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DER KAMPF DER NICARAGUANISCHEN MASSEN
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Der Kampf der nicaraguanischen Massen
Das Scheitern der bürgerlichen Pläne
Die Heuchelei der Bourgeoisie und der »fortschrittlichen Regierungen«
Notes
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Der Kampf der nicaraguanischen Massen
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1936 durch den amerikanischen Imperialismus an die Macht gehievt, wurde das Somoza-Regime, dieses traditionelle Schreckgespenst der lateinamerikanischen »Linken«, mehrmals durch heftige soziale Bewegungen erschüttert. Schliesslich entstanden durch das katastrophale Erdbeben von 1972 mit seinen verheerenden sozialen Folgen unheilbare Risse am ganzen Gefüge des Regimes. Der Wiederaufbau des Landes - und insbesondere von Managua, das grösste Geschäft in der Geschichte Nicaraguas - wurde für die Somozas zu einer Quelle sagenhafter Profite, während das ohnehin unerträgliche Elend der Massen sich infolge der Naturkatastrophe noch weiter zuspitzte.

Diese Verschärfung des Elends führte unmittelbar zu den sozialen Unruhen der Jahre 1973-74, an deren Spitze die sehr kleine, aber kämpferische Arbeiterklasse und insbesondere die Bauarbeiter standen. Wie stark diese Kämpfe gewesen sind, kann man daran ermessen, dass das Arbeitsministerium sich zum ersten Mal gezwungen sah, bestimmte Streiks für »legal« zu erklären, Erst am Ende dieser Welle der sozialen Bewegung trat ,die schon Jahre zuvor gegründete FSLN wieder auf und führte eine ihrer spektakulärsten Taten durch, die Entführung fast des gesamten Ministerrates am 27, Dezember 1974. Um seine Minister wieder frei zu bekommen, musste der »Diktator« alle Forderungen (Freilassung von politischen Gefangenen usw.) erfüllen.

Nach dem Rückfluss der sozialen Bewegung ging Somoza zum heftigen Gegenangriff über, und das hiess Militärgerichte, Kriegsrecht, brutale Zerschlagung jedes Ansatzes eines Lohnkampfes, vollständige Zensur aller Medien. Von den »counter insurgency«-Fachleuten aus Fort Gulick beraten, entfesselte er zugleich eine entschlossene Antiguerilla-Operation. Um die FSLN zu isolieren, wurde die ganze Bevölkerung aus den »betroffenen Gebieten« entfernt, Hunderte von Bauernfamilien wurden in Konzentrationslagern interniert, Bilanz der Operation: rund 4000 tote oder verschwundene Bauern.

Mitte 1977 brach eine neue Welle sozialer Unruhen und Arbeiterkämpfe aus, Wie schon früher ist es diese spontane Volksbewegung, die der sandinistischen Guerilla einen neuen Impuls verleiht. Diese ging der Bewegung nie voraus, sondern folgte ihr nach, und zwar selbst vom chronologischen Standpunkt. Auch die bürgerliche Opposition fühlte sich von diesen Unruhen angestachelt und begann eine lebhafte Aktivität, um die gärende Rebellion des Volkes auf das Ziel einer Absetzung von Somoza zu kanalisieren.

Nun wurde am 10, Januar 1978 der Journalist Pedro Joaquin Chamorro, Führer der konservativen Opposition, voraussichtlicher Kandidat der bürgerlichen Opposition für die Nachfolge Somozas an der Regierung und (wie selbst »Franja«, eine in Belgien veröffentlichte Zeitschrift lateinamerikanischer Exilierter, am 15. März 1978 erklären musste) gern gesehener Gast der amerikanischen Botschaft, auf Befehl von Somoza ermordet. Dies war der Auslöser des Volkszornes, für dessen Ausbruch es nur noch eines »Anlasses« bedurft hatte.

Am folgenden Tag waren die Strassen Managuas durch erhitzte Demonstranten besetzt. Der lodernde Hass gegen Elend und Unterdrückung verwandelte sich nicht sinnbildlich, sondern tatsächlich in Feuer, amerikanische Firmen (First National City Bank und Bank of America) und Somoza-Betriebe (Textilfabrik El Porvenir, Banco Centroamericano und die makabre Plasmaféresis, Somozas Unternehmen für die Ausfuhr von Blutplasma) gingen in Flammen auf.

