Reden Bordigas vor dem Exekutivkomitee der Kommunistische Internationale 1926
Diskussion über den Bericht der Exekutive (23. Februar 1926)
BORDIGA[1]: Genossen, wir haben es hier mit einem Thesenentwurf und einem Bericht zu tun, aber ich glaube, dass es absolut unmöglich ist unsere Debatten auf diesen Thesenentwurf und diesen Bericht zu beschränken.
Ich habe in früheren Jahren auf den verschiedenen Tagungen der Internationale Gelegenheit gehabt, Thesen und Deklarationen zu unterstützen, die zuweilen sehr gut und zufriedenstellend waren, aber in der Entwicklung der Tätigkeit der Internationale haben die Tatsachen nicht immer den Hoffnungen entsprochen, die diese Deklarationen in uns geweckt hatten. Darum muss die Entwicklung der Internationale vom Standpunkt der Ereignisse, die sich seit dem letzten Kongress abgespielt haben, vom Standpunkt der Perspektiven der Internationale und der Aufgabe, die sie sich stellen muss, erörtert und kritisiert werden.
Ich muss behaupten, dass die Lage, die wir in der Internationale haben, nicht als befriedigend betrachtet werden kann.
In einem gewissen Sinne haben wir es mit einer Krise zu tun. Diese Krise hat nicht erst heute begonnen, sie besteht seit langer Zeit. Dies ist eine Behauptung, die nicht nur von mir und einigen Gruppen der ultralinken Genossen vertreten wird. Die Tatsachen beweisen, dass das Bestehen dieser Krise von allen zugegeben wird. Sehr häufig werden neue Losungen ausgegeben, die im Grunde genommen das Zugeständnis enthalten, dass eine radikale Änderung in unseren Arbeitsmethoden notwendig ist. Es sind hier mehrfach bei Wendepunkten in unserer Tätigkeit neue Losungen ausgegeben worden, durch die man im Grunde genommen anerkannte, dass die Arbeit nicht gut vorwärts ging. Allerdings wird in diesem Augenblick erklärt, dass es sich nicht um eine Revision handle, dass Nichts einer Änderung bedürfe. Das ist offensichtlich ein Widerspruch. Um zu beweisen, dass das Vorhandensein von Abweichungen und einer Krise in der Internationale hier von allen und nicht nur von den unzufriedenen Ultralinken zugegeben wird, wollen wir ganz rasch die Geschichte unserer Internationale und ihrer verschiedenen Etappen überfliegen.
Die Gründung der Kommunistischen Internationale nach dem Zusammenbruch der II. Internationale geschah auf Grund der Losung, dass sich das Proletariat kommunistische Parteien schaffen müsse. Alle waren darüber einig, dass die objektiven Verhältnisse den revolutionären Endkampf begünstigten, doch fehlte uns das Organ für diesen Kampf. Man sagte damals: die objektiven revolutionären Vorbedingungen sind vorhanden, und wenn wir kommunistische Parteien hätten, die wirklich fähig wären, eine revolutionäre Tätigkeit zu entfalten, so werden alle notwendigen Vorbedingungen für einen vollständigen Sieg gegeben sein.
Auf dem 3. Kongress war die Internationale – auf Grund der Erfahrungen zahlreicher Ereignisse, vor allem aber auf Grund der Erfahrungen der Märzaktion im Jahre 1921 in Deutschland – gezwungen, festzustellen, dass die Bildung von kommunistischen Parteien allein nicht ausreiche. Fast in allen wichtigsten Ländern waren genügend starke Sektionen der Kommunistischen Internationale entstanden, trotzdem aber war das Problem der revolutionären Aktion nicht gelöst worden. Die deutsche Partei hatte es für möglich gehalten, in den Kampf zu treten und eine Offensive gegen den Gegner zu eröffnen, aber sie erlitt eine Niederlage. Der 3. Kongress musste sich mit diesem Problem befassen und war gezwungen, festzustellen, dass das Vorhandensein kommunistischer Parteien nicht genüge, wenn die objektiven Voraussetzungen für den Kampf fehlen. Man hatte nicht in Rechnung gezogen, dass man sich, wenn man zu einer solchen Offensive übergeht, vorher breite Massen sichern müsse. Selbst die stärkste kommunistische Partei ist nicht imstande, in einer im allgemeinen revolutionären Lage durch einen blossen Willensakt die für einen Aufstand notwendigen Vorbedingungen und Faktoren zu schaffen, wenn sie es nicht verstanden hat, grosse Massen um sich zu sammeln.
Dies war also eine Etappe, in der die Internationale wiederum feststellte, dass vieles zu ändern war. Es wird stets behauptet, dass in den Reden des 3. Kongresses die Idee der Einheitsfronttaktik enthalten sei, die dann auf den Tagungen der Erweiterten Exekutive nach dem 3. Kongress auf Grund der von Lenin auf dem 3. Kongress beleuchteten politischen Lage formuliert worden ist. Das stimmt nicht ganz, denn die Lage hatte sich geändert. In der Periode, in der eine objektive günstige Lage bestand, haben wir es nicht verstanden, die gute Methode der Offensive gegen den Kapitalismus richtig anzuwenden. Nach dem 3. Kongress handelt es sich nicht mehr darum, ganz einfach eine zweite Offensive nach vorheriger Eroberung der Massen zu unternehmen. Die Bourgeoisie war uns zuvorgekommen, sie war es, die in den wichtigsten Ländern die Offensive gegen die Arbeiterorganisationen und die kommunistischen Parteien eröffnete, und diese Taktik der Eroberung der Massen für die Offensive, von der auf dem 3. Kongress die Rede war, verwandelte sich in eine Taktik der Defensive gegen die von der kapitalistischen Bourgeoisie eingeleitete Aktion. Man arbeitet diese Taktik zugleich mit dem durchzuführenden Programm aus, indem man den Charakter dieser Offensive unserer Gegner studiert und die Konzentrierung des Proletariats durchführt, die uns die Eroberung der Massen durch unsere Parteien und den Übergang zur Gegenoffensive in einer nahen Zukunft gestatten soll. In diesem Sinne ist die Einheitsfronttaktik damals aufgefasst worden.
Ich brauche nicht erst zu sagen, dass ich nichts einzuwenden habe gegen die Auffassung des 3. Kongresses von der Notwendigkeit der Solidarität der Massen; ich erwähne hier diese Frage, um zu zeigen, dass die Internationale noch einmal gezwungen war, anzuerkennen, noch nicht genügend reif zu sein für die Führung des Kampfes, des Weltproletariats.
Die Anwendung der Einheitsfronttaktik hat zu rechten Fehlern geführt, und diese Fehler sind nach dem 3., und noch mehr nach dem 4. Kongress immer klarer zutage getreten; diese Taktik, die nur Zeit der Defensive, d. h. zu einer Zeit, da die Zersetzungskrise im Kapitalismus nicht mehr so akut ist, angewandt werden kann, diese von uns angewandte Taktik ist stark entartet. Unserer Meinung nach ist diese Taktik angenommen worden, ohne dass man ihren genauen Sinn festlegen wollte. Man hat es nicht verstanden die Wahrung des spezifischen Charakters der Kommunistischen Partei zu sichern. Ich habe nicht die Absicht, hier die Kritik zu wiederholen, die wir an der Einheitsfronttaktik, wie sie von der Mehrheit der KI angewandt worden ist, geübt haben. Wir hatten nichts einzuwenden, als es sich darum handelte, die unmittelbaren materiellen Forderungen des Proletariats, selbst die elementarsten Forderungen, die infolge der Offensive des Feindes erhoben wurden, unserer Aktion zugrundezulegen. Aber als man unter dem Vorwand, dass es sich nur um eine Brücke zur Fortsetzung unseres Weges zur Diktatur des Proletariats handle, der Einheitsfront neue Grundsätze, die die zentrale Staatsgewalt und die Arbeiterregierung betrafen, zugrunde legen wollte, da haben wir uns widersetzt und gesagt: jetzt überschreiten wir die Grenze der guten revolutionären Taktik.
Wir Kommunisten wissen sehr wohl, dass die historische Entwicklung der Arbeiterklasse zur Diktatur des Proletariats führen muss, aber es handelt sich doch um eine Aktion, die die breiten Massen beeinflussen soll, diese Massen können aber nicht ganz einfach durch unsere ideologische Propaganda erfasst werden. Soweit wir beitragen können zur Bildung des revolutionären Bewusstseins der Massen, werden wir es durch die Kraft unseres Standpunktes und unseres Verhaltens in jeder Phase der Entwicklung der Ereignisse tun. Darum darf dieses Verhalten nicht im Gegensatze stehen zu unserer Stellung zum Endkampf d. h., den Zweck, für den unsere Partei speziell gebildet worden ist. Eine Agitation auf Grund einer Losung, wie z. B. der Arbeiterregierung, muss zu einer Verwirrung im Bewusstsein der Massen, und sogar der Partei und ihres Generalstabes führen.
Wir haben all das von vornherein kritisiert, und ich beschränke mich hier darauf, an unser damals abgegebenes Urteil in seinen allgemeinen Zügen zu erinnern. Als wir dann den Fehlern gegenüberstanden, zu denen diese Taktik geführt hat, als vor allem die Oktoberniederlage in Deutschland im Jahre 1923 eintrat, da gab die Internationale zu, sich geirrt zu haben. Das war nicht ein kleiner Zufall, es war ein Fehler, den wir bezahlen mussten mit der Hoffnung, neben dem ersten von der proletarischen Revolution eroberten Land ein neues grosses Land zu erobern, was vom Standpunkte der Weltrevolution von ungeheurer Bedeutung gewesen wäre.
Leider begnügte man sich damit, zu sagen: Es handelt sich nicht darum, in durchgreifender Weise die Beschlüsse des 4. Weltkongresses zu revidieren, es ist nur notwendig, gewisse Genossen zu beseitigen, die sich in der Anwendung der Einheitsfronttaktik geirrt haben; es ist notwendig, die Verantwortlichen zu finden. Man hat sie gefunden im rechten Flügel der deutschen Partei, man hat nicht einsehen wollen, dass die gesamte Internationale die Verantwortung trägt. Trotzdem hat man die Thesen einer Revision unterzogen und der Arbeiterregierung eine ganz andere Formulierung gegeben.
Warum sind wir mit den Thesen des 5. Kongresses nicht einverstanden gewesen? Unserer Ansicht nach genügte die Revision nicht; die einzelnen Formeln hätten besser beleuchtet werden müssen, vor allem aber waren wir gegen die Massnahmen des 5. Kongresses, weil sie die schweren Fehler nicht beseitigten und weil wir der Meinung waren, dass es nicht gut sei, die Frage auf ein Vorgehen gegen einzelne Personen zu beschränken, dass eine Änderung in der Internationale selber notwendig sei. Man wollte diesen mutigen und gesunden Weg nicht gehen. Wir haben mehrfach Kritik geübt an der Tatsache, dass in uns, in dem Milieu, in den wir arbeiten, ein parlamentarischer und diplomatischer Geist grossgezogen wird. Die Thesen sind sehr links, die Reden sind sehr links, selbst diejenigen gegen die sie gerichtet sind, stimmen für sie, weil sie sich dadurch für immun halten. Wir aber haben uns nicht nur an den Buchstaben gehalten, wir haben vorausgesehen, was nach dem 5. Kongress geschehen würde, und darum konnten wir nicht befriedigt sein.
Ich möchte hier feststellen, dass man mehrfach gezwungen war, anzuerkennen, dass die Linie in radikaler Weise geändert werden muss. Das erste Mal hatte man die Frage der Eroberung der Massen nicht begriffen, das zweite Mal handelte es sich um die Taktik der Einheitsfront, man unternahm auf dem 3. Kongress eine gründliche Revision der bis dahin verfolgten Linie. Aber das ist nicht alles: auf und nach dem 5. Kongress und auf der Erweiterten Exekutive im März 1925 wird wiederum festgestellt, dass alles schlecht geht. Man sagt: 6 Jahre sind seit der Gründung der Internationale vergangen, aber es ist keiner ihrer Parteien gelungen, die Revolution zu machen. Allerdings ist die Lage ungünstiger geworden; wir haben es jetzt mit einer gewissen Stabilisierung des Kapitalismus zu tun, aber trotzdem wird erklärt, dass in der Tätigkeit der Internationale vieles geändert werden müsse. Man hat noch nicht begriffen, was zu tun ist, und gibt die Losung der Bolschewisierung aus. Das ist unbegreiflich; wie, acht Jahre sind seit dem Siege der russischen Bolschewisten vergangen und es muss jetzt festgestellt werden, dass die anderen Parteien nicht bolschewistisch sind? Dass eine tiefe Wandlung notwendig sei, um sie auf die Höhe bolschewistischer Parteien zu bringen? Das hatte niemand vorher bemerkt?
Warum habt Ihr nicht gleich auf dem 5. Kongress gegen diese Losung der Bolschewisierung Protest erhoben? Weil niemand sich widersetzen konnte, wenn man sagte, dass die übrigen Parteien die revolutionäre Fähigkeit erlangen müssen, die der bolschewistischen Partei den Sieg ermöglicht hat.
Aber jetzt handelt es sich nicht nur um eine einfache Lösung, um eine einfache Parole. Wir haben es mit Tatsachen und Erfahrungen zu tun. Es ist jetzt notwendig, die Bilanz der Bolschewisierung zu ziehen und zu sehen, worin sie bestanden hat.
Ich behaupte, dass diese Bilanz von verschiedenen Standpunkten aus ungünstig ist. Man hat das Problem, das zu lösen war, nicht gelöst, man hat mit der Anwendung der Bolschewisierungsmethoden auf alle Parteien keine Fortschritte gemacht.
Ich muss das Problem von verschiedenen Standpunkten aus betrachten. Zunächst vom historischen Standpunkt.
Wir haben eine einzige Partei, die den revolutionären Sieg erfochten hat, das ist die russische bolschewistische Partei. Es ist für uns das wichtigste, dass wir denselben Weg einschlagen, den die russische Partei gewählt hat, um zum Sieg zu gelangen; das ist sehr richtig, aber es genügt nicht. Es steht unleugbar fest, dass der von der russischen Partei gewählte historische Weg nicht alle Züge der historischen Entwicklung, die den anderen Parteien bevorsteht, aufweisen kann. Die russische Partei kämpfte in einem Lande, in dem die liberale bürgerliche Revolution noch nicht vollendet war; die russische Partei, das ist eine Tatsache – kämpfte in besonderen Verhältnissen, d. h. in einem Lande, in dem die feudale Autokratie von der kapitalistischen Bourgeoisie noch nicht geschlagen worden war. Zwischen dem Sturz der feudalen Autokratie und der Eroberung der Macht durch das Proletariat lag eine zu kurze Periode, als dass man diese Entwicklung vergleichen könnte mit der Entwicklung, die die proletarische Revolution in den übrigen Ländern durchmachen muss. Es war nicht genug Zeit vorhanden, um auf den Ruinen des zaristischen und feudalen Staatsapparates einen bürgerlichen Staatsapparat entstehen zu lassen. Die Entwicklung in Russland gibt uns nicht die Erfahrungen von grundlegender Bedeutung, wie das Proletariat den kapitalistischen, liberalen, parlamentarischen, modernen Staat, der seit vielen Jahren besteht und der die Fähigkeit besitzt, sich zu verteidigen, niederwerfen soll. Da diese Unterschiede gegeben sind, so ist vom theoretischen Standpunkt die Tatsache, dass die russische Revolution unsere Doktrin, unser Programm, unsere Auffassung von der Rolle der Arbeiterklasse in der historischen Entwicklung bestätigt hat, von um so grösserer Bedeutung, weil die russische Revolution selbst in diesen besonderen Verhältnissen zur Eroberung der Macht und zur Diktatur des Proletariats, die von der Kommunistischen Partei verwirklicht wurde, geführt hat. Damit hat die Theorie des revolutionären Marxismus die grossartigste historische Bestätigung gefunden. Vom ideologischen Standpunkt aus ist das von entscheidender Bedeutung, was jedoch die Taktik anbetrifft, so ist das nicht alles. Es ist notwendig, dass wir wissen, wie man den modernen bürgerlichen Staat angreift, der sich im bewaffneten Kampf noch wirksamer verteidigt, als sich die zaristische Autokratie zu verteidigen wusste, der sich aber ausserdem noch verteidigt mit Hilfe der ideologischen Mobilisierung und defätistischen Erziehung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie. Dieses Problem kommt in der Geschichte der russischen Kommunistischen Partei nicht vor, und wenn man die Bolschewisierung in dem Sinne deutet, dass man von der Revolution der russischen Partei die Lösung aller Probleme der Strategie des revolutionären Kampfes verlangen kann, so ist diese Auffassung von der Bolschewisierung ungenügend. Die Internationale muss sich eine breitere Auffassung bilden, sie muss für die strategischen Probleme Lösungen finden, die ausserhalb der russischen Erfahrung liegen. Diese muss ganz ausgenutzt werden, nichts in ihr darf abgelehnt werden, man muss sie stets vor Augen haben, doch brauchen wir auch ergänzende Elemente aus der Erfahrung die die Arbeiterklasse im Westen macht. Das ist das, was über die Bolschewisierung vom historischen und taktischen Standpunkte aus gesagt werden muss. Die Erfahrung der Taktik in Russland zeigte uns nicht, wie wir im Kampfe gegen die bürgerliche Demokratie vorzugehen haben; sie gibt uns keinen Begriff von den Schwierigkeiten und den Aufgaben, die uns die Entwicklung des proletarischen Kampfes bringen wird.
