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DIE »STEIGERUNG DER MASSENKAUFKRAFT« ODER DAS WUNDERWÄSSERCHEN DER REFORMISTISCHEN SCHARLATANE


Content:

Die »Steigerung der Massenkaufkraft« oder das Wunderwässerchen der reformistischen Scharlatane
Ein Rezept, das so alt ist wie der kleinbürgerliche Reformismus
Die Entwicklung des Kapitals steigert den Anteil des »Massenverbrauchs« nicht, sondern vermindert ihn
Die Krise ist nicht eine »nationale«, sondern eine internationale
Der Wiederaufschwung der kapitalistischen Wirtschaft hat die Senkung des Volkskonsums zur Voraussetzung
Notes
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Die »Steigerung der Massenkaufkraft« oder das Wunderwässerchen der reformistischen Scharlatane

Das Krankenbett des angeschlagenen Kapitalismus wurde schon immer von zahlreichen Quacksalbern umlagert. Die Widerlichsten unter ihnen, die reformistischen Scharlatane, behaupten zwar, im Namen der Arbeiterklasse zu sprechen, sie haben aber nichts Eiligeres zu tun, als Heilmittel zur Gesundung einer Produktionsweise vorzuschlagen, die eben auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse beruht.

An erster Stelle haben sich die deutschen Gewerkschaften beeilt, ihr Wunderwässerchen gegen die Krise vorzuschlagen. Sie appellieren an den Staat und die Kapitalisten, damit diese auf eine »alternative Wirtschaftspolitik« einschwenken, in deren Mittelpunkt die Forderung nach »Steigerung der Massenkaufkraft« steht. Akademisch verbrämt wurde dieses soziale Allheilmittel durch das von 158 Wirtschaftswissenschaftlern im April 1978 vorgelegte »Memorandum '78«[1], aus dem wir in der Folge einiges zitieren werden.

So heisst es auf S. 16 dieses »Memorandums«, nachdem eine Reihe von Massnahmen vorgeschlagen wurden wie »bedarfs- und beschäftigungsorientierte Haushaltspolitik«, Erhöhung »öffentlicher Investitionen«, »Subventionen« an die Industrie, die notleidend ist, »Expansion der öffentlichen Ausgaben« usw.:
»Alle vorgeschlagenen wirtschaftspolitischen Massnahmen werden nur dann in dem erwünschten Sinne wirksam werden können, wenn sie von Lohnsteigerungen begleitet werden, die die erforderlichen gesellschaftlichen Umstellungen zu mehr kapazitätsauslastender Nachfrageentfaltung herbeiführen helfen« (hervorgehoben von uns).
Und man findet wortwörtlich dasselbe Rezept nicht nur beim DGB, sondern auch bei der euro-stalinistisehen »KP« Frankreichs usw. usf.

Welch schändliches Schauspiel: Leute, die vorgeben, im Interesse der Arbeiterklasse zu sprechen, sind einzig darum bemüht, das Kapital von seinen Krämpfen zu befreien. Sie behaupten, ein Wunderrezept gefunden zu haben: Die kapitalistische Maschine ist heissgelaufen, weil es ihr an Märkten fehlt? Nun gut, dann muss man ihr welche verschaffen! Man steigert den Massenkonsum, und die Maschine wird wieder in Gang kommen.

Abgesehen von seiner Einfachheit, soll dieses Heilmittel noch weitere aussergewöhnliche Tugenden aufweisen. Es soll es ermöglichen, zugleich das Schicksal der kapitalistischen Wirtschaft und das der Proletarier zu verbessern! Ab in die Rumpelkammer, alter Marx! Die Widersprüche des Kapitalismus können also angeblich durch eine Interessengemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit ersetzt werden, in welcher das Schicksal der Arbeiter vom Wohlergehen des Unternehmens und der nationalen Wirtschaft und das gute Gedeihen des Kapitals vom Wohlergehen der Arbeiter abhängt. Das wäre in der Tat »wunderbar«!

Ein Rezept, das so alt ist wie der kleinbürgerliche Reformismus

In Wirklichkeit ist dieses Rezept ebenso alt wie der kleinbürgerliche Reformismus selbst. Besteht die Funktion der kleinbürgerlichen Theorien nicht gerade darin, in der illusorischen Hoffnung, der Entfesselung der Widersprüche des Kapitalismus entgehen zu können, die wahrhaftige Natur derselben zu verschleiern? Es ist also nicht erstaunlich, dass man das Rezept der Gewerkschaften und ihrer reformistischen Trabanten schon in den schönen Theorien eines Dühring finden kann, der erklärte, dass es in den grossen Krisen
»das Zurückbleiben der Volkskonsumtion [sei], die künstlich erzeugte Unterkonsumtion…, die Hinderung des Volksbedarfs (!), was die Kluft zwischen Vorrat und Abnahme schliesslich so kritisch weit macht«[2].

Engels ist es, der Dühring zitiert, der hervorhebt und sich über Dummheiten ereifert, die man heute alle Tage (im gleichen, nicht nachahmbaren kleinbürgerlichen Stil) in der Prosa aller Reformisten wiederfinden kann. Und er antwortet, die Vorstellung, der Kapitalismus könne eine andere Verteilung der Produkte verwirklichen und die Unterkonsumtion der Massen beenden,
»hiesse verlangen, die Elektroden einer Batterie sollten das Wasser unzersetzt lassen, solange sie mit der Batterie in Verbindung stehen, und nicht am positiven Pol Sauerstoff entwickeln und am negativen Wasserstoff«[3].

