IBKL – Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken
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I. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:

I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale: I. Sitzungstag
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Tschitscherin
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Kuusinen
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Trotzki
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Sadoul
Tagesordnung
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Sirola
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Stange
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Rudnyánszky
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Kascher
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Trotzki
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Rutgers
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Klinger
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Trotzki
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I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale:

I. Sitzungstag am 2. 3. 1919

Die Versammlung wird am 2. März 1919 um 6 Uhr 10 Minuten abends im Kreml eröffnet.

Gen. Lenin. Im Auftrag des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands eröffne ich den ersten Internationalen Kommunistischen Kongress. Vor allem bitte ich alle Anwesenden. sich zum Andenken der besten Vertreter der III. Internationale, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von den Sitzen zu erheben.

Genossen! Unsere Zusammenkunft ist von weittragender weltgeschichtlicher Bedeutung. Sie beweist, dass die Illusionen der bürgerlichen Demokratie zugrunde gerichtet sind. Denn nicht nur in Russland, sondern auch in den entwickeltsten kapitalistischen Ländern Europas, wie in Deutschland, ist der Bürgerkrieg zur Tatsache geworden.

Die Bourgeoisie hat heillose Angst vor der wachsenden revolutionären Bewegung des Proletariats. Dies ist verständlich, wenn wir bedenken, dass die Entwicklung nach dem imperialistischen Kriege unausbleiblich die revolutionäre Bewegung des Proletariats fördert, dass die internationale Weltrevolution beginnt und in allen Ländern wächst.

Das Volk ist sich der Grösse und Tragweite der sich gegenwärtig abspielenden Kämpfe bewusst. Nur muss eine praktische Form gefunden werden, die das Proletariat in Stand setzt, seine Herrschaft zu verwirklichen. Diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats. Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden. Sie ist den grossen Arbeitermassen verständlich geworden durch die Sowjetmacht in Russland, durch die Spartakisten in Deutschland und ähnliche Bewegungen in anderen Ländern, z. B.: die Shop Stewards Commitees in England. Alles dieses beweist, dass, die revolutionäre Form der proletarischen Diktatur gefunden, dass das Proletariat jetzt praktisch imstande ist, seine Herrschaft auszuüben. Parteigenossen! Ich glaube, nach den Ereignissen in Russland, nach den Januarkämpfen in Deutschland ist es besonders wichtig zu bemerken, dass auch in anderen Ländern die neueste Form der Bewegung des Proletariats sich zur Geltung durchringt und sich Geltung verschafft. Heute lese ich zum Beispiel in einer antisozialistischen Zeitung die telegraphische Mitteilung, dass die englische Regierung den Rat der Arbeiterdelegierten in Birmingham empfangen und ihre Bereitwilligkeit erklärt hat, die Räte als wirtschaftliche Organisationen anzuerkennen. Das Sowjetsystem hat nicht nur im zurückgebliebenen Russland, sondern auch in dem entwickeltsten Lande Europas, in Deutschland, und dem ältesten Lande des Kapitalismus, in England, gesiegt.

Mag die Bourgeoisie noch so wütend sein, mag sie noch Tausende von Arbeitern niedermetzeln, der Sieg ist unser, der Sieg der kommunistischen Weltrevolution ist gesichert.

Parteigenossen! Indem ich Sie im Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands herzlich begrüsse, schlage ich vor, zur Wahl des Präsidiums überzugehen. Bitte Namen nennen.

Gen. Tschitscherin. Ich schlage vor, drei ständige Sekretäre ins Präsidium zu wählen. Dieses Präsidium wählt für jede Sitzung aus den verschiedenen Nationalorganisationen das fünfte Mitglied. Als ständige Mitglieder schlage ich die Gen. Lenin, Albert und Platten und als ständigen Sekretär den Gen. Klinger vor.

Die Versammlung nimmt diesen Antrag einstimmig an. Die Gewählten nehmen ihre Sitze am Präsidiumstische ein.

Gen. Platten. In einer Vorbesprechung ist die Frage aufgeworfen worden, welchen Charakter unsere Tagung tragen soll. Eine Meinung ging dahin, die Tagung solle sich als Dritte Internationale konstituieren. Eine andere Auffassung, vor allem vertreten durch einen Delegierten aus dem Auslande, ging dahin, dass es zweckmässiger sei, die heutige Tagung nur als Kommunistische Konferenz zu bezeichnen und erst einer späteren Tagung die Konstituierung der III. Internationale zu überlassen. Die letztere Auffassung wurde damit begründet, dass die Einberufungszeit sehr kurz war und nicht alle Organisationen von der beabsichtigten Gründung der III. Internationale benachrichtigt werden konnten. Es muss festgestellt werden, dass wegen technischer Schwierigkeiten verschiedene Delegierte Moskau nicht erreichen konnten. Daher ist der Vorschlag gemacht worden, man solle sich heute nur als Konferenz versammeln, und diese Konferenz solle es sich zur Aufgabe machen, baldmöglichst einen wirklichen grösseren Kongress einzuberufen, auf dem die III. Internationale endgültig konstituiert werde.

Gen. Sinowjew. Ich möchte im Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands erklären: Unsere Partei steht auf dem Standpunkt, dass es die höchste Zeit sei, die III. Internationale formell zu gründen. Und wir würden beantragen, dass die Gründung sich schon auf dieser ersten Versammlung vollziehe. Da aber unsere Freunde aus Deutschland, die Kommunistische Partei Deutschlands, darauf bestehen, dass die Tagung sich nur als Konferenz konstituieren soll, so halten wir es für notwendig, uns diesem Vorschlag der deutschen Kommunisten vorläufig anzuschliessen. Wir erklären aber, dass wir auch weiter dafür agitieren werden, dass möglichst bald die dritte Internationale als formelle Organisation gegründet werde.

Gen. Kuusinen (Finnland). Wir finnische Delegierte schliessen uns auch der Ansicht an, dass die III. Internationale sich jetzt konstituieren solle. In Anbetracht des Umstandes, den Gen. Sinowjew eben erwähnte, wollen wir aber heute diesen Vorschlag nicht machen. Doch wäre es unserer Ansicht nach ein äusserst erfreuliches Resultat, wenn diese Konferenz mit dem Beschluss enden könnte, dass sie als Kongress die Gründung der neuen Internationale vornimmt.

Die Versammlung beschliesst, als internationale kommunistische Konferenz zu tagen.

Man geht zur Frage der Mandatsprüfungskommission über.

Gen. Platten. Die Zusammensetzung der Konferenz ist eine sehr vielseitige und es ist notwendig, dass eine Mandatsprüfungskommission eingesetzt wird, die dieser verschiedenen Besetzung Rechnung trägt. Das Büro schlägt vor, fünf Genossen in die Mandatsprüfungskommission zu wählen, die nach Erledigung der Tagesgeschäfte Bericht zu erstatten haben. Gleichzeitig wird diese Kommission Kenntnis geben von der Anwesenheit zweier Gruppen, einer solchen, die stimmberechtigt ist und einer solchen, die nur beratende Stimmen hat. Wir hatten Vorschläge für die Mandatskommission zu machen.

Es werden vorgeschlagen: Genossen Tschitscherin, Rudnyánszky, Sirola, Albert und Stange.

Gen. Lenin: Jetzt die Frage des Reglements: Stimmberechtigte, Stimmenverhältnis, beschliessende und beratende Stimmen und Redezeit.

Gen. Reinstein. Ich glaube, es ist angebracht, dass wir zuerst der Mandatsprüfungskommission eine Viertelstunde Zeit geben, um zu berichten, wer stimmberechtigt ist. Ich beantrage, dass wir die Sitzung für eine Viertelstunde unterbrechen.

Gen. Albert. Parteigenossen, der Vorschlag des Gen. Reinstein ist meines Erachtens nach unannehmbar, weil die Prüfung der Mandate eine beträchtliche Zeit beanspruchen wird, jedenfalls länger als eine Viertelstunde. Darum schlage ich vor, in der Sitzung fortzufahren.

Gen. Reinstein zieht darauf seinen Antrag zurück.

Gen. Platten. Ich bin der Auffassung, dass die Redezeit in der Diskussion von Anfang an beschränkt werden muss, da verschiedene Delegierte wieder nach Hause wollen, und es ist daher zweckmässig, bei der grossen Zahl der Traktanden die Redezeit auf eine Viertelstunde zu beschränken, die der Referenten aber unbeschränkt zu lassen.

Gen. Trotzki beantragt, dass der Redner, der zum zweiten Mal spricht, fünf Minuten Redezeit erhalte.

Gen. Platten. Die Geschäftsordnung wird so gehandhabt, dass einer dafür und einer dagegen sprechen kann und dann die Abstimmung erfolgt.

Gen. Lenin. Wird eine Einwendung erhoben? Ich bitte um Vorschläge für die Tagungszeit.

Gen. Sadoul beantragt, dass die Konferenz das Recht habe, ausnahmsweise die gewöhnliche Redezeit zu verlängern.

Gen. Lenin liest die Tagesordnung vor.

Tagesordnung

1. Konstituierung.
2. Entgegennahme der Berichte.
3. Richtlinien der internationalen Kommunistischen Konferenz. Referenten: Albert, Bucharin.
4. Bürgerliche Demokratie und proletarische Diktatur. Referenten: Lenin, Rahja.
5. Berner Konferenz und die Stellung zu den sozialistischen Strömungen. Referenten: Platten, Sinowjew.
6. Die internationale Lage und die Politik der Entente. Referenten: Obolenski, Platten.
7. Manifest. Referent: Trotzki.
8. Weisser Terror. Referent: Sirola.
9. Wahl des Büros und Verschiedenes (Organisation).

• • •

Gen. Lenin bemerkt zur Referentenliste: Wir haben Nachricht erhalten, das Gen. Rakowski abgereist ist und morgen eintreffen muss. Es kommen noch andere Genossen. Die Liste der Referenten soll nicht als definitiv, sondern als provisorisch betrachtet werden. Drei Delegierte der Kommunistischen Partei Ungarns sind in Galizien verhaftet worden, und es ist schwerlich zu erwarten, dass sie zu unserer Konferenz kommen. Gibt es andere Vorschläge zur Tagesordnung? Wünscht noch jemand das Wort? Da sich niemand meldet, ist die Tagesordnung somit angenommen.

Gen. Lenin. Das Wort zum Bericht hat der Vertreter Deutschlands, Gen. Albert.

Gen. Albert (Deutschland): Werte Genossinnen und Genossen!

Noch am 8. November 1918 erklärten selbst die Anhänger der Unabhängigen Sozialdemokraten, dass es für Deutschland ausgeschlossen sei, dass jemals russische Zustände, also der Ausbruch der Revolution in Deutschland möglich sei. Schon am 9. November war das alte Gebäude der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zusammengebrochen. Schon am 9. November hatten wir in Deutschland das, was man an Russland bis dahin so abfällig kritisierte, was man für Deutschland unmöglich hielt.

Allerdings, im Anfang schien es, als sei die ganze Bewegung in Deutschland nichts als eine Soldatenrevolte, als sei es nur die Unzufriedenheit des Militärs mit der drakonischen Strenge der Vorgesetzten und Unlust am Kriege. Aber über Nacht wurde das System der Räte durchgeführt, sogar in den kleinen Städten wurden solche über Nacht gebildet. Daher ist nicht nur von einer Soldatenrevolution aus Unlust am Kriege zu sprechen, sondern von dem Willen des Proletariats, endgültig das neue System einzuführen, für das das Proletariat seit langem gekämpft hat: anstelle der alten Gesellschaftsordnung die sozialistische Gesellschaft zu setzen.

Die über Nacht gebildeten Arbeiterräte waren allerdings noch sehr zweifelhaft. Die Mehrheitssozialisten und Anhänger Scheidemanns, die in Fragen der Organisation den Arbeitern weit überlegen waren, haben es verstanden, sich in die Regierung einzuschleichen, die Regierungsämter zu besetzen und in den Räten Fuss zu fassen. Die alte Anschauung der Arbeiter, dass es genügen würde, anstelle der alten Machthaber und Minister ein paar Sozialdemokraten einzusetzen, um die neue Gesellschaft aufzubauen, brachte es mit sich, dass die Unabhängigen und Mehrheitssozialisten in der Regierung Deutschlands vertreten waren.

In den ersten Tagen der Revolution erteilten die Arbeiterräte die Aufforderung an die damaligen Anhänger des Spartakusbundes, in die Regierung einzutreten, und es wurde beantragt, dass Gen. Liebknecht Mitglied der Regierung werden solle. Am ersten Tag erklärte Gen. Liebknecht, dass er nur für drei Tage in das Ministerium eintreten werde, um den Waffenstillstand perfekt zu machen. Als dies von den Mehrheitssozialisten abgelehnt wurde, lehnte Gen. Liebknecht den Eintritt in die Regierung ab, und mit ihm die Genossen des Spartakusbundes. Wir waren der Auffassung, dass für Deutschland der Moment noch nicht gekommen sei, die neue Gesellschaftsordnung anstelle der alten kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufzubauen und dass es nicht genügen würde, ein paar Fürstenknechte fortzujagen. Die Hauptsache ist, den alten Staatsapparat zu zertrümmern und sich seinen eigenen Herrschaftsapparat zu schaffen. Für uns besteht also die Hauptaufgabe darin, den Arbeitermassen zu zeigen und sie zu lehren, dass erst der Aufbau des Rätesystems, d. h. die Übernahme der Diktatur durch das Proletariat nötig ist. Wie recht unsere Genossen hatten, nicht in die Regierung einzutreten, zeigten schon wenige Tage später die Massnahmen der Regierung. Alle ihre ersten Dekrete gingen dahin, dass sie den Arbeiterräten das Exekutivrecht absprach.

In die Regierung waren auch Haase, Dittmann, Barth usw. eingetreten. Beide Richtungen hatten das erste Dekret erlassen. Schon wenige Tage später gerieten sie in Kollision mit dem Zentralrat. Die Regierung stellte sich über das Rätesystem. Die beseitigten Offiziere wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt und bekamen wie früher die alte Kommandogewalt. Man hielt die Zeit zur Durchführung des Sozialismus noch für zu früh und wollte dies auf später verschieben. Die Forderungen der Arbeiter wurden mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht möglich, den bisherigen Staatsapparat zu ändern, weil die Feinde vor der Tür ständen, weil die Entente nicht zuliesse, dass die Regierung irgend welche Änderungen durchführe.

Als die Auflehnung des Proletariats gegen diese Verhältnisse immer stärker wurde, als die Arbeiter nicht einverstanden waren mit dem Wandeln in den alten Bahnen, da zeigte die Regierung der Mehrheitssozialisten bald ihr wahres Gesicht.

Es war bezeichnend für die deutschen Zustände, dass schon am dritten Tage nach Ausbruch der Revolution die rechtsstehenden Zeitungen erklärten, die Revolution sei einfach da, und es sei schwer, sie hinwegzuleugnen. Die Hauptsache sei, dass die Regierung dafür sorge, dass die Demokratie in Deutschland auch wirklich durchgeführt, dass sie auch praktisch zur Tatsache werde. Sie verstanden darunter die Demokratie des Bürgertums und die Einberufung der Nationalversammlung. Der Spartakusbund wies gleich darauf hin, dass davon nicht die Rede sein könne, dass das, was wir brauchen, die Diktatur des Proletariats sei, das sich im Rätesystem einen Organisationsapparat geschaffen habe, und da das Proletariat in Deutschland die Revolution durchgeführt habe, sei es die einzige Klasse in Deutschland, die berufen sei, den neuen Staat aufzubauen. Wir forderten, dass der Klassenkampf rücksichtslos bis zur Niederwerfung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung geführt werde. Das passte den Herren Scheidemann und Ebert nicht. Sie erklärten sich für die Nationalversammlung. Mit einer fabelhaften Eile schrieben sie die Wahlen aus. Damit war für die Arbeiter die Parole gegeben. Das gesamte Volk spaltete sich in zwei Gruppen. Auf der einen Seite die Vertreter des Kapitals, die für die Nationalversammlung eintraten, auf der anderen Seite der Spartakusbund mit der Forderung des Rätesystems und der Diktatur des Proletariats. Unter dieser Parole sind alle die Kämpfe geführt worden, über die Sie informiert sind.

Die Genossen, die sich zum Spartakusbund bekannten waren bisher in der Unabhängigen Sozialdemokratie organisiert. Die Verhältnisse lagen derart, dass bis zu Anfang des Krieges eine einzige sozialdemokratische Partei vorhanden war, die im Auslande bis in den Himmel gelobt wurde. Als bei Ausbruch des Krieges die Sozialdemokraten mit ihren Führern zum Nationalismus übergegangen waren, als sie Schulter an Schulter mit der Bourgeoisie zum Kriege hetzten, war es für die Mitglieder des Spartakusbundes unmöglich, in dieser Organisation zu bleiben. Es gab noch eine Richtung innerhalb der Sozialdemokratie, die nicht einverstanden war mit der Bewilligung der Kriegskredite, aber in bezug auf andere Fragen der Vaterlandsverteidigung mit Scheidemann-Ebert zusammen ging: die Haase und Ledebour. Nach offener Opposition flogen sie aus der Partei heraus und gründeten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei.

