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I. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:

I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale: III. Sitzungstag
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Kascher
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Klinger
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Reinstein
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Lenin
Leitsätze über bürgerliche Demokratie und proletarische Diktatur
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Platten
Erklärung der Genossin Kascher
Amendement des Genossen Reinstein zu den Richtlinien
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Balabanoff
Redebeitrag Grimlund
Redebeitrag Rahja
Erklärung der Vertreter der Kommunistischen Partei Finnlands
Redebeitrag Rakowski
Redebeitrag Rudnyánszky
Redebeitrag Sadoul
Redebeitrag Gruber
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Feinberg
Redebeitrag Platten
Abstimmung über die Gründung der III. Internationale
Redebeitrag Platten
Grusswort an die ukrainischen Genossen
Redebeitrag Albert
Redebeitrag Platten
Erklärung der Teilnehmer von Zimmerwald
Redebeitrag Platten
Beschluss über die Zimmerwalder Vereinigung
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I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale:

III. Sitzungstag

Gen. Lenin eröffnet die Sitzung um 12 Uhr mittags.

Gen. Albert (Deutschland) . Genossen, das Büro beantragt von jetzt ab öffentlich zu tagen, da es nicht mehr zu verheimlichen ist, dass die Sitzungen hier stattfinden, und teilt mit, dass inzwischen auch die übrigen Delegierten eingetroffen sind. Der Antrag wird einstimmig angenommen.

In Fortsetzung der Debatte zum Thema »Richtlinien« erhält Gen. Reinstein das Wort.

Gen. Reinstein (Sozialist. Arbeiterpartei Amerikas). Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die meiner Meinung nach in der Prinzipienerklärung enthalten sein oder schärfer betont werden müssten. Der eine Punkt ist, dass die III. Internationale in der Frage des Militarismus oder der Kriegführung den Gedanken der Vaterlandsverteidigung ablehnt. In der II. Internationale nahmen die Vertreter der Bewegungen in allen Ländern Resolutionen gegen den Militarismus, gegen die Unterstützung der Regierung für ihre verschiedenen Kriegsausgaben usw. an. Aber die meisten Vertreter der II. Internationale standen auf dem Standpunkt, dass, wenn ihr Land angegriffen werden sollte, wenn es nicht der Angreifer, sondern der Angegriffene ist, wenn es also ein »Verteidigungskrieg« ist, das Proletariat die ganze Arbeiter- und sozialistische Bewegung dann nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, ihre Regierung zu unterstützen. Die Folgen dieser Stellungnahme sind dem Proletariat aller Länder nur zu gut bekannt. Ich bin deshalb dafür, dass die III. Internationale es hier in kurzen Sätzen klarlege, dass es in unserem Jahrhundert keine Kriege geben kann, deren Ursache nicht in der kapitalistischen Konkurrenz wurzelt. Solange die kapitalistische Gesellschaft besteht, wird es im Kampfe um den Absatzmarkt Kriege geben. In Anbetracht dieser rein kommerziellen Ursachen der modernen Kriege hat das Proletariat nicht nur nicht die Pflicht, es hat auch kein Recht, seine Regierung sogar in den »Verteidigungskriegen« zu unterstützen. Es gibt nur einen Krieg, den die Proletarier die Pflicht haben zu unterstützen, und das ist der soziale Krieg, die soziale Revolution.

Der andere Gedanke, der meiner Meinung nach nicht richtig dargestellt wird, ist die Rolle der ökonomischen Organisation, der gewerkschaftlichen Bewegung. Wir in Amerika sehen in bezug auf diese Frage auf einem dem unserer finnischen Genossen entgegengesetzten Standpunkt. Wir sind nicht geneigt, der gewerkschaftlichen Bewegung eine geringe, eine untergeordnete Rolle zuzuschreiben. Unsere Erfolge in dem höchstentwickelten kapitalistischen Staat, den Vereinigten Staaten, lehren uns etwas anderes. Die gesamte Mitgliedschaft der Sozialistischen Arbeiterpartei, ein grosser Teil der Sozialistischen Partei, die von Debs geführt wird, die Arbeiter, die sich um die IWW und um die anderen industriellen Gewerkschaften gruppieren, betrachten die gewerkschaftlichen Organisationen als die wichtigsten Organe, die nicht nur eine bedeutende, sondern tatsächlich eine ausschlaggebende Rolle in dem revolutionären Kampfe spielen müssen. Darum stehen wir auf dem Standpunkt, dass die III. Internationale die Notwendigkeit einer Revolutionierung, einer Umgestaltung der gewerkschaftlichen Bewegung schärfer betonen soll. Unsere Erfahrung führt uns zu der Ansicht, dass derjenige, der die Fahne trägt, hinter der die Massen des organisierten Proletariats marschieren, dass solche Gewerkschaftsführer, wie Gompers in Amerika, Karl Legien in Deutschland, Henderson in England, tatsächlich den Schlüssel zu der ganzen Situation halten und einen ausschlaggebenden Einfluss ausüben können. Es handelt sich darum, die Gewerkschaftsbewegung von dem verhängnisvollen Einfluss dieser Lakaien des Kapitels zu befreien.