Im Bestreben, die von Streiks begleitete und sich ausbreitende Bewegung unter ihre Kontrolle zu bringen, rief die bürgerliche Opposition (politische Parteien und selbst der Unternehmerverband) zusammen mit den Gewerkschaften und den Studentenorganisationen zu einem Generalstreik ab dem 24. Januar auf.

Der Abgrund zwischen dieser Opposition, deren erste Sorge die Erhaltung des Status quo ist, und den reservelosen Massen, die nach dem Bruch dieses Status quo drängen, wurde wieder offensichtlich. Während die Herrschaften endlos miteinander verhandelten und abwarteten, dass Somoza (aber natürlich nicht bevor er die Ordnung wiederhergestellt haben würde!) selbstloserweise abdankt, gingen die Massen auf die Strassen und schlugen sich zwei Wochen lang ganz allein mit der Nationalgarde.

Angesichts der Breite der Bewegung rief Somoza am 28. Januar den Notstand aus. Am darauffolgenden Tag erklärten die Kirche und die Industrie- und Handelskammer ihre Unterstützung für den Streik. Sie mussten sich ja in den Augen der Massen von Somoza abgrenzen, wobei eine feierliche Erklärung, alles zu unternehmen, um eine demokratische Alternative zu ermöglichen, bei dieser Gelegenheit nicht fehlen konnte. Es ist aber klar, dass sie keinen einzigen Finger ihrer mächtigen Hände gerührt haben, um das Massaker, das gerade ablief, zu unterbinden, oder um die Massen zu unterstützen (Wie? Zum Beispiel durch ihre Bewaffnung, was sie ohne materielle Schwierigkeiten hätten machen können!). Allein auf sich gestellt und ohne Waffen wurden die Massen wieder einmal durch die Nationalgarde niedergeschlagen.

Die Bewegung einmal erstickt, verliess die bürgerliche Opposition ihre Villen, um sich in einer »Breiten Front« zu vereinigen; sie verlangte die »Amtsniederlegung des Diktators« im Laufe eines »friedlichen Übergangs«, dessen Überwachung selbstverständlich von der amerikanischen Botschaft übernommen werden sollte. Die Hoffnung trügte. Die kräftige Stimme der Massen meldete sich und überdeckte das Geflüster in den Vorzimmern der Paläste: Ende Februar findet der Aufstand von Masaya (einer 27 km von Managua entfernten Stadt) statt. Wieder spielen die reservelosen Massen der Stroh- und Holzhütten die Hauptrolle, so die Massen des Indianerviertels Monimbó, einem alten religiösen Zentrum aus der vorkolumbianischen Zeit, wo der Aufstand begann.

Die Gewalt und Entschlossenheit dieser Massen war so einmalig, dass die Nationalgarde sie nicht beherrschen konnte. Sie musste Managua um Stärkung bitten. Erst der Eingriff der Infanterie mit Brandbomben und Leichtkanonen, unterstützt von Panzern und Hubschraubern, konnte die Proletarier, die nur mit Steinen, Knüppeln, Macheten, einigen Revolvern und äusserst selten mit 22er Gewehren bewaffnet waren, bezwingen. Bilanz der Repression: 200 Tote, Hunderte von Verwundeten und Verschwundenen, fast vollständige Vernichtung von Monimbó durch die Artillerie und die Brandbomben - Zeugen erzählen, dass etliche Einwohner als lebende Fackel den Tod fanden.

Wie immer trat die Opposition nach der Beendigung des Massakers, das zu verhindern sie wieder einmal nichts unternommen hatte, triumphalistisch an die Öffentlichkeit, um zum x-ten Mal - diesmal durch den Aufruf zum Generalstreik für den 1. März - ihre Komplizenschaft mit Somozas Aktion zur Erhaltung der Ordnung zu verschleiern.

Das Scheitern der bürgerlichen Pläne
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Der relative soziale Frieden, den man dazu ausnutzte, um die Vorbereitungen eines friedlichen Übergangs zur Nach-Somoza-Zeit fortzusetzen, hielt nicht lange. Wie zu Jahresbeginn wartete die angehäufte Spannung nur auf einen Explosionsanlass. Diesen lieferte diesmal die FSLN.

Nach den Februarunruhen hatte die FSLN eine Reihe punktueller Aktionen gegen das Regime intensiviert, die jetzt am 22. August in der Wiederholung ihrer Tat vom Dezember 1974 (freilich wurden diesmal nicht Minister, sondern Parlamentarier entführt) gipfelte. Dasselbe Bild früherer Ereignisse zeichnete sich ab, seine Farben waren aber düsterer und tragischer.

