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LEITSÄTZE ÜBER DIE ROLLE DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI IN DER PROLETARISCHEN REVOLUTION


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Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution
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Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution

angenommen auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920

Das Weltproletariat steht vor entscheidenden Kämpfen. Die Epoche, in der wir jetzt leben, ist die Epoche der offenen Bürgerkriege. Die entscheidende Stunde naht. Fast in allen Ländern, in denen es eine bedeutende Arbeiterbewegung gibt, steht die Arbeiterklasse vor einer Reihe erbitterter Kämpfe, mit der Waffe in der Hand.
Mehr als jemals braucht die Arbeiterklasse straffe Organisation. Unermüdlich muss sie sich jetzt für diese Kämpfe vorbereiten, ohne eine einzige Stunde der kostbaren Zeit zu verlieren.
Hätte die Arbeiterklasse während der Pariser Kommune (1871) eine straffe, wenn auch kleine kommunistische Partei gehabt, so würde der erste heroische Aufstand der französischen Proletarier viel stärker ausgefallen sein, und viele Irrtümer und Schwächen hätten vermieden werden können.
Die Kämpfe, die dem Proletariat jetzt in einer anderen historischen Situation bevorstehen, werden viel schicksalsschwerer sein als im Jahre 1871. Der Zweite Weltkongress der Kommunistischen Internationale macht daher die revolutionäre Arbeiterschaft der ganzen Welt auf folgendes aufmerksam:

1. Die kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der fortgeschrittenste, klassenbewussteste und daher revolutionärste. Die kommunistische Partei wird auf dem Wege der natürlichen Auslese der besten, klassenbewusstesten, opferwilligsten, weitsichtigsten Arbeiter geschaffen. Die kommunistische Partei hat keine von den Interessen der gesamten Arbeiterklasse abweichenden Interessen. Die kommunistische Partei unterscheidet sich von der gesamten Arbeiterklasse dadurch, dass sie eine Übersicht über den ganzen historischen Weg der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit hat und bestrebt ist, auf allen Biegungen dieses Weges nicht die Interessen einzelner Gruppen oder einzelner Berufe zu verteidigen, sondern die Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit. Die kommunistische Partei ist der organisatorisch-politische Hebel, mit dessen Hilfe der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterklasse die gesamte Masse des Proletariats und des Halbproletariats auf den richtigen Weg lenkt.

2. Bis zu der Zeit, wo die Staatsmacht vom Proletariat erobert worden ist und das Proletariat seine Herrschaft ein für allemal gefestigt und vor bürgerlicher Restauration gesichert hat – bis dahin wird die kommunistische Partei in ihren Reihen nur die Minderheit der Arbeiter organisiert haben. Bis zur Ergreifung der Macht und in der Übergangszeit vermag die kommunistische Partei unter günstigen Umständen einen ungeteilten geistigen und politischen Einfluss auf alle proletarischen und halbproletarischen Schichten der Bevölkerung auszuüben, vermag aber nicht, sie all in ihren Reihen organisatorisch zu vereinigen. Erst nachdem die proletarische Diktatur so mächtige Beeinflussungsmittel wie die Presse, die Schule, das Parlament, die Kirche, den Verwaltungsapparat usw. der Bourgeoisie aus den Händen gewunden hat, erst nachdem die endgültige Niederlage der bürgerlichen Ordnung für alle klar wird – erst dann werden alle oder fast alle Arbeiter beginnen, in die Reihen der kommunistischen Partei einzutreten.

