletarischen Bewegung keine ebenso vollständige Lösung gegeben.

Wesentlicher Faktor für die Bildung der neuen Internationale war die russische Revolution, erster glorreicher Sieg des Weltproletariats. Aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse Russlands hat die russische Revolution unter dem Aspekt der taktischen Fragen nicht das allgemeine historische Modell für die Revolution der anderen Länder geliefert. Denn im Übergang von der autokratischen feudalen Macht zur Diktatur des Proletariats hat sich keine Epoche politischer Herrschaft der in einem eigenen, exklusiven und stabilen Staatsapparat organisierten Bourgeoisie eingeschoben.

Eben deshalb hat die russische Revolution eine ausserordentliche historische Bestätigung der programmatischen Auffassungen des Marxismus geliefert. Dies hat in hohem Masse dazu beigetragen, den sozialdemokratischen Revisionismus auf dem Terrain der Prinzipien zu schlagen. Der Kampf gegen die II. Internationale, der ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes gegen den Weltkapitalismus bildet, hat jedoch auf organisatorischer Ebene keinen ebenso entscheidenden Erfolg erzielt. Viele Fehler wurden begangen, wodurch die kommunistischen Parteien nicht jene Schlagkraft erlangten, die die objektiven Bedingungen ihnen gestattet hätten.

Nicht anders verhält es sich auf dem Gebiet der Taktik. Auch hier – soweit es um den Kriegsschauplatz geht, auf dem die Bourgeoisie und der moderne und parlamentarische Staat mit seinem historisch stabilen Apparat einerseits und das Proletariat andererseits gegenüberstehen – wurden und werden viele Fragen mangelhaft gelöst. Nicht immer haben die kommunistischen Parteien all das erreicht, was zum Zweck des proletarischen Vorrückens gegen den Kapitalismus und der Liquidierung der sozialdemokratischen Parteien, dieser politischen Organe der bürgerlichen Konterrevolution, möglich war.

2. Wirtschaftliche und politische Weltlage (1926)

Die internationale Lage ist heute für das Proletariat weniger günstig als in den ersten Nachkriegsjahren. Vom wirtschaftlichen Standpunkt wohnen wir einer teilweisen Restabilisierung des Kapitalismus bei, wobei wir jedoch unter Stabilisierung nur die Milderung der Störungen einiger Teile der wirtschaftlichen Struktur verstehen, nicht aber einen Zustand, der auch in nächster Zukunft ein mögliches Wiederauftreten von neuen Störungen ausschliesst.

Die Krise des Kapitalismus bleibt offen, und ihre endgültige Zuspitzung ist unvermeidlich. Auf politischer Ebene erleben wir in fast allen fortgeschrittenen Ländern eine Schwächung der revolutionären Arbeiterbewegung, was jedoch durch die Festigung Sowjetrusslands und durch die Aktion der Kolonialvölker gegen die kapitalistischen Mächte glücklicherweise aufgewogen wird.

Solch eine Lage birgt die Gefahr in sich, dass bei Befolgung der falschen Methode des Situationismus sich in der Bewertung der Fragen der proletarischen Aktion eine wenn auch nur angedeutete Tendenz zum Menschewismus abzeichnet. In zweiter Linie besteht die Gefahr, dass, wenn sich in der allgemeinen Politik der Komintern das Gewicht der reinen Klassenaktion vermindert, die von Lenin vorgesehenen Bedingungen für die korrekte Anwendung der Taktik in der Nationalfrage und in der Bauernfrage fehlen.

Auf die proletarische Offensive der Nachkriegszeit folgte seitens der Unternehmer eine Offensive gegen die proletarischen Positionen, auf die die Komintern mit der Parole der Einheitsfront antwortete. In der Folge neigte die Situation in verschiedenen Ländern dazu, sich in einem demokratisch-pazifistischen Sinn zu stabilisieren. Zu Recht wies Genosse Trotzki auf die Degenerierungsgefahr hin, die für unsere Bewegung in einer solchen Situation lag. Man muss eine Interpretation der Lage vermeiden, die den Kampf zwischen zwei Flügeln der Bourgeoisie, dem rechten und dem linken, mechanisch auf tiefe soziale Unterscheidungen zurückführen möchte und in diesem Kampf eine Lebensfrage des Proletariats erblickt.

Die richtige Auslegung ist die, dass die herrschende Klasse mehrere Regierungs- und Verteidigungsmethoden besitzt, die sich im wesentlichen auf zwei zurückführen lassen: die reaktionäre und faschistische und die liberal-demokratische.

Von der ökonomischen Analyse ausgehend, beweisen die Thesen Lenins, dass die modernen Staaten der Bourgeoisie die Tendenz haben, nicht nur den Produktionsapparat, sondern auch ihre politische Verteidigung in den energischsten Formen zu zentralisieren.

Es ist folglich nicht richtig, allgemein zu behaupten, der Übergang zum Kommunismus müsse durch die Etappe einer bürgerlichen Linksregierung durchgehen. Die Lage kann sich zwar in besonderen Fällen so entwickeln, dann setzt aber der Sieg des Proletariats seitens der kommunistischen Partei eine Taktik voraus, die gerade in der Bekämpfung der Illusionen über die Bildung einer Linksregierung besteht und die selbst in den reaktionären Zeiten die Opposition gegen die einer solchen Regierung entsprechenden Formen um keinen Deut abschwächt.

3. Arbeitsmethode der Internationale

Die parlamentarischen Entartungen des Opportunismus machten das Proletariat misstrauisch gegenüber der politischen Aktion. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kommunistischen Internationale bestand in der Beseitigung dieses Misstrauens.

Unter Politik versteht der Marxismus keineswegs die übliche Kunst oder Technik, bestehend aus den Kniffen der parlamentarischen oder diplomatischen Intrige, die jede Partei für ihre Sonderzwecke anwenden würde. Die proletarische Politik steht im Gegensatz zur Methode der bürgerlichen Politik; sie nimmt höhere Formen von Verhältnissen vorweg, um in der Kunst des revolutionären Aufstands zu gipfeln. Dieser tiefe Unterschied, den wir hier nicht weiter theoretisch darlegen wollen, ist eine Lebensbedingung für die sinnvolle Verbindung zwischen dem revolutionären Proletariat und seinem kommunistischen Generalstab sowie für die sinnvolle Auslese des Personals dieses Generalstabs.

Die Arbeitspraxis der Internationale widerspricht heute dieser revolutionären Notwendigkeit. In den Beziehungen zwischen den Organen der kommunistischen Bewegung herrscht vielmals eine doppeldeutige Politik vor, eine Unterordnung der theoretischen Begründungen unter die gelegentlichen Beweggründe, ein System von Absprachen und Unterhandlungen zwischen Personen, was in seinen Ergebnissen – eben weil es nicht gelang, die Beziehungen zwischen den Parteien und den Massen richtig zum Ausdruck zu bringen – zu schweren Enttäuschungen geführt hat.

In den grossen und grundlegenden Entscheidungen der Internationale dringt mit zu grosser Leichtigkeit das Element der Improvisation, der Überraschung und des Szenenwechsels ein, was die Genossen und die Proletarier verwirrt.

All das geschieht zum Beispiel beim Grossteil der inneren Fragen der Parteien, die von den internationalen Organen und Kongressen mit aufeinanderfolgenden und notdürftigen Schlichtungen gelöst werden, welche dann den verschiedenen Führungsgruppen aufgezwungen werden, sich jedoch in das reale Werden und Wachsen der Parteien nicht nutzbringend einfügen.

4. Organisationsfragen

Bei der Gründung der Komintern hatte die Erwägung grosses Gewicht, dass es dringend nötig war, eine weitgreifende Konzentration der revolutionären Kräfte herbeizuführen, war man ja damals der Ansicht, dass sich die objektive Lage viel schneller entwickeln würde. Man hat jedenfalls feststellen können, dass es besser gewesen wäre,, bei den Organisationskriterien mit grösserer Strenge vorzugehen. Weder durch die Konzessionen an syndikalistische und anarchistische Gruppen, noch durch die in den 21 Punkten gegenüber den Zentristen eingeräumten kleinen »Transaktionen«, noch durch die mit politischer »Noyautage« [Unterwanderung] erreichte organisatorische Verschmelzung mit Parteien und Teilen von Parteien, noch durch das Tolerieren einer zweifachen kommunistischen Organisation in gewissen Ländern (mit den sympathisierenden Parteien) konnte man bei der Bildung der Parteien oder der Eroberung der Massen günstige Ergebnisse erzielen. Die nach dem V. Kongress gegebene Parole der Organisation der Parteien auf Zellengrundlage erreicht nicht ihren Zweck, die einhellig in den Sektionen der Internationale festgestellten Mängel zu beheben.

In ihrer Verallgemeinerung und vor allem in der ihr von der italienischen Zentrale gegebenen Interpretation gibt diese Parole Anlass zu schweren Fehlern und zu einer Abweichung sowohl vom marxistischen Postulat, dass die Revolution keine Frage der Organisationsformen ist, als auch von der leninistischen These, dass eine organisatorische Lösung nie für alle Zeiten und alle Orte gültig sein kann.

Für die Parteien, die in der heutigen Epoche in den bürgerlichen Ländern mit stabiler, parlamentarischer Regierungsform tätig sind, ist eine Organisation nach Betriebszellen u. dgl. weniger angemessen als eine nach territorialen Gesichtspunkten. Es ist theoretisch falsch, zu behaupten, dass eine Partei, die sich auf territorialer Grundlage organisiert, eine sozialdemokratische Partei sei, während eine echt kommunistische Partei auf Zellen beruhen müsse. Der zweite Organisationstyp wird in der Praxis die Aufgabe der kommunistischen Partei, die Proletarier aller Berufe + Industriezweige zu vereinigen, erschweren. Und man muss bedenken, dass diese Aufgabe ohnehin umso schwieriger ausfällt, als die Lage ungünstig ist und die Möglichkeiten, das Proletariat zu organisieren, sich einengen. Als ausschliessliche Grundlage der Parteiorganisation wird die Zellenform von verschiedenen praktischen Nachteilen begleitet. Im zaristischen Russland standen die Dinge anders: Es herrschten andere Verhältnisse zwischen Industrieunternehmern und Staat, während andererseits die zentrale Frage der Macht sich auf die Tagesordnung drängte und dadurch die korporative Gefahr verringerte.

In allen höheren Knotenpunkten des Zellensystems bildet sich ein Netz von Nicht-Arbeitern oder ehemaligen Arbeitern, der Apparat der Funktionäre: Dieses System erhöht also nicht den Einfluss der Arbeiter in der Partei. Als Organisationsformel entspricht die Parole des Bolschewisierens einer platten und ungeeigneten Anwendung der russischen Erfahrung: Die kritisierten Mängel der Arbeitsmethode der Internationale wiederholen sich hier. In vielen Ländern neigt man bereits zu einer Methode der wenn auch ungewollten Erstickung der spontanen Initiativen und der proletarischen Klassenenergien seitens eines Apparates, dessen Auslese und Funktion nach grösstenteils künstlichen Kriterien erfolgt.

In der Partei die Organisation auf territorialer Grundlage beizubehalten bedeutet nicht den Verzicht auf Parteiorgane in den Betrieben. Hier muss man kommunistische Gruppen haben, die mit der Partei verbunden sind, von ihr geleitet werden und ihren gewerkschaftlichen Organisationen eingegliedert sind. Dadurch wird eine viel bessere Verbindung mit den Massen möglich, während andererseits die eigentliche Parteiorganisation nicht so sehr exponiert wird.

5. Disziplin und Fraktionen

Ein weiterer Aspekt der Bolschewisierungsparole besteht darin, eine vollständige disziplinäre Zentralisierung und das strenge Verbot des Fraktionismus als sichere Garantie für die Schlagkraft der Partei zu betrachten.

Die höchste Instanz für alle Streitfragen ist das internationale Zentralorgan, in dem man wenn nicht unbedingt hierarchisch, so doch zumindest politisch der Russischen Kommunistischen Partei eine Hegemonie zuerkennt.

Diese Garantie existiert in Wirklichkeit nicht. Das ganze Problem ist falsch gestellt. In der Tat hat man es nicht vermieden, dass der Fraktionismus in der Internationale sein Unwesen treibt; im Gegenteil, man hat dessen verhohlene und heuchlerische Formen ermutigt. Ausserdem ist vom historischen Standpunkt die Überwindung der Fraktionen in der russischen Partei weder ein Kunstmittel gewesen, noch ein auf statutenmässiger Ebene angewandtes Rezept mit Zauberwirkung; sie war im Gegenteil Ergebnis und Ausdruck des richtigen Herangehens an die Probleme der Theorie und der politischen Aktion.

Disziplinäre Sanktionen sind eines der Elemente, die gegen Entartungen garantieren. Das setzt jedoch voraus, dass ihre Anwendung in den Grenzen der Ausnahmefälle bleibt und nicht zur Norm und beinahe zum Ideal des Parteilebens wird.

Einerseits liegt die Lösung nicht in einer leeren Übersteigerung des hierarchischen Autoritarismus (dem die anfängliche Investitur fehlt, sei es wegen der Unvollständigkeit der nichtsdestotrotz grossartigen geschichtlichen Erfahrung der russischen Partei, sei es weil in der alten Garde selbst, Hüter der bolschewistischen Tradition, in der Tat Meinungsverschiedenheiten auftauchen, deren Lösung nicht a priori als die beste betrachtet werden kann); andererseits liegt sie auch nicht in einer systematischen Anwendung der Prinzipien der formalen Demokratie, die im marxistischen Lager nur den Platz einer unter Umständen bequemen organisatorischen Handhabe einnehmen.

Die kommunistischen Parteien müssen einen organisatorischen Zentralismus verwirklichen, der bei einem angemessenen Maximum an Befragung der Basis die spontane Beseitigung jeder zu einer Differenzierung neigenden Gruppierung sichert. Das erreicht man nicht mit formellen und mechanischen, hierarchischen Vorschriften, sondern, wie Lenin sagt, mit der richtigen revolutionären Politik.

Grundlegend für die Entwicklung der Partei ist nicht die Unterdrückung des Fraktionismus, sondern im Gegenteil dessen Vorbeugung.

Es wäre absurd, steril und noch dazu äusserst gefährlich zu verlangen, dass die Partei und die Internationale, man weiss nicht auf welche geheimnisvolle Weise, gegen jeden Rückfall oder jede Tendenz zum Rückfall in den Opportunismus gesichert seien, können ja diese Rückfälle mit Änderungen der Lage oder mit den Überresten der sozialdemokratischen Traditionen zusammenhängen. Andererseits müssen wir bei der Lösung unserer Probleme die Meinungsunterschiede, die nicht auf persönliche Gewissensfälle oder Defätismus zurückzuführen sind, als etwas ansehen, das unter Umständen eine nützliche Funktion der Bewahrung der Partei und überhaupt des Proletariats vor schweren Gefahren erfüllen kann.

