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BRIEF AN DIE ARBEITER UND BAUERN DER UKRAINE ANLÄSSLICH DER SIEGE ÜBER DENIKIN


Content:

Brief an die Arbeiter und Bauern der Ukraine anlässlich der Siege über Denikin[1]
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Lenin

Brief an die Arbeiter und Bauern der Ukraine anlässlich der Siege über Denikin

Genossen! Vor vier Monaten, Ende August 1919, wandte ich mich anlässlich des Sieges über Koltschak[2] mit einem Brief an die Arbeiter und Bauern.

Jetzt lasse ich, anlässlich der Siege über Denikin[3], diesen Brief für die Arbeiter und Bauern der Ukraine ungekürzt nachdrucken.

Die roten Truppen haben Kiew, Poltawa, Charkow eingenommen und rücken siegreich auf Rostow vor. In der Ukraine brodelt der Aufstand gegen Denikin. Es gilt, alle Kräfte zu sammeln, um die Truppen Denikins, die den Versuch unternommen haben, die Macht der Gutsbesitzer und Kapitalisten wiederherzustellen, endgültig aufs Haupt zu schlagen. Es gilt, Denikin zu vernichten, um sich gegen die geringste Möglichkeit eines neuen Überfalls zu sichern.

Die Arbeiter und Bauern der Ukraine müssen sich mit den Lehren vertraut machen, die alle russischen Bauern und Arbeiter aus den Erfahrungen gezogen haben, die bei der Eroberung Sibiriens durch Koltschak und, nach langen Monaten der Unterdrückung durch Gutsbesitzer und Kapitalisten, bei der Befreiung Sibiriens durch die roten Truppen gemacht wurden.

Für die Ukraine war die Herrschaft Denikins eine ebenso schwere Prüfung wie die Herrschaft Koltschaks für Sibirien. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Lehren dieser schweren Prüfung bei den ukrainischen Arbeitern und Bauern – genauso wie bei den Arbeitern und Bauern des Urals und Sibiriens – zu einem klareren Verständnis für die Aufgaben der Sowjetmacht und zu einer entschlosseneren Verteidigung der Sowjetmacht beitragen werden.

In Grossrussland ist der gutsherrliche Grundbesitz restlos liquidiert. In der Ukraine muss man das gleiche tun, und die Sowjetmacht der ukrainischen Arbeiter und Bauern muss die vollständige Liquidierung des gutsherrlichen Grundbesitzes, die völlige Befreiung der ukrainischen Arbeiter und Bauern von jeder Unterdrückung durch die Gutsbesitzer sowie von den Gutsbesitzern selbst verankern.

Aber ausser dieser und einer Reihe anderer Aufgaben, die gleicherweise vor den grossrussischen und den ukrainischen Werktätigen standen und stehen, hat die Sowjetmacht in der Ukraine besondere Aufgaben. Eine dieser besonderen Aufgaben verdient gegenwärtig ausserordentliche Beachtung. Es ist dies die nationale Frage, bzw. die Frage, ob die Ukraine eine separate und unabhängige Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik sein soll, die in einer Union (Föderation) mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik verbunden ist, oder ob sich die Ukraine mit Russland zu einer einheitlichen Sowjetrepublik verschmelzen soll. Alle Bolschewiki, alle politisch bewussten Arbeiter und Bauern müssen diese Frage aufmerksam überlegen.

Die Unabhängigkeit der Ukraine ist sowohl vom Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitee der RSFSR, der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, als auch von der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) anerkannt worden. Darum ist es ganz offensichtlich und allgemein anerkannt, dass nur die ukrainischen Arbeiter und Bauern selbst auf ihrem Gesamtukrainischen Sowjetkongress die Frage entscheiden können und entscheiden werden, ob die Ukraine mit Russland verschmelzen oder ob sie eine selbständige und unabhängige Republik bleiben soll, und welcher Art im letzteren Fall die föderative Verbindung zwischen ihr und Russland sein soll.

Wie ist diese Frage nun vom Standpunkt der Interessen der Werktätigen, vom Standpunkt ihres Erfolges im Kampf für die völlige Befreiung der Arbeit vom Joch des Kapitals zu lösen?