Unmittelbar nach dem Angriff rief die »Breite Oppositionsfront« (Frente Amplio Opositor = FAO) zum Generalstreik auf. Wie ein Führer der FAO selbst erklärte (an »El País« vom 11. September 1978) hatte sie diesen Streik schon in allen Einzelheiten für den Beginn der Woche, in der die spektakuläre Aktion der Sandinisten stattfand, vorbereitet, doch diese Aktion veranlasste die illustren »Streikenden« dazu, ihren Kampf aufzuschieben, ohne Zweifel um Somoza nicht mit zwei ernsthaften Problemen zur gleichen Zeit zu plagen. Diesem Streikaufruf schlossen sich die nicaraguanischen Handelskammern, denen nicht allein private, sondern auch halboffizielle Organisationen angehören, das Entwicklungsinstitut Nicaraguas, an dem der ganze private Wirtschaftssektor beteiligt ist, und selbstverständlich auch die Kirche an.

Die FAO wollte verhindern, dass sich die Massen radikalisierten und unter dem Banner des bewaffneten und (freilich nur verbalen) »antikapitalistischen« Kampfes der FSLN marschierten (wir werden sehen, wie die FSLN später selbst den »antikapitalistischen« Anspruch aufgeben wird). In einer internationalen Pressekonferenz erklärten die Führer der FAO am 28. August mit Nachdruck, dass die Lösung »nicht in der Gewalt liegt«; der FSLN warfen sie trotz Anerkennung ihrer »Fähigkeit und Kühnheit« vor, »nur über das Mittel des Gewehres zu verfügen, und dies ist nicht der Weg zum Wechsel in Nicaragua« (»El País«, 29.8.1979). Die Auffassung der nicaraguanischen Bourgeoisie fasste der Führer des privaten Unternehmertums Alfonso Robelo in der Erklärung zusammen, der Sieg über Somoza werde »mit einem Mindestmass an Gewalt und einem Höchstmass an Ordnung im Volke« erreicht (ebd.).

Indes schritten die Massen zum Aufstand, der sich aufs ganze Land nach und nach ausbreitete und die infame Streikpantomine der Bourgeoisie zum Scheitern führte. Als erstes explodierte Matagalpa. Seit Ende August verhinderten Bauern und sehr junge Schüler mit ihrer improvisierten Bewaffnung, dass die schwerbewaffnete Nationalgarde in die Stadt hineinkam. Die Luftwaffe musste eingesetzt werden, um diese Stadt unter Kontrolle zu bringen. Eine Woche danach - Somoza fühlte sich schon als Sieger, und die »streiklustigen« Bourgeois fühlten sich, wie wir stark vermuten, erleichtert - erhob sich wieder die Indianerstadt Masaya trotz des kürzlichen Blutbades und mit ihr zusammen Chinadonga, León und Estelí. Der bewaffnete Kampf sollte bis Ende September andauern, als die Sandinisten den Streifen an der Grenze zu Costa Rica, wo sie am 17, September die Stadt Peñas Blancas erobert hatten, verlassen mussten. Im Laufe dieser Tage, genauer am 9. September, rief die FSLN zum allgemeinen Aufstand auf.

Doch war dieser Aufruf nicht der Auslöser des Aufstandes, sondern im Grunde eine Art Feststellung eines unabhängig von der FSLN bestehenden Zustandes. Der allgemeine Aufstand war in der Tat spontan gewesen, und die FSLN hat nichts anderes getan, als sich ihm anzuschliessen. Dies gaben die Sandinisten selber zu, als sie erklärten, überrascht und unvorbereitet gewesen zu sein (1), und die zitierte Zeitschrift »Franja« schreibt ergänzend zu diesem letzten Punkt, die Sandinisten hätten in der Mitte des Jahres nur über einige hundert Mitglieder verfügt.

Selbstredend war dort, wo die Sandinisten präsent waren, der Kampf heftiger und der Widerstand gegen die Regierungskräfte stärker, und dies ist leicht verständlich. Um diesen schwerbewaffneten und von den amerikanischen Fachleuten aus Fort Gulick ausgezeichnet ausgebildeten Kräften entgegentreten zu können, muss man über ein Minimum an Militärorganisation und an technischen Kenntnissen und Erfahrungen verfügen, und dies war allein bei den Sandinisten der Fall; die Massen verfügten nur über ihren Mut, ihre glühende Entschlossenheit und einige Macheten.