Für die Freunde des Spartakusbundes war es unmöglich, zu arbeiten und ihre Tätigkeit zu entfalten. Alle Vertreter des Spartakusbundes wurden in das Gefängnis geworfen oder wanderten in die Schützengräben. Nur einigen wenigen war es möglich, in angefangener Weise zu arbeiten, sofern sie gerade in Freiheit waren. Als die Unabhängige Sozialdemokratische Partei in Gotha begründet wurde, waren wir bereit, uns in einer Organisation mit den Unabhängigen Sozialdemokraten zu vereinigen, aber Gegensätze waren schon damals vorhanden und unüberbrückbar. Als nach dem Ausbruch der Revolution die Unabhängigen in die Regierung eintraten, nachdem auch sie sich zur bürgerlichen Demokratie bekannt hatten und damit das Rätesystem abzuwürgen versuchten, war es uns unmöglich, innerhalb ihrer Organisation zu bleiben. Am 3. Januar 1919, auf der Konferenz des Spartakusbundes in Berlin, gründeten wir die Kommunistische Partei Deutschlands. Nun begann die Regierung unter Führung Ebert-Scheidemanns einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Kommunisten zu führen, und alle Unterdrückungsmethoden des alten Regiments wurden zur Bekämpfung der Kommunistischen Partei rücksichtslos von ihr angewandt. Als die Arbeiter sich gegen diese Politik wandten, als das Proletariat durch Streiks zeigte, dass es nicht Lust habe, sich nach den alten Methoden unterdrücken zu lassen, da waren es die Vertreter der Ebert-Scheidemann, die gegen das Proletariat mit aller Schärfe ins Feld zogen und zuerst Maschinengewehre und Kanonen gegen das Proletariat in den Strassen Berlins auffuhren. Am 6. Dezember 1918 wurden in den Strassen Berlins gegen friedlich demonstrierende Arbeiter Maschinengewehre und Kanonen aufgefahren und eine grosse Zahl unserer besten Genossen niedergeknallt oder schwer verwundet. Es ist typisch, dass es die Soldatenvertreter der Kommunistischen Partei waren, gegen die man am schärfsten vorging.

Wie steht es heute mit dem Militär in Deutschland? Die Soldaten, die 4 Jahre im Kriege gewesen sind, die am 9. November das alte System durch Aufstand zertrümmert haben, sie wollen in Deutschland nicht mehr Soldaten spielen. Die alten Regimenter sind aufgelöst worden. Sie sind nach Ausbruch der Revolution davongelaufen, ob es Scheidemann passte oder nicht.

Die in Deutschland vorhandenen Truppenkörper wurden einige Tage nach der Revolution aufgelöst, und ganze Länderstriche, deren Führer sich zu der Kommunistischen Partei bekannten, hatten auf eigene Faust die Demobilisation durchgeführt Die Republik Braunschweig hat in den ersten Tagen nach Ausbruch der Revolution ihre Demobilisation für den 23. Dezember angekündigt. Die Reichsregierung protestierte dagegen, aber die Soldaten waren entlassen. Es hatte auch für die Regierung wenig Sinn, die alten Soldaten weiter zurückzuhalten, sie waren für ihre Zwecke doch nicht mehr zu gebrauchen. Die alten Regimenter an der Front wollten nicht mehr gegen den äusseren Feind kämpfen, sie waren davongelaufen, unbekümmert um den Waffenstillstand. Ich muss bemerken, dass Russland an der Zersetzung unserer Armee einen grossen Anteil nahm. Die Kriegsgefangenen, die aus Russland kamen, langten in einem schönen Zustand bei uns an. Wo sie hinkamen, dauerte es nicht lange, so war von Kriegsbereitschaft nicht mehr die Rede.

Es gab freilich Regimenter an den Fronten, die der Agitation nicht zugänglich waren und sich noch in den Händen der Offiziere befanden, aber auch diese wurden bald zum Kampf unfähig.

Der kommandierende General von Berlin, Legius, erklärte Anfang Januar, dass seine Truppen, die noch in den Händen ihrer Offiziere waren, nur eines 5 bis 6tägigen Aufenthalts in Berlin bedurften, um vollständig demoralisiert zu werden. Nur der Zufall, dass von den Fronten Truppen zurückkehrten, die der Agitation noch nicht zugänglich gewesen waren, machte es möglich, dass in den Strassen Berlins Truppen gegen die Arbeiter vorgingen. So war es am 6. Dezember 1918, als nach Versammlung des roten Soldatenbundes die eben aus Finnland zurückgekommenen Truppen auf Kommando der Regierung die aus der Versammlung kommenden Soldaten niederknallten. Als einige Tage später die Matrosen, welche das Fundament und die Kerntruppen der Revolution bildeten – sie setzten sich meistens aus Arbeitern, die schon früher in der Partei organisiert waren, zusammen –, Berlin nicht verlassen wollten, da war es die Regierung, die ein Regiment aus dem Felde gegen die Matrosen ins Feuer schickte, und sie wurden mit Gelbkreuzgranaten traktiert. Haase, Barth und Dittmann, die Mitglieder der Regierung, erklärten, sie seien bei der Sitzung, auf der beschlossen worden war, auf die Arbeiter zu schiessen, nicht anwesend gewesen. Die Unabhängigen schieden dann aus der Regierung unter den Fusstritten der Scheidemänner aus. Sie wurden herausgedrängt und haben darüber nicht wenig gejammert.

Spartakus konnte nicht mehr mit ihnen zusammen arbeiten. Mit solchen Leuten war alle revolutionäre Arbeit illusorisch und darum die Gründung einer eigenen Kommunistischen Partei eine Notwendigkeit. Sie war auch deshalb eine Notwendigkeit, weil die Zersplitterung innerhalb der vorhandenen Partei immer weiter fortschritt. Die Mehrheitspartei ist in sich einig, aber bei den Unabhängigen sieht es faul aus. Jeder Führende stellte eine andere Richtung dar, und jeder drängte, eine andere Partei zu gründen. Besonders Ledebour und Däumig gingen mit dem Gedanken um, eine allgemeine deutsche Partei zu gründen, und wäre diese Gründung zustande gekommen, so wäre wieder eine unabhängige sozialdemokratische Partei entstanden, die weder nach rechts noch nach links neigte und weder auf dem Standpunkt der äussersten Linken, des Spartakusbundes, noch für die Diktatur des Proletariats gewesen wäre. Dies veranlasste uns, uns von diesen Leuten unverzüglich zu trennen und damit die Gründung einer solchen Mischmaschpartei unmöglich zu machen.

Die Aufgabe des Kommunistenbundes war nicht nur die Gründung einer neuen Partei, sondern in der Hauptsache die, die Massen zu erziehen, sie zur Durchführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung vorzubereiten, in der die Tätigkeit jedes einzelnen notwendig ist, da unter den Arbeitern immer wieder der Gedanke zum Ausdruck kommt, dass nach der Ersetzung einiger Minister durch Sozialdemokraten die Aufgabe für sie erledigt sei. Unsere Aufgabe war es, darauf hinzuweisen, dass nur auf dem Wege der Massenaktion die entscheidenden Kämpfe mit dem Bürgertum geführt werden können, und uns war es von vornherein klar, dass die Revolution am 9. November nichts war, als ein schwacher Versuch der Zertrümmerung der alten Gesellschaftsordnung, dass die eigentliche Revolution in Deutschland noch bevorstände. Gerade in diesen Wochen zeigte es sich, dass die Umgestaltung der Gesellschaftsordnung noch schwere Kämpfe verursachen und der Bürgerkrieg mit einer Leidenschaft entbrennen wird, wie es die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Es ist notwendig, den Massen zu zeigen, dass nur mit Hilfe des Rätesystems dieses Ziel erreicht werden kann. Unsere ganze Agitation hat zum Ziel, den Arbeitern begreiflich zu machen, sie zu veranlassen, sich ihre Räte zu schaffen. Wie sieht es nun mit den Räten aus? Im Anfang der Revolution sind überall Räte gegründet worden. In Betrieben und Werkstätten traten die Arbeiter zu Räten zusammen, die die Aufgabe hatten, in ihren eigenen Betrieben die Besserstellung der Arbeiterschaft durchzuführen. Für uns ist von Bedeutung, dass durch diese Betriebsräte die bisher in Deutschland so sehr einflussreichen Gewerkschaften an die Wand gedrückt worden sind, die Gewerkschaften, die mit den Gelben eins waren, die den Arbeitern verboten hatten zu streiken, die gegen jede offene Bewegung der Arbeiter waren, die den Arbeitern überall in den Rücken gefallen sind. Diese Gewerkschaften sind seit dem 9. November vollständig ausgeschaltet. Alle Lohnbewegungen seit dem 9. November wurden ohne, ja gegen die Gewerkschaften geführt, die selbst keine einzige Lohnforderung der Arbeiter durchgedrückt hatten. Nur in den letzten Tagen führte der Handlungsgehilfenverband eine offene Bewegung, weil in der Führung Mitglieder der Kommunistischen Partei sitzen.

Wie sieht es nun aus mit dem zukünftigen Kampf in Deutschland? Wenn man nach zahlenmässigem Resultat der Wahlen zur Nationalversammlung gehen will, so müsste man sagen, dass die Mehrheitssozialisten in Deutschland die grosse Masse hinter sich haben. 11 Millionen Stimmen waren für die Scheidemänner und 2 Millionen für die Unabhängigen Sozialisten, aber wenn man die Bewegung verfolgt, so zeigt es sich, dass die Arbeiter nicht so geschlossen hinter der Regierung stehen, wie sie vorgibt. Es zeigt sich vielmehr, dass überall, wo die Arbeiter gegen die Regierung selbständig auf dem Wege des Sozialismus Vorteile für sich zu erringen versuchen, überall dort die Arbeiter hinter den Parolen der Kommunisten stehen. In Rheinland-Westfalen entstand eine grosse Bewegung der Bergleute. Man wählte einen Zentralrat, der die Kontrolle über die gesamten Kohlenbergwerke in der Hand hatte. Nicht nur die Arbeiter nahmen an der Sozialisierung der Betriebe teil, sondern auch die Beamtenschaft hat sich bereit erklärt, ohne die Kapitalisten die Sozialisierung durchzuführen und sich ohne Sabotage gemeinsam mit den Arbeitern an dem sozialisierten Betrieb zu beteiligen. Es ist nicht möglich, in einem Staate so vorzugehen, dass die Sozialisierung auf einem einzelnen Gebiet durchgeführt wird, aber es ist symptomatisch, dass die Arbeiter erkennen, dass der einzige Weg zur Beseitigung der alten Wirtschaftsweise die Sozialisierung der Betriebe, des gesamten Lebens ist. Die Aussichten für die zukünftigen Kämpfe sind günstig dadurch, dass das ganze Wirtschaftsleben in Deutschland sich in rasch absteigender Linie entwickelt.

Weniger günstig ist, dass die Regierung mit Schärfe gegen die Arbeiter vorgeht, aber die Arbeiter lassen sich nicht einschüchtern. Ich habe Ihnen berichtet, dass das alte Militär in Deutschland überall, wo es zu Kämpfen gekommen ist, erklärt: »Gegen die Arbeiter kämpfen wir nicht«. Wenn es sich also neutral verhielt, so hatte dieses Militär für die Regierung keinen Zweck, und sie kam daher nach russischem Muster dazu, weisse Garden aus freiwilligen Regimentern zu gründen. Neue Regimenter wurden zusammengestellt zum Ostschutz, auf der einen Seite unter dem Vorwand, die aufständigen Polen niederzuhalten, die Polen, die unter der Diktatur der Bourgeoisie unterdrückt waren, die heute genau so misshandelt werden wie früher. Auf der anderen Seite werden die Truppen gegen den Ansturm bolschewistischer Rotgardisten gebraucht. Dies ist ein Kapitel für sich. In Deutschland werden die Rotgardisten als mordende und sengende Räuberbanden geschildert. Diese Propaganda wird lebhaft betrieben, um Soldaten zu gewinnen, die gegen die Bolschewiki kämpfen.

Aber die Soldaten werden gebraucht, um in den Strassen Berlins gegen die Arbeiter vorzugehen und sie in ihrem revolutionären Kampf niederzuringen. Die erste Bewegung zeigte sich in Berlin im Januar 1919. Die Regierung hatte den Polizeipräsidenten abgesetzt und einen Mehrheitsmann an seine Stelle berufen, der sich schon früher durch seinen Verrat an den Arbeitern verhasst gemacht hatte. So konnte das Proletariat fürchten, dass er wieder mit brutalsten Mitteln vorgehen würde. Ohne eine Parole, ohne die Direktive der Partei, am wenigsten des Spartakusbundes hatten die Arbeiter am 19. Januar einige Druckereien besetzt, vor allem die des »Vorwärts«, welcher schon seit langem bei den Arbeitern verhasst war. Nach einigen Tagen des Kampfes und der Besetzung wurden dann von seiten der Mehrheitsleute unter Führung der Regierung die ersten weissen Garden ins Feuer geführt, die in Berlin aufräumen sollten. In welcher scheusslichen Weise und mit welch brutaler Rücksichtslosigkeit dort vorgegangen wurde, können Sie daraus ersehen, dass die ersten Parlamentäre, die aus dem Gebäude des Vorwärts kamen, einfach von den Soldaten totgepeitscht wurden. 7 Mann wurden erschlagen. Nachdem die Weissgardisten die revolutionäre Bewegung niedergedrückt hatten, gingen sie daran, alle, die sich zum Spartakusbunde bekannt hatten, zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken. Auf diese Weise kamen unsere besten Führer, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, in die Hände der Henker und wurden von ihnen auf der Strasse erschlagen. Alle Märchen über den Fluchtversuch Liebknechts, über das Wegschleppen der Genossin Luxemburg durch die Arbeiter ist purer Schwindel. Die Zeugenaussagen liegen schon heute vor, dass Liebknecht von den Soldaten der Weissgardisten mit Kolben über den Kopf geschlagen und schwer verwundet im Automobil fortgeschafft, dann erschossen wurde, dass Rosa Luxemburg durch zwei Kolbenschläge erschlagen und die Leiche fortgeschleppt wurde. Die Mörder und die Offiziere sind bekannt, alle Aussagen sind veröffentlicht, aber die Mörder laufen heute noch frei in den Strassen herum. Die Regierung denkt nicht daran, sie gerichtlich zu belangen.

Wie Liebknecht und Luxemburg ist es auch vielen anderen Spartakusleuten ergangen: sie wurden von fanatischen Soldaten und Offizieren ermordet und verscharrt. So wurde auch der russische Genosse Karl Radek verhaftet, in schwere eiserne Ketten gelegt und in einem feuchten, kalten Keller, einer Mörderzelle des ehemaligen Zuchthauses untergebracht. Sie sehen, dass der Terror in Berlin in schönster Blüte steht, dass der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie nicht mehr wie früher mit Flugblättern und Broschüren, sondern mit Pulver und Blei geführt wird. Die Bourgeoisie hat in ihrer Angst keinen anderen Ausweg, als den, das Proletariat mit Gewalt niederzuhalten. Andere Mittel hat sie nicht.

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sieht trostlos aus. Die Betriebe werden in grossen Mengen geschlossen, die Arbeiter haben sich durch ihre Lohnbewegung und Streiks Löhne errungen, die dem Unternehmer den Betrieb nicht mehr als rentabel erscheinen lassen. Er macht seine Bude einfach zu, weil nicht mehr genug Überschuss vorhanden ist. Aber auch die Arbeitsunlust der Arbeiter in den Betrieben nimmt zu. Es ist kein Wunder, dass die Arbeiter heute, wo sie die Betriebe in ihren eigenen Händen haben könnten, keine Lust mehr haben, die Taschen der Kapitalisten zu füllen. Die Unlust nimmt immer mehr zu. Rohmaterialien sind wenig vorhanden, und wo sie vorhanden sind, wandern sie im Schleichhandel von Hand zu Hand. Daher schliessen die Unternehmer den Betrieb. Die Zahl der Arbeitslosen in Berlin betrug 260 000, als ich abreiste. Der wirtschaftliche Zusammenbruch Deutschlands steht vor der Tür.

Die Verkehrsverhältnisse sind schlechte. Man sagte mir in Deutschland: wenn Du nach Russland gehst, so wirst Du was erleben. Genossen, ich bin von der Grenze nach Moskau glänzend gefahren im Verhältnis zu Deutschland. Die Engländer und Franzosen haben uns die besten Lokomotiven abgenommen. Eine Reise von Berlin nach Leipzig, die früher nur zwei Stunden dauerte, dauert oft 9–10 Stunden, und wo früher jede Stunde ein D-Zug verkehrte, verkehren jetzt nur täglich 1–2 Personenzüge. Es zeigt sich, dass auch hier die Methode der früheren Bewirtschaftung nicht fortgesetzt werden kann.

Die Lebensmittelfrage wird immer komplizierter. Die Lebensmittel werden teurer und sind nicht zu beschaffen. Das Rationierte reicht nicht zum Leben aus, und man ist auf den Schleichhandel angewiesen. Die Arbeiter sind nicht in der Lage, die Lebensmittel zu beschaffen. Als Folge gibt es überall Aufstände. Die Weissgardisten warten auf den Moment, um gegen das Proletariat vorzugehen, und darum sind gewaltsame Zusammenstösse unvermeidlich.