Erstens erfordern die Interessen der Arbeit volles Vertrauen und ein enges Bündnis zwischen den Werktätigen der verschiedenen Länder, der verschiedenen Nationen. Die Anhänger der Gutsbesitzer und Kapitalisten, der Bourgeoisie, sind bestrebt, die Arbeiter zu entzweien, den nationalen Hader und die nationale Feindschaft zu verstärken, um die Arbeiter zu schwächen und die Macht des Kapitals zu festigen.

Das Kapital ist eine internationale Kraft. Um sie zu besiegen, bedarf es des internationalen Bündnisses der Arbeiter, ihres internationalen brüderlichen Zusammenschlusses.

Wir sind Gegner der nationalen Feindschaft, des nationalen Haders, der nationalen Absonderung. Wir sind Internationalisten. Wir erstreben die engste Vereinigung und völlige Verschmelzung der Arbeiter und Bauern aller Nationen der Welt zu einer einheitlichen Welt-Sowjetrepublik.

Zweitens dürfen die Werktätigen nicht vergessen, dass der Kapitalismus eine Teilung der Nationen in eine kleine Anzahl unterdrückender, vollberechtigter, privilegierter (imperialistischer) Grossmachtnationen und die grosse Mehrheit der unterdrückten, abhängigen und halbabhängigen, nicht gleichberechtigten Nationen vorgenommen hat. Der zutiefst verbrecherische und reaktionäre Krieg 1914–1918 hat diese Teilung noch mehr verschärft, hat die Wut und den Hass auf dieser Basis weiter verstärkt. Im Verlauf der Jahrhunderte hat sich bei den nicht vollberechtigten und abhängigen Nationen Empörung und Misstrauen gegen die Grossmachtnationen, gegen die Unterdrückernationen angesammelt – bei Nationen wie der ukrainischen gegen solche wie die grossrussische.

Wir wollen ein freiwilliges Bündnis der Nationen, ein Bündnis, das keinerlei Gewaltanwendung einer Nation gegenüber einer anderen zulässt, ein Bündnis, das auf vollem Vertrauen, auf klarer Erkenntnis der brüderlichen Einheit, auf völlig freiwilliger Übereinkunft gegründet ist. Ein solches Bündnis lässt sich nicht mit einem Schlage verwirklichen; auf ein solches Bündnis muss man mit grösster Geduld und Behutsamkeit hinarbeiten, um die Sache nicht zu verderben, um kein Misstrauen zu wecken und das Misstrauen, das die jahrhundertelange Unterdrückung durch Gutsbesitzer und Kapitalisten, das Privateigentum und die Feindschaft wegen seiner Verteilung und Neuverteilung hinterlassen haben, zu überwinden.

