Marxismus und Klassenkampf
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ÜBERBLICK ÜBER DIE UKRAINISCHEN AGRAREXPORTE


Content:

Überblick über die ukrainischen Agrarexporte[1]
Einleitung
Verbrauch, Export, Verarbeitung
Wer profitiert davon?
Die Folgen
Schlussfolgerung
Anmerkungen
Source


Рабочий Фронт Украины/Робітничий Фронт України (Ukrainische Arbeiterfront)

Überblick über die ukrainischen Agrarexporte

Einleitung

Schon zu Beginn der neolithischen Revolution, als die Menschheit vor etwa 11 000 bis 10 000 Jahren von einer nahrungserwerbenden zu einer ackerbauenden Gesellschaft überging und mit dem Anbau von Pflanzen begann, war die Frage der Lagerung und Verarbeitung der Früchte der Feldarbeit von grosser Bedeutung. Bereits vor 9500 Jahren entstanden Silos, primitive Mühlen – Kornmühlen und Mörser. Zu dieser Zeit entstanden auch die Gesellschaftsschichten und der Handel (Tausch) von Überschüssen der Produktion.

Seitdem ist der Fortschritt der Menschheit sehr weit vorangeschritten, aber im Grunde hat sich nur eines in der Landwirtschaft geändert, nämlich ihr Hauptziel: Jetzt wird sie für den Verkauf von Überschüssen betrieben.

Verbrauch, Export, Verarbeitung

Betrachten wir die Statistiken über den Verbrauch und den Export landwirtschaftlicher Produkte in unserem Land im Jahr 2021 bei den wichtigsten Getreidekulturen:

Weizen – 33,0 Mio. t. produziert, 10,0 Mio. t. im Land verbraucht, 18,0 Mio. t. exportiert
Mais – 42,97 Mio. t. produziert, 12,2 Mio. t. im Land verbraucht, 24,0 Mio. t. exportiert
Gerste – 10,59 Mio. t. produziert, 4,0 Mio. t. im Land verbraucht, 5,8 Mio. t. exportiert

Gleichzeitig sieht die Situation laut Regierungsvertretern ein wenig anders aus. Der gesamte Inlandsverbrauch an Getreide beträgt 19,0 Millionen Tonnen, davon 7,0 Millionen Tonnen Weizen, bei einer Gesamternte von 85,7 Millionen Tonnen im Jahr 2021.

Es ist auch notwendig, die Situation bei der wichtigsten Ölsaat, der Sonnenblume, zu berücksichtigen. Schauen wir uns die Situation im Jahr 2019 an. Damals wurden 15,47 Millionen Tonnen Sonnenblumen angebaut, von denen 15,2 Millionen Tonnen im Inland verwendet und nur 50 Tausend Tonnen exportiert wurden.

Man könnte meinen, dass die Situation bei der Sonnenblume besser aussieht, aber dem ist nicht so, denn im Gegensatz zu Getreide wird die Sonnenblume in einem verarbeiteten Zustand exportiert, nämlich in Form von Öl. Um den Verarbeitungsprozess zu verstehen, musst du wissen, dass die Ausbeute an Sonnenblumenöl 45–50% beträgt. Insgesamt produziert die Ukraine 6,6 Millionen Tonnen Sonnenblumenöl. Um diese Menge an Öl zu gewinnen, müssen mindestens 13,2 Millionen Tonnen Sonnenblumen verarbeitet werden, wahrscheinlich sogar 14 Millionen Tonnen. Gleichzeitig wurden nur 0,47 Millionen Tonnen von den Ukrainern verbraucht, der Rest des Öls wurde exportiert, was 6,2 Millionen Tonnen ausmachte.

Es ist erwähnenswert, dass die Ukraine seit 2018 der grösste Produzent und Exporteur von Sonnenblumenöl in der Welt ist. Je nach Jahr erreicht der Anteil des ukrainischen Öls bis zu 31 % der Weltproduktion. Aber warum steigen dann die Ölpreise für die Bevölkerung jeden Tag? Die Antwort ist ganz einfach und banal – denn es ist nicht profitabel, Öl an die Bevölkerung billiger als zum Weltmarktpreis zu verkaufen, und kein Kapitalist wird auf Gewinn verzichten, selbst wenn er Menschen durch Hunger töten muss. Die Situation ist bekannt: »Egal ob gehungert wird, wir exportieren.«

Die Situation bei anderen Ölsaaten unterscheidet sich in keiner Weise von der oben beschriebenen Situation bei Sonnenblumen. Aus öffentlichen Quellen geht hervor, dass die Situation Ende 2021 nicht viel anders aussehen wird.