Wenn ich von der Reorganisierung der Gewerkschaftsbewegung spreche, so meine ich damit, dass die Kommunisten in allen Ländern dafür sorgen müssen, dass die Gewerkschaften sich konsequent auf den Standpunkt des Klassenkampfes stellen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Wir müssen danach streben, die Gewerkschaften in einer dem heutigen Kampfe entsprechenden Form zu organisieren. Ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Einwände dagegen gemacht werden können. Man wird wohl einwenden, dass es eine allzu grosse Arbeit sei, die recht viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Ich gebe zu, dass es leichter ist, an den kapitalistischen oder sozialpatriotischen Führern Kritik zu üben, als die ökonomischen Führer der Gewerkschaften oder die Gewerkschaften selbst, ihre Ziele, ihre Methoden und ihren Geist zu kritisieren. Das ist freilich eine schwere Aufgabe. Wir halten diese Arbeit aber für notwendig. Die Befreiung der internationalen Gewerkschaftsbewegung von dem Einfluss der kapitalistischen Lakaien unter ihren Führern betrachten wir als eine conditio sine qua non. Aus diesem Grunde beantrage ich, unser Komitee entsprechend zu instruieren, die entsprechenden paar Sätze in diesem Dokument so zu ändern, dass dort die gewerkschaftliche Organisation nicht so nebensächlich behandelt wird, sondern dass im Namen der III. Internationale, mit dem Prestige der III. Internationale, dem Ruf an die Proletarier aller Länder erlassen werde, mit verdoppelten Energie an die Arbeit zu gehen, um die Gewerkschaftsbewegung so aufzubauen, wie sie eigentlich sein soll. Ergeht ein solcher Ruf von der III. Internationale, so kann ich Ihnen versichern, dass zum mindesten, was die amerikanische Bewegung betrifft, die revolutionären Elemente in der gewerkschaftlichen sowie in der politischen Bewegung die nötige moralische Unterstützung erhalten, und dann ist unsere Arbeit um so erfolgreicher und wir können den verräterischen Einfluss brechen. Wenn die III. Internationale sich auf den Standpunkt stellt, dass die Gewerkschaftsbewegung wohl nützlich, aber nicht von allzugrosser Wichtigkeit sei, dann heisst das, Wasser auf die Mühle der Gompers und Henderson giessen. Die Gompers und die Henderson sind schon jetzt an der Arbeit, eine gelbe internationale gewerkschaftliche Bewegung zu gründen, die die Aufgabe haben wird, als internationaler Blitzarbeiter zu wirken. Dem müssen wir entgegenwirken.

Gen. Kascher (Kommunistische Gruppe der Schweiz) Genossinnen und Genossen! Ich will mich mit aller Entschiedenheit der Auffassung meines Vorredners anschliessen. Ich finde auch, dass dieser Entwurf, der von der III. Internationale unter der Arbeiterschaft aller Länder verbreitet werden wird, tatsächlich dem Proletariat etwas rein Positives, etwas mehr Praktisches, eine Stütze in diesem schweren Kampf nicht nur gegenüber den Bürgerlichen, sondern auch gegenüber den Sozialpatrioten und allen Schattierungen des Zentrums geben soll. Gerade in dieser Hinsicht finde ich, dass in diesem Entwurf ein Kapitel zu kurz gekommen ist, nämlich das über den Weg zum Siege, ein Kapitel, das im Unterschied zu all den Entwürfen und Aufrufen, die bis jetzt erschienen sind, auf Grund der Erfahrungen der russischen und deutschen Revolution aufgebaut werden soll. In diesem Kapitel sind klar zwei Forderungen an die internationale Arbeiterschaft gerichtet: die Notwendigkeit des Massenkampfes und der Gründung von kommunistischen Parteien. Mehr Positives kann ich aus diesem Punkt nicht herauslesen. Ich möchte noch eine nähere Präzisierung der Aufgaben des internationalen Proletariats haben. Der erste der zwei Punkte ist die Frage des Rätesystems. Das Rätesystem ist hier in diesen Richtlinien behandelt, aber in weiterem Umfange, als ein Rätesystem, das schon die politische Macht umfasst. Ich spreche von dem Rätesystem, das noch nicht die letzte Etappe der Revolution ist, das schon jetzt in den Ländern möglich ist, in denen das Proletariat noch nicht die politische Macht übernommen hat, von den Arbeiterräten. Es muss merkwürdig erscheinen, dass in diesen Richtlinien gar nicht von diesen Arbeiterräten gesprochen wird, die sich überall bilden. Vielleicht haben die Verfasser das als selbstverständlich gehalten, weil sie spontan in allen Ländern entstehen. Aber, Genossen, diejenigen, welche in den Ländern arbeiten mussten, in denen die Revolution noch nicht stattgefunden hat, wissen, dass wir einen schweren Kampf um diese Räte zu kämpfen haben, nicht nur gegen die Sozialpatrioten sondern auch gegen die Radikalen, die sich aus prinzipiellen Gründen nicht entschliessen wollen, jetzt schon für die Arbeiterräte einzustehen. Wollen wir diese revolutionären Bestrebungen unterstützen, dem Proletariat diesen Sozialpatrioten gegenüber einen Halt geben, dann müssen wir in diesen Richtlinien von der Internationale aus sagen, dass der richtigste, der beste Weg zum Siege jetzt schon vorzubereiten ist, dass schon jetzt Arbeiterräte zu gründen sind.

Der zweite Punkt, den ich hier aufstellen möchte, und den ich auch als einen Faktor auf dem Wege zum Siege betrachte, ist die Idee der Produktionskontrolle. Dieser Punkt gehört auch in den dritten Abschnitt dieses Entwurfs, in dem über die Sozialisierung gesprochen wird. Die Nationalisierung und Sozialisierung ist für die Volksmassen derjenigen Länder, in denen die Revolution noch nicht stattgefunden hat, etwas Ungeheuerliches, etwas, was an das sogenannte russische »Chaos« erinnert, und deswegen geht auch dort ein Kampf vor sich zwischen den Arbeitern, die sich dafür entschlossen haben, und den verschiedenen Führern und Richtungen, auch der radikalen, welche die Verbreitung und Einwurzelung dieser Gedanken kennen möchten. Meines Erachtens muss man auch in dieser Hinsicht eine Parole herausgeben, die sich eine Etappe auf dem Wege zur Sozialisierung zum vorläufigen Ziel steckt, und diese ist die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion und den Verbrauch. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Unternehmer längst auf diesen Gedanken gekommen sind und versucht haben, mit dem Proletariat auf diese Weise zu kokettieren. Wir wissen, was für ein Zweck dahinter steckt. Anders wird es aussehen, wenn das Proletariat von sich aus diese Parole aufstellen wird.

