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PORTUGIESISCHE FARCE UND AFRIKANISCHES DRAMA


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Portugiesische Farce und afrikanisches Drama[1]
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Portugiesische Farce und afrikanisches Drama

Ein Sechstel der Fläche Frankreichs; zirka 8 Millionen Einwohner; eine aktive Bevölkerung von 3 Millionen; 2 Millionen Arbeiter, die auswandern mussten, um nicht zu verhungern; eine Landwirtschaft, die von der Natur begünstigt wird, dennoch mangels Maschinen rückständig ist; eine zwerghafte Industrie, die im wesentlichen in Lissabon konzentriert ist; eine Wirtschaft, die in den Händen von acht grossen Finanzgruppen liegt; ein durchschnittliches Jahres-Pro-Kopf-Einkommen um ca. DM 1665,- (FF 3200,-), das geringste in Europa (50 Prozent weniger als in Spanien, was schon alles sagt); eine Preissteigerung, die voriges Jahr 21 % erreichte: da haben wir das Portugal, das 48 Jahre Diktatur hinter sich lässt. Eine bornierte, korporative Diktatur und nicht zu sehr faschistisch im engeren Sinne des Wortes: ihr fehlte einerseits das »Management« der spanischen Technokraten, andererseits der zähe und unermüdliche Widerstand der Arbeiterklasse, der trotz des Blutes des Bürgerkrieges niemals aufhörte, Francos Ruhe zu stören. Hinter diesem Aschenbrödel des »zivilisierten« Europas (das, – Ironie der Geschichte – das ultrademokratische und superindustrialisierte England immer als Schützling betrachtet hat) bereitet sich aber ein riesiges Kolonialreich aus, das einzige, das die Ereignisse der Nachkriegszeit überlebt hat. Das enorme Angola mit 1,25 Millionen qkm und 6 Millionen Einwohnern, wovon höchstens 400 000 Portugiesen sind; Mosambik mit 780 000 qkm und 7 Millionen Einwohnern (davon 100 000 Portugiesen), das kleine Guinea-Bissau mit 36 000 qkm und 600 000 Einwohnern, dazu einige Inseln und kleine Kolonien. Ein reiches Imperium mit grossen landwirtschaftlichen Ressourcen (Kaffee, Kakao, Baumwolle, Zuckerrohr, Erdnuss…) und Bodenschätzen (Phosphate, Kupfer, Zink, Uran, Bauxit, Nickel, Diamanten, Gold) wo sich die grossen multinationalen Gesellschaften fett fressen und die Einheimischen, ausgepresst wie Zitronen und wie Lasttiere behandelt, für einen Hungerlohn schuften: mit anderen Worten, das Paradies für die Dividendeneinstreicher der ganzen, oder fast der ganzen Welt, und der »High-Society«, die sich in der wohlverdienten Sonne dieses gesegneten Landes bräunt, dieser Hölle der elenden und ausgebeuteten Massen.

Was geschah am 25. April um die stillen Träume der Lusitanier zu trüben und die internationale Demokratie mit Enthusiasmus zu erfüllen, eine internationale Demokratie, die in ihrer senilen Ohnmacht sich damit begnügen muss, die entzündeten Funken ihrer Wiedergeburt den Generälen und Obersten zu überlassen, vorzugsweise ehemaligen Francoanhängern, Hitleristen, ehemaligen Schlächtern der armen Afrikaner, die wahrscheinlich auf dem Weg nach Lissabon – wie vormals nach… Santiago – von Gottes Wort berührt wurden?

Trotz der schreienden Beteuerungen der Oppositionsparteien, war es nicht eine innere Erneuerungsbewegung (und wäre sie typisch demokratisch), die durch Erlass der Militärjunta ans Tageslicht kam, die den Salazarismus zum Sturz brachte, sondern die unbezähmbare Guerilla, die seit 1959 bis 1961, zunächst in Guinea-Bissau und dann in Angola und Mosambik, von all denjenigen getragen wird, die nicht vorhaben, den Sozialismus aufzubauen, sich aber schlagen – und mit Worten – um die nationale Unabhängigkeit zu erreichen.