Es sei darauf hingewiesen, dass Abfälle aus der Ölförderung zu Briketts verarbeitet und zum Heizen von Öfen verwendet werden, was vor dem Hintergrund der steigenden Kohlepreise nach den Ereignissen von 2014–2015 wichtig geworden ist.

Wenn wir die vorangegangenen Daten analysieren, wird deutlich, dass der ukrainische Agrarsektor direkt vom Export abhängig ist, da 56–85 Prozent der Produktion der wichtigsten landwirtschaftlichen Nutzpflanzen ins Ausland gehen.[2]

Wer profitiert davon?

Beim Handel mit allem und zu jeder Zeit sind die grössten Finanzströme und die grössten Gewinne immer in den Händen von Händlern der höchsten Ordnung. Die Landwirtschaft ist da keine Ausnahme, denn der Löwenanteil der Gewinne geht an grosse Handelsunternehmen.

Die Gewinne selbst werden durch die Arbeit Zehntausender Ukrainerinnen und Ukrainer im Agrar- und Logistiksektor sowie durch exzessive Spekulationen erwirtschaftet, die aufgrund der erheblichen Monopolisierung der Branche möglich sind, wie wir weiter unten zeigen werden.

Beim Getreidehandel im Jahr 2021 erhielten die Händler 12,5 Milliarden Dollar für den Export von 51,2 Millionen Tonnen Getreide. Die Exportführer sind die folgenden Unternehmen: Kernel, Nibulon, Cargill, Louis Dreyfus Company, Sierentz Global Merchants.

Bei Ölsaaten und Ölexporten ist die Situation anders, da alle Exporte über den Verband »Ukroliyaprom« [Укроліяпром] laufen, eine Organisation, die die Beziehungen zwischen Händlern, Ölproduzenten und dem Staat regelt.

Der Leiter dieser Organisation ist der ehemalige stellvertretende Minister und jetzige Generaldirektor Stepan Kapshuk. Er leitet den Verband seit seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst. Das ruft Gedanken über das Wachstum von Macht und Kapital hervor.

Aus dem Ölhandel wurden im Jahr 2021 mit dem Export von 7,3 Millionen Tonnen Sonnenblumenöl 5,32 Milliarden Dollar eingenommen. Die Leiter des Exports sind: Kernel, Suntrade (Bunge), Cargill, Delta Wilmar CIS, Alseeds Black Sea. Diese Unternehmen kontrollieren 47%, wobei fast ein Viertel von Kernel kontrolliert wird. Insgesamt beherrschen die 10 grössten Unternehmen 65,1 % des Ölmarktes.

Es ist auch sehr interessant zu sehen, welche dieser Unternehmen inländisch sind. Cargill – die USA, Louis Dreyfus Company – die Niederlande, Sierentz Global Merchants – Schweiz, Suntrade – die USA, Delta Wilmar – Singapur, Alsids – Luxemburg. Nur Kernel und Nibulon bleiben übrig, aber mit ihnen ist alles sehr einfach.

Die Kernel Joint Stock Company gehört zu 39,93 % der Namsen LTD, einem in Zypern registrierten Unternehmen im Besitz von Andriy Verevsky. Die restlichen Aktien wechseln an der Warschauer Börse den Besitzer zwischen europäischen Investment- und Pensionsfonds. Daher ist sie nicht ukrainisch.[3]

Die Nibulon GmbH hat jedoch ausschliesslich ukrainische Eigentümer, die jedoch vollständig von europäischen Gläubigern abhängig sind, vor allem von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

In der Tat steht zwischen den Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte (d. h. dem Landproletariat) und ihren zahlreichen Verbrauchern in der Ukraine und in der Welt eine Gruppe superreicher Spekulanten und Ausbeuter, die bereit sind, sowohl die Erzeuger als auch die Verbraucher verhungern zu lassen, um sich der Produkte der Arbeit zu bemächtigen, wenn nur die Börsennotierungen höher sind.

Die Folgen

Die aktuelle Situation hat sich in den letzten 20–25 Jahren entwickelt und die Richtung der landwirtschaftlichen Entwicklung im Land bestimmt. Die Konzentration auf den Export hat zu mehreren negativen Folgen geführt, nämlich:

1. Die Konzentration des Löwenanteils der Finanzmittel nicht in den Händen der Produzenten, sondern in den Händen der Händler, was dazu führte:
– Verzögerte Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen.
– Niedergang des Dorfes.
– Überalterung des Parks von landwirtschaftlichen Maschinen und landwirtschaftlicher Technik.