Wenn diese Gefahren zunehmen sollten, würde die Meinungsverschiedenheit unvermeidlich, aber nutzbringend, die Form des Fraktionismus annehmen. Das könnte dann zu Spaltungen führen, aber nicht aus dem kindischen Grund eines Mangels an Unterdrückungsenergie seitens der Führer, sondern nur in der verfluchten Hypothese eines Bankrotts der Partei und ihrer Unterwerfung unter konterrevolutionäre Einflüsse.

Ein Beispiel der falschen Methode liefern die künstlichen Lösungen der Probleme der deutschen Partei nach der opportunistischen Krise von 1923, mit denen man – ohne dass es übrigens gelungen wäre, den Fraktionismus zu beseitigen – die spontane Herausbildung der richtigen und revolutionären Klassenreaktion des fortgeschrittenen deutschen Proletariats auf die Entartung der Partei nur hemmte.[2]

Nicht in der Form der Fraktionsbildung tritt die Gefahr der bürgerlichen Beeinflussung der Klassenpartei historisch in Erscheinung, sondern eher als umsichtige Ansteckung, die sich der Einheitsdemagogie bedient und als zweckentfremdete Diktatur-von-oben die Initiativen der proletarischen Vorhut lähmt.

Einen solchen defätistischen Faktor kann man nicht dadurch erkennen und bekämpfen, dass man gegen die Fraktionsversuche die Frage der Disziplin aufwirft, sondern im Gegenteil durch die konsequente Vorbereitung der Partei und des Proletariats auf den Augenblick, in dem sich diese Gefahr nicht nur in Form einer theoretischen Revision sondern auch als direkter Vorschlag eines wichtigen politischen Manövers mit antiproletarischer Wirkung zeigen wird.

Einer der negativen Aspekte der sogenannten Bolschewisierung besteht darin, die vollständige und bewusste politische Ausarbeitung innerhalb der Partei, die einem effektiven Fortschritt in Richtung auf den kompaktesten Zentralismus entspricht, durch eine äusserliche und donnernde Agitation der mechanischen Formeln der Einheit um der Einheit willen und der Disziplin um der Disziplin willen zu ersetzen.

Die Ergebnisse dieser Methode schaden der Partei und dem Proletariat und entfernen uns vom Ziel der »echten« kommunistischen Partei. Diese in vielen Sektionen der Internationale angewandte Methode ist an und für sich schon ein ernst zu nehmendes Anzeichen eines latenten Opportunismus. In der heutigen Lage zeichnet sich in der Komintern die Bildung einer internationalen Linksopposition nicht ab. Wenn jedoch die Entwicklung der bislang aufgezeigten ungünstigen Faktoren andauert, wird die Bildung einer solchen Opposition eine revolutionäre Notwendigkeit und zugleich eine spontane Rückwirkung der geschaffenen Lage sein.

6. Fragen der Taktik bis zum V. Weltkongress [3]

Bei der Lösung der in den erwähnten Situationen auf internationaler Ebene aufgetretenen taktischen Fragen wurden im allgemeinen ähnliche Fehler begangen wie bei den Organisationsfragen. Diese Fehler stehen in Zusammenhang mit der Anmassung, alles von den Fragen abzuleiten, die sich der russischen kommunistischen Partei in der Vergangenheit gestellt hatten.

Die Taktik der Einheitsfront darf nicht als politische Koalition mit anderen sogenannten Arbeiterparteien aufgefasst werden, sondern als eine Nutzbarmachung der sich aus den Situationen ergebenden unmittelbaren Forderungen mit dem Ziel, den Einfluss der kommunistischen Partei auf die Massen auszudehnen, ohne ihre Autonomie dabei aufs Spiel zu setzen.

Als Grundlage für die Einheitsfront müssen folglich jene proletarischen Organisationen gewählt werden, in die die Arbeiter aufgrund ihrer sozialen Stellung eintreten, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung und ihrer Mitgliedschaft in einer organisierten Partei. Damit verfolgt man einen doppelten Zweck: einerseits die Kritik der Kommunisten an den anderen Parteien unter allen Umständen beizubehalten und die fortschreitende Organisierung der bisherigen Anhänger dieser anderen Parteien in den Reihen der kommunistischen Partei zu ermöglichen, andererseits das Verständnis der Massen für die darauffolgenden direkten Losungen der Partei zu erzielen, denn mit diesen Losungen will die Partei die Massen unter ihrem Programm und unter ihrer ausschliesslichen Führung mobilisieren.

Die Erfahrung hat wiederholt bewiesen, dass eine revolutionäre Anwendung der Einheitsfront nur möglich ist, wenn folgende Methoden ausgeschlossen werden: permanente oder vorübergehende politische Koalitionen, Führungsausschüsse des Kampfes, die sich aus Vertretern der verschiedenen politischen Parteien zusammensetzen, sowie die Methode der Unterhandlungen, Vorschläge und »Offenen Briefe« an anderen Parteien von Seiten der kommunistischen Partei.

Die Praxis hat die Ergebnislosigkeit dieser Methoden bewiesen. Nach dem Missbrauch, der damit getrieben wurde, wurde jeder auch nur anfängliche Erfolg zum Scheitern verurteilt.

Ausgedehnt auf eine zentrale Forderung in der Frage des Staates, wurde die politische Einheitsfront zur Taktik der Arbeiterregierung. Wir stehen hier nicht mehr vor einer falschen Taktik, sondern vor einem schreienden Widerspruch zu den Grundsätzen des Kommunismus. Wenn die Partei eine Losung gibt, die die proletarische Machtergreifung durch, die Vertretungsorgane des bürgerlichen Staates impliziert bzw. eine solche Möglichkeit nicht ausdrücklich ausschliesst, wird das kommunistische Programm verlassen und verleugnet, und dies nicht nur wegen der unvermeidlichen üblen Auswirkungen auf das Klassenbewusstsein des Proletariats – die Partei macht und bekräftigt damit eine ideologische Aussage, die an sich bereits ein solches Verlassen und Verleugnen beinhaltet. Nach der deutschen Niederlage hat der 5. Weltkongress diese Taktik einer Revision unterzogen. Diese war aber nicht zufriedenstellend, und die spätere Entwicklung der taktischen Erfahrungen rechtfertigt die Forderung, auch vom Ausdruck »Arbeiterregierung« überhaupt abzulassen.

Hinsichtlich der zentralen Frage des Staates darf die Partei nur die Losung der Diktatur des Proletariats geben, da es keine andere »Arbeiterregierung« gibt.

Die andere Position führt nur direkt zum Opportunismus, d. h. zur Begünstigung oder gar Teilnahme an sogenannten »arbeiterfreundlichen« Regierungen der Bourgeoisie.

All das widerspricht keineswegs der Losung »alle Macht den Sowjets« oder gleichartigen Organen (d. h. Vertretungen, die nur von den Arbeitern gewählt werden), selbst wenn in solchen Organen opportunistische Parteien überwiegen. Diese Parteien sind ja gegen die Machtergreifung seitens der proletarischen Organe, da es sich dabei um die proletarische Diktatur selbst handelt (Ausschluss der Nichtarbeiter von den Wahlorganen und von der Macht), die nur von der kommunistischen Partei ausgeübt werden kann.

Es ist nicht nötig und wird hier auch nicht vorgeschlagen, die Losung Diktatur des Proletariats mit ihrem einzigen Synonym auszudrücken, d.h.: Regierung der kommunistischen Partei.

7. Fragen der »neuen Taktik«

Einheitsfront und Arbeiterregierung wurden wie folgt gerechtfertigt: für unseren Sieg genügt es nicht, kommunistische Parteien zu haben, sondern man muss die Massen erobern. Um sie zu erobern, muss man den Einfluss der Sozialdemokraten auf der Ebene der für alle Arbeiter verständlichen Forderungen vernichten.

Heute geht man einen Schritt weiter und wirft folgendes gefährliches Problem auf: für unseren Sieg ist es nötig, vorerst zu erreichen, dass die Bourgeoisie auf eine bestimmte grosszügige und nachgiebige Weise regiert oder dass die zwischen Bourgeoisie und Proletariat stehenden Mittelklassen regieren, um unsere Vorbereitung zu gestatten. Die zweite Auffassung, die eine eigene Regierung der Mittelklassen für möglich hält, fällt voll und ganz in den Revisionismus der marxistischen Lehre und entspricht der konterrevolutionären Plattform des Reformismus. Die andere Auffassung erwägt angeblich nur den objektiven Vorteil von Bedingungen, die uns gestatten sollen, unsere Propaganda, Agitation und Organisation besser zu entfalten. Aber über diese Auffassung, die nicht weniger gefährlich ist, haben wir bereits vom Gesichtspunkt der Beurteilung der Situationen gesprochen.

Alles lässt voraussehen, dass der Liberalismus und die bürgerliche Demokratie, in Wettkampf oder in Zusammenarbeit mit der »faschistischen« Methode, sich in die Richtung entwickeln werden, dass sie die kommunistische Partei aus den ohnehin kümmerlichen rechtsstaatlichen Garantien ausschliessen, als Partei, die diese Garantien programmatisch widerlegt und sich dadurch ausserhalb der Rechtsstaatlichkeit stellt. Das stösst übringens keineswegs gegen die Prinzipien der bürgerlichen Demokratie und hat sogar konkrete Präzedenzfälle in der Aktion aller sogenannten linken Regierungen, auch z. B. im Programm des »Aventins« in Italien.[14/1] Die dem Proletariat gewährte »Freiheit« wird im wesentlichen grössere Freiheit für die Konterrevolutionäre bedeuten, in seinen Reihen zu agitieren und organisatorisch tätig zu sein. Die einzige Freiheit für das Proletariat liegt in seiner Diktatur.

Selbst in den Grenzen, in denen eine linke Regierung uns nützliche Bedingungen bieten kann, gilt, was wir bereits erklärt haben: diese Bedingungen können nur auf der Grundlage einer vorausgehenden, ununterbrochen und eindeutig autonomen Haltung der Partei genutzt werden. Das bedeutet nicht, dass man der Bourgeoisie eine teuflische Geschicklichkeit zuerkennt. Das bedeutet aber soviel wie die Gewissheit – und wer diese Gewissheit nicht teilt, hat kein Recht, sich Kommunist zu nennen – dass das vorstürmende Proletariat sich im Endkampf mit der Einheitsfront aller bürgerlichen Kräfte wird schlagen müssen, ob diese nun von Hindenburg oder MacDonald, von Mussolini oder Noske verkörpert werden.

Selbstverständlich wird jede innerliche Schwäche von Teilen dieser Front zum Sieg beitragen. Wenn man aber das Proletariat dazu erzieht, in bestimmten Mitgliedern dieser Front freiwillige oder unfreiwillige Begünstiger zu erblicken, trägt man nur zur proletarischen Niederlage bei.

Wie aus diesen Betrachtungen ersichtlich, sind die in Deutschland nach der Wahl Hindenburgs verkündeten taktischen Methoden für unannehmbar zu erklären, und zwar sowohl das Wahlbündnis mit der Sozialdemokratie und mit anderen »republikanischen«, sprich bürgerlichen Parteien, als auch das parlamentarische Bündnis im preussischen Landtag, um eine Rechtsregierung zu vermeiden.[4] Dasselbe gilt für Frankreich hinsichtlich der Unterstützung des »linken Kartells« bei den Kommunal- und Kantonalwahlen (sog. Taktik von Clichy). Im übrigen ist es eine zwingende Schlussfolgerung der Leitsätze des II. Weltkongresses über den revolutionären Parlamentarismus, dass die kommunistische Partei nur mit strikt unabhängigen Positionen auf das Terrain der Wahlen und des Parlaments hinabsteigen darf. [5]

Die oben erwähnten taktischen Äusserungen der letzten Zeit weisen eine gewiss nicht vollständige, so doch unverkennbare Affinität zu den von der 2. Internationale angewandten, traditionellen Methoden der Blockbildungen und des Kollaborationismus auf, welche man ebenfalls »marxistisch« rechtfertigen wollte. Solche Methoden stellen effektiv eine Gefahr für die ideologische und organisatorische Entwicklung der Internationale dar; ausserdem wurden sie von keinem Beschluss der internationalen Kongresse und weniger noch von den taktischen Thesen des V. Kongresses zugelassen.

8. Gewerkschaftsfrage

Die Internationale hat in der Folge ihre Auffassung von den Beziehungen zwischen politischen und ökonomischen Organisationen auf Weltebene geändert. Darin liegt ein wichtiges Beispiel für die Methode, die, anstatt die jeweiligen Aktionen von den Prinzipien abzuleiten, neue und andersartige Theorien improvisiert, um damit Aktionen zu rechtfertigen, die nach dem Kriterium der anscheinend bequemen Ausführung und des leichten Erfolges entschieden werden.

Zuerst verfocht man die Aufnahme der Gewerkschaften in die Kommunistische Internationale. In der Folge gründete man eine Rote Gewerkschaftsinternationale. Hierbei ging man davon aus, dass die kommunistische Partei zwar für die Einheit der Gewerkschaften kämpfen muss, in der sich die geeignetste Kontaktzone mit den breiten Massen ergibt, dass sie zwar nicht danach streben darf, sich eigene Gewerkschaften zu schmieden, auch nicht durch eine Spaltung der Organisationen, die von den Gelben geleitet werden, dass aber auf internationaler Ebene das Büro der Amsterdamer Internationale nicht als ein Organ der proletarischen Massen zu betrachten und zu behandeln ist, sondern als ein konterrevolutionäres politisches Werkzeug des Völkerbundes.

An einem gewissen Punkt, aufgrund sicherlich wichtiger Erwägungen, die sich jedoch im wesentlichen auf einen Plan zur Ausnutzung der linken Gewerkschaftsbewegung in England beschränkten, verkündete man den Verzicht auf die Rote Gewerkschaftsinternationale und die Absicht, auf internationaler Ebene zu einer organisatorischen gewerkschaftlichen Einheit mit dem Amsterdamer Büro zu gelangen.

Keine Erwägung über einen Situationswechsel kann so schwerwiegende Wenden rechtfertigen. Die Frage der Verhältnisse zwischen internationalen Organisationen politischer und gewerkschaftlicher Natur ist ja eine Prinzipienfrage: Sie läuft auf die Verhältnisse zwischen Partei und Klasse im Hinblick auf die revolutionäre Mobilisierung hinaus.

Es ist noch hinzuzufügen, dass nicht einmal die eigenen Statuten beachtet wurden, denn die letzte Entscheidung wurde den zuständigen Organen der Internationale als vollendete Tatsache vorgelegt.

