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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Schlusssitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 7. August 1920.
Redebeitrag Kalinin
Redebeitrag Gallacher
Redebeitrag Radek (Übersetzung der Rede Gallachers)
Redebeitrag Manner
Redebeitrag Rahja (Übersetzung der Rede Manners)
Redebeitrag Levi
Redebeitrag Radek (Übersetzung der Rede Levis)
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Trotzki
Redebeitrag Sinowjew (Schlussrede)
Anmerkungen
Source


Schlusssitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 7. August 1920.

Kalinin. Genossen, ich, erkläre die vereinigte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale, des allrussischen zentralen Exekutivkomitees, des Moskauer Sowjets, des Plenums der Gewerkschaften und der Betriebsräte für eröffnet. (Beifall – Die Internationale.)

Genossen, die Arbeiter und die Bauern der russischen Räterepublik können stolz und zufrieden sein, dass der II. Kongress der Kommunistischen Internationale bei uns stattfindet. Genossen, im Laufe von 25 Jahren triumphierte die gemässigtere und mit der Bourgeoisie in mehr oder weniger vertrauten oder doch nicht feindlichen Beziehungen stehende II. Internationale; doch sie konnte in Russland nicht tagen. Sie tagte in Westeuropa, in gemieteten Sälen. Solche Räume, wie dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale, standen ihr nicht zur Verfügung. Wie Sie wissen, tagte der II. Kongress in den goldgeschmückten Sälen, in den Sälen des grossen Kreml-Palastes, wo noch vor kurzer Zeit die Macht des russischen Zarismus zu Tage trat. Und als dieser Kongress begann, da vollzog sich vor unseren Augen der Tod der alten Ordnung und das Aufleben der neuen proletarischen Ordnung. Genossen, wir begrüssen den II. Kongress der Kommunistischen Internationale ganz besonders noch deshalb, weil er uns gewisser massen von der politischen Verantwortlichkeit befreit, die bis jetzt die russische Arbeiterklasse und die russische Kommunistische Partei auf ihren Schultern trugen. Schon früher dachten und hofften wir zuversichtlich, dass die revolutionäre Energie und Arbeit des russischen Proletariats von dem internationalen Proletariat übernommen und weitergeführt würde, dass wir baldigst auf seine Hilfe rechnen könnten. Und heute, Genossen, in den Tagen des II. Kongresses, sehen wir, dass bereits ein gewisser Teil der Revolutionsarbeit, ein Teil der Last von den Schultern des russischen Proletariats auf die Schultern der internationalen Arbeiterklasse übertragen wird. Das ist, Genossen, die grösste Hilfeleistung des westeuropäischen Proletariats; dass von Zeit zu Zeit das französische und englische Proletariat die für das weisse Polen bestimmten Kriegsmaterialien aufhielten, kann, hier unerwähnt bleiben. Die höchste Betätigung der Solidarität sahen wir in diesen Tagen, als sich in Polen der Revolutionsausschuss gebildet hatte. Während wir an der revolutionären Arbeit teilnehmen und ununterbrochen im Feuer der Revolution stehen, lassen wir die grössten Ereignisse unbeachtet, die ein neues Kapitel in der Geschichte der Arbeiterbewegung bedeuten. Zweifellos ist das Auftreten des polnischen Proletariats im Augenblick, wo das weisse Polen mit der russischen Räterepublik kämpft, eine neue Etappe, eine neue Phase des Revolutionskampfes. Ausser dem russischen gelang es bis jetzt noch keinem Proletariat, im Augenblick des allerbittertsten Krieges die Macht an sich zu reissen. Jetzt stehen wir aber, wie sich die Taktik des russischen Proletariats fortpflanzt, wie das polnische Proletariat den Kampf gegen die politische Bourgeoisie aufnimmt. Es ist ein Ereignis von grösster Tragweite; an ihm werden später nicht nur die Historiker, sondern auch die politischen Führer lernen. Wir begrüssen herzlich die Repräsentanten der Kommunistischen Internationale als die besten Vertreter derjenigen proletarischen Klassen, die uns helfen wollen. Wir wünschen ihnen, möglichst bald zum internationalen Proletariat zurückzukehren, und hoffen baldigst auf ein Zusammentreffen mit dem internationalen Proletariat an unserer Kampffront.

Es lebe die Kommunistische Internationale.

Es lebe der II. Kongress der Kommunistischen. Internationale. (Beifall.)

Das Wort erhält der Vertreter der schottischen Arbeiter, Genosse Gallacher.

Gallacher. (Spricht englisch.)

Der Vorsitzende. Das Wort erhält Genosse Radek zur Übersetzung.

Radek. Genossen, erlauben Sie mir, erst zu sagen, wer Genosse Gallacher ist, der hier gesprochen hat und den die Moskauer Arbeiter weniger kennen, als sie ihn kennen sollten. Er ist ein Arbeiter aus einem Gebiet, wo sich riesige Munitionsfabriken Englands befinden. Er war einer der Hauptführer des revolutionären Kampfes in diesem Bezirke während des Krieges. Genosse Gallacher hat im Verein mit dem Genossen McLaine diesen ungeheuren Kampf organisiert, der einen solchen Erfolg hatte, dass die englischen Minister nicht ruhig vom Genossen Gallacher sprechen können.

Genosse Gallacher sagt, er habe jetzt, wo die Delegierten des II. Kongresses schon auseinandergehen, die Nachricht erhalten, dass die englische Regierung einen neuen Überfall auf Sowjetrussland vorbereite, dass die englische Regierung beabsichtige, in der Eigenschaft eines Verteidigers der Unabhängigkeit Polens aufzutreten. Dieselbe englische Regierung, die Irland, Indien und Ägypten beraubt und knechtet, wagt zu sagen, dass sie als Verteidiger der Unabhängigkeit Polens auftrete. Diese Unabhängigkeit wird von der Roten Armee gar nicht bedroht. Die englische Regierung bedient sich ehrlos der Fahne der Unabhängigkeit Polens, denn sie kämpft, um den Aufstand der polnischen Arbeitermassen zu verhindern, um die Schaffung der Sowjetmacht in Warschau unmöglich zu machen. Genosse Gallacher ist überzeugt, dass die Drohung der englischen Regierung die russischen Arbeiter nicht abschrecken wird. Die russische Revolution hat eine machtvolle Rote Armee geschaffen. Genosse Gallacher fordert die ganze Arbeiterklasse Russlands auf, wie ein Mann für die Rote Armee einzutreten, nur an die Unterstützung dieser Roten Armee zu denken, damit sie den letzten Widerstand der feindlichen Kräfte brechen und den endgültigen Sieg erringen kann. Er sagt, dass sie sich jetzt nicht nur auf die Rote Armee, sondern auch auf andere Armeen verlassen können, die zum Schutze Sowjetrusslands auftreten werden, d. h. auf die Armeen des westeuropäischen Proletariats, die Sowjetrussland im letzten Jahre genügend kennen gelernt haben, für die Sowjetrussland die Heimat bedeutet, denn es ist das erste Land der aufgehenden Sonne des Sozialismus. Er sagt, dass er selbst und seine Genossen, nach England zurückgekehrt, das Bindeglied sein werden, das die englischen Arbeiter nicht nur für den Kampf zum Schutze Sowjetrusslands, sondern auch für den Kampf zur Ergreifung der Macht durch die englische Arbeiterklasse aufrufen wird. (Beifall.) Er kennt die ungeheuren Hindernisse, die den englischen Revolutionären den Weg verlegen. In England sind die Kompromissler noch stark, denen das Blut der Arbeiterklasse nicht teuer ist, die es für die Sache der Bourgeoisie vergossen haben, und die, wenn es sich um die Befreiung des Proletariats handelt, sagen: Seid vorsichtig, schont euer Blut, seid sparsam mit den Opfern! Aber wie stark diese Leute, diese Bürokraten in der Gewerkschaftsbewegung auch sind, wie mächtig sie auch im Parlament sind, er ist überzeugt, dass die englische Arbeiterklasse sie zum Teufel jagen wird, denn die englische Arbeiterklasse überzeugt sich immer mehr davon, dass es keinen anderen Ausweg aus der Lage gibt als den Weg, den vor 2 ½ Jahren das russische Proletariat betreten hat. Er schwört hier im Namen seiner Genossen und in seinem eigenen Namen, dass die englischen Genossen, zurückgekehrt, nur einen Gedanken haben werden: wie Sowjetrussland in seinen Kämpfen zu helfen sei, wie es der Arbeiterklasse begreiflich zu machen sei, dass hier die grosse Rote Armee geboren wurde, auf die die russische Arbeiterklasse sich stützt, und dass die englischen Arbeiter sich mit den russischen zum gemeinsamen Siege über den Weltimperialismus vereinigen müssen. (Beifall.)

Der Vorsitzende. Genossen, England bemüht sich, das weisse Finnland in einen Krieg mit Sowjetrussland zu stossen. Ich gebe das Wort dem besten Vertreter der finnischen Arbeiter, Genossen Manner.

Manner. (Redet in finnischer Sprache.)

Der Vorsitzende. Das Wort erhält Genosse Rahja zur Übersetzung.