All dies und besonders auch der Friede mit der Entente wird zeigen, dass die Kämpfe, die das Proletariat zu führen hat, in der frohen Hoffnung auf ein erfolgreiches Ende geführt werden. Die Regierung vertröstet die Arbeiter immer wieder und sagt: wir dürfen nichts tun, der Friede mit der Entente steht vor der Tür. Die Arbeiterschaft fällt auf diese faulen Ausreden nicht mehr herein. Seit Monaten wird erklärt, wir müssten gegen Russland kämpfen, um uns bei der Entente beliebt zu machen. Wir haben von ihr aber noch nichts bekommen, und es wird auch nichts geliefert werden. Die paar Büchsen kondensierter Milch sind uns zu Preisen angeboten, die die Kapitalisten zahlen können, nicht die Arbeiter. Die Scheidemänner, die vor 4 Jahren die Kriegspolitik gegen die Ententeländer gutgeheissen und unterstützt haben, dieselben Leute liegen vor der Entente auf dem Bauch und winseln und bitten um Gnade. Sie fürchten sich vor dem Frieden. Die deutsche Regierung, die Scheidemänner und Konsorten, haben der Entente gezeigt, wie man Frieden mit den Besiegten machen muss, und die Engländer und Franzosen können auf Brest-Litowsk hinweisen und sagen: Ihr habt uns gelehrt, wie man Frieden macht, und wenn der Friede schwer ausfallen wird, so wird er es eben, weil die Vertreter der Entente, die Wilson und Clemenceau, nichts anderes als die Geschäftsführer ihrer kapitalistischen Staaten sind und den Friedensschluss als ein Geschäft betrachten, aus dem möglichst viel herausgeholt werden muss. Nicht dadurch, dass die Regierung vor der Bande winselnd auf dem Bauche rutscht, ist etwas herauszuholen, sondern dadurch, dass das Proletariat die Revolution mit Energie und Leidenschaft fortsetzt. Es soll das Vertrauen der Proletarier Englands und Frankreichs gewonnen werden, um gemeinsam mit ihnen den Kampf für die Weltrevolution zu führen.

Das ist die Meinung der Kommunistischen Partei, und durch unsere Agitation ist es möglich, überall, wo das deutsche Proletariat sich der Kommunistischen Partei noch nicht angeschlossen hat, es für unsere Anschauung zu gewinnen. Ich glaube nicht zu optimistisch zu sein, wenn ich sage, dass die Kommunistische Partei Deutschlands sowie Russlands den Kampf in der vollen Hoffnung fortsetzt, dass die Zeit ist, in der auch das deutsche Proletariat die Revolution zu einem erfolgreichen Ende führen wird, in der trotz aller Nationalversammlungen, trotz der Scheidemänner und trotz des bürgerlichen Nationalismus die proletarische Diktatur in Deutschland errichtet werden kann. Zu diesem Kampfe ist es notwendig, dass die Proletarier Deutschlands in Gemeinschaft mit dem Proletariat der anderen Länder ins Feld ziehen. Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich Ihrer Einladung freudig Folge geleistet, in der Überzeugung, dass wir in der kürzesten Frist mit dem Proletariat aller anderen Länder, besonders Englands und Frankreichs, Schulter an Schulter für die Weltrevolution kämpfen können, um die Ziele der Revolution auch in Deutschland zu verwirklichen.

Gen. Lenin: Das Wort hat der Vertreter der Schweiz, Genosse Platten.

Gen. Platten (Schweiz): Werte Genossen! Die Schweiz ist ein kleines Land mit einer bescheidenen revolutionären Bewegung. Sie ist nicht in der Lage, durch ihren Berichterstatter eine so umfassende Darstellung von Kämpfen zu geben, wie andere Länder, wenn auch zu sagen ist, dass wir versuchten zu tun, was die Solidarität mit den russischen Kameraden verlangte.

Wir waren von der Heimsuchung des Krieges verschont geblieben, wir hatten leichtere Lebensverhältnisse und unsere Arbeiterbewegung ging einen anderen Gang als in den kriegführenden Ländern. Es zeigten sich aber doch auch in der Schweiz die politischen Rückwirkungen des Krieges. In der Parteibewegung haben wir uns in der Schweiz von Anfang an zu Zimmerwald bekannt. Ich will die Absplitterung nur kurz streifen und möchte Euch sagen, dass der Kampf um Zimmerwald die äussersten nationalen Elemente der Partei abgestossen hat, und eine internationalistische Partei blieb, die sich kräftig entwickelte. Aber trotz der inneren Spaltung war es nicht möglich, alle rechtsstehenden Elemente abzudrängen. Alle Genossen verblieben in der Partei, weil die Einheit gewahrt werden musste.

Wenn ich dazu übergehe, einen kurzen Blick auf die Parteientwicklung zu werfen, so genügt es zu erwähnen, dass schon anlässlich der Beschickung der Konferenz von Zimmerwald sich zeigte, dass selbst diese geschlossene Partei in sich nicht nur zwei, sondern drei Strömungen aufzuweisen hatte. Die Rechtsstehenden, wie Studer, Müller, Greulich waren dabei nicht vertreten, dagegen Genosse Naine, der nach einer starken Rechtsschwenkung später die Rechte vertrat. Es waren aber das spätere Zentrum und die Linke der Partei vertreten, und bei der Abstimmung kam es in allen Fragen zu getrennter Stimmenabgabe. Ich schloss mich der Zimmerwalder Linken an. Grimm votierte gegen die Linke und begründete seine Haltung damit, dass er als Präsident gezwungen wäre, durch eine neutrale Haltung den Zusammenhang zwischen den Strömungen aufrecht zu erhalten. Später zeigte es sich, dass tiefere politische Gründe seine Stellung bedingten.

Der Kampf, der nach Zimmerwald in der Partei ausgefochten werden musste, wurde von der Linken gemeinschaftlich mit dem Zentrum der Partei geführt. Die Grütlianer trennten sich, und damit war der Weg der Partei vorgezeichnet. Es ging eine rapide Linksentwicklung vor sich, und wenn wir uns charakterisieren wollten, so ist durch alle Beschlüsse der Parteitage die Partei zu den Linken in der Internationale zu zählen und wäre mit Recht heute hier vertreten. Die Struktur des Landes führt aber zu starkem Widerspruch zwischen Theorie und Praxis.

Die Mission, die Genosse Grimm nach Russland übernommen, ist nicht ohne politische Rückwirkung auf die Schweizer Parteibewegung geblieben. Als wir telegraphisch von seiner Haltung in Petersburg erfuhren, erkannten die Weitblickenden, vor allem die linksstehenden Elemente in Zürich, dass Grimms Haltung und Stellung in der Internationale wie in der Schweizer Partei nicht mehr die alte sein könne. Damals glaubten aber noch viele Gesinnungsgenossen hoffen zu dürfen, es sei eine persönliche Entgleisung gewesen. Ich habe damals den Standpunkt vertreten, wir sollten öffentlich erklären, dass wir seine Politik verurteilen, blieb aber mit meiner Auffassung allein. Er ist zurückgekehrt und hat zuerst einen Scheinradikalismus entwickelt. Bald hat er die natürlichen Konsequenzen gezogen, und wir hatten mit ihm einen scharfen Kampf zu führen. Auf dem nächsten Parteitag wird der Kampf noch heftiger werden, denn die Partei wird dann endgültig ihre Wege festsetzen; ob es zur Spaltung kommen wird, vermag ich noch nicht zu beurteilen.

Die gewerkschaftliche Bewegung in der Schweiz hat dieselben Krankheiten aufzuweisen, wie die deutsche. Ein Stab von Beamten beherrschte die Bewegung, und es bestand die Gefahr der dauernden Verknöcherung der Gewerkschaftsbewegung. Die Not, in die die Arbeiter durch die Teuerung geraten sind, zwang sie, ohne Bewilligung der Zentrale Kämpfe anzutreten. Die Gewerkschaftsorganisationen mussten sich dazu bequemen, die Führung auf sich zu nehmen. Die Arbeiter in der Schweiz haben frühzeitig erkannt, dass sie ihre materielle Lage nur verbessern können, wenn sie über die Statuten der Gewerkschaften hinaus einfach zum Kampf schreiten, nicht unter der Führung des alten Gewerkschaftsbundes, sondern unter selbstgewählter Leitung. Es kam zur Gründung eines Arbeiterkongresses und eines Arbeiterrats, in dem allerdings, wie in den russischen Sowjets zu Beginn der russischen Revolution, keine revolutionäre Stimmung vorhanden war. Der Arbeiterausschuss musste die Macht ausschliesslich in seine Hände nehmen. Der Arbeiterkongress kam zustande trotz des Widerstandes des Gewerkschaftsbundes, und zwar war er vor die Aufgabe gestellt, sich gleich mit den Kampfmitteln eines Massenstreiks vertraut zu machen. Die kommenden Kämpfe wurden vorbereitet, und gegen den Willen des Ausschusses dieses Arbeiterkongresses ist es zu dem grossen Kampf gekommen, der die Schweizer Arbeiter vor eine grosse Aufgabe gestellt hat. Es ist die letzte Bewegung gewesen, die über 400 000 Arbeiter in den Kampf mitgerissen hat.

Die zaghafte Politik der Zentrale führte dahin, dass wiederum Zürich vorgehen musste. Erst zwei Tage nach Beginn des Züricher Streiks kam die zentrale Leitung, um das schwindende Prestige wieder herzustellen, nachträglich dazu, die Parole eines allgemeinen Streiks zu geben, und so gelang es, den Kampf über das ganze Land auszudehnen. Dabei war zwar von einer Bewaffnung noch keine Spur zu sehen. Das Proletariat in der Schweiz glaubte, diesen Kampf ohne Waffen durch blosse Arbeitsruhe und Aushalten führen zu können. Der Kampf dauerte fünf Tage, und am fünften Tage wurde zum Entsetzen der Arbeiterschaft durch die Zentrale die Parole ausgegeben, den Streik abzubrechen. Hier ist wiederum ein Verrat gegen die Arbeitersache zu verzeichnen. Das Komitee, das zum Teil aus Funktionären zusammengesetzt war, zeigte sich dieser Situation nicht gewachsen, und der Abbruch dieses Kampfes wurde damit begründet, dass, wenn wir weiter streikten, der blutige Bürgerkrieg zur Tatsache werde. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Niederlage hatte auch Aussperrungen zur Folge, der Kampf war verloren.

Durch diesen Kampf, der die grössten Anforderungen an den Mut der Arbeiter gestellt hat – denn das Militär war sehr gut ausgerüstet und zirka 40000 Mann stark aufgeboten –, wurde die Einsicht in die zukünftigen Kampfbedingungen gewaltig gefördert. Nachdem der Kampf abgebrochen und die Besprechung der Lage eingetreten war, kamen die Arbeiter zur Erkenntnis: kommende Kämpfe könnten nicht mehr dieselbe Form haben, sondern würden blutige Aufstände sein.

Eine furchtbare Reaktion schloss sich an die Niederlage an. Fast alle führenden Genossen wurden dem Gericht unterstellt und harren der Verurteilung. Hunderte von Eisenbahnern werden ebenfalls diesen Kriegsuntersuchungsbehörden unterstellt werden, weil sie sich weigerten, Dienst zu tun.

Der sich an diese Aktion anschliessende wichtige Akt ist die Ausweisung der russischen Gesandtschaft aus der Schweiz. Ich darf sagen, dass gerade die Gerüchte, dass die russische Gesandtschaft aus der Schweiz ausgewiesen werde, dazu beigetragen haben, in den Arbeitern hellen Zorn zu entfachen. Später hat man den Kampf mit verschiedenen Forderungen verbunden. Wir haben bekundet, dass der Kampf geführt wurde, weil man gegen die Sowjetregierung Schritte unternehmen wolle, die wir als Provokation empfanden. Für uns war die Ausweisung doppelt schmerzhaft, denn die russische Gesandtschaft hat durch eine spezielle Abteilung uns in der Übermittlung von Nachrichten aus Russland gewaltige Dienste geleistet, durch die wir die Lügengerüchte, die die Bourgeoisie verbreitete, widerlegen konnten.

Sobald wir uns wieder sammeln konnten, gingen wir daran, einige neue Arbeiten in Druck zu geben und das ausgezeichnete Material nach Möglichkeit weiter zu verbreiten. Wir haben unter den Massen die Werke Lenins und Trotzkis verbreitet, was nicht nur zur Hebung des revolutionären Geistes der Arbeiter beitrug, sondern ihnen die Möglichkeit eines tiefen Einblicks in die proletarische Bewegung in Russland und in alle Formen der proletarischen Diktatur gewährte. In letzter Zeit ist unsere eigene Propaganda auch umfassender geworden. Wir haben uns bemüht, durch Flugschriften, Broschüren und Versammlungen an der Revolutionierung des Proletariats zu arbeiten und ihm klare Ziele vor die Augen zu stellen. Besonders einer Gruppe gedenke ich, mit der wir in gewissen Fragen Differenzen hatten. Dieser Gruppe verdanken wir aufklärende Arbeit unter dem Militär. Wir werden uns ernstlich mit der Frage befassen müssen, wie wir die Kräfte unserer Gruppen zu gemeinsamer Arbeit sammeln können. Das wird dann möglich sein, wenn eine klare Entscheidung in der Partei gefallen ist. Einen wichtigen Umstand muss ich noch erwähnen. Wir müssen unbedingt im Auge behalten, einer mächtigen Waffe – der Presse – bei dem Kampfe nicht verlustig zu gehen. Wir haben nichts für uns zu befürchten, wenn wir es vermögen, uns die Presse sorgfältig und einwandfrei zu sichern.

Der Parteitag, der dem Arbeiterkongress voranging, war ein Überrumpelungsparteitag. Meine Person spielte dort eine Rolle, insofern ich als Sekretär der Partei imstande war, mein Mandat in die Waagschale zu werfen. Auf dieser Tagung ist von der Rechten ein Vorstoss gemacht worden. Mit Hilfe des Zentrums ist es ihr möglich geworden, ihren Wohnort von Zürich nach Bern zu verlegen. Ich erklärte, einem Versuch, die in den Händen der Radikalen liegende Geschäftsleitung von Zürich in die Hände der Berner Genossen zu spielen, Opposition machen zu müssen. Bern als Wohnort war gleichbedeutend mit Zentrumspolitik. Auf diesem Parteitag hat Gen. Grimm sich herbeigelassen, sich in die Leitung wählen zu lassen. Als Präsident wurde Grimm nicht gewählt, aber unter der Präsidialleitung eines Sozialpatrioten war der ehemalige Zimmerwalder Präsident bereit zu arbeiten. Wie stolz dieser Präsident im Parlament erklärte: »Ich bin nicht Bolschewik, nicht einmal Zimmerwalder.«!

Diesen ausgesprochenen Opportunisten auf den Stuhl des Präsidenten zu setzen, haben die Genossen geholfen, und damit haben sie an unserem Flügel eine niederträchtige Tat begangen und dazu beigetragen, sich bei den Massen zu diskreditieren. Die Wohnortsverlegung hat nicht die Bedeutung erlangt, die man erwartete, weil ein kommender Parteitag den Präsidenten zum Sturz brachte und den Beweis erbrachte, dass zwei Drittel der Genossen auf seiten der äussersten Linken standen.

Die Frage der Beschickung der internationalen sozialpatriotischen Konferenz in Bern wurde verneinend entschieden. Ein anschauliches Bild gibt das Resultat der Abstimmung: 198 Stimmen für, 154 Stimmen gegen eine Resolution, die ich einbrachte, und die sich gegen die Beschickung der Konferenz aussprach. Unsere Solidarität mit den russischen Parteigenossen wurde ausgedrückt. Gegen uns stimmten alle vom Zentrum und von der Rechten, aber auch in der endgültigen Abstimmung blieben wir in der Mehrheit, und dieser Beschluss hat in dem Lande, in dem die Sozialpatrioten zu tagen beliebten, gewaltiges Aufsehen erregt.

Gen. Lenin: Das Wort hat der Vertreter Russlands; Genosse Sinowjew.

Gen. Sinowjew (Russland): Genossen! Sie werden verstehen, dass ich nur einiges herausgreifen kann aus der Fülle des mir zur Verfügung stehenden Materials. Wir sind jetzt zum erstenmal in der Lage, auf russischem Boden eine internationale Konferenz abzuhalten und den Genossen eine Unmenge Material über unsere Bewegung vorzulegen. Wir sind nicht mehr wie ehemals gezwungen, als Emigranten aufzutreten und nur Abklänge der russischen Arbeiterbewegung darzulegen. Vieles, was Genosse Albert aus Deutschland erzählt hat, könnten wir Ihnen mit anderen Worten über unsere Vergangenheit erzählen. Es erinnert uns an das, was wir während der Kerenskiperiode hier hatten, was wir in Russland ungefähr im August 1917 durchlebt haben.

Unsere Partei war, wie Sie wissen, die einzige, die die proletarische Revolution in Russland proklamiert hat. Alle anderen Parteien waren gegen die Oktoberrevolution, und es war klar, dass die kommunistische Vorhut des russischen Proletariats ohne jede Hilfe, vielmehr unter vielen Hindernissen, die ganze Last des Kampfes auf sich laden musste.

Unsere Partei war vor der Oktoberrevolution ungefähr 10 000 Mitglieder stark. Jetzt, wo wir vor dem 8. ordentlichen Parteitage der Kommunistenpartei stehen, zählen wir in Russland ungefähr 500 000 Mitglieder. Es ist vielleicht nicht viel, aber Sie müssen begreifen, dass wir nicht so ohne weiteres allen Elementen, die jetzt in unsere Partei eintreten wollen, Tür und Tor öffnen. Selbstverständlich kommen ja zu uns die besten Elemente der Arbeiterklasse, die besten Elemente der Arbeiterjugend, und diese Elemente sind uns willkommen. Aber da unsere Partei am Staatsruder steht, so ist es begreiflich, dass auch ziemlich viel Karrieristen, zweifelhafte kleinbürgerliche Elemente, Aufnahme in unsere Partei suchen. Doch unsere Partei hat fest und bestimmt den Beschluss gefasst, diesen Elementen Hindernisse in den Weg zu stellen. Unser Zentralkomitee hat sogar beschlossen, einigen Kategorien der Parteimitglieder das Wahlrecht zum Parteitage zu nehmen. Es ist zwar aussergewöhnlich, dass wir auch innerhalb der Partei zu einer Einschränkung des Wahlrechts greifen mussten, aber ich wiederhole, die ganze Partei hat es gebilligt, weil wir wollen, dass sie aus einem Guss besteht, dass nur wirkliche Kommunisten bei uns Aufnahme finden. Es handelt sich nur um die 500 000 Mitglieder, die die ganze Staatsmaschine von oben bis unten in ihren Händen haben.