3. Die Begriffe Partei und Klasse müssen strengstens auseinander gehalten werden. Die Mitglieder der »christlichen« und liberalen Gewerkschaften Deutschlands, Englands und anderer Länder sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Die noch hinter Scheidemann, Gompers und Konsorten stehenden mehr oder minder bedeutenden Arbeiterkreise sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Unter gewissen historischen Verhältnissen ist es sehr wohl möglich, dass die Arbeiterklasse von sehr zahlreichen reaktionären Schichten durchsetzt ist. Die Aufgabe des Kommunismus besteht nicht in der Anpassung an diese zurückgebliebenen Teile der Arbeiterklasse, sondern darin, die gesamte Arbeiterklasse bis zum Niveau des kommunistischen Vortrupps zu heben. Die Verwechslung dieser zwei Begriffe – Partei und Klasse – kann zu den grössten Fehlern und zur Konfusion führen. So ist es z. B. klar, dass trotz der Stimmungen und der Vorurteile eines gewissen Teiles der Arbeiterklasse während des imperialistischen Krieges die Arbeiterpartei um jeden Preis diesen Stimmungen und Vorurteilen entgegenzutreten hatte, indem sie die historischen Interessen des Proletariats vertrat, die erforderten, dass die proletarische Partei Krieg dem Kriege erklärt.
So beriefen sich z. B. bei Beginn des imperialistischen Krieges im Jahre 1914 die Parteien der Sozialverräter aller Länder, indem sie die Bourgeoisie ihres »eigenen« Landes unterstützten, stets konsequent auf den entsprechend lautenden Willen der Arbeiterklasse. Sie vergassen dabei, dass, selbst wenn dem so wäre, es die Aufgabe der proletarischen Partei bei solcher Lage der Dinge sein müsste, den Stimmungen der Mehrheit der Arbeiter entgegenzutreten und trotz alledem die historischen Interessen des Proletariats zu vertreten. So verwarfen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die russischen Menschewiki jener Zeit (die sog. Ökonomisten) den offenen politischen Kampf gegen den Zarismus mit der Begründung, die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit sei noch nicht zum Verständnis des politischen Kampfes gereift.
So berufen sich immer die rechten Unabhängigen Deutschlands in allen ihren Halbheiten darauf, dass die »Massen das wünschen«, ohne zu verstehen, dass die Partei dazu da ist, den Massen voranzugehen und ihnen den Weg zu zeigen.

4. Die Kommunistische Internationale hält beharrlich an der Überzeugung fest, dass der Zusammenbruch der alten »sozialdemokratischen« Parteien der Zweiten Internationale unter keinen Umständen als Zusammenbruch des proletarischen Parteiwesens überhaupt dargestellt werden darf. Die Epoche des direkten Kampfes um die Diktatur des Proletariats bringt eine neue Partei des Proletariats zur Welt: die kommunistische Partei.