Die Aufrechterhaltung der Losung »Moskau gegen Amsterdam« schloss und schliesst keineswegs den Kampf für die gewerkschaftliche Einheit in jeder Nation aus. Die Liquidierung der Spaltungstendenzen in den Gewerkschaften (Deutschland und Italien) war nur möglich, nachdem man den Spaltern das Argument entzogen hatte, dass wir das Proletariat daran hinderten, sich vom Einfluss der Amsterdamer Internationale freizumachen.

Die anscheinend enthusiastische Zustimmung unserer französischen Partei zum Vorschlag einer weltweiten Gewerkschaftseinheit hindert sie hingegen nicht daran, eine absolute Unfähigkeit an den Tag zu legen, wenn es darum geht, die Frage der nationalen Gewerkschaftseinheit in einer wirklich nicht-spalterischen Weise zu behandeln.

Nicht auszuschliessen ist jedoch der Nutzen einer Taktik der Einheitsfront auf Weltebene mit allen gewerkschaftlichen Organisationen, auch mit jenen, die zu Amsterdam gehören.

Die Linke der italienischen Partei hat immer die proletarische Einheit in den Gewerkschaften befürwortet und sich dafür eingesetzt. Diese Haltung trägt dazu bei, sie von den von Lenin bekämpften falschen Linken syndikalistischer und idealistischer Provenienz unverkennbar zu unterscheiden. Ausserdem vertritt die Linke in Italien die strikt leninistische Auffassung über die Verhältnisse zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten. Es ist eine schwerwiegende Abweichung von den Prinzipien, die revolutionäre Bedeutung der Gewerkschaft, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruht, zu negieren, um sie durch den utopistischen und reaktionären Entwurf eines verfassungsmässigen und naturnotwendigen Organisationsnetzes, das mit dem ganzen kapitalistischen Produktionsapparat organisch zusammenwächst, zu ersetzen. In der Praxis drückt sich dieser Fehler in der Überbewertung der Betriebsräte und in einem tatsächlichen Boykott der Gewerkschaften aus. Er wird von der Linken auf der Grundlage der russischen Erfahrung und der einschlägigen Leitsätze des II. Kongresses seit jeher bekämpft.

9. Agrarfrage

Die Agrarfrage wurde in Lenins Thesen auf dem II. Kongress der Internationale grundlegend gelöst. Diese Lösung besteht vor allem in der marxistischen Richtigstellung des historischen Problems der Agrarproduktion. In einer Epoche, wo die Voraussetzungen für eine Sozialisierung der Industrie bereits herangereift sind, fehlen sie noch in der Landwirtschaft.

Dadurch wird aber die proletarische Revolution nicht verzögert (bildet sie ja die einzige Grundlage, um jene Voraussetzungen zu verallgemeinern). Vielmehr zeigt sich das Problem der allgemeinen Interessen der armen Bauern als unlösbar im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft und der bürgerlichen Macht, so dass das Proletariat die Befreiung der armen Bauern von der Ausbeutung durch Grossgrundbesitzer und Bourgeoisie zu einem Bestandteil seines Kampfes machen kann, auch wenn diese Befreiung nicht mit einer allgemeinen Umwandlung der Landwirtschaft unmittelbar zusammenfällt.

Der Grossgrundbesitz, der nur auf der Ebene der Besitzverhältnisse ein solcher ist, sich betriebswirtschaftlich aber aus einer Anzahl kleinster Produktionseinheiten zusammensetzt, wird nach Aufhebung des rechtlichen Überbaus durch Landverteilung unter den Bauern zerfallen, was in Wirklichkeit nichts anderes bedeutet als die Befreiung der bereits getrennten Kleinbetriebe von einer gemeinsamen Ausbeutung.

Das kann nicht erfolgen, ohne die Eigentumsverhältnisse revolutionär zu sprengen, was aber nur unter Führung des Industrieproletariats geschehen kann. Dieses ist nicht nur, wie der Bauer, ein Opfer der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, sondern deren historisches Ergebnis und ein Zeichen dafür, dass dieses System reif ist, neuen und andersgearteten Produktionsverhältnissen Platz zu machen. Das Proletariat wird demnach in der Rebellion des armen Bauern eine wertvolle Hilfe finden. Die taktischen Schlussfolgerungen Lenins weisen jedoch zwei wesentliche Punkte auf: Zuerst den grundlegenden Unterschied zwischen den Verhältnissen des Proletariats zur Bauernschaft einerseits und zu den reaktionären Mittelschichten der städtischen Wirtschaft, die vor allem in den sozialdemokratischen Parteien ihren Ausdruck finden, andererseits; zweitens die Auffassung, dass der Vorrang und die Hegemonie der Arbeiterklasse in der Führung der Revolution unantastbar sind.

Im Augenblick der Machteroberung erweist sich der Bauer als ein revolutionärer Faktor. Während der Revolution ändert sich seine Ideologie in Bezug auf die alten Formen von Autorität und Gesetz, kaum aber in Bezug auf die Produktionsverhältnisse. Diese bleiben noch, was sie im isolierten Familienbetrieb in Konkurrenz zu den anderen waren. Der Bauer bleibt also eine grosse Gefahr für den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft, und nur eine grosse Entwicklung der Produktivkräfte und der landwirtschaftlichen Technik kann ihn für den Sozialismus gewinnen.

Im taktischen und organisatorischen Plan von Lenin wird das Landproletariat, das nicht an Grund und Boden gebunden ist (die Landarbeiter), wie das übrige Proletariat betrachtet und organisiert. Mit dem armen Bauern, der seine oft unausreichende Parzelle alleine bebaut, besteht eine Bündnispolitik, die sich gegenüber der mittleren Bauernschaft – bei dem sich die Merkmale des Opfers bestimmter kapitalistischer Verhältnisse und des Ausbeuters von Arbeitskraft überlagern – in eine einfache Neutralisierungspolitik verwandelt. Der reiche Bauer, bei dem die Ausbeutung fremder Arbeitskraft überwiegt, wird schliesslich als direkter Feind der Revolution behandelt.

Die Internationale muss bei der Anwendung der Agrartaktik die Fehler vermeiden, die sich zum Beispiel in der französischen Partei bereits abgezeichnet haben, und zwar sei es in der Tendenz, eine Bauernrevolution an sich zu theorisieren, die auf dieselbe Ebene der Arbeiterrevolution gestellt wird, oder sei es in der Auffassung, dass die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiter durch einen Bauernaufstand ausgelöst werden könne, während das exakte Verhältnis genau umgekehrt ist.

Der Bauer, der sich das Programm der Kommunisten zu eigen gemacht hat, der fähig ist, politisch organisiert zu werden, muss Mitglied der kommunistischen Partei werden. Nur so wird man das Entstehen von reinen Bauernparteien, die unvermeidlich von der Konterrevolution beeinflussbar sind, bekämpfen.

Die Krestintern (die Bauern-Internationale) muss die Organisationen der Bauern aller Länder umfassen. Wie bei den Arbeitergewerkschaften gilt auch für diese Organisationen, dass sie allen offen sein müssen, die wegen ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen eine gemeinsame soziale Stellung haben. Die Taktik der politischen Unterhandlungen, Einheitsfronten und Fraktionsbildungen mit und in den Bauernparteien muss auch hier abgelehnt werden, selbst wenn es darum geht, diese Parteien zu zersetzen.

Diese taktische Richtlinie widerspricht nicht den Beziehungen, die während des Bürgerkrieges und auf der Grundlage bereits existierender, neuer Vertretungsorgane des Proletariats und der Bauernschaft zwischen Bolchewiki und Sozialrevolutionären hergestellt wurden.

10. Nationale Frage

Auch über die Theorie der Bewegung der Kolonialvölker in gewissen aussergewöhnlich rückständigen Ländern hat Lenin eine grundlegende Klärung gebracht. Noch bevor die weltweite Ausdehnung des Kapitalismus und die innere Entwicklung dieser Länder die Voraussetzungen des modernen Klassenkampfes geschaffen haben, stellen sich hier Forderungen, die nur durch den bewaffneten Kampf und durch die Niederlage des Weltimperialismus erfüllt werden können.

Unter diesen zwei Bedingungen kann der Kampf im Zeitalter der proletarischen Revolution ausbrechen, auch wenn er örtlich nicht die Aspekte des Klassenkampfes, sondern eines Rassen- und nationalen Konfliktes trägt.

Grundlegend bleiben nichtsdestotrotz in der leninistischen Auffassung die Führungsrolle der Organisation des revolutionären Proletariats in diesem Weltkampf sowie die Notwendigkeit, den Klassenkampf unter den Eingeborenen anzuspornen, die Schaffung und die autonome Entwicklung der örtlichen kommunistischen Partei zu fördern – und niemals abzubremsen oder zu verhindern.

Gefährlich ist aber die Übertragung dieser Einschätzungen rückständiger Verhältnisse auf Länder, wo die kapitalistische Gesellschaftsordnung und der bürgerliche Staatsapparat seit langem bestehen. Hier dienen die nationale Frage und die patriotische Ideologie als direkte konterrevolutionäre Hilfsmittel, die nach der Klassenentwaffnung des Proletariats trachten. Diesbezügliche Abweichungen bildeten z. B. die bekannten Konzessionen Radeks gegenüber den deutschen Nationalisten im Kampf gegen die alliierte Besatzung. [6]

In der Tschechoslowakei muss die Internationale darauf abzielen, jegliche organisatorische Auswirkung des nationalen Dualismus in den Reihen des Proletariats abzuschaffen. Stehen doch beide Rassen auf der gleichen historischen Höhe, in einer vollständig entwickelten, gemeinsamen ökonomischen Umwelt.

Den Kampf der nationalen Minderheiten an sich zum Prinzip zu erheben ist folglich eine Entstellung der kommunistischen Auffassung. Die Beurteilung, ob ein solcher Kampf revolutionäre Möglichkeiten oder reaktionäre Entwicklungen einschliesst, hängt von ganz anderen Kriterien ab.

11. Russische Fragen (1926)

Die Bedeutung der neuen ökonomischen Politik des russischen Staates, so wie sie vor allem aus der Rede Lenins von 1921 über die Naturalsteuer und aus dem Bericht Trotzkis auf dem V. Weltkongress hervorgeht, steht in der Komintern ausser Frage. Aufgrund der Vorbedingungen der russischen Wirtschaft und der Tatsache, dass in den anderen Ländern die Bourgeoisie weiterhin an der Macht bleibt, konnte die marxistische Perspektive der Entwicklung der Weltrevolution und des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft nicht anders gestellt werden.

Die grossen Schwierigkeiten der russischen Staatspolitik bei den inneren Beziehungen zwischen den sozialen Kräften, bei den Problemen der Produktivtechnik und bei den Beziehungen zum Ausland haben in der Folge zu Uneinigkeiten innerhalb der Russischen Kommunistischen Partei geführt. Bezüglich dieser Uneinigkeiten ist vor allem zu bedauern, dass die internationale kommunistische Bewegung nicht in der Lage gewesen ist, sich tiefgehender und massgebender darüber auszusprechen.

In der ersten Diskussion mit Trotzki waren seine Betrachtungen über das interne Partei leben und über deren neuen Kurs ohne Zweifel richtig, so wie seine Betrachtungen über den Verlauf der ökonomischen Politik des Staates in ihrem Ganzem betrachtet klar proletarisch und revolutionär waren. Nicht weniger gerechtfertigt waren in der zweiten Diskussion die Betrachtungen Trotzkis über die Fehler der Internationale und seine Beweisführung, dass die in der Kominternführung vorherrschenden Kriterien nicht der besten bolschewistischen Tradition entsprechen.[7]

Dank der bekannten Methode, eine anti-fraktionistische und, schlimmer noch anti-bonapartistische, absolut jeder Grundlage entbehrende Einschüchterung in den Vordergrund zu stellen, führte die Debatte innerhalb der Partei zu unangemessenen und künstlichen Folgen. Was die kürzlich erfolgte Diskussion anbelangt, muss man sich vor allem darüber im klaren sein, dass es um Fragen internationaler Natur geht. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Russischen Kommunistischen Partei darüber einen Beschluss gefasst hat, kann nicht als Argument gegen die Diskussion und die Entscheidung dieser Frage durch die Internationale dienen. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass die geschlagene russische Opposition auf einen Appell an die Internationale verzichtete.

Wie in anderen Fällen wird die wesentliche Frage durch Fragen der Prozedur und der Disziplin erstickt. Es geht nicht um die Verteidigung von verletzten Rechten einer Minderheit, die – wenigstens auf der Ebene ihrer Führer – die Verantwortung für die vielen internationalen Fehler teilt. Es geht vielmehr um lebenswichtige Fragen der Weltbewegung.

Die russische Frage muss zwecks einer umfassenden Erörterung vor die Internationale gebracht werden. Die Frage muss in folgenden Grundzügen angegangen werden: in der gegenwärtigen russischen Wirtschaft treffen laut Lenin vorbürgerliche, bürgerliche, staatskapitalistischen und sozialistische Elemente zusammen. Was die Produktionszielsetzung betrifft, die sich in den Händen des politisch proletarischen Staates befindet, ist die verstaatlichte Grossindustrie sozialistisch. Die Verteilung ihrer Erzeugnisse erfolgt jedoch in kapitalistischer Form, d. h. über den freien, konkurrenzmässigen Markt.

Man kann im Prinzip nicht ausschliessen, dass dieses System nicht nur, wie es bereits tut, die Arbeiter in einer keineswegs blühenden wirtschaftlichen Lage hält, die vom Proletariat dank des erworbenen revolutionären Bewusstseins akzeptiert wird, sondern sich sogar in Richtung einer Steigerung der Mehrwertauspressung entwickelt. Das kann durch die Lebensmittelpreise erfolgen sowie durch die Preise, die der Staat zahlen muss, bzw. durch die Bedingungen, die er beim Kauf, bei den Konzessionen, im Handel und in allen anderen Beziehungen mit dem ausländischen Kapital erhält. So muss man sich fragen und herausfinden, ob es einen Fortschritt oder einen Rückschritt der sozialistischen Elemente in der russischen Wirtschaft gibt, und dieses Problem ist auch ein Problem der technischen Leistungsfähigkeit und der guten Organisation der Staatsindustrie [8].