Eine Armee von 400 000 Mann (Ein Zwanzigstel der Gesamtbevölkerung Portugals, Frauen, Kinder und Alte mitinbegriffen), wovon 150 000 in den Überseekolonien Kriegsdienst leisten, die 50 Prozent des Staatshaushaltes verschlingt und den Schandfleck von über 100 000 Desserteuren zeigt, konnte und kann nicht diese Guerilla schlagen, auch nicht mit Napalmbomben und mit Massakern im vollkommensten Kolonialstil, im englisch-französisch-belgischen Stil der guten Zeit. Und diese Guerilla drohte Portugal nicht nur mit der inneren Zerrüttung, sondern auch mit dem Verlust des Kolonialreiches, sei es unter den Schlägen der Aufständischen, sei es durch die gierige Intervention Rhodesiens, Südafrikas oder – es lebe die lusitanische Brüderlichkeit – durch die Brasilianer, die in ihrem eigenen Namen oder im Namen Dritter handeln werden.

Ehe es zu spät war, musste man versuchen, das zu retten, was noch zu retten war, und zwar alles mit gaullistischen Nostalgien, aber ohne eine »Entkolonialisierung à la De Gaulle«. Der alte Henker Spinola und seine Kollegen haben dann den Plan einer mehrrassigen und föderativen portugiesischen Union. Die Massakrierten würden harmonisch mit ihren uralten Verfolgern zusammenleben; die Geldschränke Lissabons würden sich wieder mit »sauberen« Escudos füllen, die »christliche und zivilisierende Aufgabe« der Nachkommen Camões’ würde wieder unter ihren weissen Flügeln diese entfernten Gebiete schützen, deren Bevölkerung »leider« schwarzhäutig ist, dennoch das unvergleichbare Privileg geniesst, Portugiesische zu sprechen. Der zu zahlende Preis, um die Uniform zu wechseln und vom kolonialen auf den neokolonialen Stil übergehen zu können war eben, dass das portugiesische Mutterland zu einem Regime liberal-demokratischer Verfassung zurückkehrte. Das ist der Sinn des 25. Aprils, dieses Tages, wo nach dem Schlag mit dem Zauberstab Spinolas, ein Regime verschwindet, sich die Gefängnisse öffnen, die Abzeichen aus dem Knopfloch verschwinden, die Leute sich auf der Strasse umarmen und die Bürokratie auf ihrem Posten bleibt und nur das offizielle Bild in den Büros wechselt, wo die Sprüche bleiben: »der Krieg geht weiter«, »nieder mit den Extremisten, die das Spiel der Reaktion machen«; ein Tag, wo alle Parteien, von den Liberalen bis zu den Sozialisten, von den Konservativen bis zu den Kommunisten, – und die Kirche sieht alle aus der Höhe ihres Himmels oder besser aus der Tiefe ihrer ausgiebigen Ländereien – sich einig im Namen der Zivilisation, der Menschenrechte, der Reform, kurz und bündig eines eventuellen portugiesischen Weges zum Sozialismus, zur Verfügung der reinen Helden einer Armee stellen, die zur Vernunft zurückgekehrt ist.

Ohne das geringste Zögern forderten die sogenannten »Vertreter des Proletariats« das Recht und die Ehre, mit Spinola, dem früheren Voluntär Francos, zusammenzuarbeiten. Ihre Stimme wurde selbstverständlich gehört und verstanden: ihre Minister wurden in eine wahre Regierung der nationalen Einheit aufgenommen, die ihre Fähigkeiten offensichtlich zu nutzen weiss, denn das Arbeitsministerium wurde einem »Kommunisten« anvertraut – eine kluge Massnahme, denn – wie man im »Le Monde« vom 18.5. lesen kann – die KPP bemüht sich, die überall hervorbrechenden Forderungen der Arbeiter zu mässigen. Diese eingebildeten »Sozialisten« und »Kommunisten« stürzen sich in eine Regierung hinein, deren Programm das Programm der »Bewegung der Streitkräfte« ist, von der Zivilisten nur die Erklärung von Spinola kennen. Und Spinola sagt, dass man hinsichtlich der Kolonien höchstens von Selbstbestimmung sprechen kann, (im Rahmen, versteht sich, einer vielrassigen und föderativen Union), wenn die Bevölkerung der Kolonien »genügende Vorbereitung« erlangt hat (siehe »Le Figaro«, 30. 4.), die sie heute nicht besitzt und vom Mutterland bekommen soll. Spinola und Costa Gomes fordern die Kämpfer der Frelimo in Mosambik, der MPLA in Angola und PAIGC in Guinea-Bissau auf, »sich zu stellen und die Waffen bedingungslos abzulegen, sonst wird der Krieg verschärft« (siehe »Corriere della Sera«, 12.5.74).