Der dritte Punkt, den ich betonen möchte, ist die Vorbereitung zur Übernahme der wirtschaftlichen Macht. Ich weiss, wie schwer es war, Leute zu finden, wenigstens 1–2 Genossen, die imstande waren, den Arbeitern zu erklären, was eigentlich die Übernahme der Produktion und der wirtschaftlichen Macht ist, wie man gegen die Sabotage ankämpfen muss, wie man regiert und verwaltet auf dem Lande und in der Fabrik.

Ich muss die Versammlung und die Verfasser der Richtlinien bitten, diese Fragen zu diskutieren. Wenn von der III. Internationale etwas herauskommt, was nicht tatsächlich auf den Erfahrungen der Revolution aufgebaut ist und wenn jetzt von der III. Internationale etwas herauskommen soll, was nicht imstande ist, das Proletariat der Entente zur Aktion zu bringen, dann ist unsere ganze Konferenz verfehlt. Zum Schluss will ich betonen, dass auch ich der Meinung bin, man solle die Gründung der III. Internationale nicht verschieben. Überall, in allen Ländern, erwartet man sie, überall sind kleine Gruppen vorhanden, die dieses Zentrum nötig haben und auch in Deutschland will das Proletariat unbedingt eine III. Internationale.

Gen. Platten. Genossen, die Resolutionskommission hatte die Aufgabe, eine ganze Anzahl von Anträgen zu prüfen. Die Kommission ist dazu gekommen, einzelne unbedeutende Abänderungen in dem Entwurf vorzunehmen:
Jetzt kommt der Antrag Rutgers, den die Kommission insofern berücksichtigt wissen will, als der Satz heissen soll: »Jetzt demaskieren sich selbst vor den zurückgebliebenen Massen die Ententestaaten als Welträuber und Mörder des Proletariats«. Man hat also die Einfügung gemacht: »selbst vor den zurückgebliebenen Massen«. Gen. Rutgers war ausführlicher, die Kommission aber glaubte, es sei durchaus genügend, nur den Zwischensatz einzufügen, denn man darf annehmen, dass bereits vor dem Kriege und während des Krieges kein Zweifel darüber bestand, dass auch die Ententestaaten eine Raubpolitik trieben, und nur zurückgebliebene Massen konnten noch unter dem Eindruck stehen, dass diese Staaten den Krieg eigentlich für Freiheit, Recht usw. führten. Es soll durch Einfügung dieses Satzes in dieser Beziehung Klarheit geschaffen werden.

Gen. Lenin beantragt, dass zu jedem Abänderungsantrag zwei Redner sprechen können, einer für und einer gegen. (Wird angenommen.)

Zum Worte meldet sich niemand.

Gen. Albert (Deutschland), Schlusswort. Parteigenossen! Als Gen. Bucharin und ich an die Ausarbeitung der Richtlinien gingen, haben wir es nicht für möglich gehalten, dass wir uns so schmerzlos über die einzelnen Fragen einigen könnten, denn von vornherein glaubte man doch, dass bei der völligen Verschiedenheit der Entwicklung in den einzelnen Ländern, besonders jetzt, Gegensätzlichkeiten und Differenzen in grossem Masse vorhanden wären. Dass das nicht der Fall ist, dass die Richtlinien von der Konferenz im grossen und ganzen akzeptiert wurden, ist für uns ausserordentlich erfreulich. Das, was für uns bei der Abfassung der Richtlinien in erster Linie in Frage kam, war die verschiedenartigen Entwicklungsstufen in der Revolution in den einzelnen Staaten zusammenzufassen und ein einheitliches Ganzes zu schaffen, und Sie werden zugeben müssen, dass diese Arbeit nicht leicht ist. Auf der einen Seite konnten die Länder, die in der revolutionären Entwicklung am weitesten fortgeschritten sind, Forderungen und Wünsche weitgehender Natur stellen, auf der anderen Seite können die zurückgebliebenen Länder erklären: das, was ihr in euren Richtlinien hier fordert, ist noch nicht reif für uns, wir können an diese Dinge noch lange nicht herangehen. Und doch hat es sich gezeigt, dass die Delegierten sich mit dem hier Vorgeschlagenen einverstanden erklärten. Was in diesen Richtlinien in der gestrigen Diskussion geändert wurde, ist gestern Abend von der Redaktionskommission durchberaten worden, an der auch die beiden Verfasser beteiligt waren. Auch dort ist völlige Einheit geschaffen worden. Die Änderungen, die Ihnen der Genosse Platten, als der Vorsitzende der Redaktionskommission, heute vorgelegt hat, sind im Einverständnis mit den Verfassern zustande gekommen. Prinzipielle Änderungen sind nicht vorgenommen, nur einige redaktionelle Änderungen. Es ist zu sagen, dass die Richtlinien ausserordentlich leicht erreicht werden können. Aber wir haben uns von vornherein auf das alleräusserste beschränkt, um die Möglichkeit zu schaffen, möglichst weite Kreise und viele Organisationen auf diese Richtlinien zu einigen. Ich komme gleich auf eine sehr wichtige Frage, die in den Richtlinien nicht behandelt ist, das ist die gewerkschaftliche Bewegung.