5. Die Kommunistische Internationale verwirft auf das entschiedenste die Ansicht, als könne das Proletariat seine Revolution vollziehen, ohne eine selbständige politische Partei zu haben. Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf. Das Ziel dieses Kampfes, der sich unvermeidlich in einen Bürgerkrieg verwandelt, ist die Eroberung der politischen Macht. Die politische Macht kann nicht anders ergriffen, organisiert und geleitet werden als durch irgendeine politische Partei. Nur in dem Fall, wenn das Proletariat als Führer eine organisierte und erprobte Partei mit streng ausgeprägten Zielen und mit handgreiflich ausgearbeitetem Programm über die nächsten Massnahmen sowohl auf dem Gebiet der inneren, wie auch der auswärtigen Politik hat, wird die Eroberung der politischen Macht nicht als zufällige Episode erscheinen, sondern sie wird als Ausgangspunkt dienen zu einem dauernden kommunistischen Aufbau der Gesellschaft durch das Proletariat.
Derselbe Klassenkampf erfordert gleichfalls die zentrale Zusammenfassung und die gemeinsame Leitung der verschiedenartigen Formen der proletarischen Bewegung (Gewerkschaften, Konsumvereine, Betriebsräte, Bildungsarbeit, Wahlen und dergleichen). Ein derartiges zusammenfassendes und leitendes Zentrum vermag nur eine politische Partei zu sein. Der Verzicht, eine solche zu schaffen und zu stärken, sich einer solchen unterzuordnen, bedeutet den Verzicht auf die Einheitlichkeit in der Führung der einzelnen Kampftrupps des Proletariats, die auf den verschiedenen Kampfplätzen vorgehen. Der Klassenkampf des Proletariats erfordert eine konzentrierte Agitation, welche die verschiedenen Etappen des Kampfes von einem einheitlichen Standpunkt beleuchtet und die Aufmerksamkeit des Proletariats in jedem betreffenden Augenblick auf bestimmte, der gesamten Klasse gemeinsame Aufgaben lenkt. Das kann ohne einen zentralisierten politischen Apparat, d. h. ausserhalb einer politischen Partei, nicht durchgeführt werden. Die von den revolutionären Syndikalisten und den Anhängern der Industriearbeiter der Welt (IWW) betriebene Propaganda gegen die Notwendigkeit einer selbständigen Arbeiterpartei trug und trägt daher sachlich nur zur Unterstützung der Bourgeoisie und der gegenrevolutionären »Sozialdemokraten« bei. In ihrer Propaganda gegen eine kommunistische Partei, die sie ausschliesslich durch Gewerkschaften oder irgendwelche formlosen »allgemeinen« Arbeiterunionen ersetzen wollen, berühren sich die Syndikalisten und Industrialisten mit unverhüllten Opportunisten. Die russischen Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution 1905 einige Jahre lang die Idee des sogenannten Arbeiterkongresses gepredigt, der die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ersetzen sollte. Die »gelben Labouristen« jeglicher Art in England und in Amerika predigen den Arbeitern die Schaffung von formlosen Arbeiterverbänden oder verschwommenen, nur parlamentarischen Vereinigungen an Stelle der politischen Partei und setzen gleichzeitig eine durchaus bürgerliche Politik in die Tat um. Die revolutionären Syndikalisten und Industrialisten wollen gegen die Diktatur der Bourgeoisie kämpfen, wissen aber nicht, wie. Sie merken nicht, dass die Arbeiterklasse ohne eine selbständige politische Partei ein Rumpf ohne Kopf ist.
Revolutionärer Syndikalismus und Industrialismus bedeuten einen Schritt vorwärts nur im Vergleich mit der alten, dumpfen, gegenrevolutionären Ideologie der Zweiten Internationale. Im Vergleich aber mit dem revolutionären Marxismus, d. h. mit dem Kommunismus, bedeuten Syndikalismus und Industrialismus einen Schritt rückwärts. Die Erklärung der »linken« KAPD auf ihrem Gründungsparteitag im April, dass sie eine Partei gründe, aber »keine Partei im überlieferten Sinne«, bedeutet eine geistige Kapitulation vor denjenigen Anschauungen des Syndikalismus und Industrialismus, die reaktionär sind.
Allein durch den Generalstreik, durch die Taktik der verschränkten Arme, kann die Arbeiterklasse nicht den Sieg über die Bourgeoisie davontragen. Das Proletariat muss zum bewaffneten Aufstand greifen. Wer das verstanden hat, wird auch begreifen müssen, dass dazu eine organisierte politische Partei not tut und formlose Arbeiterunionen nicht genügen.
Die revolutionären Syndikalisten sprechen oft von der grossen Rolle einer entschlossenen revolutionären Minderheit. Nun, eine wirklich entschlossene Minderheit der Arbeiterklasse, eine Minderheit, die kommunistisch ist, die handeln will, die ein Programm hat, die den Kampf der Massen organisieren will, ist eben die kommunistische Partei.

