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DER ISRAELISCH-ÄGYPTISCHE FRIEDEN UND DIE NEUE IMPERIALISTISCHE ORDNUNG IM NAHEN OSTEN


Content:

Der israelisch-ägyptische Frieden und die neue imperialistische Ordnung im Nahen Osten
Vom britischen Löwen zum amerikanischen Adler
Die Vereinbarung von Camp David und die neue Kräftegruppierung
Verstärkte Rolle der israelisch- ägyptischen Allianz nach dem Sturz des Schah
Politisch-militärische Umstellung auf einem sozialen Pulverfass
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Sturmzone Naher Osten

Der israelisch-ägyptische Frieden und die neue imperialistische Ordnung im Nahen Osten

Im Laufe der letzten Jahre und vor allem kürzlich, bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel, ist die vorherrschende Rolle der USA im Nahen Osten mit aller Klarheit zum Ausdruck gekommen. Doch haben sich die USA bei ihren Bemühungen, England zu verdrängen und dessen Platz als Bollwerk des Weltkapitalismus einzunehmen, erst ziemlich spät für dieses Gebiet unseres Planeten interessiert, d. h. vor allem von dem Augenblick an, wo sich herausstellte, dass sie aufgrund eines nie gekannten Wachstums ihres Energiebedarfs von dem arabischen Erdöl abhängig sein würden.

In der klassischen Epoche des Kolonialismus, kannte man die industrielle Verwendung des Erdöls noch nicht, und Grossbritannien hatte auch nicht allzu grosse Schwierigkeiten, um zunächst Portugal und Holland und dann Frankreich und Deutschland aus dem Golfgebiet zu vertreiben. Mit Hilfe einer Politik, die auf die Balkanisierung des Gebiets abzielte, und dank einer nicht offen kolonialen Haltung gegenüber Ägypten und dem Sudan hatte England seine politische und ökonomische Präsenz stabilisieren können, ohne hierfür einen grossen Militärapparat aufbauen zu müssen.

Erst am Anfang dieses Jahrhunderts dringen die USA in diese Region ein, zunächst auf dem Wege begrenzter ökonomischer Abkommen mit England. Und erst nach dem zweiten Weltkrieg geraten diese beiden Mächte hier in Konkurrenz zueinander, um ihre jeweiligen Einflusszonen abzugrenzen und sie sich gegenseitig streitig zu machen.

Vom britischen Löwen zum amerikanischen Adler

In den 50er Jahren zeigen zwei Ereignisse sehr deutlich, dass der amerikanische Imperialismus von nun an in diesem Gebiet das Sagen hat: der Staatsstreich von 1953 im Iran und die Vereitlung der Landung der französisch-englischen Truppen bei der Suez-Krise 1956. Und konnte der Schah im Iran nur dank des Stillhaltens der UdSSR und der Tudeh-Partei wieder in den Sattel gehoben werden, so wurden die USA bei der Suez-Krise aktiv von Russland unterstützt. Russland wollte seinerseits auch nur allzu gerne die Engländer aus diesem Gebiet verdrängen.

Aber selbst wenn die USA eine zeitweilige Ausdehnung des russischen Einflusses hinnehmen mussten, so waren sie es doch, welche sich der beiden Schlüsselpositionen des Gebiets bemächtigten. Damit übernahm der US-Imperialismus aber auch die Tendenzen seines Vorgängers, und es sind diese Tendenzen, die er seitdem entwickeln sollte.

Auch in der amerikanischen Strategie spielte der Iran weiterhin die dreifache Rolle, die ihm bereits England zugewiesen hatte. Erstens sollte er als Trennwand zwischen der antikolonialen Bewegung, die, von China ausgehend, Asien erschütterte, und den Rückwirkungen dieser Bewegung auf den Nahen Osten und Afrika dienen. Zweitens sollte er ein Bollwerk gegen den russischen Imperialismus bilden, der als Konkurrent versuchte, in Asien einzudringen und bis zu den eisfreien Meeren vorzustossen. Drittens schliesslich sollte der Iran, und diese Rolle wurde mit den massiven Erdöleinfuhren der USA immer bedeutender, die Erdölfelder des Golf schützen.

Auch Israel behielt weiterhin die doppelte Rolle, die ihm schon vorher zukam; einerseits die Wege für die Erdölversorgung des Westens (den Suez-Kanal, die irakischen und arabischen Pipelines) schützen, andererseits dank seiner günstigen Lage im Herzen des Maschrek die imperialistische Ordnung aufrechterhalten. Diese Lage ermöglichte es in der Tat, den vereinigenden Tendenzen der antiimperialistischen Welle der arabischen Welt wirksam entgegenzutreten, wobei gerade die palästinensische Bewegung, die direkt mit der Dampfwalze der kapitalistischen Expropriation und dem barbarischen Terrorismus des Siedlerstaates Israel zusammenstösst, zur natürlichen Avantgarde dieser Welle wurde.

Es ist jedoch offensichtlich, dass Ägypten in der Weltpolitik aller Imperialismen eine entscheidende strategische Rolle spielt. Früher kontrollierte es die Indienroute im Interesse Englands, wofür es sich die Intervention Bonapartes einhandelte. Heute beherrscht es mit dem Roten Meer und der Strasse von Bab-el-Mandeb den Zugang zum Indischen Ozean, an dem Russland ein mehrfaches Interesse hat: Seine Kontrolle würde es ihm ermöglichen, sich vor den Raketen zu schützen, die die Amerikaner seit 15 Jahren von ihren dort kreuzenden Unterseebooten abschiessen können; sie würde ihm, was im Falle eines Krieges mit China wichtig ist, die kürzeste Meeresverbindung zwischen dem europäischen Russland und Wladiwostok sicherstellen, und nicht zuletzt könnte es somit auch die Schiffahrtswege, auf denen die Versorgung Japans mit Erdöl und Rohstoffen erfolgt, kontrollieren sowie auch die Erdölquellen, die nicht nur die Versorgung Europas, sondern auch der Vereinigten Staaten aufrechterhalten. Dieses Gebiet nimmt heute in der russischen Politik auf einer noch grösseren Stufenleiter den Platz ein, der bis zum ersten imperialistischen Krieg dem Gebiet vom Konstantinopel zukam.