Rahja. Genosse Manner, der Vertreter der Kommunistischen Partei Finnlands auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale, ist einer der ältesten Führer der Arbeiterbewegung in Finnland. Genosse Manner war einer der besten Vertreter der Arbeiterbewegung auch damals, als Finnland unter der Fahne der Sozialdemokratie stand. Seinerzeit war er der Vorsitzende des Landtages, als die finnischen Arbeiter 103 Sitze von 200 hatten. Im Jahre 1918 war Genosse Manner Vorsitzender des Rates der Volkskommissare im sozialistischen Finnland, das unter den Schlägen des deutschen Imperialismus fiel. Er begrüsst Sie und in Ihrer Person das revolutionäre Proletariat Russlands und sagt, dass er dieses in dem Augenblick tut, wo die Imperialisten der ganzen Welt unter der Leitung der Regierung Englands und des englischen Kapitals von neuem zum Schlage ausholen, um Sowjetrussland endlich zu zerschmettern. Zu diesem Schlag werden sie alle Kräfte anwenden, die sich in ihren Händen befinden, hauptsächlich die kleinen Randgebiete, die wie Kettenhunde auf den Wink des Herrn warten. In dem Augenblick, wo die finnische Bourgeoisie in Dorpat [Tartu] mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik über den Frieden verhandelt, sucht England die weissgardistischen Truppen zu beeinflussen, um sie zu einem Einfall in Petrograd zu veranlassen. Genosse Manner sagt, dass das finnische Proletariat vor zwei Jahren, im Jahre 1918, das erste war, das dem Rufe des russischen Proletariats folgte und mit und neben dem russischen Proletariat den revolutionären Kampf begann. Das finnische Proletariat hatte damals keine Ahnung, wie eine Revolution durchgeführt werden muss, und erlitt eine Niederlage. Jetzt aber, nach den furchtbaren Schlägen des Terrors hat das finnische Proletariat, das vor zwei Jahren besiegt wurde, gelernt, dass man eine revolutionäre, fest zusammengeschmiedete Organisation haben muss, wenn man siegen will. Eine solche Organisation, die zwar klein, aber gut organisiert ist, ist jetzt in Finnland vorhanden, und daher erklärt Genosse Manner im Namen des revolutionären Proletariats Finnlands, dass, wenn die finnische Bourgeoisie es wagen sollte, die Vorschrift Englands auszuführen und Petrograd zu überfallen, das revolutionäre Proletariat Finnlands ihr einen Schlag in den Rücken versetzen werde. (Beifall.) Die zwei Jahre des furchtbaren weissen Terrors haben das finnische Proletariat eines gelehrt: ein kleines Land, ein Land, das kaum auf der Karte zu sehen ist, hat im internationalen revolutionären Kampfe wenigstens eine Bestimmung – zu sterben, wenn sein Tod der Arbeiterklasse der ganzen Welt zum Siege verhelfen kann, und das finnische Proletariat wird dieses zu tun verstehen. (Beifall.)

Der Vorsitzende. Das Wort hat das Mitglied des Kongresses, der Vertreter der Kommunistischen Partei Deutschlands (»Spartakusbund«) Genosse Levi.

Levi (in deutscher Sprache.)

Der Vorsitzende. Das Wort hat Genosse Radek zur Übersetzung.

Radek. Genossen, Genosse Levi hat die ganze illegale Arbeit der Kommunistischen Partei Deutschlands nach dem Tode der Genossen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geleitet. Er sagt, das Weltkapital sei der Ansicht gewesen, dass es den Weltkrieg in Versailles beendet habe; aber jetzt, nach dem vierjährigen Kriege und anderthalb Jahre nach »Beendigung« dieses Krieges, steht die ganze Welt auf derselben Stelle, auf der sie im August 1914 stand. Sie steht von neuem vor einem grossen Kriege, der vielleicht zwischen Sowjetrussland und den Verbündeten ausbrechen wird, der aber Deutschland nicht teilnahmslos lassen kann, der Deutschland in den Kampf ziehen und das deutsche Proletariat und die Bourgeoisie veranlassen wird, an der Lösung der Weltfragen teilzunehmen. Die deutsche Bourgeoisie ist aus dem Kriege besiegt heimgekehrt. Die deutsche Bourgeoisie erwartete von dem Kapital Englands eine hübsche Summe, um sich von neuem gegen das Proletariat zu wenden. Jetzt aber ist das deutsche Proletariat nicht mehr dasselbe, das es im Jahre 1914 war, das damals ohne Einspruch die Entscheidung der Bourgeoisie annahm, das seine Söhne für die Sache der Bourgeoisie auf das Schlachtfeld schickte und das damals noch keinen eigenen Weg sah. Das deutsche Proletariat hat Millionen seiner Söhne auf dem Schlachtfelde verloren. Es weiss jetzt, dass der Kapitalismus Tod und Armut bedeutet. Als es nach dem viereinhalbjährigen Kriege, den die Bourgeoisie ihm aufzwang, zurückkehrte, fand es auf den Strassen Deutschlands die Spuren des vergossenen Blutes des Proletariats, für dessen Befreiung Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gefallen waren. Es hat begriffen, dass es keine andere Rettung gibt, als den revolutionären Krieg, dass sonst wieder die Sklaverei hergestellt wird. Dieses Proletariat hat schon zu kämpfen gelernt, es hat nur noch nicht die Macht in seine Hände nehmen können, es versteht aber schon, die Mittel zu gebrauchen, die ihm zur Verfügung stehen. Die Lage dieses Proletariats, von dem jetzt Hunderte und Tausende Arbeitsloser auf die Strasse geworfen sind, ist eine furchtbare, und es wird jetzt zwischen seinem Untergang und dem Kampfe gegen die ganze kapitalistische Welt wählen müssen. Im Augenblick, wo die Entente es wagen würde, Deutschland gegen Sowjetrussland aufzuhetzen, wo die Entente versuchen würde, durch Deutschland ins weisse Polen zu gelangen, in dem Augenblick wird das deutsche Proletariat verstehen, dass die entscheidende Stunde geschlagen hat, dass es für die Weltrevolution eintreten muss. Und Genosse Levi ist tief überzeugt, dass die deutsche Arbeiterklasse dies ohne Schwanken tun wird; denn der Kampf um die Rettung Sowjetrusslands, das ist der Kampf des deutschen Proletariats gegen Not und Sklaverei. Er ist überzeugt, dass dieser Ruf, der durch Russland hallt, der Ruf: »Es lebe Sowjetrussland«, in den Millionenmassen des deutschen Proletariats lauten Widerhall finden wird. Und wenn sich die Rote Armee im Kampfe mit der weissen Armee Polens den Grenzen Deutschlands nähern wird, so wird sie von der anderen Seite, über die Bajonette hinweg, einen Ruf des deutschen Proletariats hören, den Ruf »Es lebe Sowjetrussland«. (Beifall.)

Der Vorsitzende. Das Wort hat Genosse Radek als Vertreter des polnischen Proletariats.

Radek. Genossen, ich hin überzeugt, dass unsere Rote Armee auch fernerhin imstande sein wird, den polnischen Gutsbesitzern, die Sowjetrussland überfallen, Schläge zu versetzen, und ich bin überzeugt, dass keinerlei Versuche des polnischen Kapitals und keinerlei Versuche der polnischen Gutsbesitzer das polnische Proletariat erwürgen können. In den letzten Tagen haben wir die Nachricht erhalten, dass die Regierung Piłsudskis, die Regierung der Bankrotteure, den Gang der Ereignisse dadurch aufzuhalten versucht, dass sie von neuem Hunderte von Kommunisten in die Gefängnisse wirft. Die Mehrzahl der uns bekannten Führer der polnischen kommunistischen Bewegung befindet sich hinter Schloss und Riegel, und die polnische Regierung droht ihnen und ihren Familien damit, dass sie, wenn die polnischen weissen Heere Warschau verlassen müssen, die Leichen der polnischen Kommunisten in der Stadt zurücklassen werde, wie sie ja bereits unsere alten Genossen Wesolowski und Fabierkiewicz getötet hat. Gerade dieser verzweifelte Schrei der polnischen Bourgeoisie beweist, dass nicht nur die Rote Armee ihre Herrschaft bedroht, sondern, dass auch die polnische Arbeiterklasse sehr gut weiss, dass Russland nicht die Unabhängigkeit des polnischen Volkes bedroht, sondern, dass es den polnischen Arbeitern helfen will, die Ketten zu zerreissen, in die es die Kapitalisten Polens und der Entente geschmiedet haben. Polen ist jetzt ein durchaus abhängiges Land. Gegenwärtig sagt ja selbst die polnische Bourgeoisie, dass ihre Armee die Ausrüstung von der Entente bekomme, dass ihre Armee sich von dem Brote nähre, das die Entente gibt, damit Polen kämpfen kann. Der Feldzug aber, den Sowjetrussland gegen das weisse Polen führt, das ist die Unterstützung und nicht die Eroberung Polens, das ist die Hilfe der Arbeiterklasse Russlands, die im Laufe von 20 Jahren im Bunde mit der Arbeiterklasse Polens gegen ihre Gegner gekämpft hat und die sich jetzt von neuem mit dem polnischen Proletariat vereinen will. Einst stellten die polnischen Aufständischen, als sie sich mit den russischen Revolutionären zu vereinigen suchten, die Losung auf: »Für unsere und eure Freiheit«. Diese Losung haben wir nicht begraben. Jetzt schreiten wir zum Siege, um gemeinsam an die Arbeit zu gehen und in den verwüsteten Ländern mit eigenen Händen, mit eigener Kraft den Tempel des Sozialismus zu erbauen. Genossen, ich drücke meine feste Überzeugung aus, dass das polnische Proletariat, das die ganze Zeit hindurch neben dem Petrograder und dem Moskauer Proletariat in den ersten Reihen der russischen Revolution gekämpft hat, durch die Tat beweisen wird, dass es mit dem furchtbaren, dem wilden Drucke der Weltbourgeoisie fertig zu werden versteht. Ich drücke die Gewissheit aus, dass unsere Rote Armee, die dem polnischen Proletariat mit kraftvollen Schlägen zu Hilfe kommt und die ganze Last des Kampfes aushält, dort eiserne Divisionen alter, im Kampfe gestählter polnischer Arbeiter vorfinden wird, die im Bunde mit Euch, – davon bin ich fest überzeugt – bis zum letzten Siege gehen werden. (Beifall.)