Es ist unmöglich, in einem einzelnen Land den sich auf Produktion und Verteilung, auf Industrie und Landwirtschaft erstreckenden, vollständigen Sozialismus aufzubauen. Eine fortschreitende Entwicklung der sozialistischen Elemente in der russischen Wirtschaft kann man hingegen für möglich halten, d. h. es ist möglich, dass der konterrevolutionäre Plan scheitert, der innenpolitisch auf die reichen Bauern, die neue Bourgeoisie und das Kleinbürgertum, aussenpolitisch auf die imperialistischen Mächte setzt. Dieser Plan kann die Gestalt eines Angriffs von innen und aussen annehmen. Er kann sich aber genauso durchsetzen in Form einer fortschreitenden Sabotage und Beeinflussung des russischen Sozial- und Staatslebens, um es zu einer fortschreitenden Rückbildung und einer Entproletarisierung seines Wesens zu zwingen. In beiden Fällen ist eine enge Zusammenarbeit und der Beitrag aller Parteien der Internationale eine wesentliche Bedingung für den Erfolg der sozialistischen Elemente.

Es geht vor allem darum, dem proletarischen Russland und der Russischen Kommunistischen Partei die aktive und energische Unterstützung der proletarischen Vorhut vor allem in den imperialistischen Ländern zu sichern, nicht nur um die Angriffe zu verhindern und auf die Beziehungen der bürgerlichen Staaten mit Russland einen Druck auszuüben, sondern hauptsächlich weil es nötig ist, dass der russischen Partei bei der Lösung ihrer Probleme Beistand geleistet wird von den Schwesterparteien, die zwar keine direkte Erfahrung mit den Regierungsproblemen besitzen, dennoch zu deren Lösung beitragen werden, indem sie einen proletarischen und revolutionären Koeffizienten hinzufügen, der direkt von der Wirklichkeit des Klassenkampfes in ihren Ländern herrührt.

Die internen Verhältnisse in der Kommunistischen Internationale werden den geschilderten Aufgaben nicht gerecht. Dringende Änderungen sind in diesem Zusammenhang nötig. Vor allem müssen diese Änderungen in entgegengesetzter Richtung zu den organisatorischen, taktischen und politischen Übertreibungen der sogenannten Bolschewisierung laufen.

III. Italienische Fragen

1. Die Lage in Italien (1926)

Falsch sind die Einschätzungen der italienischen Lage, in denen die Erwägungen über die ungenügende Entwicklung des Industriekapitalismus eine entscheidende Rolle spielen.

Der geringen Ausdehnung des italienischen Kapitalismus im quantitativen Sinn und seiner relativ späten historischen Entwicklung stellt sich eine Reihe anderer Umstände entgegen, die dazu führten, dass zur Zeit des Risorgimento (italienische Befreiung und nationale Einheit) die gesamte politische Macht fest in die Hände der Bourgeoisie übergehen konnte. Diese Bourgeoisie kann auf eine reiche und vielseitige Regierungstradition zurückblicken.

Es ist nicht möglich, die politischen Gegensätze, die den Kampf zwischen den italienischen Parteien (wie z. B. zwischen den klassischen Rechten und Linken, den Klerikalen und Freimaurern, der Demokratie und dem Faschismus) historisch charakterisieren, auf den sozialen Unterschied zwischen Grossgrundbesitzern und Kapitalisten oder zwischen Gross- und Kleinbourgeoisie systematisch zurückzuführen.

Die faschistische Bewegung ist als ein Versuch politischer Vereinigung der auseinandergehenden Interessen der verschiedenen bürgerlichen Gruppen zu konterrevolutionären Zwecken zu verstehen. Gleichzeitig von Grossgrundbesitz, Industrie, Handel und Banken, kurzum von allen oberen Klassen direkt gefördert und herbeigewünscht, vom traditionellen Staatsapparat, von der Dynastie, der Kirche und den Freimaurern entscheidend unterstützt, hat der Faschismus mit dem genannten Ziel die zersetzten sozialen Elemente der Mittelklassen mobilisiert und in einem engen Bündnis mit allen bürgerlichen Elementen gegen das Proletariat geschleudert.

Was in Italien geschehen ist, darf man weder als die Machtergreifung seitens einer neuen sozialen Schicht auslegen, noch als Bildung eines neuen Staatsapparates mit ureigener Ideologie und ureigenem Programm, noch schliesslich als Niederlage eines Teils der Bourgeoisie, dessen Interessen besser mit der Anwendung liberaler und parlamentarischer Methoden übereinstimmen würden. Die Liberalen, die Demokraten, Giolitti und Nitti, sind die Hauptpersonen einer konterrevolutionären Phase des Kampfes, die mit der faschistischen dialektisch verbunden ist und für die Niederlage des Proletariats entscheidend war. In der Periode nach dem Krieg und nach der Abrüstung, als die herrschende Klasse und alle ihre Organe für einen frontalen Abwehrkampf nicht bereit waren, ermöglichte die Politik der Konzessionen – unter Mitwirkung von Reformisten und Maximalisten (Zentristen) – den bürgerlichen Widerstand und die Ablenkung des proletarischen Drucks.

Der Faschismus, der in jener Periode von Regierungen, Bürokratie, Polizei, Gerichten, Heer usw. direkt begünstigt wurde, hat daraufhin das alte politische Personal der Bourgeoisie vollständig ersetzt. Die Tatsache darf jedoch nicht irreführen und noch weniger dazu verleiten, jene Parteien und Gruppen zu rehabilitieren: sie wurden allein deswegen entfernt, weil sie eine ganze Etappe ihrer antiproletarischen Aufgabe nunmehr erledigt hatten, und keineswegs weil sie der Arbeiterklasse günstige Bedingungen geboten hätten.

2. Politische Orientierung der kommunistischen Linken

Im Verlauf der besagten Situationen bewegte sich die Gruppe, die die Bildung der kommunistischen Partei herbeigeführt hat, mit folgenden Kriterien: Bruch mit dem illusorischen Dualismus, den die Bourgeoisie in ihrem parlamentarischen und politischen Leben vorführt und Festhalten am revolutionären Klassengegensatz; Ausmerzung in den Reihen des Proletariats der Illusion, dass die Mittelklassen fähig seien, einen politischen Generalstab hervorzubringen, die Macht zu ergreifen und dem Sieg des Proletariats den Weg zu ebnen; Vertrauen der Arbeiterklasse in ihre eigene historische Aufgabe, was durch eine Vorbereitung erlangt wird, die im Aufeinanderfolgen der Situationen auf eigenen und unabhängigen, eng zusammenhängenden kritischen, politischen und taktischen Positionen beruht.

Die Traditionen dieser Politik erkennt man bereits vor dem Krieg in der Linken der sozialistischen Partei. Seit den Kongressen von Reggio Emilia (1912) und Ancona (1914) bildete sich nicht nur eine Mehrheit, die in der Lage war, sich dem reformistischen und zugleich dem syndikalistischen Fehler (letzterer hatte bis dahin die proletarische Linke gekennzeichnet) zu widersetzen, sondern innerhalb dieser Mehrheit zeichnete sich eine extreme Linke ab, die nach immer radikaleren proletarisch-revolutionären Lösungen strebte. So wichtige Klassenprobleme wie die Wahltaktik, die Beziehungen zu den Gewerkschaften, der Kolonialkrieg und die Freimaurerei, konnten somit eine richtige Lösung finden.

Obwohl die ganze, oder fast die ganze Partei sich gegen eine Politik der Kriegskollaboration stellte, trat während des Weltkrieges das Wirken einer klar abgezeichneten extremen Linke noch deutlicher hervor. Auf den Tagungen von Bologna (Mai 1915), Rom (Februar 1917), Florenz (November 1917) und auf dem Kongress von Rom im Jahre 1918 vertrat diese Linke leninistische Richtlinien wie die Ablehnung der nationalen Verteidigung, den revolutionären Defätismus, die Ausnutzung der Niederlage für den Machtkampf, den ununterbrochenen Kampf gegen die gewerkschaftlichen und parlamentarischen opportunistischen Führer sowie die Forderung, diese von der Partei auszuschliessen.

Die Positionen der extremen Linke führten sofort nach dem Krieg zur Erscheinung der Zeitung »Il Soviet«. Hier wurden zum ersten Mal in Italien die Direktiven der russischen Revolution dargelegt und gegen antimarxistische, opportunistische, syndikalistische und anarchistische Entstellungen verteidigt. Die wesentlichen Fragen der proletarischen Diktatur und der Rolle der Partei wurden korrekt und konsequent gestellt; von Anfang an wurde die Spaltung der sozialistischen Partei verfochten.

Diese Gruppe vertrat den Wahlboykottismus und ihre diesbezügliche Schlussfolgerungen wurden vom II. Kongress der Internationale abgelehnt.[9] Ihr Wahlboykottismus ging jedoch nicht von antimarxistischen theoretischen Fehlern anarchosyndikalistischer Art aus, wie die energischen Polemiken gegen die anarchistische Presse bezeugen. Erstens war die Taktik des Wahlboykotts für das politische Milieu der vollständigen parlamentarischen Demokratie gedacht, wo besondere Schwierigkeiten bei der Gewinnung der Massen für das richtige Bewusstsein der Losung der Diktatur des Proletariats entstehen; unserer Meinung nach werden diese Schwierigkeiten übrigens nach wie vor von der Internationale ungenügend beachtet. Zweitens wurde der Wahlboykottismus nicht als eine für alle Zeiten gültige Taktik vorgeschlagen, sondern für die, heute leider vorübergegangene, allgemeine Situation des Bevorstehens grosser Kämpfe und des Aufmarsches der grössten proletarischen Massen.

Mit den Wahlen von 1919 öffnete die bürgerliche Regierung Nitti ein riesiges Ventil für den proletarischen Druck, lenkte den Vorsturm des Proletariats und die Aufmerksamkeit der Partei ab, indem sie deren Tradition des hemmungslosen Wahlfimmels ausnutzte. Der Wahlboykottismus des »Il Soviet« war damals die einzig richtige Reaktion gegen die wahren Ursachen der darauffolgenden proletarischen Katastrophe.

Auf dem folgenden Kongress von Bologna (Oktober 1919) stellte die wahlboykottistische Minderheit als einzige die Frage der Trennung von den Reformisten in der richtigen Weise und suchte umsonst ein Einverständnis mit einem Teil der Maximalisten; zu diesem Zweck hat sie sogar auf die Vorbedingung des Wahlboykottismus verzichtet. Nach dem Misslingen dieses Versuchs blieb die wahlboykottistische Fraktion bis zum II. Weltkongress auf nationaler Ebene die einzige, die an der Bildung der kommunistischen Partei arbeitete.

Diese Gruppe bildete also die bewusste Verkörperung der spontanen Bewegung des linken Flügels des italienischen Proletariats, der sich aufgrund der eigenen Erfahrungen und Traditionen dieselben Richtlinien zu eigen machte, die gleichzeitig mit dem Sieg Lenins und des Bolschewismus in Russland triumphierten.

3. Die Tätigkeit der linken Zentrale

Nach der Gründung der kommunistischen Partei in Livorno (Januar 1921) bemühten sich die Wahlboykottisten aufs äusserste, eine enge Bindung zu den anderen Gruppen der Partei herzustellen. Wenn für einige dieser Gruppen nur die Frage der internationalen Beziehungen ausschlaggebend war für die Trennung von den Opportunisten, so gab es bei den Wahlboykottisten, die inzwischen aus Disziplingründen ausdrücklich auf ihre Position zu den Wahlen verzichtet hatten, eine vollständige Übereinstimmung zwischen den Thesen der Internationale und den Lehren der eigenen vorhergehenden politischen Erfahrung.

Die Parteizentrale ging bei ihrer Tätigkeit von der bereits geschilderten Einschätzung der italienischen Lage und der Aufgaben des Proletariats aus. Es ist nunmehr unbestritten, dass die Verspätung bei der Gründung der revolutionären Partei – für die alle anderen Gruppen verantwortlich waren – den folgenden Rückzug des Proletariats unvermeidlich machte und sogar unentrinnbar determiniert hat.

Um in den darauffolgenden Kämpfen die bestmöglichen Positionen für das Proletariat zu sichern, stellte sich die Zentrale auf den Standpunkt, dass man alle Anstrengungen machen müsse, um den traditionellen Apparat der roten Gewerkschaftsorganisationen zu benutzen, dass es jedoch nötig sei, das Proletariat davon zu überzeugen, nicht mit den Maximalisten und Reformisten zu rechnen, die so weit gingen, den Friedenspakt mit den Faschisten zu akzeptieren.[10]

Die Partei stellte von Anfang an die Forderung der gewerkschaftlichen Einheit und machte dann den zentralen Vorschlag der Einheitsfront, der in der Bildung der Alleanza del Lavoro (Arbeiterallianz) gipfelte. Abgesehen von den Meinungen über die politische Einheitsfront im allgemeinen, steht es fest, dass diese in der italienischen Situation von 1921–22 undurchführbar war und dass die kommunistische Partei nie eine Einladung zu einer Versammlung erhielt, auf der ein Bündnis der Parteien gegründet werden sollte. An der von den Eisenbahnern einberufenen Versammlung zur Bildung des gewerkschaftlichen Bündnisses nahm die Partei nicht teil, um Manöver zu vereiteln, die die Entstehung des Bündnisses kompromittieren und die Verantwortung dafür auf die Partei schieben wollten. Die Partei unterstrich aber den vorbehaltlosen Charakter ihrer Mitwirkung bei dieser Initiative und die Disziplin der Kommunisten gegenüber dem neuen Organ. Später gab es jedoch mit den politischen Parteien Kontakte, die die kommunistische Partei also keineswegs verweigerte. Das Scheitern dieser Gespräche bewies die Unmöglichkeit eines Einverständnisses auf der Ebene der Politik und der Aktion sowie den Defätismus aller anderen Gruppen. Auch während des Rückzugs wusste die Partei das Vertrauen der Arbeiter zu der eigenen Klasse zu sichern und das politische Bewusstsein der Vorhut zu steigern, indem sie rechtzeitig den traditionellen Manövern von pseudorevolutionären Grüppchen und Parteien in Richtung des Proletariats den Weg abschnitt. Trotz der Anstrengungen der Partei gelangte man erst später (August 1922) zur allgemeinen Aktion; die proletarische Niederlage war aber unvermeidlich. Bereits von da an war der Faschismus, im gewaltsamen Kampf von den Kräften des liberal-demokratisch geführten Staates offen unterstützt, Herr des Landes und brauchte später durch den »Marsch auf Rom« seine Vorherrschaft lediglich formell zu legalisieren.

Zu diesem Punkt und trotz des Einengens des proletarischen Aktionsfeldes behauptete sich der Einfluss der Partei und drängte Maximalisten und Reformisten zurück. Eine steigende Tendenz setzte sich also fort und bestätigte die Ergebnisse der Wahlen von 1921 und der darauffolgenden grossen Befragungen des Gewerkschaftsbundes.