Es ist also offensichtlich, dass die USA, deren Ziele weltweiter Natur sind, sich nicht damit begnügen konnten, England aus Ägypten rauszuschmeissen und seine Vorherrschaft in Asien damit zu beenden; sie mussten notwendigerweise auch danach streben, dort jegliche russische Kontrolle zu verhindern. Es handelt sich hierbei um ein Ziel, das sie insgeheim und indirekt verfolgten, selbst als das Schaukelspiel Kairo in die Richtung Moskaus rutschen liess, während die USA Israel seine Kriege gegen Ägypten führen liessen. Mochte sich der israelische Reissbrettstaat, der über keine eigene produktive Grundlage verfügt und sich in enger Abhängigkeit von dem Meistbietenden befindet, auch immer einbilden, er könne seinen Erzfeind niederschmettern, so konnte er Ägypten doch immer nur in dem Masse, wie die USA es zuliessen, eine Kraft entgegenstellen. Letztere hatten sich die Aufgabe gestellt, die ägyptische Bourgeoisie – die zumindest theoretisch am meisten in der Lage wäre, einen Versuch der Vereinigung des Maschrek, wenn nicht gar des »arabischen Vaterlandes« zu starten – daran zu hindern, zu einer wirklichen Kraft zu werden, die ihren eigenen Willen durchsetzen könnte. Die Vereinigten Staaten brauchten ein Ägypten, das soweit ruiniert war, dass es, da die Finanzkraft des russischen Imperialismus noch kein Gewicht hat, gezwungen wäre, sich genauso wie Israel, an Armen und Beinen gefesselt an die Wall Street auszuliefern.

Bislang bildete Israel den Schlüssel für das amerikanische Dispositiv, das, an drei Punkten ansetzend, die arabische Welt umklammerte. Nach der Suez-Krise beinhaltete die amerikanische Strategie in der Tat enge Verbindungen zwischen Israel und den nicht-arabischen Staaten der Region. So wurden diskrete aber reale Beziehungen zur Türkei (Geheimvertrag zwischen Ben Gurion und Menderes Ende der 50er Jahre), Äthiopien und dem Iran hergestellt. Der Vertrag mit der Türkei ist eines natürlichen Todes gestorben, als dort die amerikanischen Raketenbasen abgebaut wurden, was im Zusammenhang mit der Kubakrise ausgehandelt worden war, obwohl Kennedy es allerdings schon vorher infolge der neu entwickelten ICBM, der Interkontinentalraketen, beschlossen hatte. Die Beziehungen zu Äthiopien sind mit dem Sturz des Negus zusammengebrochen; nachdem sie eine Zeit lang noch ein Schattendasein geführt hatten, wurden sie 1977 vom äthiopischen Derg ganz klar abgebrochen. Der Bruch mit dem erdölliefernden Iran ist viel schmerzhafter gewesen; im Januar 1979 kam es in der israelischen Presse zu Artikeln, in denen man die Armee des Schah dazu aufforderte, auf die Menge zu schiessen, und die Polizei dazu anregte, die Streikführer zu erschiessen. In diesem Artikeln wurde die weiche Haltung Carters für die soziale Instabilität verantwortlich gemacht.

Halten wir jedoch fest, dass der Staat Israel auf alle Fälle und unabhängig von diesen Ereignissen die privilegierte Rolle und die beträchtliche Bedeutung, die ihm im Gebiet Fruchtbarer Halbmond – Ägypten – Rotes Meer ursprünglich, d. h. in dem Augenblick, wo er unter amerikanische Lehnshoheit geraten war, zukam, immer mehr und Stück für Stück verlieren musste. Dies ist dem bemerkenswerten Rückgang des Erdöltransports durch die Pipelines der Levante geschuldet, vor allem aber auch der wachsenden Fähigkeit der arabischen Staaten, selbst die Rolle des sozialen Gendarms in diesem Gebiet zu spielen. Es handelt sich hierbei weniger um Jordanien, als vielmehr um Ägypten und Syrien. Ein Beweis für diese Fähigkeit wurde durch den konterrevolutionären Einmarsch der Truppe von Damaskus in den Libanon im Frühjahr 1976 geliefert: Die verschiedenen Abteilungen der PLO sind dazu übergegangen, selbst zu versuchen, die palästinensisch-libanesischen Massen zu entwaffnen und nach immer offeneren Kompromissen mit der bestehenden Ordnung zu streben, unter dem Vorwand, die »Autonomie und Souveränität« des am Reissbrett entworfenen libanesischen Staates zu retten.

Kaum war Ägypten unter den Yankee-Einfluss geraten, als der amerikanische Imperialismus auch schon den eigentlichen Kern seiner Politik enthüllte: »Der Frieden«, d. h. der Frieden zwischen Israel und Ägypten, bedeutete die Aufteilung der militärstrategischen und konterrevolutionären Aufgaben zwischen diesen beiden Staaten, ob das den zionistischem Siedlern oder der ägyptischen Bourgeoisie nun passte oder nicht.

Die Vereinbarung von Camp David und die neue Kräftegruppierung

Camp David stellt in der Politik des amerikanischen Imperialismus also keine plötzliche Wende dar. Es bildet vielmehr den erfolgreichen Abschluss einer seit langem betriebenen Politik, in gewisser Hinsicht aber auch dem Ausgangspunkt einer neuen Periode, in der Amerika sich von den Zwängen des britischen Erbes vollkommen befreit hat und wo die revolutionären Anwandlungen, die die lokalen Bourgeoisien in der eruptiven Phase der antikolonialen Revolution kannten, endgültig erloschen sind.

Das Abkommen von Camp David verwirklicht das genaue Gegenteil von einer freiwillig und auf gegenseitiger Begeisterung beruhenden Verbindung. Es ist eine ekelhafte Vernunftehe, der darüber hinaus jeder der beiden Ehepartner auch nur deshalb zustimmt, weil ihr gemeinsamer »Beschützer« ihnen verspricht, dass sie in entgegengesetzte, wenn auch sich ergänzende Richtungen marschieren sollen. Der Beweis dafür ist, dass keine der beiden Parteien das getan hat, was sie tun wollte, sondern das, was sie tun musste.

Seine Entstehungsbedingungen und seine natürliche Tendenz treiben Israel dazu, sich nicht nur nach Osten, sondern auch nach Süden hin auszudehnen, um den Sinai zu besiedeln und Suez zu kontrollieren. Nun muss es aber die Gebiete, die es Ägypten mit Waffengewalt abgerungen hatte, wieder freigeben. Dafür stehen ihm jetzt allerdings, das ist richtig, die Türen Ägyptens offen. Um sein riesiges Expansionsbedürfnis zu befriedigen, wird es sich damit begnügen müssen, seine Produkte auf den ägyptischen Markt zu werfen und von den Ufern des Nil Arbeitskräfte zu importieren, in der Erwartung, dass die so realisierten Profite in die ägyptische Wirtschaft investiert werden können.