Trotzki. (stürmische Ovationen, die Internationale wird gesungen.) Genossen! Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale hat sich anderthalb Jahre nach dem I. Kongress versammelt. Anderthalb Jahre sind wenige Monate, doch haben sie mehr geschichtlichen Inhalt, als früher Jahre, und für uns ist der II. Kongress der Kommunistischen Internationale keine einfache internationale Periode, kein einfacher Appell. Genossen! Wir müssen auf dem Weg, der nach oben, über Hindernisse und Abgründe führt, einen Blick nach rückwärts werfen, um den zurückgelegten Weg zu bestimmen, ohne den Feind aus dem Auge zu verlieren; wir müssen auf dem vor uns liegenden Wege Wegweiser aufrichten und ohne Zeitverlust vorwärtsschreiten. Und wenn wir jetzt auf diese 17–18 Monate, die zwischen dem I. und dem II. Kongress der Internationale liegen, zurückschauen und mit der grössten Sorgfalt unser Bewusstsein, unser revolutionäres Gewissen prüfen, so haben wir das Recht zu sagen, dass der Weg, den wir uns auf dem I. Kongress der Internationale der Weltkommune vorgezeichnet haben, der richtige Weg war und dass, wenn wir Erfolge erzielt haben, dies auf diesem Wege geschehen ist. Wenn das Weltproletariat Niederlagen erlitten hat und manchmal den Rückzug antreten musste, so deshalb, weil es nicht den von der Kommunistischen Internationale gewiesenen Weg betreten hat. Die 18 Monate, die seit dem I. Kongresse verflossen sind, haben einen blutigen Strich unter diese ganze Epoche der Entwicklung der Menschheit gezogen. Diese Epoche hatte ihr Gesetz, ihre Methoden, ihre Gleichheit, ihre Weltbeziehungen, ihre Bündnisse, ihren Kampf, ihre Lüge, die demokratische Lüge der offiziellen Wissenschaft, die Lüge der Kirche. Aus diesem allen hat der Weltkrieg die Bilanz gezogen. Und die bürgerlichen Klassen, welche die Völker zu diesem Weltgemetzel aufriefen, haben den Völkern zu gleicher Zeit ein neues Testament, eine neue Ordnung, ein neues Regime versprochen. Was aber stellen Europa und die ganze Welt vor, wie sehen sie nach dem Weltkrieg aus, in welchem Zustande sind sie aus der Werkstätte des Versailler Friedens hervorgegangen? Für die bürgerliche Ordnung gibt es nicht einen einzigen Stützpunkt. Alles ist in Bewegung geraten, alle Stützen wanken, alle staatlichen Programme der Bourgeoisie sind durchstrichen, alle internationalen Verbände sind zerrissen, und die Bourgeoisie sucht, zitternd vor dem morgigen Tage, nach einem Auswege aus dieser Lage, welche die Jahrhunderte des Raubes und der Vergewaltigung geschaffen haben, und findet diesen Ausweg nicht.

England, Frankreich und die Vereinigten Staaten versprachen, den Völkern einen Weltverband, den »Völkerbund« zu geben, der den imperialistischen Zusammenstössen, den internationalen Kriegen ein Ende bereiten würde. Und jetzt haben wir den Völkerbund vor uns. Kaum war er aus der Kanzlei der Diplomaten herausgekommen, als vor ihm derjenige zurückschreckte, der sein Schöpfer war: der amerikanische Präsident Wilson. Genossen! Noch vor kurzem, vor 10 bis 12 Monaten, begrüssten alle Führer der II. Internationale die Pläne Wilsons, und sie forderten die Arbeiter auf, ihn zu unterstützen; hingegen erklärte unsere Internationale bereits vor anderthalb Jahren in Moskau, dass der Feldzug Wilsons ein Versuch der amerikanischen Plutokratie, der New-Yorker Börse ist, sich Europa und die ganze Welt zu unterwerfen, dass der Völkerbund nichts anderes sein wird als eine Weltfirma, an deren Spitze das Kapital der Vereinigten Staaten stehen wird. Das amerikanische Kapital ist daran gewöhnt, sich durch Vereinigungen auszubreiten und in sein Ausbeutungsgebiet immer neue und neue Millionen Menschen hineinzuziehen. Und es hat versucht, seine Bedingungen auf Europa, Asien und die ganze Welt auszudehnen.

Als jedoch Wilson aus seiner grossen amerikanischen Provinz nach Europa kam und selbst mit dem Kopfe auf alle Lebensfragen der ganzen Welt stiess, sah er, dass sich das Steuer in den Händen Englands befindet. England hat die stärkste Flotte, das grösste Kabel, die reichste Erfahrung in Sachen des Weltraubes und der Vergewaltigung. Und dieser amerikanische Kleinstädter Wilson, der den vortrefflichen Dollarkurs nicht nur in der Tasche, sondern auch auf der Stirn trug, der der Meinung war, dass seine 14 Paragraphen zum Evangelium der Welt werden würden, – stiess auf die englische Flotte, und auf noch etwas Drohenderes: er stiess auf Sowjetrussland und den Kommunismus. Darauf kehrte der betrübte amerikanische Apostel in das Weisse Haus in Washington, auf seinen Sinai, zurück. Jedoch, Genossen, man darf nicht annehmen, dass dies den Verzicht auf die Weltherrschaft bedeutet. Das amerikanische Kapital hat keinen anderen Weg. Solange das amerikanische Kapital sich im Anfangsstadium der Anhäufung, Ausbreitung und Befreiung befand, stellte es seine Theorie, die Monroe-Doktrin auf, welche lautet: Amerika den Amerikanern, d. h. niemand darf es wagen, sich in die Angelegenheiten Amerikas einzumischen, wo allein das amerikanische Kapital regiert, ausbeutet und raubt. Dem amerikanischen Kapital wurden die Grenzen Amerikas, des nördlichen, das es zu seiner Kolonie gemacht hat, zu enge. während des Krieges erhob sich die amerikanische Schwerindustrie als Riesensäule bis zum Himmel und deshalb verwarf das amerikanische Kapital die Losung »Amerika den Amerikanern« oder, richtiger, es veränderte sie und sagte: »Nicht nur Amerika für die Amerikaner, sondern die ganze Welt für die Amerikaner«. Darauf schickte es den Apostel Wilson mit einem neuen Testament aus. Wir wissen, dass Wilson den Auftrag nicht ausgeführt hat. Der Auftrag aber ist geblieben, und die amerikanische Oligarchie macht jetzt den Abschluss und sagt: »Unsere Flotte ist um so und soviel Tonnen und um so und soviel Geschütze diesen und diesen Kalibers schwächer als die Flotte Grossbritanniens«. Und die amerikanische Kriegsmarineverwaltung arbeitet ein neues Programm aus, das bis zum Jahre 1925, – manche behaupten, noch schneller: in drei Jahren, – die amerikanische Flotte stärker machen soll als die Englands ist. Was bedeutet das aber? Englands Stärke besteht in seiner Flotte, seinen Schiffen; England bewacht alle Seewege, und das verleiht ihm die Macht des Weltraubes. Das Marineprogramm Englands besteht darin, dass seine Flotte in jedem gegebenen Augenblick stärker ist als die Flotte der beiden nächst starken Seemächte zusammen. Jetzt sagt Amerika mit seinem hellleuchtenden Dollar, dessen Kurs am Himmel der Börse hoch steht: meine Flotte muss in drei Jahren stärker sein als die Flotte Englands. Das heisst, vor dem britischen Imperialismus steht die Frage: »Sein oder Nichtsein.« Das bedeutet weiter, England und die Vereinigten Staaten steuern mit Volldampf einem neuen, grossen, blutigen Konflikt zu; denn in der Welt der imperialistischen Staaten kann es keine Doppelherrschaft geben. Die Krone der Weltherrschaft muss letzten Endes England oder Amerika gehören, wenn das Weltproletariat sie ihnen vorher nicht entreisst. Und nach vier Jahren des furchtbaren Weltkrieges, der die mächtigen Staaten Mitteleuropas zertrümmert hat, der Europa verwüstet, die ganze Welt ruiniert hat, sehen wir, wie sich auf den Knochen der Gefallenen ein neuer, noch gewaltigerer Kampf vorbereitet.

Frankreich ist der Hauptfeind Sowjetrusslands, der erbittertste, wutschnaubendste Feind des Weltproletariats; es hält sich jetzt für den Sieger, oder richtiger, die Einfältigen, das Kleinbürgertum, die Sozialpatrioten, ein Teil der betörten Arbeiter denken, dass Frankreich gesiegt habe. Das ist ein grausamer Irrtum. Lange bevor noch der deutsche Imperialismus besiegt war, war Österreich-Ungarn ein geschlagenes Land. Es wurde vom deutschen Militarismus gehalten, wie der deutsche Imperialismus von der Entente gehalten wurde. Und jetzt ist Frankreich eins der erschöpftesten, ruiniertesten von den unabhängigen Ländern der Welt. Frankreich kann natürlich im Schwarzen Meere rauben, aber nur so lange, bis die Reihe an England kommt. Frankreich kann dem kleinen Belgien, das es zu seiner Provinz gemacht hat, Gesetze diktieren, Frankreich selbst aber ist nichts anderes als ein grosses Belgien gegenüber Grossbritannien. Frankreich wäre in wirtschaftlicher wie in militärischer Hinsicht ohne die Unterstützung Amerikas und Englands schutzlos, erhebt jedoch in seinem kleinbürgerlichen Stumpfsinn Anspruch auf Herrschaft und denkt, dass es die Rolle eines Vorsitzenden und Schiedsrichters zwischen den Vereinigten Staaten und England spielen werde. Die Vereinigten Staaten sind nicht einmal dem Völkerbunde beigetreten. Und Frankreich musste last auf den Knien um Almosen, um die Garantie seiner staatlichen Unabhängigkeit bitten.

Und die kleinen Nationen, die kleinen Staaten? Ihnen wurde Freiheit und Unabhängigkeit versprochen und auf alle hat das herrschende England seine Hand gelegt: auf Finnland, wie auf das weisse Estland und Lettland. Wo sind die Reste der Unabhängigkeit Schwedens und Norwegens? Sie sind verschwunden. Was stellt das Baltische Meer vor? Einen Meerbusen, in dem England kleine Spazierfahrten macht. Was stellt der Indische Ozean dar, der von Völkern umsäumt ist, die England untertan sind? Durch Ägypten, Persien, Afghanistan, Belutschistan, Indien ist der Indische Ozean zum englischen Binnenmeer geworden. Aus dem Körper Österreich-Ungarns, aus dem alten zaristischen Russland ist eine ganze Reihe kleiner Staaten herausgeschnitten worden, die nicht lebensfähig sind und denen die Entente und der Völkerbund, d. h. England, vorläufig nicht erlauben, zu sterben. Wir haben ein ans Kreuz geschlagenes und zerfleischtes Österreich. Wir haben ein Ungarn, das den heldenhaften Versuch gemacht hat, Mitteleuropa aus dem Chaos herauszuführen, den grossen Weg der Sowjetföderation, d. h. eines brüderlichen Bundes der siegreichen Arbeiter in wirtschaftlicher, kultureller und jeder anderen Beziehung zu betreten. Es ist zertreten und ins Chaos zurückgeworfen worden.