Wir haben uns lange mit dieser Frage beschäftigt. Wir haben die Vertreter der einzelnen Länder über die gewerkschaftliche Bewegung ausgefragt und müssen feststellen, dass es heute unmöglich ist, zu dieser Frage in den Richtlinien international Stellung zu nehmen, da die Stellung des Proletariats in den einzelnen Ländern völlig verschieden ist. Es gibt keine Lösung dieser Frage, die als einheitliche Richtlinie den Gewerkschaften gegenüber von uns aufgestellt werden könnte. In Russland wird uns gesagt, dass die gewerkschaftliche Bewegung auf Grund der revolutionären Tendenzen eine sehr wichtige Rolle im Sowjetsystem spielt, dass die Sowjetmacht bei der Verteilung der Produktion und der Leitung in den Betrieben sich teilweise auf die Gewerkschaften stützt. Hier wäre also die Geschichte genau umgekehrt; die finnischen Genossen erklären, dass es unmöglich sei, die Gewerkschaften für die Revolution zu gebrauchen. In England spielen die Gewerkschaften wiederum eine ganz andere Rolle. In Deutschland sehen wir, dass die Gewerkschaften nach Ausbruch der Revolution völlig an die Wand gedrückt sind, dass die ganzen wirtschaftlichen Kämpfe ohne, ja gegen die Gewerkschaften durchgeführt werden. Man könnte leicht sagen: ihr müsst sie revolutionieren, an Stelle der gelben Führer revolutionäre setzen. Aber das lässt sich nicht so ohne weiteres machen, weil die ganzen Organisationsformen der Gewerkschaften dem alten Staatssystem angepasst sind, weil das Rätesystem auf der Grundlage der Fachverbände nicht durchführbar ist. Wir in Deutschland haben die Führung der wirtschaftlichen Bewegung dem Rätesystem übertragen. Die Betriebsräte in den Fabriken haben seit Ausbruch der Revolution die gesamte Tätigkeit übernommen und die Gewerkschaften in Deutschland sind faktisch reine Unterstützungsorganisationen. Es lässt sich jetzt nicht voraussehen, wie die Entwicklung vor sich gehen wird, ob es möglich sein wird, dieselben zu revolutionieren, sie in industrielle Verbände umzuarbeiten. Das alles sind Verhältnisse, die in den einzelnen Ländern verschieden sind, so dass es uns unmöglich erscheint, den Arbeitern klare internationale Richtlinien zu geben. Weil dies nicht möglich ist, können wir diese Frage heute nicht entscheiden, wir müssen es den einzelnen Landesorganisationen überlassen, zu ihr Stellung zu nehmen. Deshalb haben wir kurz und bündig gesagt, dass dort, wo es möglich ist, die revolutionären Gewerkschaften für den Kampf zu gebrauchen sind.

Es wurde verlangt, dass der Begriff »Vaterland« hier präziser gefasst werde, dass den Arbeitern gesagt werde, dass wir als Kommunisten an der Verteidigung des Vaterlandes kein Interesse haben. Hier ist eine Einschränkung notwendig, indem man sagen müsste: wir haben kein Interesse an der Verteidigung des bürgerlichen Vaterlandes, aber bei einem sozialistischen Vaterlande wird die Frage anders für uns. Genossen, wir sehen, wie die Arbeiter in Russland ein lebhaftes Interesse an der Verteidigung des Vaterlandes haben. Da aber die Richtlinien darauf ausgehen, den bürgerlichen Staatsapparat zu vernichten, so ist selbstverständlich, dass mit dem Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaftsordnung auch der bürgerliche Vaterlandsbegriff zusammenfallen wird. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, auch von dieser Forderung Abstand zu nehmen.

Die Genossin Kascher wünscht, dass das Rätesystem ausführlicher erörtert werde. Ich möchte ihr sagen, dass wir die Frage des Rätesystems noch erörtern, und dass in besonderen Resolutionen dazu Stellung genommen wird.

Zum Schluss die Bitte, die hier von der Resolutionskommission vorgeschlagenen Änderungen und dann die Richtlinien in ihrer Gesamtheit anzunehmen. Tun wir das und werden sie möglichst einstimmig angenommen, dann werden wir mit ihnen getrost vor die Welt treten können, werden den Proletariern aller Länder getrost sagen können: Es liegt an Euch, Organisationen zu schaffen, die rücksichtslos den Kampf in den einzelnen Ländern aufnehmen, die sich zusammenschliessen zu der neuen grossen Dritten Internationale. Nach meiner Meinung ist es dann erst möglich, die Dritte Internationale zu gründen. Heute sind die Ansichten über das, was die Kommunisten in den verschiedenen Ländern wollen, so verschieden, die Unkenntnis nicht nur durch die böswilligen Verleumdungen der Bourgeoisie so verbreitet, dass keine Möglichkeit vorhanden ist, die Arbeiterkreise, die sich schon zum Kommunismus bekannt haben, über das zu informieren, was die Bruderparteien, die kommunistischen Parteien der anderen Länder denken und tun.

Gen. Platten. Die Diskussion ist geschlossen. Es kann kein neuer Antrag mehr in die Verhandlung eingezogen werden. Nun hat Genosse Reinstein folgenden Antrag gestellt: die Kommunistische III. Internationale fordert die Revolutionäre aller Länder auf, mit verdoppelter Energie an die Arbeit zu gehen, um die Gewerkschaftsbewegung in ihren Ländern in ein wirklich revolutionäres Fahrwasser zu bringen, sie in bezug auf Organisationsform, Ziel, Taktik und Geist zu einer Bewegung umzugestalten, die den revolutionären Zielen des Kommunismus gewachsen ist.

Es scheint, dass es am zweckmässigsten wäre, die Abstimmung vorzunehmen, ob die heutige Tagung bereit ist, diesen Antrag Reinstein der Kommission zu überweisen, damit diese endgültig darüber entscheide, in welcher Form eine Berichtigung stattfinden kann.