Eine andere Seite des Bolschewisierungsproblems ist die Frage der Reorganisation der Partei. Im Jahre 1925 wird uns plötzlich erklärt: Die ganze Organisation der Sektionen der Internationale ist nicht richtig. Man hat das ABC der Organisation noch nicht angewandt. Man hat sich bereits sämtliche Probleme gestellt, aber das Wesentlichste ist noch nicht getan. D. h., man hat das Problem unserer inneren Organisation nicht gelöst. Dadurch wird zugegeben, dass wir in einer ganz falschen Richtung marschiert sind. Ich weiss sehr gut, dass man die Losung der Bolschewisierung nicht auf ein Organisationsproblem beschränken will. Aber dieses Problem hat eine organisatorische Seile, und es ist betont worden, dass diese die wichtigste sei. Die Parteien sind nicht organisiert, wie die russische bolschewistische Partei organisiert war und ist, weil ihre Organisation nicht auf dem Arbeitsstättenprinzip aufgebaut ist, weil sie noch den Typus der territorialen Organisation haben, der absolut unvereinbar sein soll mit den revolutionären Aufgaben, der ein für die parlamentarische sozialdemokratische Partei charakteristischer Typus sein soll. Wenn man es für notwendig hält, die Organisation unserer Parteien in diesem Sinne umzustellen, und wenn man diese Umstellung nicht als praktische Massnahme darstellt, die sich für verschiedene Länder in bestimmten Verhältnissen eignet, sondern als grundlegende Massnahme für die gesamte Internationale, als Verbesserung eines wesentlichen Fehlers, als notwendige Vorbedingung für die Entwicklung unserer Parteien zu wahrhaft kommunistischen Parteien, – so können wir damit nicht einverstanden sein. Es ist doch sehr merkwürdig dass man sich dessen nicht schon früher bewusst geworden ist. Man behauptet, dass die Umstellung auf Betriebszellen bereits in den Thesen des 3. Kongresses enthalten war. Dann ist es doch sehr merkwürdig, dass man von 1921 bis 1925 gewartet hat, um zur Durchführung überzugehen. Die These, dass eine kommunistische Partei unbedingt aufgebaut sein muss auf der Grundlage der Arbeitsstätte, ist theoretisch falsch. Nach Marx und Lenin und auf Grund eines bekannten präzis formulierten prinzipiellen Grundsatzes ist die Revolution nicht eine Frage der Organisationsform. Um das Problem der Revolution zu lösen, genügt es nicht, eine Formel für die Organisation zu finden. Die Probleme, die vor uns stehen, sind Macht- und nicht Formprobleme. Die Marxisten haben stets die syndikalistischen und halbutopistischen Schulen bekämpft, die sagten: Gruppiert die Klasse in einer bestimmten Organisation, Gewerkschaft, Genossenschaft usw., und die Revolution wird gemacht werden. Jetzt sagt man, oder man führt wenigstens in diesem Sinne die Kampagne: Man muss die Organisation auf der Grundlage der Betriebszelle aufbauen, und alle Probleme der Revolution werden gelöst sein. Man fügt hinzu: die russische Partei hat die Revolution machen können, weil sie auf einer solchen Grundlage aufgebaut war.
Man wird sicherlich sagen, dass ich übertreibe, aber verschiedene Genossen werden bestätigen können, dass die Kampagne auf Grund ähnlicher Thesen geführt worden ist. Was uns interessiert, ist der Eindruck, den diese Parolen in der Arbeiterklasse und in der Mitgliedschaft unserer Partei hervorrufen. Was die Zellenarbeit anbetrifft, so hat man den Eindruck erweckt, dass diese das unfehlbare Rezept für den wahren Kommunismus und die Revolution sei. Ich aber bestreite, dass die Kommunistische Partei unbedingt auf der Grundlage der Betriebszellen aufgebaut sein müsse. Selbst in den Organisationsthesen, die Lenin dem 3. Weltkongresse vorgelegt hat, wird mehrfach betont, dass es in Organisationsfragen keine für alle Länder und alle Zeiten gültige prinzipielle Lösung geben kann. Wir bestreiten nicht, dass die Betriebszellengrundlage als Basis der Parteiorganisation gut gewesen ist für die Lage in Russland. Ich will bei dieser Frage nicht allzu lange verweilen; in der ausgiebigen Diskussion vor dem italienischen Parteitag haben wir gesagt, dass es in Russland verschiedene Ursachen gegeben hat, die zugunsten der Organisation auf dieser Basis sprachen.
Warum sind wir der Meinung dass die Betriebszelle in anderen Ländern im Vergleich zu der Lage in Russland, Nachteile mit sich bringt? Vor allem, weil die in der Zelle organisierten Arbeiter niemals in der Lage sind, alle politischen Fragen zu erörtern. Selbst in dem Bericht des EKKI an dieses Plenum wird festgestellt, dass fast in keinem Lande die Betriebszellen es verstanden haben, sich mit politischen Problemen zu beschäftigen. Es heisst, man habe übertrieben, man habe die Parteien rasch umgestellt, doch handle es sich nur um sekundäre praktische Fehler. Man wird doch nicht bestreiten können, dass es sich nicht nur um eine Kleinigkeit handelt, wenn man die Partei ihrer grundlegenden Organisation beraubt hat, die fähig war, politische Fragen zu erörtern, und wenn die neue Organisation nach einem Jahre ihres Bestehens diese ihre lebenswichtige Funktion noch nicht verrichtet. Wenn man zu einem solchen Resultat gelangt, so handelt es sich nicht um einzelne Fehler, sondern um eine falsche Stellung des gesamten Problems. Das ist nicht etwas, was man leicht hinnehmen kann. Die Frage ist sehr wichtig. Wir meinen, dass es nicht Zufall ist, dass die Betriebszelle die politischen Fragen nicht erörtert, denn in einem kapitalistischen Lande haben die Arbeiter, die in dem kleinen engen Zirkel ihres Betriebes gruppiert sind, nicht die Möglichkeit, sich allgemeine Probleme zu stellen, die unmittelbaren Forderungen zu verknüpfen mit dem Endziel des Kommunismus. In einer Versammlung von Arbeitern, die für die gleichen kleinen unmittelbaren Probleme interessiert sind und die nicht verschiedenen Berufskategorien angehören, können wohl diese Fragen der unmittelbaren Forderungen erörtert werden, man kann aber in dieser Versammlung keine Basis finden für eine Diskussion über allgemeine Probleme, über Probleme, die die gesamte Arbeiterklasse betreffen, d. h., man kann hier keine politische Klassenarbeit leisten, wie es der Kommunistischen Partei zukommt.
Man wird uns sagen: was Ihr verlangt, verlangen auch alle rechten Elemente: ihr wollt die territorialen Organisationen, in deren Versammlungen die Intellektuellen mit ihren langen Reden die ganze Diskussion beherrschen. Aber diese Gefahr der Demagogie und des Betruges von Seiten der Führer wird immer bestehen, sie besteht, seitdem es eine proletarische Partei gibt, aber weder Marx noch Lenin, die sich mit diesem Problem eingehend beschäftigt haben, haben je daran gedacht, es zu lösen mit Hilfe eines Boykotts der Intellektuellen oder der Nichtproletarier. Sie haben sogar mehrfach die historisch notwendige Rolle der Deserteure der herrschenden Klasse in der Revolution betont. Bekanntlich dringen im allgemeinen Opportunismus und Verrat in die Partei und in die Klasse durch gewisse Führer ein, aber der Kampf gegen diese Gefahr muss in anderer Weise geführt werden. Wenn die Arbeiterklasse auch ohne vormals bürgerliche Intellektuelle auskommen könnte, so könnte sie doch nicht der Führer, Agitatoren, Journalisten usw. entraten, und es bliebe ihr nichts anderes übrig, als diese in den Reihen der Arbeiter zu suchen. Aber die Gefahr der Korruption und der Demagogie dieser zu Führern gewordenen Arbeiter unterscheidet sich nicht von der der Intellektuellen. In gewissen Fällen waren es frühere Arbeiter, die in der Arbeiterbewegung die schmutzigste Rolle gespielt haben, das ist allgemein bekannt. Und schliesslich, ist denn durch die Betriebszellenorganisation, wie sie jetzt durchgeführt wird, die Rolle der Intellektuellen ausgespielt? Das Gegenteil ist der Fall. Es sind die Intellektuellen, die zusammen mit früheren Arbeitern den Parteiapparat bilden. Die Rolle dieser sozialen Elemente ist keine andere geworden, sie ist sogar jetzt noch gefährlicher. Wenn wir annehmen, dass diese Elemente durch ihre Stellung als Funktionäre korrumpiert werden können, so bleibt diese Schwierigkeit, denn wir haben ihnen jetzt eine noch viel verantwortlichere Stellung gegeben, da ja die Arbeiter in den kleinen Betriebszellenversammlungen praktisch keine Bewegungsfreiheit haben, keine genügende Basis, durch ihre Klasseninstinkte die Partei zu beeinflussen. Die Gefahr, auf die wir hinweisen, besteht also nicht im Rückgang des Einflusses der Intellektuellen, sondern, im Gegenteil, darin, dass die Arbeiter für nichts anderes Verständnis haben als für die unmittelbaren Bedürfnisse ihres Betriebes und dass sie die grossen Probleme der allgemeinen revolutionären Entwicklung der Arbeiterklasse nicht sehen. Die neue Organisationsform ist also weniger geeignet für den proletarischen Klassenkampf im ernstesten und weitesten Sinne des Wortes.
In Russland standen die allgemeinen grossen Probleme der revolutionären Entwicklung, das Problem des Staates, der Eroberung der Macht, jeden Moment auf der Tagesordnung, weil der zaristische feudale Staatsapparat ein für allemal unterminiert war und weil jede einzelne Arbeitergruppe durch ihre Stellung im sozialen Leben und durch den administrativen Druck jeden Augenblick vor diese Probleme gestellt war. Die opportunistischen Abweichungen stellten in Russland keine besondere Gefahr da, denn es fehlte die Basis für eine Korrumpierung der Arbeiterbewegung durch den kapitalistischen Staat, der mit der Waffe der demokratischen Konzessionen und der Illusionen der Arbeitsgemeinschaft gut umzugehen weiss.
Es besteht auch ein Unterschied praktischer Art.
Wir müssen natürlich der Organisation unserer Partei die Form geben, die am besten dazu geeignet ist, Repressalien Widerstand zu leisten. Wir müssen uns schützen gegen die Versuche der Polizei, unsere Partei aufzulösen. In Russland war eben die Betriebszellenorganisation die hierfür geeignetste Form, denn in den Strassen, in den Städten, im öffentlichen Leben war die Arbeiterbewegung durch äusserst strenge Massnahmen der Polizei unmöglich gemacht worden. Es war also materiell unmöglich, sich ausserhalb der Betriebe zu organisieren.
Nur im Betrieb konnten sich die Arbeiter versammeln, um unbemerkt ihre Fragen zu besprechen. Ausserdem war es nur der Betrieb, wo die Klassenprobleme auf den Boden des Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit aufgeworfen wurden.
Die kleinen, den Betrieb betreffenden wirtschaftlichen Fragen, z. B. die von Lenin aufgeworfene Frage der Geldbusse, waren vom historischen Standpunkte aus im Vergleich zu den liberalen Forderungen, die die Arbeiter und das Bürgertum gemeinsam gegen die Autokratie aufstellten – fortschrittliche Forderungen; aber im Verhältnis zur Frage der Eroberung der Macht im Kampf gegen die bürgerliche Demokratie als neue Staatsform – sind die unmittelbaren proletarischen Forderungen Probleme von untergeordneter Bedeutung. Da diese Frage der Eroberung der Macht aber erst nach dem Sturz des Zarismus gestellt werden konnte, so war es notwendig, den Mittelpunkt des Kampfes in den Betrieb zu verlegen, weil der Betrieb der einzige Boden war, auf dem sich die autonome proletarische Partei auswirken konnte.
Wenn in Russland die Bourgeoisie und die Kapitalisten die Verbündeten des Zaren waren, so waren sie doch zu gleicher Zeit auch diejenigen, die ihn stürzen mussten, die die Voraussetzung für den Zusammenbruch der autokratischen Gewalt darstellten. Darum hat es in Russland keine so vollständige Solidarität zwischen den Industriellen und dem Staat gegeben, wie in den modernen Ländern. In diesen Ländern besteht eine absolute Solidarität zwischen dem Staatsapparat und den Unternehmern, es ist ihr Staat, ihre Politiker. Es ist der Staatsapparat, der sich historisch als das Instrument des Kapitalismus erweist, der passende Organe schafft und sie den Arbeitgebern zur Verfügung stellt. Wenn ein Arbeiter im Betrieb den Versuch macht, andere Arbeiter zu organisieren, so ruft der Unternehmer nach der Polizei, er nimmt zur Spionage Zuflucht, usw. usw. Darum ist in den modernen kapitalistischen Ländern die Parteiarbeit im Betrieb sehr viel gefährlicher. Es fällt der Bourgeoisie leicht, die Arbeit der Partei im Betrieb aufzudecken. Darum schlagen wir vor, die grundlegenden Organisationen der Partei nicht in den Betrieb, sondern hinaus zu verlegen.
Ich will hier nur eine kleine Tatsache anführen. In Italien werden jetzt neue Polizeiagenten angeworben. Die Aufnahmebedingungen sind sehr streng. Denjenigen aber, die einen Beruf haben und im Betrieb arbeiten können, wird der Eintritt erleichtert. Das beweist, dass die Polizei Leute sucht, die fähig sind, in den verschiedenen Industrien zu arbeiten, um sich ihrer zur Aufdeckung der revolutionären Arbeit im Betrieb bedienen zu können.
Ausserdem haben wir erfahren, dass eine antibolschewistische internationale Vereinigung beschlossen hat, sich auf der Zellengrundlage zu organisieren, um der kommunistischen Bewegung das Gegengewicht zu halten.
Ein anderes Argument. Es ist hier gesagt worden, dass eine andere Gefahr in Erscheinung getreten ist, die Gefahr der Arbeiteraristokratie. Es ist klar, dass diese Gefahr charakteristisch ist für Perioden, in denen wir vom Opportunismus bedroht sind, der darauf ausgeht, eine gewisse Rolle in der Korrumpierung der Arbeiterbewegung zu spielen.
Der einfachste Weg aber für das Eindringen des Einflusses der Arbeiteraristokratie in unsere Reihen ist zweifelsohne die auf der Betriebszellengrundlage aufgebaute Organisation, denn im Betrieb ist unvermeidlicherweise der Einfluss des Arbeiters vorherrschend, der in der technischen Hierarchie der Arbeit einen höheren Rang einnimmt.
Aus all diesen Gründen und ohne daraus eine Frage des Prinzips zu machen, fordern wir, dass die Organisationsbasis der Partei – aus politischen und technischen Gründen – die territoriale Organisation bleibe.
Wollen wir etwa damit die Parteiarbeit im Betrieb vernachlässigen? Leugnen wir, dass die kommunistische Arbeit im Betrieb eine wichtige Basis für die Verbindung mit den Massen ist? Absolut nicht. Die Partei muss im Betrieb eine Organisation haben, aber diese Organisation darf nicht die Basis der Partei bilden. Es muss in den Betrieben Parteiorganisationen geben, die unter der politischen Führung der Partei stehen. Es ist unmöglich, eine Verbindung mit der Arbeiterklasse zu haben, wenn man im Betrieb keine Organisation hat, diese Organisation aber muss die kommunistische Fraktion sein.
Um meine Behauptung zu bekräftigen, will ich folgendes anführen: In Italien haben wir in der Zeit, in der es noch keinen Faschismus gab, ein solches Netz von Fraktionen geschaffen, und wir haben diese Tätigkeit als die für uns wichtigste betrachtet. Praktisch sind es die kommunistischen Fraktionen in Betrieben und Gewerkschaften, die der spezifischen Aufgabe, uns den Massen näherzubringen, immer entsprochen haben. Die Verbindung mit der Partei liefert diesen Arbeitsorganen die politischen und Klassenelemente im weitesten Sinne des Wortes, die ihre Impulse nicht nur aus dem engen Kreis der Branche und der Fabrik empfangen.
Wir sind also für ein Netz von kommunistischen Organisationen in den Betrieben, doch muss unseres Erachtens die politische Arbeit in territorialen Organisationen geleistet werden.
Ich kann hier nicht eingehen auf die Schlussfolgerungen, die man aus unserem Verhalten in dieser Frage während der Diskussion in Italien gezogen hat. Auf dem Kongress und in unseren Thesen haben wir die theoretische Frage über das Wesen der Partei eingehend entwickelt. Man hat behauptet unser Standpunkt sei kein Klassenstandpunkt; wir hätten verlangt, dass die Partei heterogene Elemente, wie z. B. Intellektuelle, eine grössere Tätigkeit entfalten lasse. Das ist nicht wahr. Wir bekämpfen die ausschliesslich auf der Betriebszellenbasis aufgebaute Organisation nicht, weil dadurch die Partei ausschliesslich aus Arbeitern zusammengesetzt wird. Was uns erschreckt, ist die Gefahr des Labourismus und Ouvrierismus, die die schlimmste antimarxistische Gefahr ist. Die Partei ist eine proletarische, weil sie sich auf dem historischen Wege der Revolution des Kampfes für die Endziele befindet, denen einzig und allein die Arbeiterklasse zustrebt. Das ist es, was die Partei zu einer proletarischen macht, nicht aber das automatische Kriterium ihrer sozialen Zusammensetzung. Der Charakter der Partei wird nicht kompromittiert durch die aktive Beteiligung aller derjenigen an ihrer Arbeit, die ihre Doktrin annehmen und für ihre Klassenziele kämpfen wollen.