Den Kern der Partei bilden die Arbeiter. Die Intellektuellen sind sehr knapp in unseren Reihen. Nur während der letzten Zeit kann eine Wendung konstatiert werden. Eine Anzahl Intellektueller ist jetzt bereit, mit uns in den Sowjeteinrichtungen zu arbeiten, aber die Aufnahme in die Partei geht nicht so leicht vor sich.

Die zweite Form unserer Arbeiterorganisation sind die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften haben bei uns eine andere Entwicklung durchgemacht als in Deutschland. Sie haben während der Jahre 1904–1905 eine grosse revolutionäre Rolle gespielt, und sie gehen parallel mit uns in unserem Kampf für den Sozialismus. Die Gewerkschaften Russlands zählen jetzt 3,5 Millionen Mitglieder. Der letzte Gewerkschaftskongress hat diese Ziffer aufgewiesen. Die grösste Mehrheit der Mitglieder vertritt den Standpunkt unserer Partei, und alle Beschlüsse werden nur im Geiste unserer Partei gefasst. Es ist eine ganz kleine Minderheit in den Gewerkschaften, die für die Neutralität, für die »Unabhängigkeit der Gewerkschaften« plädiert. Die Mehrheit steht auf dem Standpunkte, dass sie Hand in Hand mit den Kommunisten arbeiten müsse; Es ist eine ziemlich grosse Strömung, die die Verstaatlichung der Gewerkschaften fordert, d. h., dass die Gewerkschaften sich formell als Teil der Sowjetregierung fühlen sollen. In der Tat wirken die Gewerkschaften als ein Teil unserer Staatsmaschine. In der Frage der Lohntarife ist formell die Sache so, dass die Beschlüsse durch den Rat der Volkskommissare gefasst werden, aber die Gewerkschaften sagen dabei das entscheidende Wort. Ebenso ist es in allen anderen Fragen der Versicherung der Arbeiter und vielen Fragen des Lebens der Arbeiter.

Die dritte Form der Organisationen sind die Konsumgenossenschaften. Wir haben jetzt 25tausend Konsumgenossenschaften; in der Stadt – 2 Millionen Mitglieder der Arbeiterkonsumgenossenschaften, auf dem Lande – 10 Millionen Mitglieder der ländlichen Konsumgenossenschaften. Wenn man die Familienmitglieder hinzuzählt, sind in diesen Organisationen ungefähr 50 Millionen Personen organisiert.

Die Hauptorganisationen sind aber, wie alle wissen, unsere Sowjeteinrichtungen. Es ist ziemlich schwierig zu sagen, wieviel Personen – Arbeiter und Bauern – in den Sowjeteinrichtungen organisiert sind. Das eine kann man sagen: nachdem wir unsere Sowjetkonstitution verfasst hatten, sahen wir, dass allmählich das Wahlrecht sogar auf einen Teil der mittleren Schichten ausgedehnt werden konnte. So haben z. B. die Wahlen in den Arbeiterrat von Petrograd ein solches Bild gezeigt. In Petrograd gibt es ungefähr 650 000 Wahlberechtigte. Mehr als zwei Drittel nahmen an den Wahlen teil, und mehr als neun Zehntel der Bevölkerung haben das Wahlrecht. Ich glaube, das Bild von Petrograd ist ziemlich typisch für alle unsere Städte, und ich glaube, man kann sagen, dass mehr als 100 Millionen der Bevölkerung in unserer Sowjetrepublik das Wahlrecht haben und ausüben.

Selbstverständlich tragen in den Sowjeteinrichtungen die einfachen Arbeiter die ganze Last der Arbeit. Dieser Umstand ist jetzt auch für die Genossen in anderen Ländern wichtig. Auch uns hat man eingeschüchtert, und selbst die Arbeiter glaubten, dass wir mit eigenen Kräften eine so komplizierte Arbeit nicht leisten könnten. Auch heute macht man noch viele Fehler, aber die Arbeiterschaft Russlands, die selbstverständlich nicht die intelligenteste der ganzen Welt ist, hat gezeigt, dass sie, wenn sie die politische Macht in Händen hat, wenn sie eine organisierte Partei zur Führerin hat, diese komplizierten Aufgaben lösen kann.

Unsere Partei war bis zur letzten Zeit in der Hauptsache eine Partei des städtischen Proletariats. Das ist begreiflich, denn unsere ersten Mitglieder stammten aus den Fabriken, unsere Organisation ist in den Arbeitervierteln geboren. Jetzt wird unsere Partei zur Partei der arbeitenden Volksmassen in Stadt und Land. Wir arbeiten auf dem Lande nicht so lange und vielleicht nicht so energisch wie in der Stadt. Aber wir können sagen, dass ein Jahr der Arbeit auf dem Lande unserer Kommunistischen Partei zahlreiche neue Kräfte zugeführt hat, und dass wir dort allen anderen Parteien verdrängt haben. Die Popularität der Kommunistischen Partei auf dem Lande ist gross und wächst mit jedem Tage. Die Bauernjugend, die früheren Soldaten, die Arbeiter aus den Städten, hauptsächlich die Arbeiter aus Petrograd und Moskau, haben auf dem Lande eine grosse Arbeit geleistet, besonders die Arbeiter Petrograds. Von Petrograd sind während des letzten Jahres 280 000 Arbeiter ausgewandert – an die Fronten und aufs Land. Selbstverständlich war es ein grosses Unglück für Petrograd, aber ein Glück für unsere Revolution, dass die besten Garden der russischen Arbeiter auswanderten und ihre fruchtbare Arbeit auf dem Lande fortsetzten. Die kommunistische Revolution hat während der letzten Monate das Land erreicht. Jetzt erlebt der ärmste Bauer Russlands seine Oktoberrevolution, und aus dieser Quelle werden wir viele Kräfte für die kommunistische Revolution schöpfen.

Unsere Partei und unser Proletariat waren die ersten, die die Staatspropaganda des Kommunismus ausführen konnten. Und wir haben das ausgenutzt. Wir stehen erst am Anfang der Arbeit. Vieles ist getan, aber vieles soll noch getan werden. Unsere Partei zählt 35 Parteizeitungen. Es erscheinen in Russland mehr als 100 Sowjetzeitungen, die Zeitungen für die Bauern und Soldaten sind – das ist die wirkliche Pressfreiheit. Wenn wir jetzt in kleinen Ortschaften ganz einfach Zeitungen für Bauern herausgeben können, die zum grössten Teil auch von Bauern geschrieben werden, so ist das die beste Pressfreiheit, die die Arbeiterklasse braucht. Die Auflagen unserer Zeitungen sind ziemlich gross: die »Iswestija«, das Zentralorgan der Sowjetregierung, hat eine Auflage von 400 000 Exemplaren, die »Krasnaja Gaseta« in Petrograd hat eine Auflage von 280 000, und nur aus Mangel an Papier wird sie nicht vergrössert. Das Zentralorgan unserer Partei »Prawda« hat eine Auflage von 150 000, könnte auch mehr haben. Wir haben viele proletarische und Bauernuniversitäten gegründet, die mit grossem Erfolg arbeiten, die dem Lande eine Menge Kulturkräfte zuführen, die für den Kommunismus auf dem Lande arbeiten. Unsere Sowjets der grossen Städte haben alle grosse Bücherverlage organisiert. Der Verlag des Petrograder Sowjets z. B. hat im letzten Jahre 11,5 Millionen Broschüren und Bücher herausgegeben; in Moskau hat unser Zentralverlag noch viel mehr herausgegeben. In dieser Beziehung kommt das Kommissariat für Volksaufklärung in erster Linie in Betracht. Dieses Kommissariat betreibt nun teilweise auch kommunistische Propaganda, und unsere Partei fordert jetzt, dass es seine Arbeit von unten bis oben auf kommunistischem Boden organisiere. Hier nur einige Ziffern: während des Jahres 1917 betrugen die Ausgaben des Ministeriums für Volksaufklärung 300 000 000 Rubel, während des Jahres 1918 – 3 Milliarden, und für das erste halbe Jahr 1919 sind 4 Milliarden vorgesehen. Sie sehen daraus, welche Arbeit dieses Kommissariat ausführen muss Sie haben auch in der bürgerlichen Presse Deutschlands und Frankreichs verfolgen können, dass sogar manche bürgerliche Autoritäten anerkennen müssen, dass die Sowjetregierung auf diesem Gebiet eine erstaunliche Arbeit geleistet hat.

Es ist im Auslande von unseren wirtschaftlichen Zuständen viel geredet worden. Kautsky sprach von einem Armutssozialismus in Russland. Das Land ist wirklich arm: wir haben das Land in einem solchen Zustand übernommen, dass es aus allen Poren blutete, dass wir wirklich in einer schwierigen Lage waren und auch jetzt noch sind. Aber während eines Jahres haben wir doch etwas erreicht, wir haben die Wirtschaftsorganisationen in unseren Händen, wir haben einen mehr oder weniger gut arbeitenden Apparat, der, obgleich er vervollkommnet werden muss, doch wenigstens arbeitet. Für den höheren Volkswirtschaftsrat und für andere ökonomische Organisationen sind für das nächste Jahr 10 Milliarden Rubel zu verausgaben. Sie sehen aus dieser Ziffer, wie gross die Arbeit und wieviel zu tun ist.

Wir haben in der Wohnungsfrage wohl noch nicht alles erreicht, aber doch ziemlich wichtige erste Schritte gemacht. In den grossen Städten, besonders in Petrograd und in Moskau, und auch in einer Anzahl anderer Städte ist die Wohnungsfrage auf dem Wege zur Lösung. Die Arbeiterschaft, die Kerntruppe des Proletariats, fühlt, dass wir in dieser Frage, in der wir sofort, wenn auch nicht erschöpfende, aber doch viele Besserungen erreichen konnten, das getan haben, was wir tun konnten. Wir haben die bürgerlichen Wohnungen expropriiert, wir haben sie verteilt, wir haben die nötigsten Möbel konfisziert und unter die Arbeiterschaft verteilt. Ganze Strassen, die früher bürgerliche Stadtviertel bildeten, sind jetzt proletarisch-kommunistische Arbeiterviertel, weil sich dort Arbeiter-Kommunisten angesiedelt haben, Arbeiter ganzer Fabriken usw.

Ich werde nicht viel über die Rote Armee sprechen, das ist ein Thema für sich. Hierüber könnten berufenere Genossen, vielleicht Genosse Trotzki, einige Worte sagen.

Wir haben es auch als unsere höchste Ehrenpflicht betrachtet, der Arbeiterbewegung anderer Länder möglichst viel materiell behilflich zu sein. Und nicht umsonst wütet die Bourgeoisie aller Länder gegen uns. Wir haben in dieser Beziehung unsere Pflicht getan und werden es auch weiter als unsere Pflicht betrachten, jeder Arbeiterbewegung, die auf kommunistischem Boden steht, behilflich zu sein.

Niemals war unsere Partei so einheitlich wie jetzt, wo sie vor ihrem achten Parteitage steht. Wir haben am Anfang der Revolution Absplitterungen gehabt, wir hatten besonders heisse Diskussionen während des Brester Friedens. Und das Hauptargument war damals, dass, wenn wir den Brester Frieden schliessen, wir vielleicht damit die internationale Position der deutschen Genossen schwächen. Auch für uns war dieses Argument die Hauptsache. Wir fürchteten mehr als alles andere, durch einen Irrtum die Lage der Arbeiter in Deutschland oder in den anderen Ländern zu erschweren. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Die Arbeiterklasse aller Länder hat uns verstanden. Wir haben durch unsere Schritte, wie ich hoffe, die Position der Arbeiterklasse nicht erschwert, sondern erleichtert. Und sollten wir jetzt nochmals vor eine ähnliche Frage gestellt werden, z. B. Friedensschluss mit der Entente, so glaube ich, wird unsere Partei in diesem Falle ganz einheitlich die Entscheidung des Zentralkomitees und der Sowjetregierung billigen. Und die französischen, englischen und amerikanischen Arbeiter werden uns verstehen und werden sich mit uns vollkommen solidarisieren.

Man kann sagen, unsere Arbeiterschaft lechzt nach internationalen Verbindungen. Das war auch früher so; im Anfang der Revolution, als die Menschewiki am Ruder standen, waren die Arbeiter von Moskau und Petrograd froh, sogar solche Männer zu sehen, wie die Herren Albert Thomas, Henderson usw. Als sie nach Petrograd kamen, um mit den Herren Zeretelli, Kerenski u. a. zu fraternisieren, hat unsere Arbeiterschaft sie anfangs ernst genommen. Jetzt hat unsere Arbeiterschaft erfasst, dass das nur Scheinsozialisten sind, und der einfachste Arbeiter Petrograds und Moskaus kennt ganz genau die drei Hauptrichtungen, die wir innerhalb der internationalen Bewegung haben.

Nun einige Worte über den sogenannten roten Terror. Ich weiss aus den Erzählungen unserer Parteifreunde aus dem Auslande, dass dieser dort den Hauptgegenstand im Streit gegen uns bildet, und dass sogar einige Freunde sich manchmal in dieser Beziehung nicht voll und ganz mit uns solidarisch fühlten. Nach dem, was wir in Deutschland erlebt haben, nachdem wir gesehen haben, dass der Bürgerkrieg dort viel schärfere Formen als bei uns annimmt, nachdem wir den Mord an Liebknecht und Rosa Luxemburg erlebt haben, glaube ich, dass jetzt auch unsere Freunde, die zu lange in friedlicher Umgebung gelebt haben und nicht alles verstehen, was hier vorging, verstehen werden, warum wir zu der scharfen Waffe des roten Terrors greifen mussten. Und ein unparteiischer sozialistischer Geschichtsschreiber wird uns nicht tadeln dafür, dass wir viel zu viel Terror geübt haben, sondern dafür, dass wir manchmal viel zu grossmütig gewesen sind. Es ist Tatsache, dass fast alle Minister der Regierung Kerenskis von uns in Freiheit gesetzt worden sind. Viele sind geflüchtet und führen jetzt den Kampf gegen uns. Konowalow, Maklakow, alle Herren, die jetzt von Paris aus gegen uns kämpfen, waren in unseren Händen. Wir haben sie befreit, der frühere Kriegsminister, General Werchowski, der früher gegen uns war, ist von uns befreit worden und hat uns in den letzten Tagen seine Dienste angeboten, und sogar Alexinski, der im Juli 1917 der Hauptregisseur der ganzen Dreyfussaffäre gegen die Genossen Lenin, Trotzki, Sinowjew u.a. war, ist von dem Moskauer Sowjet befreit worden und arbeitet jetzt in Moskau. Wenn Sie die näheren Umstände genau kennen lernen, so werden Sie finden, dass der rote Terror, zu dem unsere Partei griff, eine historische Notwendigkeit war.

Sie wissen alle, dass diejenigen Parteien, die sich sozialistisch nannten, gegen uns auftraten und den Kampf gegen uns führten, alle Bankrott erlitten haben und zu verschwindender Minderheit geworden sind. Die rechten Sozialrevolutionäre (Präsidium der Konstituante) haben vor unserer Partei kapituliert. Ich habe Ihnen den Ausgang der letzten Wahlen in Petrograd zitiert. Von 1500 Mitgliedern haben wir 8 linksstehende Sozialrevolutionäre, 5 oder 6 rechtsstehende, ungefähr 10 Menschewiki, der ganze übrige Teil sind Kommunisten oder Kandidaten zum Eintritt in die Kommunistische Partei und arbeiten auf der Plattform derselben. Die Wahlen waren zum grossen Teil geheim, und keine Macht der Welt hätte z. B. die Arbeiter der Putilowwerke verhindern können, wenn sie es gewollt hätten, bei geheimer Wahl Mitglieder anderer Parteien zu wählen. Das war aber, nicht der Fall.

Es gibt manche Unzufriedene innerhalb der Arbeiterschaft, weil die Lebensmittelnot, speziell die Brotnot, zu gross ist, aber wenn es zu den Wahlen kommt und es gilt, ihr Vertrauen auszudrücken, dann ist es immer der Kern der Arbeiterschaft, die grosse Mehrheit, die ihr Vertrauen ganz und gar unserer Partei schenkt. Das ist das beste Zeugnis, dass wir unsere Pflicht und Schuldigkeit in Russland trotz der grossen Schwierigkeiten erfüllt haben. Wir haben uns bemüht und von Anfang an uns die Aufgabe gestellt, die ganze Arbeit der Pariser Kommune zu erfassen, das was die Pariser Arbeiter 1871 der ganzen Welt gezeigt haben, zu verstehen, bei neuen Bedingungen weiterzuführen. Selbstverständlich müssen wir einen ziemlich grossen Teil unserer Arbeit auf das Konto früherer Vorkämpfer der Arbeiterklasse Frankreichs setzen. Genossen, wir stehen jetzt vielleicht schon am Scheidewege, wir können hier etwas leichter aufatmen, wir meinen, dass jetzt viele Chancen vorhanden sind, dass die Bourgeoisie der Entente nicht gegen uns auftreten wird und auftreten kann. Die Äusserung von Lloyd-George den bürgerlichen Parteien gegenüber, dass, wenn sie wüssten, welcher Massen von Soldaten es jetzt bedürfe, um Russland niederzuringen, sie wahrscheinlich den Krieg nicht so mutig gefordert hätten, ist ein Beweis dafür. Diese Ziffer, flüstert er ihnen ins Ohr, beträgt eine Million oder noch mehr. Man kann nicht leicht so viel Weissgardisten finden, und mit Arbeitern wird es schwierig sein, gegen unsere Partei aufzutreten. Es gab eine Zeit, in der wir von Feinden umzingelt waren, die Kerntruppen der Kommunisten Russlands fühlten aber, dass der grösste Teil der Arbeiter aller Länder mit uns sein wird. Und jetzt haben wir schon erlebt, dass die besten Elemente der Arbeiterschaft aller Länder es für eine Ehre halten, sich als Kommunisten weiter zu organisieren und den Weg weiterzugehen, den wir beschritten haben.