6. Die wichtigste Aufgabe einer wirklich kommunistischen Partei besteht darin, immer in engster Fühlung mit den breitesten Schichten der Proletarier zu bleiben.
Um das zu erreichen, können und sollen die Kommunisten auch in solchen Vereinigungen wirken, die nicht parteimässig sind, die aber grosse Proletarierschichten umfassen, z. B. Kriegsbeschädigtenorganisationen in verschiedenen Ländern, Komitees der »Hands off Russia« in England, proletarische Mietervereine usw. Besonders wichtig ist das russische Beispiel der sogenannten »parteilosen« Arbeiter- und Bauernkonferenzen. Solche Konferenzen werden fast in jeder Stadt, in jedem Arbeiterviertel und auch auf dem Lande organisiert. Bei den Wahlen zu diesen Konferenzen beteiligen sich die breitesten Massen auch der zurückgebliebenen Arbeiter. Auf die Tagesordnung werden die aktuellsten Fragen gestellt: Ernährungsfrage, Wohnungsfrage, militärische Fragen, Schulfrage, politische Aufgaben des Tages etc. Die Kommunisten beeinflussen diese »parteilosen« Konferenzen auf das eifrigste – und mit grösstem Erfolg für die Partei.
Die Kommunisten halten für ihre wichtigste Aufgabe die systematische organisatorisch-erzieherische Arbeit innerhalb dieser weiten Arbeiterorganisationen. Aber um eben diese Arbeit erfolgreich zu gestalten, um die Gegner des revolutionären Proletariats daran zu hindern, dass sie sich dieser weiten Arbeiterorganisationen bemächtigen, müssen die fortgeschrittenen kommunistischen Arbeiter ihre eigene, selbständige, geschlossene kommunistische Partei bilden, die stets organisiert vorgeht und die imstande ist, bei jeder Wendung der Ereignisse und bei allen Formen der Bewegung die allgemeinen Interessen des Kommunismus wahrzunehmen.

7. Die Kommunisten meiden keineswegs nicht parteigemässe Massenorganisationen der Arbeiter. Sie scheuen sich unter Umständen selbst dann nicht, wenn sie einen ausgeprägt reaktionären Charakter tragen (gelbe Verbände, christliche Verbände usw.), an ihnen teilzunehmen und sie auszunutzen. Die kommunistische Partei leistet innerhalb dieser Organisationen beständig ihre Propaganda und überzeugt die Arbeiter unermüdlich, dass die Idee der Parteilosigkeit als Prinzip von der Bourgeoisie und ihren Handlangern zielbewusst unter den Arbeitern gefördert wird, um die Proletarier vom organisierten Kampf für den Sozialismus abzulenken.

8. Die alte »klassische« Einteilung der Arbeiterbewegung in drei Formen – Partei, Gewerkschaften und Genossenschaften – ist offenbar überholt. Die proletarische Revolution in Russland hat die Grundform der proletarischen Diktatur – die Sowjets – geschaffen. Die Neueinteilung, der wir überall entgegengehen, ist: 1. Partei, 2. Sowjet, 3. Produktionsverband (Gewerkschaft). Aber auch die Arbeiterräte wie auch die revolutionären Produktionsverbände müssen beständig und systematisch von der Partei des Proletariats, d. h. von der kommunistischen Partei, geleitet werden. Der organisierte Vortrupp der Arbeiterklasse: die kommunistische Partei, die in gleichem Masse die Kämpfe der gesamten Arbeiterklasse auf wirtschaftlichem wie politischem Gebiet, wie auch auf dem Gebiet des Bildungswesens leiten muss, muss den lebendigen Geist bilden, sowohl in den Produktionsverbänden und Arbeiterräten, als auch in allen anderen Formen der proletarischen Organisation.
Die Entstehung der Sowjets als historische Grundform der Diktatur des Proletariats schmälert keineswegs die führende Rolle der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution. Wenn von den »linken« Kommunisten Deutschlands (siehe ihren »Aufruf an das deutsche Proletariat« vom 14. April 1920, gezeichnet »Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands«) erklärt wird, »dass auch die Partei sich immer mehr dem Rätegedanken anpasst und proletarischen Charakter annimmt« (»K.A.Z.«, № 54), so ist das ein verworrener Ausdruck der Idee, als müsse sich die kommunistische Partei in den Räten auflösen, als könnten die Räte die kommunistische Partei ersetzen.
Diese Idee ist grundfalsch und reaktionär.
In der Geschichte der russischen Revolution erlebten wir einen ganzen Abschnitt, in dem die Sowjets gegen die proletarische Partei marschierten und die Politik der Agenten der Bourgeoisie unterstützten. Dasselbe war auch in Deutschland zu beobachten. Das gleiche ist auch in anderen Ländern möglich.
Damit die Sowjets ihren geschichtlichen Aufgaben gerecht zu werden vermögen, ist im Gegenteil das Bestehen einer kräftigen kommunistische Partei notwendig, einer Partei, die sich nicht einfach den Sowjets »anpasst«, sondern die in der Lage ist, diese selbst zu veranlassen, der »Anpassung« an die Bourgeoisie und die weissgardistische Sozialdemokratie zu entsagen, einer Partei, die vermittels der kommunistischen Fraktionen der Sowjets imstande ist, die Sowjets ins Schlepptau der kommunistischen Partei zu nehmen.
Wer der kommunistischen Partei den Vorschlag macht, sich den Sowjets »anzupassen«, wer in einer solchen Anpassung die Stärkung des »proletarischen Charakters« der Partei sieht, der erweist sowohl der Partei wie den Sowjets einen höchst fraglichen Dienst, der begreift weder die Bedeutung der Partei noch die der Sowjets. Die »Sowjetidee« wird um so eher siegen, je stärker die von uns in jedem Lande geschaffene Partei sein wird. Für die »Sowjetidee« legen jetzt auch viele »Unabhängige« und sogar Rechtssozialisten ein Lippenbekenntnis ab. Diesen Elementen werden wir nur dann verwehren können, die Sowjetidee zu verdrehen, wenn wir eine starke kommunistische Partei haben, die imstande ist, die Politik der Sowjets ausschlaggebend zu beeinflussen.