Alles, was man auf diesem Gebiet zu Gunsten der Betriebszellen sagen kann, ist vulgäre Demagogie, die sich auf die Losung der Bolschewisierung stützt, uns aber direkt dazu führt, den Kampf des Marxismus und des Leninismus gegen die banalen mechanischen und defätistischen Auffassungen des Opportunismus und des Menschewismus zu verleugnen.
Ich gehe zu einer anderen Seite der Bolschewisierung über, zu der des inneren Regimes in der Partei und in der Kommunistischen Internationale.
Man hat da eine neue Entdeckung gemacht: was allen Sektionen fehlt, ist die eiserne bolschewistische Disziplin, von der die russische Partei uns ein Beispiel gibt.
Man erlässt ein absolutes Verbot gegen Fraktionen, und statuiert die Verpflichtung zur Teilnahme an der gemeinsamen Arbeit für alle Parteimitglieder, welche ihre Ansicht auch sei. Ich bin der Meinung, dass auch auf diesem Gebiet die Frage der Bolschewisierung in einer sehr demagogischen Art und Weise gestellt worden ist.
Wenn wir die Frage so stellen: kann es jedem x-beliebigen erlaubt sein, eine Fraktion zu bilden?, so wird jeder Kommunist mit nein antworten, aber in dieser Weise kann die Frage nicht gestellt werden. Es liegen bereits Resultate vor, die uns zeigen, dass die angewandten Methoden weder der Partei noch der Internationale dienlich waren. Diese Frage der inneren Disziplin und der Fraktionen muss vom marxistischen Standpunkte aus etwas anders und viel komplizierter gestellt werden. Man sagt uns: was wollt ihr? Wollt ihr, dass die Partei einem Parlament ähnlich sehe, wo jedermann das demokratische Recht hat, um die Macht zu kämpfen oder die Mehrheit zu gewinnen?
So ist aber die Frage falsch gestellt; wird sie so gestellt, dann ist nur eine Antwort möglich; natürlich wären wir geben ein solches lächerliches Regime.
Es ist eine Tatsache, dass wir eine absolut einige Kommunistische Partei, ohne Meinungsverschiedenheiten und ohne verschiedene Gruppierungen im Innern haben müssen. Aber diese Behauptung ist kein Dogma kein Prinzip a priori. Es handelt sich um ein Ziel, das erkämpft werden muss und das erkämpft werden kann im Laufe der Entwicklung, die zur Bildung einer wahrhaften kommunistischen Partei führt, und zwar nur, wenn alle ideologischen, taktischen und organisatorischen Fragen richtig gestellt und richtig gelöst werden. Innerhalb der Arbeiterklasse bestimmen die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen die verschiedenen Gruppierungen leben, die Aktionen und die Initiative im Klassenkampf. Der politischen Partei fällt die Rolle zu, all das zu sammeln und zu vereinheitlichen, was diese Aktionen vom Standpunkte der revolutionären Ziele der Arbeiterklasse der ganzen Welt miteinander gemein haben. Die Einigkeit innerhalb der Partei, das Aufhören innerer Meinungsverschiedenheiten, das Verschwinden fraktioneller Kämpfe werden den Beweis liefern, dass die Partei sich auf bestem Wege befindet, ihre Aufgaben richtig zu erfüllen. Wenn aber Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind, so beweist das, dass die Politik der Partei Fehler aufweist, dass sie nicht die Fähigkeit besitzt, die Tendenzen zur Entartung der Arbeiterbewegung, die bei gewissen Wendepunkten in der allgemeinen Lage aufzutreten pflegen, rücksichtslos zu bekämpfen. Wenn es Fälle von Disziplinlosigkeit gibt, so ist das ein Symptom, dass ein solcher Mangel in der Partei noch vorhanden ist. Die Disziplin ist also ein Resultat, nicht aber ein Ausgangspunkt, nicht eine Art von Plattform, die man sich als unerschütterlich vorstellen kann. Das steht ausserdem im Zusammenhang mit dem freiwilligen Charakter des Beitritts zu unserer Parteiorganisation. Darum kann eine Art von Strafkodex der Partei nicht ein Heilmittel gegen die häufigen Fälle von Disziplinlosigkeit sein. Man hat in letzter Zeit in unseren Parteien ein Terrorregime errichtet, eine Art von Sport, der darin besteht, zu intervenieren, zu strafen, zu vernichten und das alles mit einem ganz besonderen Vergnügen, als ob gerade das das Ideal des Parteilebens wäre. Die Helden dieser brillanten Operationen scheinen sogar zu glauben, das sei der Beweis revolutionärer Fähigkeit und Energie. Ich dagegen glaube, dass die wirklichen, die guten Revolutionäre im allgemeinen die Genossen sind, die als Objekt dieser Ausnahmemassnahmen dienen, und die sie geduldig ertragen, um die Partei nicht kaputtzuschlagen. Ich bin der Meinung, dass diese Art der Energievergeudung, dieser Sport, dieser Kampf innerhalb der Partei nichts zu tun hat mit der revolutionären Arbeit, die wir zu leisten haben. Eines Tages wird es sich darum handeln, den Kapitalismus zu treffen und zu vernichten, und auf diesem Gebiet wird unsere Partei den Beweis ihrer revolutionären Energie zu liefern haben. Wir wollen in der Partei keinen Anarchismus, aber wir wollen auch kein Regime anhaltender Repressalien, das nur die Verneinung der Einheit und der Festigkeit der Partei ist.
Augenblicklich ist der Standpunkt folgender: die vorhandene Zentrale wird immer bestehen; sie kann tun, was sie will, denn sie hat immer recht, wenn sie Massnahmen ergreift gegen den, der ihr widerspricht, wenn sie Intrigen und Oppositionen »ausrottet«.
Das Verdienst besteht nicht darin, Rebellionen zu unterdrücken, die Hauptsache ist, dass es keine Rebellionen gibt. An den erzielten Resultaten kann man die Einheit der Partei erkennen, nicht aber am Regime der Drohungen und des Terrors. Wir brauchen in unseren Statuten Sanktionen, das ist klar. Sie müssen aber angewandt werden auf Ausnahmefälle, sie dürfen nicht zu einem normalen und allgemeinen Verfahren innerhalb der Partei werden. Wenn es Elemente gibt, die offensichtlich den gemeinsamen Weg verlassen, dann müssten gegen sie Massnahmen angewandt werden. Wenn aber in einer Gesellschaft die Inanspruchnahme der Strafkoden zu einer Regel wird, so ist diese Gesellschaft nicht gerade die vollkommenste. Sanktionen dürfen nur in Ausnahmefällen angewandt werden, nicht aber eine Regel, ein Sport, das Ideal der Parteiführer sein. Das muss anders werden, wenn wir einen soliden Block im wahren Sinne des Wortes bilden wollen.
Die hier vorgelegten Thesen enthalten hierüber einige gute Sätze. Man hat die Absicht, etwas mehr Freiheit zu geben. Das kommt vielleicht etwas spät. Man glaubt vielleicht, dass man den »Niedergetretenen«, die sich nicht mehr rühren können, etwas mehr Freiheit, geben könne. Aber lassen wir die Thesen und betrachten wir die Tatsachen. Man hat stets gesagt, dass unsere Parteien auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus aufgebaut sein müssen. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir für Demokratie einen anderen Ausdruck fänden. Aber diese Formel ist von Lenin gegeben. Wie verwirklicht man den demokratischen Zentralismus? Mit Hilfe der Wählbarkeit der Genossen, der Befragung der Parteimassen bei der Lösung gewisser Fragen. Natürlich kann es für eine revolutionäre Partei Ausnahmen von dieser Regel geben. Es ist für das Parteiregime zulässig, dass eine Zentrale manchmal sagt: Genossen, normalerweise müsste die Partei Euch befragen, aber da im Kampf gegen unseren Feind gerade ein gefährlicher Moment eingetreten ist, da es keine Minute zu verlieren gibt, so handeln wir, ohne euch zu befragen.
Was aber gefährlich ist, das ist, den Schein einer Befragung zu erwecken, wo es sich um ein Verfahren von oben handelt, die Tatsache auszunutzen, dass die Zentrale den gesamten Parteiapparat und die Presse in ihren Händen hält. Wir haben in Italien gesagt, dass wir die Diktatur anerkennen, wir hassen aber diese »Giolitti«-Methoden. Ist denn nicht auch die bürgerliche Demokratie nur ein Mittel des Betrugs? Ist es vielleicht diese Demokratie, die ihr uns in der Partei zugesteht und die ihr verwirklichen wollt? Dann wäre eine Diktatur zu bevorzugen, die den Mut hat, sich nicht heuchlerisch zu maskieren. Eine wirkliche demokratische Form muss eingeführt werden, d. h. eine Demokratie, die der Zentrale gestattet, den Parteiapparat im guten Sinne auszunutzen. Sonst muss es Missstimmung und Unzufriedenheit, besonders in Arbeiterkreisen, geben. Wir brauchen ein gesünderes Regime in der Partei. Es ist absolut notwendig, dass man der Partei die Möglichkeit gibt, sich eine Meinung zu bilden und diese Meinung offen zu bekennen. Ich habe auf dem italienischen Parteitag gesagt, dass der begangene Fehler darin besteht, dass man innerhalb der Partei keinen klaren Unterschied gemacht hat zwischen der Agitation und der Propaganda. Die Agitation wird getrieben unter einer grossen Masse von Individuen, denen einige sehr einfache Ideen klar gemacht werden, während die Propaganda eine verhältnismässig geringe Zahl von Genossen erfasst, denen man eine grössere Zahl komplizierterer Ideen auseinandersetzt. Der begangene Fehler besteht darin, dass man innerhalb der Partei nur einfach Agitation betrieben hat; man hat prinzipiell die Massen der Parteimitglieder als minderwertig betrachtet, man hat sie behandelt als Elemente, die man in Bewegung setzen kann, nicht aber als Faktor gemeinsamer Arbeit. Man kann bis zu einem gewissen Grade die Agitation auf Grund einstudierter Formeln verstehen, wenn es gilt, die grössten Wirkungen mit dem geringsten Kraftaufwand zu erzielen, wenn grosse Massen in Bewegung gesetzt werden sollen, wo der Faktor des bewussten Wollens nur eine beschränkte Rolle spielt. Mit der Partei steht die Sache aber anders. Wir verlangen, dass man mit dieser Agitationsmethode innerhalb der Partei aufhört. Die Partei muss denjenigen Teil der Arbeiterklasse um sich sammeln, der ein Klassenbewusstsein hat und in dem Klassenbewusstsein herrscht; wenigstens, wenn ihr nicht die Theorie der Auserwählten aufstellt, was früher als eine der gegen uns erhobenen unbegründeten Beschuldigungen gedient hat. Es ist notwendig, dass die grosse Masse der Parteimitglieder sich ein gemeinsames politisches Bewusstsein ausarbeitet und dass sie die Probleme, die die Kommunistische Partei sich stellt, studiert. In diesem Sinne ist es dringend notwendig, das innere Parteiregime zu ändern.
Nun zu den Fraktionen. Meiner Ansicht nach kann die Frage der Fraktionen nicht vom moralischen, strafgesetzlichen Standpunkt gestellt werden. Gibt es in der Geschichte ein Beispiel dafür, dass ein Genosse eine Fraktion gegründet hatte, um sich zu amüsieren? Das hat es nie gegeben. Gibt es ein Beispiel dafür, dass der Opportunismus tatsächlich durch die Fraktion in die Partei eingedrungen wäre, dass die Organisation von Fraktionen als Basis für eine Mobilisierung der Arbeiterklasse gedient hätte und dass die revolutionäre Partei gerettet worden wäre durch die Intervention der Fraktionstöter? Nein, die Erfahrung zeigt, dass der Opportunismus stets unter dem Schein der Einigkeit in unsere Reihen eindringt. Es liegt in seinem Interesse, eine möglichst grosse Klasse zu beeinflussen, er macht seine gefährlichen Vorschläge stets hinter dem Schein der Einigkeit. Die Geschichte der Fraktionen zeigt im allgemeinen, dass die Fraktionen nicht den Parteien Ehre machen, innerhalb deren sie sich bilden, dafür aber den Genossen, die sie bilden. Die Geschichte der Fraktionen ist die Geschichte Lenins, es ist nicht die Geschichte der Anschläge auf die revolutionären Parteien, sondern die Geschichte ihrer Kristallisierung und ihrer Verteidigung gegen opportunistische Einflüsse.
Wenn sich eine Fraktion zu bilden versucht, so muss man Beweise haben, um sagen zu können, dass dies direkt oder indirekt ein bürgerliches Manöver sei, um in die Partei einzudringen. Ich glaube nicht, dass ein solches Manöver im allgemeinen diese Form annimmt. Auf dem italienischen Parteitag haben wir die Frage in Beziehung auf die Linken in unserer Partei gestellt. Wir kennen die Geschichte des Opportunismus. Wann wird eine Gruppe zur Vertreterin des bürgerlichen Einflusses in einer proletarischen Partei? Diese Gruppierungen haben im allgemeinen unter den Gewerkschaftsfunktionären oder den Parlamentsvertretern der Partei einen dankbaren Boden gefunden.
Oder es handelt sich um eine Gruppe, die in Fragen der Strategie und der Taktik der Partei die Arbeitsgemeinschaft der Klassen, Bündnisse mit anderen sozialen und politischen Gruppen vorschlägt. Wenn man von Fraktionen spricht, die vernichtet werden müssen, so müsste man mindestens nachweisen können, dass es sich um eine Verbindung mit dem Bürgertum oder mit bürgerlichen Kreisen oder vielleicht um persönliche Beziehungen handelt. Wenn eine solche Analyse nicht möglich ist, dann ist es notwendig, die historischen Ursachen der Entstehung der Fraktion zu suchen und diese nicht von vornherein zu verdammen. Die Entstehung einer Fraktion zeigt, dass irgend etwas nicht in Ordnung ist. Um dem Übel abzuhelfen muss man den historischen Ursachen nachgehen, die den Missstand hervorgerufen und die Bildung der Fraktion oder die Tendenz hierzu bestimmt haben. Die Ursachen liegen in den ideologischen und politischen Fehlern der Partei. Die Fraktionen sind nicht die Krankheit sondern nur das Symptom, und wenn man den kranken Organismus pflegen will, darf man nicht die Symptome bekämpfen, sondern man muss versuchen die Ursachen der Krankheit zu erforschen. Ausserdem handelte es sich in den meisten Fällen um Gruppen von Genossen, die keinen Versuch machten, eine Organisation oder ähnliches zu schaffen. Es handelte sich um Ansichten, um Tendenzen, die sich in der normalen, regelmässigen und kollektiven Parteitätigkeit Bahn zu brechen suchten. Durch die Methode der Jagd auf Fraktionen, der Skandalkampagnen, der polizeilichen Beaufsichtigung und des Misstrauens gegen Genossen, eine Methode, die in Wirklichkeit den schlimmsten Fraktionismus darstellt, der sich in den obersten Parteischichten breit macht, hat man den Zustand unserer Bewegung nur verschlimmert und jede sachliche Kritik auf den Weg des Fraktionismus gestossen.
Mit solchen Mitteln kann nicht die Einheit innerhalb der Partei geschaffen werden, sondern nur ein Regime, das die Partei unfähig und ohnmächtig macht. Eine tiefgreifende Änderung der Arbeitsmethoden ist absolut notwendig. Wenn wir all dem nicht ein Ende machen, so werden die Folgen sehr schwerwiegend sein.
Ein Beispiel haben wir in der Krise der französischen Partei. Wie ist man in der französischen Partei gegen die Fraktionen vorgegangen? Sehr schlecht z. B. in der Frage der syndikalistischen Fraktion, die in Entstehung begriffen ist. Bestimmte aus der Partei ausgeschlossene Genossen sind zu ihrer ersten Liebe zurückgekehrt, sie geben eine Zeitung heraus, in der sie ihre Ideen entwickeln. Es ist klar, dass sie im Unrecht sind. Aber die Ursachen dieser schwerwiegenden ideologischen Abweichung sind nicht zu suchen in den Kaprizen der bösen Kinder Rosmer und Monatte. Sie sind vielmehr zu suchen in den Fehlern der französischen Partei und der gesamten Internationale.
Nachdem wir auf theoretischem Boden gegen die syndikalistischen Fehler in den Kampf gezogen sind, ist es uns gelungen, breite Arbeitermassen dem Einfluss syndikalistischer und anarchistischer Elemente zu entziehen. Jetzt stellen sich diese Auffassungen wieder ein. Warum? Auch weil das innere Regime der Partei, der übertriebene Machiavellismus, einen schlechten Eindruck auf die Arbeiterklasse gemacht und das Wiederauftauchen dieser Theorien wie auch des Vorurteils, dass die politische Partei etwas schmutziges sei und dass nur der wirtschaftliche Kampf die Arbeiterklasse retten könne, ermöglicht hat.