Wir haben ein Polen, jenes jämmerliche Polen, dessen Befreiung die ersten Blätter der Geschichte der I. Internationale füllt. Es ist vom sterbenden Imperialismus für seine schmutzigen Zwecke und Aufgaben geschaffen worden. Diese demokratische Republik, für die ganze Geschlechter polnischer revolutionärer Patrioten gekämpft haben, die vor dem Zarismus in grossen Wellen nach dem Westen flüchteten und auf allen Barrikaden der Revolution kämpften und starben, dieses demokratische Polen ist gegenwärtig ein schmutziges und blutiges Werkzeug in den Händen des französischen Kapitals. Genossen, stellte die I. Internationale in ihrem Kampf mit dem Zarismus ein unabhängiges Polen auf eine der ersten Seiten ihrer Geschichte, so erfüllt jetzt das vom Zarismus befreite Russland seine grosse Mission und gibt das gekreuzigte, vergewaltigte Polen dem polnischen Arbeiter und dem polnischen Bauern zurück. (Beifall.)

Von allen Parlamentstribünen spricht man von der wirtschaftlichen Wiederaufrichtung Europas. Es gibt keine grössere Lüge als diese. Europa konnte sich während der eineinhalb Jahre, die seit unserem I. Kongress verflossen sind, nicht wieder aufrichten, es ist ungleich ärmer und hoffnungsloser, als es war, und mit ihm die ganze Welt. Kann man denn Europa wiederherstellen ohne den russischen Rohstoff, ohne das russische Getreide? Kann man denn Europa wiederherstellen ohne die deutsche Technik, ohne die deutsche Arbeiterklasse? Das ist nicht möglich. Nach Hause zurückgekehrt, werden die Vertreter aller Länder sagen: »Arbeiter Europas und der ganzen Welt, auf Grund des Wenigen, das wir gesehen haben, bezeugen wir, dass, wenn der Imperialismus Sowjetrussland in Ruhe lassen wird, wenn wir Sowjetrussland mit unserer Technik, wenn auch nur in kleinem Masstabe, zu Hilfe kommen werden, so wird Sowjetrussland in zwei bis drei, höchstens in fünf Jahren, eben deshalb, weil es eine auf den Grundsätzen des Kommunismus basierende Sowjetrepublik ist, euch sechsmal mehr Getreide und Rohstoffe geben als das zaristische, bürgerliche Russland gegeben hat«.

Den heissen Spuren des Sieges folgend, glaubte das englisch-französische Kapital, das vor ihm ein unabsehbares Kolonialgebiet liege. Früher war der Zarismus der Konkurrent Englands in Asien, Deutschland war noch ein grösserer Konkurrent Englands auf dem Weltmarkte. Deutschland ist besiegt. Deutschland ist ans Kreuz geschlagen. Österreich noch mehr. Und sie glauben, dass gleich im Osten die Kolonien beginnen: das deutsche Volk, das Frankreich unterworfen ist, weiterhin Sowjetrussland. Sowjetrussland überrennen, den russischen Rohstoff und das russische Getreide fortnehmen, die deutschen Arbeiter zwingen, wie Sklaven zu arbeiten und den russischen Rohstoff in fertige Erzeugnisse zu verwandeln, über die das anglo-französische Kapital verfügen kann, das ist das blendende Programm des Völkerbundes der ersten Epoche. Und er versuchte es zu verwirklichen; er versuchte die Sowjetrepublik zu stürzen, um unsere Steppen, unsere Meere, wälder, unsere unterirdischen Reichtümer in seine Gewalt zu bringen und die deutsche Kohle und die deutsche Arbeitskraft zu ihrer Bearbeitung zu verwenden. Anderthalb Jahre harten Kampfes sind vergangen, und mit gerechtem Stolze können wir unseren westeuropäischen Mitbrüdern sagen: Eure Bourgeoisie hat uns nicht gestürzt, wir sind noch am Leben, wir empfangen Euch in Moskau. Und wenn das geschehen ist, so nicht nur dank den kraftvollen Anstrengungen der russischen Arbeiterklasse und der von ihr geschaffenen Armee. Wir kennen unsere Anstrengungen und unsere Opfer, und mit ihnen sind jetzt die Abgesandten der Arbeiterklasse der Welt näher bekannt geworden. Wir müssen jedoch sagen, dass wir hauptsächlich deshalb standgehalten haben, weil wir die wachsende Hilfe in Europa, Amerika, in allen Teilen der Welt fühlten und kannten. Jeder Streik des schottländischen Proletariats am Clyde, jede Bewegung in den Städten und Dörfern Irlands, wo nicht nur die grüne Fahne des irischen Nationalismus, sondern auch die rote Fahne des proletarischen Kampfes weht, jeder Streik, jeder Protest, jeder Aufstand in einer beliebigen Stadt Europas, Amerikas und Asiens, die machtvolle Bewegung der indischen Kolonialsklaven Englands und das Wachstum der Entwicklung des Bewusstseins, das Wachstum der einen zentralen Losung – der Losung »Sowjetweltföderation«, – das ist es, was uns die Gewissheit verlieh, dass wir auf dem richtigen Wege sind, das gestattete uns, in den dunkelsten Stunden, als wir von allen Seiten umzingelt waren, als es schien, dass man uns erwürgen werde, uns aufzurichten und zu sagen: wir sind nicht allein, mit uns ist das Proletariat Europas und Asiens und der ganzen Welt, wir werden uns nicht ergeben, wir werden standhalten. Und wir haben standgehalten. (Beifall.)

Ohne Russland und ohne Deutschland kann Europa nicht wiederhergestellt werden. Um Deutschland wiederherzustellen, muss man ihm erlauben, zu leben, sich zu ernähren, zu arbeiten. Erlaubt man aber dem gekreuzigten und erdrückten Deutschland nicht zu leben, sich zu nähren und zu arbeiten, so wird es sich gegen den französischen Imperialismus erheben. Und deshalb ist der französische Imperialismus, der nur ein Gebot kennt – zahlen! Deutschland soll zahlen! Russland soll zahlen! –, sind diese französischen Wucherer bereit, die ganze Welt an allen vier Ecken in Brand zu stecken, um nur richtig ihre Zinsen zu erhalten. Sie können Deutschland nicht erlauben, zu arbeiten, denn ein arbeitendes, aufgerichtetes Deutschland bedeutet ein unabhängiges Deutschland, das gegen sie sein wird. Und sie haben ein einziges Rezept, um die Bedingungen des Versailler Friedens zu verwirklichen: dieses Rezept sind die Singhalesen, die afrikanischen Neger, die Araber, die sie über den Rhein schicken, um die deutschen Städte zu besetzen. Und wenn in Frankreich zu wenig Kohle aus Deutschland ankommt, wenn das deutsche Gold nicht rechtzeitig eintrifft, so sagt die französische Bourgeoisie zähneknirschend: Weshalb zahlen die nicht zur Zeit, hat Marschall Foch denn keine Schwarzen mehr?

Genossen, wir begrüssen auf diesem Kongresse Genossen Roy, den Vertreter der werktätigen Massen Indiens. (Beifall.) Ich hoffe, Genossen, dass auf dem III. Kongress unserer Internationale afrikanische Kommunisten, Araber, Singhalesen und andere Negervölker der Kolonialbesitzungen Frankreichs und Englands unter uns sein werden. Heute haben noch 400 bis 500 Singhalesen unsere russischen Soldaten, die jahrelang Sklaven in Frankreich waren, in die Häfen von Odessa gebracht. Trotz der Vorsichtsmassregeln, die man getroffen hat, um die Singhalesen von den russischen Soldaten getrennt zu halten, wissen wir, dass noch nie ein ausländisches Regiment, eine ausländische Kompanie ungestraft in einen russischen Hafen eingelaufen ist. Genossen, die Politik des Marschalls Foch, der Wrangel Wasserflugzeuge liefert, der Polen in seinem hoffnungslosen Kampfe hilft, diese Politik wird die Wirtschaft Europas nicht wiederherstellen, das ist die Politik eines Hazardspielers, der hoffnungslos verspielt hat, der bereits Milliarden verspielt hat. Erst vor kurzem hat das französische Parlament entdeckt, dass Clemenceau von den vier Milliarden, die für die Wiederherstellung der verwüsteten Norddepartements Frankreichs bestimmt waren, für diesen Zweck nur eineinhalb Millionen verausgabt hat, drei Milliarden 998 ½ Millionen aber hat er nicht für die Wiederherstellung der verwüsteten Departements Frankreichs verwendet, sondern für die Verwüstung der Gouvernements und Kreise Russlands. Diese Politik, diese Verschwendung von Milliarden ist die Politik eines Spielers, der bei seinen letzten Einsätzen von der Hoffnung beseelt ist, etwas zurückzugewinnen und der gewöhnlich niemals etwas zurückgewinnt. Gegenwärtig können wir mit ruhiger Gewissheit sagen, dass die Stunde nahe ist, wo wir im Bunde mit dem französischen Proletariat die Bank des französischen Bankhalters sprengen werden. (Beifall.) Die Singhalesen im Hafen von Odessa, die französischen Generale in Warschau, sie sind heute vielleicht noch dort, sie sehen aber schon nicht mehr nach Osten, sondern nach Westen. (Stürmischer Beifall.) Sie alle zusammen werden die Menge der Kohle und der anderen Rohstoffe, die Menge des Getreides, die Frankreich braucht, nicht um ein Pud vermehren.