Es ist nicht erstaunlich, dass man dasselbe Rezept in den Schriften des klassischen kleinbürgerlichen Kritikers des Imperialismus, Hobson, wiederfindet (der seinerseits zumindest nicht behauptete, im Interesse der Arbeiterklasse zu sprechen):
»Wenn die Konsumenten unseres Landes den Verbrauch in dem Masse erhöhten, dass er mit jedem beliebigen Wachstum der Produktivkräfte Schritt hält, könnte es keinen Überschuss an Gütern oder Kapital geben«.

Diesmal ist es Lenin, der diese Ausführungen Hobsons in seinen »Heften zum Imperialismus« wiedergibt und am Rand bemerkt:
»Haha! Der Kern kleinbürgerlicher Kritik des Imperialismus«[4].

Worin besteht nun der Kern der kleinbürgerlichen Kritik des Imperialismus? Er besteht darin, sich einzubilden und die Arbeiterklasse glauben zu machen, dass der Kapitalismus und der Imperialismus anders sein könnten, wenn man nur den süsslichen Predigten der kleinbürgerlichen Priester Gehör schenken wollte; dass es unter dem Kapitalismus Wohlstand für die Arbeiterklasse geben könnte; dass es einen Kapitalismus ohne periodische Krisen, ohne Arbeitslosigkeit, ohne Elend, einen Kapitalismus ohne Imperialismus, ohne Kriege, ohne Unterdrückung der schwächeren Völker und Nationen, ohne erbitterten Kampf um die Märkte und die Rohstoffquellen geben könnte, und dies alles zum Preis einiger friedlicher Reformen des bürgerlichen Staates.

Für einen sauberen, gut geleckten, gemässigten und geordneten Kapitalismus: das ist, wie Lenin sagte, der Kern des kleinbürgerlichen Reformismus. Geht man aber von den Träumereien der Dühring-Hobson-Kautsky und ihren heutigen Nachbetern zur Wirklichkeit des Kapitalismus und des Imperialismus über, so sieht man, dass der Vorschlag, die Krisen durch die »Steigerung der Massenkaufkraft« zu vermeiden oder zu kurieren, auf einer doppelten Absurdität beruht: Es ist einfach dumm, sich vorzustellen, dass das Kapital den Anteil des »Volkskonsums« steigern könnte, und selbst wenn es dies absurderweise täte, so könnte dies doch weder die Krisen vermeiden noch aus ihnen heraushelfen.

Die Entwicklung des Kapitals steigert den Anteil des »Massenverbrauchs« nicht, sondern vermindert ihn

Was die dem Reformismus so teure Formel der »Steigerung der Massenkaufkraft« an sich anbelangt, so hat der Kapitalismus nicht auf Herrn H.O. Vetter und seine akademischen Trabanten gewartet, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der Marxismus hat nie geleugnet, dass mit der Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, welche an die kapitalistische Akkumulation gebunden ist, die Anzahl der Gebrauchswerte, d. h. der der Arbeiterklasse zur Verfügung stehenden Güter, historisch (und abstrahiert, wenn man so sagen kann, von den Krisen, Kriegen und anderen Katastrophen, die allerdings unauflöslich mit der Herrschaft des Kapitals verbunden sind) zum Wachstum tendiert. Anders gesagt, während die unmittelbaren Produzenten stärker ausgebeutet werden, während ihr Lohn, ausgedrückt in der zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Arbeitszeit sinkt, stehen ihnen gleichzeitig mehr Güter zur Verfügung. Vom Kapital in diesem Sinne zu verlangen, den Volkskonsum anzuheben, ist also nur eine Tautologie.

Der Reformismus verwendet diese Formel daher in einem anderen Sinne, und zwar in dem einzig möglichen Sinn, den sein Rezept haben kann, nämlich: »den Anteil des Massenverbrauchs zu erhöhen«. So entgeht diese Formel der Tautologie aber nur, um zu einer Absurdität und Mystifikation zu werden. Glauben zu machen, der Kapitalismus könne den gesellschaftlichen Konsumanteil der »Arbeitnehmer« steigern, heisst die Tatsache zu verschleiern, dass er gerade auf deren Ausbeutung beruht und dass diese Ausbeutung nicht abnimmt, sondern vielmehr mit der Entwicklung des Kapitalismus entsprechend ansteigt. Wie Marx gezeigt hat, ist es eine beständige Tendenz des Kapitals, die Mehrwertrate zu steigern; historisch verwirklicht sich diese Tendenz im wesentlichen durch das Sinken des Werts der Arbeitskraft, wodurch das Kapital den relativen Mehrwert erzielt; sie verwirklicht sich auch noch durch andere Mittel, wie die Verlängerung des Arbeitstages (absoluter Mehrwert) oder die Versuche des Kapitals, in den tagtäglichen Scharmützeln den Lohn unter den Wert der Arbeitskraft zu senken usw. Mit den Begriffen des »Kapital« ausgedrückt (m bezeichnet den Mehrwert (bzw. Profit) und v das variable Kapital, welches zur Zahlung der Löhne dient), bedeutet dies, dass das Verhältnis des produzierten Mehrwerts zum variablen Kapital (d. h. die Mehrwertrate) steigt.