Diese Grundirrtümer drohen im Proletariat wieder aufzukommen, weil die Internationale und die kommunistischen Parteien nicht imstande gewesen sind, durch Tatsachen und durch einfache theoretische Deklarationen den Beweis zu liefern, welch wesentlicher Unterschied besteht zwischen einer Politik im revolutionären und leninistischen Sinne und der Politik der alten sozialdemokratischen Parteien, deren Entartung vor dem Kriege den Syndikalismus als Reaktion hervorgerufen hatte.
Im französischen Proletariat haben die alten Theorien von der wirtschaftlichen Aktion und gegen jede politische Tätigkeit gewisse Erfolge zu verzeichnen, und zwar, weil in der politischen Linie der Kommunistischen Partei eine ganze Reihe von Fehlern zugelassen worden sind.
SEMARD: Sie sagen, dass die Fraktion ihre Ursachen in den Fehlern der Parteileitung haben. Die rechte Fraktion in Frankreich bildet sich gerade im Moment, in dem die Zentrale ihre Fehler anerkennt und sie korrigiert.
BORDIGA: Genosse Semard, wenn Sie vor dem lieben Gott erscheinen wollen nur mit dem Verdienst, Ihre eigenen Fehler anerkannt zu haben, so werden Sie für das Heil Ihrer Seele zu wenig getan haben.
Genossen, ich glaube, dass es notwendig ist, durch unsere Strategie und durch unsere proletarische Taktik den Fehler nachzuweisen, den diese anarcho-syndikalistischen Elemente begehen.
In der Arbeiterklasse ist jetzt der Eindruck erweckt worden, dass in der Kommunistischen Partei die gleichen Mängel bestehen, wie in den übrigen politischen Parteien, und darum hegt sie ein gewisses Misstrauen gegen unsere Partei. Dieses Misstrauen beruht auf den Methoden und Manövern, die in unseren Reihen Anwendung finden. Es hat den Anschein, als handelten wir nicht nur gegenüber der Aussenwelt, sondern auch im inneren politischen Parteileben so, als ob gute »Politik« eine Kunst, eine Technik wäre, die allen Parteien eigen ist. Es scheint, als arbeitete man mit einem machiavellistischen Leitfaden über politische Geschicklichkeit in der Tasche. Die Partei der Arbeiterklasse hat aber die Aufgabe, eine neue Form der Politik einzuführen, die nichts zu tun hat mit den hinterlistigen und niedrigen Methoden des bürgerlichen Parlamentarismus. Wenn das dem Proletariat nicht bewiesen wird, so wird es uns nie gelingen, einen starken und nützlichen Einfluss zu gewinnen, die Anarcho-Syndikalisten aber werden gewonnenes Spiel haben.
Was die rechte Fraktion in Frankreich anbetrifft, so zögere ich nicht zu sagen, dass ich sie im allgemeinen als eine gesunde Erscheinung betrachte und nicht als einen Beweis für das Eindringen kleinbürgerlicher Elemente in die Partei. Die Theorie und die Taktik, die sie vertritt, sind falsch, aber sie ist eine zum Teil sehr nützliche Reaktion gegen die politischen Fehler und das schlechte Regime der Parteileitung. Es ist aber nicht nur die Zentrale der französischen Partei, die die Verantwortung für diese Fehler trägt. Es ist die Gesamtlinie der Internationale, die die Bildung von Fraktionen verursacht. Gewiss, was die Frage der Einheitsfront anbetrifft, so befinde ich mich im absoluten Gegensatz zum Standpunkt der französischen Rechten, aber meiner Meinung nach ist es richtig, wenn man sagt, dass die Beschlüsse des 5. Kongresses nicht klar und absolut unbefriedigend seien. Man lässt in verschiedenen Fällen die Einheitsfront von oben zu, man fügt aber hinzu, dass die Sozialdemokratie der linke Flügel der Bourgeoisie sei, und dass man sich das Ziel setzen müsse, ihre Führer zu entlarven. Das ist ein unhaltbarer Standpunkt. Die französischen Arbeiter sind einer solchen Anwendung der Einheitsfronttaktik, wie sie in Frankreich durchgeführt worden ist, müde. Aber natürlich befinden sich verschiedene Führer der französischen Opposition auf einem falschen Wege, der dem wirklich revolutionären Weg diametral entgegengesetzt ist, wenn sie ihre Schlussfolgerungen im Sinne einer »loyalen« Einheitsfront und der Koalition mit der Sozialdemokratie ziehen.
Natürlich, wenn man das Problem der Rechten auf die Frage beschränkt, ob man an einer Zeitschrift, die ausserhalb der Kontrolle der Partei steht, mitarbeiten dürfe, so kann es nur eine Antwort geben. Aber das ist kein Ausweg. Man muss versuchen, die Fehler zu verbessern und die politische Linie der französischen Partei, und in vielen Fragen auch der Internationale, gewissenhaft zu überprüfen. Man wird das Problem nicht lösen, wenn man gegen die Opposition, gegen Loriot usw. die Regeln eines kleinen Katechismus über persönliches Betragen in Anwendung bringt.
Um die Fehler zu verbessern, genügt es nicht, die Köpfe abzuschneiden, man muss danach streben, die ursprünglichen Fehler zu finden, die die Bildung von Fraktionen verursachen und fördern.
Man sagt uns: um die Fehler in unserer Bolschewisierungsmaschine zu finden, gibt es die Internationale; es ist die Mehrheit der Internationale, die einzuschreiten hat, wenn eine Parteizentrale schwerwiegende Fehler verübt. Das soll eine Garantie gegen Abweichungen innerhalb der nationalen Sektionen geben. In der Praxis hat dieses System versagt. Wir haben in Deutschland das Beispiel eines solchen Einschreitens von seiten der Internationale gehabt. Die Zentrale der KPD war allmächtig geworden und machte jede Opposition in der Partei unmöglich, und trotzdem hat es jemand über ihr gegeben, der in einem bestimmten Moment alle Verbrechen und alle von dieser Zentrale begangenen Fehler bestraft hat –, das war die Moskauer Exekutive mit ihrem Offenen Brief. Ist das eine gute Methode? Nein, sicherlich nicht. Welchen Widerhall findet eine solche Aktion? Ein Beispiel dafür hatten wir in Italien während unserer Diskussion zum italienischen Parteitag. Ein guter, vollkommen orthodoxer Genosse wird zum deutschen Parteitag entsandt. Er sieht, dass alles gut geht, dass die erdrückende Mehrheit für die Thesen der Internationale stimmt, dass in vollständigem Einvernehmen, mit Ausnahme einer Minderheit, von der man absehen kann, die neue Zentrale gewählt wird. Der italienische Delegierte kommt zurück und macht einen für die deutsche Partei sehr günstigen Bericht. Er schreibt einen Artikel, in dem er sie den italienischen Genossen von der Linken gegenüber darstellt als das Muster einer bolschewistischen Partei. Es ist möglich, dass daraufhin mehrere Genossen von unserer Opposition Anhänger der Bolschewisierung geworden sind. Zwei Wochen später aber kommt der Offene Brief der Exekutive… Man erfährt, dass das innere Leben der deutschen Partei sehr schlecht ist, dass es eine Diktatur gibt, dass die gesamte Taktik vollkommen falsch sei, dass man schwere Fehler begangen habe, dass es starke Abweichungen gibt, dass die Ideologie keine leninistische sei. Man vergisst, dass die deutsche Linke auf dem 5. Kongress zur vollkommensten bolschewistischen Parteizentrale proklamiert worden ist, und mitleidslos wird sie gestürzt. Man wendet auf sie die gleiche Methode an, die man früher der Rechten gegenüber angewandt hat. Auf dem 5. Kongress war die Parole: »Es ist Brandlers Schuld«, jetzt sagt man: »Es ist Ruth Fischers Schuld«. Ich behaupte, dass man auf diese Weise die Sympathie der Arbeitermassen nicht gewinnen kann. Man kann nicht sagen, dass ein paar Genossen an den begangenen Fehlern schuld seien. Die Internationale war ja da, die die Entwicklung der Ereignisse verfolgte, und sie konnte und durfte weder die Eigenschaften der Führer noch ihre politischen Handlungen ignorieren. Man wird jetzt sagen, dass ich die deutsche Linke verteidige, wie man auf dem 5. Kongress gesagt hat, ich verteidigte die Rechte. Aber ich solidarisiere mich politisch weder mit der einen noch mit der anderen, ich bin nur der Meinung, dass in beiden Fällen die Internationale die Verantwortung für die begangenen Fehler übernehmen müsse, die Internationale, die sich mit diesen Gruppen vollkommen solidarisiert, die sie als die beste Führung dargestellt und ihnen die Partei anvertraut hatte.
Das Einschreiten des EKKI gegen die Parteizentralen ist also verschiedentlich wenig glücklich gewesen. Die Frage ist die: wie arbeitet die Internationale, welches sind ihre Beziehungen zu den nationalen Sektionen und wie werden deren leitende Organe gewählt?
Ich habe bereits auf dem letzten Kongress an unseren Arbeitsmethoden Kritik geübt. In unseren höchsten Organen und auf unseren Kongressen fehlt die kollektive Zusammenarbeit. Das höchste Organ erscheint als etwas den Sektionen Fremdes, das mit ihnen diskutiert und das aus der Mitte einer jeden Sektion eine Fraktion wählt, die es unterstützt. In jeder Frage wird dieses Zentrum von allen übrigen Sektionen unterstützt, die sich dadurch eine bessere Behandlung zu sichern hoffen, wenn an sie die Reihe kommt. Es sind manchmal sogar rein persönliche Führergruppen, die sich auf den Boden dieses »Kuhhandels« stellen. Es wird uns gesagt: die internationale Leitung ist uns gegeben durch die Hegemonie der russischen Partei, da sie es ist, die die Revolution gemacht hat, da sich in dieser Partei der Sitz der Internationale befindet. Darum ist es richtig, dass man den von der russischen Partei inspirierten Beschlüssen grundlegende Bedeutung beimisst. Da stellt sich aber die Frage ein: wie werden die internationalen Probleme von der russischen Partei gelöst? Wir alle haben das Recht, danach zu fragen.
Seit den letzten Ereignissen, seit der letzten Diskussion, ist dieser Stützpunkt des gesamten Systems nicht mehr genügend stabil. In der letzten Diskussion der russischen Partei haben wir gesehen, dass Genossen, die sich auf die gleiche Kenntnis des Leninismus beriefen, die das gleiche unbestreitbare Recht hatten, im Namen der revolutionären bolschewistischen Tradition zu sprechen, miteinander diskutierten, wobei sich einer gegen den andern Leninscher Zitate bediente und die russische Erfahrung zu seinen Gunsten auslegte. Ohne auf den Inhalt der Diskussion einzugehen, will ich hier diese unleugbare Tatsache feststellen.
Wer wird in Anbetracht dieser Lage als letzte Instanz über die internationalen Probleme entscheiden? Man kann nicht mehr antworten: die alte bolschewistische Garde, denn in der Praxis lässt diese Antwort die Fragen unentschieden. Das ist der erste Stützpunkt des Systems, der sich unserer objektiven Forschung entzieht. Daraus folgt aber, dass die Lösung eine ganz andere sein muss. Wir können unsere internationale Organisation mit einer Pyramide vergleichen. Diese Pyramide muss einen Gipfel haben und gerade Linien, die diesem Gipfel zustreben. Dadurch wird die Einheit und die notwendige Zentralisation dargestellt. Aber heute stützt sich, dank unserer Taktik, unsere Pyramide gefährlicherweise auf ihren Gipfel, man muss also die Pyramide umkehren, was jetzt unten ist, muss oben werden, man muss sie auf ihre Basis stellen, damit sie sich im Gleichgewicht befindet. Die Schlussfolgerung, zu der wir in der Frage der Bolschewisierung gelangen, ist also die, dass nicht einfache Änderungen sekundärer Ordnung vorzunehmen sind, sondern dass das gesamte System von Grund auf zu ändern ist.
Nachdem ich so die Bilanz der vergangenen Aktion der Internationale gezogen habe, will ich übergehen zur Beurteilung der jetzigen Lage und der Aufgaben der Zukunft. Wir alle stimmen dem zu, was im allgemeinen über die Stabilisierung gesagt worden ist, so dass es nicht notwendig ist, noch einmal darauf zurückzukommen. Die Zersetzung des Kapitalismus befindet sich in einer weniger akuten Phase. Die Konjunktur hat im Rahmen der allgemeinen Krise des Kapitalismus gewisse Schwankungen durchgemacht.
Wir haben stets die Perspektive des endgültigen Zerfalls des Kapitalismus vor uns. Aber wenn man diese Frage der Perspektive stellt, so begeht man meines Erachtens einen Schätzungsfehler. Es gibt verschiedene Arten an das Problem der Perspektive heranzugehen.
Meiner Meinung nach hat Genosse Sinowjew hier an sehr nützliche Dinge erinnert, als er von der zweifachen Perspektive des Genossen Lenin sprach.
Wenn wir eine wissenschaftliche Gesellschaft zum Studium der sozialen Ereignisse wären, so könnten wir zu mehr oder weniger optimistischen Schlussfolgerungen gelangen, ohne den Ereignissen irgendwie näherzutreten. Aber diese rein wissenschaftliche Perspektive genügt nicht für eine revolutionäre Partei, die an allen Ereignissen teilnimmt, die selbst einer ihrer Faktoren ist und die nicht in metaphysischer Weise ihre Funktion zerlegen kann: einerseits in die genaue Kenntnis der Funktion, andererseits in den Willen und die Tat. Darum ist notwendig, stets die revolutionäre Perspektive vor Augen zu haben, selbst, wenn das wissenschaftliche Urteil uns zu pessimistischen Schlussfolgerungen zwingt. Es ist nicht die banale Frage eines wissenschaftlichen Fehlers, dass Marx 1848 – 1859 – 1870 die Revolution erwartet hatte und dass Lenin sie nach 1901 für 1907, d. h. zehn Jahre vor ihrem Triumph, prophezeite. Das ist sogar ein Beweis für den scharfen revolutionären Blick dieser grossen Führer. Es handelt sich auch nicht um eine kindische Übertreibung, die ständig die Revolution an die Tür pochen hört, es handelt sich um die wirkliche revolutionäre Fähigkeit, die trotz aller Schwierigkeiten der Entwicklung intakt bleibt. Die Frage der Perspektive ist eine für unsere Parteien sehr interessante Frage, man musste es verstehen, ihr auf den Grund zu gehen. Da halte ich es für unzulässig, dass man behauptet: die Konjunktur hat sich in einem gewissen, für uns ungünstigen Sinne geändert, wir haben nicht mehr die Lage von 1920 – das erklärt und rechtfertigt die innere Krise in verschiedenen Sektionen und in der Internationale. Das kann uns wohl dazu verhelfen, die Ursachen gewisser Fehler zu erklären, rechtfertigt sie aber nicht. Vom politischen Standpunkt aus genügt das nicht. Wir dürfen das jetzige mangelhafte Regime in unseren Parteien nicht resigniert als unabänderlich betrachten, weil die äussere Konjunktur für uns ungünstig ist. So ist die Frage nicht richtig gestellt. Es ist klar, dass, wenn unsere Partei ein Faktor der Ereignisse ist, sie gleichzeitig auch deren Produkt ist. Selbst wenn es uns gelingt, eine wirklich revolutionäre Weltpartei zu haben. In welchem Sinne reflektieren sich die Ereignisse in dieser Partei? In dem Sinne, dass unsere Mitgliederzahl steigt und unser Einfluss auf die Massen wächst, wenn die Krise des Kapitalismus eine für uns günstige Lage schafft. Wenn aber in einem bestimmten Moment die Konjunktur für uns ungünstig wird, so ist es möglich, dass unsere Kräfte zahlenmässig sinken, doch darf darunter unsere Ideologie nicht leiden; nicht nur unsere Tradition, unsere Organisation, sondern auch die politische Linie müssen intakt bleiben. Wenn wir glauben, dass man, um die Parteien für ihre revolutionäre Aufgabe vorzubereiten, die Lage der fortschreitenden Krise des Kapitalismus ausnutzen muss, so bilden wir uns ein Schema ganz falscher Perspektiven, denn dann halten wir die Periode einer langen und fortschreitenden Krise für notwendig zur Festigung unserer Partei; wenn wir aber soweit sind, so wird die wirtschaftliche Lage uns das Vergnügen machen müssen, auch weiterhin revolutionär zu bleiben, damit wir zur Aktion übergehen können. Wenn nach einer Periode unsicherer Konjunktur die Krise sich plötzlich verschärft, so werden wir unfähig sein, sie auszunutzen. Denn unsere Parteien werden sich infolge der falschen Art, die Dinge zu sehen, unvermeidlich in einem Zustand der Verwirrung und der Ohnmacht befinden.
Das zeigt, dass man es nicht versteht, die Erfahrung des Opportunismus in der II. Internationale richtig auszunutzen. Es kann nicht geleugnet werden, dass es vor dem Weltkriege eine Periode der Blüte des Kapitalismus gegeben hat, und dass die Konjunktur für den Kapitalismus gut war.