Genossen! Wir bauen alle unsere Arbeit auf die Erfahrung auf, welche die heroische Pariser Kommune 1871 uns vermacht hat. Unser grosser Meister Karl Marx hat uns die Kommune lieben gelehrt. Das Vermächtnis der Pariser Kommune ist uns heilig. Ihr Vermächtnis weiter auszubauen und zum Sieg der internationalen Arbeiterklasse über die Bourgeoisie beizutragen – darin sehen wir unseren grössten Stolz.

Gen. Platten stellt den Antrag, die Sitzung auf dreiviertel Stunden zu unterbrechen (angenommen).

Nach Wiederaufnahme der Sitzung erteilt Gen. Lenin dem Vertreter Finnlands, Gen. Sirola, das Wort zum Bericht über Finnland.

Gen. Sirola (Finnland). Genossen! Ein Jahr ist verflossen, seitdem das finnische Proletariat im Kampf auf Leben und Tod mit den Schlächterbanden der Bourgeoisie rang. Mutig erhob es sich, um seine Freiheit und sein Leben zu verteidigen und den reaktionären Angriff der Weissgardisten zurückzuschlagen. Trotzdem es politisch wie militärisch für einen derartigen Kampf ungenügend vorbereitet war, hat es drei Monate an den Fronten standgehalten und in dieser Zeit eine Menge von sozialer und wirtschaftlicher organisierender Arbeit hinter den Fronten geleistet. Diese erste Revolution des finnischen Proletariats wurde niedergeschlagen. Die Opferwilligkeit und der Mut der Genossen und Genossinnen in der roten Garde und die unschätzbare Hilfe unserer russischen Genossen reichte nicht aus, um den Ansturm der internationalen Horden der von finnischen, schwedischen, deutschen und russischen Offizieren geführten Weissgardisten abzuwehren. Ende April, als der deutsche Imperialismus seine regulären Truppen als entscheidenden Faktor in die Waagschale warf, gelang es den Weissen, die geplante Evakuation der besten lebenden Kräfte der Revolution nach Russland zum Scheitern zu bringen. Der barbarische Rachedurst der weissen Bluthunde ist weltbekannt. Monatelang wüteten die »Schlächter« gegen das Proletariat – Männer, Frauen und Kinder. Zusammen mit finnischen Proletariern wurden Hunderte von russischen Genossen und Instrukteuren der roten Garde niedergeschossen. Nach Mitteilungen, welche neulich in finnischen Zeitungen veröffentlicht wurden, war die Gesamtzahl der Ermordeten über 13000, und immer noch kommen Ergänzungsnotizen, die erzählen, dass in dieser oder jener Gemeinde 100 bis 300 und mehr Proletarier hingerichtet sind. Dazu kommen die 15 500, die in den Konzentrationslagern vor Hunger, Krankheit und Elend umkamen.

Diese blutigen Tatsachen, welche keineswegs zu hoch berechnet sind, sollen eine Warnung sein für alle Arbeiter, die von einer friedlichen Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie auf dem Boden der Demokratie träumen. Wir hoffen, dass die Genossen der dritten Internationale die Erfahrungen des finnischen Proletariats den Arbeitern ihrer Länder einprägen werden. Diese Erfahrungen sind kurz gefasst. Das Proletariat soll möglichst bald seine prinzipielle Stellung präzisieren und nicht zögern, sich von allen Elementen und Gruppen zu trennen, welche sich entweder schon als Verräter der Arbeiter gezeigt haben, oder dieselben im entscheidenden Moment im Stich lassen. Demokratie oder Diktatur – diese Frage soll nicht vertuscht werden, und die vorhandene revolutionäre Situation soll klar zu Tage treten. Das Proletariat soll dem Feinde nicht Gelegenheit geben, die Initiative zu ergreifen, sondern es soll in einer so gut wie möglich selbstgewählten Stunde zum Angriff übergehen und den Machtapparat der Bourgeoisie, die Staatsmaschine, zertrümmern.

Allzulange Zeit waren auch wir erfüllt von der Ideologie einer »einheitlichen« Arbeiterbewegung. Erst nach der Revolution wurde der Bruch unumgänglich. Die Linien trennten sich scharf. In Finnland hat der äusserste rechte Flügel der alten Sozialdemokratie von der bürgerlichen Diktatur die Organisations- und Press-»freiheit« bekommen mit dem klar ausgedrückten Ziel, die Arbeiter zu beruhigen. Diese Verräter haben auch ihr Bestes getan, um die vorjährige Revolution des finnischen Proletariats niederzuringen und für eine friedliche, parlamentarisch-gewerkschaftliche und genossenschaftliche Arbeiterbewegung Propaganda zu machen. Sie haben in einigen kleinbürgerlichen Kreisen Gehör gefunden und werden bei den politischen Wahlen heute und morgen eine Anzahl Stimmen erhalten. Aber den Massen, die mit Kerker, Hunger und Elend gequält sind – mit frischen Erinnerungen an den weissen Terror und mit dem lebendigen Beispiel der proletarischen Diktatur in Russland vor Augen – sind die Mahnungen dieser Lakaien der Bourgeoisie fremd. Mit diesen Genossen der Scheidemänner und Branting, welche in Bern jetzt mit allen Sozialverrätern der Welt fraternisieren, hat das revolutionäre Proletariat Finnlands nichts gemein, und dieses Proletariat ist jetzt revolutionärer denn je. Auch die bürgerlichen Blätter beweisen zur Genüge, dass das Proletariat Finnlands die Gründung der Kommunistischen Partei mit Freuden begrüsst. Dafür haben wir Beweise genug.

Die Finnische Kommunistische Partei wurde Ende August auf dem Kongress in Moskau von Emigranten, welche im Exil leben, gegründet. Aber wir leben in einem Exil von ganz neuem Typus, in einem sozialistischen Lande. Wir, die wir radikal oder linksradikal waren, haben unsere kommunistische Überzeugung auf Grund der Betrachtungen unserer revolutionären Erfahrungen gewonnen, auf Grund unserer Bekanntschaft mit den theoretischen Arbeiten der russischen Genossen und besonders des lebendigen Beispiels der kommunistischen Organisationsarbeit hier auf russischem Boden. In einem offenen Brief, den unsere Partei an den Genossen Lenin richtete, haben wir unsere Berichte abgelegt und unsere Erfahrungen näher erklärt.

Von Petrograd aus, wo unser Zentralkomitee arbeitet, haben wir noch Agitation unter den in Russland lebenden finnischen Arbeitern und Bauern betrieben. Etwa 25 kommunistische Organisationen sind gegründet, über 40 Broschüren herausgegeben, ein Tageblatt und zwei Zeitschriften – eine finnische und eine schwedische – in Russland gegründet worden. Die Zusammenarbeit mit den russischen Genossen in der Partei, in Sowjeteinrichtungen und auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ist organisiert. Wichtig ist natürlich die militärische Vorbereitung. Unsere Militärorganisation sorgt für die Fortentwicklung der finnischen Soldaten in der Roten Armee. Etwa 15 Übersetzungen von Büchern fürs Militär sind erschienen.

In Finnland arbeitet eine ganze Anzahl von geheimen kommunistischen Organisationen, welche Literatur und Zeitungen verbreiten, Propaganda betreiben und trotz Kerker, Tortur und Tod die Vorbereitungsarbeit für den Aufstand leisten. Auf der Konferenz Ende Januar, der Vertreter aus Finnland beiwohnten, wurden einige Thesen über die nächsten Aufgaben der Revolution in Finnland angenommen.

Eine tiefe Überzeugung sagt uns, dass auch wir bald bei unseren treuen Genossen in Finnland im Kampf sein werden. Wir begründen diese unsere Überzeugung nicht nur auf unsere heissen Wünsche, sondern auf die Analyse der Situation in Finnland. Die Einwirkung des imperialistischen, überreifen, verfaulenden Kapitalismus ist auch im kleinen Finnland anschaulich. Die finnische Bourgeoisie hat ihre kleine Welt nach ihrem Bildnis geschaffen. Eine allgemeine Zersetzung und Demoralisation herrscht. Spekulation und Schwindel florieren. Fälle von Hungertod werden immer häufiger. Das Staatsbudget ist von 100 Millionen auf weit über eine Milliarde gestiegen, die Steuern und Staatsschulden dementsprechend. Das Bestechungssystem ist allgemein, die Kultur ist prostituiert. Das Militär mit seinem glänzenden Offizierselend und dem Hof des Diktators ist geschaffen. Die Reaktion herrscht überall. Als Beweise des allgemeinen Zerfalls mag der Separatismus der schwedisch Sprechenden in Aland und anderen Orten genannt werden, während die Patrioten in Eroberungsträumen schwelgen. Natürlich gehören zu diesem schönen Bild auch die Wirksamkeit der Gendarmerie, die Gewaltakte der bürgerlichen Garden, die Hetze nach Revolutionären, massenhafte Haussuchungen, Verhaftungen, Tortur nach dem Muster der spanischen Inquisition, Niederschiessung der Gefangenen unter der Vorgabe des Fluchtverdachts und anderes.

Ein solches System kann sich nicht lange behaupten. Es fehlt nur der Anstoss, der die revolutionäre Spannung zum Explodieren bringt. Und dieser wird im Zusammenhang mit der Entwicklung der internationalen Lage kommen. Nach dem gründlichen Fiasko ihrer deutschen Abenteuer ist die finnländische Bourgeoisie natürlich ententefreundlich orientiert, und diese wartet auf Dienstleistungen von ihrem neuen Knecht im Kampf des Weltimperialismus gegen den Bolschewismus. Die Expedition nach Estland und die Organisierung der russischen gegenrevolutionären bewaffneten Gruppen in Finnland, welche bereit sind, auch gegen die Selbständigkeit Finnlands zu kämpfen, sind Zeugen dafür. Es ist klar, dass dieses Abenteuer mit einem Krach enden muss. Es wird das Signal zum Kampfe sein, und diesmal wird er nach dem praktischen Beispiel unserer treuen mutigen Vorgänger, der russischen Proletarier, zur Errichtung der eisernen Diktatur des Proletariats führen. Wir setzen unser Vertrauen in die Solidarität des Proletariats der Welt mit der internationalen Sowjetrepublik Russland. Auch das finnländische Proletariat wird in dem Zeichen der Kommunistischen III. Internationale, des weltumfassenden Bundes der Räterepubliken des Proletariats, kämpfen.

Gen. Lenin: Das Wort hat der Vertreter Norwegens, Genosse Stange.

Gen Stange (Norwegen): Die Norwegische Arbeiterpartei ist die einzige sozialistische Partei Norwegens und zählt darum unter ihren Mitgliedern heute Anhänger aller sozialistischen Richtungen. Die Norwegische Arbeiterpartei ist eine legale, parlamentarisch arbeitende Partei, die sich aber stets als eine revolutionäre sozialdemokratische Partei bekannt hat.

Im Winter 1916–17 hatten wir in Norwegen sehr grosse Lebensmittel- und Heizmaterialschwierigkeiten, und die Stimmung der Arbeiter war ganz revolutionär. Der Zentralvorstand der Partei und die Fachorganisationen erklärten, dass, wenn die Forderungen der Arbeiter nicht von der Regierung erfüllt würden, die Arbeiter schärfere Mittel gegen die Staatsmacht gebrauchen würden und dass ein Kongress der Partei und der Fachorganisationen sofort einberufen werden würde. Weder der Kongress noch die schärferen Mittel wurden verwirklicht, worüber die Arbeiter recht empört waren.

Im Winter 1917–18 wurden die ersten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, und im Frühling 1918 hielten sie ihren Kongress ab. Der Kongress der Arbeiterräte erklärte in einer Proklamation, dass verschiedene Forderungen sofort von den Arbeiterräten durchgeführt werden sollten, u.a. der Achtstundentag, und dass die Räte die ganze Verwaltung Norwegens zu übernehmen beabsichtigten. Unterdessen hatten die verschiedenen Parteiorgane und Arbeitervereine sehr eifrig die Stellung der Partei diskutiert. Der Zentralvorstand und das Hauptorgan (Redakteur Vidnes) nahmen bestimmt Stellung gegen die Arbeiter- und Soldatenräte, gegen den Bolschewismus und gegen die revolutionären Tendenzen überhaupt. Sie wollten keine Diktatur des Proletariats, sondern eine weitere Entwicklung der Demokratie haben. Gegen sie kämpfte die grosse Mehrzahl der verschiedenen lokalen Parteiorgane.

Ostern 1918 hatte die revolutionäre Minderheit des Zentralverbandes dem Parteitage vorgeschlagen, die Partei solle sich zu einer revolutionären Partei erklären, einer Partei aber, die in erster Linie parlamentarisch arbeiten wolle und gleichzeitig die Arbeiter- und Soldatenräte mit Freuden begrüsse. Dieser Vorschlag wurde mit 159 gegen 186 Stimmen vom Parteitag angenommen. Auch beschloss die Partei, die früher ein Mitglied der Internationale war, sich der Zimmerwaldinternationale anzuschliessen. Da der rechte Flügel nicht in den Zentralvorstand eintreten wollte, wurde der ganze Vorstand mit Mitgliedern des linken Flügels besetzt. Das Hauptorgan »Sozialdemokraten« hat unter der neuen Leitung für den russischen Bolschewismus, den Spartakusbund und die übrigen linken sozialdemokratischen Parteien bestimmt Partei genommen.

Wie man sehen kann, ist die Partei eine legale und parlamentarische Partei, die gleichzeitig auch revolutionäre Kampfmittel gebrauchen will. Sie hat sich nicht gegen den demokratischen Parlamentarismus und für die Räteverfassung erklärt wenn sie auch die Arbeiter- und Soldatenräte als revolutionäre Kampforgane anerkannt hat. Die Verfassungsfrage wird aber mit grossem Interesse in allen Zeitungen und Arbeitervereinen diskutiert. Die Fachorganisationen waren früher vollständig in den Händen des rechten Flügels, und alle wichtigeren Vorschläge der sogenannten »Fachopposition« wurden von dem Fachkongress Herbst 1917 mit grosser Majorität abgelehnt. Doch hat sich die Stimmung auch in den Fachvereinen sehr geändert, und 1918 sind die grossen Verbände »Arbeitsmannsbund« (Gruben- und Bauarbeiter) usw. und der »Eisen- und Metallarbeiterverband« zu dem linken Flügel übergegangen.

Nach der deutschen Revolution wurde auch die revolutionäre Stimmung der norwegischen Arbeiter gestärkt. Die beiden Flügel der Partei konnten dann zu gemeinsamer revolutionärer Arbeit zusammentreten. Die Zentralvorstände der Partei und der Fachorganisationen sind jetzt damit einverstanden:
1. für die Durchführung des sozialdemokratischen Programms mit allen Mitteln zu arbeiten,
2. die Bildung der Arbeiterräte vorzubereiten, sie aber noch nicht durchzuführen und
3. die Soldatenräte als Agitationsorgane in der Armee sofort zu organisieren.

Wie man sieht, ist es für die Norwegische Arbeiterpartei eine Frage von grösster Bedeutung, ob. die Partei die demokratische Linie ganz verlassen und sich für die proletarische Diktatur durch eine Räteverfassung erklären soll. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass die Entwicklung der Weltrevolution es mit sich bringen wird, dass die Partei in dieser Frage eine klare Stellung einnehmen wird.

Doch hatte der Parteivorstand noch keine Gelegenheit, in dieser Frage Stellung zu nehmen, ebensowenig wie er vor meiner Abreise aus Christiania die Einladung zu diesem Kongress gesehen hat. Darum kann ich nicht ohne Beratung mit meinen Kollegen aus dem Zentralvorstand zu der neuen Kommunistischen Internationale Stellung nehmen. Ich will aber mit dem grössten Interesse an der vorbereitenden Arbeit teilnehmen und der Norwegischen Arbeiterpartei die Resultate unserer Arbeit vorlegen. Ich hoffe, dass auch die Norwegische Arbeiterpartei, die sich bisher in revolutionärer Richtung entwickelt hat, imstande sein wird, zum Siege der internationalen Revolution tatkräftig beizutragen.

Gen. Lenin: Das Wort hat der Vertreter der Amerikanischen Sozialistischen Partei, Genosse Reinstein.