Darum müssen wir uns in unserem unentwegten Streben nach der Einheit der Nationen, bei der schonungslosen Verfolgung all dessen, was die Nationen entzweit, sehr behutsam, geduldig und nachgiebig zu den Überresten des nationalen Misstrauens verhalten. Unnachsichtig, unversöhnlich müssen wir all dem gegenüber sein, was an die grundlegenden Interessen der Arbeit im Kampf für ihre Befreiung vom Joch des Kapitals rührt. Die Frage aber, wie die Staatsgrenzen heute, zeitweilig – denn wir erstreben die völlige Aufhebung der Staatsgrenzen - festzulegen sind, ist keine grundlegende, keine wichtige, ist eine untergeordnete Frage. Mit dieser Frage kann und muss man warten, denn das nationale Misstrauen hält sich in der breiten Masse der Bauern und Kleinbesitzer oft äusserst zäh, und durch zu grosse Eile kann man es stärken, das heisst der Sache der völligen und endgültigen Einheit Schaden zufügen. Die Erfahrungen der Arbeiter- und Bauernrevolution in Russland, der Oktober-November-Revolution 1917, die Erfahrungen ihres zweijährigen siegreichen Kampfes gegen die Invasion der internationalen und der russischen Kapitalisten haben klipp und klar gezeigt, dass es den Kapitalisten zeitweise gelungen war, das nationale Misstrauen der polnischen, lettischen, estnischen, finnischen Bauern und Kleinbesitzer gegen die Grossrussen ins Spiel zu bringen, dass es auf der Basis dieses Misstrauens zeitweise gelungen war, Zwietracht zwischen ihnen und uns zu stiften. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass dieses Misstrauen nur sehr langsam überwunden wird und verschwindet, und je mehr Behutsamkeit und Geduld die Grossrussen, die lange Zeit eine Unterdrückernation waren, an den Tag legen, desto sicherer wird dieses Misstrauen verschwinden. Gerade dadurch, dass wir die Unabhängigkeit des polnischen, lettischen, litauischen, estnischen und finnischen Staates anerkennen, erringen wir langsam aber sicher das Vertrauen der rückständigsten, von den Kapitalisten am meisten betrogenen und unterdrückten werktätigen Massen der benachbarten kleinen Staaten. Gerade auf diese Weise entreissen wir sie am sichersten dem Einfluss »ihrer« nationalen Kapitalisten, erringen wir am sichersten ihr volles Vertrauen, führen wir sie am sichersten der künftigen einheitlichen internationalen Sowjetrepublik entgegen.

Solange die Ukraine nicht vollständig von Denikin befreit ist, ist ihre Regierung – bis zum Gesamtukrainischen Sowjetkongress – das Gesamtukrainische Revolutionskomitee. In diesem Revolutionskomitee arbeiten als Regierungsmitglieder neben den ukrainischen Kommunisten-Bolschewiki ukrainische Kommunisten-Borotbisten[4]. Die Borotbisten unterscheiden sich von den Bolschewiki unter anderem dadurch, dass sie die unbedingte Unabhängigkeit der Ukraine verfechten. Die Bolschewiki machen daraus keinen Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten und Hader, sie sehen darin kein Hindernis für eine einmütige proletarische Arbeit. Haben wir nur die Einheit im Kampf gegen das Joch des Kapitals, für die Diktatur des Proletariats – wegen der nationalen Grenzen, der föderativen oder einer anderen Verbindung zwischen den Staaten dürfen Kommunisten sich nicht entzweien. Es gibt bei den Bolschewiki Anhänger der völligen Unabhängigkeit der Ukraine, Anhänger einer mehr oder weniger engen föderativen Verbindung und Anhänger einer völligen Verschmelzung der Ukraine mit Russland.

Wegen dieser Fragen dürfen wir uns nicht entzweien. Diese Fragen wird der Gesamtukrainische Sowjetkongress entscheiden.

Wenn ein grossrussischer Kommunist für die Verschmelzung der Ukraine mit Russland eintritt, können ihn die Ukrainer leicht verdächtigen, dass er eine solche Politik nicht im Interesse der Einheit des Proletariats im Kampf gegen das Kapital vertritt, sondern auf Grund der Vorurteile des alten grossrussischen Nationalismus, des Imperialismus. Ein solches Misstrauen ist natürlich und bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich und gerechtfertigt, denn jahrhundertelang haben die Grossrussen unter dem Druck der Gutsbesitzer und Kapitalisten die schändlichen und gemeinen Vorurteile des grossrussischen Chauvinismus in sich aufgenommen.

Wenn ein ukrainischer Kommunist für die unbedingte staatliche Unabhängigkeit der Ukraine eintritt, so kann man ihn verdächtigen, dass er eine solche Politik nicht vom Standpunkt der zeitweiligen Interessen der ukrainischen Arbeiter und Bauern in ihrem Kampf gegen das Joch des Kapitals vertritt, sondern auf Grund der nationalen Vorurteile des Kleinbürgers, des Kleinbesitzers. Denn die Erfahrung hat uns hundertfach gezeigt, wie die kleinbürgerlichen »Sozialisten« der verschiedenen Länder – all die polnischen, lettischen und litauischen Pseudosozialisten, die georgischen Menschewiki, die Sozialrevolutionäre und andere – sich den Anschein gaben, als seien sie Anhänger des Proletariats, mit dem einzigen Ziel, durch Betrug eine Politik des Paktierens mit der »eigenen« nationalen Bourgeoisie gegen die revolutionären Arbeiter einzuschmuggeln. Das haben wir an dem Beispiel des Kerenski-Regimes in Russland in der Zeit vom Februar bis zum Oktober 1917 gesehen, das sahen und sehen wir auch in allen übrigen Ländern.