Das erklärt in einem gewissen Sinne die opportunistische Zersetzung der I. Internationale, aber es rechtfertigt den Opportunismus nicht. Wir haben diese Idee bekämpft und es abgelehnt, zu glauben, dass der Opportunismus eine notwendige und durch die Ereignisse historisch bestimmte Tatsache sei, Wir haben den Standpunkt vertreten, dass die Bewegung Widerstand bieten müsse, und die marxistische Linke hat auch vor 1911 gegen den Opportunismus gekämpft und gesunde und revolutionäre proletarische Parteien gefordert.
Die Frage muss anders gestellt werden. Selbst wenn die Konjunktur und die Perspektiven für uns ungünstig oder relativ ungünstig sind, so darf man doch die opportunistischen Abweichungen nicht resigniert zugeben und rechtfertigen unter dem Vorwand, dass ihre Ursachen in der objektiven Lage zu suchen seien. Und wenn trotzdem eine innere Krise eintritt, so müssen ihre Ursachen und die Mittel zur Abhilfe anderswo gesucht werden, und zwar in der Arbeit und in der politischen Linie der Partei, die jetzt noch nicht das gewesen sind, was sie hätten sein sollen. Das bezieht sich auch auf die Frage der Führer, die Genosse Trotzki in der Vorrede zu seinem Buch »1917« in seiner Analyse der Ursachen unserer Niederlagen stellt und mit deren Lösung ich mich vollkommen solidarisiere. Trotzki spricht nicht von den Führern in dem Sinne, dass wir die vom Himmel dazu bestimmten Männer brauchen. Nein, er stellt die Frage ganz anders. Auch die Führer sind ein Produkt der Tätigkeit der Partei, der Arbeitsmethoden der Partei und des Vertrauens, das die Partei zu erwerben verstanden hat. Wenn die Partei trotz der wechselnde und manchmal ungünstigen Lage die revolutionäre Linie verfolgt und opportunistische Abweichungen bekämpft, so vollzieht sich die Auswahl der Führer, die Bildung des Generalstabes in günstiger Weise, und in der Periode des Endkampfes wird es uns gelingen, wohl nicht immer einen Lenin zu haben, doch aber eine solide und mutige Leitung, – worauf heute, im jetzigen Zustand unserer Organisation, noch sehr wenig zu hoffen ist.
Es gibt noch ein anderes Schema von Perspektiven, das bekämpft werden muss und mit dem wir es zu tun haben, wenn wir von der rein ökonomischen Analyse übergehen zur Analyse der sozialen und der politischen Kräfte. Man ist im allgemeinen der Ansicht, dass wir als eine politisch für unseren Kampf günstige Lage diejenige betrachten müssen die gegeben ist durch eine Regierung der kleinbürgerlichen Linken. Dieses falsche Schema steht vor allem im Widerspruch zum ersten, denn meist wählt die Bourgeoisie in einer Zeit wirtschaftlicher Krise eine Regierung aus Rechtsparteien, um eine reaktionäre Offensive unternehmen zu können, d. h. die objektiven Bedingungen werden für uns wieder ungünstig. Um zu einer marxistischen Lösung des Problems zu gelangen, ist es notwendig, auf diese Gemeinplätze zu verzichten.
Es ist im allgemeinen nicht richtig, dass eine Regierung der bürgerlichen Linken für uns günstig sei: das Gegenteil kann der Fall sein. Die historischen Beispiele zeigen uns, wie unsinnig es ist, uns einzubilden, dass, um uns unsere Aufgabe zu erleichtern, sich eine Regierung aus den sogenannten Mittelklassen bilden würde, mit einem liberalen Programm, das uns erlaubt, den Kampf gegen einen geschwächten Staatsapparat zu organisieren.
Auch hier haben wir es mit dem Einfluss einer falschen Auslegung der russischen Erfahrung zu tun. In der Februarrevolution 1917 ist der erste Staatsapparat gefallen, es hat sich eine Regierung gebildet, die sich auf die Parteien der liberalen Bourgeoisie und des Kleinbürgertums stützte. Doch ist kein solider Staatsapparat entstanden, der die zaristische Autokratie durch die wirtschaftliche Vorherrschaft des Kapitals und eine moderne parlamentarische Vertretung ersetzt hätte. Bevor sich ein solcher Apparat organisieren konnte, ist es dem von der Kommunistischen Partei geführten Proletariat gelungen, die Regierung mit Erfolg anzugreifen. Nun könnte man glauben, dass die Dinge in den anderen Ländern den gleichen Verlauf nehmen würden, dass die Regierung eines schönen Tages aus den Händen der bürgerlichen Parteien in die Hände der Mittelparteien übergeht, dass der Staatsapparat dadurch geschwächt wird, so dass es dem Proletariat leicht fallen muss, ihn zu stürzen. Aber diese vereinfachte Perspektive ist vollkommen falsch. Wie ist die Lage in den anderen Ländern? Kann man eine Änderung in der Regierung, durch die an die Stelle einer Rechtsregierung eine Linksregierung tritt, z. B. an die Stelle des nationalen Blocks der Linksblock in Frankreich, vergleichen mit einer historischen Änderung der Grundlage des Staates? Es ist möglich, dass das Proletariat diese Periode ausnutzt, um seine Positionen zu stärken. Aber wenn wir es nur mit einem einfachen Übergang von einer Rechtsregierung zu einer Linksregierung zu tun haben, so ist die für den Kommunismus günstige Lage der allgemeinen Zersetzung des Staatsapparates nicht vorhanden.
Haben wir denn konkrete historische Beispiele für diese angebliche Entwicklung, auf Grund deren eine Linksregierung der Arbeiterrevolution den Weg gepflastert hätte? Nein, wir haben sie nicht.
Im Jahre 1919 ist in Deutschland eine bürgerliche Linke an die Regierung gelangt. Es hat sogar Zeiten gegeben, in denen die Sozialdemokratie an der Spitze der Regierung stand. Trotz der militärischen Niederlage Deutschlands, trotz einer sehr ernsten Krise hat der Staatsapparat keine grundlegende Änderung erfahren, die dem Proletariat den Sieg erleichtert hätte, und nicht nur ist die kommunistische Revolution zusammengebrochen, sondern die Sozialdemokraten selber haben sich als ihre Henker erwiesen.
Wenn wir durch unsere Taktik dazu beigetragen haben werden, dass eine Linksregierung ans Ruder kommt, wird es dann eine für uns günstigere Lage geben? Nein, absolut nicht. Es ist eine menschewistische Auffassung, zu glauben, dass die Mittelklassen einen Staatsapparat schaffen könnten, der anders wäre als der des Bürgertums, dass man diese Periode als Übergangszeit zur Eroberung der Macht durch das Proletariat betrachten könne.
Gewisse Parteien der Bourgeoisie haben ein Programm und stellen Forderungen auf, die den Zweck haben, die Mittelklassen zu gewinnen. Im allgemeinen haben wir es da nicht mit dem Übergang der Macht von einer sozialen Gruppe auf eine andere zu tun, sondern nur mit einer neuen Methode des Kampfes der Bourgeoisie gegen uns, und wenn eine solche Änderung eintritt, so können wir nicht sagen, dass das der günstigste Moment für unser Einschreiten sei. Diese Wandlung kann ausgenutzt werden, doch unter der Bedingung, dass unsere vorhergehende Stellungnahme vollkommen klar gewesen ist, und dass wir die Linksregierung nicht verlangt haben.
Ist z. B. der Faschismus in Italien zu betrachten als der Sieg der bürgerlichen Rechten über die bürgerliche Linke? Nein, der Faschismus ist etwas mehr, er ist die Synthese zweier Verteidigungsmethoden der bürgerlichen Klassen. Die letzten Massnahmen der faschistischen Regierung haben gezeigt, dass die kleinbürgerliche und halbbürgerliche soziale Zusammensetzung des Faschismus ihn nicht zu einem weniger direkten Agenten des Kapitalismus macht. Als Massenorganisation (die faschistische Organisation zählt eine Million Mitglieder) versucht er – während zu gleicher Zeit wütendste Reaktion gegen alle Gegner herrscht, die den Staatsapparat anzugreifen wagen – die Mobilisierung breiter Massen mit Hilfe sozialdemokratischer Methoden zu verwirklichen.
Der Faschismus hat auf diesem Gebiet Niederlagen erlitten. Das bekräftigt unseren Standpunkt über den Klassenkampf. Was sich aber hieraus mit aller Offensichtlichkeit ergibt, ist die absolute Ohnmacht der Mittelklassen. In den letzten Jahren haben sie drei Evolutionen durchgemacht: in den Jahren 1919/20 kamen sie in Massen in unsere revolutionären Versammlungen; 1921/22 bildeten sie die Kaders der Schwarzhemden; im Jahre 1923, nach dem Mord an Matteotti, gingen sie zur Opposition über; heute sind sie wieder beim Faschismus. Sie stehen immer auf seiten des Stärkeren.
Noch eine andere Tatsache ist zu verzeichnen. In den Programmen fast aller Parteien und Linksregierungen findet sich der Grundsatz, dass, wenn auch allen sämtliche liberalen »Garantien« gegeben werden müssen, man eine Ausnahme zu machen habe für die Parteien, die den Zweck verfolgen, die staatlichen Institutionen zu stürzen, d. h. für die kommunistischen Parteien.
Die falsche Perspektive der Vorteile, die eine Linksregierung uns geben kann, entspricht der Annahme, als seien die Mittelklassen fähig, eine vom Machtproblem unabhängige Lösung zu finden. Meines Erachtens beruht die sogenannte neue Taktik, die man in Deutschland und in Frankreich angewandt hat, und auf Grund deren in Italien der antifaschistischen Aventin-Opposition von der Kommunistischen Partei Italiens der Vorschlag des Gegenparlaments gemacht worden ist, auf einem schweren Fehler. Ich kann nicht verstehen, wie eine an revolutionären Traditionen so reiche Partei wie unsere deutsche Partei den sozialdemokratischen Vorwurf ernst nehmen konnte, sie arbeite Hindenburg in die Hände, wenn sie eine eigene Kandidatur aufstelle. Im allgemeinen läuft der Plan der Bourgeoisie zur konterrevolutionären Mobilisierung der Massen darauf hinaus, einen politischen und historischen Dualismus an die Stelle des Klassengegensatzes zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu setzen, während die Kommunistische Partei eben auf diesem Klassendualismus besteht, nicht weil das der einzig mögliche Dualismus in der sozialen Perspektive und auf dem Boden der Wandlungen der parlamentarischen Macht ist, sondern der einzige Dualismus, der historisch fähig ist, zum revolutionären Sturz des Klassenstaatsapparats und zur Bildung des neuen Staates zu führen. Diesen Dualismus können wir den breiten Massen nicht durch ideologische Deklarationen und durch abstrakte Propaganda zu Bewusstsein bringen, sondern durch die Sprache unserer Taten und durch die Klarheit unseres politischen Standpunktes. Als man in Italien den bürgerlichen Antifaschisten den Vorschlag machte, sich als Gegenparlament zu konstituieren, an dem die Kommunisten teilnehmen würden – auch wenn man in unserer Presse schrieb, dass man zu diesen Parteien absolut kein Vertrauen haben könne, auch wenn man sie durch dieses Mittel entlarven wollte –, so trug man in der Praxis dazu bei, dass die breiten Massen den Sturz des Faschismus durch die Aventin-Parteien erwarteten, dass sie einen revolutionären Kampf und die Bildung eines Gegenstaates nicht auf der Klassengrundlage, sondern auf der Grundlage der Arbeitsgemeinschaft mit den kleinbürgerlichen Elementen und sogar mit kapitalistischen Gruppen für möglich hielten. Es ist durch dieses Manöver nicht gelungen, breite Massen an der Klassenfront zu vereinigen. Diese ganze neue Taktik beruht nicht nur nicht auf den Beschlüssen des 5. Kongresses, sondern sie steht, meines Erachtens, im Widerspruch zu den Prinzipien und dem Programm des Kommunismus.
Welches sind unsere Aufgaben für die Zukunft? Diese Versammlung könnte sich mit dem Problem nicht ernstlich beschäftigen, ohne sich die grundlegende Frage der historischen Beziehungen zwischen Sowjetrussland und der kapitalistischen Welt in ihrer ganzen Tragweite zu stellen. Neben dem Problem der revolutionären Strategie des Proletariats, der internationalen Bewegung der Bauern und der kolonialen und unterdrückten Völker ist die Frage der Staatspolitik der Kommunistischen Partei in Russland für uns jetzt das wichtigste Problem. Es handelt sich jetzt um eine gute Lösung der Frage der inneren Klassenverhältnisse in Russland, es bandelt sich um die Anwendung der notwendigen Massnahmen in bezug auf den Einfluss der Bauern und der entstehenden kleinbürgerlichen Schichten, es handelt sich um den Kampf gegen den äusseren, heute rein wirtschaftlichen und diplomatischen, morgen vielleicht militärischen Druck. Da in den übrigen Ländern noch keine revolutionäre Umwälzung stattgefunden hat, so ist es notwendig, die ganze russische Politik mit der allgemeinen revolutionären Politik des Proletariats aufs innigste zu verknüpfen. Ich will auf diese Frage nicht näher eingehen, aber ich behaupte, dass der Stützpunkt für diesen Kampf sicherlich in erster Linie die Arbeiterklasse Russlands und ihre Kommunistische Partei ist, dass es jedoch von grundlegender Wichtigkeit ist, sich auch auf das Proletariat der kapitalistischen Staaten zu stützen. Das Problem der russischen Politik kann nicht gelöst werden innerhalb des geschlossenen Rahmens der russischen Bewegung – auch die direkte Mitarbeit der gesamten Kommunistischen Internationale ist unbedingt notwendig.
Ohne diese wirkliche Mitarbeit wird es nicht nur für die revolutionäre Strategie in Russland Gefahren geben, sondern auch für unsere Politik in den kapitalistischen Staaten. Es könnten Tendenzen entstehen im Sinne der Schwächung der Rolle der Kommunistischen Parteien. Auf diesem Gebiete werden wir bereits angegriffen, natürlich nicht aus der Mitte unserer eigenen Reihen, sondern von den Sozialdemokraten und Opportunisten. Das steht in Verbindung mit unseren Manövern zu Lasten der internationalen Gewerkschaftseinheit und mit unserem Verhalten gegenüber der II. Internationale. Wir sind hier alle darin einig, dass die kommunistischen Parteien ihre revolutionäre Unabhängigkeit unbedingt aufrechtzuerhalten haben, doch ist es notwendig, auf die Möglichkeit einer Tendenz hinzuweisen, die die kommunistischen Parteien ersetzen will durch Organe von weniger klar ausgesprochenem Charakter, die nicht streng auf dem Boden des Klassenkampfes stehen und eine politisch abschwächende und neutralisierende Funktion ausüben. In der jetzigen Lage ist die Verteidigung des Charakters unserer internationalen kommunistischen
Parteiorganisation gegen jede liquidatorische Tendenz eine unbestreitbare gemeinsame Pflicht; Können wir nach der an der allgemeinen Linie von uns geübten Kritik die Internationale so, wie sie jetzt ist, als genügend vorbereitet betrachten für diese doppelte Aufgabe der Strategie in Russland und in den anderen Ländern? Können wir die sofortige Diskussion aller russischen Probleme von seiten dieser Versammlung verlangen? Leider muss auf diese Frage mit Nein geantwortet werden.
Eine ernsthafte Revision unseres internen Regimes ist absolut notwendig; es ist ferner notwendig, die Probleme der Taktik in der ganzen Welt und die Probleme der Politik des russischen Staates auf die Tagesordnung unserer Parteien zu stellen, doch muss das geschehen mit Hilfe eines neuen Kurses und mit Hilfe vollkommen geänderter Methoden.
Wir finden im Bericht und in den vorgelegten Thesen keine genügende Gewähr dafür. Nicht ein offizieller Optimismus tut uns not, – wir müssen verstehen, dass wir nicht mit Hilfe so kleinlicher Mittel, wie wir sie nur zu oft hier angewandt sehen, uns vorbereiten können auf die Erfüllung der wichtigen Aufgaben, die vor dem Generalstab der Weltrevolution stehen.
BORDIGA[2]: Genossen, in meiner Rede habe ich mich mit den allgemeinen Fragen der Politik der Internationale beschäftigt. Verschiedene Redner sind nicht nur auf meine allgemeinen Behauptungen eingegangen, sondern haben hier auch ein wenig von den Italienischen Problemen gesprochen, die ich fast gar nicht berührt hatte. Ich bin gezwungen, das, was hier gesagt worden ist, ganz kurz zu beantworten.