9. Die Arbeiterklasse benötigt der kommunistischen Partei nicht nur bis zur Eroberung der Macht, nicht nur während der Eroberung der Macht, sondern auch nach Übergang der Macht in die Hände der Arbeiterklasse. Die Geschichte der seit bald drei Jahren an der Macht stehenden Kommunistischen Partei Russlands zeigt, dass die Bedeutung der kommunistischen Partei nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse sich nicht verringert, sondern im Gegenteil ausserordentlich zunimmt.

10. Am Tage der Eroberung der Macht durch das Proletariat bleibt seine Partei dennoch nach wie vor nur ein Teil der Arbeiterklasse. Das ist gerade derjenige Teil der Arbeiterklasse, der den Sieg organisierte: seit zwei Jahrzehnten wie in Russland, seit einer Reihe von Jahren wie in Deutschland, führt die kommunistische Partei ihren Kampf nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern auch gegen diejenigen »Sozialisten«, welche die Träger der bürgerlichen Beeinflussung des Proletariats sind; sie nahm in ihre Reihen die standhaftesten, weitsichtigsten und fortgeschrittensten Kämpfer der Arbeiterklasse auf. Nur bei Vorhandensein einer derartigen geschlossenen Organisation der Elite der Arbeiterklasse ist es möglich, alle die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich der Arbeiterdiktatur am Tage nach dem Siege in den Weg stellen. In der Organisierung einer neuen proletarischen roten Armee, in der tatsächlichen Vernichtung des bürgerlichen Staatsapparats und in dessen Ersetzung durch Keime eines neuen proletarischen Staatsapparats, im Kampf gegen zünftige Tendenzen einzelner Arbeitergruppen, im Kampf gegen den Lokal- und Bezirks-»Patriotismus«, in der Anbahnung von Wegen zur Schaffung einer neuen Arbeitsdisziplin – auf allen diesen Gebieten gehört das entscheidende Wort der kommunistischen Partei. Ihre Mitglieder müssen durch das eigene Beispiel die Mehrheit der Arbeiterklasse anfeuern und führen.

11. Die Notwendigkeit einer politischen Partei des Proletariats fällt erst mit der völligen Auflösung der Klassen weg. Auf dem Wege zu diesem endgültigen Siege des Kommunismus ist es möglich, dass die historische Bedeutung der drei Grundformen der proletarischen Organisation der Gegenwart (Partei, Sowjets, Produktionsverbände) sich verändern wird und dass sich allmählich der einheitliche Typus der Arbeiterorganisation herauskristallisiert. Die kommunistische Partei wird sich aber erst dann vollständig in der Arbeiterklasse auflösen, wenn der Kommunismus aufhört, ein Kampfobjekt zu sein, und die gesamte Arbeiterklasse kommunistisch geworden ist.

12. Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale bestätigt nicht nur die geschichtlichen Aufgaben der kommunistischen Partei überhaupt, sondern sagt dem internationalen Proletariat, wenn auch in allgemeinen Umrissen, was für eine kommunistische Partei wir benötigen.

13. Die Kommunistische Internationale ist der Ansicht, dass besonders in der Zeit der Diktatur des Proletariats die kommunistische Partei auf der Grundlage eines eisernen proletarischen Zentralismus aufgebaut werden muss. Um die Arbeiterklasse mit Erfolg in dem ausgebrochenen langwierigen und harten Bürgerkriege zu führen, muss die kommunistische Partei in ihren eigenen Reihen eine eiserne, militärische Ordnung schaffen. Die Erfahrungen der Kommunistischen Partei, die im Verlauf von drei Jahren im russischen Bürgerkriege die Führung der Arbeiterklasse hatte, haben gezeigt, dass ohne die strengste Disziplin, ohne vollendeten Zentralismus und ohne volles kameradschaftliches Vertrauen aller Parteiorganisationen zu der leitenden Parteizentrale der Sieg der Arbeiter unmöglich ist.

14. Die kommunistische Partei muss auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus aufgebaut werden. Das Hauptprinzip des demokratischen Zentralismus bildet die wählbarkeit der oberen Parteizellen durch die untersten, die unbedingte und unerlässliche Verbindlichkeit aller Vorschriften der übergeordneten Instanz für die untergeordnete und das Vorhandensein eines starken Parteizentrums, dessen Autorität allgemein anerkannt ist für alle führenden Parteigenossen in der Zeit von einem Parteitag bis zum andern.

15. Eine Reihe kommunistischer Parteien Europas und Amerikas ist infolge des von der Bourgeoisie gegen die Kommunisten verhängten Belagerungszustandes gezwungen, eine illegale Existenz, zu führen. Man muss dessen eingedenk sein, dass man bei einer derartigen Lage der Dinge mitunter gezwungen ist, von der strengen Durchführung des Prinzips der wählbarkeit abzusehen und den leitenden Parteieinrichtungen das Recht der Kooptierung (Vervollständigung) zu überlassen, wie das seinerzeit in Russland der Fall gewesen ist. Unter dem Belagerungszustande vermag die kommunistische Partei sich nicht bei jeder ernsten Frage des demokratischen Referendums zu bedienen, sie ist vielmehr gezwungen, ihrem leitenden Zentrum das Recht einzuräumen, im nötigen Augenblick wichtige Beschlüsse für alle Parteimitglieder zu fassen.

16. Die Propagierung einer weiten »Autonomie« für die einzelnen lokalen Parteiorganisationen schwächt gegenwärtig nur die Reihen der kommunistischen Partei, untergräbt ihre Aktionsfähigkeit und begünstigt die kleinbürgerlichen, anarchistischen, auflösenden Tendenzen.

17. In den Ländern, in denen noch die Bourgeoisie oder die gegenrevolutionäre Sozialdemokratie an der Macht ist, müssen die kommunistischen Parteien es lernen, die legale Tätigkeit planmässig mit der illegalen zu verbinden. Dabei muss sich die legale Arbeit stets unter der tatsächlichen Kontrolle der illegalen Partei befinden. Die kommunistischen Parlamentsfraktionen, sowohl in den zentralen (Reichs-) wie in den lokalen (Landes- bzw. Gemeinde-) Staatsinstitutionen müssen völlig der Kontrolle der Gesamtpartei unterstellt werden – ganz abgesehen davon, ob die Gesamtpartei im gegebenen Augenblick legal oder illegal ist. Diejenigen Abgeordneten, die sich in irgendeiner Form weigern, sich der Partei unterzuordnen, müssen aus den Reihen der Kommunisten ausgestossen werden.
Die legale Presse (Zeitungen, Verlag) muss unbedingt völlig der Gesamtpartei und ihrem Zentralkomitee unterstellt werden.