Die ganze Welt leidet unter der tiefsten Krisis, dem Mangel an Rohstoffen und Heizmaterialien, und die Tatsache, dass während der Kriegsjahre die ganze Arbeit nicht auf Schaffung von Werten, sondern auf ihre Zerstörung gerichtet war, kann nicht ohne Folgen bleiben, denn die grundlegende Arbeit ist die, bei welcher der Mensch alle seine Gedanken und Maschinen anwendet, um dem Schosse der Erde die wichtigsten Stoffe, Getreide, Kohle zu entnehmen. Die Arbeit ist fortgesetzt gefallen. Jetzt muss die gesamte Politik der Weltproduktion darauf gerichtet sein, den freien Handel mit Deutschland, Russland, Österreich-Ungarn zu sichern. Alle Länder leben bisher von den Vorräten, die übrig geblieben sind. Und die ganze Politik des Imperialismus läuft darauf hinaus, dass die Handelsbeziehungen am nächsten Jahr überall unter dem Zeichen der gegenseitigen Absperrung stehen werden. Jetzt haben wir zwar die Politik des Raubes; wir haben jedoch gesehen, dass es den Engländern, als sie in Baku waren, in den vielen Monaten nur gelungen ist, einige Millionen Pud Naphtha auszuführen, während sie einige zehn Millionen Pud hätten ausführen können. Den Hauptverlust erlitt die Weltwirtschaft damals, als die englischen und französischen Söldner das Dongebiet verwüsteten, als die Franzosen die Brücken sprengten und die Eisenbahnen zerstörten, als die englischen Panzerschiffe die Ausfahrt in alle Länder versperrten und dadurch die Produktion untergruben. Das sind die letzten Worte der Wirtschaftspolitik der Entente.

Deshalb, Genossen, wenn wir auf unsere anderthalbjährige Arbeit der Sowjetwirtschaft zurückschauen, wenn wir alle ihre Mängel, alle ihre Not kennen, haben wir keine Veranlassung, diese Mängel zu verschleiern, sondern entrollen dieses Bild unserer Arbeit vor unseren westlichen Mitbrüdern, den Amerikanern und den anderen Vertretern aller Länder, aller Weltteile. Ich denke, wenn jemand mit irgendwelchen Zweifeln hergekommen ist, so wird er sich davon überzeugt haben, dass wir den richtigen Weg gewählt haben und dass ein Ausweg aus dem Elend der Welt nur möglich ist bei einer planmässigen Vergesellschaftung und Sozialisierung der Weltwirtschaft, wenn alle künstlichen staatlichen Hindernisse und Schranken beseitigt werden und die Politik befolgt wird, die für eine einheitliche Wirtschaft notwendig ist. Und, Genossen, wenn wir trotz der Blockade, trotz des Krieges nicht nur imstande waren, unsere Armeen zu verpflegen, sondern auch imstande waren, diese drei Jahre, besonders die letzten anderthalb Jahre, zu leben – diese Tatsache ist an und für sich die grösste historische Tatsache –, so konnten wir das dank dem Umstande, dass unserer Wirtschaft die Grundsätze des Kommunismus zugrunde lagen.

Endlich, Genossen, wenn wir von den Fragen der internationalen Politik und von den Wirtschaftsfragen zu den Fragen des politischen Kampfes übergehen, so müssen wir sagen, dass der vom I. Kongress der Kommunistischen Internationale vorgezeichnete Weg der richtige war und dass er in allen seinen Grundzügen von der Erfahrung bestätigt worden ist. Wenn es noch ehrlich denkende Arbeiter gibt, die noch irgend etwas von der Demokratie erwarten, so ist das ein leeres Hirngespinst. Wo gibt es in Europa eine Demokratie? Die neugeborene Demokratie Deutshlands besitzt die demokratische Form des Wahlrechts. An ihrer Spitze steht der Sozialdemokrat Ebert. Diese Demokratie tötet die besten Arbeiterführer, die besten Vertreter der Arbeiterklasse, in deren Namen Genosse Levi gesprochen hatte. Wer herrscht dort? Die Magnaten des Kapitals, die ihre wichtigsten Geschäfte in den Höhlen der Börse abmachen. während des Krieges hielt die französische Bourgeoisie und die Bourgeoisie der anderen Länder noch an einigen Überresten der alten demokratischen Ideologie fest. Die Bourgeoisie musste die Arbeiter betrügen, sie sprach von Vaterlandsverteidigung, sie sagte, dass dieser Krieg der letzte sein werde, sie versprach einen Völkerbund. Jetzt aber, nach dem Kriege und dem Versailler Frieden, jetzt, wo der Henker sich in seiner ganzen Nacktheit zeigt, wo die werktätigen Massen beraubt und an den Bettelstab gebracht sind, jetzt werden die letzten Überreste dieser Ideologie beiseite geworfen, jetzt verzichtet die Bourgeoisie selbst fast auf jede Anspielung auf das alte Testament der Demokratie, das ihr früher zum Betrug der Arbeiterklasse gedient hat, jetzt fordert sie einen festen, stahlharten Willen. Nehmen wir einen beliebigen Parlamentsbericht eines beliebigen Landes zur Hand, so sehen wir, dass der erbärmlichste bürgerliche Minister, jeder kleine Beamte, wenn er einen Beifallssturm ernten will, eine drohende Faust in der Richtung auf das revolutionäre Proletariat macht. Die Bourgeoisie verlangt von ihren Schützlingen, Handlangern, Ministern Blut und Eisen, denn sie hat begriffen, dass wir – wir, die ganze Welt – nicht in die Epoche der parlamentarischen Vermittlung zwischen den Klassen, sondern in die Epoche des heftigen, schonungslosen und harten Kampfes eingetreten sind... Und was hat die Arbeiterklasse, d. h. der Teil derselben, der aus dem Weltkriege heimgekehrt ist, bei sich im Lande vorgefunden? Die Arbeiterklasse hat in ihren Städten und Dörfern eine neue Bourgeoisie, eine noch frechere und blutigere als die, die sie verlassen hatte, vorgefunden. Kriegslieferanten, Schleichhändler von Weltruf, Emporkömmlinge mit dunkler Vergangenheit, die durch Spekulation mit Blut Millionen und Abermillionen und Milliarden zusammengeraubt haben, sind emporgestiegen. Dieses gierige und zügellose Gesindel hat mit seinem vergifteten Atem die Luft der europäischen und amerikanischen Städte verpestet. Die Prunksucht hat den Charakter eines wahnwitzigen Fiebers, des Säuferwahnsinns, einer nervösen Raserei angenommen. Die Arbeiter sind aus den Schützengräben nach Hause zurückgekehrt und sehen vor sich diese zügellose »Bourgeoisie dorée«, die alles in ihren Besitz gebracht hat, die alle zu Boden tritt, die alles geniessen will, die in jedem beliebigen Augenblick mit ihren Kanonen die Arbeiterklasse niederschiessen möchte, nur um sich die Möglichkeit zu sichern, zu leben, zu herrschen und zu geniessen. Und die Empörung der Arbeiterklasse wird in allen Ländern zu immer hellerer Flamme entfacht. Die Teuerung ruft Streiks und Manifestationen der hungernden Arbeiter und Arbeiterinnen hervor. Und was für ein grosser Faktor in der Arbeiterbewegung, in der Geschichte der ganzen Menschheit, ist der Umstand, dass die Frauen, die geknechteten Sklavinnen, erwacht sind und dass die proletarische Jugend sich in immer grösseren Massen erhebt, uns zu Hilfe kommt und uns ablöst. Mit den Frauen, mit der proletarischen Jugend ergiesst sich in die revolutionäre Bewegung des Weltproletariats ein neuer, kraftvoller Strom revolutionärer Lava, der der Bewegung der Kommunistischen Internationale einen neuen unerschöpflichen Vorrat an Energie zuführen wird. (Beifall.)

Genossen, es besteht kein Zweifel, dass das Proletariat aller Länder schon an der Macht wäre, wenn zwischen ihm und der Masse, zwischen der revolutionären Masse und den fortgeschrittenen Gruppen der revolutionären Masse, nicht noch immer eine grosse, starke, verwickelte Maschine, nicht noch immer die Parteien der II. Internationale und der Trade-Unions der Welt stünden, die ihren Apparat in der Epoche des Verfalls, des Sterbens der Bourgeoisie in den Dienst dieser Bourgeoisie gestellt haben. Gerade die II. Internationale, die während des Krieges ihr Schicksal durch gegenseitige Bürgschaft an das Schicksal der Bourgeoisie gefunden hat, hat die Verantwortung für die alte Welt auf sich genommen, hat den ersten Andrang der Empörung und der Entrüstung der werktätigen Massen abgefangen. Ihre Autorität ist gesunken. Sie ist auseinandergefallen. Von ihr spalten sich immer grössere Teile, Millionen werktätiger Massen ab. Aber dem ersten Andrang des Proletariats gegen die bürgerliche Gesellschaft, dem ersten Ausbruch der Entrüstung ist die II. Internationale als Puffer begegnet. Und wenn die deutsche Arbeiterklasse Zehntausende von Opfern bringt und noch bringen wird, so ist das die Schuld der deutschen Sozialdemokratie. Im verantwortlichsten Augenblick der Weltgeschichte hat sie sich in einen gegenrevolutionären Apparat verwandelt, wie die führenden Parteien der II. Internationale sich in einen gegenrevolutionären Apparat im Dienste der bürgerlichen Gesellschaft verwandelt haben. Und wenn wir auf die ganze Geschichte der Vergangenheit zurückschauen und dort gegenrevolutionäre Kräfte suchen, so finden wir nichts Ähnliches. Wir kennen die Weltgeschichte der katholischen Kirche, die, wie auch alle übrigen Kirchen, ein machtvolles Werkzeug, ein machtvolles und starkes Mittel in den Händen der besitzenden Klassen zum Schutze ihrer Vorrechte und Herrschaft war. Der Dienst aber, den die Weltkirche und der Weltkatholizismus den besitzenden Klassen erwiesen hat, ist ein kläglicher Dienst im Vergleich zu der Rolle, welche die Parteien der II. Internationale im kritischen Augenblick der Weltgeschichte spielen. Im Laufe von Jahrzehnten haben sie die Arbeiterklasse geführt, haben ihr Vertrauen besessen, haben sie organisiert, haben sie durch ihre Autorität obengehalten; im Augenblick aber, da die Arbeiterklasse ihre ganze Tatkraft auf ihre Befreiung vom Joche des Kapitals hätte richten müssen, haben sie diesen Apparat ausgenützt, um die Arbeiterklasse an Händen und Füssen zu fesseln, um sie nicht nur zum materiellen, nicht nur zum körperlichen, sondern auch zum geistigen Sklaven des Weltkapitals zu machen.