Sprechen wir vor allem von dem berühmten System, von der neuen Theorie der italienischen Linken. Man sagt immer: »Das System Bordigas, die Theorie Bordigas, Bordigas Metaphysik«, und man stellt fest, dass ich hier alleinstehe, dass ich stets nur meine eigenen Ideen und meine eigene Kritik verteidige. Man will meine Haltung als eine absolut persönliche hinstellen. Aber obgleich man erst vor kurzem die »offizielle Niederlage« der italienischen Linken, über die ich hier noch einige Worte sagen werde, festgestellt hat, muss ich noch einmal erklären, dass ich den Kongress hier nicht mit individuellen Geistesprodukten unterhalte, sondern dass ich die Ansichten einer Gruppe innerhalb der kommunistischen Bewegung Italiens vertrete. Es ist nur eine unbedeutende Gruppe, konnte man sagen, eine kleine Minderheit; doch glaube ich, dass das nicht richtig ist. Ein Genosse, ein Arbeiter von der Linken, der in Russland lebt, sagte mir vor einigen Tagen sehr interessante Dinge, nämlich: »Wir spielen gewissermassen eine internationale Rolle. Denn das italienische Volk ist ein Volk von Emigranten im ökonomischen und sozialen Sinne des Wortes, und seit dem Faschismus auch im politischen Sinne des Wortes«. Und in der Tat, nach dem Marsch auf Rom sind Tausende von guten Genossen in der ganzen Welt verstreut worden, und sie haben in den verschiedenen Parteien ihr Bestes getan. Dieser Genosse tat eine naive Äusserung, die ich recht interessant finde: »Uns geht es so ähnlich wie den Juden, und wenn man uns in Italien geschlagen hat, so können wir uns damit trösten, dass auch die Juden nicht in Palästina sondern an anderen Orten stark sind…«
Es sind also nicht ausschliesslich persönliche Ideen, die ich hier vertrete, sondern es ist der Ausdruck der Ansichten einer ganzen Gruppe.
Betrachten wir das berühmte System der italienischen Linken. Aus unserer Parteitagsdiskussion hat sich ergeben, dass es in verschiedenen grundlegenden Fragen, in den Fragen des Wesens der Partei, der Rolle der Partei, des Verhältnisses zwischen der Tätigkeit der Partei und der allgemeinen Lage, der Beziehung zwischen Partei und Masse, zwischen uns und der Internationale, zwischen uns und dem Marxismus und Leninismus, so wird behauptet, prinzipielle Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich kann natürlich jetzt auf die grossen theoretischen Fragen nicht wieder eingehen. Das ganze Material des italienischen Parteitages liegt vor, und es ist daraus zu ersehen, dass wir, wenn wir auch offen zugeben, in taktischen Fragen von der Linie der Internationale hinsichtlich der Entwicklung der revolutionären Strategie, wenn wir von der russischen Revolution zur Weltrevolution übergehen, systematische Abweichungen zu haben, wie ich in meiner ersten Rede bereits auseinandergesetzt habe, doch andererseits den Standpunkt verteidigen, dass wir in den allermeisten und in den Programmfragen, in den Fragen des Wesens der Partei und ihrer historischen Rolle, des Verhältnisses zwischen Partei und Masse, eine vom marxistischen Standpunkte vollkommen korrekte theoretische Stellung einnehmen. Mehr als das, wir sind der Ansicht, dass gerade diejenigen, die uns kritisieren im Begriff sind, von diesem richtigen Standpunkt abzuweichen. Wenn z. B, Genosse Ercoli[3] von der offiziellen Mehrheit der italienischen Partei hier in der Betriebszellenfrage mit dem Argument kommt, dass durch die Zellen die Verbindung zwischen Partei und Massen verwirklicht werde und dass sie das wichtigste Tätigkeitsgebiet unserer Partei seien, dass sie sogar unsere gesamte Arbeit beanspruchen, so bin ich der Meinung, dass es sich hier um eine sehr ernste Abweichung handelt. Wir haben in der Italienischen Diskussion viele Abweichungen der Gruppe, zu der Genosse Ercoli gehört, zu charakterisieren versucht, und zwar mittels einer vollkommenen und vertieften Analyse. Wenn die gesamte Arbeit der Partei in der Herstellung einer Verbindung mit den Massen besteht, alles andere also von selbst geht, sobald diese Verbindung vorhanden ist, dann sind wir beim absoluten Menschewismus angelangt. Die Verbindung mit den Massen ist notwendig, doch besteht ein Teil des Problems darin, dass die Massen in unserer Partei ein Zentrum finden, um das sie sich gruppieren könnten und das fähig ist, sie im Sinne der revolutionären Endziele zu leiten und zu führen. Wir haben das Beispiel von Parteien, die wohl Massen hinter sich hatten, aber da sie keine wirklichen revolutionären Parteien waren, diese Massen zu Niederlagen führten.
Es kann nicht geleugnet werden, dass es Situationen gibt, in denen die Massen dazu getrieben werden, sich nach einer nichtkommunistischen Politik zu orientieren. In diesem Falle ist der Grundsatz Ercolis absolut opportunistisch. Wenn man, anstatt zur Eroberung der Massen zu gelangen, von der Eroberung der Massen als vom höchsten Prinzip ausgeht, so ist es der reinste Menschewismus, den wir vor uns sehen. Es genügt nicht, festzustellen, ob die Zellen uns eine breite Verbindung mit den Massen geben – darüber wäre noch zu diskutieren – sondern ob diese Verbindung eine revolutionäre ist. Wenn jede organische Verbindung mit den Massen an und für sich revolutionär sein soll, so beweist das nur die Richtigkeit unserer Behauptung, dass die Organisation auf der Betriebszellengrundlage zum Ouvrierismus und zum Labourismus führt.
Eine automatische Beziehung zwischen der sozialen Basis im engsten Sinne des Wortes und dem politischen Charakter der Partei erstellen, das ist gerade so, als wollte man behaupten, dass jede Partei, die die Arbeiterklasse organisiert, schon dadurch allein eine revolutionäre Partei sein muss, das aber wäre Menschewismus. Darum behaupte ich, ohne auf dieses Problem näher einzugehen, dass nicht wir den Boden der Theorie von Marx und Lenin verlassen haben. Genosse Bucharin hat meine Rede in sehr freundschaftlicher und [?] Weise kritisiert. Es braucht hier nicht gesagt zu werden, dass Genosse Bucharin ein guter Polemiker ist, aber er hat es diesmal gemacht, wie er es immer macht… Er stellt meine Aufstellungen in seiner Weise, und im Sinne der seit langem verbreiteten Legende über die Theorien Bordigas dar. Ich behaupte nicht, dass ich schön sei, aber das Bild, das Bucharin von mir entworfen hat, ist hässlich. Er schreibt mir gewisse Formulierungen zu, dann zieht er gegen diese Formulierungen in den Kampf und zerpflückt sie vollständig. Er sagt uns in seiner Rede, dass das innere Regime der KI geändert werden soll. Dabei gibt uns seine eigene Methode der Polemik Anlass, uns zu dieser Aussicht auf Sanierung des inneren Regimes sehr pessimistisch zu verhalten. Genosse Bucharin treibt hier Agitation. Man treibt also Agitation nicht nur unter den Arbeitern, in der Partei, sondern sogar auf dem Plenum der Erweiterten Exekutive. Gestattet mir, Euch zu sagen, dass es vielleicht noch leichter ist, unter Euch Agitation zu treiben als unter den Arbeitern.
Genosse Bucharin vereinfacht die Ideen. Es ist ein grosses Verdienst, Aufstellungen vereinfachen und in wenigen Worten darstellen zu können, aber es ist ein sehr schwieriges Problem, sie zu vereinfachen, nicht indem man sich dabei auf blosse Agitation beschränkt; sondern indem man dadurch teilnimmt an der wirklich ernsten Arbeit, an der gemeinsamen Arbeit, an der wir nach unseren Kräften haben teilnehmen wollen.
Vereinfachen ohne Agitationsdemagogie – das ist das grosse revolutionäre Problem. Diese Meister der Vereinfachung sind sehr selten. Zweifellos besitzt Genosse Bucharin hervorragende Eigenschaften, deren er sich bedienen sollte, um in diesem Sinne innerhalb der Internationale zu wirken. Aber ich glaube dass wir seit den Reden verschiedener grosser Führer der russischen Revolution nicht genügend oft Ausführungen zu hören bekommen haben, die diese grosse Aufgabe verwirklichen: Vereinfachung ohne Demagogie.
Jetzt will ich einige Worte über gewisse Einwände des Genossen Bucharin sagen. Er präsentiert uns folgendes Argument: die Widersprüche Bordigas haben ihren Ursprung in der Auffassung, dass die Revolution kein Problem der Organisationsform sei; später aber behandelte er das Bolschewisierungsproblem einzig und allein vom Standpunkte der Organisation, wobei er für das ganze Problem eine rein organisatorische Änderung vorschlug: Das Umkehren der berühmten Pyramide. Das alles ist nicht wahr. Vor allem habe ich über die Bolschewisierung von verschiedenen Standpunkten aus gesprochen, ich habe sie vom theoretischen, historischen und taktischen Standpunkt aus kritisiert. Das zeigt also, dass ich die Bolschewisierungsarbeit nicht nur als ein Problem der Organisation, sondern als ein politisches Problem der Tätigkeit und der Taktik der Internationale betrachte. Ferner muss zugegeben werden, dass unsere ganze Opposition sich auf taktische Probleme bezog, und vor allem für diese Probleme schlagen wir seit langer Zeit Lösungen vor, die verschieden sind von denen, die auf den Weltkongressen angenommen worden sind. Es ist absolut klar, dass es sich bei der Lösung des Problems nicht um eine einfache organisatorische Änderung handelt. Darum erwarten wir, dass uns durch die Aktion und durch die Taktik bewiesen werde, dass wir tatsächlich eine gesunde revolutionäre Leitung haben.
Ein anderes Argument des Genossen Bucharin: Bordiga ist gegen die mechanische Übertragung der russischen Erfahrungen auf andere Länder. Aber da er den spezifischen Charakter der Lage in den westeuropäischen Ländern vergessen hat, so hat er sich selbst einer mechanischen Übertragung schuldig gemacht. Mein Ausspruch lautet anders. Ich sagte: Im allgemeinen ist jede russische Erfahrung nützlich. Wir dürfen sie nie vergessen, aber sie genügt uns nicht; ich weise also die Anwendung der russischen Erfahrung nicht zurück, aber ich behaupte, dass in der Erfahrung der russischen Partei nicht die gesamte Lösung der Probleme der revolutionären Taktik enthalten sein kann. Welches ist der besondere Charakter der revolutionären Strategie im Westen, die ich vergessen haben soll? Genosse Bucharin sagt, dass in meiner Darstellung das Vorhandensein grosser sozialdemokratischer Parteien und Gewerkschaften nicht erwähnt sei; aber das ist ja gerade der Unterschied, auf den ich eingegangen bin. Um den Unterschied zwischen den Beziehungen zum Staatsapparat in der russischen Revolution und im Westen zu zeigen, sagte ich, dass in den westlichen Ländern seit langer Zeit ein sehr stabiler bürgerlich-demokratischer Staatsapparat besteht, der eine Rolle spielt, wie man sie in der Geschichte der russischen Bewegung nicht kennt. Diese Rolle kann zur Möglichkeit der Mobilisierung des Proletariats durch die Bourgeoisie in opportunistischem Sinne führen, und zwar mittels der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei
Meine Analyse bezieht sich gerade auf diese grundlegende Tatsache der Lage im Westen. Die Möglichkeiten der ideologischen Mobilisierung der Arbeiterklasse in Ländern, die liberale Traditionen haben, sind sehr viel grösser, als sie in Russland waren, und darum gibt es im Westen eine starke Entwicklung der sozialdemokratischen Organisationen. Genosse Bucharin kann also nicht sagen, dass ich mich in einem Widerspruch befinde, dass ich mich mechanischer Übertragungen schuldig gemacht habe. Gewiss, ich bin mit ihm nicht einverstanden, wenn er sagt, dass es auf Grund der russischen Erfahrungen gerade die Taktik der Einheitsfront ist, die in breitestem Umfang nach dem Westen übertragen werden muss. Ich glaube, dass die russischen Genossen damit einen Fehler begehen. Gewisse Manöver, die gegenüber der menschewistischen und der sozialrevolutionären Partei, die nicht so fest an den Staatsapparat gebunden waren, gelingen konnten, gewisse taktische Lösungen können nicht ohne Gefahr auf die westlichen Länder übertragen werden. Wenn wir es tun wollen, so werden wir behindert sein durch die Möglichkeit der Mobilisierung des Proletariats durch die Bourgeoisie, und wir werden grosse Enttäuschungen erleben.
Ich will jetzt diese Analysen nicht weiter führen, übrigens habe ich ja auch schon in meiner ersten Rede darüber gesprochen. Ich stelle nur fest, dass es die Widersprüche, von denen Genosse Bucharin sprach, nicht gibt.
Um die taktischen Probleme lösen zu können, brauchen wir mehr als nur die Bolschewisierung, als die Ansicht, dass man nur die Geschichte der bolschewistischen Partei zu konsultieren braucht, um die Lösungen zu finden. Wir brauchen noch weitere Erfahrungen, und diese Erfahrungen muss die Internationale in der internationalen Bewegung erwerben.
Es gibt noch einen anderen Einwand. Als ich von dem Unterschied der Zellenfrage in Russland und im Westen sprach, soll ich, wie Bucharin behauptet, gesagt haben, dass die Frage des Staates, d. h. das zentrale politische Problem, das in Russland von der Geschichte gestellt worden ist, im Westen nicht vor der Geschichte gestellt werden würde. Genosse Bucharin behauptet darum, ich hätte eine pessimistische, sozialdemokratische Perspektive. Ich aber habe gesagt, dass die kommunistischen Arbeiter, wenn wir ihre Tätigkeit auf den Rahmen der Betriebszelle beschränken, Gefahr laufen, das zentrale Problem der Eroberung der Macht zu vergessen. Ich denke, dass dieses Problem auch im Westen von der Geschichte gestellt wird, aber unsere, der Kommunistischen Partei, Rolle besteht eben darin, dass wir dem Proletariat die Mittel geben, dieses Problem in einem einheitlichen Sinne zu lösen. Die Partei muss es vermeiden, Manöver zu machen, die das Bürgertum retten. Sie muss es vermeiden, in den Labourismus zu verfallen, der schon oft der Bourgeoisie geholfen hat, an der Macht zu bleiben; das Problem ist bereits gestellt worden, wir haben das aber nicht auszunutzen verstanden; es genügt also nicht, dass dieses Problem von der Geschichte gestellt wird. Auch dieser Einwand ist also unberechtigt.
Ich gehe zur italienischen Frage über. Genosse Ercoli hat über die, von mir an der Taktik gegenüber den Antifaschisten und am Vorschlag des Gegenparlaments geübte Kritik gesagt, dass diese Kritik falsch sei, weil ich der Analyse der Lage nicht Rechnung trüge, die Zentrale der italienischen Partei aber sich glücklicherweise auf eine exakte Analyse der neuen Lage stütze. Ich behaupte aber, dass diese Analyse falsch war. Wir haben ein Dokument in Händen, über das während der Vorbereitung zum Parteitag viel diskutiert worden ist. Es ist dies der Bericht des Genossen Crameci an die Zentrale, der im September 1924 verfasst worden ist. (Matteotti ist im Juni getötet worden.) Dieser Bericht enthält eine vollkommen falsche Perspektive, es wird darin behauptet, der Faschismus sei bereits durch die bürgerliche Opposition geschlagen und die Monarchie selber würde den Faschismus auf parlamentarischem Boden praktisch liquidieren.
ERCOLI: Wir haben nur den Kompromiss zwischen dem Faschismus und dem Aventin, der tatsächlich zustandegekommen ist, vorausgesehen.
BORDIGA: Ihr habt die Beseitigung Mussolinis vorausgesehen. Das Kräfteverhältnis zwischen Faschismus und Opposition ist vollkommen falsch eingeschätzt worden, und damit war auch die Analyse der Lage vollkommen falsch. Wir hatten es also mit einem Fehler in der Perspektive und mit einem Manövrierfehler der Partei zu tun. Man hat sich der Formel bedient: Die Lage ist demokratisch. Dieses angebliche Studium der Lage ist wirklich erstaunlich: wenn die Lage reaktionär ist, dann gibt es für die Kommunistische Partei nichts zu tun; ist die Lage demokratisch, dann gibt es für die kleinbürgerlichen Parteien zu tun. Auf die Weise verschwindet unsere Kommunistische Partei ganz.
Ein anderes Argument von Ercoli: Dieses Manöver war gut, weil es Erfolge gezeitigt hat. Vor allem ist die Kritik, die die Genossen von der Linken an der Taktik des Gegenparlamentes geübt haben, bis zu einem gewissen Grade sogar von den Genossen des Zentrums als richtig anerkannt worden. Man sagt z. B., dass der Beschluss, wieder ins Parlament zurückzukehren, viel früher hätte gefasst werden müssen und nicht erst nach den Parlamentsferien. Wir sagen mehr: Vom ersten Momente an durfte man der bürgerlichen Opposition nicht folgen, durfte man an ihren Sitzungen nicht teilnehmen und nicht mit ihr zusammen die Kammer verlassen.
Die Genossen vom Zentrum sagen: wir haben gut getan, denn wir haben Erfolge gehabt, der Einfluss der Partei ist gestiegen.