4. Beziehungen zwischen der italienischen Linken und der Kommunistischen Internationale

Der Kongress von Rom (März 1922) zeichnete eine theoretische Divergenz zwischen der italienischen Linke und der Mehrheit der Internationale klar ab. Diese Divergenz war vorher von unseren Delegationen auf dem III. Weltkongress und auf der Erweiterten Exekutive vom Februar 1922 ziemlich schlecht zum Ausdruck gebracht worden. Vor allem auf dem III. Weltkongress wurden Fehler im »linksradikalen« Sinn effektiv begangen. Die »Thesen von Rom« waren die glückliche theoretische und politische Liquidierung jeglicher Gefahr von Linksopprtunismus in der italienischen Partei.

Hinsichtlich der Parteipraxis bestand die einzige Divergenz mit der Internationale in der Taktik gegenüber den Maximalisten. Diese Divergenz schien jedoch durch die einheitlichen Ergebnisse des sozialistischen Kongresses vom Oktober 1921 überwunden.

Die »Thesen von Rom« wurden nicht als eine unmittelbare Aktionslinie sondern als Beitrag der Partei zu den Beschlüssen der Internationale angenommen; dies wurde auf der Erweiterten Exekutive von 1922 von der Zentrale bestätigt. Aus Disziplin und aufgrund einer Entscheidung der Internationale wurde aber keine theoretische Diskussion eröffnet.

Im August 1922 entsprach die Einschätzung der Lage durch die Internationale nicht den von der Parteizentrale empfohlenen Richtlinien. Die Internationale war vielmehr der Meinung, dass die italienische Lage im Sinn einer verminderten Widerstandsfähigkeit des Staates unbeständig wäre; sie beabsichtigte, die Partei durch eine Verschmelzung mit den Maximalisten zu stärken. Hierbei betrachtete sie als entscheidenden Faktor nicht die Lehren, die die Partei aus dem breiten Manöver des Auguststreiks gezogen hatte, sondern die Spaltung zwischen Maximalisten und Einheitssozialisten.

Von diesem Moment an gehen die beiden politischen Linien definitiv auseinander. Auf dem V. Weltkongress (Dezember 1922) stellte sich die linke Zentrale unserer Partei gegen die vorwiegende These. Als die Delegierten nach Italien zurückkehrten, lehnte die Zentrale einstimmig ihre Verantwortung für den Zusammenschluss mit den Maximalisten, für den ein Ausschuss gebildet wurde, ab, obwohl sie natürlich ihre eigenen und administrativen Funktionen beibehielt. Dann kamen im Februar 1923 die Verhaftungen und die grosse Offensive gegen die Partei; schliesslich wurde im Juni 1923 auf der Erweiterten Exekutive die alte italienische Zentrale abgesetzt und durch eine andere, gänzlich verschiedene ersetzt.[11] Unter solchen Umständen war der Rücktritt eines Teiles der Mitglieder der Zentrale ganz einfach eine logische Folgerung. Eine beratende Konferenz der Partei gab der Linken noch im Mai 1924 eine erdrückende Mehrheit gegen die Mitte und die Rechte. So war die Situation am Vorabend des V. Weltkongresses.

5. Ordinovismus als Tradition der jetzigen Zentrale

Die Gruppe »Ordine Nuovo«[12] entstand in Turin unter einigen Intellektuellen, die sich mit den proletarischen Massen der Industrie in Verbindung setzten, als die wahlboykottistische Fraktion in dieser Stadt bereits eine breite Anhängerschaft hatte. In der Ideologie jener Gruppe herrschten bürgerliche, idealistische, von Croce beeinflusste philosophische Anschauungen vor, welche natürlich in einem Änderungsprozess begriffen waren und sind. Erst sehr spät und mit ihren Ursprungsfehlern behaftet beschäftigte sich diese Gruppe mit den kommunistischen Richtlinien. Erst viel zu spät für eine nutzbringende Anwendung auf den Kampf des italienischen Proletariats hat diese Gruppe die Bedeutung der russischen Revolution verstanden.

Im November 1917 veröffentlichte Genosse Gramsci im »Avanti!« einen Artikel, in dem er behauptete, die russische Revolution hätte den historischen Materialismus von Marx und die Theorien des »Kapitals« widerlegt, und gab eine wesentlich idealistische Erklärung der russischen Ereignisse. Die Strömung der extremen Linke, zu der auch die Jugendorganisation gehörte, griff sofort gegen diesen Artikel ein.

Die weitere Entwicklung der Ideen der ordinovistischen Gruppe ging – wie aus den Veröffentlichungen des »Ordine Nuovo« hervorgeht – in Richtung einer nicht marxistischen und nicht leninistischen Theorie der Arbeiterbewegung. Falsch angesetzt sind in dieser Theorie die Fragen der Funktion der Gewerkschaften und der Partei, des bewaffneten Kampfes, der Machteroberung und des Aufbaus des Sozialismus. Man konstruierte hingegen den Gedanken eines nicht »freiwilligen« sondern »notwendigen« Organisationssystems der Arbeiterklasse, das mit dem Netz des kapitalistischen Produktionsapparates lückenlos zusammenwächst. Dieses System geht vom Abteilungsdelegierten über den Betriebsrat und gipfelt gleichzeitig in der proletarischen und kommunistischen Internationale, im Sowjet und im Arbeiterstaat: letzterer würde somit durch dieses System bereits vor dem Sturz der kapitalistischen Macht existieren. Damit aber nicht genug: durch die Kontrolle über die Produktion soll dieses System noch im bürgerlichen Zeitalter die Funktion des Aufbaus der neuen Wirtschaft übernehmen.

Alle Merkmale dieser Ideologie mit nicht-marxistischem Charakter – Utopismus, Syndikalismus mit Proudhonschem Beigeschmack, ökonomischer Gradualismus vor der Machteroberung, d. h. Reformismus wurden dem Anschein nach aufgegeben, um nach und nach den völlig anderen Theorien Lenins Platz zu machen. Die Bedingung für eine nicht fiktive und nicht oberflächliche Aneignung des Leninismus wäre aber gewesen, dass sich die Gruppe »Ordine Nuovo« nicht gegnerisch gegen die andere Gruppe abgekapselt hätte, die – wie wir bewiesen haben auf eine linke Tradition der Übereinstimmung mit dem Bolschewismus zurückblicken konnte und einen ernsthaften Beitrag auf der Grundlage der proletarischen Klassenerfahrung – und nicht von akademischen Grübeleien über bürgerlichen Büchern – geleistet hatte. Das schliesst keineswegs aus, dass auch die zweite Gruppe im Rahmen dieser engen Zusammenarbeit, die zu früh abgebrochen wurde, hätte lernen und sich verbessern können. Unter diesen Umständen hat es einen ironischen Beigeschmack, wenn die ordinovistischen Führer nun mit mechanischen, bürokratischen und Klatschtantenmitteln gerade diejenigen bolschewisieren wollen, die in Wirklichkeit diesen Ordinovisten den bolschewistischen Weg im ernsten und marxistischen Sinn des Wortes gezeigt haben.

Bis kurz vor dem Weltkongress von 1920 war die Gruppe »Ordine Nuovo« gegen die Spaltung der alten Partei und hat alle gewerkschaftlichen Fragen falsch gestellt. Der Vertreter der Internationale in Italien war gezwungen, mit ihnen über die Fragen der Betriebsräte und der verfrühten Bildung von Sowjets eine scharfe Polemik zu führen.

Im April 1920 verabschiedete die Sektion von Turin die bekannten, vom Genossen Gramsci verfassten und von dem aus Ordinovisten und Wahlboykottisten zusammengesetzten Ausschuss angenommenen Thesen des »Ordine Nuovo«. Diese in den Beschlüssen des II. Weltkongresses zitierten Thesen drückten in Wirklichkeit – abgesehen von der Meinungsverschiedenheit bezüglich der Wahlbeteiligung – den gemeinsamen Gedanken der in Bildung begriffenen kommunistischen Fraktion aus; ihr Inhalt bestand nicht in der besonderen Konstruktion des »Ordine Nuovo«, sondern vielmehr in den viel früher von der linken Gruppe der Partei mit absoluter Klarheit akzeptierten Punkten.

Eine Zeitlang schlossen sich die Ordinovisten den Positionen der Linke gegenüber der Internationale an, in Wirklichkeit jedoch differenzierte sich ihr Denken von den »Thesen von Rom«, obwohl sie es für angebracht hielten, für diese Thesen zu stimmen.

Der wahre Vorläufer der heutigen Zustimmung des »Ordine Nuovo« zur Taktik und zur allgemeinen Linie der Internationale war Genosse Tasca, der die Opposition gegen die Linke auf dem Kongress von Rom anführte.

Angesichts der Wesenszüge der Gruppe »Ordine Nuovo«, ihres Partikularismus und »Konkretismus«, alles in Wirklichkeit Ergebnis der idealistischen und bürgerlichen Ideologie, und angesichts der Tatsache, dass die Führungsmethode der Internationale oberflächlichen und unvollständigen Zustimmungen freie Hand lässt, muss man zur Überzeugung gelangen, dass die theoretische Zustimmung der Ordinovisten zum Leninismus trotz der lautstarken Orthodoxie-Erklärungen nicht viel mehr Wert ist als ihre damalige Zustimmung zu den »Thesen von Rom« – und das ist von entscheidender Wichtigkeit für die sich wirklich vorbereitenden politischen Entwicklungen.

6. Die politische Tätigkeit der heutigen Parteizentrale

Von 1923 bis heute hat die Tätigkeit der Parteizentrale – selbst wenn man sich die schwierige Situation vor Augen hält, in der sie sich abspielen musste – zu Fehlern geführt, die sich im wesentlichen an diejenigen anknüpfen, auf die wir bezüglich der internationalen Frage hingewiesen haben; zum Teil verschlimmerten sich diese Fehler jedoch wesentlich, gerade aufgrund der angeborenen Abweichungen der ordinovistischen Konstruktion.

Die Teilnahme an den Wahlen von 1924 war eine äusserst glückliche politische Entscheidung; das gleiche kann man jedoch nicht von dem zuerst den sozialistischen Parteien gemachten Vorschlag der gemeinsamen Aktion sagen, und noch weniger von seiner darauffolgenden Verschleierung unter dem Etikett »proletarische Einheit«; ebenso bedauernswert war die übermässige Toleranz gegenüber gewissen Wahlmanövern der »Terzini«.[13] Noch schwierigere Probleme entstanden bei der Krise infolge der Ermordung Matteottis.

Die Politik der Zentrale gründete auf der absurden Annahme, dass die Schwächung des Faschismus zuerst die Mittelklassen und erst hinterher das Proletariat in Bewegung gesetzt hätte. Das bedeutet einerseits Mangel an Vertrauen in die Fähigkeiten des Proletariats, welche dennoch unter dem erstickenden Unterdrückungsapparat des Faschismus wach geblieben waren, andererseits eine Überschätzung des Initiativvermögens der Mittelklassen. Abgesehen von der Eindeutigkeit der diesbezüglichen theoretischen Position des Marxismus erbringt die zentrale Lehre der italienischen Erfahrung gerade den Beweis, dass die Mittelstände sich verschieben lassen und sich passiv dem Stärkeren anschliessen: 1919–20 dem Proletariat; 1921–22–23 dem Faschismus; nach einer Periode geräuschvoller und beträchtlicher Aufregung in den Jahren 1924–25, heute wieder dem Faschismus.

Die Zentrale beging einen Fehler, indem sie das Parlament verliess und an den ersten Versammlungen des »Aventin«[14/2] teilnahm. Sie hätte dagegen im Parlament bleiben müssen, mit einer politischen Erklärung die Regierung angreifen und sofort gegen die verfassungshörigen und moralischen Voraussetzungen des »Aventin«, der für den Ausgang der Krise zugunsten des Faschismus effektiv ausschlaggebend war, stellungnehmen müssen. Es ist nicht auszuschliessen, dass es für die Kommunisten vorteilhaft hätte sein können, das Parlament zu verlassen, jedoch mit eigener Physiognomie und nur, wenn es die Lage erlaubt hätte, die Massen zur direkten Aktion aufzurufen. Es war einer dieser Augenblicke, in denen sich die weitere Entwicklung entscheidet; der Fehler war folglich grundlegend und für die Beurteilung der Fähigkeit einer Führungsgruppe massgebend; ihm ist zu verdanken, dass sich die Arbeiterklasse zuerst die Schwächung des Faschismus und dann das aufsehenerregende Scheitern des »Aventin« kaum nutzbar machen konnte.

Wohltuend waren 1924 der Wiedereintritt in das Parlament und die Erklärung von Repossi, wie die Zustimmungswelle des Proletariats bewies; es war aber zu spät. Die Zentrale schwankte lange hin und her und entschied sich nur unter dem Druck der Partei und der Linke. Die Vorbereitung der Partei fand auf der Grundlage farbloser Anweisungen und einer geradezu unglaublich falschen Lageeinschätzung statt (Bericht Gramscis vor dem Zentralkomitee, August 1924). Die Vorbereitung der Massen wurde nicht auf die Aussicht des Scheiterns sondern eines Sieges des »Aventin« ausgerichtet. Sie wurde in jeder Hinsicht dadurch noch verschlechtert, dass die Partei den anderen Oppositionsparteien den Vorschlag machte, ein Gegenparlament zu bilden. Diese Taktik entfernte sich überhaupt von den Beschlüssen der Internationale, die nie Vorschläge an rein bürgerliche Parteien in Betracht gezogen haben; ausserdem war es ein Vorschlag, der von dem Boden der kommunistischen Prinzipien und Politik sowie von dem der marxistischen Geschichtsauffassung wegführte. In der historischen Perspektive unseres Programms gibt es nur eine einzige Grundlage für einen Gegenstaat: Die Organe der ausschliesslichen Vertretung der Arbeiterklasse, die Sowjets. Da hilft kein Erklärungsversuch der Zentrale über die ursprünglichen Zwecke und Absichten ihres Vorschlags: Abgesehen davon, dass solche Erklärungen auf jeden Fall äusserst geringen Widerhall gefunden hätten, bleibt die Tatsache, dass die Zentrale den Massen die Illusion eines parlamentarischen Gegenstaates, der sich dem traditionellen Staatsapparat entgegenstellt und ihn bekämpft, gegeben hat.

Die Losung des Gegenparlaments, die sich im ganzen Land auf die Arbeiter- und Bauernkomitees stützte, bedeutete soviel wie die ganze Führung des Proletariats in die Hände von Spitzenfiguren kapitalistischer Gesellschaftsgruppen wie Amendola, Agnelli, Albertini usw. zu legen.