Ägypten seinerseits bildete sich ein, in der Lage zu sein, die arabische Welt zu vereinigen, auch wenn die ägyptische Bourgeoisie in ihrer historischen Feigheit diesen Zusammenschluss nur in der Form einer unmöglichen Übereinkunft der Staaten ins Auge fasste, um die revolutionäre Explosion der Volksmassen und den direkten Zusammenstoss mit dem Imperialismus zu vermeiden. Heute hat Ägypten es soweit gebracht, dass alle seine arabischen Nachbarn eine Front gebildet haben, die zwar nicht unbedingt gegen die Vereinigten Staaten gerichtet ist, sich aber in jedem Fall gegen Ägypten selbst wendet. Immerhin jedoch erspart ihm das Versprechen einer wirtschaftlichen Sanierung für den Augenblick die Schrecken einer Volksrevolte!

Was die Geschäfte anbelangt, so hat alle Welt es eilig, einen »normalen« Zustand herbeizuführen, wie die kleinen Informationen, die durch die übertriebene Reklame für die grossen Kasperle aus den vorderen Zeitungsseiten verjagt werden, zeigen. Einen Tag nach der Vertragsunterzeichnung in Washington veröffentlichten sämtliche israelischen Finanzblätter den offiziellen Kurs des ägyptischen Pfundes (= 24 israelische Pfund). Schon vor der Unterzeichnung verhandelte man über den Fremdenverkehr und brachte man Untersuchungen über die Anwendung der israelischen Ackerbautechnik in Wüstengegenden in Umlauf. Was den Immobilienmarkt betrifft, so rechnete er mit lukrativen Geschäften im ägyptischen Fremdenverkehr. Nicht ohne Grund erklärt Artikel III, Paragraph 3, dass das »hergestellte normale Verhältnis« nicht allein »diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen«, sondern auch die »Freizügigkeit von Menschen und Gütern« einschliesst. Israel wird also gleich im grossen Stil in den ägyptischen Markt eindringen. Dayan, der so gerne auf altertümliche Ereignisse Bezug nimmt, wird sich sicherlich an die idyllischen Beziehungen zwischen den Ägyptern und Kanaaitern in Palästina nach der Schlacht von Meggido erinnert haben, bei der der Thutmose III im Jahre 1745 v. Chr. die syrischen Eindringlinge besiegte, jene Syrer, die heute Israel ohne ägyptische Rückendeckung gegenüberstehen.

Soweit die kleinen Hochzeitsgeschenke. Das Wichtige aber, wiederholen wir es, ist die vom amerikanischen Imperialismus diktierte Aufteilung der militärischem, strategischen und konterrevolutionären Aufgaben. Auch wenn diese Möglichkeit nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, da ja die Regierungen einige Zeit brauchen, um ihre Politik an die materiellen Bedingungen anzupassen (so wie auch die Menschen etwas Zeit brauchen, um ihre Köpfe daran zu gewöhnen), scheint ein Krieg zwischen Ägypten und Israel, der niemandem nützen würde, inzwischen ziemlich unwahrscheinlich.

Die militärische Aggressivität Israels wird in Zukunft in Richtung Nordosten und Osten kanalisiert werden, während die Südgrenze sich in einen Hafen des Friedens verwandeln wird. Das heisst mit anderen Worten, dass die »palästinensische Frage« ausschliesslich in den Händen Israels liegen wird. Unter dem Vorwand eines »Autonomiestatuts« für die Palästinenser verzichtet Ägypten sogar darauf, sich ihrer künftig als ein Faustpfand für einen Schacher mit Israel und den Vereinigten Staaten zu bedienen. Der beste Beweis hierfür ist, dass die Knesset, während noch die Friedensverhandlungen liefen, über ein Projekt beriet, das für die kommenden fünf Jahre die Gründung von 84 neuen Niederlassungen im Westjordanland vorsieht und das sich auf 54 Milliarden israelische Pfund, das sind ungefähr 4 Milliarden DM, beläuft.

Was die Verwaltungsautonomie anbelangt, so bedeutet sie praktisch, dass die Palästinenser das Recht haben werden, ihre Bürgermeister selbst zu wählen, und vielleicht noch andere »Vorteile« geniessen dürfen. Wenn er es auch bestreitet, so hat Sadat diese Klausel doch unterschrieben, worüber man sich gar nicht aufzuregen braucht: Hat nicht Yassir Arafat bei seinem »historischen« offiziellen Treffen mit Hussein, den Schlächter des Schwarzen September, selbst erklärt, dass die »Revolution pragmatisch sein muss«, was eine elegante philosophische Art ist, sich für die Entwaffnung der palästinensischen Massen einzusetzen, diese von der herrschenden Ordnung aufgestellte unerlässliche Bedingung für die Schaffung des berüchtigten palästinensischen Ministaates, einer Art arabischem »Bantustan«? Das war es schon wert, dass ein israelischer Abgeordneter Arafat dazu einlud, vor der Knesset zu sprechen!

Die Haltung Husseins hat übrigens durchaus etwas zu bedeuten. Warum greift dieser kleine Monarch, der an einem amerikanischen College ausgebildet wurde und bis gestern noch Zögling der Yankees war, heute die USA an, um sich seinen ehemaligen Feinden anzunähern? Vielleicht wird er demnächst gegenüber den Palästinensern eine Rolle zu spielen haben und versucht heute – sicherlich mit dem Einverständnis Ägyptens, Israels und der USA – sich als »empfehlenswert« herauszuputzen? Es ist aber, durchaus möglich, dass die von aller Welt so lange ausgebrütete »Lösung der palästinensischen Frage« über einen militärischen Druck auf Jordanien und den Libanon erreicht wird, damit sie ein israelisch-ägyptisches Kondominium über ein mögliches Homeland akzeptieren, das über den Jordan hinausgehen würde und in dem Israel sein Konzept von einer »Verwaltungsautonomie« aufzwingen und verwirklichen würde. Eine militärische Aktion im Osten oder allein schon ihre Androhung würde andererseits das Gewicht Israels als regionaler Gendarm vor allem gegenüber dem Irak und Syrien verstärken, die im Augenblick die einzigen Kräfte sind, die in der Lage wären, sich Israel – und sei es auch nur auf der Ebene der Staatsinteressen – entgegenzustellen. Von ihrer Seite aus würde es sich aber natürlich niemals um eine revolutionäre Opposition handeln: Syrien und der Irak teilen sich die Arbeit, um die Ordnung, z. B. im Libanon, aufrechtzuerhalten, und der Irak macht selbst gegenüber Washington Annäherungsversuche, indem er sich seinerseits als Gendarm des Golfs anbietet. Was Syrien betrifft, so hat es 30 000 Soldaten im Libanon stationiert, und entsprechend seiner historischen Tendenz könnte sich diese »Kontrollmacht« unter geeigneten Umständen in eine Besatzungsmacht verwandeln.