Gen. Albert. Ich bin der Auffassung, dass dieser Antrag des Genossen Reinstein nicht in Zusammenhang gebracht werden kann mit den Richtlinien. Es steht jedem Delegierten frei, besondere Resolutionen zu stellen, damit sie am Schluss der Tagesordnung bei den allgemeinen Resolutionen erörtert und beschlossen werden und keine Verkoppelung der Anträge mit den Richtlinien entsteht.

Ich beantrage deshalb, den Antrag des Gen. Reinstein unter Punkt »Verschiedenes« zur Abstimmung zu bringen.

Gen. Reinstein beantragt, sofort darüber abzustimmen.

Gen. Lenin. Über diese Geschäftsanträge müssen wir abstimmen.

Die Resolution ist mit 16 Stimmen gegen 11 angenommen. Änderungen sind nicht vorgeschlagen, und wir gehen zur Abstimmung des ganzen Textes über.

Gen. Klinger. Wer dafür ist, den ganzen Text anzunehmen. der muss mit ja antworten.

Kommunistische Partei Deutschlands: ja
Die Kommunistische Partei Russlands: ja
Die Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs: ja
Die Kommunistische Partei Ungarns: ja
Die Kommunistische Partei Schwedens: ja
Norwegen: Stimmenthaltung
Schweiz: ja
Amerikanische S.L.P.: ja, unter der Bedingung, dass die Erklärung angenommen wird.
Balkanische Revolutionäre Föderation: ja
Polnische Kommunistische Partei: ja
Finnische Partei: ja
Ukrainische Kommunistische Partei: ja
Lettische Kommunistische Partei: ja
Litauisch-Weissrussische Kommunistische Partei: ja
Estnische Kommunistische Partei: ja
Armenische Kommunistische Partei: ja
Kommunistische Partei der Deutschen Kolonien: ja

Gen. Albert. Die Richtlinien sind bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.

Gen. Reinstein gibt zu Protokoll, dass er für die Annahme der Richtlinien stimme in der Erwartung, dass das Mangelnde im Dokument – die Betonung der Notwendigkeit der Arbeit für Revolutionierung der Gewerkschaftsbewegung – durch die Annahme der von ihm eingereichten dementsprechenden Resolution ergänzt wird.

Gen. Albert. Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung: Bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats.

Gen. Lenin. Zu dieser Frage sind Thesen verfasst worden. Die Anwesenden sind im Besitz der Thesen in deutscher und russischer Sprache. Die englischen und französischen Genossen werden später englische und französische Übersetzungen erhalten, so dass ich es nicht für nötig halte, die Thesen noch einmal zu verlesen.

Gen. Albert. Es sind Vorschläge gemacht, die Thesen nur zu verteilen, nicht zu verlesen.

Gen. Reinstein. Ich stelle den Antrag, dass zu einem anderen Punkte übergegangen werde und die Thesen später wieder aufgenommen werden, wenn die Genossen Zeit gehabt haben, die Thesen erst nachzulesen.

Gen: Platten. Wir müssen in der Verhandlung fortfahren. Die Resolutionskommission hat eingehend die Frage besprochen, wie sie sich zu diesen Thesen stellen soll, und da sie zu dem Beschluss gekommen ist, über den detaillierten Inhalt dieser Thesen nicht zu diskutieren, sondern nur in bezug auf Drucklegung und internationale Verbreitung Anträge zu stellen, so dürfte es sich empfehlen, die Verlesung der Thesen vornehmen zu lassen und die einzelnen Punkte nicht zu erörtern.

Gen. Albert. Ich unterstütze den Antrag und frage, ob weitere Vorschläge in dieser Richtung zu machen sind. Es wird beantragt, nicht auf die Drucklegung zu warten, sondern fortzufahren und an die Verlesung zu schreiten. Ist jemand dagegen?

Gegen eine Stimme wird der Antrag angenommen, dass die Thesen verlesen werden sollen.

Gen. Lenin liest folgende Thesen vor:

Leitsätze über bürgerliche Demokratie und proletarische Diktatur

1. Das Wachstum der revolutionären Bewegung des Proletariats in allen Ländern hat bei der Bourgeoisie und ihren Agenten in den Arbeiterorganisationen krampfhafte Bemühungen hervorgerufen, um ideell-politische Argumente für die Verteidigung der Herrschaft der Ausbeuter zu finden. Unter diesen Argumenten wird die Verwerfung der Diktatur und die Verteidigung der Demokratie besonders hervorgehoben. Die Verlogenheit und Heuchelei eines solchen Arguments, welches die kapitalistische Presse und die im Februar 1919 in Bern abgehaltene Konferenz der gelben Internationale auf tausend Arten wiederholen, ist aber jedem klar, der nicht Verrat an den Grundsätzen des Sozialismus üben will.

2. Vor allem operiert diese Beweisführung mit den Begriffen »Demokratie überhaupt« und Diktatur überhaupt«, ohne die Frage zu stellen, von welcher Klasse die Rede ist. Eine solche, ausser oder über dem Klassenstandpunkte angeblich als Standpunkt des ganzen Volkes geltende Fragestellung ist eine direkte Verhöhnung der Grundlehre des Sozialismus, nämlich der Lehre vom Klassenkampf, welcher von den in das Lager der Bourgeoisie übergegangenen Sozialisten in Worten zwar anerkannt, ihren Taten nach aber vergessen wird. Denn in keinem der zivilisierten kapitalistischen Länder existiert eine »Demokratie überhaupt«, sondern es existiert nur eine bürgerliche Demokratie, und es ist die Rede nicht von der »Diktatur überhaupt«, sondern von der Diktatur der unterdrückten Klasse, d. h. des Proletariats, über die Bedrücker und Ausbeuter, d. h. die Bourgeoisie, zwecks Überwindung des Widerstandes, welchen die Ausbeuter im Kampf um ihre Herrschaft leisten.