Das, was die Generäle humanitäre »politische Lösung des furchtbaren Kolonienproblems« nennen, bedeutet nichts anderes, als von den Rebellen zu verlangen, dass sie sich vor einer »legitimen« Autorität (die bis zu den Zähnen bewaffnet ist) selbst entwaffnen; dabei verurteilt die Junta die Unverantwortlichkeit der portugiesischen Radikalen und alle im Chor geben ihr recht. Das ist die Regierung, an der »Sozialisten« und »Kommunisten« mit Ehre und Freude teilnehmen. Und Soares bringt sein »volles Vertrauen in die Armee« zum Ausdruck (»Le Figaro«, 3.5.74): er bereitet sich offensichtlich darauf vor, Allende und seinen Sozialismus, getragen von den Gewehren einer zur Vernunft bekehrten Armee, wieder zu verkörpern. Cunhal und seine Partei grüssen »herzlich die Streitkräfte und wünschen, dass sich die stärkste Einheit der demokratischen Kräfte verwirklicht, das Bündnis des Volks und der Streitkräfte gegen das linke Abenteurertum«, das sehr leicht den Weg für die Unterdrückung öffnen kann und »den Einigungsprozess von Volk und Streitkräften bremst« (»L’Humanité«, 29.4.74).

Das ist aber nicht alles: sie gingen so weit, in einem schmutzigen Appell die Desserteure aufzufordern, sich sofort in den Kasernen zu stellen, denn der Zustrom von fast 200 000 jungen Leuten, die sich geweigert hatten, an den Kolonialkriegen teilzunehmen, würde die »Möglichkeit einer demokratischen Erneuerung der Streitkräfte erhöhen, und somit ihre Wachsamkeit gegen alle faschistischen Vergeltungsversuche« (»L’Unità«, 3.5.74), das Militär stellt »eine demokratische revolutionäre Strömung dar« (ebd.) und in der Allianz mit ihnen – wie Allende bei jeder Gelegenheit beteuerte – »liegt der Schlüssel des Endsieges«. Bieten die Sozialisten und Kommunisten, sowie ihre »Kollegen der katholischen Linken« den Kolonialvölkern etwas anderes, als Spinola? Keineswegs. Was sie vorschlagen, ist die Eröffnung von sofortigen Gesprächen, mit dem Ziel, wie wahr, der »vollständigen Unabhängigkeit«, aber auf der demokratischen Grundlage des Dialogs der Diplomatie der brüderlichen Umarmungen, kurz und gut, der Entwaffnung der Rebellen (siehe Interview von Cunhal in »L’Humanité«, 29.4.74). Es war kein Zufall, dass Soares erklärte, er betrachte die Kommunisten als eine Partei von Portugiesen (darunter zu verstehen: »von Patrioten wie wir«), die einen würdigen Platz in »einer breiten Volksfront, zusammen mit den Liberalen und Katholiken« einnehmen könnten, um die »noch mächtigen Wirtschaftsmächte zu bekämpfen« (»L’Humanité«, 3.5.74); das alles zählte mit dem Segen der Hochwürden, die auch von Gottes Gnaden erfüllt wurden und sich in Fatima versammelten, um die Gläubigen »und alle anderen guten Bürger« aufzufordern, ihre zivilen Tugenden durch die Unterstützung der Junta nachzuweisen. Was geht es die »Arbeitervertreter« an, dass Spinola, künftiger Präsident der Republik und Führer der demokratisierten Armee, sich feierlich verpflichtet hat, die internationalen Verbindungen des alten Portugals beizubehalten, und vor allem die NATO nicht zu verlassen. Denn Spinola, diesem »vernünftigen Helden einer Armee, die der unnützen Opfer überdrüssig ist« geht es nur darum, durch Friedensgespräche die Rebellen in die Knie zu zwingen, die mit Kanonen und Napalm nicht zu besiegen waren.