Die Türkei ihrerseits gewinnt unter anderem in Anbetracht der den Iran betreffenden Ungewissheit ihre ganze alte Bedeutung wieder. Nach Pakistan und dann dem Iran ist die Türkei aus der CENTO ausgetreten, was diesen Pakt (dem die Türkei, Iran, Pakistan, Grossbritannien und die USA angehörten) beendete. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die USA im Rahmen einer Neubestimmung der Kräfteverhältnisse das seit dem Zypernkonflikt verhängte Embargo für Militärausrüstungen beendet und die Waffenlieferungen an die Türkei wieder aufgenommen haben. Und genauso wenig ist es ein Zufall, dass die europäischen und amerikanischen Bourgeoisien das Bedürfnis verspüren, ihrer Solidarität mit diesem Land Ausdruck zu verleihen, und sie in Form einer 1,75 Milliarden Dollar Anleihe des IWF zu »konkretisieren«.

Aber Ägypten kommt das grösste Gebiet zu. Sogar schon vor dem Sturz des Schah hatte es damit begonnen, die Funktion eines Gendarms auszuüben: Zunächst sandte es ein Expeditionskorps in den Sudan, um Numeiri gegen die »libyschen Verschwörungen« zu »helfen«; dann schickte es einen Nachschubtrupp nach Zaire und ein Kommando für eine antiterroristische Operation in der Art Entebbes nach Zypern; und schliesslich liess es auch Somalia zum Zeitpunkt des Ogadenkrieges Unterstützung zukommen. Man versteht jetzt also die erleichterte Bemerkung, die Carter beim Friedensschluss fallen liess: »Der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel wird es Ägypten erlauben, fünf Divisionen freizubekommen. Sie können zu einer stabilisierenden Kraft werden«. Nun denn, handelt es sich um einen Frieden, oder um eine neue Kräfteaufstellung, die neue Konflikte vorbereitet?

Abgesehen von den bereits aufgezeigten Gründen, geht die wachsende Bedeutung Ägyptens in der amerikanischen Militärpolitik zweifelsohne auf zwei Dinge zurück: Einerseits die wachsende Bedeutung der arabischen Halbinsel für die Erdölversorgung Amerikas selbst. Andererseits hängt sie mit der Tatsache zusammen, dass die Ost-West-Gegensätze in der gesamten Region Mittlerer Osten – Afrika -Indischer Ozean sich beträchtlich zuspitzen, während die Vereinigten Staaten gegen Ende der 60er Jahre, zum Zeitpunkt der endgültigen Ausschaltung des englischen Imperialismus, von der Land Based Strategy (der sich auf Landbasen stützenden Strategie) zum aeronavalen Kontrolle der Ozeane der ganzen Welt übergegangen sind, und hierbei spielt Ägypten wieder die Rolle einer Drehscheibe.

Verstärkte Rolle der israelisch- ägyptischen Allianz nach dem Sturz des Schah

Der Iran hatte im dieser Strategie eine enorm wichtige Rolle gespielt. Im Dezember 1973 landeten zur Zeit der gemeinsamen Luft-See-Manöver der CENTO und der VII. Flotte 3000 persische Marinesoldaten an der Küste von Dhofar. Es handelte sich dabei nicht nur um eine Operation zur Unterstützung des Sultan Quabus von Oman gegen die PFLOAG (Volksfront zur Befreiung Omans und des Arabischen Golfs), sondern um einen Schritt in Richtung auf immer grössere Verpflichtungen im Rahmen des allgemeinen militärischen und konterrevolutionären Plans der USA. Nur eine solche Verpflichtung erklärt die Quantität und vor allem die Qualität der an den Iran gelieferten Waffen, insbesondere im Bereich der See- und Luftschiffahrt oder der elektronischen Kontrollanlagen. Allein die in einem solchen allgemeinen Plan übernommene Rolle erklärt den Aufbau von Küstenstützpunkten, wie der Flottenstützpunkt vom Bandar Abbas und vor allem der riesige aeronavale Komplex von Shabar, der speziell für Langstreckenaufklärung eingerichtet ist und der den mitten in Indischen Ozean gelegenen Stützpunkt von Diego Garcia ergänzt. Zu all dem kam noch die Verlegung des Hauptquartiers der CIA für den Mittleren Osten von Nikosia nach Teheran im Jahre 1973 hinzu, sowie auch die Ernennung von Richard Helms, dem ehemaligen Leiter dieser berühmten Behörde, zum Botschafter im Iran und die Invasion von amerikanischen Experten, deren Gesamtzahl bis auf 65 000 geschätzt wurde.

So gross die Bedeutung des Iran in der amerikanischen Strategie auch gewesen sein mag, so begann Ägypten doch mehr und mehr, wie wir gesehen haben, sich ernsthaft in diese Strategie einzuordnen. Diese Tendenz wurde durch den Sturz des Pahlewi-Regimes noch beschleunigt, das einen wichtigen Pfeiler dieser Strategie gebildet hatte. Letztere musste sich von nun an verstärkt auf den doppelten Pfeiler Israel-Ägypten stützen.

Israel konnte seine abnehmende Bedeutung und seine Feilschmöglichkeiten gegenüber den USA wieder stärken. Als eine unmittelbare Folge von Camp David und der Ereignisse im Iran sahen sich die zwei feindlichen Brüder Syrien und der Irak dazu getrieben, eine Allianz einzugehen. Von der Errichtung des schiitischen Regimes beunruhigt, hat letzterer die bislang von ihm unterstützte antisyrische Opposition des palästinensischen Widerstands liquidiert, zum grossen Leidwesen des linken Flügels der Fatah und der Ablehnungsorganisationen, die mit dem Irak geliebäugelt hatten. Darüber hinaus führen die inneren Schwierigkeiten Syriens dazu, es bei der Ausübung seiner Funktion als Gendarm im Libanon zu lähmen und die Aggressivität Israels zu ermutigen: Israel säubert den Südlibanon buchstäblich durch die Vertreibung seiner Bewohner, hält den Pufferstaat Haddads, mit dessen Hilfe es den ganzen Süden des Litani kontrolliert, hoch, ohne dass jemand darauf reagieren würde, und erlaubt sich schliesslich sogar Operationen im Nordlibanon.