2. Auf den internationalen Märkten werden nur noch beliebte Nutzpflanzen angebaut, was wiederum dazu führt:
– Niedergang des Fruchtfolgesystems in der Landwirtschaft.
– Verarmung der Böden, insbesondere im Schwarzerdegürtel und in der Trockensteppenzone.
– Verseuchung der Felder durch Unkraut, Krankheiten und Schädlinge.
– Niedergang des Rübenanbaus und der Zuckerindustrie.
– Niedergang der Rinder- und Kleinviehzucht.

3. Stagnation der Speicherkapazitäten.

Während sich die ersten beiden Punkte nach und nach und konstant zeigten, hatte der dritte Punkt kaum Auswirkungen auf die Entwicklung der Wirtschaft. Die Händler kauften vom Staat oder bauten selbst Silos für die Mindestmengen, die für den effektiven Export der Ernteproduktion ins Ausland nötig waren. Ausserdem wurden in grossem Umfang Fluss- und Seeterminals gebaut, um Getreide und Öl auf dem billigsten Weg zu exportieren.

Deshalb wurde das Silosystem für die Spitzenlast zur Zeit der Ernte der Hauptfrüchte ausgelegt. Die Gesamtkapazität aller Silos (einschliesslich der Hafen- und Küstenspeicher) betrug Anfang 2022 57,7 Millionen Tonnen. Gleichzeitig ist der staatliche Empfehlungsplan (in engen Kreisen als »Plan 100« bekannt) auf eine jährliche Getreideernte von insgesamt 100+ Millionen Tonnen Getreide ausgelegt. Dazu kommen noch 25 Millionen Tonnen Ölsaaten.

Das heisst, die Kapazitäten der Silos können nicht einmal 50 % der geplanten Ernte aufnehmen. Das war ein grausamer Scherz nach den Ereignissen vom 24. Februar. Es stellte sich heraus, dass ein grosser Teil der Ernte 2021 noch nicht verkauft wurde und dass die Ernte 2022 überdurchschnittlich gross ausfallen wird. Ausserdem war es aufgrund der Seeblockade nicht möglich, Getreide oder Öl direkt ins Ausland zu exportieren.

Als Folge der Feindseligkeiten wurden 9,7 Millionen Tonnen Silokapazitäten ausser Betrieb gesetzt, weitere 3–3,5 Millionen befinden sich in den besetzten Gebieten. Das heisst, die gesamte Lagerkapazität beträgt jetzt 44,5–45,0 Millionen Tonnen.

Hier findet der dringend benötigte »Grain Deal« statt. Es rettet die »heimischen« Handelsunternehmen und die Ernte, die einfach auf den Feldern verenden könnte, weil sie nicht eingesammelt werden kann. Und egal, wie sehr die Regierung es leugnete, sie einigte sich mit dem Aggressor, um die Interessen des heimischen Kapitals zu sichern.[4] All das beweist nur die These über den wachsenden Einfluss des Finanzkapitals beim Staat.

Schlussfolgerung

In den Jahren der Unabhängigkeit hat sich die Landwirtschaft verändert, der Einfluss des Marktes hat zu einem zunehmenden Ungleichgewicht und einer Ausrichtung auf Getreide und Ölsaaten geführt. Die Anbauflächen von Öllein, Langflachs, Zuckerrüben und Futtermischungen waren rückläufig. Aber selbst wenn Landwirte und landwirtschaftliche Betriebe etwas dagegen tun wollten, konnten sie es nicht, weil sie von Händlern abhängig waren, die nur die teuersten Feldfrüchte auf den Weltmarkt exportieren wollten.