Dieses Wachstum geht nicht gleichmässig vor sich: es kann eine Verlangsamung (oder eine kurzfristige Umkehrung der Tendenz) eintreten, wenn das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeit steht, wie dies beispielsweise nach einem allgemeinen siegreichen Kampf oder in einer Periode der Hochkonjunktur mit starker Nachfrage nach Arbeitskräften der Fall ist. Historisch aber tendiert die Mehrwertrate zum Wachstum. Dies bedeutet, dass die Aufteilung des jährlich neuproduzierten Werts in m und v sich verändert: der Teil, den sich das Kapital aneignet (d. h. der Mehrwert bzw. Profit) wächst tendenziell an, und zwar zu Lasten des Teils, der an die Arbeit geht (die Löhne). Folglich tendiert der Teil, der der Arbeiterklasse zum Kauf von Konsumgütern dient, dazu, im Verhältnis zu dem Teil, der an die kapitalistische Klasse geht, zu sinken.

Vom Kapitalismus zu verlangen, er solle den Anteil des Volkskonsums heben, läuft also darauf hinaus, von ihm zu verlangen, seinem eigenen Wesen zuwiderzuhandeln. Es läuft darauf hinaus, von ihm zu verlangen, die Löhne zu erhöhen, während seine natürliche Tendenz darin besteht, sie zu senken; freiwillig auf einen Teil des Mehrwerts zu verzichten, den er auf dem Rücken der Arbeiterklasse erntet, wo doch dieser Mehrwert seine Substanz und seinen Lebenssinn bildet; anders gesagt, es läuft darauf hinaus, ihn allerdemütigst zu bitten, nicht mehr der Kapitalismus zu sein.

Sicherlich können die Arbeiter in bestimmten Augenblicken eine Erhöhung ihrer Löhne erreichen: aber nur, indem sie sie vom Kapital erzwingen, und zwar mit Hilfe des Kampfes und nicht mit Hilfe jener Predigten und Ratschläge ans Kapital, die die reformistischen Priester vorbringen.

Diese versuchen dadurch gerade, den entschlossenen Kampf der Arbeiterklasse zu vermeiden und zu behindern. Was die Ergebnisse dieses Kampfes anbelangt, so können sie, wie Marx erinnert, nur vorübergehende sein, solange die Arbeiterklasse nicht über die Ebene des ökonomischen Kampfes hinausgeht. Die unvermeidliche Tendenz des Kapitals, die weder auf die »Monopole« noch auf eine »schlechte« oder »bösartige« Politik zurückzuführen ist, sondern sich vielmehr aus dem Wesen selbst und den allgemeinen Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise ergibt, gewinnt sehr bald wieder die Oberhand. Wie alle Klassengesellschaften impliziert die bürgerliche Gesellschaft die relative Unterkonsumtion der unterdrückten Klasse. Diese Lage, die der kleinbürgerliche Reformismus – nur besorgt, die schreiendsten Mängel des Kapitalismus zu beseitigen –, mit Hilfe von Reformen modifizieren möchte, kann nur durch die Zerstörung des Kapitalismus abgeschafft werden.

Wenn es noch eines zusätzlichen Beweises für die Absurdität des reformistischen Rezeptes gegen die Krisen bedarf, so besteht er in der folgenden, empirisch feststellbaren Tatsache: Genau in der Phase der Hochkonjunktur, die den kapitalistischen Krisen vorausgeht, steigt die »Massenkaufkraft« am meisten! Doch dieses Wachstum hat die Krisen niemals verhindert, ganz im Gegenteil! So schrieb Marx:
»Es ist eine reine Tautologie zu sagen, dass die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumtion oder an zahlungsfähigen Konsumenten hervorgehn. Andre Konsumarten als zahlende kennt das kapitalistische System nicht, ausgenommen die sub forma pauperis (Konsumart der Armen) oder die des ›Spitzbuben‹. Dass Waren unverkäuflich sind, heisst nichts, als dass sich keine zahlungsfähigen Käufer für sie fanden, also Konsumenten (sei es nun, dass die Waren in letzter Instanz zum Behuf produktiver oder individueller Konsumtion gekauft werden). Will man aber dieser Tautologie einen Schein tiefrer Begründung dadurch geben, dass man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eignen Produkts, und dem Übelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie grössern Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, dass die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter grössern Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müsste – von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden und ›einfachen‹ (!) Menschenverstand – umgekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, dass die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschliesst, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise«[5].

In der Tat machen die Gewerkschaften und ihre reformistischen Anhänger nichts anderes, als ihrerseits sowohl implizit in ihren »konkreten Vorschlägen« als auch explizit jene Theorien zu übernehmen, die die Krisen mit der »Unterkonsumtion« der Massen erklären wollen und die der eben von uns zitierte Passus von Marx in ein Nichts auflöst. So kann man im »Memorandum« folgende philisterhafte Tirade lesen:
»Wäre ein geringerer Teil des Volkseinkommens als Profit angeeignet und wären demnach weniger Kapazitäten aufgebaut worden, so hätten diese Kapazitäten durch die höhere Nachfrage aus Löhnen und Gehältern ausgelastet werden können, es hätte sich weder ein Überkapazitäts- noch ein Beschäftigungsproblem ergeben« (S.10).