3. Die Geschichte lehrt, dass noch nie eine unterdrückte Klasse zur Macht gelangt ist und gelangen konnte, ohne eine Periode der Diktatur, d. h. der Eroberung der politischen Macht und gewaltsamen Unterdrückung des verzweifeltsten, wildesten, vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Widerstandes, welcher immer von den Ausbeutern geleistet wird, durchzumachen. Die Bourgeoisie, deren Herrschaft jetzt von Sozialisten verteidigt wird, die sich gegen die »Diktatur überhaupt« aussprechen und mit Leib und Seele für die »Demokratie überhaupt« eintreten, hat ihre Macht in den zivilisierten Ländern durch eine Reihe von Aufständen, Bürgerkriegen, durch gewaltsame Unterdrückung der Königsherrschaft, der feudalen Sklavenhalter und ihrer Restaurierungsversuche erobert. Tausend und millionenmal haben die Sozialisten aller Länder in ihren Büchern, Broschüren, in den Resolutionen ihrer Kongresse, in ihren Agitationsreden dem Volke den Klassencharakter dieser bürgerlichen Revolution auseinandergesetzt. Daher ist die jetzige Verteidigung der »bürgerlichen Demokratie« in Reden über »Demokratie überhaupt« und das jetzige Gezeter gegen die Diktatur des Proletariats im Geschrei über die »Diktatur überhaupt« direkter Verrat am Sozialismus, tatsächlicher Übergang ins Lager der Bourgeoisie, Leugnung des Rechts des Proletariats auf seine proletarische Revolution, eine Verteidigung des bürgerlichen Reformismus, gerade in dem historischen Augenblick, in welchem der bürgerliche Reformismus in der ganzen Welt zusammengebrochen ist, und in welchem der Krieg eine revolutionäre Situation geschaffen hat.

4. Alle Sozialisten haben, indem sie den Klassencharakter der bürgerlichen Demokratie, des bürgerlichen Parlamentarismus erklärt haben, den Gedanken ausgesprochen, der mit der grössten wissenschaftlichen Genauigkeit von Marx und Engels durch die Worte ausgedrückt wurde, dass die demokratischste bürgerliche Republik nichts anders sei als eine Maschine zur Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie, der Masse der Arbeitenden durch eine Handvoll Kapitalisten. Es gibt nicht einen einzigen Marxisten unter denen, die jetzt gegen die Diktatur ihr Geschrei erheben und für die Demokratie eintreten, der von den Arbeitern nicht hoch und heilig geschworen hätte, dass er diese Grundwahrheit des Sozialismus anerkenne; jetzt aber, wo unter dem revolutionären Proletariat eine Gärung und Bewegung begonnen hat, welche darauf gerichtet ist, diese Maschine der Unterdrückung zu vernichten und die Diktatur des Proletariats zu erkämpfen, stellen diese Verräter des Sozialismus die Sache so dar, als ob die Bourgeoisie den Arbeitenden die »reine Demokratie« geschenkt hätte, als ob die Bourgeoisie auf Widerstand verzichte und gewillt sei, sich der Mehrheit der Werktätigen zu unterwerfen, als ob in der demokratischen Republik kein Staatsapparat zur Unterdrückung der Arbeitenden durch das Kapital da war und da sei.

5. Die Pariser Kommune, welche in Worten von allen gefeiert wird, die als Sozialisten gelten wollen, da sie wissen, dass die Arbeitermassen grosse und aufrichtige Sympathie für sie haben, hat besonders deutlich die historische Bedingtheit und den begrenzten Wert des bürgerlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie bewiesen, die zwar im Vergleich zum Mittelalter höchst fortschrittliche Einrichtungen darstellen, in der Zeit der proletarischen Revolution aber unvermeidlich Veränderungen von Grund aus erheischen. Gerade Marx, der die historische Bedeutung der Kommune am meisten schätzte, hat in seiner Analyse derselben den ausbeuterischen Charakter der bürgerlichen Demokratie und des bürgerlichen Parlamentarismus nachgewiesen, bei welchem die unterdrückte Klasse das Recht erhält, einmal im Laufe mehrerer Jahre zu entscheiden, welcher Abgeordnete der besitzenden Klassen das Volk im Parlament ver- und zertreten wird. Gerade jetzt, wo die Rätebewegung, die die ganze Welt ergreift, vor aller Augen die Sache der Kommune weiterführt, vergessen die Verräter des Sozialismus die praktische Erfahrung und die konkreten Lehren der Pariser Kommune und wiederholen den alten bürgerlichen Plunder von der »Demokratie überhaupt«. Die Kommune war eine nichtparlamentarische Einrichtung.

6. Die Bedeutung der Kommune besteht weiter darin, dass sie den Versuch unternommen hat, den bürgerlichen Staatsapparat, den Beamten-, Gerichts-, Kriegs- und Polizeiapparat zu zertrümmern und von Grund aus zu zerstören und ihn durch die sich selbst verwaltende Massenorganisation der Arbeiter, welche die Trennung der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt nicht kannte, zu ersetzen. Alle bürgerlich-demokratischen Republiken unserer Zeit, darunter die deutsche, welche von den Verrätern des Sozialismus unter Verhöhnung der Wahrheit als proletarische bezeichnet wird, behalten diesen bürgerlichen Staatsapparat bei. Das beweist immer und immer wieder klar und deutlich, dass das Geschrei zur Verteidigung der »Demokratie überhaupt« nichts anderes vorstellt, als die Verteidigung der Bourgeoisie und ihrer Ausbeutungsvorrechte.