Das gegenseitige Misstrauen zwischen grossrussischen und ukrainischen Kommunisten entsteht also sehr leicht. Wie soll nun dieses Misstrauen bekämpft werden? Wie ist es zu überwinden, und wie soll man zu gegenseitigem Vertrauen kommen?

Das beste Mittel dazu ist die gemeinsame Verteidigung der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht im Kampf gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten aller Länder, gegen ihre Versuche, ihre Allmacht wiederherzustellen. Ein solcher gemeinsamer Kampf wird in der Praxis klar zeigen, dass, gleichviel wie die Frage der staatlichen Unabhängigkeit oder der Staatsgrenzen entschieden wird, die grossrussischen und die ukrainischen Arbeiter unbedingt ein enges militärisches und wirtschaftliches Bündnis brauchen, denn sonst werden die Kapitalisten der »Entente«, des »Einvernehmens«, das heisst des Bundes der reichsten kapitalistischen Länder, Englands, Frankreichs, Amerikas, Japans, Italiens, uns einzeln überwältigen und uns die Kehle zuschnüren. Das Beispiel unseres Kampfes gegen Koltschak und Denikin, die von diesen Kapitalisten mit Geld und Waffen versorgt wurden, hat diese Gefahr klar erkennen lassen.

Wer die Einheit und das enge Bündnis der grossrussischen und ukrainischen Arbeiter und Bauern verletzt, der hilft den Koltschak und Denikin, den kapitalistischen Räubern der ganzen Welt.

Daher müssen wir grossrussischen Kommunisten mit grösster Strenge auch die geringsten Äusserungen des grossrussischen Nationalismus in unserer Mitte verfolgen, denn diese Äusserungen, die überhaupt Verrat am Kommunismus sind, richten den grössten Schaden an, weil sie uns mit den ukrainischen Genossen entzweien und so Denikin und den Denikin-Banden in die Hände arbeiten.

Daher müssen wir grossrussischen Kommunisten bei Meinungsverschiedenheiten mit den ukrainischen Kommunisten-Bolschewiki und den Borotbisten Nachsicht üben, wenn die Meinungsverschiedenheiten die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine, die Formen ihres Bündnisses mit Russland und die nationale Frage überhaupt betreffen. Wir alle – sowohl die grossrussischen und ukrainischen Kommunisten als auch die Kommunisten jeder beliebigen anderen Nation – müssen unnachgiebig und unversöhnlich sein in bezug auf die grundlegenden, fundamentalen, für alle Nationen gleichen Fragen des proletarischen Kampfes, die Fragen der proletarischen Diktatur, der Unzulässigkeit des Paktierens mit der Bourgeoisie, der Unzulässigkeit einer Zersplitterung der Kräfte, mit denen wir uns gegen Denikin verteidigen. Denikin besiegen, ihn vernichten, die Wiederholung eines derartigen Überfalls unmöglich machen – das ist das grundlegende Interesse sowohl der grossrussischen als auch der ukrainischen Arbeiter und Bauern. Ein langer und schwerer Kampf, denn die Kapitalisten der ganzen Welt helfen Denikin und werden den Denikin aller Art stets helfen.

In diesem langen und schweren Kampf müssen wir grossrussischen und ukrainischen Arbeiter im engsten Bündnis vorgehen, denn einzeln werden wir gewiss nicht fertig werden. Welches auch immer die Grenzen der Ukraine und Russlands sein werden, welche Formen auch immer die staatlichen Beziehungen zwischen ihnen annehmen werden, das ist nicht so wichtig, darin kann und muss man Zugeständnisse machen, darin kann man das eine, das andere und etwas drittes ausprobieren, daran wird die Sache der Arbeiter und Bauern, wird der Sieg über den Kapitalismus nicht scheitern.