Die Konzentration der Gewinne in den Händen von Händlern hat zu einer Verschlechterung der Situation auf dem Land geführt. Da kleine und mittlere Betriebe keine eigenen Getreidelager haben, sind sie gezwungen, ihre Produkte zum Zeitpunkt der Ernte, manchmal direkt vom Feld, zum niedrigsten Preis zu verkaufen. Dementsprechend sinken die Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter, die Zahl der Arbeitsplätze geht zurück, und die jüngere Generation zieht auf der Suche nach einem besseren Leben in die Stadt, und das Dorf stirbt allmählich aus. All das erinnert uns an ein altes Sprichwort: »Ein Kapitalist ist bereit, um des Profits willen jedes Verbrechen zu begehen«.[5] Auch wenn dieses Verbrechen eine Katastrophe für die ganze Bevölkerung ist…

Ist es nicht an der Zeit, die Katastrophe abzuwenden und einen neuen »roten Winter« zu veranstalten?[6]

Anmerkungen:
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  1. Wir präsentieren hier einen Text der »Ukrainischen Arbeiterfront« über die Agrarexporte der Ukraine. Dieses Thema hat vor allem durch das von der Türkei vermittelte »Getreideabkommen« zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation während des laufenden Krieges besondere Aufmerksamkeit hervorgerufen. Im Text selbst wird auf die Beweggründe Russlands zu diesem Deal nicht eingegangen, aber auch dort wirken die mächtigen Interessen der heimischen Getreide- und Düngemittelexporteure. Kapital schlägt sich, und es verträgt sich – die Hauptsache ist, die Profite stimmen. Dass es beiden Seiten nicht darum geht den Welthunger zu bekämpfen, wie es die heuchlerischen Verlautbarungen aller Fraktionen der Weltbourgeoisie postulieren, das versteht sich von selbst. Der grösste Teil der ukrainischen Getreideexporte ging dementsprechend seitdem nicht etwa in die südliche Hemisphäre sondern nach Westeuropa…
    Die sich als marxistisch verstehende »Ukrainische Arbeiterfront« vertritt eine klar defätistische Position im gegenwärtigen Kriegsgeschehen, was wir ausserordentlich und besonders in diesen Zeiten begrüssen, auch wenn wir in einigen anderen Fragen gewiss anderer oder gar gegensätzlicher Auffassungen sind. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels möchten wir eben auch einen klaren Hinweis darauf geben, dass es ebenso in der Ukraine Kräfte gibt, die sich nicht dem Kriegsgeschrei der offiziellen Politik beider Seiten beugen und sich dem proletarischen Internationalismus verpflichtet fühlen.
    Alle Anmerkungen hier sind von der Redaktion von »Marxismus & Klassenkampf«, auf die Wiedergabe der zahlreichen Quellenverweise im Originaltext haben wir verzichtet, da es sich ausschliesslich um Links zu diversen Webseiten handelt. Sie können auf der Webseite des ukrainischen Originalartikels eingesehen werden.[⤒]

  2. Im Wirtschaftsjahr 2022 rechnet die Ukraine mit dem Export von etwa 65–70 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten. Das sind etwa 22 Millionen Tonnen Rückstände aus der letzten Ernte und 38–43 Millionen Tonnen aus der diesjährigen Ernte. Aufgrund des Krieges stehen dieses Jahr nur etwa 60 % der bisherigen Anbaufläche zur Verfügung.[⤒]

  3. Inzwischen gibt es gar ein Projekt Pflanzenöl per Pipeline von der Ukraine zum Hafen von Danzig zu befördern. Ein vorläufiger Vertrag ist schon im September 2022 unterzeichnet worden.[⤒]

  4. Insgesamt fuhren, laut Meldungen des ukrainischen Agrarministeriums, bis zum 14. Dezember 2022 554 Schiffe mit 13,9 Millionen Tonnen Agrarprodukten, darunter 4 Millionen Tonnen Weizen und 5,9 Millionen Tonnen Mais, durch den mit der Russischen Föderation vereinbarten Korridor aus der Ukraine. Wer an diesen Exporten verdient, darüber schweigt das Ministerium geflissentlich.[⤒]

  5. In diesem Sinne zitiert Marx in einer Fussnote im »Kapital« einen Textausschnitt aus der Gewerkschaftszeitung »The Quarterly Review«: »Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuss; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.« (MEW, Bd. 23, S. 788)[⤒]

  6. Ein neuer »roter Winter« bezieht sich auf eine 1922 erschienene Gedichtsammlung gleichen Namens des ukrainischen Schriftstellers Wolodymyr Sosjura (1898–1965), der 1920 der Kommunistischen Partei beitrat und auf Seiten der Roten Armee am Bürgerkrieg in der Ukraine teilnahm. Ein grosser Teil seines Werkes bezieht sich auf diese Episode.[⤒]


Source: »Огляд українського сільськогосподарського експорту«, 2022.
Übersetzt aus dem Ukrainischen von M&K 2022.

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