Die bewaffneten Befreiungsbewegungen haben sofort geantwortet, und zwar in einer Form, die ihrer Vergangenheit von Kämpfen würdig ist: sie wollen nichts von »chant de colombe et de rameaux d’olivier« hören[2]. Auch für sie – und wir begrüssen es mit Enthusiasmus – geht der Krieg weiter. Falls sie nachgeben, sei es, dass sie dem Beispiel der gemässigten und zweideutigen Bewegung wie GUMO in Mosambik (die sich beeilt hat, Lissabon den »Dialog im Rahmen der von der Junta gebildeten gesetzlichen Institutionen« anzubieten) (»Le Monde«, 4.5.74), sei es, dass sie dem Druck Rhodesiens oder Südafrikas ausgesetzt werden, sei es schliesslich, dass ihre Kräfte in ihrer tragischen Isolierung ausgehen, und sie sich dann an den Verhandlungstisch setzen – und diesen Weg scheint die PAIGC einzunehmen –, die Schuldigen sind jene falschen Sozialisten und Kommunisten, die nur die bürgerlichen Gottheiten »Vaterland« und »Demokratie« kennen, in deren Namen sie bereit sind, sich zu Diensten eines Spinola zu stellen, überzeugt davon, dass dieser der wiedergefundenen »Freiheit« genau so treu bleiben wird, wie er es früher Salazar gegenüber war.

Als Altamirano, als Überlebender der chilenischen Massaker, erklärte, dass die Theoretiker und »Praktiker« des friedlichem Weges nie wieder den Fehler begehen würden, einer Armee zu vertrauen, den Waffen der anderen – sondern im Gegenteil die eigenen Waffen schwingen würden, haben wir geantwortet: ihr werdet immer dieselben Fehler begehen, eben weil es sich hier nicht um eine persönliche Wahl dreht, sondern die Wege, einmal eingeschlagen, als zwingende objektive und materielle Determinierungen wirken. Wenn Portugal den üblen Weg von heute weitergeht, mit der Junta oben und die Sozialisten, Kommunisten, Katholiken und progressiven als Nachtrababteilung, ist es nicht schwierig eine Art Allendismus vorauszusehen, von einer Armee gesegnet, die notfalls ihren eigenen Pinochet erzeugen kann und inzwischen Afrikaner und einheimische Arbeiterklasse demokratisch, ultrademokratisch unterdrücken wird: eine neue Wiederholung der nationalen, demokratischen und friedlichen Wege zum Sozialismus.

Notes:
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  1. aus unserer Zeitung »Le Prolétaire« bringen wir einen Artikel über Portugal, den wir kurz nach dem Sturz Caetanos veröffentlicht haben. Seitdem hat sich sowohl im Bezug auf die Kolonien, wie auch auf die inneren Kräfte einiges geändert. Die allgemeine Entwicklung und die Perspektiven des Artikels bleiben aber voll gültig. In weiteren Veröffentlichungen werden wir uns zunächst mit der Entkolonialisierung und dann mit den Alternativen befassen, die sich der Arbeiterbewegung und den Revolutionären in Portugal stellen, zwar nicht, um »Revolution« zu spielen, sondern um zunächst ein Mindestmass an unabhängiger Organisation und Verteidigungsmöglichkeit der Arbeiterklasse zu verwirklichen, das die erste Grundlage für eine Ausnutzung der Situation darstellt und in einer vorrevolutionären Situation (die es in Portugal nicht gibt und heute nicht geben kann) als wichtiger Faktor der Entwicklung fungiert. [⤒]

  2. Friedenstauben und Palmzweige. [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr.4, Oktober 1974, übersetzt aus »Le Prolétaire«, Nr.173 vom 20. 05. 1974)

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