Gen. Reinstein (Amerika). Genossen! Ich bin leider nicht imstande, wie einige andere Genossen es hier getan haben, Ihnen frische Informationen über die Bewegung in Amerika zu geben, denn es sind schon bald zwei Jahre, seitdem ich Amerika verlassen habe und hier weile. Ich kann Ihnen in dieser Beziehung wenig Information über die neuesten Verhältnisse in den Vereinigten Staaten geben. Ich glaube aber behaupten zu können, dass die Bewegung in Amerika, besonders seit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Weltkrieg, sich sehr rasch nach links entwickelt hat. Amerika galt auch vor diesem Kriege schon, und mit Recht, als das klassischste Land der bürgerlichen Demokratie einerseits und der finanziellen und industriellen Autokratie andererseits. In diesem Lande hat die Demokratie sich am reifsten und vollsten entwickelt. Ich bin sicher, dass ich nicht übertreibe, wenn ich behaupte, dass, was die objektiven Grundlagen für eine wirkliche sozialistische Umwälzung betrifft, Amerika das reifste Land ist. Ich will Ihnen hier noch ein paar Tatsachen anführen, und das wird Ihnen erklären, warum ich hier die Behauptung aufstelle, dass trotz des anscheinend zurückgebliebenen Zustandes der allgemeinen Arbeiterbewegung, was die Zahl der sozialistischen Stimmen betrifft, die Vereinigten Staaten von Amerika für die sozialistische Weltrevolution wenigstens gerade so reift sind, wie die Länder Europas, wenn nicht noch reifer. Erstens hat eine öffentliche Kommission, eingesetzt vom Präsident Wilson, aus Nichtsozialisten und Antisozialisten bestehend, die Tatsache festgestellt, dass die Verarmung des amerikanischen Volkes in den letzten paar Jahrzehnten so rasch vorgeschritten ist, dass von dem Bauerntum, den Farmern Amerikas, die noch vor kurzem unabhängig leben konnten, an die 37 % schon kein eigenes Land mehr besassen und nur als Pächter ihr Leben fristen konnten; dass von den anderen zwei Dritteln ca. die Hälfte, wenn sie auch nominell die Eigentümer ihrer Farmen waren, die Farmen mit Hypotheken von den Banken gelastet hatten. Kurzum, die Farmer, dieses Rückgrat des Mittelstandes, wurden sehr rasch in den letzten Jahren verelendet und ruiniert. Das gesamte Volk wurde so rasch proletarisiert, dass, wie eine andere Kommission feststellte, es in Amerika ein paar Jahre vor dem Kriege 32 ½ Millionen Männer, Frauen und Kinder im Alter von über 15 Jahren gab, die für ihren Lebensunterhalt auf ihr Gehalt oder ihren Lohn angewiesen waren. Wenn wir zu ihnen die kleinen Kinder hinzurechnen und die zu alten Bürger, die Abgenutzten – Leute über 40 Jahre gelten in vielen Industriezweigen Amerikas nicht mehr als gute Objekte der Ausbeutung –, dann werden Sie sehen, dass diese 32 ½ Millionen auf Lohn angewiesener Bevölkerung bis zwei Drittel der gesamten Bevölkerung des Landes repräsentieren. Das ist ein Bild der modernen sozialen Zustände in Amerika. Zur selben Zeit, in der dieser Prozess der Proletarisierung der Massen vor sich ging, entwickelte sich auf der andern Seite ein Prozess der Konzentration des Kapitals, wie wir seinesgleichen in keinem andern Lande beobachten können. Ein paar Jahre vor dem Kriege wurde von einem Nationalökonomen berichtet, dass die Kapitalien nicht der gesamten amerikanischen kapitalistischen Klasse, sondern nur die der Morganbank, wohl jetzt der grössten Bank der Welt, an Aktien und Obligationen schon über 527 Millionen Dollar betrugen. Aber das war schon zu einer Zeit, wo der alte Morgan noch kein alter Mann war, im Jahre 1892. Seitdem hat dieses Kapital der Morganbank das Eigentum – Landeigentum, Industrie- und Handelseigentum – an sich gezogen, wie ein Schwamm, der Wasser auf saugt, und im Jahre 1912 betrug die Summe der von der Morganbank kontrollierten Kapitalien nicht mehr 527 Millionen, sondern über 26 Milliarden Dollar.

Das ist der Grund, warum ich behaupte, dass Amerika das klassische Land einerseits der bürgerlichen Demokratie, andererseits der finanziellen und industriellen Autokratie ist. In Amerika hat sich dieser Prozess der Anhäufung des Kapitals in den Händen von Wenigen so weit entwickelt, dass man, ohne zu übertreiben, wirklich behaupten kann, dass eine kleine Zahl von Milliardären imstande ist, Hunderttausenden, wenn nicht Millionen von Arbeitern nach ihrem Belieben Arbeit zu geben, oder sie verhungern zu lassen. Sie verfügen über das Leben von riesigen Armeen von Lohnarbeitern. Das sind die Tatsachen, auf die man die Behauptung stützen, kann, dass Amerika, was die sozialen Verhältnisse betrifft, für die kapitalistische Herrschaft tatsächlich ein Pulverfass repräsentiert, und man braucht kein zu grosser Optimist zu sein, um zu behaupten, dass in Amerika sogar schon vor diesem Kriege irgend ein grosser Streik, eine industrielle Krise und Arbeitslosigkeit eine soziale Explosion hervorrufen konnte. Nur muss man hier betonen, dass die amerikanische kapitalistische Klasse praktisch und schlau genug war, einen praktischen und tatkräftigen Blitzableiter für sich zu schaffen, und dieser bestand in der Entwicklung einer antisozialistischen grossen gewerkschaftlichen Organisation unter der Führung von Gompers. Es ist nicht richtig, Gompers als den amerikanischen Scheidemann zu betrachten. Scheidemann ist wohl ein Sozialpatriot, er ist kein richtiger Sozialist, er hat aber doch in seiner Vergangenheit etwas für den Sozialismus getan, Gompers aber ist eher ein amerikanischer Subatow, er ist und war stets ein entschiedener Gegner der sozialistischen Anschauung und der sozialistischen Ziele, und doch gilt er als Repräsentant einer grossen Arbeiterorganisation, der Amerikanischen Föderation der Arbeit, die auf der Harmonieduselei zwischen Kapital und Arbeit basiert und dafür sorgt, dass die Macht der Arbeiterschaft gelähmt und die letztere dadurch ausserstande gesetzt wird, mit Erfolg gegen den Kapitalismus in Amerika zu kämpfen.

Der andere Blitzableiter, der wie Chloroform auf das Proletariat wirkte, bestand in dem opportunistischen Charakter der einflussreichsten Führer der Amerikanischen Sozialistischen Partei, die, wie ähnliche Führer auch in anderen Ländern getan, dafür gesorgt haben, dass die sozialistische Bewegung in Amerika in dem opportunistischen Fahrwasser blieb und nicht wirklich revolutionär-marxistisch geleitet wurde. Diese zwei Elemente waren imstande, im Lauf der letzten paar Jahrzehnte das Proletariat Amerikas daran zu hindern, sich zu einem wirklichen revolutionären Kampfe zusammenzuscharen. Glücklicherweise kann man jetzt, sich auf Tatsachen und die neueste Entwicklung innerhalb der sozialistischen und allgemeinen Arbeiterbewegung stützend, ruhig und mit Sicherheit behaupten, dass diese Blitzableiter des kapitalistischen Systems ziemlich rasch an Kraft und Wirkung verlieren. Trotz aller Bemühungen der antisozialistischen, unter dem Einfluss der Kapitalisten und der Geistlichkeit stehenden Führer der Gewerkschaften, gärte es in den letzten Jahren innerhalb der amerikanischen Gewerkschaften sehr stark. Eins der ermutigendsten Beispiele dieser Gärung und des Umschwunges nach links haben wir noch im Jahre 1916 erlebt. Damals haben vier der grössten Eisenbahnarbeiterorganisationen, die des Lokomotivführer-, Heizer-, Kondukteur- und Zugbedienpersonals, die bis dahin in abgesonderten Arbeiterbrüderschaften organisiert waren und ihren Kampf nicht koordinieren wollten, beschlossen, gemeinschaftlich die Forderung des Achtstundentages für Eisenbahnarbeiter zu stellen. Sie haben noch einen weiteren Schritt getan; sie haben direkt und entschieden sich geweigert, ihren Kampf durch Vermittlung regeln zu lassen. Sie bestanden darauf, dass man ihnen in ihrer Forderung sofort nachgeben solle, sonst würden sie den Verkehr paralysieren. Sie haben die Regierung dadurch gezwungen, alles andere beiseite zu schieben, und im Laufe von einigen Tagen arbeitete der ganze Regierungsapparat in Washington Tag und Nacht, um diesen drohenden Streik zu verhindern. Unter dem Druck der vier Eisenbahnbrüderschaften war die Regierung gezwungen, den Achtstundentag für Eisenbahnarbeiter sofort zum Gesetz zu machen. Da zeigte es sich, wie schlau der ganze Regierungsapparat der bürgerlichen Demokratie in Amerika aufgebaut ist: Als der Achtstundentag zum Gesetz wurde, hat man es fertig gebracht, dass das oberste Gericht der Vereinigten Staaten darüber entscheiden sollte, ob dieses Gesetz konstitutionell sei oder nicht. Dieses Oberste Gericht gab das Urteil ab, dass das Gesetz wohl konstitutionell sei, aber es fügte hinzu, dass die Eisenbahnarbeiter in der Zukunft kein Recht mehr haben sollten, zu streiken und den Verkehr zu stören. Man hat ihnen also das Streikrecht weggenommen. Dieser Fall zeigt, wie in den kapitalistisch entwickelten Ländern die bürgerliche »Demokratie« nicht nur illusorisch gemacht, sondern den Arbeitern direkt schädlich wird. Andererseits zeigte die entschiedene Kampfmethode dieser vier grossen, bis jetzt sehr »bescheidenen und vernünftigen« Eisenbahnarbeiterorganisationen, dass sogar innerhalb der konservativen Gewerkschaften eine frische Stimmung sich Bahn bricht und dass sie in ihren Kämpfen mehr und mehr zu revolutionären Waffen greifen. Was aber noch mangelt, ist eine praktische Reorganisierung der Arbeiterbewegung, der politischen wie der gewerkschaftlichen. Dieser praktischen Reorganisationsarbeit wurde Vorschub geleistet, als auch die amerikanische Regierung das Land in den Krieg stürzte. Der wachsende Einfluss verschiedener revolutionärer Sozialisten in Amerika ist wirklich sehr erfrischend. Schon zur Zeit, da der Krieg erklärt wurde, konnte man beobachten, dass er nicht populär war. Die Massen zeigten keinen Enthusiasmus für den Krieg. Die kapitalistische Presse hat wohl alles getan, um den Patriotismus aufzuwärmen, aber unter dem Proletariat in den Fabriken konnte man mit wenigen Ausnahmen keinen Enthusiasmus merken. In dem Masse, wie der Krieg unpopulärer wurde, haben auch viele der bis dahin sehr einflussreichen Gewerkschaften ihre Popularität eingebüsst. In den letzten 18 bis 20 Monaten konnte man in der amerikanischen sozialistischen Arbeiterbewegung eine ziemliche Wendung nach links merken. Die Organisationen unter dem Namen IWW, Industriearbeiter der Welt, die vor wenigen Jahren noch scharf auf dem anarcho-syndikalistischen Standpunkt standen und stark von den Anarchisten beeinflusst waren, wurden etwas vernünftiger, minder anarchistisch. Zur selben Zeit entwickelten sie einen energischen Kampf gegen den Krieg, gegen den Militarismus gegen den Sozialpatriotismus und das kapitalistische Lohnsystem im allgemeinen. Auch bemerkte man einen Umschwung nach links innerhalb der Sozialistischen Partei, die noch vor 3 Jahren beinahe ganz von sozialpatriotischen oder von rein parlamentarischen Führern geleitet wurde. In dieser Partei konnte man zur Zeit des ausserordentlichen Parteikongresses von 1917 in St. Louis zum ersten Mal sehr deutlich eine wirklich revolutionäre Stimmung beobachten. Sie war so revolutionär, dass viele von den früheren Führern entweder über Bord geworfen oder an die Wand gedrückt wurden und ihren Einfluss verloren. Führer vom Typus Hillquit mussten einen revolutionäreren Ton einschlagen, um ihren Einfluss nicht zu verlieren. Sie waren schlau genug, das einzusehen und entsprechend zu handeln. Viele andere haben es nicht getan und haben ausgespielt. Die Masse der wirklichen Parteiführer aus den unteren Schichten der Mitgliederschaft zeigte einen viel frischeren Geist und Charakter, wenigstens in bezug auf die Kriegsfrage, und diese Partei verharrte bis zur letzten Zeit auf diesem revolutionären Standpunkt. Innerhalb jener Partei entwickelten sich ganze organisierte Flügel. Debs, einer der populärsten Agitatoren in Amerika, gewann auch mehr und mehr an Einfluss auf diese sozialistische Partei. Was die Sozialistische Arbeiterpartei betrifft, so stand sie vom ersten Tage des Krieges bis zum heutigen Tage mit voller Kraft auf dem Standpunkt der marxistischen Lehren in Programm und Taktik. In Amerika findet jetzt in den gewerkschaftlichen wie in den politischen Organisationen ein Prozess statt, der uns berechtigt, zu erwarten, dass dort in der nächsten Zukunft eine Umgestaltung stattfindet, dass die verschiedenen revolutionären Elemente der sozialistischen Parteien sich endlich verschmelzen und Front machen gegen die Leute, die als Blitzableiter zum Schutze der kapitalistischen Demokratie gewirkt haben. Dann wird man behaupten können, dass, wenn die Stunde für die Ausbreitung der sozialistischen Weltrevolution schlägt, das amerikanische Proletariat wohl an seinem Posten stehen wird, um die ihm gebührende Pflicht zu erfüllen.

Ich bin überzeugt, dass in diesem Kampfe des Weltproletariats gegen den Weltkapitalismus das Proletariat Amerikas für den Sieg des Weltproletariats gerade so ausschlaggebend wirken wird, wie das amerikanische Kapital in diesem imperialistischen Kriege gegen die zentraleuropäischen Mächte ausschlaggebend wirkte. Dass die russische Revolution einen riesigen Einfluss auf die proletarischen Massen in Amerika ausübte, dass die Sowjetregierung und speziell die Bolschewiki bei den rasch aufwachenden Massen mit jedem Tage populärer werden, kann keinem Zweifel unterliegen. Ich behaupte darum, dass das amerikanische Proletariat, auch jetzt schon, einen sehr bedeutenden Einfluss auf die amerikanische Regierung ausgeübt hat. Wenn wir sehen, dass Wilson in den letzten paar Monaten einen anderen Ton angeschlagen und eine andere Stellung gegenüber der russischen Revolution und Regierung eingeschlagen hat, so ist dies ganz sicher wesentlich dem Druck von unten, dem Druck der erwachenden proletarischen Massen Amerikas zuzuschreiben.

Ich schliesse mit den Worten, dass der Schritt, den wir hier unternehmen, den Grundstein legen wird zur III., der Kommunistischen und Sowjetistischen Internationale. Dass diese Grundsteinlegung nicht nur mit Jubel und einstimmiger Zustimmung seitens der Mitglieder meiner Partei empfangen wird, sondern dass schon grosse, nach Millionen zählende Massen uns zujubeln werden, unterliegt keinem Zweifel. Wir können mit Zuversicht darauf rechnen, dass unter unserer Fahne der III. Kommunistischen Internationale in der nächsten Zukunft auch eine grosse Zahl amerikanischer Proletarier an dem Kampfe teilnehmen werden.

Gen. Lenin: Das Wort hat Gen. Rudnyánszky, der Vertreter der Kommunistischen Partei Ungarns.

Gen. Rudnyánszky verliest folgenden Bericht: Da die aus Ungarn abgesandten Vertreter der Kommunistischen Partei unterwegs aufgehalten wurden und folglich an dem Kongress nicht teilnehmen konnten, beruht folgender Bericht über die Entwicklung der kommunistischen Bewegung in Ungarn auf Mitteilungen, die das hiesige Büro der Partei bis zum 15. Februar aus Ungarn erhalten hat. Die Kommunistische Partei Ungarns – und zwar die aus Russland zurückgekehrten Kommunisten, die äusserst linken Elemente und eine kleine Gruppe linksradikaler Intellektueller – war Ende November aus der Sozialdemokratischen Partei ausgetreten. Die ersten Massen, auf die sich die Kommunisten stützten, waren die Eisen- und Metallarbeiter. Die allgemeine Lage zur Zeit der Gründung der Kommunistischen Partei war für eine revolutionäre proletarische Bewegung günstig.

Am 16. November wurde in Ungarn die Republik proklamiert, die eigentliche Macht blieb aber in den Händen derselben Regierung, die noch vom Erzherzog Joseph bestätigt war. Der Unterschied bestand nur darin, dass der Ministerpräsident, Graf Károlyi, und seine Anhänger sich »Volksregierung« nannten und sich dem Nationalrat unterordneten. Der Nationalrat übernahm alle Funktionen, die früher das Parlament ausgeübt hatte. Dieser Nationalrat bestand aus Unabhängigen, Radikalen und Sozialdemokraten, und er beabsichtigte, so lange zu arbeiten, bis eine gesetzgebende Nationalversammlung gewählt sein würde.

Aber schon in den ersten Wochen konnte man die weitere Entwicklung der Revolution voraussehen. Die Bauern erwarteten von der neuen »Volksregierung« Landeigentum, das Proletariat hoffte auf die Befreiung von der Ausbeutung, die Soldatenmassen, welche aus der sich auflösenden Armee nach Hause strömten, verlangten Arbeit und Entschädigung, aber die Regierung konnte alle diese Forderungen nicht befriedigen, und die Unzufriedenheit der Massen wurde immer stärker.

Zu dieser Zeit gingen die aus Russland zurückgekehrten Kommunisten zur Tat über. Die Sozialdemokratische Partei, die anfangs die kommunistische Bewegung für unbedeutend hielt, musste sehr bald einsehen, dass die Massen nicht mit den Ministersozialisten, sondern mit den Kommunisten solidarisch waren. Nach den ersten schnellen Erfolgen der Kommunisten hat die Sozialdemokratische Partei alles Mögliche unternommen, um die Bewegung niederzukämpfen.