Aber die Bedeutung Ägyptens hat noch mehr als die Israels zugenommen. Es hat seine Rolle noch nicht einmal ganz übernommen, und schon trampelt es vor Ungeduld mit den Füssen, denn bei seinen riesigen Problemen tut Eile not. Bei den Unterredungen mit Verteidigungsminister Brown hat Ägypten sich bereit erklärt, zum Schutze der verschiedenen Länder der Region zu intervenieren. Es will an erster Stelle den Sudan und Somalia verteidigen, aber (angesichts der Spannungen mit dem Iran) wenn es notwendig ist, auch Saudi-Arabien, Kuwait und die Emirate oder Oman, wo die ägyptischen Truppen bereits an die Stelle der iranischen getreten sind. Hassan Ali hat in Washington erklärt: »Es kommt Ägypten zu, die Verteidigung dieses kritischen Gebiets zu gewährleisten«. An 29. März hat Ägypten seine Truppen entlang der libyschen Grenze in Alarmzustand versetzt, vor allem um zu beweisen, dass es in der Lage ist, auch in dieser Ecke zu intervenieren. Doch gerade die Spannung mit Libyen beweist, dass man sich beeilen muss. In Wirklichkeit könnte Ägypten den Zusammenstoss mit einem gut bewaffneten Land nicht vertragen, und noch über Jahre hinaus wird es ihm schwerfallen, Libyen die Stirn zu bieten. Es braucht eben dringendst Waffen, vor allem Flugzeuge und moderne Panzer.

Die Vereinigten Staaten haben also keine Zeit zu verlieren, und Carter besteht darauf, dass dies allen Betroffenen »schnellstens bewusst« wird. Er ruft sie zusammen, lässt eine direkte Leitung zwischen sich, Begin und Sadat herstellen; er schickt seine Meldereiter Brown und Atherton, den Experten für den Mittleren Osten, aus; er eilt selbst nach Kairo und Jerusalem; lässt Brzezinski und Vance, ja sogar seinen Sohn rotieren; er leiert Erweiterungsarbeiten für den Hafen und die Landebahnen von Diego Garcia an, von wo aus der Flugzeugträger Constellation, den er von den Philippinen kommen lässt, die Region überwachen soll.

Wenn die Amerikaner schon auf der diplomatischen Ebene die »grossen Stücke« aufführen lassen, was soll man dann erst von den Waffenlieferungen sagen? Sie versprechen Saudi-Arabien Flugzeuge und Waffen plus ein Geschwader von hochmodernen F15 mit amerikanischen Piloten, um ihm eine Intervention in Jemen zu ermöglichen. Sie studieren sorgfältig die ellenlange »Hochzeitsgeschenkeliste«, die Ägypten vorgelegt hat: 300 F16, 600 Panzerwagen, 4 500 TT-Panzer, 500 Artilleriestücke, 80 Kriegsschiffe, darunter Torpedobootzerstörer und Unterseeboote, von der unbekannten Anzahl von Raketen ganz zu schweigen… Und wenn Israel protestiert und Verteidigungsminister Weizmann Brown daran erinnert, dass es sein Land und nicht Ägypten war, das 4000 russische Panzer und mehr als 1000 russische Flugzeuge zerstört hat, so sind die USA auch hier sofort mit Waffenversprechungen zur Hand.

Dennoch erhöht der Sturz des Schah die Wahrscheinlichkeit einer direkten Militärintervention der USA in diesem Gebiet, was zweifelsohne äusserst gefährliche Reaktionen hervorrufen würde. Aus diesem Grunde verkündet der Irak, indem er die Lehren aus der iranischen Intervention in Dhofar zieht, ganz lauthals, dass »die Sicherheit des Golfs und der Region im allgemeinen nur von den Arabern selbst gewährleistet werden kann«. Aber die Amerikaner müssen wohl denken, dass man von niemandem so gut wie von sich selbst bedient wird, denn bei der Rückkehr von seiner ersten Mission im Mittleren Osten hat der Verteidigungsminister erklärt:
»Der Schutz des Ölflusses im Mittleren Osten gehört ganz klar zu unseren vitalen Interessen, und zum Schutze solcher Interessen werden wir jede Aktion, die sich als notwendig erweisen wird, unternehmen, den Einsatz von Militärgewalt mitinbegriffen«.
Energieminister Schlesinger liess seinerseits verlauten, dass
»das Problem einer Militärpräsenz der Vereinigten Staaten unter Einsatz des Personals der Streitkräfte untersucht wird«.

Dies waren keine leeren Worte. Die Zeitungen berichten, dass am Rande der offiziellen Verhandlungen über die Schaffung eines grossen amerikanischen Stützpunktes auf dem Sinai diskutiert wurde, der in dem von Brown im Februar besuchten Etzion liegen soll, und dass ein Geheimabkommen die Errichtung von zwei weiteren Stützpunkten, der eine in Ägypten am Roten Meer, der andere in Israel am Mittelmeer, ermöglichen wird. Im übrigen haben die Vereinigten Staaten während des Krieges zwischen den beiden Jemen die Schaffung eines gemeinsamen beratenden Militärkommandos mit Saudi-Arabien untersucht, das sich in ein mit Sadat bereits diskutiertes und an eine Art Marshall-Plan gekoppeltes Verteidigungssystem für den ganzen Mittleren Osten einfügen würde. Der Gesamtplan dürfte nicht weniger als 15 Milliarden Dollar kosten, wovon 5 Milliarden auf Waffen entfallen. Und unter dem Hinweis darauf, dass sich 3000 Kubaner in Aden befinden, die von 100 russischen Offizieren und von 700 russischen Militärberatern organisiert werden, zu denen noch 1000 ostdeutsche Techniker hinzukommen, gesellen sich im Nordjemen 300 amerikanische »Berater« zu ihren bereits vorhandenen circa 70 Kollegen hinzu. Es besteht also kein Zweifel, dass die amerikanische Verwaltung in einigen Wochen recht rührig gewesen ist. Und dann gibt es Leute, die ihr übertriebene Schüchternheit, die gar an Verzicht grenzen soll, vorwerfen!

In diesen allgemeinen Rahmen eingebettet, stellt der »Frieden« zwischen Israel und Ägypten selbstverständlich keinen wahren Frieden dar, der im imperialistischen Zeitalter übrigens weder durch irgendeine Vereinbarung noch durch irgendeinen Vertrag gesichert werden könnte. Ja mehr noch, dieser sogenannte Frieden ist nicht einmal, wie Lenin es ausdrückte, »der Waffenstillstand, der weitere Kriege vorbereitet«, sondern er ist ein Bestandteil der amerikanischen Kriegsstrategie der letzten Jahre: Angefangen bei der grundsätzlichen Vereinbarung von Camp David bis hin zu den spektakulären Besuchen Carters in Kairo und Jerusalem hat man nichts anderes getan, als für die logische Entwicklung dieser Strategie zu arbeiten.

Politisch-militärische Umstellung auf einem sozialen Pulverfass

Die ganze politisch-militärische Umstellung spielt sich jedoch auf einem sozialen Pulverfass ab, wie man es nur selten in der Geschichte finden kann.