Aber wenn wir nicht verstehen, das engste Bündnis zwischen uns zu wahren, das Bündnis gegen Denikin, das Bündnis gegen die Kapitalisten und Kulaken unserer Länder und aller Länder, dann wird die Sache der Arbeit sicherlich für lange Jahre zum Erliegen kommen in dem Sinne, dass die Kapitalisten dann imstande sein werden sowohl die Sowjetukraine als auch Sowjetrussland zu überwältigen und ihnen die Kehle zuzuschnüren. Sowohl die Bourgeoisie aller Länder als auch alle möglichen kleinbürgerlichen Parteien, die »Paktierer«-Parteien, die sich mit der Bourgeoisie gegen die Arbeiter verbünden, waren vor allem bestrebt, die Arbeiter der verschiedenen Nationalitäten zu entzweien, das Misstrauen zu schüren, das enge internationale Bündnis, den internationalen brüderlichen Zusammenhalt der Arbeiter zu zerstören. Wenn das der Bourgeoisie gelingt, dann ist die Sache der Arbeiter verloren. Möge es den Kommunisten Russlands und der Ukraine gelingen, durch geduldige, hartnäckige, beharrliche gemeinsame Arbeit jedes beliebige nationalistische Ränkespiel der Bourgeoisie, die nationalistischen Vorurteile jeder Art zu überwinden und den Werktätigen der ganzen Welt das Beispiel eines wirklich festen Bündnisses der Arbeiter und Bauern verschiedener Nationen zu zeigen im Kampf für die Sowjetmacht, für die Beseitigung des Jochs der Gutsbesitzer und Kapitalisten, für die weltumspannende Föderative Sowjetrepublik.

28. XII. 1919

Unterschrift: N. Lenin

Notes:
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  1. »Prawda« Nr. 3, 4. Januar 1920. Nach dem Text der »Prawda«, verglichen mit dem Manuskript.[⤒]

  2. [sinistra.net] Alexander Wassiljewitsch Koltschak (1874–1920) war ein Admiral der russischen Marine, Monarchist und einer der Anführer der konterrevolutionären Weissen Armee im Russischen Bürgerkrieg. 1916/1917 war er Oberbefehlshaber der russischen Schwarzmeerflotte. Während der Februarrevolution 1917 wurde Koltschak im Juni das Kommando entzogen. Im August ging er nach England ins Exil. Nach einem Aufenthalt in den USA trat er offiziell den britischen Streitkräften bei, die ihn über den russischen Fernen Osten nach Sibirien schleusten um dort den Kampf gegen die Bolschewiki zu organisieren. Koltschak organisierte daraufhin im November 1918 als Kriegs- und Marineminister der in Omsk residierenden »Sibirischen Regierung« eine Armee, die sogenannte Koltschak-Armee. Mit Hilfe von Kosaken gelangte Koltschak im November durch einen Putsch an die Macht und so zum Obersten Regenten Russlands ernannt, mit Zustimmung der Entente. Er errichtete eine diktatorische Herrschaft und leitete mit materieller Hilfe aus Grossbritannien und Frankreich zunächst erfolgreich den Kampf gegen die Rote Armee in Sibirien bis April 1919. Dabei erbeutete er 148 Tonnen des Zarengoldes, wovon er einen Teil Japan überstellte, um Waffen zu erhalten (aber nie erhielt). Nach schweren Verlusten gegenüber der Roten Armee zogen sich Koltschaks Truppen im Winter 1919/20 nach Irkutsk zurück. Ende Januar 1920 übernahmen die Bolschewiki den Irkutsker Stadtrat, nahmen Koltschak fest und exekutierten ihn am 7. Februar 1920, sein Leichnam wurde in einem Eisloch in der Angara versenkt. In Irkutsk steht heute (wie auch in St. Petersburg und in Omsk) ein Denkmal, welches von reaktionären russischen Politikern und Unternehmern finanziert wurde.[⤒]