Abgesehen von der Gewissheit, dass eine solche Situation – die man nur mit dem Ausdruck Verrat bezeichnen könnte – in der Praxis nicht eintreten würde, genügt schon die Tatsache, dass sie als Perspektive eines kommunistischen Vorschlags ausgegeben wurde, um einen Bruch der Prinzipien und eine Schwächung der proletarischen Vorbereitung festzustellen.

Die Einzelheiten der Tätigkeit der Zentrale geben Anlass zu weiteren Kritiken. Allzu häufig wiederholten sich Losungen, die – von einer Verwirklichung ganz zu schweigen – nicht einmal einer ernsthaften, ausserhalb des Parteiapparates sichtbaren Agitation entsprachen. Die zentrale Losung der Arbeiter- und Bauernkomitees mit ihren sich widersprechenden und verdrehten Erklärungen wurde weder verstanden noch befolgt.

7. Gewerkschaftliche Tätigkeit der Partei

Ein weiterer schwerwiegender Fehler wurde beim Metallarbeiterstreik im März 1925 begangen. Die Zentrale begriff nicht, dass die Enttäuschung des Proletariats über den »Aventin« ein allgemeines Aufleben der Klassenaktion in Form einer Streikwelle voraussehen liess. Hätte die Zentrale das verstanden, wäre es möglich gewesen, die FIOM[15] – die man bereits dazu mitgerissen hatte, in den von den Faschisten begonnenen Streik einzugreifen – entschieden weiter zu stossen bis zum nationalen Streik, und zwar durch Bildung eines Metallarbeiter-Agitationskomitees auf der Grundlage der lokalen Organisationen, die überall im Land geschlossen zum Streik bereit waren.

Die gewerkschaftliche Linie der Zentrale entsprach nicht klar der Losung der gewerkschaftlichen Einheit im Italienischen Gewerkschaftsbund; trotz seiner organisatorischen Auflösung hätte man dieser Losung treu bleiben müssen. Was die Aktion in den Betrieben anbelangt, litten die gewerkschaftlichen Weisungen der Partei unter ordinovistischen Fehlern. Man hat in den Betrieben nicht nur vielfältige und widersprüchliche Organe gebildet oder vorgeschlagen, sondern oft Losungen gegeben, die die Gewerkschaft und ihre Notwendigkeit als Organisation des proletarischen Kampfes herabsetzten.

Das ursprüngliche Abkommen in der FIAT in Turin war eine Folge dieses Fehlers, der auch zu der verschwommenen Richtlinie bei den Betriebswahlen führte: Hier hat man die Frage, ob die Taktik der Klassenlisten oder der Parteilisten einzuschlagen sei falsch, d. h. nicht auf der Ebene der Gewerkschaften gestellt.

8. Tätigkeit der Partei in der Agrar- und Nationalfrage

Gerechtfertigt war in der Agrarfrage die Parole der Bildung von Bauernverteidigungsvereinen; diese wurde jedoch viel zu sehr mit einer ausschliesslich von oben und mittels eines Parteibüros durchzuführenden Arbeit verwechselt.

Trotz der schwierigen Lage muss man hier auf die Gefahr einer bürokratischen Auffassung unserer Aufgaben hinweisen, was auch für die restliche Tätigkeit der Partei gilt.

Die richtigen Beziehungen zwischen Bauernvereinen und Arbeitergewerkschaften müssen klar festgelegt werden in dem Sinne, dass die landwirtschaftlichen Lohnarbeiter einen Verband bilden, der sich dem Gewerkschaftsbund anschliesst, während zwischen diesem und dem Bauernverteidigungsverein ein enges Bündnis auf zentraler und lokaler Ebene bestehen muss.

In der Agrarfrage muss eine regionalistische oder auf Süditalien gemünzte Auffassung vermieden werden; einige Tendenzen in dieser Richtung sind nämlich bereits aufgetreten. Das gleiche gilt auch für die Frage der von einigen neuen Parteien geforderten regionalen Autonomie. Diese Parteien sind offen als reaktionär zu bekämpfen, anstatt mit ihnen trügerische Verhandlungen in die Wege zu leiten.

Ungünstige Resultate hat die Taktik ergeben, ein Bündnis mit dem linken Flügel der Volkspartei (Miglioli) und mit der Bauernpartei zu sichern.[16]

Hier hat man erneut Politikern, die jeder Klassentradition fernstehen, Konzessionen gemacht, ohne die erwünschte Verschiebung der Massen zu erreichen; man hat dabei Teile der Parteiorganisation oft verwirrt. Falsch ist auch die Überschätzung des Manövers unter den Bauern zwecks einer hypothetischen politischen Kampagne gegen den Einfluss des Vatikans; das Problem stellt sich zweifellos, diese ist aber nicht die geeignete Lösung.

9. Organisatorische Arbeit der Zentrale

Die Arbeit der Neuorganisation der Partei nach der faschistischen Offensive war ohne Zweifel reich an guten Resultaten. Die Organisationsarbeit behielt jedoch zu sehr einen technischen Charakter und beruhte fast ausschliesslich auf dem Eingriff des zentralen Apparats. Stattdessen hätte man die Zentralisierung durch klare und einheitliche Statutennormen sichern sollen, die auf jeden Genossen oder auf jedes lokale Komitee anwendbar wären. Man wäre weiter gekommen, wenn man den Basisorganisationen vor allem in den günstigeren Situationen dieser Periode erlaubt hätte, zur Wählbarkeit ihrer eigenen Komitees zurückzukehren.

Die Ergebnisse des »Rekrutierungsmonats« und die Vorteile einer solchen Initiative wurden überschätzt.[17] Das zahlenmässige Anwachsen der Partei und der darauffolgende Rückgang sowie die Leichtfertigkeit, mit der viele Elemente, die während der Matteotti-Krise ebenso leichtfertig gekommen waren, sich heute wieder entfernen, beweisen nur, wie solche Entwicklungen vom Wandel der Situationen abhängen und nicht von der angeblich wohltuenden Wirkung einer Änderung der allgemeinen Orientierung.

Bezüglich der Zellenorganisation musste die Zentrale sich natürlich an die allgemeinen Anweisungen der Komintern halten, über die anderorts die Rede war. Das Ganze wurde aber ungleichmässig, diskontinuierlich und mit vielen Widersprüchen in die Praxis umgesetzt; erst auf wiederholten Druck der Basis erreichte man eine gewisse Ordnung.

Es wäre wünschenswert, die interregionalen Sekretäre durch ein Inspektorenkorps zu ersetzen. Dieses sollte eine direkte, nicht so sehr technische als vielmehr politische Verbindung zwischen der Zentrale und den traditionellen Basisorganisationen der Partei, den provinziellen Verbänden, herstellen. Die Hauptaufgabe der Inspektoren müsste vor allem darin bestehen, aktiv einzugreifen, wo es nötig ist, die Kernorganisation der Partei wieder aufzubauen, um sie dann zu überwachen und zu unterstützen, bis ein normales Funktionieren wieder von alleine gewährleistet wird.

10. Das Handeln der Zentrale in der Frage des Fraktionismus

Die Kampagne, die in der Vorbereitung dieses Kongresses gipfelte, hatte nicht den Charakter einer Propagandaarbeit, zielte nicht auf eine Verarbeitung der Richtlinien der Internationale in der ganzen Partei ab, um auf diesem Wege einen echten und nutzbringenden Fortschritt in der Bildung des kollektiven Bewusstseins herbeizuführen. Im Gegenteil, sie wurde nach dem V. Weltkongress vorsätzlich als eine Agitation konzipiert, um kurzen Prozess zu machen und mit dem geringsten Aufwand zu erreichen, dass die Genossen auf ihre Zustimmung zu den Absichten der Linke verzichten. Ob eine solche Methode die Schlagkraft der Partei gegenüber ihren äusseren Feinden erhöht oder vermindert, wurde nicht gefragt; es ging im Gegenteil lediglich darum, um welchen Preis auch immer jenen parteiinternen Zweck zu erreichen.

Die Kritik an der Illusion, Fraktionsbildungen mit der Methode der autoritären Repression zu bekämpfen, wurde an anderer Stelle historisch und theoretisch begründet. Im Fall Italiens hatte der V. Weltkongress die Aufforderung der Linke angenommen, auf einen Zwang von oben zu verzichten. Der Kongress hatte auch die Verpflichtung der Linke zur Kenntnis genommen, keine Oppositionstätigkeit zu entfalten und an der gesamten Parteiarbeit, nicht jedoch an dieser politischen Leitung teilzunehmen. Dieses Übereinkommen wurde von der Zentrale gebrochen, die einen Feldzug nicht auf der Grundlage einer ideologischen und taktischen Plattform entfesselte und auf den Provinzkongressen mit verzerrt dargestellten Beschuldigungen des Disziplinbruchs gegen einzelne Genossen auftrat.

Als dieser Kongress einberufen wurde, bildete sich der Verständigungsausschuss.[19] Es war ein spontaner Versuch, die Reaktionen von Einzelnen oder Gruppen, die zu einer Zersetzung führen könnten, zu vermeiden und die Aktion aller Genossen der Linke nach einer gemeinsamen und verantwortlichen Linie zu lenken – unter strikter Beachtung der Disziplin und bei Sicherung der Stimmrechte aller Genossen. Die Zentrale hat die Gelegenheit nicht verpasst, diesen Punkt in ihren Agitationsplan aufzunehmen: Sie stellte die Linke unter dem Licht des Fraktionismus und der Parteispalterei hin und untersagte ihr solange jede Verteidigung, bis man durch Druck von oben erreicht hatte, dass die Stimmen der Provinzausschüsse gegen die Linke ausgesprochen wurden.

Doch die fraktionistische Umbesetzung des Parteiapparates und der lokalen Ämter, durch die Art und Weise, wie die Diskussionsbeiträge vorgebracht wurden und durch das Verbot einer Teilnahme der Vertreter der Linke an den Provinzkongressen breitete sich der Agitationsplan aus, um schliesslich in dem unerhörten Wahlverfahren zu gipfeln, wo die Stimmen der Abwesenden automatisch den Thesen der Zentrale zugeschrieben werden.

Welche Mehrheitsergebnisse ein solches Handeln bewerkstelligen mag: Das theoretische Bewusstsein der Partei und ihr Ansehen bei den Massen hat es nicht gefördert sondern ernsthaft lädiert. Wenn noch schlimmere Folgen vermieden wurden, so hat man das der Mässigung der Genossen der Linken zu verdanken, die diese Kanonade ertrugen, allerdings nicht weil sie sie auch nur im geringsten für gerechtfertigt hielten, sondern nur weil ihnen das Geschick der Partei am Herzen liegt.

11. Entwurf eines Arbeitsprogramms der Partei

In den vorliegenden Punkten sind die Voraussetzungen enthalten, aus denen der Linken zufolge die allgemeinen und die besonderen Aufgaben der Partei hervorgehen müssten. Es ist je doch grundsätzlich klar, dass dieses Problem nur aufgrund von internationalen Beschlüssen angegangen werden kann. Was die Linke tun kann, ist also die Grundrisse eines Aktionsprogramms zu entwerfen, das der Internationale für die Erfüllung der Aufgaben ihrer italienischen Sektion vorzuschlagen ist.

Die Partei muss das Proletariat auf die Wiederaufnahme der Klassenaktion und des Kampfes gegen den Faschismus vorbereiten. Dafür muss sie sich auf die schwerwiegenden Erfahrungen, die das Proletariat in der letzten Zeit durchgemacht hat, stützen; sie muss es gleichzeitig darauf vorbereiten, sich über die Wandlungen der bürgerlichen Politik keine Illusionen zu machen; sie muss seine Illusionen über die Möglichkeit einer Hilfe seitens der städtischen Mittelklassen zerstören und die Erfahrungen der liberal-demokratischen Periode nutzen, um eine Wiederkehr der pazifistischen Illusionen zu vermeiden.

Die Partei darf den Parteien der antifaschistischen Opposition keine Vorschläge für gemeinsame Aktionen machen; sie darf auch keine Politik der »Linksverschiebung« der Opposition als Ganzes oder der »Linksverschiebung« einzelner, sogenannter linker Parteien verfolgen.

Um die Massen um ihr Programm zu mobilisieren, wird die Partei sich eine Taktik der Einheitsfront von unten zum Ziel setzen, wobei sie die wirtschaftliche Lage aufmerksam verfolgen muss, um die unmittelbaren Forderungen zu stellen. Die Partei wird es vermeiden, die Machtübernahme seitens einer Regierung, die die Bürgerrechte garantiert, als zentrale politische Forderung zu stellen; nicht die »Freiheit für alle« wird sie als Ziel einer proletarischen Aktion stellen, sondern solche Forderungen, aus denen mit absoluter Klarheit hervorgeht, dass Freiheit für die Arbeiter nur Verletzung der Freiheit der Ausbeuter und Bourgeois heissen kann.

Die Klassengewerkschaften und die anderen Massenorganisationen des Proletariats sind heute ausgeblutet. Angesichts dieses ernsten Problems wird die Partei in erster Linie die Losung der Verteidigung und der Notwendigkeit der Wiedergeburt der traditionellen Gewerkschaften propagieren. In der Betriebsarbeit muss man vermeiden, Organisationen, die im Widerspruch zur Losung des Wiederaufbaus der Gewerkschaften geraten könnten, ins Leben zu rufen. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage muss sich die Partei dafür einsetzen, dass die Gewerkschaften in den »gewerkschaftlichen Betriebssektionen« funktionieren. Als Vertreter einer starken gewerkschaftlichen Tradition sind diese die geeignete Organisation für die Führung der Verteidigungskämpfe der Arbeiterklasse, die gerade in den Betrieben möglich sind. Man wird versuchen, die illegalen »Betriebsausschüsse«[20] durch die gewerkschaftliche Betriebssektion wählen zu lassen, um – sobald sich die Möglichkeit ergibt – wieder zu »Betriebsausschüssen« zu kommen, die von der Masse der Belegschaft gewählt werden.

Was die Organisation auf dem Lande anbelangt, gilt, was wir bezüglich der Agrarfrage bereits sagten.

Sofern alle Organisationsmöglichkeiten der proletarischen Gruppen weitgehendst ausgeschöpft wurden, soll man von der Parole der Arbeiter- und Bauernkomitees unter Beachtung folgender Kriterien Gebrauch machen:

a) Die Losung zur Bildung von »Arbeiter- und Bauernkomitees« darf nicht zufällig und in unregelmässigen Abständen gegeben werden. Man muss sie im Gegenteil mit einer energischen Kampagne durchsetzen, wenn die Situation an einen Wendepunkt gelangt, der den Massen die Notwendigkeit einer neuen Organisation offensichtlich macht, der die Massen erkennen lässt, dass diese Losung keine blosse Organisationsrichtlinie sondern eine Aktionsparole des Proletariats ist.

b) Der Kern dieses Komitees soll nicht aus einer Einladung an politische Delegierte entstehen, sondern aus Vertretern der den Massen traditionell bekannten Organisationen wie der Gewerkschaften und dgl., selbst wenn diese Organisationen von der Reaktion verstümmelt wurden.

c) Man kann daraufhin die Losung der Wählbarkeit der Komitees geben: In der ersten Zeit muss jedoch klar sein, dass sie nicht die Sowjets, d. h. die Regierungsorgane des Proletariats sind, sondern Ausdruck eines lokalen und nationalen Bündnisses aller Ausgebeuteten zur gemeinsamen Verteidigung.