Die Lage ist aber folgende: Vollständiger Zusammenbruch der antifaschistischen bürgerlichen und halbbürgerlichen Opposition. In einer solchen Lage hätte die Kommunistische Partei entscheidenden Einfluss gewinnen müssen, vor allem innerhalb der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, sie hätte sich durch ihre taktische Linie der Rolle des dritten, vom politischen Kampf unabhängigen Faktors gewachsen zeigen müssen. Die Entwicklung der Ereignisse ist aber nicht in dieser Weise ausgenutzt worden. Der Erfolg, von dem Ercoli spricht, bestand in der Erhöhung der Mitgliederzahl. Diese Frage kann aber nicht mit der Frage der Mitgliederzahl verknüpft werden. Augenblicklich sinkt die Zahl unserer Mitglieder. Unsere Zentrale behauptet aber, das sei ein zahlenmässiger Vertust, begleitet von einem Anwachsen des Einflusses. Ich sprach von der Rolle der Partei als politischen Faktor der Lage. Ich möchte gern optimistisch sein, aber alles beweist, dass wir nichts gewonnen haben und dass eine sehr günstige Lage von uns nicht ausgenutzt worden ist.
Ich komme zu der letzten Frage, von der ich sprechen wollte, zur inneren Lage der Partei: Man hat uns beschuldigt, eine fraktionelle Organisation zu sein, man hat auf dieser Kampagne die ganze Vorbereitung zum Parteitag aufgebaut. Ich erkläre, dass die linke Fraktion gleich zu Beginn des italienischen Parteitages eine Erklärung abgegeben hat, in der sie die Gültigkeit des Parteitages anfocht und den Entscheid der Internationale verlangte. Ich will hier nicht gewisse Polemiken heraufbeschwören, aber ich verlange, dass Organe der Internationale gewisse Fragen, wie z. B. die unglaublichen Anschuldigungen, die Genosse Ercoli von dieser Tribüne aus gegen die Genossen von der Linken erhoben hat, prüfen. Nie haben wir Parteifunktionäre aufgefordert, die Partei zu verlassen und im Comitato d’Intesa Posten anzunehmen. Das haben wir nie getan, denn das wäre ein grosser Fehler gewesen. Das Dokument, auf dem diese Beschuldigung aufgebaut ist, ist immer noch nicht vorgelegt worden. Es gibt nur einen Brief des Genossen, der diese Aufforderung erhalten haben soll, und man behauptet, es existiere auch der Brief, durch den er dazu aufgefordert worden sei. Aber dieser Brief ist nicht vorgelegt worden. Jetzt behauptet man, der Brief sei irgendwo da, aber, wo es sich um eine so schwerwiegende Beschuldigung handelt, haben wir das Recht zu verlangen, dass man sich auf Beweise stütze; dann werden wir nachweisen können, dass diese ganze Behauptung falsch ist. Aber lassen wir das. Man hat von der Tätigkeit der Linken gesprochen. Man hat z. B. gesagt, wir seien in den stärksten Föderationen geschlagen worden, die Partei sei in den Föderationen, in denen wir Einfluss haben, geschwächt worden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Föderationen, von denen Ercoli sprach, Mailand, Turin und Neapel, sind gerade diejenigen, in denen die linke Fraktion am stärksten ist.
Was die Art und Weise anbetrifft, in der der Parteitag vorbereitet worden ist, so ist darüber zu sagen, dass man ein System der Befragung der Partei erfunden hat, demzufolge sogar ich, Bordiga, als Mitglied einer Parteiorganisation, für die Thesen der Zentrale gestimmt habe! Wie konnte man das machen? Darüber ein anderes Mal. Das gibt aber eine Vorstellung von dem Wert der Zahlen, die der Parteitag gegeben hat.
Wir kümmern uns nicht viel darum. Ich will den Genossen nur sagen, dass wir in unserer Polemik auf unserem Parteitag Kritik geübt haben am Ordinovismus, am ideologischen und politischen Standpunkt unserer Parteizentrale. Wir haben zum Schluss, in Anbetracht der Tatsache, dass man uns zwang, in die Zentrale einzutreten, eine präzise Erklärung abgegeben.
Ich komme zum Schluss, Genossen. Was das innere Regime und das Umkehren der Pyramide betrifft, so kann ich hier nicht auf das antworten, was Genosse Bucharin über diese Frage und über die Fraktionen gesagt hat. Aber ich frage: Wird sich in Zukunft in unseren inneren Beziehungen eine Änderung vollziehen? Beweist uns diese Plenarsitzung, dass man einen neuen Weg einschlagen wird? Während man hier behauptet, dass das Regime des Terrors im Inneren aufhören soll, erwecken die Deklarationen der französischen und der italienischen Delegierten einige Zweifel in uns, obgleich die Thesen von der Durchführung dieses neuen Lebens innerhalb der Partei reden. Wir warten darauf, Euch bei dieser Arbeit zu sehen.
Ich glaube, dass die Jagd auf den angeblichen Fraktionismus fortdauern und die gleichen Ergebnisse, wie bisher, zeitigen wird. Wir sehen das auch in der Art und Weise mit der man die deutsche Frage und verschiedene andere Fragen zu regeln versucht. Ich muss sagen, dass diese Methode der persönlichen Demütigung eine beklagenswerte Methode ist, selbst wenn sie auf gewisse politische Elemente angewandt wird, die es verdienen, heftig bekämpft zu werden. Ich glaube nicht, dass dies ein revolutionäres System ist. Ich denke, dass die Mehrheit, die jetzt den Beweis ihrer Orthodoxe dadurch gibt, dass sie sich über den verfolgten Sünder lustig macht, vermutlich aus ehemaligen Oppositionellen, die man gedemütigt hat, besteht. Wir wissen, dass diese Methode auch angewandt worden ist und vielleicht angewendet werden wird auf Genossen die nicht nur eine revolutionäre Tradition haben, sondern auch für unsere künftigen Kampfe wertvolle Elemente bleiben. Diese Manie der Selbstvernichtung muss aufhören, wenn wir wirklich auf die Führung des revolutionären proletarischen Kampfes Anspruch erheben wollen.
Das Schauspiel, das uns diese Plenarsitzung bietet, eröffnet mir trübe Aussichten hinsichtlich der Veränderungen, die in der Internationale stattfinden werden. Ich werde also gegen den vorgelegten Resolutionsentwurf stimmen.
BORDIGA[4]: Genossen, ich möchte heute zwei Fragen behandeln: Die Frage der internationalen Gewerkschaftseinheit und die Frage der Gewerkschaftstaktik in Italien.
Als auf dem 5. Weltkongress ein neuer Vorschlag für unsere Gewerkschaftsstrategie, und zwar der Vorschlag der internationalen Gewerkschaftseinheit gemacht worden ist, da habe ich mich, wenn auch nicht so entschieden wie heute, gegen ihn gewandt. Denn diese Frage war zu jener Zeit erst aufgeworfen worden, und die verschiedenen Delegationen hatten noch nicht Zeit gehabt, eine ernste Diskussion über sie zu entfalten.
Ich habe damals behauptet, dass die Kommunistische Internationale die allgemeinen Losungen des Problems der Beziehungen zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Bewegung im internationalen Massstabe oft geändert habe.
Zur Zeit des 2. Kongresses bestand die Profintern noch nicht, und man beabsichtigte damals, bestimmten linksgerichteten Gewerkschaftsorganisationen, die sich auf den Boden der Annäherung mit uns gestellt hatten, die Möglichkeit zu geben, auf dem Kongress der KI durch eine Delegation vertreten zu sein. Ich war damals gegen diese Zulassung von Gewerkschaftsorganisationen auf einem Weltkongress politischer Parteien.
Auf dem 3. Kongress der KI kam man zu einer anderen Lösung der Frage, und zwar wurde beschlossen, die Rote Gewerkschafts-Internationale als Gegensatz zur Amsterdamer Internationale zu gründen, und dies aus Gründen, die Ihr gut kennt.
Auf dem 5. Kongress hat man diesen Standpunkt geändert. Man schlägt uns in diesem Moment nicht vor, auf die RGI zu verzichten, aber man macht den Vorschlag einer Verschmelzung der RGI mit der Amsterdamer Internationale.
Es ist heute klar, dass es sich nicht nur um eine Agitationsparole zwecks Eroberung der Massen und ihrer Einreihung in die RGI handelt, dass man nicht nur ein Agitationsmanöver bezweckt, sondern etwas mehr als das. Man hat sich das Ziel gesetzt, eine einheitliche Gewerkschafts-Internationale als endgültige Lösung des Problems der Beziehungen zwischen Gewerkschaftsbewegung und politischer Bewegung des Weltproletariats zu schaffen.
Man behauptet zwar, dass eine lange Periode der Vorbereitung notwendig sei, dass man nur unter bestimmten Bedingungen zur Einheit gelangen könne, dass es notwendig sei, gewisse Garantien zu haben, bevor man die Arbeit der Einigung in Angriff nimmt; in Wirklichkeit aber ist es ein neues System, mit dem man sich befasst. Es wird eine Kommunistische Internationale geben und eine einheitliche Gewerkschafts-Internationale innerhalb deren wir eine Fraktion haben werden, die von der politischen Internationale geleitet sein wird, um eines Tages innerhalb dieser einheitlichen Gewerkschafts-Internationale die Führung übernehmen zu können. Auf Grund der Argumente, die als die einfachsten erschienen, stellte sich diese Lösung als die logischste dar. Von dem Momente an in dem wir in jedem Lande eine einheitliche Gewerkschaftszentrale haben, warum sollte dann, da wir ja gegen eine gewerkschaftliche Spaltung sind, selbst wenn die Zentrale innerhalb des Landes sich in den Händen der Gelben befindet, nicht auch im internationalen Massstab diese Lösung des Einheitsproblems die beste sein?
Ich glaube, dass es nicht schwerfällt, hierauf zu antworten. Wo liegt der Unterschied zwischen unserer Taktik im nationalen und im internationalen Massstab? In einer sehr einfachen Tatsache.
Wenn wir für die Gewerkschaftseinheit im nationalen Massstabe arbeiten, und wenn wir zu dieser Einheit gelangen, so geschieht das aus dem Grunde, weil es uns erlaubt, in die Gewerkschaften einzudringen und uns in ihnen zu verankern, breite Massen für unseren Einfluss zu gewinnen: Wir haben dabei die Aussicht, den Plan, eines Tages die Leitung der Gewerkschaften zu erobern, die im Kampf um die Macht ein sehr wichtiger Faktor für den Erfolg sind. Das ist von jedem Standpunkte aus von ungeheurer Wichtigkeit, denn wir werden so Fuss fassen in diesen Organisationen, die berufen sind, sowohl im Kampf um die Eroberung der Macht als auch nachher eine grosse Rolle zu spielen. Unsere Eingliederung in die Gewerkschaften, als Fraktionen, muss unbedingt in der Periode des Endkampfes dazu führen, dass wir den Zentralapparat in unsere Hände nehmen. Wenn die Massen in Bewegung sein werden und der Kampf einen günstigen Verlauf nimmt, dann werden wir durch einen Kongress oder mit Hilfe anderer Mittel, ein Handstreich nicht ausgeschlossen, den gesamten Gewerkschaftsapparat erobern können, die Reformisten aber werden kein anderes Verteidigungsmittel haben als die Solidarität des bürgerlichen Staates.
Wenn es sich aber um die internationale Bewegung handelt, so stellt sich die Frage anders dar. Denn im internationalen Massstab nimmt der Kampf um die Eroberung der Macht, ebenso wie die Eroberung der Macht selber, ganz andere Formen an. Wir können uns nicht gut vorstellen, dass wir in allen Ländern zu gleicher Zeit in den Endkampf um die Macht eintreten werden. Das Proletariat kann die Macht nur etappenweise, Land für Land, erobern. Der internationale zentrale Gewerkschaftsapparat wird nicht in unsere Hände fallen, die Sozialdemokraten werden ihn retten, indem sie ihn, beim Vormarsch der Revolution, in ein Land verlegen, das möglichst weit vom Land der siegreichen Arbeiterrevolution entfernt liegt.
Darum muss den Arbeitern immer wieder gesagt werden, dass die Amsterdamer Gewerkschafts-Internationale keine proletarische Massenorganisation ist, sondern ein Organ der Bourgeoisie, das in engster Verbindung steht mit dem Internationalen Arbeitsamt und dem Völkerbund, ein Organ, das vom Proletariat und seiner revolutionären Partei nicht erobert werden kann. Darum glaube ich, dass die frühere Parole »Moskau gegen Amsterdam« für die Eroberung der Massen viel besser und viel nützlicher gewesen ist.
Aber dieses Argument kann vielleicht sehr abstrakt erscheinen, darum will ich zu Argumenten übergehen, die sich auf die gegebene Lage beziehen.
Welches sind die wichtigsten Tatsachen in der Gewerkschaftsbewegung? Welches sind im allgemeinen unsere Perspektiven?
Aus dem Bericht des Genossen Losowski folgt, dass wir die Überzeugung haben, dass die Entwicklung der kapitalistischen Krise jetzt eine Lage schafft, die für uns sehr günstig ist. Warum will man dann gerade in diesem Moment eine Änderung der Taktik vornehmen, eine Änderung, die einer pessimistischen Perspektive, einer pessimistischen Bilanz unserer autonomen Gewerkschaftsbewegung entspricht?
Eine andere Tatsache ist die Bewegung im Orient. Der Berichterstatter hat die grosse Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung in China, die bereits eine Million Organisierte umfasst, betont. Diese Herausbildung einer Bewegung mit klar hervortretendem Klassencharakter in den Kolonialländern und unter den unterdrückten Völkerschaften ist eine Tatsache von ungeheurer Bedeutung, ja sogar die grundlegende Vorbedingung für unsere Taktik in der nationalen Frage. Denn so können wir sicher sein, dass es uns gelingt, die ungeheure Mehrheit der Gewerkschaftsbewegung in den Kolonialländern und in den Ländern des Orients für die RGI zu Gewinnen. Dies ist ein weiteres Argument, das uns veranlassen sollte, die Zentrale der RGI neben der KI bestehen zu lassen und darauf zu verzichten, erstere aufzulösen.
Eine letzte Tatsache ist der Einfluss Amerikas, der von jedem Standpunkt aus immer grösser wird, sowohl was den Widerstand des Kapitalismus gegen die revolutionären Kräfte anbetrifft, als auch in bezug auf das Eindringen des bürgerlichen Einflusses in die Arbeitermassen und die Verwirklichung der Arbeitsgemeinschaft der Klassen. Ich glaube, dass diese Tatsache das bestätigt, was ich gesagt habe. Je grösser der Einfluss des amerikanischen Kapitalismus in Europa wird, um so grösser – hat Genosse Losowski gesagt – wird auch der Einfluss der amerikanischen Gewerkschaften in der Amsterdamer Internationale. Der Schwerpunkt wird immer weiter nach der Richtung der amerikanischen Gewerkschaften verschoben, wodurch mein Argument bekräftigt wird, dass das Zentrum der gelben Gewerkschafts- Internationale verlegt werden wird in das Land, in dem die Reaktion und der Opportunismus am stärksten sind.
Wenn wir eine nicht pessimistische Perspektive haben, so dürfen wir die Vereinigung mit der Amsterdamer Internationale nicht zulassen, im Gegenteil, die Rote Gewerkschaftsinternationale muss bestehen bleiben, wodurch umfassende Aktionen für die Erweiterung unseres Einflusses in den Massen absolut nicht ausgeschlossen werden. Man kann und muss der Amsterdamer Internationale und allen ihr angeschlossenen Organisationen Vorschläge zur Einheitsfront machen. Das anglorussische Komitee muss seine bereits begonnene Tätigkeit fortsetzen, und zwar unter der Form eines Komitees für die Einheitsfront der russischen und der englischen Gewerkschaften, wobei anzustreben ist, dass sich diesem Komitee auch Gewerkschaften anderen Länder anschliessen. Als Propaganda- und Agitationsmittel ist das ausserordentlich wichtig, und man kann auf diese Weise sehr befriedigende Resultate erzielen; anderseits ist es notwendig, der Entwicklung des Kampfes eine klare Perspektive zu geben.
Für unsere Taktik in England ist es ausserordentlich wichtig, dass nicht unsere ganze Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit des Proletariats durch die linke Gewerkschaftsbewegung allein in Anspruch genommen werden.
Man darf nie die Kommunistische Partei vergessen, selbst, wenn diese heute noch eine kleine Partei ist; man muss betonen, dass sie in der Entwicklung der sozialen Krise in England und im Kampfe unbedingt die Führerin des Proletariats und der Generalstab der Revolution sein wird.
Jetzt möchte ich einige Worte über die gewerkschaftliche Tätigkeit unserer Partei sagen, über die auf unserem 3. Parteitag viel diskutiert worden ist.