  3. [sinistra.net] Anton Iwanowitsch Denikin (1872–1947) war Generalleutnant in der kaiserlich-russischen Armee und einer der wichtigsten Kommandeure der konterrevolutionären Weissen Armee, die im Russischen Bürgerkrieg gegen die Bolschewiki und die anarchistische Machnowschtschina kämpfte. Zuvor hatte er sich massgeblich an dem von Kornilow versuchten Militärputsch in Russland im August 1917 beteiligt. Nach Kornilows Tod wurde er der Kommandeur der Weissen Armee, die zeitweilig grosse Teile Südrusslands kontrollierte. Waffen und Munition erhielt er unter anderem aus Deutschland, auch von der von deutschen Unternehmern finanzierten »Antibolschewistischen Liga«. Versuche, sich mit der Armee Koltschaks bei Zarizyn (seit 1925 Stalingrad, seit 1961 Wolgograd) zu vereinigen wurden von der Roten Armee vereitelt. In der Gegend um Orjol wurde Denikin am Ende des Jahres 1919 von der Roten Armee geschlagen und zog sich mit dem Rest seiner Armee 1920 auf die Krim zurück und begab sich ins Exil nach Grossbritannien, dann Belgien, Ungarn und schliesslich Frankreich. Als die Nazis im Zweiten Weltkrieg Denikin zur Zusammenarbeit aufforderten, lehnte dieser ab und rief alle in Europa lebenden russischen Emigranten dazu auf, Nazi-Deutschland im Kampf gegen die Sowjetunion nicht zu unterstützen. 1945 wanderte Denikin in die USA aus und starb dort 1947. 2005 wurde sein Leichnam nach Russland überführt und in einem Kloster beigesetzt. Denikins Truppen waren während des Bürgerkriegs in zahlreiche Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung verstrickt.[⤒]

  4. [sinistra.net] Die Borotbisten waren eine linksgerichtete Sozialistisch-Revolutionäre Partei in der Ukraine, benannt nach ihrer Zeitung »Borotba« [Kampf], die vom 23. Februar 1918 bis zum 4. April 1920 erschien. Sie wurde auf der Grundlage des linken Flügels der Ukrainischen Partei der Sozialistischen Revolutionäre (UPSR) gegründet, sich im Mai 1918 von ihr abspaltete und den Namen Ukrainische Partei der Sozialistischen Revolutionäre (Borotbisten) – UPSR(b) annahm. Von März bis August 1919 trug sie den Namen Ukrainische Partei der Sozialisten-Revolutionäre (Kommunisten) – UPSR(k). Ab dem 6. August 1919, nach dem Zusammenschluss mit der linken Gruppe der Ukrainischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (»Unabhängige«), wurde sie als Ukrainische Kommunistische Partei (Borotbisten) (UPK(b)) bekannt.
    Die Borotbisten beteiligten sich (zusammen mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) der Ukraine – KP(b)U) an der Organisation bewaffneter Aufstände gegen das Direktorium (also die russische provisorische Regierung): Aufstände in Schitomir/Schytomyr (Januar 1919) und Rschischtschew/Rschyschtschiw (Januar-Februar 1919), die von den Truppen des Direktoriums niedergeschlagen wurden.
    Im August und November 1919 unternahmen die Borotbisten zwei erfolglose Versuche, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Im Dezember 1919 einigte sich die UKP(b) mit der KP(b)U auf den Beitritt zum Allukrainischen Revolutionskomitee.
    Am 20. März 1920 beschloss die ukrainische Konferenz der Bolschewiki, die UKP(b) aufzulösen und mit der KP(b)U durch individuelle Mitgliedschaft zu verschmelzen, etwa 4000 von etwa 15 000 traten in die Reihen der Bolschewiki ein. Bis zur Stalinisierung hatten einige ehemalige Borotbisten einflussreiche Ämter in der Ukrainischen SSR inne. Später wurden diese jedoch grösstenteils Opfer der konterrevolutionären Stalinschen Repression. [⤒]


Source: Lenin, Werke, Bd. 30, S. 281–287.

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