Was die Beziehungen zu den faschistischen Gewerkschaften anbelangt, zumal heute, wo sie nicht einmal formal als freiwillige Massenvereinigungen erscheinen, sondern wahrhaft offizielle Organe des Bündnisses zwischen Unternehmertum und Faschismus sind, so ist die Losung ihrer Unterwanderung zu Zersetzungszwecken im allgemeinen abzulehnen. Die Losung »Wiederaufbau der roten Gewerkschaften« muss von der Kampfparole gegen die faschistischen Gewerkschaften begleitet werden.

Auf die organisatorischen Massnahmen, die parteiintern zu ergreifen sind, wurde zum Teil bereits hingewiesen. Im Hinblick auf die gegenwärtige Lage müssen sie Voraussetzungen erfüllen, die in einem anderen Rahmen zu besprechen sind (geheim). Auf jeden Fall ist es dringend notwendig, sie in übersichtlichen Statuten, die für alle verbindlich sind, niederzulegen, da man vermeiden muss, dass der gesunde Zentralismus mit dem blinden Gehorsam gegenüber willkürlichen und uneinheitlichen Verfügungen verwechselt wird, würde ja die effektive Kompaktheit der Partei sonst in Gefahr gebracht.

12. Aussichten der inneren Parteilage

Die innere politische und organisatorische Lage unserer Partei kann auf nationaler Ebene keine endgültige Lösung finden; sie hängt im Gegenteil von der Entwicklung der inneren Lage und der Politik der gesamten Internationale ab. Die nationalen und internationalen Führer begehen einen schweren Fehler und machen sich eines wahren Verbrechens schuldig, wenn sie der Linken gegenüber die unsinnige Methode weiterhin anwenden, Druck von oben auszuüben und die komplexen Fragen der Theorie und der Parteipolitik als Fälle persönlichen Verhaltens ihrer Militanten abzutun.

Die Linke hält an ihren Ansichten fest. Allen Genossen, die nicht beabsichtigen, auf diese Ansichten zu verzichten, soll man daher erlauben, in einer von Kuhhandel und gegenseitigen Drohungen freien Atmosphäre die aufrichtige Verpflichtung anzubieten, die Anweisungen der Parteiorgane auszuführen und auf jede Oppositionsarbeit zu verzichten, ohne jedoch deren Mitwirkung an der Parteizentrale zu verlangen. Selbstverständlich entspricht dieser Vorschlag nicht einer abstrakt perfekten Lage; es wäre jedoch gefährlich, der Partei die Illusion zu geben, die Missstände der inneren Lage könnten ganz einfach durch mechanische Organisationsmassnahmen und durch persönliche Positionen abgeschafft werden. Wer so handeln sollte, würde sich eines schweren Attentats auf die Partei schuldig machen.

Nur wenn man das Problem vor dieser kleinlichen Einstellung losreisst und in seiner ganzen Breite vor die Partei und vor die Internationale bringt, wird man wirklich den Zweck erreichen, zu vermeiden, dass das Parteimilieu vergiftet wird; nur so wird man der Partei bei der Überwindung all der Schwierigkeiten helfen, mit denen sie heute zu kämpfen hat.

Notes:
[prev.] [content] [end]

  1. In der Originalausgabe des »Thesenentwurfs der Linken für den 3. Kongress der KP Italiens« genannt »Thesen von Lyon«, wird in einem kurzen Vorwort darauf hingewiesen, dass man in einem Dokument dieses Charakters schon aus Gründen der laufenden Polemik gewisse Punkte mit besonderer Ausführlichkeit behandeln muss, während andere ebenso wichtige Punkte oft nur gestreift werden können. In diesem Vorwort wurden daher die damals bekannten, wenn nicht immer greifbaren Texte aufgezählt, die der Leser hinzuziehen müsste, um ein abgerundetes Bild der Positionen der Linken zu gewinnen. Wir wiederholen hier die Aufzählung mit aktuellen Quellenangaben: »Thesen von Rom«, Thesenentwurf für den IV. Kongress der Komintern (beide in »Kommunistisches Programm«, Nr. 13, Januar 77), »Programma di azione del Partito Comunista Italiano presentato al IV Congresso dell Internazionale Comunista« (Iskra Edizioni, Mailand 1976, französisch in »Programme Comuniste«, Nr. 67), »Mozione e tesi approvate dalla conferenza del PCI del maggio 1924«, »Thesen über die Taktik der Kommunistischen Internationale, vorgelegt auf dem V. Weltkongress« (»Bulletin des V. Weltkongresses«, Nr. 20, 08. 07. 1924).[⤒]

  2. In den Monaten, die dem Oktober 1923 folgten, vor allem aber auf der erweiterten Exekutive der Komintern vom 8.–12. Januar 1924 wurde die Verantwortung für das deutsche Desaster den Unzulänglichkeiten, Fehlern und Schwächen der rechten Parteiführung (Brandler usw.) zugeschoben. Die Führung konnte leicht antworten, dass sie, abgesehen von einigen Detailfehlern, nichts anderes getan hatte, als die Richtlinien der Komintern, die ihrerseits den Ergebnissen des IV. Kongresses entsprachen, anzuwenden. In einer Fortsetzung der Tradition, die Flügelkämpfe vor allem innerhalb der deutschen Partei mit organisatorischen Schlichtungsmassnahmen vom Tisch zu fegen, hat die Internationale versucht, die Einheit der KPD durch eine Verurteilung der »Schuldigen« und eine Neubildung der Parteiführung zu retten, wobei die alte Führung als Minderheit in der Zentrale verblieb. Die neue »linke« Führung (Ruth Fischer usw.) wurde ein Jahr später für noch schlechter als die vorhergehende erklärt.[⤒]

  3. Zu diesem ganzen Komplex siehe auch die »Thesen von Rom« und »Die Taktik der Internationale« nebst Einleitung in »Bulletin« Nr. 13.[⤒]

  4. Die Ergebnisse der Präsidentenschaftswahlen Ende 1924 entsprachen nicht den Erwartungen der KPD. Die »linke« Führung bedauerte daher später in einer öffentlichen Erklärung, dem Rat der Komintern nicht gefolgt zu sein, d. h. es versäumt zu haben, die deutsche Arbeiterklasse um einen gegen die Reaktion kämpfenden republikanischen Kandidaten zu vereinigen bzw. auf der Grundlage eines republikanischen Minimalprogramms einen Block mit den echten Vertretern der Republik zu bilden. So gelangte man faktisch zu einer Auffassung von der »Arbeiterregierung« als parlamentarisches Zusammengehen selbst mit offen bürgerlichen Parteien, um die von Hindenburg verkörperte »monarchistische« Gefahr zu bannen.[⤒]

  5. Zur Parlamentarismusdebatte auf dem II. Kongress der Komintern bzw. im allgemeinen zur Frage des revolutionären Parlamentarismus und des Wahlboykottismus siehe »Bulletin« Nr. 7/8 bzw. 12.[⤒]

  6. Die »Thesen von Lyon« enthalten zwar alle Elemente für eine eingehende Kritik der KPD, diese Kritik kann aber verständlicherweise nicht hier geleistet werden, nicht einmal was die »nationalbolschewistischen« Monate des Jahres 1923 angeht. Diesbezüglich sind aber einige kurze Hinweise nützlich, um die Unterscheidung zwischen einer vorgegebenen und prinzipiell begründeten taktischen Linie, wie die italienische Linke sie forderte, und der aus der Situation heraus bestimmten taktischen Linie zu illustrieren. In Anbetracht der aggressiven Politik des französischen Imperialismus, um den im Krieg besiegten deutschen Imperialismus in die Knie und zu den Reparationszahlungen zu zwingen, eine Politik, die in der Ruhrbesetzung 1923 gipfelte, konnten die Faschisten bemerkenswerte Erfolge innerhalb der Kleinbourgeoisie erzielen. Hierzu die KPD:
    »Die nationalistische Propaganda des Faschismus hat die deutsche Partei gezwungen, ihrerseits die Methoden ihrer Propaganda zu überprüfen. Es stellte sich dabei heraus, dass in unserer Agitation ein leerer Fleck war. Die Besetzung des Ruhrgebiets zwang die Partei schliesslich in der nationalen Frage zur eindeutigen Stellungnahme vor der gesamten Arbeiterklasse. Durch den Ruhrkampf wurde von der deutschen Partei die nationale Frage vor den übrigen Parteien gestellt.« Und: »Der politische Kampf gegen den Faschismus ist ohne die stärkste Hervorkehrung des nationalistischen Moments in unserer Propaganda unwirksam.«
    Die illusionäre Absicht der nationalistischen Wende, die sich in Opposition an der Parteibasis vollzog, war, die Kleinbourgeoisie zu gewinnen und durch Konzessionen an ihre chauvinistische Ideologie dem Einfluss der Bourgeoisie und des Faschismus zu entreissen:
    »Die Ausnutzung des Widerspruchs zwischen der nationalen Phraseologie und der tatsächlichen landesverräterischen Rolle der Bourgeoisie ist der stärkste und der lebendigste Teil unserer Propaganda in den Mittelschichten.«
    Dementsprechend wird die Arbeiterklasse zur nationalen Klasse degradiert, von der historischen Aufgabe der Arbeiterklasse (und man bedenke: Die Arbeiterklasse eines der entwickeltsten kapitalistischen Länder) als »Befreierin und Führerin der Nation« ist die Rede. Kein Wunder, dass der Autor des hier zitierten Artikels aus der »Internationale« vom 01. 08. 1923, Paul Böttcher, einer der entschiedensten und arrogantesten Kritiker der »Thesen von Rom« war.
    Der nationalistische Kurs wurde von der Internationale auf der erweiterten Exekutive vom Juni 23 sanktioniert (der zitierte Artikel ist übrigens ein Bericht über diese Tagung), auf der Deutschland mit dem Massstab einer Kolonie betrachtet wurde und Radek die ominös-bekannte Schlageter-Rede (nach dem Freikorpsführer Schlageter, der während der Ruhrbesetzung vom französischen Militär getötet und daraufhin von den Faschisten als Nationalheld gefeiert wurde) hielt, in der der deutsche Nationalismus als nationale Bewegung von grosser revolutionärer Bedeutung dargestellt wird. Nach der Richtschnur dieser Rede sollte die KPD gemeinsame Veranstaltungen mit der NSDAP halten, wo sich Redner beider Parteien einen Wettkampf um die Gunst des chauvinistischen Kleinbürgers gegen Poincaré, die Versailler Verträge und die Regierung der nationalen Schande und des Volksverrats lieferten.
    Wegen der Verfolgungen und Verhaftungen in Italien konnte die Linke sich zu dieser verheerenden Entwicklung nicht sofort äussern. Am Vorabend des V. Weltkongresses (1924) wird sie auf diese Frage zurückkommen, um sie in einen Zusammenhang mit der ganzen Methode der Komintern zu stellen:
    »Wir bestreiten, dass sie (die Thesen des II. Weltkongresses über die Kolonial- und Nationalitätenfrage) als Rechtfertigung für die Annäherung der kommunistischen Bewegung und der nationalen und patriotischen Bewegung in Deutschland herhalten können. Der Druck, den die Entente-Mächte auf Deutschland ausüben, hat auch in seinen krassen und zwangartigen Formen der letzten Zeit nicht den Charakter eines Faktors, der uns dazu verleiten könnte, Deutschland mit dem Massstab eines kleinen, kapitalistisch rückständigen Landes zu betrachten. Deutschland bleibt nach wie vor ein grosses Land, das vom kapitalistischen Standpunkt ausserordentlich ausgerüstet ist und dessen Proletariat sozial und politisch mehr als entwickelt ist. […] Die Aufgaben des grossen deutschen Proletariats werden schrecklich herabgesetzt, wenn man sie auf eine Aufgabe der nationalen Befreiung zurückstuft. Wir erwarten im Gegenteil von diesem Proletariat und von seiner revolutionären Partei, dass sie zum Sieg gelangen: nicht für sich selbst, sondern um die Existenz und die ökonomische Entwicklung Sowjetrusslands zu retten und die mächtige Flut der Weltrevolution auf die kapitalistischen Festungen des Westens zu leiten […] Wir haben hier ein Beispiel dafür, wie das vergessen der Prinzipien, die die politischen Lösungen der kommunistischen Bewegung begründen,dazu führen kann, diese Lösungen dort anzuwenden, wo die Voraussetzungen, für die sie geschaffen wurden, fehlen, und dies immer unter dem Vorwand, dass die kompliziertesten Kunstmittel immer mit Nutzen verwendet werden können.« (A. Bordiga, »Der Kommunismus und die nationale Frage«, in »Prometeo« Nr. 4, 15.4.24). [⤒]