Während die Kommunisten das Proletariat darüber aufklärten, dass die Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie zusammen keine eigentliche Umwälzung durchführen könne, und täglich darauf hinwiesen, dass die »revolutionäre« Sozialdemokratie genötigt sei, Verteidigerin des Privateigentums und Bekämpfer der Interessen der Arbeitermassen zu sein, hatte die Sozialdemokratische Partei nur ein Gegenmittel in der Hand, nämlich, den Hinweis, dass es mit der Einheit des ungarischen Proletariats aus wäre, wenn die Kommunisten in Ungarn Fuss fassen würden. Diese Gegenagitation hatte nur wenig Erfolg, gab aber den Sozialdemokraten die Möglichkeit, mit Zustimmung einiger Gewerkschaftsorganisationen die kommunistische Bewegung stark zu verfolgen.

Vor allemKascher fasste die kommunistische Bewegung unter den städtischen Arbeitermassen Fuss. Ganze Fabriken und Industrien schlossen sich ihr an. Unter den Soldaten war ebenfalls eine starke kommunistische Gärung zu bemerken, hauptsächlich unter den Spezialtruppen.

Besonders eigenartig war die kommunistische Bewegung unter den Bauern, und zwar entstanden kommunistische Organisationen unter den landarmen Bauern ganz selbständig. Besonders die aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Bauern gründeten nach der Bekanntmachung der sozialdemokratischen Agrarreform kommunistische Organisationen und boten der Kommunistischen Partei ihre Hilfe an. Dieselben Erscheinungen waren auch in den Sowjets zu sehen. Im allgemeinen steht es um die Rätebewegung in Ungarn schwach. Da das städtische Proletariat unter dem Einfluss der Sozialdemokratie und der Kommunisten steht, sind die wenigen Arbeiterräte, die noch von der sozialdemokratischen Parteileitung gebildet wurden, beinahe ganz in ihren Händen, und für die Kommunisten dienen sie nur als Kampfplatz.

In den Soldatenräten haben die Kommunisten diesen Kampf schon ausgefochten, und in einigen Räten sind sie in der Mehrheit. Aber die Bauernräte, die allerdings nicht sehr stark und zahlreich sind, sind gänzlich kommunistisch.

Durch diese Erstarkung und Entwicklung der kommunistischen Partei und auch durch den wachsenden Einfluss der Kommunisten in den Räten können wir schon jetzt voraussehen, dass der Kommunismus auch in Ungarn die entscheidende Rolle spielen wird.

Gen. Lenin: Das Wort hat Genossin Kascher, die Vertreterin der Kommunistischen Gruppe der Schweiz.

Gen. Kascher: Genossinnen und Genossen! Neben der Sozialistischen Partei und der Sozialistischen Jugendorganisation existiert in der Schweiz noch eine kleine, aber zielbewusste kommunistische Bewegung.

Die Wurzel und die Schule dieser kommunistischen Bewegung liegt in der Zimmerwalder Linken, deren Geist auch bei uns in der Schweiz verbreitet war.

Was wir von der Zimmerwalder Linken gelernt haben, ist, Massenaktion zu verlangen, und zwar nicht in weiter Zukunft, sondern schon in dem gegenwärtigen Moment. Ich muss gestehen, klare Prinzipien, ein klares Programm haben wir damals von der Zimmerwalder Linken nicht erhalten können. Man wollte ein klares kommunistisches Programm schaffen, aber sowohl die Zeit wie auch Schriften und Überlieferungen darüber fehlten. Im Jahre 1917 hat der Gen. Itschner zusammen mit ein paar anderen Genossen in der Schweiz eine Zeitung »Die Forderung« gegründet und diese begann, die schärfste Kritik gegenüber der Partei und Propaganda für das kommunistische Programm unter der Arbeiterschaft zu führen. Auch hatte im Sommer 1917 Gen. Herzog eine Soldatenorganisation gegründet. Diese Organisation hatte den Zweck, unter den Soldaten der Armee Propaganda für den Sozialismus zu organisieren und Vorbereitungen für die kommende revolutionäre Bewegung zu treffen. Die Kommunisten widersetzten sich den Bestrebungen des Zentralvorstandes der Jugendorganisation und des Gen. Platten, die die Soldatenorganisation vorläufig für die Verbesserung der Lage der Soldaten gebrauchen wollten. Sie behielt ihren rein revolutionären Charakter und entwickelte sich sehr rasch.

Das Auftreten der Kommunisten in der Öffentlichkeit, auf der Strasse, fand gleichzeitig mit der Oktoberrevolution statt. In unseren Flugblättern wurden fast alle die Programmpunkte aufgestellt, die später von der Sowjetregierung durchgeführt wurden, und es wurde schon damals, am Anfang der Sowjetregierung, die Aufforderung, Arbeiterräte in der Schweiz zu bilden, in die Massen geworfen. Diese Bewegung hatte auch, wie die Genossen gelesen haben werden, sehr schwere Folgen. Zwei Tage und zwei Abende wurde geschossen. Man hat ein Bild in der freien Schweiz sehen können, wie man es in Russland nur im Jahre 1905 gesehen hat. Mit Maschinengewehren wurde geschossen. Die Reaktion, welche nach zwei Tagen eintrat, war schrecklich: Belagerungszustand, Massenverhaftungen, Haussuchungen und ähnliches. Die Zeitung, die wir unter verschiedenen Titeln herausgaben, ist unterdrückt worden.

Was die Kommunisten erreicht haben, war, dass die Schweizer Arbeiterschaft unter dem Druck der Verhältnisse, der Teuerung, der Unzufriedenheit und unter denn Einfluss der ansteckenden, begeisterten Bewegung in Russland ihre volle Solidarität mit der russischen Revolution bekundete. Es fehlte aber an einem zielbewussten, positiven Programm. Auf Grund dieser Erfahrung machte sich auch in der kommunistischen Bewegung eine neue Richtung geltend. Wir wussten schon, es gibt ein Ziel – die Eroberung der Macht, aber die Schweizer Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit diesen allgemeinen Zielen, sie sucht eine klar umschriebene Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie in den Kampf tritt. Die die Massen beschäftigenden Fragen waren erstens der Achtstundentag, zweitens die Teuerung und die Unzufriedenheit mit den ökonomischen Verhältnissen. Wir haben eine Parole formuliert: Beschlagnahme der Lebensmittel und ihre Verteilung, nicht nach dem Besitz, sondern nach dem Bedarf, unter der Kontrolle der Arbeiterschaft. Diese zwei Parolen schienen uns für die Schweizer Arbeiter entsprechend eingreifend, es war etwas anderes als das, was man sonst aufgestellt hat. Sie trugen, besonders die zweite, einen sozialistischen Stempel, und ihre Verwirklichung bedeutete einen Kampf mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Diese positive Arbeit wurde im Jahre 1918 fortgesetzt. Es machte sich in dieser Zeit auch in den Gewerkschaften eine Stimmung für die Kommunisten geltend. Die schweizerischen Gewerkschaften unterscheiden sich nicht von den Gewerkschaften der anderen kapitalistischen Länder. In der Metallarbeitergewerkschaft bildeten die kommunistischen Genossen eine besondere Gruppe. Der Hauptpunkt im Programm dieser Gruppe war die Bildung von Arbeiterräten.

Im Sommer 1918 fand ein Kongress aller kommunistischen Gruppen und Soldatenorganisationen in Olten statt. Es waren 13 Ortschaften der Schweiz durch 26 Delegierte vertreten. Dieser Kongress war deshalb notwendig, weil wir von allen Seiten Äusserungen zu hören bekamen, dass man sich endlich von der Partei trennen und eine selbständige kommunistische Partei bilden solle. Der Kongress beschloss, sich vorläufig von der Partei nicht zu trennen, sondern innerhalb der Partei Opposition zu treiben. Der Einfluss der Parteiführer und der zwei Richtungen war ziemlich gross. Die Hauptsache war, wie bisher, das Hauptgewicht auf die Bildung von Arbeiterräten zu legen.

Mit verdoppelter Kraft traten wir an die Gründung der Arbeiterräte heran und stellten dieses Bestreben einem anderen das sich unter der Arbeiterschaft geltend machte, gegenüber, nämlich der Vereinigung der Partei und der Gewerkschaften in einem gemeinsamen Komitee, eine Parole, die vom linken Flügel der Partei ausging. Wir sahen das jämmerliche Zusammenklappen des Oltener Komitees voraus und bekämpften es vom ersten Tag an. Mit uns ging ein beträchtlicher Teil der Arbeiterschaft. Zu dieser Zeit erklärten wir, dass die Zeit des Parlamentarismus vorbei sei, dass wir nichts mehr von dieser bürgerlichen Institution zu erwarten hätten. Wir haben damals jede Möglichkeit der Mitarbeit an der Parteipresse verloren. Sogar Versammlungsannoncen wurden von dem »Volksrecht« nicht mehr aufgenommen, wir mussten, Handzettel in den Fabriken persönlich verteilen. Auch die Soldatenorganisationen wurden verfolgt. Man musste geheim arbeiten, man wurde bespitzelt.

Es machte sich auch unter den kommunistischen Gruppen ein immer stärkeres Verlangen geltend, dass man zur Trennung schreiten sollte. Da kam ein Moment, wo die Trennung tatsächlich notwendig wurde. Es war im Oktober 1918, nach dem Bankangestelltenstreik in Zürich. Der einmütige Sympathiestreik der Züricher Arbeiter hatte sicher nicht nur den Zweck, die paar ausbleibenden, besser gesagt, verspäteten Unterschriften der Bankherren einzuholen, sondern er war eine elementare Entladung der Spannung, welche seit Monaten in Zürich herrschte und der das Streben zugrunde lag, für den Achtstundentag einen kantonalen Streik durchzuführen. Für die Arbeiterunion Zürich und die Streikführer dagegen, die Genossen Platten und Küng, war die Bewegung ein Mittel, um die Bankangestellten in die Organisation zu bringen (was ihnen gar nicht gelungen ist: die Bankangestellten haben während des Generalstreiks nicht mitgemacht). Die empörte, aufgeregte Masse stimmte dem Vorschlag des Genossen Herzog, weiter für den Achtstundentag zu streiken, einstimmig zu, war aber infolge des scharfen Widerstandes der Delegiertenversammlung und der Arbeiterunion am folgenden Tag nicht erschienen. Diese Sonderaktion der »Forderungs«-Leute wurde öffentlich verpönt, der Gen. Herzog und andere aus der Partei ausgeschlossen, die Gruppen scharf getadelt.

Diese Stellungnahme der Parteiinstanzen hat gezeigt, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihnen nicht mehr möglich war. Es fand eine grosse öffentliche Versammlung statt; die Gründung einer Kommunistischen Partei wurde beschlossen. Bald danach kamen Massenverhaftungen, die Organisationen wurden gesprengt. Man musste von da an geheim arbeiten. Aus dieser Stimmung heraus kam der Generalstreik. Schon am zweiten Tages des Streiks haben wir vorausgesehen, wie er enden würde. Die Parole der Streikleitung an die Arbeiter, ja »sich ganz ruhig zu verhalten« und das ängstliche Vermeiden von Demonstrationen und Versammlungen ermöglichte es dem Bürgertum, das die Bürgerwehr wunderbar organisiert hatte, die Streiktage ruhig durchzuhalten. Rein ökonomisch konnte der Streik nicht wirken, nur durch revolutionäre Haltung würden die Arbeiter etwas erreicht haben, aber das eben haben die Leitung und die Partei ohne Ausnahme ängstlich vermieden. Der Verrat des Oltener Komitees war ein notwendiger Abschluss des ganzen Verlaufs dieser Bewegung, welche wiederum, wie so oft, in der Schweiz nicht in den Händen der Masse, sondern der einzelnen Führer lag, und für sie alle war ein kurzer »ruhiger« Generalstreik eine nötige Ventilöffnung.

Nachdem die Masse den nach aussen unerwartet wirkenden Verrat der Streikleitung erfahren hatte, schrie alles: Arbeiterräte her, die Kommunisten haben Recht. Die Massen haben also verstanden, dass dieser Verrat deshalb möglich war, weil sie alles ein paar Leuten anvertraut und nicht selber durch Arbeiterräte die Leitung in die Hände genommen hatten. Nach diesem Streik hat die Metallarbeitergruppe erzielt, dass die Metallarbeiterdelegierten einen Rat gebildet haben. Ihnen folgten andere Branchen, und bald bildete sich ein Züricher Arbeiterrat Er musste vorläufig geheim arbeiten, da er scharf von der Polizei beobachtet wurde. Eine furchtbare Reaktion fand nach dem Streik statt. Um das ungeheure Militäraufgebot zu verantworten, erklärte die Regierung, es wäre eine Massnahme gewesen gegenüber einem erwarteten bewaffneten Aufstand der Kommunisten. Sie haben mit einem Wort alles auf die Kommunistische Partei schieben wollen und daher ist es kein Wunder, dass die furchtbarste Reaktion sich gegen die Kommunisten wendete. Der niedergedrückten Arbeiterschaft haben die klugen Führer wiederum Gelegenheit gegeben, in einem grossen Arbeiterkongress ihrer Wut Luft zu machen. Wir verlangten: die Abschaffung des Oltener und überhaupt aller Komitees; die sofortige Durchführung der Wahlen der Arbeiterratsdelegierten in der ganzen Schweiz; die Schaffung von Soldatenräten (die bereits in den Soldatenorganisationen während des Generalstreiks sich gebildet hatten); die Bewaffnung der Arbeiter und vor allem die Durchführung eines revolutionären bewaffneten Generalstreiks in nächster Zeit mit folgenden Parolen: Achtstundentag und Kontrolle der Arbeiter über die Produktion und Verteilung. Ausserdem verlangten wir eine andere Bauernpolitik, als sie bis jetzt getrieben wurde. Unsere Parolen und Forderungen fanden Anklang unter der Arbeiterschaft, das Manifest wurde zu vielen Tausenden verbreitet und rief eine rege Diskussion unter der Arbeiterschaft hervor. Die bürgerliche Presse wütete, ganze Spalten wurden über das Manifest geschrieben, die letzten Genossen verhaftet und des Hochverrates beschuldigt, neue Truppen aufgeboten. Nur die Parteipresse und die Instanzen setzten ihre Ignoranzpolitik fort und schwiegen sich über die brennenden Fragen der Zeit aus. Der Arbeiterrat nahm das kommunistische Programm als seine Plattform an, und die Metallarbeitergruppe stellte den Antrag, Arbeiterräte zu bilden. Allein nachdem der Antrag des linken Flügels der Partei (Gen. Platten, Rüegg), ein neues Komitee zu wählen, durchfiel, brachte man jenen gar nicht zur Abstimmung. Die Gruppe wurde in einem speziell für diese Zwecke einberufenen Metallarbeiterkongress für die Gründung des Arbeiterrates und ihre separatistischen Bestrebungen getadelt, den Delegierten der Arbeiterräte wurde mit Ausschluss von der Gewerkschaft wegen »statutenwidrigen« Benehmens gedroht.

Auch entwickelte sich die Soldatenrätebewegung, und in der Bewaffnung der Soldaten und der Arbeiter wurde vieles geleistet.

Zum Schluss ist noch unsere Beziehung zum linken Flügel der Partei mit einigen Worten zu streifen. Was die Fragen der Bewaffnung der Arbeiter und Soldaten und den Antiparlamentarismus betrifft, so haben die Genossen in der letzten Zeit ihre Meinung in dieser Hinsicht geändert und die Sache unterstützt. Theoretisch wurde das kommunistische Programm der russischen Partei vollständig anerkannt, und auch in der Tat haben die Genossen des linken Flügels die Bolschewiki und die Politik der Russen in Presse und Propaganda sehr lebhaft verteidigt. Uns gegenüber verhielt sich der linke Flügel nicht anders als die ganze Partei. Die Abschwenkung nach links aber berechtigt zu der Hoffnung, dass dieser Flügel sich ganz von der Partei trennen und eine rein kommunistische Politik auch für die Schweiz einschlagen wird. Dann – aber auch nur dann – ist die Vereinigung mit den jetzigen Kommunisten möglich und eine starke, grosse, kommunistische Partei der Schweiz würde ein Resultat unserer langen Bemühungen und Kämpfe sein.

Gen. Albert schlägt vor, den ergänzenden Bericht über die Kommunistische Partei Russlands, insbesondere über die Rote Armee anzuhören, (wird mit grossem Beifall angenommen).

Gen. L. Trotzki (Russland). Genosse Albert hat gesagt, dass die Rote Armee in Deutschland sehr häufig das Thema der Diskussion bilde, und wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch die Herren Ebert und Scheidemann in ihren schlaflosen Nächten beunruhigt, nämlich in bezug auf den drohenden Einbruch der Roten Armee in Ostpreussen. Was den Einbruch betrifft, so kann ja Gen. Albert die heutigen Machthaber Deutschlands beruhigen: so weit ist es glücklicherweise oder leider – wie man’s eben nehmen will – heute noch nicht. Jedenfalls stehen wir jetzt in bezug auf die uns bedrohenden Einbrüche viel besser, als zurzeit des Brest-Litowsker Friedens. Das ist wohl ganz sicher. Damals steckten wir noch in den Kinderschuhen in bezug auf die gesamte Entwicklung der Sowjetregierung und auch die der Roten Armee. Damals nannte sie sich noch die Rote Garde. Dieser Name existiert bei uns schon lange nicht mehr. Die Rote Garde waren die ersten Partisanentruppen, die improvisierten Scharen von revolutionären Arbeitern, die, durch ihren revolutionären Geist getrieben, die proletarische Revolution aus Petrograd und Moskau über das gesamte russische Gebiet verbreiteten. Diese Periode dauerte bis zum ersten Zusammenstoss dieser Roten Garde mit den regulären deutschen Regimentern, bei denen es sich klar erwies, dass diese improvisierten Gruppen nicht imstande waren, der revolutionären sozialistischen Republik einen wirklichen Schutz zu verleihen, wenn es sich nicht nur darum handelte, die russischen Gegenrevolutionäre zu besiegen, sondern eine disziplinierte Armee zurückzuwerfen.