In welcher Lage sich die Gewerkschaftsbewegung Italiens befindet ist allgemein bekannt. Die faschistische Reaktion hat den alten Apparat der Klassengewerkschaften zerschlagen und versucht jetzt, ein Netz faschistischer Gewerkschaften zu schaffen. Der Faschismus hat zwei Versuche gemacht, die Frage zu lösen. Die erste von ihm angewandte Methode war die der freiwilligen Mitgliedschaft in faschistischen Gewerkschaften, die den nichtfaschistischen Gewerkschaften entgegengestellt wurden. Aber selbstverständlich wurden die faschistischen Gewerkschaften vom Staate weitgehend unterstützt, während die nichtfaschistischen Gewerkschaften schwer unter der Willkür der Reaktion zu leiden hatten. Trotzdem musste der Faschismus einsehen, dass seine Pläne misslangen. Er hat es nicht fertiggebracht, die Arbeitermassen zu beeinflussen, wie es ihm mit den Bauern gelungen ist, weil diese unter dem Faschistenterror unmittelbarer zu leiden hatten. Das Industrieproletariat ist zu sehr konzentriert, als dass es so unterdrückt werden konnte, wie die Bauernbevölkerung auf dem Lande. Bei den Wahlen zu den internen Kornmissionen z. B., waren es fast immer, trotz aller Schwierigkeiten und Repressalien, die Klassenlisten, die den Sieg davontrugen. Der Faschismus hat das eingesehen, und um dem abzuhelfen, hat er seine Gewerkschaftstaktik von Grund auf geändert. Auf Grund eines speziellen Gesetzes sind die faschistischen Gewerkschaften die einzigen vom Staate anerkannten Gewerkschaften geworden, jede Tätigkeit der Arbeiter wurde gesetzlich verboten, und faktisch ist ein faschistisches Gewerkschaftsmonopol errichtet worden, wobei die faschistischen Gewerkschaften einen Pakt mit den Arbeitgeberorganisationen abschlossen. Nach dem neuen Gesetz haben nur die faschistischen Gewerkschaften das Recht, mit dem Unternehmer zu unterhandeln, so dass es für die freien Gewerkschaften, wenn sie auch theoretisch vom Staate zugelassen werden, neben allen anderen Schwierigkeiten absolut unmöglich ist, irgendeine Arbeit zu entfalten.
In dieser zweiten Periode musste unsere Gewerkschaftstaktik eine ganz andere werden. Die frühere Lage gab uns die Möglichkeit, bei den Wahlen zu den internen Kommissionen einen Kampf gegen die faschistischen Gewerkschaften im Namen der Klassengewerkschaften zu führen. Das war eine dauernde Verwirklichung der Einheitsfront, und in den Betrieben, in denen Klassenlisten und faschistische Listen vorlagen, stimmte die Mehrheit der Arbeiter trotz des faschistischen Regimes für die Klassengewerkschaften. Auf Grund der neuen Verfügung sind die internen Kommissionen aufgelöst worden, so dass es in den Betrieben keine legale Tätigkeit mehr gibt. Die Existenzberechtigung der freien Gewerkschaften wird zwar anerkannt, aber diese Anerkennung ist eine rein theoretische, praktisch werden ihre Lokale, ihre Bibliotheken usw. beschlagnahmt.
Unsere Tätigkeit musste nun in die Betriebe verlegt werden, wo wir die Möglichkeit haben, den Kontakt mit den Arbeitermassen aufrecht zu erhalten. Für unsere neue Taktik lagen zwei Vorschläge vor, über die auf unserem Parteitag diskutiert wurde.
Die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten wird von Tag zu Tag geringer. Der grösste Teil der Arbeiter ist unorganisiert, wir aber müssen danach streben, die gesamte Arbeitermasse in Bewegung zu bringen. Dies muss im Namen der Gewerkschaften geschehen; wir vertreten den Standpunkt, dass man hierbei auf das Banner der freien Gewerkschaften, der Allgemeinen Arbeitsföderation nicht verzichten darf. Unter dem Banner dieser Organisationen, die schon so oft die italienischen Arbeiter zum Kampfe geführt haben, muss gearbeitet werden. Allerdings entwickeln diese Organisationen augenblicklich fast gar keine Tätigkeit, was von ihnen übriggeblieben ist, befindet sich in Händen der Reformisten, die stets zu einem Kompromiss mit den Faschisten bereit sind. Wenn ein solches Kompromiss noch nicht zustande gekommen ist, so nur aus dem Grunde, weil dem Faschismus nichts daran liegt.
Aber trotzdem müssen wir stets im Auge behalten, dass, wenn das Proletariat wieder in den Kampf eintritt, wenn die Arbeiterklasse wieder freier zu atmen beginnt, wir den Kampf unter dem Banner der freien Gewerkschaften führen müssen, welches die Ursachen und die Bedingungen des Kampfes auch sein mögen. Überlassen wir den Reformisten dieses Banner, so wird es ihnen, sobald der Druck leichter wird, möglich sein, sich wieder aufzurichten und in den Arbeitermassen Boden zu gewinnen; sie werden die legalen Lokale ihrer Organisationen wieder eröffnen und uns ausserhalb der Massen stellen.
Das ist die Auffassung der Linken unserer Partei von der Arbeit, die jetzt auf gewerkschaftlichem Gebiete zu leisten ist. Wir haben den Vorschlag gemacht, in jedem Betrieb Gewerkschaftssektionen zu gründen. Die Gewerkschaften dürfen nicht absterben, sie müssen der schwierigen Lage Widerstand bieten, denn in einiger Zeit werden sie wieder die ihnen zukommende Rolle spielen können. Es müssen also nach unserer Ansicht in jedem Betrieb geheime Komitees gegründet werden, die die Arbeiter zu organisieren haben; diese Betriebssektionen müssen den Gewerkschaften angegliedert sein, selbst, wenn diese von Reformisten.geleitet werden. Wenn wir dann die Möglichkeit haben werden, wieder frei zu atmen, so wird uns bereits das Gerippe einer Massenorganisation mit einem grösseren Einfluss, als ihn die Sozialdemokraten haben, zur Verfügung stehen.
Die Komitees im Innern der Betriebe hätten auch mit den unorganisierten Massen zu arbeiten, sie müssten bei jedem Gewerkschaftskonflikt zwischen den Arbeitern und den Unternehmern provisorische Agitationskomitees schaffen, die die gesamte Belegschaft des Betriebes zu erfassen hätten. Das ist unser Vorschlag. Unsere Zentrale aber hat eine andere Lösung gefunden. Es ist seht schwierig, diese Lösung klar zu definieren, denn in unserer Parteitagsdiskussion ist die Auffassung der Zentrale nicht klar zum Ausdruck gekommen. Sie ist, in Anbetracht des Widerstandes, den sie auf dem Parteitag vorfand geändert worden, und in dem Bericht des Genossen Ercoli und in den Thesen hat sie eine sehr zweideutige Formulierung gefunden. Die ganze theoretische Linie unserer Zentrale beweist, dass sie über diese Probleme eine Auffassung hat, die unserer Meinung nach weder marxistisch noch leninistisch ist. Ihrer Ansicht nach – wenn das auch nicht klar gesagt worden ist – muss eine neue Organisation geschaffen werden, ein neues Netz von Organen im Betrieb, die die alten vom Faschismus zerstörten Gewerkschaften und sogar die Gewerkschaften, die jetzt noch vorhanden sind, ersetzen sollen.
Der Standpunkt unserer Parteizentrale hat eine lebhafte Opposition auf dem Parteitag hervorgerufen, und wir glauben, dass die Vertreter der Internationale auf dem Parteitag eher unseren Standpunkt teilen.
Die Gewerkschaftstaktik unserer Zentrale beschwort die Spaltungsgefahr herauf. Worin besteht diese Taktik? In der Gründung von Agitationskomitees für die Gewerkschaftseinheit, als permanente Organe mit einem eigenen Netz; früher hatte man nur von Agitationskomitees gesprochen, und dann in Anbetracht der starken Kritik, die an dieser Parole geübt worden ist, wurde hinzugefügt: für die Gewerkschaftseinheit.
Wenn man ein Netz von permanenten Organen zu gründen beansprucht, das die gewerkschaftlich organisierten und unorganisierten Arbeiter umfasst, eine Organisation mit lokalen- und Provinzialkomitees, mit Kongressen usw., so gibt man den Reformisten einen guten Vorwand, die Kommunisten aus der Allgemeinen Arbeits-Föderation auszuschliessen. Uns droht die Gefahr, ausserhalb wichtiger Organisationen zu stehen, im Momente, in dem sich eine günstigere Lage einstellt, und anstatt dessen eine eigene, neue, von unserer Partei gegründete und nur eine Minderheit umfassende Organisation zu haben.
Es handelt sich hier nicht einfach um zwei etwas voneinander abweichende Parolen, sondern um eine grundlegende Frage für die Arbeit der Kommunistischen Partei Italiens, und hierauf wollen wir die Aufmerksamkeit der Internationale lenken.
BORDIGA[5]: Aus Gründen, die ich in meinen beiden Reden wahrend der Generaldebatte dargelegt habe, stimme ich gegen die beantragte Resolution. Sie enthält den Hinweis auf eine notwendige Änderung des inneren Regimes der Internationale; da aber die Arbeiten des Plenums selbst weder den Ausdruck einer neuen Methode, noch das Einschlagen neuer Wege im Leben der Komintern bedeuten, muss ich auch in diesem Punkte meinen oppositionellen Standpunkt aufrecht erhalten. Zugleich gebe ich aber dem Wunsche Ausdruck, die Tatsachen mögen den Beweis einer ernstlichen Besserung erbringen.
Ich lege hier weder Thesen, noch eine Resolution vor sondern nehme bezug auf die dem 5. Kongress vorgelegten Thesen, sowie auch auf diejenigen, die von der Linken der KPI dem letzten Parteikongress vorgelegt wurden.
Ich richte an die Exekutive die Bitte, den allgemeinen Teil dieser Thesen vor dem 6. Kongress zu veröffentlichen.
BORDIGA[6]: Da der Genosse Bucharin so freundlich gewesen ist, meine Kritik, die ich in der Kommission geübt habe, hier noch einmal darzustellen, bin ich genötigt, die beiden Punkte, die ich schon in der Kommission angeführt habe, noch einmal zu präzisieren. Ich habe protestiert gegen die Methode des Kampfes, wie sie in der Resolution angewendet wurde, die Methode, einzelne Zitate von Genossen aus dem Zusammenhang herauszunehmen, um damit ihre abweichende Linie zu beweisen. Ich glaube, dass diese Kampfesweise für eine ideologische Aufklärung der Massen nicht nützlich ist.
Im weiteren habe ich mich in der Kommission gegen die übertriebene Anwendung des ideologischen Terrors gewendet, d. h. dagegen, dass man bei jeder Gelegenheit vor die einfachen Parteimitglieder hintritt und ihnen sagt, bevor man sie über gewisse politische Fragen aufgeklärt hat, dass, wenn sie sich gegen den politischen Inhalt der Fragen, wie er vom Zentralkomitee oder von der Exekutive dargestellt wird, erklären, sie dann Feinde der Exekutive, Feinde des Kommunismus usw. seien. Es genügt nicht, dass man erklärt, dass man eine Unterscheidung zwischen den linken Führern und den linken Arbeitern macht, man muss mit dieser Methode des ideologischen Terrors brechen und dazu übergehen, vor den Arbeitern wirklich den politischen Inhalt klarzulegen. Ich habe nicht verlangt, dass man ein eingehendes Studium der Werke der linken Genossen vornimmt, aber ich möchte die Exekutive und die anwesenden Genossen davor warnen, die Verbindung mit den Massen zu vernachlässigen. Man wirft mir zwar vor, dass ich die Verbindung mit den Massen manchmal vernachlässigt oder übersehen habe, aber ich möchte doch die Genossen darauf aufmerksam machen, dass sie diese Verbindung nicht verlieren.
BORDIGA[7]: Die Diskussion über den Bericht der Deutschen Kommission ist an einem solchen Punkt angelangt, dass ich mich gezwungen sehe eine zweite Erklärung abzugeben, und zwar eine sehr klare Erklärung, um so mehr, als Genosse Ercoli gesagt hat, der Ton Bordigas sei in seinen Erklärungen nach und nach ein wenig aggressiver geworden.
Ich erkläre vor allem, dass meiner Ansicht nach eine rechte Gefahr tatsächlich besteht. Genosse Ercoli behauptet, dass man im Verlaufe der politischen Diskussionen eine exakte Analyse unternommen und dabei festgestellt habe, dass die rechte Gefahr in Frankreich besteht. Ich frage mich, ob es denn möglich ist, eine Analyse als eine ernste Anwendung der marxistischen Methode zu betrachten, die glaubt, uns selbst die Adresse der rechten Gefahr angeben zu können; und zwar soll sie am Quai de Jemmapes 96 oder Rue Montmartre 123, d. h., in der »Revolution Prolétarienne« oder im »Bulletin Communiste« ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Man wird vielleicht noch hinzufügen, dass die rechte Gefahr von 6 bis 8 Uhr abends Empfangszeit habe. Die Analyse müsste ganz anders angestellt werden. Die rechte Gefahr ist vorhanden, sie besteht nicht nur in den auf dem Papier geschriebenen Resolutionen, sondern vor allem in den Tatsachen und im politischen Verbalten der Komintern, wie ich in meiner Rede zur politischen Frage auseinandergesetzt habe.
Diese Gefahr ist auch in den hier gefassten Resolutionen enthalten: sowohl zur allgemein politischen Frage als auch zu den hier behandelten Fragen der einzelnen Parteien, zur Frage der deutschen und zur Frage der französischen Partei. Diese Gefahr kommt auch darin zum Ausdruck, dass man hier vor dem Forum der Erweiterten Exekutive die russischen Probleme nicht zur Diskussion gestellt hat. Ich habe in meiner Rede schon darauf hingewiesen, dass die Sektionen der KI, so wie sie jetzt sind, nicht imstande seien, sich mit der russischen Frage zu beschäftigen, und ich habe darin eine Bestätigung meiner Kritik gefunden. Es ist absolut notwendig, dass die Internationale sich mit dem zentralen Problem der Beziehungen zwischen dem revolutionären Kampf des Weltproletariats und der Politik des proletarischen Staates und der Kommunistischen Partei in Russland beschäftigt; es ist notwendig, dass die Internationale die Fähigkeit erwirbt, diese Probleme zu erörtern.
Es ist wünschenswert, dass sich gegen die Rechtsgefahren ein Widerstand von links geltend macht, ich sage nicht eine Fraktion, aber ein Widerstand der Linken in internationalem Massstabe, doch muss ich ganz offen sagen, dass diese gesunde, nützliche und notwendige Reaktion nicht in der Form eines Manövers oder einer Intrige zum Ausdruck gebracht werden kann noch darf. Ich bin einverstanden mit dem Genossen Ercoli, wenn er es für unsinnig erklärt, dass Genossen, die in der politischen Debatte dem Bericht und den Thesen vollkommen zugestimmt haben, jetzt in letzter Stunde – nicht gegen die internationale rechte Abweichung, sondern gegen die Resolution zur deutschen Frage – Opposition machen. Diese Genossen, die gegen die allgemeine politische Linie keine Einwände zu machen wissen, gehen manchmal zur Opposition über, weil sie als Gruppen, als Führer oder als Exführer nicht zufrieden sind mit den Resolutionen, die ihre Partei und ihr Land betreffen. Aus diesem Grunde kann ich mich mit ihnen, mit dieser sogenannten ultralinken Opposition, nicht solidarisch erklären. Ich sage das nicht, um die Sympathie der Mehrheit zu gewinnen, der ich gerade die Verantwortung für ein solches System zuschreibe, um so mehr, als ja die Oppositionellen von heute früher von dieser Mehrheit, die sie als die besten der Führer betrachtete, unterstützt wurden.
Ich komme zum Schluss: Was speziell die deutsche Frage anbelangt, so bin ich der Meinung, dass man den guten revolutionären deutschen Arbeitern von der Linken sagen muss, dass sie sich vor zwei falschen Linien in acht nehmen müssten, – sowohl vor dem Defätismus und dem Misstrauen in bezug auf die Internationale und die russische Revolution, die sich unter einmütig angenommenen Deklarationen bergen, als auch vor dem blinden Optimismus, der jede Diskussion und jede Auseinandersetzung vermeiden will, der keine wirkliche Ausnutzung der Erfahrung und keine Mitarbeit der kommunistischen Avantgarde des Proletariats will, sondern religiösen und dogmatischen Standpunkten huldigt. Ich habe auseinandergesetzt, warum dieses letztere Verhalten für die Beziehungen zwischen dem Weltproletariat und der russischen Revolution ebenso gefährlich ist wie das erstere. Die russische Partei und Sowjetrussland haben die grösste revolutionäre Erfahrung, sie allein haben den revolutionären Sieg erfochten, aber die revolutionären Arbeiter Deutschlands haben auch ihre eigenen Erfahrungen, sie müssen sich auch stützen auf die Lehren, die ihnen ihre Kämpfe und ihre Niederlagen gegeben haben. Man muss es ihrer Tradition und ihrem Klasseninstinkt gestatten, in bezug auf rechte Gefahren befragt zu werden, von denen gerade sie im Verlaufe der letzten Kämpfe hart betroffen waren. Diese Arbeiter-Avantgarde muss klar Stellung nehmen, sowohl zur Taktik der Partei, so, wie sie heute mit ihren sehr zweifelhaften Manövern gegenüber der Sozialdemokratie und in der berühmten Kampagne für das Volksbegehren zum Ausdruck kommt, als auch zur allgemeinen Linie der Komintern und zu den Problemen der Politik der russischen Partei, die im Mittelpunkt der Politik der Weltrevolution stehen. Da die russische Revolution die erste grosse Etappe der Weltrevolution ist, so ist sie auch unsere Revolution, ihre Probleme sind unser Probleme, jedes Mitglied der revolutionären Internationale hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, an ihrer Lösung mitzuarbeiten.
Notes:
[prev.] [content] [end]
auf der fünften Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]
auf der neunten Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]
Ercoli war der Parteiname Togliattis. [⤒]
auf der vierzehnten Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]
auf der sechzehnten Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]
auf der neunzehnten Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]
auf der zwanzigsten Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI). [⤒]