  7. Die erste Auseinandersetzung, die hier erwähnt wird, wurde durch zwei Briefe Trotzkis an das Zentralkomitee, der eine vom 8.10.23, der andere (genannt »Der neue Kurs«) vom 8.12., ausgelöst. Diese Briefe wurden erst am 28. und 29. Dezember 23 in der »Prawda« veröffentlicht. Nachdem er im Gegensatz zu der an ihn gerichteten ausdrücklichen Aufforderung des vom zweiten Schlaganfall gehinderten Lenin darauf verzichtete, auf dem 12. Kongress der russischen KP (April 1923) die brennenden Fragen zu behandeln, ging Trotzki in diesen zwei Briefen zunächst auf die ernste Wirtschaftskrise der UdSSR ein (alarmierende Arbeitslosigkeit, Steigerung der Industriepreise bei Stagnation der Agrarpreise bzw. Lähmung des Austausches zwischen Stadt und Land) und dann auf das in der Partei herrschende Regime der Unterdrückung und Verfolgung der Oppositionellen, das verheerende Ausmasse angenommen hatte.
    Die zweite Auseinandersetzung spielte sich vor dem Hintergrund des deutschen Desasters von 1923 ab. Die Führung der Internationale hatte die Verantwortung abgelehnt und der Führung der KPD zugeschoben, welche jedoch immer in Verbindung zur Exekutive der Komintern gehandelt hatte (oder besser: sich geweigert hatte, zu handeln). Die Auseinandersetzung wurde ausgelöst durch die Veröffentlichung (Oktober 1924) der »Lehren des Oktobers«, die Trotzki als Vorwort zu dem 3. Band seines »1917« verfasst hatte. Trotzki ging darin von den Lehren der russischen Revolution aus, um die Bedingungen zu untersuchen, die die Parteiorganisation erfüllen muss, um in den Phasen, in denen die historische Entwicklung die Machteroberung und den Aufstand auf die Tagesordnung setzt, auf der Höhe ihrer historischen Aufgabe zu sein. Die Führung antwortete darauf mit einer schändlichen Kampagne gegen den »Trotzkismus« und griff zu diesem Zweck systematisch und einseitig auf alle vergangenen Auseinandersetzungen zwischen Lenin und Trotzki zurück. Das war das Vorspiel der blutigen Verfolgung der internationalistischen Opposition in Russland und des Triumphes der stalinistischen These des »Sozialismus in einem Land«, was sich 1926 ereignete.
    Wie die »Thesen von Lyon« hier erwähnen, muss man darauf hinweisen, dass bereits während des V. Weltkongresses (1924) und wieder im folgenden Jahr, die sogenannte trotzkistische Opposition sich dem stalinistischen Diktat beugte, dem zufolge die Frage in der ausschliesslichen Kompetenzsphäre der russischen KP lag, und akzeptierte, sich nicht an die Internationale zu wenden. Dasselbe tat auch die »neue Opposition« um Sinowjew-Kamenew, nachdem sie auf dem 14. Kongress der russischen KP einen harten Kampf gegen die Theorie des »Sozialismus in einem Land«, gegen die »Verschönerung« der »NEP« und das Unterdrückungs- und Willkürregime in der Partei geführt hatte. Trotzdem verlangte die italienische Linke wieder auf der Erweiterten Exekutive vom Februar/März 1926 (freilich ohne Erfolg), die »russische Frage« – d. h. die Frage der Verhältnisse zwischen dem revolutionären Kampf des Weltproletariats und der Politik des russischen Staates und der KP der Sowjetunion – auf die Tagesordnung eines im nachfolgenden Sommer stattzufindenden Weltkongresses zu setzen und diesen Kongress durch eine vollständige Diskussion des Problems in allen Sektionen der Komintern vorzubereiten.[⤒]

  8. Wir weisen darauf hin, dass die Linke im Gegensatz zu Trotzki die russische Wirtschaftsordnung nicht als die Bühne eines Kampfes zwischen Kapitalismus und Kommunismus ansah (wobei der Kapitalismus im grossen und ganzen mit dem privaten und der Sozialismus mit dem verstaatlichten Bereich zu identifizieren wären). Wie dem Satz
    »Was die Produktionszielsetzung betrifft, die sich in den Händen des politisch proletarischen Staates befindet, ist die verstaatlichte Grossindustrie sozialistisch«
    zu entnehmen ist, betrachtete die Linke in Übereinstimmung mit Lenin die Grossindustrie nicht als sozialistisch im ökonomischen Sinn des Wortes, beruhte sie ja seit dem Ende des Bürgerkrieges auf der Lohnarbeit und der Warenproduktion. Man konnte die Grossindustrie nur in dem Sinn »sozialistisch« nennen, dass sie die unmittelbaren ökonomischen Ziele einer proletarischen Macht verwirklichte, wobei sich diese Ziele in der damaligen Lage des rückständigen und isolierten Russlands eigentlich darauf beschränkten, die Volkswirtschaft aus dem Chaos zu heben.
    Diese Ausdrücke haben ausserdem polemische Bedeutung gegen den »westlichen Marxismus« und die verschiedenen Schattierungen des »Rätekommunismus« die alle den Verbleib der russischen Volkswirtschaft auf der Ebene des Kapitalismus als willkommenen Anlass ausbeuteten, um die Oktoberrevolution und die Bolschewiki als »bürgerlich« zu verschleiern, als ob das Hinauswachsen der Wirtschafts- und Sozialstruktur in den Sozialismus vom politischen Willen abhinge und nicht vom Vorhandensein der »materiellen Grundlagen des Sozialismus« und mehr noch vom proletarischen Sieg im Westen.
    Unter diesen Bedingungen bedeutet die Anwendung von Ausdrücken wie »sozialistische Staatsindustrie« und »sozialistische Elemente« in den »Thesen von Lyon« im Gegensatz zum späten Trotzki und zu den heutigen Trotzkisten keinen groben theoretischen Fehler, sondern lediglich die Anerkennung der proletarischen und sozialistischen Zielsetzung der Bolschewiki und ihrer Macht. Diese Anerkennung hat die Linke ihnen bis zum Ende gezollt, d. h. bis zu dem Augenblick, in den die Partei durch die stalinistische Konterrevolution vernichtet wurde, was ja die Linke selbstverständlich nicht daran hindern konnte, den sich in der bolschewistischen Partei und in der Internationale ausbreitenden Opportunismus zu bekämpfen, wie die hiesigen Thesen zeigen. Siehe auch unsere Broschüre: »Revolution und Konterrevolution in Russland«: »Warum Russland nicht sozialistisch ist«.[⤒]

  9. siehe »Bulletin« Nr. 7/8 und Nr. 12.[⤒]

  10. Der »Friedenspakt« wurde auf Anregung des Parlamentsvorsitzenden De Nicola zustandegebracht und am 3. August 1921 von folgenden Organisationen unterzeichnet: faschistische Partei, Führung der sozialistischen Partei, sozialistische Parlamentsfraktion, Allgemeiner Gewerkschaftsbund (geführt von den Sozialisten). Ausdruck des demokratischen Kretinismus der Sozialisten (gelinde gesagt), beinhaltete der Friedenspakt die Entwaffnung der Arbeiter gegenüber den Angriffen des Faschismus und der traditionellen Ordnungskräfte. Er verdient, im Wortlaut zitiert zu werden:
    »Die hier vertretenen Parteien verpflichten sich, sofort dafür zu wirken, dass die Drohungen, das Faustrecht, die Repressalien, die Strafaktionen, die Racheakte, die Erpressungen, die persönliche Gewaltanwendung jeglicher Art schnellstens aufhören. Die jeweiligen Symbole, Embleme und Insignien werden respektiert. Jede Aktion und jede Haltung, die diese Vereinbarung verletzen, werden schon jetzt von den verschiedenen Delegationen bedauert und verurteilt. Die Sozialistische Partei Italiens erklärt, der Organisation und der Aktion der ›Arditi del populo‹ (bewaffnete antifaschistische Organisationen, Anm. der IKP) fernzustehen, was übrigens aus dem letzten Kongress dieser letzteren hervorgeht, auf dem sie sich als jeder Partei fernstehend erklärten«.
    Die Kommunistische Partei nahm eine besonders klare Position zu diesem Pakt ein und griff ihn energisch an. Gleich bei Ankündigung der Gespräche schickte das Exekutivkomitee der KP folgendes Telegramm an die Führung der sozialistischen Partei:
    »Um Ihnen den Weg einer willkürlichen Ausnutzung des Namens unserer Partei von vornherein abzuschneiden, teilen wir Ihnen offiziell und direkt mit der Bitte um telegraphische Bestätigung mit, dass wir an keine Zusammenkunft von Parteien zum Zweck der Befriedung oder der Entwaffnung teilnehmen werden. Exekutive der Kommunistischen Partei, den 27. Juli 1921.«[⤒]

  11. Die wichtigsten Mitglieder der linken Führung der KP Italiens wurden im Februar 1923 verhaftet. Im April ernannte die Internationale eine provisorische Zentrale (Togliatti, Scoccimarro, Gennari, Tasca und Terracini). Auf der erweiterten Exekutive vom Juni wurde der alten Führung, die sich immer noch in Haft befand, vorgeworfen, durch ihr Sektierertum den Zusammenschluss mit den »Terzini« («Drittinternationalisten»), dem bankrotten maximalistischen Flügel der sozialistischen Partei, der aus Opportunitätsdenken für den Beitritt zur III. Internationale war und sich auf Anheissen der Internationale mit der KPI verschmelzen sollte, vereitelt zu haben. Nach einigen Widerständen vor allem seitens Terracinis, aber auch seitens Togliattis, schwenkte die neue Führung unter letzterem geschlossen auf den damaligen Kurs der Internationale, von der sie gerade deswegen unterstützt wurde, weil sie sich dem Zusammenschluss nicht widersetzte. Der Prozess gegen die inhaftierten früheren Führer, auf dem Bordiga eine bekannte Verteidigungsrede hielt, fand im Oktober statt und endete mit Freispruch. Die alte Zentrale gelangte aber nach Verlassen des Gefängnisses nicht mehr in ihre Funktion zurück. Sie wurde im Gegenteil durch die neue »zentristische« Führung definitiv ersetzt. Nichtsdestotrotz hatte sie noch auf der Konferenz von Como (Mai 1924) die Mehrheit der Partei, die fast einmütig auf den ursprünglichen Positionen beharrte, hinter sich. Dennoch forderte die Linke die Parteiführung nicht zurück; sie erklärte vielmehr – und wiederholte es auf dem V. Weltkongress, dass diese Möglichkeit von einer entschiedenen und unmissverständlichen Wende in der Politik Moskaus abhinge:
    »Sollte die politische Linie der Internationale und der Partei weiterhin im Gegensatz zu der hier gezeichneten Linie oder auch nur unbestimmt und unpräzis, wie sie es bis heute war, bleiben, so ist die Aufgabe, die sich der italienischen Linken aufzwingt, eine Aufgabe der Kritik und der Kontrolle sowie der energischen und ruhigen Zurückweisung von eklektischen Lösungen, die meistens unter dem demagogischen Deckmantel der so gepriesenen und verkündeten Einheitsparole mittels Listen von Führungskomitees, verschiedenen Konzessionen und Kompromissen ausgehandelt werden.«
    In völliger Übereinstimmung hiermit lehnte Bordiga auf dem V. Weltkongress die ihm von Sinowjew angetragene Vizepräsidentenschaft der Internationale ab sowie jegliche Beteiligung an der Verantwortung der Führung der KP Italiens, die sich ja immer mehr in der von Moskau gewünschten und in Italien von der Rechten um Tasca und Graziadei unterstützten Richtung bewegte.[⤒]

  12. Die italienische Wortschöpfung »Ordinovismo« greift zurück auf den programmatischen Namen der Zeitschrift und der Gruppe, deren wichtigster Vertreter Antonio Gramsci war: »L’Ordine Nuovo« (»Neuer Stand« [im Sinne von »Vierter Stand«] bzw. »Neue Ordnung«). Zu einer Kritik dieser Gruppe siehe auch unsere Broschüre »Die Grundlagen des revolutionären marxistischen Kommunismus«, Seite 79 ff. und vor allem den 2. Band der »Storia della sinistra Comunista«, Kapitel 6: »Gramsci, ›L’Ordine Nuovo‹ e ›Il Soviet‹« (französisch in »Programme Communiste« Nr. 71 und 72).[⤒]

  13. für »Terzini« siehe oben Anmerkung 11.[⤒]

  14. Nach der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Matteotti (August 1925) durch die Faschisten verliessen die demokratischen Parteien das Parlament, um sich – wie man damals in Anlehnung an die plebejische Protestdemonstration auf dem Aventin-Hügel im alten Rom sagte – »auf das Aventin« zurückzuziehen.[1 ⤒] [2 ⤒]

  15. FIOM = »Federazione Impiegati Operai Metallurgici« (italienische Metallarbeitergewerkschaft). [⤒]

  16. Die italienische Volkspartei wurde nach dem ersten Weltkrieg gegründet und war zusammen mit der sozialistischen Partei der Sieger der Wahlen von 1919. Sie kann als Vorläufer der heutigen Christdemokraten betrachtet werden. Bevor sie eine selbständige Rolle spielte, war die Bauernpartei ein Flügel der Volkspartei. [⤒]

  17. Der »Rekrutierungsmonat« (15.8.–15.9.25) wurde nach dem Muster des bekannten »Leninaufgebots« der russischen Partei, die dem Stalinismus die benötigte Manövermasse geliefert hatte, sofort nach der Ermordung Matteottis ausgerufen. Die Mitgliedschaft der Partei erhöhte sich um 10 000 Elemente, während sie Ende Mai 12 000 Mitglieder (14 000, wenn man die Terzini dazuzählt) hatte.[⤒]

  18. d. h. auf den vorbereitenden Kongressen für den Parteitag von Lyon.[⤒]

  19. Um den Kongress von Lyon vorzubereiten, bildeten die Genossen der Linken einen Verständigungsausschuss. Für die Parteiführung war dies der Anlass, um unter dem Vorwurf der »Fraktionsbildung« eine Diffamierungskampagne gegen diese Genossen zu eröffnen. Das Präsidium der Internationale deckte das Manöver und erteilte den formellen Befehl, den Verständigungsausschuss aufzulösen. Die Linke hielt sich aus Disziplin an diesen Befehl und veröffentlichte eine Erklärung, die wir hier auszugsweise wiedergeben:
    »Nachdem man uns Fraktionismus und Spaltungsversuche vorgeworfen hat, werden wir durch die Ausführung eines Befehls, den wir ungerecht und für die Partei verheerend finden, der Einheit der Partei unsere Meinungen opfern. Wir werden somit beweisen, dass die italienische Linke die vielleicht einzige Strömung darstellt, die die Disziplin als eine ernsthafte Sache, mit der man keinen Schacher treibt, betrachtet. Wir bestätigen alle unsere früheren Positionen und alle unsere Handlungen. Wir negieren, dass der Verständigungsausschuss ein Manöver mit dem Ziel der Parteispaltung und der Bildung einer Fraktion in der Partei dargestellt habe und protestieren erneut gegen die Kampagne, die als skandalöser Betrug der Partei – und sogar ohne uns Verteidigungsrecht einzuräumen – auf dieser Grundlage gegen uns geführt wurde. Dennoch, da das Präsidium denkt, dass die Auflösung des Verständigungsausschusses den Fraktionismus entfernen wird, werden wir gehorchen, obwohl wir gegenteiliger Meinung sind. Wir überlassen aber dem Präsidium die volle Verantwortung für die Entwicklung der inneren Parteilage und für die Reaktionen, die durch die Art und Weise, wie die Führung das innere Parteileben leitet, hervorgerufen werden…« [⤒]

  20. Die inneren Betriebsausschüsse oder Betriebsräte waren Organisationen für den Kampf innerhalb der Betriebe, die von der Gesamtheit der Arbeiter des jeweiligen Betriebs, ob sie gewerkschaftlich organisiert waren oder nicht, gewählt wurden.[⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr 14, Mai 1977. Korrigiert und überarbeitet: 03. 2021/01. 2022

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