Wenn sich aber die FSLN militärisch den Aufständischen anschloss, so stand sie politisch immer im Fahrwasser der Bourgeoisie, an die sie durch die »Gruppe der Zwölf« gebunden war.

Die Heuchelei der Bourgeoisie und der »fortschrittlichen Regierungen«
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Wie bei früheren Gelegenheiten verliess die bürgerliche Opposition erst nach Wiederherstellung eines »Höchstmasses an Ordnung im Volke« die Kulissen der »hohen Politik«, um sich ins Rampenlicht zu begeben. Ein kurzer Blick auf die Folge der Ereignisse genügt, um sich davon zu überzeugen. Im Laufe der drei ersten Septemberwochen, als der bewaffnete Kampf tobte, nahm die Bourgeoisie keine klare Stellung, sondern beschränkte sich darauf, Gerüchte über alle denkbaren und undenkbaren Hypothesen für eine Ablösung Somozas zu verbreiten. Nachdem Peñas Blancas, der letzte Aufstandsherd, am 19. - 20. September praktisch wieder unter Kontrolle der Regierung stand, bildete die FAO am 22. September eine provisorische Regierung mit dem unvermeidlichen Alfonso Robelo und ähnlichen Gestalten. Da aber die Lage noch nicht 100%ig sicher war, betonte sie zugleich ihre feste Haltung, »keine direkten Gespräche mit Somoza aufzunehmen«, d.h. diese Gespräche nur über Dritte zu führen. Am 26. September waren dann der Aufstand und die Guerilla vollkommen bezwungen. Am selben Tag brach die Bourgeoisie ihren Streik ab und am nächsten Tag zeigte sie sich nicht mehr so unnachgiebig gegenüber Somoza, denn im Prinzip akzeptierte sie Gespräche mit ihm. Um das Gesicht nicht zu verlieren, stellte sie allerdings eine Bedingung, nämlich die Aufhebung der Pressezensur und die Freilassung der politischen Gefangenen (es handelte sich nur um einige Unternehmer und andere Anfang des Monats festgenommene Bourgeois, da die Arbeiter und Bauern nicht gefangengenommen, sondern auf den Strassen summarisch liquidiert wurden). Als guter Spieler befreite Somoza am nächsten Tag die politischen Gefangenen, die beim Verlassen der Strafanstalt erklären, gut behandelt und niemals gefoltert worden zu sein (»Il Mattino«, 29.9.1978). Da aber schliesslich doch der gemeinsame Herr, d.h. der amerikanische Imperialismus, die Sache entscheiden wird, entschliessen sich die FAO und Somoza dazu, eine Verhandlungskommission unter den Auspizien der USA zu akzeptieren.

Die Heuchelei der bürgerlichen Opposition wird womöglich noch übertroffen durch die vermeintliche Solidarität der Regierungen gewisser Nachbarländer, vor allem Venezuelas, Panamas und Costa Ricas. Venezuela hat die ausserordentliche, Versammlung der Organisation der Amerikanischen Staaten (OEA), die es selbst einberufen hatte, um Somoza unter Druck zu setzen, verschoben, bis der Aufstand niedergeschlagen war. Der Zweck liegt auf der Hand: Somoza sollte freie Hand behalten, um die Ordnung blutig wiederherzustellen.

Am 15. September liess Venezuela seine Flugzeuge, und Panama seine Hubschrauber starten und in Costa Rica friedlich landen, wo sie auch blieben, anstatt gegen die Luftwaffe Nicaraguas, die gerade dabei ist, die Aufständischen zu zerbomben, den Kampf aufzunehmen. Doch blieb es Costa Rica beschieden, den besten Beweis für die Solidarität zu liefern, welche die lateinamerikanischen Völker von den demokratischen Regierungen des Kontinents zu erwarten haben. Nachdem es eine gewisse Sympathie für die Aufständischen bekundet hatte, begann es am 26. September 1978 eine »Säuberungsoperation«, um jene Aufständischen festzunehmen, die auf der Flucht vor dem Massaker durch die Truppen Somozas die Grenze überschritten hatten. Für diese »Solidaritätsaktion« hat Costa Rica natürlich einen Grosseinsatz seiner »Guardia Civil« organisiert...

Notes:
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  1. Siehe den Artikel »Nicaragua: Lehren eines niedergeschlagenen Aufstands«, in: »Kommunistisches Programm«, Nr. 21, März 1979 [back]

Source: »El Proletario«, Dezember 1978, deutsch in: »Kommunistisches Programm«, Nr. 25/26, Juli 1980

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