Reformismus verpflichtet! Die Entdeckungen der hervorragenden »Spezialisten« der Wirtschaftswissenschaft sind von genau dem gleichen Kaliber wie die Dummheiten der Dühring-Hobson-Kautsky, und Marx hat sie bereits vor einem Jahrhundert widerlegt. Auf politischer Ebene setzen sie nur die weinerliche Tradition des kleinbürgerlichen Reformismus fort. Auf der theoretischen Ebene finden diese Erklärungen der Krisen durch die »Unterkonsumtion« der Massen ganz wie die volkstümlerischen Thesen über die »Unmöglichkeit den inneren Markt zu entwickeln«, ihre Wurzeln in den Fehlern eines Sismondi und darüber hinaus eines Adam Smith, die genau das »vergassen«, was Marx im zweiten Band des »Kapital« aufzeigt: nämlich, dass sich das Sozialprodukt materiell einerseits aus Konsumtionsmitteln und andererseits aus Produktionsmitteln zusammensetzt, die der Akkumulation dienen und dass der Anteil der Produktionsmittel herstellenden Abteilung (Abt. l) an der gesellschaftlichen Produktion schneller wächst als derjenige der Konsumgüter produzierenden Abteilung (Abt. II). Anders gesagt, wie Lenin dies in seinen Polemiken gegen die Volkstümler erklärt, vollzieht sich die Entwicklung der kapitalistischen Produktion im wesentlichen über die Produktionsmittel, d. h., dass es innerhalb der gesellschaftlichen Produktion relativ und wertmässig immer mehr Produktionsgüter gibt, die zur Akkumulation, und immer weniger Konsumgüter, die für die Arbeiterklasse bestimmt sind:
»Um die Produktion zu erweitern (um zu ›akkumulieren‹ in der kategorischen Bedeutung dieses Terminus), ist es notwendig, zunächst Produktionsmittel zu erzeugen; und dazu bedarf es folglich der Erweiterung der Abteilung der gesellschaftlichen Produktion, die Produktionsmittel herstellt, zu diesem Zweck müssen ihr Arbeiter zugeführt werden, die bereits eine Nachfrage auch nach Konsumtionsmitteln geltend machen. Die ›Konsumtion‹ entwickelt sich demnach im Gefolge der ›Produktion‹ – so sonderbar dies auch erscheinen mag, aber anders kann es in der kapitalistischen Gesellschaft auch gar nicht sein. In der Entwicklung dieser beiden Abteilungen der kapitalistischen Produktion ist also Gleichmässigkeit nicht nur nicht unbedingt notwendig, sondern im Gegenteil, die Ungleichmässigkeit ist unvermeidlich. Bekanntlich besteht das Entwicklungsgesetz des Kapitals darin, dass das konstante Kapital schneller wächst als das variable, d. h. ein immer grösserer Teil der sich neu bildenden Kapitalien wendet sich der produktionsmittelerzeugenden Abteilung der gesellschaftlichen Produktion zu. Folglich wächst diese Abteilung notwendigerweise schneller als die konsumtionsmittelerzeugende Abteilung (…). Folglich nehmen die Produkte der individuellen Konsumtion in der Gesamtmasse der kapitalistischen Produktion einen immer geringeren Platz ein. Und das entspricht völlig der historischen ›Mission‹ des Kapitalismus und seiner spezifischen sozialen Struktur: die erste besteht gerade in der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft (Produktion für die Produktion); die zweite schliesst ihre Utilisation [=Gebrauch] durch die Masse der Bevölkerung aus«[6].

Da sich die Krisen des Kapitalismus nicht durch die »Unterkonsumtion« erklären, ist es absurd, sie mit Hilfe der Erhöhung des Massenverbrauchs vermeiden zu wollen; die Produktion von Konsumgütern spielt in der Dynamik des kapitalistischen Wachstums in der Tat nur eine sekundäre Rolle, und sie nimmt innerhalb der gesellschaftlichen Produktion unvermeidlich einen immer schwächeren Posten ein.

Die Krise ist nicht eine »nationale«, sondern eine internationale

Aus denselben Gründen ist es ebenso absurd sich vorzustellen, dass die »Entwicklung des Massenverbrauchs« ein Mittel zur Überwindung der Krise, in die der Kapitalismus geraten ist, sein könnte. Dies wird sogar noch absurder, wenn man die konkreten Bedingungen einer nicht »nationalen«, sondern internationalen Krise berücksichtigt. Tun wir aber einen Augenblick so, als nähmen wir das Rezept des Reformismus ernst, und stellen wir uns vor, dass die Unternehmer eine allgemeine Erhöhung der Löhne beschliessen und somit die Kaufkraft der Massen erhöhen. Wird der innere Markt wachsen? Sicherlich, aber nicht in der gleichen Proportion:
1) Der Markt der Konsumgüter wird wachsen, aber diese stellen ja, wie wir sahen, nur den geringeren Teil der Produktion. Nehmen wir ein Land an, welches jährlich Waren im Gesamtwert von 1000 produziert; 700 davon sind Güter der Abt. I und 300 der Abt. II; von letzteren fällt ein Teil dem Konsum der bürgerlichen Klasse anheim, nehmen wir an 100: bleiben 200 für den Konsum der Arbeiterklasse. Nehmen wir nun an, dass eine allgemeine Erhöhung der Löhne um 10 % die Konsumfähigkeit der Arbeiterklasse um ebensoviel erhöht. Die zusätzliche Nachfrage nach Konsumgütern wird 20 betragen, also bezogen auf die Abteilung II 20/300 = 6,6 % ausmachen, bezogen auf die Gesamtproduktion aber nur 20/1000 = 2 %.