Die Ereignisse im Iran haben gezeigt, dass die unter den lokalen Bedingungen verwirklichte Kapitalakkumulation unvermeidlich in den konfliktreichen Ausbruch der sozialen Widersprüche mündet, die sie selbst hervorgebracht hat. Weder die Macht des Klerus, der den Protest der ausgebeuteten Massen und der durch den chaotischen Umsturz der altem Gesellschaft ruinierten alten Klassen nur als Vehikel benutzt, um ihn auf die altdoktrinäre Haltung des Islam hinzulenken, noch die fehlende Autonomie des Proletariats, das aufgrund der allgemeinen historischen Bedingungen die kleinbürgerlich merkantile Führung und die religiöse Tradition des schiitischen Islam nicht überwinden konnte, haben diesen gewaltigen Ausbruch verhindern können. Dieselben Widersprüche trifft man aber im ganzen Mittleren Osten an, wo sie je nach den besonderen Umständen in schwächerer oder verschärfter Form als im Iran auftreten. Drei Faktoren reissen die Region in einen wahnsinnigen kapitalistischen Strudel hinein und lassen sowohl die archaischen sozialen und politischen Bedingungen als auch den direkten politischen Druck des Imperialismus immer unerträglicher werden.

Der erste Faktor ist das imperialistisch aufgepfropfte Israel, das eine kapitalistische Landwirtschaft und Industrie und die damit verbundenen Klassen, eine Bourgeoisie, eine Kleinbourgeoisie und eine europäische Arbeiteraristokratie – die Aschkenasim-Juden – praktisch von A bis Z importiert hat. Diese Gruppen geniessen umfassende Privilegien gegenüber der arabischen Bevölkerung, die in den vor 1967 eroberten Gebieten inzwischen völlig enteignet und von ihrem Land vertrieben wurden und die in den Gebieten von Gaza und Westjordanien einer schnell voranschreitenden Expropriation ausgeliefert ist. Diese Gruppen nehmen aber auch gegenüber den kleinbürgerlichen und Arbeitermassen jüdisch-orientalischer Herkunft – den Sephardim-Juden – eine politisch und sozial privilegierte Stellung ein, von ihren Vorteilen gegenüber den eingewanderten Arbeitern, die jetzt in beträchtlicher Zahl aus Transjordanien und bald auch aus Ägypten kommen werden, ganz zu schweigen.

Bislang konnten die Israel untergrabenden Widersprüche dank des auf die arabische Bevölkerung ausgeübten Terrors und des permanenten Krieges, die sich auf die »jüdische Solidarität« zwischen den Klassen stützen, eingedämmt werden, und dieser Staat hegt die Hoffnung, sich mit Hilfe seines Expansionismus eine eigene produktive Grundlage zu schaffen, die auf einem breiten Markt beruhen würde. Gleichzeitig vermehrt er aber ganz beträchtlich die Massen von völlig rechtlosen Proletariern, deren Ausbeutung durch das jüdische Privileg und den ständigen Belagerungszustand doppelt verschärft wird. Dadurch vermehrt Israel nicht nur das Potential für eine Revolte der unterworfenen Bevölkerungen, sondern vor allem die Kraft der zu Proletariern gewordenen Ausgebeuteten. Und die Fortsetzung des ständigen Kriegszustandes, die rasende Inflation und die von der jüdischen Arbeiterklasse geforderten Opfer lassen darauf hoffen, dass die Front der jüdischen Solidarität eines Tages gebrochen wird, dass die Sephardim-Arbeitermassen und sogar bedeutende Teile der Aschkenazim-Arbeiter sich auf den Boden des Kampfes gegen das jüdische Privileg – und also für die Zerstörung des jüdischen Staates – stellen werden, eines Kampfes, der für die Vereinigung des Kampfes der Arbeiterklasse der Region gegen den Kapitalismus unerlässlich ist.

Der zweite Faktor ist die blitzartige Entwicklung des Erdölreichtums, aus der sich zu einem grossen Teil der dritte Faktor ergibt: die rasche Aufrüstung des Gebiets, die mit den Anstrengungen des Imperialismus, das Erdöl zu kontrollieren, verbunden ist. Diese beiden Faktoren haben zur Schaffung von modernen Produktionssektoren geführt, die durch die Kriege noch angeheizt und erweitert werden, und sie geben Anlass zu ebenso riesigen wie lukrativen Transaktionen, die eine beträchtliche Menge von Finanzkapital erfordern. Daraus ergibt sich eine anormale (unter diesen Bedingungen aber natürliche) Aufblähung des Kredit- und Bankenwesens, die ihrerseits eine grosse Spekulationsbewegung hervorbringt, insbesondere die Spekulation im Bereich der Rente und hier vor allem der städtischen Grundrente.

Es lässt sich eine lawinenartige Entwicklung von riesigen Städten beobachten, wo die schlimmsten Merkmale der westlichen »Zivilisation« wiederzufinden sind und wo das schwärzeste Elend, verbunden mit dem prahlerischsten Luxus, ein leicht entzündbares Gemisch bildet. Der Kapitalismus breitet sich hier mit all seinen Schanden aus, ohne aber die Zeit zu haben, seine revolutionären Aspekte zu verwirklichen, d. h. er dehnt die Vergesellschaftung der Arbeit und die gesellschaftliche Organisation der Produktion nicht auf die gesamte Gesellschaft aus, sondern führt sie hier nur in einer kleinen Zahl von grossen industriellen Komplexen ein, und die atomisierte handwerkliche Produktion und um so mehr noch die kleine Distribution, die sich im Herzen der Bazars und Suks verschanzt hat, werden hiervon nicht berührt. Und wenn die industriellen Gesellschaften des Westens Phänomene wie die Ausbeutung Minderjähriger und die »Schwarzarbeit« hervorbringen, so werden diese Phänomene in den Gesellschaften auf die Spitze getrieben, die vom Kapitalismus erst frisch erobert wurden und wo die alten sozialen Formen, die in die Zerstörung mithineingerissen wurden, durch nichts ersetzt werden. Wer kontrolliert schon im riesigen Bazar von Teheran oder im endlosen Labyrinth der Gassen von Kairo den Kinderhandel, die doppelte Arbeit der Arbeiter, die 60–70% ihres Lohnes für eine Unterkunft ausgeben müssen, oder etwa die Arbeit der Gerber und Färber, die mit den mörderischen Abfällen der chemischen Industrie arbeiten?