Und seitdem beginnt der Umschwung in der Stimmung der Arbeiterschaft in bezug auf die Armee und auch die Änderung in deren Organisationsmethoden. Unter dem Druck der Situation sind wir zum Aufbau einer gut organisierten klassenbewussten Armee geschritten. In unserem Programm steht ja die Volksmiliz. Von der Volksmiliz, von dieser politischen Forderung der Demokratie in einem Lande, das die Diktatur des Proletariats regiert, zu reden, ist aber unmöglich, denn die Armee steht ja immer im engsten Zusammenhang mit dem Charakter der herrschenden Macht. Der Krieg, wie der alte Clausewitz sagte, ist die Fortsetzung der Politik, nur mit anderen Mitteln. Und die Armee ist das Werkzeug des Krieges und muss der Politik entsprechen. Die Regierung ist eine proletarische, und auch die Armee muss nach ihrer sozialen Zusammensetzung dieser Tatsache entsprechen.

So haben wir den Zensus bei der Zusammensetzung der Armee eingeführt. Wir sind seit dem Mai des vorigen Jahres von der freiwilligen Armee, von der Roten Garde, zu der Armee, die auf obligatorischer Militärpflicht beruht, übergegangen, nehmen aber nur diejenigen in die Armee auf, die Proletarier oder Bauern sind, die keine fremde Arbeitskraft ausbeuten.

Von einer Volksmiliz in Russland ernst zu sprechen, ist unmöglich, wenn man berücksichtigt, dass wir zu gleicher Zeit mehrere feindliche Klassenarmeen auf dem Boden des alten Reiches des russischen Zaren hatten und auch jetzt noch haben. Wir haben sogar, wie im Dongebiet, eine monarchistische Armee, von Kosakenoffizieren geleitet, welche aus bürgerlichen Elementen und aus reichen Kosakenbauern besteht. Dann hatten wir im Wolga- und Uralgebiet die Armee der Konstituante. Das war ja auch der Idee nach die »Volks«-Armee, wie man sie nannte. Diese Armee hat sich ganz rasch aufgelöst. Die Herren von der Konstituante mussten den kürzeren ziehen, haben das Gebiet der Wolga- und Uraldemokratie ganz unfreiwillig verlassen und suchten bei uns die Gastfreundschaft der Sowjetregierung. Die Regierung der Konstituante hat der Admiral Koltschak einfach verhaften lassen, und die Armee hat sich zu einer monarchistischen Armee entwickelt. Also in einem Lande, das im Bürgerkrieg begriffen ist, kann man eine Armee nur auf dem Klassenprinzip aufbauen. So haben wir es auch – und mit Erfolg – gehalten.

Grosse Schwierigkeiten bereitete uns die Frage der militärischen Führer. Selbstverständlich, die erste Sorge war, rote Offiziere aus der Arbeiterschaft und aus den entwickelteren Bauernsöhnen zu erziehen. Zu dieser Arbeit sind wir von Anfang an geschritten, und auch hier vor der Tür dieses Saales könnt Ihr manchen roten »Fähnrich« sehen, der in kurzer Zeit als roter Offizier in die Sowjetarmee eintreten wird. Wir haben ihrer eine ziemlich grosse Zahl. Ich will die Zahl nicht nennen, denn Kriegsgeheimnis ist immer Kriegsgeheimnis. Die Zahl – wiederhole ich – ist ziemlich gross, aber wir konnten nicht warten, bis die jungen roten Fähnriche sich zu roten Generälen entpuppen, denn der Feind wollte uns keine so grosse Pause geben. Wir mussten uns, um aus dieser Reserve manch tüchtigen Mann mit Erfolg herauszuholen, auch an die früheren militärischen Führer wenden. Selbstverständlich haben wir nicht in der glänzenden Schicht der militärischen Hofleute unsere Offiziere gesucht, sondern aus den schlichteren Elementen ganz tüchtige Kräfte herausgeholt, die uns jetzt mithelfen, ihre einstigen Kollegen zu bekämpfen. Einerseits aus den besseren und ehrlichen Elementen des alten Offizierskorps, denen wir tüchtige Kommunisten als Kommissare beigeben, und andererseits aus den besten Elementen aus den Reihen der Soldaten, der Arbeiter, der Bauern für die unteren Kommandoposten – auf diese Weise haben wir uns ein rotes Offizierskorps zusammengesetzt.

So lange die Sowjetrepublik in Russland besteht, war sie immer gezwungen, Krieg zu führen und führt ihn heute noch. Wir haben eine Front von mehr als 8000 Kilometern. Im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen, überall mit den Waffen in der Hand, sind wir bekämpft und müssen uns wehren. Ja, Kautsky hat uns sogar beschuldigt, dass wir den Militarismus grossgezogen haben. Nun glaube ich aber, dass wir, wenn wir den Arbeitern die Macht erhalten wollen, uns auch ernstlich wehren müssen. Um uns zu wehren, müssen wir die Arbeiter lehren, von den Waffen, die sie schmieden, Gebrauch zu machen. Wir haben damit begonnen, dass wir das Bürgertum entwaffnet und die Arbeiter bewaffnet haben. Wenn das Militarismus heisst, nun gut, dann haben wir unseren sozialistischen Militarismus geschaffen, und wir bestehen fest auf ihm.

Unsere Situation im August vorigen Jahres war in dieser Beziehung verdammt schlecht; man hatte uns nicht nur eingekreist, sondern der Kreis war ziemlich eng um Moskau gezogen. Seit dieser Zeit haben wir diesen Kreis mehr und mehr ausgeweitet, und in den letzten sechs Monaten hat die Rote Armee für die Sowjetrepublik nicht weniger als 700 000 Quadratkilometer zurückerobert, mit einer Bevölkerung von ungefähr 42 Millionen, 16 Gouvernements mit 16 grossen Städten, in denen die Arbeiterschaft einen tüchtigen Kampf zu führen pflegte und pflegt. Und auch heute noch, wenn Ihr aus Moskau auf der Karte in irgend einer nach Belieben gewählten Richtung eine Linie zieht und dieselbe verlängert, so werdet Ihr überall einen russischen Bauern, einen russischen Arbeiter an der Front finden, der in dieser kalten Nacht mit seinem Gewehr an der Grenze der sozialistischen Republik steht, um sie zu verteidigen. Und ich kann Euch versichern, dass die kommunistischen Arbeiter, die in dieser Armee wirklich den Kern bilden, sich nicht nur als die Schutztruppe der russischen sozialistischen Republik fühlen, sondern auch als die Rote Armee der III. Internationale. Und wenn wir heute die Möglichkeit haben, dieser kommunistischen Konferenz Gastfreundschaft zu erweisen, um einmal den westeuropäischen Brüdern damit für ihre jahrzehntelange Gastfreundschaft zu danken, so verdanken wir es unserseits den Bemühungen und Opfern der Roten Armee, in der die besten Genossen aus der kommunistischen Arbeiterschaft tätig sind als einfache Soldaten, als rote Offiziere oder als Kommissare, d. h. als die direkten Vertreter unserer Partei, der Sowjetregierung, die bei jedem Regiment, bei jeder Division den politischen und moralischen Ton angeben, d. h. die roten Soldaten durch ihr Beispiel belehren, wie man für den Sozialismus kämpft und stirbt. Und das sind bei den Leuten keine leeren Worte, denn ihnen folgt die Tat, und wir haben Hunderte und Tausende bester sozialistischer Arbeiter in diesem Kampf verloren. Ich glaube, sie sind nicht nur für die Sowjetrepublik, sondern auch für die III. Internationale gefallen.

Und wenn wir heute gar nicht daran denken, in Ostpreussen einzubrechen – im Gegenteil, wir würden ganz glücklich sein, wenn die Herren Ebert und Scheidemann uns in Frieden liessen – so ist es jedenfalls richtig, dass wir, wenn einmal die Zeit kommt und die Brüder vom Westen uns zu Hilfe rufen, antworten werden: »Wir sind hier, wir haben während dieser Zeit den Gebrauch der Waffen gelernt, wir sind bereit, für die Sache der Weltrevolution zu kämpfen und zu sterben!»

Anschliessend an die letzten Ausführungen Trotzkis schildert Gen. Rutgers den Jubel, mit welchem in den Arbeiterkreisen Amerikas Propaganda für die Rote Armee Russlands getrieben wurde. In Versammlungen wurden von Frauen und Mädchen Schmuckgegenstände zum Besten der Roten Armee gesammelt.

Gen. Lenin: Das Wort zum Bericht hat Gen. Rutgers, Vertreter der Kommunistischen Partei Hollands.

Gen. Rutgers (Holland): Zu dem Bericht über Holland muss hervorgehoben werden, dass dort schon vor mehr als 10 Jahren eine formelle Spaltung zwischen der Zweiten Internationale und den neuen Ideen der Dritten Internationale stattfand.

Die revolutionäre Bewegung in Holland ist ein Kind der russischen Revolution (aber schon ein Vorkind) aus der blutigen Hochzeit von 1905. Damals gründeten wir unser Organ »De Tribune« und wurden auf Grund der Agitation dieses Organs aus dem alten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ausgeschlossen. Das nannte man damals »Freiheit der Presse«! Seitdem haben wir immer mit unseren russischen Genossen in engster Berührung gestanden. Wir hofften schon damals darauf, dass die russischen Kampfmethoden via Deutschland sich in Westeuropa durchsetzen würden. Die grossen Demonstrationen in Berlin bestärkten diese Hoffnung, aber es gelang den Parteibürokraten unter Führung von Kautsky die Taktik der Massenbewegungen zu diskreditieren, sie zu einer blossen Verteidigungstaktik zu machen. Damit war die Entwicklung statt zur Revolution zum Weltkrieg angebahnt. Der Sieg der Reaktion in Deutschland wirkte selbstverständlich auch auf Holland zurück.

Zwar liess sich die junge Partei, die Sozialdemokratische Partei – jetzt die Kommunistische Partei – nicht irreführen, aber zu einer grösseren Massenbewegung konnte sie sich noch nicht entwickeln.

Theoretisch und praktisch hat aber die holländische Bewegung zu einer besseren Aufklärung über die imperialistischen Verhältnisse und die künftige kommunistische Taktik mit beigetragen. Die Schriften und Reden von Lenin, Sinowjew und Kamenew sind immer den Lesern der »Tribune« bekannt geworden, und umgekehrt sind die holländischen Genossen Roland-Holst, Gorter, Pannekoek, van Ravesteyn, Wijnkoop u.a. vielen russischen Kommunisten schon alte Bekannte.

In Holland selbst hatte die junge revolutionäre Partei einen harten Kampf mit den Opportunisten unter Führung von Troelstra zu führen, und der Vorsitzende Wijnkoop wurde sogar mit Gewalt aus Versammlungen entfernt. Da traten aber die syndikalistischen Hafenarbeiter für uns ein und bildeten eine Schutzwehr aus Riesen von über sechs Fuss.

Auch geistig haben wir uns mit den syndikalistischen Elementen aus der Arbeiterbewegung Hollands immer besser verstanden, und als der Weltkrieg ausbrach, wurde von unserer Partei zusammen mit den Syndikalisten und einer anarchistischen Gruppe ein revolutionäres Komitee gebildet, das eintrat für die unmittelbare Demobilisation und gegen die Räuberpolitik, die die Regierung mit den Lebensmitteln trieb. Allmählich hat unsere Partei grossen Einfluss auf die Massen gewonnen und konnte versuchen, den Massenaktionen, die als Folge von Hunger und Elend ausbrachen, eine revolutionäre Richtung zu geben.

Es ist bekannt, dass mehrere solcher Massendemonstrationen in Holland stattfanden, wobei die Zusammenstösse mit den Truppen Opfer forderten. Anlässlich des Jahresfestes der russischen Revolution wurde eine Frauendemonstration von der Polizei auseinandergejagt, wobei auch Genossin Roland-Holst verwundet wurde.

Nach dem Ausbruch der ersten deutschen Revolution fielen bei Demonstrationen in Holland Tote und Verwundete. Damals erfasste die Bourgeoisie aber schon eine furchtbare Angst: öffentliche Gebäude wurden mit Sandsäcken verbarrikadiert, Militär abends bereit gestellt. Es schien anfänglich, dass auch die Partei Troelstras sich der revolutionären Bewegung anschliessen wolle, aber ein schnell einberufener ausserordentlicher Kongress der Sozialverräter beschloss, dass auch auf friedlichem Wege alle erwünschten Verbesserungen zu erlangen seien. Damit war die Bewegung vorläufig abgebrochen.

Doch hat sich schon herausgestellt, dass einige Truppenteile sich weigerten, auf die Arbeiter zu schiessen, und die Armee kann schon als für die Kapitalisten unzuverlässig gelten. Die Kommunistische Partei hat in verschiedenen Armeeteilen illegale Soldatenräte gegründet.

Jetzt befindet sich Holland aber in einer schweren Lage, weil es ganz zu einem Vasallenstaat Englands geworden ist. Die holländische Bourgeoisie stützte sich früher in ihren Hoffnungen, die Ausbeutung der Kolonien weiter betreiben zu können, auf Deutschland. Nachdem Deutschland als imperialistische Macht ausgeschaltet ist, bleibt für die holländischen Kapitalisten nur eine Hoffnung: sich England gegenüber so servil zu betragen, dass John Bull [= Gross Britannien] es vorzieht, sich der Dienste der holländischen Ausbeuter in den Kolonien zu bedienen und diesen ein Stück der Beute zu überlassen. Der Löwenanteil der Beute aus den holländischen Kolonien wird selbstverständlich in Zukunft den englischen Kapitalisten zufliessen. Aber es ist zu befürchten, dass die holländische Bourgeoisie zu jeder Niederträchtigkeit bereit sein wird, um einen Teil der Beute zu erhalten. Damit wird für Holland eine Periode grösster Reaktion eintreten. Ebenso wie Finnland und Polen gegen die russischen Proletarier gehetzt wurden, so wird Holland gegen die orientalischen Proletarier vorgehen. Dabei wird die Abhängigkeit von England und der Entente so gross sein, dass Holland auch als Einfallstür gegen ein revolutionäres Deutschland in Betracht kommen wird.

Das holländische Proletariat hat dabei eine sehr schwere Aufgabe, und unsere Kommunistische Partei ist sich der bevorstehenden Schwierigkeiten voll bewusst. Wir brauchen dabei dringend eine internationale Unterstützung und begrüssen diesen ersten Kommunistenkongress von ganzem Herzen. Unsere besten Propagandamittel sind immer die tatsächlichen Berichte über die revolutionären Vorgänge in den anderen Ländern, und daher sind wir in erster Linie bemüht, die internationalen Verbindungen zu unterhalten. Auch wäre es wünschenswert, dass dieser Kongress praktische Beschlüsse über den Kampf fasste, den wir in den Kolonien Hand in Hand mit den braunen und gelben Proletariern zu führen haben.

Auch hier liegt eine grosse Aufgabe, und es ist eine grosse Kraft erforderlich. Und nur mit Anspannung aller Kräfte können wir hoffen, schon jetzt zu siegen.

Gen. Lenin. Werden noch irgend welche Ergänzungsfragen gestellt?

Gen. Platten. Wir möchten einen Antrag unterbreiten und zwar der folgenden: Der am 2. März 1919 in Moskau tagende Internationale Kommunistische Kongress sendet der Roten Armee einen Gruss. Es wird dies ein Zeichen sein, dass wir während der Tagungen ihrer herrlichen Taten eingedenk sind.

(Wird mit stürmischer Begeisterung angenommen.)

Gen. Sinowjew. Es entsteht die Frage, ob wir der Presse jetzt schon irgend welche Mitteilungen über unsere Sitzungen übergeben. Eine Anzahl der Genossen hat diese Frage besprochen und hat beschlossen, die Sitzungen vorläufig als geheime zu behandeln, also der Presse oder einzelnen Genossen keine Mitteilungen zu machen und es dem Präsidium zu überlassen, über den Moment der Publikation über unsere Arbeit zu bestimmen.

Gen. Lenin. Soeben kommt die Nachricht, dass Gen. Rakowski und der schwedische Delegierte schon auf der Reise sind. Wir müssen jetzt beschliessen, um wie viel Uhr morgen die Sitzung stattfinden soll. Welche Vorschläge werden gemacht? Um 5 Uhr nachmittags. Aber Gen. Stange muss um 7 Uhr abreisen. Andere Vorschläge? Um 12 Uhr.

Gen. Klinger stellt den Antrag, dass die Sitzung um 5 Uhr beginnen soll, weil die Genossen noch ankommen und aus rein technischen Gründen, weil das Büro sich vorbereiten muss. Für die Abreise des Genossen aus Norwegen wären es doch nur 2–3 Stunden Unterschied. Es wäre daher um 5 Uhr am besten, besonders für das Sekretariat.

Gen. Lenin. Ich muss bemerken, dass Gen. Rakowski nur für einen Tag kommt. Deswegen wäre es zweckmässig morgen um 12 Uhr zu beginnen.

Gen. Trotzki. Ich glaube, wir werden jetzt die Stunde nicht fixieren, sondern werden es dem Büro überlassen, dieselbe je nach den Umständen festzusetzen.

Wird angenommen.

Schluss der Sitzung 12 Uhr nachts.



Source: »Der I. Kongress der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis zum 19. März 1919«, Bibliothek der Kommunistischen Internationale, Bd. VII, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg 1921. Digitalisierung und Bearbeitung: sinistra.net Februar/März 2001.

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