Ja, aber Achtung, ruft uns der kleinbürgerliche Theoretiker vom Dienst zu: Ihr vergesst, dass, wenn der Konsumgütersektor wieder in Schwung kommt, die Kapitalisten dieser Abt. Produktionsgüter bestellen werden. Mit anderen Worten, das Wachstum der Nachfrage nach Gütern der Abt. II wird zu einer Nachfrage nach Gütern der Abt. I seitens der Abt. II führen! In Wirklichkeit würde dies jedoch nur den unbedeutendsten Teil der Abt. I betreffen, nämlich die verbrauchten Roh- und Hilfsstoffe (d. h. das zirkulierende konstante Kapital). Da sich jedoch in der Praxis die Krise für die entsprechenden Unternehmen dahingehend auswirkte, dass sich ihre Lagerbestände an unverkauften Roh- und Hilfsstoffen oder Halbfabrikaten erhöhten, kann ein Teil der Nachfrage ohne entsprechende Wiederaufnahme der Produktion befriedigt werden. Was aber das Wesentliche der Abt. I, nämlich die Ausrüstungsgüter (Produktionsanlagen, Maschinen usw.) anbelangt, so werden sich die Kapitalisten der Abt. II durch die jetzt, nach dem für die Krise charakteristischen Abfall, leicht angestiegene Nachfrage nach Konsumgütern, nicht veranlasst sehen, sich neu auszurüsten, da ja die Krise eben bedeutete, dass die Produktionskapazitäten nicht ausgelastet und daher in ausreichendem Masse vorhanden sind.

Hinzu kommt, dass ein Teil der Roh- und Hilfsstoffe aus dem Ausland kommt und damit also keine Aufträge für die »nationalen« Unternehmen bedeutet. Insgesamt könnte die »Erhöhung der Massenkaufkraft« nur einen lächerlich geringfügigen Einfluss auf die Abt. I haben, deren Dynamik für das kapitalistische Wachstum entscheidend ist.

2) Je entwickelter der Kapitalismus und je stärker daher die Tendenz zur Integration in den Weltmarkt ist, um so mehr verwischen sich die Grenzen des inneren Marktes. Anders gesagt, der für den Export bestimmte Anteil der »nationalen« Produktion tendiert zum Wachstum, während umgekehrt ein immer grösserer Teil der »nationalen« Nachfrage aus Importen gedeckt wird.

Wenn auch der Umfang dieser beiden Teile offensichtlich mit der Grösse des einzelnen Landes, seinem historischen Entwicklungsstand, der Ausdehnung seines »inneren Marktes«, seinem Reichtum an Rohstoffen usw. variiert, so kann an der Tendenz zur wachsenden Integration doch kein Zweifel bestehen. Die Zahlenangaben der folgenden Tabelle illustrieren für die wichtigsten, entwickelten kapitalistischen Länder das Niveau und Wachstum dieser Integration von 1950 – 1974:

Exporte und Importe von Gütern und Dienstleistungen in % des Bruttosozialprodukts, 1950 und 1974
Land Exporte/BSP Importe/BSP
1950 1974 1950 1974
USA 4,8 8,3 4,2 8,8
Japan 12,6 14,7 11,5 15,7
Frankreich 16,4 19,5 15,6 18,6
Italien 6,4 23,8 7,2 29,9
Kanada 23,2 26,4 25,2 26,4
Grossbritannien 22,4 26,6 18,9 32,4
BRD 11,6 28,6 12,9 24,4
Schweiz 23,1 34,8 21,6 35,4
Belgien 29,4 47.5 34,7 45,6
Niederlande 30,1 57,0 33,8 54,8
Quellen: Jahr 1950 (1951 für Italien, 1952 für Japan, 1953 für Belgien): OECD, »Comptes nationaux des pays de TOCDE, 1950–1968«; Jahr 1974 (1973 für Frankreich und Belgien): Zahlenangaben berechnet nach: IWF, »International Financial Statistics«, November 1975.

Über die Mannigfaltigkeit der Zahlen und der Entwicklungsrhythmen hinweg, die das Spiel der konkreten Entwickiungsbedingungen der einzelnen kapitalistischen Nationen widerspiegelt, sind alle einer wachsenden Abhängigkeit vom Weltmarkt ausgesetzt. Allein durch die Lektüre dieser Zahlen springt einem die ganze Lächerlichkeit der »nationalen Lösungen« für die Krise ins Auge, besonders im Falle kleiner Nationen wie der Schweiz, Belgiens und der Niederlande, die ein Drittel, fast die Hälfte bzw. mehr als die Hälfte der »Güter und Dienstleistungen«, die sie produzieren und konsumieren, exportieren bzw. importieren. Im Falle von Nationen mit einem grösseren inneren Markt wie den USA z. B., ist die direkte Abhängigkeit vom Weltmarkt relativ geringer, was aber nichts daran ändert, dass sie mit grosser Geschwindigkeit anwächst. Aus diesem Grunde sind die zyklischen Krisen des Kapitalismus, die bereits zu Zeiten Marxinternational waren, dies in gewisser Hinsicht immer mehr, da die nationalen Wirtschaften auf dem Weltmarkt in eine immer grössere gegenseitige Verflechtung und Konkurrenz zugleich geraten.