In Ägypten sind diese Widersprüche besonders zugespitzt. Für sich allein genommen umfasst dieses Land genauso viele Einwohner wie der ganze Fruchtbare Halbmond und die arabische Halbinsel; darüber hinaus besitzt es eine alte industrielle Tradition und ein Produktionsnetz, das auf der Ausbeutung einer grossen und konzentrierten, aber auch kämpferischen Arbeiterklasse aufgebaut ist. Die Kampftradition des ägyptischen Proletariats geht weit über diejenige der anderen Länder des Nahen Ostens hinaus, und bei den Januar-Unruhen 1977 hat dieses Proletariat seine Organisationsfähigkeit glänzend zum Ausdruck gebracht: Nach sehr harten Strassenkämpfen, die hunderte von Toten und mindestens 4000 Verletzte forderten, hat die Arbeiterrevolte, die die unterdrückten Bevölkerungsschichten und die Studenten mit sich gerissen hatte, die Regierung dazu gezwungen, die vom IWF geforderten Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel rückgängig zu machen und Lohnerhöhungen zu versprechen.

Der Imperialismus muss Ägypten unbedingt vor der wirtschaftlichen Katastrophe »retten«, wenn er vermeiden will, dass sich deren Folgen weit über die ägyptischen Grenzen hinaus auswirken. Der Pferdefuss besteht aber darin, dass diese Rettung selbst wiederum nur noch grössere Explosionen in der Zukunft vorbereitet. Und im übrigen wird diese Rettungsaktion auch nicht gerade einfach sein. So weiss heute niemand genau, wieviel Einwohner Kairo hat. Die Volkszählung von 1966 bezifferte sie auf 4,5 Millionen, was inzwischen, wenn man die nationale Wachstumsrate der Bevölkerung zugrundelegt (2,2 %), ungefähr 6 Millionen ausmachen würde. Aber mit der massiven bäuerlichen Expropriation und der schnellen Verstädterung liegt die Wachstumsrate der Hauptstadt mindestens, viermal so hoch wie der nationale Durchschnitt, was bereits mehr als 10 Millionen ergeben würde… Dieses Phänomen der massiven und anarchischen Urbanisierung, das nicht nur Kairo und Ägypten, sondern auch die anderen Städte und Länder des Nahen Ostens betrifft, die sich zum vollen Kapitalismus hin entwickeln, ergibt sich direkt aus der Tatsache, dass das Kapital die alten Strukturen zu schnell zerstört, als dass diejenigen, die in ihrem Schutze leben, von den Inseln der fortgeschrittenen Produktion aufgefangen werden könnten. In diesen Ländern ist das moderne Kapital sofort auf konzentrierte Weise tätig, ohne erst die historischen Phasen der Kapitalakkumulation, wie sie Europa kannte, durchzumachen. Es befreit Millionen von Menschen von dem Rahmen der archaischen Produktion, aber diese »Befreiten« können keine Verwendung finden in einem Produktionsapparat, der auf Anhieb mit einer kolossalen Produktivität und einer extrem hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals (Verhältnis zwischen Anlagen, Rohstoffen, Energie usw. und der Arbeitskraft) entsteht.

Daraus folgt eine sehr starke Auswanderung, insbesondere nach der arabischen Halbinsel. So haben offiziell 1,4 Millionen Ägypter das Land verlassen. Ihre wirkliche Zahl dürfte aber mindestens doppelt so hoch liegen, denn die Statistiken erfassen nur diejenigen, die in die Länder der Arabischen Liga und mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche auswandern. Im vergangenen Jahr hat Saudi-Arabien Tausende von heimlich ins Land gekommenen Ägyptern ausgewiesen, und die Egyptair musste eine Luftbrücke mit wöchentlich 20 Flügen einrichten, um sie wieder in die Heimat zurückzuführen. Unter den Auswanderern gibt es einen nicht zu vernachlässigenden Anteil von Fachkräften, was auf die Rückständigkeit des ägyptischen Produktionsnetzes hinweist. Die grosse Masse von ihnen besteht aber aus Fellachen, die das übervölkerte flache Land in der Hoffnung auf einen Lohn im Ausland verlassen, und im Falle einer Zwangsrückkehr können diese Auswanderer zu einem Explosivstoff werden. Die Einwanderung in Länder wie Saudi-Arabien oder die Emirate hat klare objektive Grundlagen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass infolge von wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder als politische Vergeltungsmassnahme einige hunderttausend Proletarier wieder nach Hause geschickt werden, und die sozialen Folgen einer solchen Rückkehr in die Heimat kann man sich ja vorstellen. In Ägypten zum Beispiel sind die von der ausgewanderten Arbeitskraft erbrachten Deviseneinnahmen von 189 Millionen Dollar 1974 auf 367 Millionen 1975, 358 Millionen 1976 und 700 Millionen im Jahre 1977 gestiegen. Dieser Zustrom an Devisen lag über den Einnahmen, die sich zusammengenommen aus dem Suezkanal, der Baumwolle, dem Erdöl und dem Tourismus ergaben, die die wichtigsten Devisenquellen des Landes bilden. Bei mehr als 40 Millionen Einwohnern, die sich auf 35 000 km2 bewohnbaren Landes verteilen (1143 Einwohner pro km2, die landwirtschaftlich genutzten Gebiete mitinbegriffen), hat Ägypten ein vitales Expansionsbedürfnis. Es gibt dort nicht genug Land, und aufgrund der Urbanisierung und der Erweiterung der Infrastruktur nimmt es auch noch ständig ab. Die Zahlungsbilanz weist ein chronisches Defizit auf. Die Verschuldung hat schwindelerregende Zahlen erklommen, und die einzige Lösung besteht darin, sich immer mehr zu verschulden, um den Zusammenbruch zu vermeiden. Die Löhne erreichen mit Mühe und Not 20–30 ägyptische Pfund, was der Monatsmiete für zwei Zimmer in der mittleren Peripherie Kairos entspricht, und die Inflation beschneidet diese Löhne immer mehr: Überschuss an Arbeitskräften, billiges Kanonenfutter. Braucht man sich da zu wundern, dass Ägypten die neue Kräfteaufstellung mit Ungeduld erwartete, in der Hoffnung, die Elenden für die Eroberung neuer Gebiete einzusetzen? Aber es ist nicht sicher, dass es seine Rolle als Gendarm genauso lange ausüben wird wie der Iran. Sicherlich nicht umsonst hat Sadat ein langes Gespräch mit dem fliehenden Schah geführt; genauso wie Hassan von Marokko wollte er die Fehler des Pahlewi-Regimes kennenlernen, um sie selbst zu vermeiden. Nur, Ägypten hat nicht dieselbe Kauf- sprich Korruptionskraft wie der Iran…

Aber die Auswanderung betrifft nicht nur Ägypten. Die zionistische Expropriation in Palästina, die durch den Druck des Imperialismus und den Antagonismus Vereinigte Staaten – Russland aufgezwungene Militarisierung, die Konzentration der Erdölrente in einigen Ländern und die Unmöglichkeit, den Reichtum durch eine Verallgemeinerung der kapitalistischen Produktion auf die ganze Region zu verteilen, die Unmöglichkeit, die Agrarfrage zu lösen und die im Überfluss vorhandenen fruchtbaren, aber dürr bleibenden Böden zu nutzen, sowie auch die Entwurzelung von Bevölkerungen mit tausendjährigen Traditionen haben im Nahen Osten die Migration von Tausenden von Menschen hervorgerufen, die von ihrem Land oder dem Bazar vertrieben werden und zu einem wahrhaftigen Lohnarbeiternomadentum gezwungen sind.