Während wir hier in Moskau diese Tage des II. Kongresses durchleben, tagt in Genf der Kongress der II. Internationale, die sich durch ihr Programm, durch ihren Geist unserer Internationale der roten proletarischen Kommune – entgegenstellt. Und von diesem Tage an, von diesem Kongresse an, von diesen beiden Kongressen an wird sich die Spaltung in der Arbeiterklasse der Welt mit verzehnfachter Schnelligkeit vollziehen. Programm gegen Programm; Taktik gegen Taktik; Methode gegen Methode. Wir, die Kommunistische Internationale, haben die deutsche Unabhängige Sozialistische Partei, die wankte und schwankte, und die in ihren Oberschichten bis zum heutigen Tage schwankt, durch den Druck der deutschen Arbeiter veranlasst, ihre Vertreter herzuschicken. Auch die Partei des französischen Parlamentssozialismus ist durch die Empörung ihrer proletarischen Massen gezwungen worden, Abgesandte zu uns zu schicken. Wir aber gehen auf keinerlei Zugeständnisse ein: die Kommunistische Internationale ist keine Internationale der Kompromisse und Verständigung. Wir haben ein Banner, haben ein Programm; wer will, mag sich unter dieses Banner stellen. Das haben wir den Vertretern der Deutschen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei und der Französischen Parlamentspartei gesagt. Wir haben sie gefragt: »Hofft ihr durch euer Parlament Reformen durchzuführen, die allmählich in das Reich des Sozialismus führen?« Wir haben das mit Ironie gefragt; denn die Tatsachen des Lebens haben uns schon die bittere Antwort gegeben. Und wenn die Deutsche Unabhängige Partei und sogar die Partei des französischen Parlamentssozialismus es noch nicht gelernt haben, die Proletarier auf den Weg des Bürgerkrieges, der proletarischen Diktatur zu führen, so haben sie es doch schon gelernt, nicht mehr an den Weg des parlamentarischen Reformismus zu glauben. Und die französischen und deutschen Arbeiter haben es gelernt, nicht mehr ihren wankenden und schwankenden Führern zu glauben.

Dieser Kongress, der mit dem Kongress der II. Internationale zusammenfällt, der – was für uns, für die Arbeiter der ganzen Welt wichtig und bedeutungsvoll ist – mit dem drohenden Kampfe zusammenfällt, den die Entente vermittels des weissen Polen gegen die Sowjetrepublik führt; dieser Kongress, der mit den ruhmvollen Siegen der Roten Armee an der West- und Südwestfront zusammenfällt, wird grosse Wegweiser für die weitere Entwicklung der proletarischen Weltrevolution aufrichten. Dieser Kongress hat in seinen Beschlüssen aus der Gesamterfahrung der Arbeiterklasse der Welt die Bilanz gezogen. Sie haben diese Beschlüsse gelesen. Dieser Kongress wendet sich auch mit einem Manifest an die Arbeiter und Arbeiterinnen der ganzen Welt, einem Manifest, dessen wesentlichen Inhalt ich hier in meinem Bericht dargelegt habe, einem Manifest, das in allen Sprachen veröffentlicht werden wird, das aus der Arbeit des Imperialismus auf dem Gebiete der internationalen Beziehungen, auf dem wirtschaftlichen Gebiete, die Bilanz zieht, das die letzen Überreste der bürgerlichen Demokratie, des bürgerlichen Parlamentarismus richtig einschätzt, das dem Proletariat der ganzen Welt und den unterjochten werktätigen Massen der Kolonialländer den sicheren, klaren und deutlichen Weg des Kampfes weist. Und was für eine Freude, welch einen Stolz empfinden wir Moskauer Arbeiter und die Arbeiter ganz Russlands, dass wir bei uns zum zweiten Male die besten Kämpfer der Arbeiterklasse der Welt versammeln konnten, dass wir ihnen auf Grund unserer Erfahrung geholfen haben, ihre Waffen zu schmieden. In unserer Moskauer Schmiede haben wir mit Euren Händen, Genossen, ein Feuer angefacht. In diesem Feuer haben wir den proletarischen Stahl glühend gemacht, haben ihn mit dem Hammer unserer proletarischen Sowjetrevolution bearbeitet, haben ihn durch die Erfahrung des Bürgerkrieges gestählt und dem internationalen Proletariat ein vortreffliches, unvergleichliches Schwert geschmiedet. Mit diesem Schwerte bewaffnen wir uns selbst, mit ihm bewaffnen wir die anderen. Wir sagen den Arbeitern der ganzen Welt: In dem Moskauer Feuer haben wir ein starkes Schwert geschmiedet, nehmt es in die Hand und stosst es dem Weltkapital ins Herz. (Beifall.)

Sinowjew. Genossen! während der letzten 14 Tage haben in Moskau Sitzungen der Vertreter der Arbeiterorganisationen der ganzen Welt stattgefunden, und während dieser ganzen Zeit haben wir gesehen, wie der Bruderbund der Arbeiter der ganzen Welt mit jedem Tage fester wurde.

Als wir vor einiger Zeit zum ersten Male die Frage über die Möglichkeit einer illegalen Einberufung des Kongresses in Moskau aufwarfen, zweifelten viele an dem Gelingen dieses Planes. Schon der Gedanke daran erschien gewagt; denn die Bourgeoisie der ganzen Welt verfolgt selbstverständlich ihren schlimmsten Feind, die Kommunistische Internationale, mit dem grössten Hass, mit allen nur möglichen Skorpionen.

Aber, Genossen, das Streben der Arbeiter der ganzen Welt, zu uns zu gelangen, war so gross, der Ruf »nach Moskau« war so allgemein, dass trotz des Widerstandes der Weltbourgeoisie, trotz aller Hindernisse, die uns in den Weg gelegt wurden, wie ihr seht, der Kongress zusammengetreten ist; und wir dürfen jetzt vor der ganzen Welt sagen, dass dieser Kongress vollständig gelungen und dass er ein Weltkongress des Proletariats gewesen ist. (Beifall.)

Genossen, wie die Erde nach einer langen Dürre nach Regen lechzt, so lechzen auch die Arbeiter der ganzen Welt, nach dem Ende des verfluchten Krieges, nach Vereinigung. Dieses Streben der Arbeiter nach Vereinigung ist der grösste Faktor der Weltgeschichte, ist die treibende Kraft der Kommunistischen Internationale. Das Klassenbewusstsein der Arbeiter der ganzen Welt, das sich darin äussert, dass sie erkennen, dass sie das, was ihnen die Geschichte verheissen hat, nur in enger Vereinigung erreichen können, dieses Bewusstsein ist die wichtigste welthistorische Lebenskraft der Kommunistischen Internationale und dank ihm ist es uns gelungen, den Kongress durchzuführen, trotzdem die Blockade erst jetzt aufgehoben worden ist, trotzdem sie sogar teilweise noch besteht, trotzdem in einer ganzen Reihe von Ländern unsere Genossen illegal arbeiten müssen.

Das Verzeichnis der Delegationen füllt einige Bogen. Ich will nur die Länder erwähnen, die vertreten waren: England, Deutschland, Frankreich... Von einigen dieser Länder hatten wir wenig Vertreter, immerhin stellen die Delegationen all das vor, was an lebendiger revolutionärer Kampfstimmung in der ganzen Welt vorhanden ist. Von grosser Bedeutung ist der Umstand, dass unter uns sich nicht nur Vertreter des europäischen und amerikanischen Proletariats befinden, sondern auch Vertreter der Arbeiter und der ärmsten Bauern des ganzen Ostens: der Türkei, Persiens, Indiens, der britischen Kolonien usw. Wir sehen darin einen Beweis dafür, dass die Bewegung im Osten beginnt und sich auch weiter entwickeln wird, dass es keiner Macht der Welt gelingen wird, diese Bewegung aufzuhalten, die in Indien einen rein proletarischen Charakter trägt. Diese Bewegungen werden sich mit der europäischen und der amerikanischen vereinen, um dem Kapitalismus den Todesstoss zu versetzen.

Auf unserem Kongress waren die verschiedensten Schattierungen der Arbeiterbewegung vertreten. Die Arbeiterbewegung befindet sich augenblicklich noch im Gärungs- und Kristallisationsprozess. Das ist verständlich. Nach der schrecklichen Krisis, die die Arbeiterklasse der Welt durchlebt hat, nach dem ungeheuerlichen Sturz der II. Internationale und nach dem erfolgreichen Aderlass, der an den Arbeitern der ganzen Welt vorgenommen wurde, ist es völlig verständlich, dass es jetzt unter den Arbeitern keine vollständige politische Klarheit geben kann. Wenn aber die Arbeiterklasse einig wäre, wenn sie sich über ihre Grundaufgaben völlig klar wäre, hätten wir die Bourgeoisie längst besiegt. Der Fluch unserer Klasse besteht darin, dass ein Teil unserer Brüder während vieler Jahrzehnte von unseren Feinden betrogen wurde, ein anderer Teil in Verbänden organisiert ist, die tatsächlich der Bourgeoisie helfen. In einigen Ländern befindet sich heute die Arbeiterklasse gewissermassen am Scheidewege. Nach dem furchtbaren Gewitter, das sich während des imperialistischen Krieges über die ganze Menschheit entladen hat, sucht sie den richtigen Weg. Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, alle lebendigen, reichen und starken Kräfte, welche die Arbeiterklasse aufzuweisen hat, unter der Fahne der Kommunistischen Internationale zum Kampf gegen die Bourgeoisie zu vereinigen. Absichtlich haben wir auch noch nicht vollständig formierte Organisationen zum Eintritt in die Kommunistische Internationale aufgefordert.