Aus dieser wachsenden Integration ergibt sich für unsere Hypothese des Wachstums der »nationalen« Nachfrage nach Konsumgütern eine doppelte Konsequenz:
a) Dieses Wachstum wird den Kapitalisten der Abt. II zugute kommen, ob sie nun inländisch oder ausländisch sind. Sofern man nicht protektionistische Massnahmen durchführt (die die reformistischen Theoretiker nicht offen fordern, die aber in der Logik ihrer »Vorschläge« liegen), ist es nicht gesagt, dass die Lohnerhöhungen der deutschen Arbeiter nicht den Herstellern japanischer Motorräder, italienischer Kühlschränke oder in Singapur produzierter Bekleidung zugute kommen; es ist sogar gewiss, dass sie in einem bestimmten Verhältnis, welches schwer zu beziffern ist, dessen historische Wachstumstendenz aber mit Sicherheit feststeht, den ausländischen Waren und nicht den »nationalen« Kapitalisten nutzen wird. Kehren wir wieder zurück zu unserem Zahlenbeispiel und nehmen wir an, dass von den 200 an Gütern der Abt. II, die die Arbeiterklasse konsumiert, 150 von den »nationalen« Kapitalisten gekauft werden und 50 importiert werden, während gleichzeitig die Kapitalisten der Abt. II ebenfalls (der Einfachheit halber) 50 von der gleichen Güterart exportieren. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen wird sich die zusätzliche Nachfrage nach Konsumgütern in Höhe von 20 in 15 aufteilen, die an die »nationalen« Kapitalisten und 5, die an die »ausländischen« Kapitalisten gehen. Die Auswirkung auf die inländische Abt. II wird also nicht 6,6 %, sondern 15/300 = 5 % betragen, und der Einfluss auf die Gesamtproduktion nur 1,5 %…
b) Parallel hierzu ist die »nationale« Nachfrage nach »nationalen« Produkten der Abt. II nicht gleich der globalen Nachfrage nach dieser Produktion; Die Industrien der Abt. II arbeiten ebenfalls für den Export, und zwar in einem Verhältnis, das seinerseits auch eine historische Wachstumstendenz aufweist. Das Wachstum der »nationalen« Nachfrage wird also nur auf einen Teil der globalen Märkte der Industrien der Abt. II Einfluss haben. Wenn beispielsweise die »nationale« Nachfrage leicht ansteigt, während gleichzeitig die »ausländische« Nachfrage infolge der Verschärfung der Krise weiter sinkt, so kann das zweite Phänomen der Auswirkung des ersten entgegenarbeiten und sie auf Null reduzieren.

Aber von alledem ist bei den nationalen Gewerkschaften und Reformisten natürlich nicht die Rede. Laut dem theoretischen Hirngespinst dieser chauvinistischen Kleinkrämer könnte die BRD fast ganz allein eine Krise »überwinden«, die ihrem Wesen nach international ist und in die sich die grossen kapitalistischen Wirtschaften gegenseitig hineingezogen haben. Sie haben nichts gegen den Weltmarkt, wenn die Hochkonjunktur es erlaubt. Waren zu exportieren und dem nationalen Kapital vorteilhafte Positionen zu verschaffen. Aber die Tendenz braucht sich nur umzukehren und wie verwandelt »vergessen« sie sofort seine Existenz oder »entdecken«, dass die BRD »zu sehr von ihren Exporten abhängt« und dass die Lösung im Inneren liegt. In der Epoche des verwesenden Imperialismus, der entfesselten Konkurrenz, der beispiellosen Internationalisierung der Wirtschaft träumen sie von einem »vernünftigen« Kapitalismus mit einem massvollen Austausch zwischen »freien und gleichen« Nationen auf einem »reglementierten« Weltmarkt. Aber das alles gibt es nur in ihrer kleinbürgerlichen Einbildung, und ihre »konkreten Lösungsvorschläge« zur »Überwindung der Krise« sind nichts als Zaubermärchen, eben weil sie zwei grundlegende Kennzeichen, ohne die der Kapitalismus nicht mehr Kapitalismus wäre, »vergessen«, nämlich erstens, dass seine grundlegende Tendenz in der Produktion um der Produktion willen und der zügellosen Akkumulation besteht, die sich nur zu Lasten des Konsums der direkten Produzenten verwirklichen kann; zweitens, dass die kapitalistischen Nationen nicht autark leben, sondern auf dem Weltmarkt eng voneinander abhängen. Eine »Wiederbelebung der Massennachfrage« könnte nur einen schwachen Einfluss auf die kapitalistische Maschine in ihrer Gesamtheit haben; in keinem Fall kann sie eine verallgemeinerte Krise »heilen«, die sich gerade in einem starken Absinken der Produktion äussert, dass das letzte Mal überall 10 % überstiegen und in manchen Ländern sogar 15–20 % erreicht hat. Gewiss wäre dieser Einfluss nicht gleich Null, was erklärt, warum ihn die Kapitalisten nicht verachten: besser einige zusätzliche Verkäufe als überhaupt keine Verkäufe! Daher kommt es vor, dass auch sie, insbesondere die Kapitalisten der Abt. II, Massnahmen zur Wiederbelebung des Konsums fordern[7]; aber sie tun es nur in Worten, d. h. sie hüten sich sehr wohl davor, die einzige konsequente Massnahme, die dazu führen könnte, anzuwenden: die Lohnerhöhung. Ja, ganz im Gegenteil: Sie machen genau das Umgekehrte. Sie entlassen und senken die Löhne, wo sie nur können. Individuell genommen ist jeder Einzelkapitalist in der Tat von einem streng ökonomischen Gesichtspunkt aus für die Erhöhung der Löhne… vorausgesetzt es handelt sich um die Arbeiter der anderen Unternehmen, was seinen Markt direkt oder indirekt erweitern würde, und nicht um diejenigen seines Unternehmens, was seinen Profit einschränken würde. Da aber offensichtlich alle die gleiche Überlegung anstellen, die ja nur die allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck bringt, ist es, selbst wenn man von der inneren Disziplin der bürgerlichen Klasse gegenüber der Arbeiterklasse abstrahiert (d. h. von den Unternehmerverbänden u. a.), ausgeschlossen, dass sie zu Lohnerhöhungen schreiten. Dies führt uns zu der Schlussfolgerung, dass die Hypothese des Reformismus, die wir vorgaben ernst zu nehmen, um zu zeigen, dass sie zu keinerlei Resultat führen kann, selbst als Hypothese absurd ist. Sich vorzustellen, dass der Kapitalismus »die Krise überwindet«, indem er die »Massenkaufkraft steigert«, ist ebenso sinnlos wie die Vorstellung, er könne durch präventive Anwendung derselben Therapie versuchen, die Krisen zu vermeiden. Die immanente Tendenz des Kapitals besteht, wie wir erinnerten, nicht darin, die Löhne zu erhöhen, sondern sie zu verringern, um die Profite zu steigern. Die Krise kehrt diese Tendenz nicht um, ganz im Gegenteil, sie verschärft sie, da sie ja für das Kapital gerade ein Sinken der Profite bedeutet.