Dies alles betrifft vor allem die Palästinenser, die nunmehr fast völlig von ihrem Land verjagt worden sind. Dieses Volk, das aufgrund der Bedürfnisse des Imperialismus beraubt und auf seinen Befehl hin nicht nur von seinen erklärten Feinden, sondern auch von seinen vorgeblichen Freunden massakriert wurde; das zunächst durch das Kalkül der Mächte und die infame Unterstützungslogik der amerikanische »Hilfe« verteilende UNWRA, verstreut wurde, um dann durch die aufeinanderfolgenden Wellen von Massakern und den Hunger noch weiter auseinandergetrieben zu werden; dieses Volk weist neue und eigene Klassenbedingungen auf. Durch den Krieg daran gehindert, Boden zu besitzen und handwerkliche oder Händlerberufe auszuüben, sind die Palästinenser zum Teil zu Guerilleros geworden, die manchmal in Kommandos zur Unterstützung der arabischen Armeen organisiert sind; einige von ihnen sind auch Schmuggler, der grösste Teil aber besteht aus reinen Proletariern. Wie viele Palästinenser gehören hierzu? Keiner weiss das. Wenn man von insgesamt 3,5 Millionen Palästinensern ausgeht, von denen ungefähr 2 Millionen zur Diaspora, der Auswanderung, gezwungen sind, so dürfte es fast 1,5 Millionen Proletarier unter ihnen geben. Natürlich leiden sie darunter, soweit zerstreut zu sein, aber langfristig gesehen kann sich diese Schwäche in eine Kraft verwandeln. Diese Proletarier wurden dadurch formiert, dass sie für immer das Verhaftetsein mit dem bäuerlichen Leben und die Bindung an den Boden verloren haben. Sie haben gekämpft, sie haben sich organisiert, sie haben gestreikt und dem Tod getrotzt; sie haben eine internationale Bildung erhalten, die sich ihren Arbeitskollegen mitteilt, vor allem, wenn diese auch Zugewanderte sind.

Ägypten, Syrien, der Nord- und Südjemen und Palästina sind die grossen Arbeitskraftlieferanten für die Erdölmagnaten. Bevor Saudi-Arabien strenge Massnahmen zur Einschränkung der »illegalen« Einwanderung traf, konnte man ägyptische, palästinensische, tunesische, marokkanische, sudanesische, jemenitische, syrische, somalische, eritreische, südkoreanische, taiwanesische, indische und pakistanische Arbeiter im Land antreffen, sowie natürlich auch aus den westlichen Ländern kommende Techniker und Spezialisten. Wenn man die im Nahen Osten bis zum Golf verstreuten Palästinenser, Ägypter, Jemeniten und Syrer zusammenzählt, so kommt man auf eine Zahl von Proletariern, die die 5 Millionen übersteigt. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Familienauswanderung im allgemeinen den Technikern vorbehalten ist, so stellt diese Zahl eine phantastische proletarische Masse dar. Obgleich sie gespalten und in alle vier Himmelsrichtungen zerstreut ist und im Augenblick durch die paar Brosamen, die sie erhält, vom Klassenkampf abgehalten wird, bildet sie doch das wahrhaftige Produkt der Revolution, welche die Erdölwelle in diesen bislang in der Vergangenheit schlummernden Ländern herbeiführte.

Es sind Millionen von Proletariern, die zusammen mit den Proletariern jedes einzelnen Landes eine potentiell explosive Masse darstellen, und dies hat sehr viel schwerwiegendere historische Konsequenzen als ein Vertrag, der neue strategische Staatenbündnisse sanktioniert.

Diese neue, proletarische Form der arabischen Völkerwanderungen sieht nicht so episch aus wie die Migrationsbewegungen von vor 1300 Jahren, und sie hat nicht die gleichen glorreichen Eroberungen zum Ziel. Sie entwickelt sich im stillen, ohne sich mit grossen Namen zu schmücken. In den widerlichem Erdölgegenden, in den heissen Wüstenslums und auf den Baustellen, wo es sich wie Sklaven stirbt, weitet der Kapitalismus seinen Einfluss auf einen neuen Weltteil aus, und es ist ausgesprochen bezeichnend, dass er hier eine kosmopolitische Auswahl der internationalen Arbeiterklasse, seines Totengräbers, zusammenführt: dort unten, in diesen Gebieten der labilen Regierungen, in dem sich für den Imperialismus lebenswichtige Anlagen befinden, das über und über mit randvollen Waffenlagern bedeckt ist und wo es eine Menge von Proletarier und unterdrückten Massen gibt, die durch die Schule des Krieges und der Gewalt gegangen sind.

In diesem ganzen riesigen Gebiet, das sich von Kairo bis Basra und von dort bis Abadan und Teheran erstreckt, das von Alexandria nach Tripolis bis in den Maghreb geht, das von Katar über Damaskus nach Beirut führt und von Aden über Haifa und Jerusalem bis nach Mossul und Aleppo verläuft und von dort weiter bis Adana und Ankara, in diesen ganzen Gebiet vermehren und entwickeln sich die Bedingungen für den Krieg der Arbeitermassen, die die proletarisierten Massen in Stadt und Land mit sich reissen werden; die Bedingungen eines Krieges, der nur noch am Rande ein Rassen- und nationaler Krieg sein kann, da er zu einem Klassenkrieg wird. Und dies ist der einzige Krieg, der – unter der Führung der wiederhergestellten kommunistischen Weltpartei und in Verbindung mit den Proletariern der grossen Metropolen, die gezwungen sein werden, den Weg des offenen Kampfes wieder einzuschlagen – der imperialistischen Barbarei wird ein Ende bereiten können, um eine menschliche und brüderliche Gesellschaft, die Gesellschaft des Kommunismus, hervorzubringen.

Auf dass die Ölhähne also zugedreht und die Waffen auf den gemeinsamen Feind gerichtet werden!


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 23, September 1979, übersetzt aus »Programme Communiste«, Nr. 80 vom Juli 1979

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