An unserem Kongress haben die Vertreter der besten Teile der Syndikalisten, Vertreter der besten Teile der Anarchisten teilgenommen. In unserer Mitte weilten Vertreter der »Shop Stewards« Englands, der Betriebsräte Österreichs und Vertreter der IWW Der Hauptstrom der Arbeiterbewegung der Welt fliesst in dem Flussbett des Kommunismus. Wir sehen einen mächtigen kommunistischen Strom vor uns, neben ihm aber eine Reihe kleiner Flüsse, die alle in den grossen Strom der Kommunistischen Internationale münden müssen. Wir sehen eine ganze Reihe solcher proletarischer Bewegungen, in denen es noch gärt, die sich uns nur halb zuwenden, die in vielem von anarchistischen und syndikalistischen Vorurteilen angesteckt sind, die unser Programm nicht vollständig teilen, die aber trotzdem mit uns zusammen gegen die Bourgeoisie kämpfen und die wir als Brüder ansehen. Wir brechen mit den verhassten Traditionen der II. Internationale, die die revolutionär gesinnten Arbeiter, die besten Kämpfer, malträtierte. Als sich in der II. Internationale eine Handvoll ehrwürdiger Vertreter des gelben imperialistischen und anderer Verbände befanden, wurde bei jedem Vorgehen von dieser oder jener Gruppe von Arbeitern, die die Politik der II. Internationale einer Kritik zu unterziehen wagten, die Tür zugeschlagen. Wir öffnen unsere Tore weit allen ehrlichen proletarischen revolutionären Organisationen, die heute noch nicht kommunistisch sind, die es aber morgen sein werden, die heute mit dem Gewehr in der Hand bereit sind, mit uns zusammen gegen das Weltkapital zu kämpfen. (Beifall.) Ausser der Gruppe, die nach der Meinung einiger eine Opposition von links bildete, die aber eigentlich gar nicht revolutionär gesinnt war, da es für die Arbeiterklasse, für den Kommunismus keine Opposition von links geben kann, beteiligte sich an unserem Kongress eine Gruppe reuiger Sünder. Ich meine die Vertreter der Französischen Sozialistischen Partei, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Amerikanischen Sozialistischen Partei. Alle diese Parteien gehören zu den grössten Arbeiterorganisationen, die mit einem Fusse noch im alten Lager stehen, jedoch versuchen, einen neuen Weg einzuschlagen. Mir scheint, dass unser Kongress dadurch eine noch grössere Bedeutung gewonnen hat, dass diese Vertreter alter Parteien vor ihn getreten sind, dass einige von ihnen um Amnestie baten und gern von der Kommunistischen Internationale die Antwort erhalten hätten: schuldig unter Zubilligung mildernder Umstände. Insofern es sich jedoch um die Führer handelt, die für den imperialistischen Krieg verantwortlich sind, haben wir eine durchaus unversöhnliche Stellung eingenommen. Ihr habt unsere Antwort an die Französische Sozialistische Partei gelesen, jenen Brief, den wir ihnen auf den Weg mitgegeben haben, damit sie ihn in aller Ruhe gründlich studieren können. Darin haben wir eine genaue Beschreibung aller Kennzeichen der Französischen Sozialistischen Partei in der Person der Führer ihrer gelben Sozialisten gegeben. Wir haben ihnen das mitgegeben, was die Deutschen einen »Steckbrief« nennen, d. h. einen Brief, aus dem jeder ehrliche Arbeiter sofort den Missetäter erkennen kann, der dem Weltproletariat augenblicklich im Wege steht, einen Brief, der da sagt: »Seht, Arbeiter, so soll ein Führer der Arbeiterklasse nicht aussehen.«

Genossen, in den Reihen der französischen Partei befindet sich eine bedeutende Anzahl von Arbeitern. Die zentralen Pressorgane erscheinen in 50 000 Exemplaren. Die Partei der Unabhängigen in Deutschland zählt ungefähr eine Million Mitglieder. An die 11 000 Mitglieder der Partei, vorwiegend Arbeiter, schmachten im Gefängnis. Selbstverständlich flössen uns die Arbeiter, die in Gefängnissen der deutschen Republik schmachten, die grösste Achtung ein, und wir sind bereit, vor ihnen den Hut abzunehmen. Natürlich führen wir aber in den Reihen der Unabhängigen Partei Deutschlands und der Französischen Sozialistischen Partei keine andere Sprache; wir versuchen, ihnen ihre Fehler klarzumachen; wir versuchen uns mit ihnen zu vereinigen.

Genossen, der Kongress hat im Zusammenhang damit eine Reihe von Bedingungen (es sind ihrer 21) zur Aufnahme in die Kommunistische Internationale ausgearbeitet. Genossen, ich glaube, dass ihr, wenn ihr Euch mit diesen Bedingungen bekannt machen werdet, mit uns sagen werdet, dass es hier mit Recht heissen kann: Wie es dem Kamel nicht leicht ist, durch ein Nadelöhr zu gehen, so wird es, hoffe ich, auch den Anhängern des Zentrums, die immer solche bleiben werden, nicht leicht sein, durch diese von der Kommunistischen Internationale aufgestellten 21 Bedingungen durchzuschlüpfen. (Beifall.) Wir haben diese Bedingungen deshalb auf gestellt, damit die in den Reihen der Französischen Sozialistischen Partei, der USPD und der amerikanischen sowie der Italienischen Sozialistischen Partei stehenden Arbeiter, überhaupt alle organisierten Arbeiter wissen, was der internationale Stab der proletarischen Revolution von ihnen verlangt, damit sie ihre Führer vor Gericht fordern, damit sie sie in die Enge treiben und offene Antwort auf alle in den Bedingungen erwähnten Fragen erhalten. Und, Genossen, wir hoffen, dass diese Bedingungen ihren Zweck erreichen werden.

Wenn man uns vor anderthalb Jahren gesagt hat, dass der Kommunistischen Internationale die Gefahr droht, dass wir zu wenig Mitglieder haben werden, so stehen wir jetzt vor einer anderen Gefahr. Die Kommunistische Internationale wird für viele zur Mode. Die Brüsseler Internationale, die jetzt in Genf tagt, hat, wie es heisst, den Beschluss gefasst, einen Generalstreik zu erklären. Es scheint, dass die II. Internationale den Fussstapfen Moskaus folgen will. Wir wissen nicht, wieviel lebende Schatten sich dort versammelt haben, aber jedem ist es klar, dass die II. Internationale jetzt einen Trümmerhaufen vorstellt, und unter den alten Führern dieser Kronsozialisten, wie man sie nennen könnte, gibt es viele, die immer in der Mehrheit sein und sich an irgend eine Macht anlehnen wollen. Diese Macht ist im internationalen Masstabe jetzt die Kommunistische Internationale. Sie wollen sich an uns anlehnen, Zugeständnisse in Worten machen, und dabei sich eine gewisse »Autonomie« sichern, um den alten Schlendrian fortzusetzen. Wir hoffen, dass unser II. Kongress der Kommunistischen Internationale für diese Herren die Tür genügend fest geschlossen hat; wir hoffen, dass die von uns gefassten Beschlüsse genügen werden, die Parteien durch eine solche Linie zu scheiden, dass alle Arbeiter, die ehrlich für den Kommunismus kämpfen wollen, in unsere Reihen treten, alles Faule aber wie Spreu in den Müllkasten fliegt und nie wieder den Vormarsch der Arbeiterklasse hemmen wird.

Eine Reihe Fragen ist vom II. Kongress behandelt worden, unter denen die Frage über die Rolle der Kommunistischen Partei eine der wichtigsten war. In einem Saale, wo sich, wie ich frei heraus sagen kann, eine grosse Mehrheit von Mitgliedern der Kommunistischen Parteien versammelt hat, braucht ihre Notwendigkeit gar nicht erst bewiesen zu werden. Im internationalen Kongress aber, wo Vertreter der verschiedensten Länder mit ganz verschiedener Geschichte, mit verschiedenen Traditionen zugegen waren, war es notwendig, die Rolle und die Bedeutung der Kommunistischen Partei endgültig klarzulegen. Die alten Parteien haben Bankrott gemacht, und es ist verständlich, dass sie einer ganzen Reihe von Arbeitern den Gedanken eingeprägt haben, dass nicht nur die II. Internationale zusammengebrochen sei, sondern die Politik der Führer überhaupt. Es war notwendig, sich über die Rolle und die Bedeutung der proletarischen Revolution klar zu werden, und ich hoffe, dass Euch einleuchtet, dass es für uns der grösste Sieg war, als die besten Vertreter des revolutionären Syndikalismus für unsere Resolutionen stimmten, ebenso wie auch die besten Vertreter anderer Arbeiterorganisationen. Jetzt müssen wir den syndikalistischen Arbeitern, den Anarchisten und anderen Elementen, die nicht an die Bedeutung der Partei geglaubt haben, sagen: »Ihr habt nicht geglaubt, dass es andere Parteien als die Scheidemänner geben könnte, dass es eine wirkliche Arbeiterpartei, welche die Arbeiterklasse zum Kampf mit dem Kapital führt, gibt; seht her und überzeugt Euch: Hier ist die Kommunistische Partei Russlands, das ist das Werk der russischen Arbeiter, da ist die ungarische Kommunistische Partei, da ist die deutsche Partei der Spartakisten, seht, was sie für die Aufklärung der Arbeiterklasse Deutschlands getan hat: Da sind die kommunistischen Arbeiterparteien einer ganzen Reihe von Ländern, seht und lernt! Hier ist ein Beispiel dessen, was wir erstreben, solche Parteien müssen wir schaffen!«

Weiter wurde die National- und Kolonialfrage erörtert, und mir scheint, dass die in dieser Frage einstimmig gefasste Resolution gleichfalls einen grossen moralischen Sieg für uns bedeutet. Ihr wisst, dass die II. Internationale an die Frage der sogenannten Nationalpolitik herangetreten ist, dass im allgemeinen eine Politik der Duldung vorgeschlagen wurde, und dass im Jahre 1907 die Mehrheit sich dafür ausgesprochen hat, dass die Sozialisten die sogenannte kulturell-nationale Politik unterstützen können.

Die II. Internationale hat den Völkern der schwarzen und der gelben Rasse gegenüber eine Haltung eingenommen, die geeignet war, bei diesen Völkern das grösste Misstrauen zu erwecken. Die Kommunistische Internationale musste zu den Traditionen der I. Internationale zurückkehren. Ihre Pflicht war es, zu sagen, und sie hat es auch gesagt, dass sie nicht nur eine Internationale der Werktätigen der weissen Rasse sein wollte, sondern ebenso eine Internationale der Werktätigen der schwarzen und gelben Rasse, eine Internationale der Werktätigen der ganzen Welt. (Beifall.) Ich bin überzeugt, dass der Bruderbund, den wir im Kongress mit den Vertretern Indiens, Koreas, der Türkei und einer ganzen Reihe anderer Länder geschlossen haben, das internationale Kapital mitten ins Herz treffen wird. Dies ist die grösste Eroberung der Arbeiterklasse.