18. Die Grundlage der gesamten Organisationstätigkeit der kommunistischen Partei muss überall die Schaffung einer kommunistischen Zelle sein, mag auch die Anzahl der beteiligten Proletarier und Halbproletarier mitunter noch so gering sein. In jedem Sowjet, in jeder Gewerkschaft, in jedem Konsumverein, in jedem Betrieb, in jedem Einwohnerausschuss (Mieterrat), überall, wo sich auch nur drei Mann finden, die für den Kommunismus eintreten, muss sofort eine kommunistische Zelle gegründet werden. Nur die Geschlossenheit der Kommunisten ist es, die dem Vortrupp der Arbeiterklasse die Möglichkeit gibt, die gesamte Arbeiterklasse zu führen. Alle kommunistischen Parteizellen, die in den nicht parteimässigen Organisationen arbeiten, sind der Gesamtparteiorganisation unbedingt untergeordnet, ganz abgesehen davon, ob die Partei in dem betreffenden Moment legal oder illegal arbeitet. Die kommunistischen Zellen aller Art müssen einander untergeordnet sein auf der Grundlage der strengsten Rangordnung nach einem möglichst genauen System.

19. Die kommunistische Partei entsteht fast überall als städtische Partei, als Partei von Industriearbeitern, die hauptsächlich in den Städten wohnen. Für den möglichst leichten und schnellen Sieg der Arbeiterklasse ist es notwendig, dass die kommunistische Partei nicht nur die Partei der Städte, sondern auch die der Dörfer wird. Die kommunistische Partei muss ihre Propaganda und ihre organisatorische Tätigkeit unter den Landarbeitern und den Klein- und Mittelbauern entfalten. Die kommunistische Partei muss mit besonderer Sorgfalt auf die Organisierung von kommunistischen Zellen auf dem flachen Lande hinarbeiten.

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Die internationale Organisation des Proletariats kann nur dann stark sein, wenn in allen Ländern, in denen Kommunisten leben und kämpfen, sich die oben formulierten Anschauungen über die Rolle der kommunistischen Partei festigen. Die Kommunistische Internationale hat zu ihrem Kongress jede Gewerkschaft eingeladen, die die Prinzipien der Kommunistischen Internationale anerkennt und bereit ist, mit der gelben Internationale zu brechen. Die Kommunistische Internationale wird eine internationale Sektion der roten Gewerkschaften organisieren, die auf dem Boden des Kommunismus stehen. Die Kommunistische Internationale wird sich nicht weigern, mit jeder nicht parteimässigen Arbeiterorganisation zusammenzuarbeiten, wenn diese einen ernsten revolutionären Kampf gegen die Bourgeoisie führen will. Dabei wird aber die Kommunistische Internationale die Proletarier der ganzen Welt auf folgendes hinweisen:
1. Die kommunistische Partei ist die Haupt- und Grundwaffe zur Befreiung der Arbeiterklasse. In jedem Lande müssen wir jetzt nicht mehr nur Gruppen oder Strömungen, sondern eine kommunistische Partei haben.
2. In jedem Lande soll nur eine einzige einheitliche kommunistische Partei bestehen.
3. Die kommunistische Partei soll auf dem Prinzip der strengsten Zentralisierung aufgebaut sein, und in der Epoche des Bürgerkrieges soll sie in ihren Reihen militärische Disziplin walten lassen.
4. Überall, wo es auch nur ein Dutzend Proletarier oder Halbproletarier gibt, muss die kommunistische Partei eine organisierte Zelle haben.
5. In jeder nicht parteimässigen Institution muss eine kommunistische Parteizelle bestehen, die der Gesamtpartei strengstens unterstellt ist.
6. Das Programm und die revolutionäre Taktik des Kommunismus fest und beharrlich beschützend, muss die kommunistische Partei stets auf das engste mit den breiten Arbeiterorganisationen verbunden sein und das Sektierertum in demselben Masse meiden wie die Prinzipienlosigkeit.


Source: Protokoll des II . Weltkongresses der Kommunistischen Internationale», Hamburg, 1921. Digitalisierung und Bearbeitung: sinistra.net Februar 2022.

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