Dem Kapital zu raten, die Löhne zu steigern, d. h. die Profite zu verringern, um gegen die Auswirkungen einer Krise zu kämpfen, deren Bedeutung ja gerade in der Verminderung der Profite liegt, hat ungefähr genausoviel Sinn wie der Ratschlag an einen Schiffbrüchigen, doch einmal zu schauen, ob es nicht auf dem Meeresboden einen Ausweg gibt. Im übrigen sind sich die Herren der Gewerkschaften dessen in Wirklichkeit vollauf bewusst, da sich hinter ihren schönen Phrasen über die Notwendigkeit der Steigerung der Massenkaufkraft ein Handeln verbirgt, das nur darauf abzielt, die Kämpfe der Arbeiterklasse – die gerade versucht, ihren Konsum zu steigern – zu behindern und zu lähmen, um die Gesundheit der Unternehmen und der nationalen Wirtschaft nicht durch »unverantwortliche« Forderungen zu kompromittieren, die sie in »Gefahr« brächten! Was kann man daraus schlussfolgern, wenn nicht, dass ihre Vorschläge, die auf den ersten Blick im Interesse der Arbeiter zu liegen scheinen, nur das Ziel verfolgen, ihnen Sand in die Augen zu streuen und ihr Agieren als »labour-lieutenants« der Bourgeoisie zu verschleiern, deren Aufgabe darin besteht, die Ordnung in den Reihen der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten.

Der Wiederaufschwung der kapitalistischen Wirtschaft hat die Senkung des Volkskonsums zur Voraussetzung

Wenn die kapitalistische Produktionsmaschine die »Krise überwindet«, so macht sie dies auf eine dem reformistischen Gefasel genau entgegengesetzten Weise, nämlich indem sie den Volkskonsum senkt, Um seine durch die Krise gesunkenen Profite wiederherzustellen, versucht das Kapital, seine Ausgaben an variablem Kapital zu verringern und seine Mehrwertrate zu steigern; es entledigt sich der Arbeitskräfte, die infolge der Kontraktion der Märkte überflüssig geworden sind. Ein Teil des Kapitals ist entwertet: diejenigen Unternehmen, die die Krise und die Konkurrenz nicht verkraften können, machen Konkurs oder werden von ihren mächtigeren Konkurrenten zu Spottpreisen aufgekauft, was unvermeidlich zu neuen Entlassungen führt. Das Aufblähen der Reservearmee versetzt die Arbeiter in eine ungünstige Lage, um ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und hilft dem Kapital, die Löhne der noch beschäftigten Arbeiter zu senken.

Das Kapital bleibt aber hierbei nicht stehen. Indem die Krise jedem individuellen Kapitalisten den Stachel der Konkurrenz noch tiefer ins Fleisch treibt, zeigt sie ihm auch gleichzeitig den Weg an, den er als sein Heil betrachtet: die Investition, den Kauf neuer und produktiverer Maschinen, die es ihm ermöglichen, wettbewerbsfähiger als seine Konkurrenten zu sein und ihnen zusätzliche Märkte zu entreissen, die die zukünftigen Profite sichern. »Umstrukturieren«, »Rationalisieren«, d. h. die Produktivität durch Intensivierung der Arbeit und Ersetzung des Arbeiters durch die Maschine erhöhen, das ist die Parole, die in jeder Krise wieder auftaucht und die bedeutet, dass eine neue Welle von Arbeitern sich in der Reservearmee zu denjenigen gesellt, die aufgrund des Absinkens der Produktion dorthin gelangten. Aber indem es sich früher oder später bewusst wird, dass sein Heil nur in der Flucht nach vorn liegen kann, dass es investieren muss, um seine Existenz zu retten, trägt jedes Unternehmen zum Wiederaufschwung der Produktion von Ausrüstungsgütern der Abt. I bei und dadurch zum Wiederaufschwung der gesamten kapitalistischen Produktionsmaschine. Erst wenn sich diese Investitionsbewegung auf genügend wichtige Unternehmen und Branchen ausdehnt, und dies nicht nur auf nationaler, sondern auf internationaler Stufenleiter, beginnt die Bewegung der kapitalistischen Produktion sich in ihrer Gesamtheit wieder zu beschleunigen:
»Es sind zwar die Perioden, worin Kapital angelegt wird, sehr verschiedene und auseinanderfallende. Indessen bildet die Krise immer den Ausgangspunkt einer grossen Neuanlage. Also auch – die ganze Gesellschaft betrachtet – mehr oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Umschlagszyklus«[8].