Weiter haben wir die Frage über die Gewerkschaften erörtert. Ihr wisst, dass wir in Moskau die erste internationale Zelle der Gewerkschaftsverbände geschaffen haben. Ich behaupte, dass dies ebenfalls eine allgemeine historische Bedeutung für die ganze Welt hat. Die letzte Stütze des Kapitals ist die gelbe Amsterdamer Arbeiterorganisation. Wenn wir den besten Teil der Arbeiter dieser Organisation zu uns herüberziehen, haben wir dadurch erreicht, dass die II. Internationale die Masse verliert, dass wir alles, was in der Arbeiterklasse lebenskräftig ist, um uns versammeln. Wir mussten im Kongress eine scharfe Polemik mit einer ganzen Reihe unserer englischen und amerikanischen Genossen führen, die mit dem ungeheuren Verrat ihrer Führer zu kämpfen hatten, die keine starke kommunistische Partei besitzen, die mit dem Parlamentarismus gebrochen haben. Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale hat allen diesen Parteien gesagt, was das Wichtigste für sie ist. Wie die Erfahrungen der russischen Revolution lehren – mögen sie dies in England und in Amerika im Gedächtnis behalten – ist das Allerwichtigste, dass sie immer mitten unter den Arbeitermassen bleiben. Ihr werdet mit ihnen zusammen manchmal irren, tretet aber nie aus den Massenorganisationen der Arbeiterklasse aus, wie reaktionär sie im gegebenen Augenblick auch sein sollten.

Die bourgeoisen Staaten müssen wir vernichten, die Arbeiterverbände dagegen erobern, umbilden und in unsere Reihen aufnehmen, sonst ist der Sieg des Kommunismus unmöglich. In dieser Frage haben wir mit einigen unserer Genossen bereits so manche Lanze gebrochen, aber die Worte, die die Kommunistische Internationale darüber gesprochen hat, werden für uns alle zum Gesetz, unter anderem auch für die Genossen, die einen anderen Standpunkt vertraten. Das Ziel der Kommunistischen Internationale ist, in allen Ländern eine kommunistische Partei zu gründen, damit alle Ströme der gegenwärtigen gesunden revolutionären Proletarierbewegung sich in einen mächtigen Fluss ergiessen. Und wem bekannt ist, welche ungeheure Autorität die Kommunistische Internationale in den Augen der Arbeiterklasse der ganzen Welt besitzt, der wird nicht daran zweifeln, dass diese Aufgabe leicht verwirklicht werden kann und dass es gelingen wird, eine Einigung zu erzielen.

Genossen, von besonderem Interesse dürfte ein Vergleich sein, den wir anstellen könnten zwischen dem, was bei uns im Kongress vorgegangen ist, und dem, was sich in den bourgeoisen Kreisen vollzieht. Genosse Trotzki hat deutlich geschildert, was in den oberen Schichten der regierenden Bourgeoisie vor sich geht. Genossen, ist es nicht bezeichnend, dass, während wir in Moskau im Laufe einer kurzen Zeit uns mit den Arbeitern, die aus Amerika und Australien hierhergekommen sind, trotz des Unterschiedes in der Kultur, der Geschichte und der Traditionen, in einer ganzen Reihe von wichtigen Fragen verständigt haben und fühlten, wie unser Bruderbund mit jeder Stunde fester wurde, ist es nicht bezeichnend, dass in derselben Zeit unter den bourgeoisen Regierungskreisen eine Gruppe der anderen in die Speichen zu fahren sucht? Die englische Bourgeoisie stürmt gegen uns an und versucht, den französischen Nebenbuhler zu überlisten. Sie verfolgen einander gegenseitig und sind nicht imstande, etwas Ganzes zu schaffen.

Die II. Internationale machte im Jahre 1919 den Versuch, wieder aufzuleben, indem sie ihr Schicksal mit der »Völkerliga« verband nach dem bekannten Grundsatze: Es gibt kein Tier, das stärker wäre, als die Katze. Durch diese Anlehnung an die Völkerliga, glaubte sie für einige Jahrzehnte die Weltherrschaft zu erlangen. Ein Jahr und einige Monate sind vergangen, und schon sehen wir, wie die Völkerliga vor unseren Augen zerfällt, wie sie sich in eine Fiktion verwandelt, wo alles einander gegenseitig verdrängt und betrügt. Die II. Internationale hat ihr Schicksal mit der Völkerliga verbunden, mit der sie zusammen untergeht, deren Krach sie miterlebt. Gleichzeitig aber wächst die richtige internationale Verbrüderung der Arbeiter mit der werktätigen Bauernschaft. Ich bin davon tief überzeugt, dass der II. Weltkongress der Vorläufer eines anderen Weltkongresses ist – des Weltkongresses der Sowjetrepubliken. (Beifall.)

Genossen, bezeichnend ist die Tatsache, dass die einzige Resolution, die ohne die geringsten Debatten von allen Vertretern einstimmig angenommen worden ist, die Resolution über die Sowjets war. Weil die Sowjetidee, die Idee der Schaffung eines Sowjetstaates, dieser Form der Proletarierdiktatur, eben in die breiten Arbeitermassen bis in die untersten Schichten eingedrungen ist und Millionen und Zehnmillionen von Arbeitern erobert hat, brauchte darüber auf dem Weltkongress nicht nur nicht gestritten, sondern nicht einmal diskutiert zu werden. Diese Idee gilt vielmehr als unsere grundlegende Eroberung. Genossen, die Sowjetidee ist ein einfacher Gedanke, doch er bildet das feste eiserne Fundament. auf dem unsere Kommunistische Internationale steht.

Unsere Arbeit geht ihrem Ende zu. Wir haben mit den Vertretrn der verschiedensten Länder unsere Erfahrungen ausgetauscht, wir haben eine Reihe strittiger Fragen erwogen, wir haben den Weg, den wir im Laufe langer Monate kämpfend zurücklegen werden, vorgemerkt. Wir wissen nicht, welche Schicksalsschläge dieser oder jener unserer Bruderparteien bevorstehen, eins aber wissen wir und zwar, dass wir eine Organisation aufbauen werden, die im gegebenen Moment den Arbeitern der ganzen Welt die grösstmöglichste Hilfe leisten wird. Wir haben die Statuten der Kommunistischen Internationale angenommen. Das ist keine blosse Formalität. Es ist die Bestätigung der Tatsache, dass wir eine einheitliche internationale kommunistische Partei schaffen, die in den verschiedenen Ländern ihre Filialen besitzt. (Beifall.) In diesen Statuten erwähnen wir die Worte, die sich in den Statuten der von Karl Marx gegründeten I. Internationale finden, und zwar die Worte: »Wenn die Arbeiterklasse jetzt gefesselt und nicht frei ist, so rührt das davon her, dass in der Arbeiterklasse bis her keine Einigkeit geherrscht hat, dass die Arbeiter verschiedener Länder nicht solidarisch vorgehen.« Das ist eine einfache Wahrheit, ein einfacher Gedanke, und doch bedurfte es mehrerer Jahrzehnte, bis die Arbeiterklasse der ganzen Welt sich diesen Gedanken zu eigen machte. Und wir haben in den Statuten der Kommunistischen Internationale hinzugefügt:
»Die ersten Worte, die die Kommunistische Internationale an die Arbeiter der ganzen Welt richtet, sind die Worte – ›Gedenke des imperialistischen Krieges und seiner zahllosen Opfer!‹ Wenn Du den Kapitalismus unterstützest, kannst Du wieder neue Kriege erleben! Unsere internationale Verbrüderung wurde nach schweren Erfahrungen geboren; wenn Du verantwortungsvolle Beschlüsse fassen willst, denke an das imperialistische Morden, das die Arbeiterorganisationen zerstört und vielen Zehnmillionen von Arbeitern das Leben gekostet hat, und das in jeder Minute von neuem aufflammen kann, wenn wir den Kapitalismus nicht vernichten.«

Die Annahme des Statuts bedeutet, dass wir unsere Reihen endgültig geschlossen haben, dass wir eine internationale Genossenschaft von Arbeitern haben, dass wir eine mit Blut zusammengeschweisste, in internationalem Masstabe zentralisierte Organisation besitzen. Und wir werden das unsern Genossen sagen, damit sie verstehen, wie wir in Russland im Bürgerkriege eine aus einem Stück gegossene eiserne zentralisierte Organisation schaffen mussten, mit militärischer Disziplin, die den einzelnen Parteimitgliedern häufig schwer fällt und die grösste Anstrengung und Aufopferung fordert.

In gleicher Weise müssen wir in internationalem Masstabe eine internationale Organisation schaffen, die aus einem Stück gegossen ist, mit gleicher eiserner Disziplin und gleicher Zentralisation, mit bedingungslosem Vertrauen zueinander und mit einer gleichen uneigennützigen Bereitwilligkeit, sich für das allgemeine Werk de Sieges der proletarischen Revolution aufzuopfern. (Beifall.)

Die Genossen fahren von hier aus in eine Reihe von Länder, wo der Belagerungszustand, Gefängnis, Züchtigungen und Verrat seitens der westeuropäischen Sozialdemokratie und der kapitalistischen Mietlinge ihrer harren. Wir wünschen unsern Genossen Mut zu diesem Kampfe, und wir bitten sie, in schweren Augenblicken daran zu denken, dass die Sowjetrepublik bereit ist, alles, was sie besitzt, mit ihnen zu teilen. Die Kommunistische Partei Russlands hält es für eine Ehrenpflicht, allen Bruderparteien mit allem, was sie hat, zu Hilfe zu kommen. Wir wünschen unsern Brüdern, die sich jetzt aufmachen, um die höchste historische Mission und die höchsten Aufgaben auszuführen, die nur je vor dem Proletariat gestanden haben, Mut, Kraft und Sicherheit.

Es lebe die Kommunistische Internationale! Es leben unsere Genossen, die sich in die bourgeoisen Länder aufmachen, um Propaganda für den Weltkommunismus zu treiben! (Stürmischer Beifall, Hurrarufe.)

(Genosse Kalinin erklärt die Sitzung für geschlossen.)



Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]

  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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