Anders gesagt, der Kapitalismus überwindet die Krise nicht dank der Erhöhung der Produktion von Gütern der Abt. II (ganz im Gegenteil sogar bedeutet die »Rationalisierung« für eine gewisse Zeit weitere Entlassungen und also Druck auf die Löhne), sondern umgekehrt durch die Erhöhung der Produktion von Gütern der Abteilung I, und das kann auch nicht anders sein. Dieser Mechanismus erscheint erstaunlich oder wahnsinnig. Sicherlich, aber dies ist der Mechanismus, der den allgemeinen Gesetzen der kapitalistischen Produktion entspricht, der Flucht nach vorn, der Produktion für die Produktion, der Akkumulation ohne Unterlass, dem schnelleren Wachstum der Abteilung der gesellschaftlichen Produktion, die Produktionsgüter herstellt.

Indem es somit jedes Mal seine produktive Basis erweitert, geht das Kapital nur aus einer Krise hervor, indem es die Bedingungen für weitere noch umfangreichere Krisen vorbereitet. Dieses krampfartige Fortschreiten im Wechsel von Krise und Expansion wohnt dem Kapital inne und ist für es notwendig wie das Atmen für das Leben des Menschen. Aus diesem Grunde kann es nicht darum gehen, die Krisen des Kapitals zu »vermeiden« oder zu »kurieren« – es sei denn, man unterwirft den Kapitalismus der einzig möglichen Radikalkur: das Abtöten dieses Kranken, der innerlich verfault und die ganze Gesellschaft vergiftet; die systematische Vernichtung seiner verwesenden Überreste, die lange und sorgfältige Desinfektion und die Vernichtung aller Keime, die im gesellschaftlichen Körper zurückgeblieben sind und die zu seiner Wiedergeburt führen könnten.

Notes:
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  1. »Memorandum '73: Alternativen der Wirtschaftspolitik«, Sonderdruck aus »Blätter für deutsche und internationale Politik«, 5/78, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln [⤒]

  2. Dühring, von Engels zitiert in »Anti-Dühring«, MEW, Bd. 20, S. 266 [⤒]

  3. Engels, »Anti-Dühring«, MEW, Bd. 20, S. 256 [⤒]

  4. Lenin, »Werke«, Bd. 39, S. 416.
    Die Nachkommenschaft wäre unvollkommen ohne jenen anderen kleinbürgerlichen Kritiker des Imperialismus, Kautsky, der dieselbe Theorie entwickelt, was ihm den unversöhnlichen Spott Lenins einbringt:
    »Selbstverständlich wäre es noch besser, durch Erhöhung der Arbeitslöhne den Kapitalismus zu entwickeln und die Märkte zu erweitern; das ist durchaus ›denkbar‹, und den Finanzkapitalisten in diesem Geiste ins Gewissen zu reden wäre das passendste Thema für eine Pfaffenpredigt…«. (»Der Zusammenbruch der II. Internationale«, »Werke«, Bd. 21, S.224) [⤒]

  5. Marx, »Das Kapital«, 2. Band, MEW, Bd. 24, S. 409
    In einer Anmerkung am Ende dieses Passus bemerkt Engels:
    »Ad notam für etwaige Anhänger der Rodbertusschen Krisentheorie«.
    Noch ein Mitglied der grossen Familie der Reformisten. [⤒]

  6. Lenin, »Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik«, 1897, »Werke« Bd. 2, S.148/149. [⤒]

  7. Den Stalinisten und Euro-Stalinisten ist dies natürlich willkommener Anlass, um ein »solidarisches Bündnis« der Proletarier mit ihren Ausbeutern offen zu fordern. So schrieb z. B. KPF-Mann H. Fiszbin in »France Nouvelle« (28. 08. 1974):
    »Zwischen Lohnabhängigen und den kleinen und mittleren Unternehmen kann sich nunmehr eine tatsächliche Solidarität (!), ein Zusammengehen in den Kämpfen (!) äussern. Es gibt dafür tagtägliche Beispiele: Wenn die Arbeiter bessere Lohnbedingungen und eine Steigerung ihrer Kaufkraft fordern, und die kleinen und mittleren Unternehmen ihrerseits Massnahmen zur Erhöhung des Volkskonsums verlangen, so führen beide einen parallelen Kampf gegen denselben Gegner: gegen die Macht der Monopole«.
    Ob euro- oder russisch orientiert, ob KPF oder DKP, ändert sich zwar die imperialistische Macht, an die man sich anlehnt: das soziale Programm ist aber dasselbe.
    Natürlich fällt es den »nichtmonopolistischen« Kapitalisten nicht ein, dass das beste Mittel, den Konsum »ihrer« Arbeiter zu erhöhen, darin besteht… ihre Löhne zu erhöhen! Und den vielen Herren Fiszbin fällt es noch weniger ein, dass die Arbeiter der »nichtmonopolistischen« Unternehmen ihren Konsum durch einen Lohnkampf gegen ihre Arbeitgeber erhöhen könnten – das würde ja die »tatsächliche Solidarität«… mit den Unternehmern beeinträchtigen! Besser kann man Klassenkollaboration und Verrat an den Arbeiterkämpfen kaum theorisieren! [⤒]

  8. Marx, »Das Kapital«, Bd. 2, MEW, Bd. 24, S. 186. [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 19, August 1978

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