7. Die »Versammlungsfreiheit« kann als Beispiel der Forderung der »reinen Demokratie« angeführt werden. Jeder bewusste Arbeiter, der mit seiner Klasse nicht gebrochen hat, versteht sofort, dass es ein Unding wäre, den Ausbeutern die Versammlungsfreiheit auch für jene Periode und Situation zu versprechen, in der dieselben Widerstand gegen ihren Sturz leisten und ihre Vorrechte verteidigen. Die Bourgeoisie hat, als sie revolutionär war, weder in England im Jahre 1649, noch in Frankreich im Jahre 1793 den Monarchisten und Adeligen die Versammlungsfreiheit gewährt, als diese fremdländische Truppen ins Land riefen und sich »versammelten«, um einen Restaurierungsversuch zu organisieren. Wenn die jetzige Bourgeoisie, die längst reaktionär geworden ist, vom Proletariat fordert, es solle im voraus garantieren, dass den Ausbeutern ohne Rücksicht darauf, welchen Widerstand die Kapitalisten ihrer Enteignung entgegensetzen werden, »Versammlungsfreiheit« gewährt wird, so werden die Arbeiter über eine solche Heuchelei der Bourgeoisie nur lachen.
Andererseits wissen die Arbeiter sehr gut, dass die »Versammlungsfreiheit«, sogar in den demokratischsten bürgerlichen Republiken, eine leere Phrase ist, denn die Reichen haben die besten öffentlichen und privaten Gebäude zu ihrer Verfügung, haben auch genügend freie Zeit zu Versammlungen und geniessen den Schutz des bürgerlichen Machtapparates. Die Stadt- und Dorfproletarier, sowie die Kleinbauern, d. h. die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung, hat weder das eine noch das andere, noch das dritte. Solange sich dies so verhält, ist die »Gleichheit«, d. h. die »reine Demokratie« ein Betrug. Um eine wirkliche Gleichheit zu erobern, um die Demokratie tatsächlich für die Arbeitenden zu verwirklichen, muss man zuerst den Ausbeutern alle öffentlichen und privaten Prachtbauten wegnehmen, zuerst den Arbeitenden Musse verschaffen, und es ist nötig, dass die Freiheit ihrer Versammlung von bewaffneten Arbeitern und nicht von Söhnchen des Adels oder von Offizieren aus kapitalistischen Kreisen mit eingeschüchterten Soldaten verteidigt wird.
Erst nach einer solchen Änderung kann man, ohne die Arbeiter, das werktätige Volk, die Armen zu verhöhnen, von Versammlungsfreiheit, von Gleichheit sprechen. Diese Änderung aber kann niemand anders vollziehen, als die Vorhut des arbeitenden Volkes, das Proletariat, welches die Ausbeuter, die Bourgeoisie, stürzt.

8. Die »Pressfreiheit« ist auch eine der Hauptlosungen der »reinen Demokratie«. Dennoch wissen die Arbeiter, und die Sozialisten aller Länder haben es millionenmal zugegeben, dass diese Freiheit Betrug ist, solange die besten Druckereien und die grössten Vorräte an Papier sich in den Händen der Kapitalisten befinden, und solange die Macht des Kapitalismus über die Presse bestehen bleibt, eine Macht, welche sich in der ganzen Welt um so deutlicher und schärfer, um so zynischer äussert, je entwickelter der Demokratismus und das republikanische Regime sind, wie z. B. in Amerika. Um eine wirkliche Gleichheit und eine wirkliche Demokratie für die arbeitenden Massen, für die Arbeiter und Bauern zu erobern, muss man zuerst den Kapitalisten die Möglichkeit nehmen, Schriftsteller in ihre Dienste zu stellen, Verlagsanstalten anzukaufen und Zeitungen zu bestechen. Und dazu ist es notwendig, das Joch des Kapitals abzuschütteln, die Ausbeuter zu stürzen und ihren Widerstand zu unterdrücken. Die Kapitalisten haben immer als »Freiheit« die Freiheit des Profits für die Reichen und die Freiheit der Arbeiter, vor Hunger zu sterben, bezeichnet. Die Kapitalisten bezeichnen als Pressfreiheit die Freiheit der Bestechung der Presse durch die Reichen, die Freiheit der Ausnutzung des Reichtums zur Fabrikation und Verfälschung der sogenannten öffentlichen Meinung. Die Verteidiger der »reinen Demokratie« zeigen sich wiederum in Wirklichkeit als die Verteidiger des schmutzigen und verkäuflichsten Systems der Herrschaft der Reichen über die Aufklärungsmittel der Massen, als Betrüger des Volkes, die es mit schönklingenden, indes durch und durch verlogenen Phrasen ablenken von der konkreten historischen Aufgabe der Befreiung der Presse vom Kapital. Eine wirkliche Freiheit und Gleichheit wird die Ordnung sein, welche die Kommunisten errichten, und in welcher es keine Möglichkeit geben wird, sich auf fremde Kosten zu bereichern, keine objektive Möglichkeit, direkt oder indirekt die Presse der Macht des Geldes zu unterwerfen, wo nichts den Arbeiter (oder eine beliebig grosse Gruppe von Arbeitern) daran hindern wird, gleiches Recht auf Benutzung der der Gesellschaft gehörenden Druckereien und des Papiers zu besitzen und zu verwirklichen.

9. Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat uns noch vor dem Kriege gezeigt, was die vielgerühmte »reine Demokratie« unter dem Kapitalismus in Wirklichkeit bedeutet. Die Marxisten haben immer behauptet, dass, je entwickelter, je »reiner« die Demokratie sei, desto unverhüllter, schärfer, schonungsloser gestalte sich der Klassenkampf, desto reiner trete der Druck des Kapitals und die Diktatur der Bourgeoisie hervor. Die Affäre Dreyfuss in dem republikanischen Frankreich, die blutige Abrechnung der von Kapitalisten bewaffneten Söldnerheere mit streikenden Arbeitern in der freien und demokratischen Republik Amerika, diese und tausend ähnliche Tatsachen enthüllen die Wahrheit, welche die Bourgeoisie vergeblich zu verdecken sich bemüht, nämlich, dass in den demokratischsten Republiken in Wirklichkeit der Terror und die Diktatur der Bourgeoisie herrschen und jedesmal offen zutage treten, wenn den Ausbeutern die Macht des Kapitals ins Wanken zu geraten scheint.

10. Der imperialistische Krieg 1914–18 hat ein für allemal auch den rückständigen Arbeitern diesen wahren Charakter der bürgerlichen Demokratie sogar in den freiesten Republiken als Charakter der Diktatur der Bourgeoisie enthüllt. Zwecks Bereicherung der deutschen und englischen Gruppen von Millionären und Milliardären wurden Dutzende von Millionen Menschen hingemordet, und in den freiesten Republiken ist die Militärdiktatur der Bourgeoisie aufgerichtet worden. Diese Militärdiktatur bleibt in den Ländern der Entente auch nach der Niederwerfung Deutschlands weiterbestehen. Gerade der Krieg hat den Arbeitenden mehr als alles andere die Augen geöffnet, von der bürgerlichen Demokratie den falschen Schmuck heruntergerissen und dem Volke den ganzen Abgrund von Spekulation und Gewinnsucht während des Krieges und gelegentlich des Krieges gezeigt. Die Bourgeoisie hat diesen Krieg im Namen der Freiheit und Gleichheit geführt, im Namen der Freiheit und Gleichheit haben sich die Kriegslieferanten unerhört bereichert. Keinerlei Bemühungen der gelben Berner Internationale werden imstande sein, den jetzt endgültig entlarvten ausbeuterischen Charakter der bürgerlichen Freiheit, der bürgerlichen Gleichheit und der bürgerlichen Demokratie vor den Massen zu verheimlichen.

11. In dem am meisten kapitalistisch entwickeltsten Lande des Kontinents von Europa, nämlich in Deutschland, haben die ersten Monate der vollen republikanischen Freiheit, welche die Niederwerfung des imperialistischen Deutschlands gebracht hat, den deutschen Arbeitern und der ganzen Welt gezeigt, worin der wirkliche Klasseninhalt der bürgerlich-demokratischen Republik besteht. Die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind Ereignisse von welthistorischer Bedeutung nicht nur deswegen, weil die besten Menschen und Führer der wirklichen proletarischen Kommunistischen Internationale tragisch umgekommen sind, sondern auch deswegen, weil der Klassencharakter des kapitalistischsten europäischen Staates – und man kann auch ohne Übertreibung sagen, des ersten in der ganzen Welt – sich endgültig offenbart hat. Wenn die Verhafteten, d. h. unter den Schutz der Staatsmacht genommenen Leute ungerächt von Offizieren und Kapitalisten unter einer Regierung von Sozialpatrioten ermordet werden konnten, so ist folgerichtig die demokratische Republik, in der sich dies ereignen konnte, eine Diktatur der Bourgeoisie. Leute, die ihrer Entrüstung über die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Ausdruck geben, aber diese Wahrheit nicht verstehen, beweisen damit nur ihre Stumpfsinnigkeit oder ihre Heuchelei. In einer der freiesten und vorgeschrittensten Republiken der Welt, in der deutschen Republik, besteht die »Freiheit«, unbestraft die verhafteten Führer des Proletariats zu erschlagen. Und das kann nicht anders sein, solange der Kapitalismus sich behauptet, da die Entwicklung des Demokratismus den Klassenkampf, der jetzt als Ergebnis und unter dem Einfluss des Krieges und seiner Folgen auf dem Siedepunkt angelangt ist, nicht abschwächt, sondern verschärft.
In der ganzen zivilisierten Welt finden jetzt Ausweisungen Verfolgungen und Einkerkerungen der Bolschewiki statt, wie z. B. in einer der freiesten bürgerlichen Republiken, in der Schweiz, ferner in Amerika, wo Bolschewikipogrome und ähnliches vorkommen. Vom Gesichtspunkt der »Demokratie überhaupt« oder der »reinen Demokratie« ist es einfach lächerlich, dass fortschrittliche, zivilisierte, demokratische, bis an die Zähne bewaffnete Länder sich vor der Anwesenheit von einigen Dutzend Leuten aus dem rückständigen, hungrigen, ruinierten Russland, das in Millionen von Exemplaren bürgerlicher Zeitungen wild und verbrecherisch genannt wird, fürchten. Es ist klar, dass die gesellschaftliche Lage, die einen so schreienden Widerspruch erzeugen konnte, in Wirklichkeit eine Diktatur der Bourgeoisie ist.

12. Bei einer solchen Sachlage ist die Diktatur des Proletariats nicht nur völlig gerechtfertigt als Mittel zum Sturz der Ausbeuter und zur Unterdrückung ihres Widerstandes, sondern auch durchaus notwendig für die ganze Masse der Arbeitenden als einziger Schutz gegen die Diktatur der Bourgeoisie, die zum Krieg geführt hat und neue Kriege vorbereitet.
Was die Sozialisten vor allem nicht verstehen und was ihre theoretische Kurzsichtigkeit, ihre Abhängigkeit von den bürgerlichen Vorurteilen, ihren politischen Verrat am Proletariat darstellt, ist, dass in der kapitalistischen Gesellschaft bei einiger Verschärfung des ihr zugrunde liegenden Klassenkampfes es kein Mittelding geben kann zwischen Diktatur der Bourgeoisie und Diktatur des Proletariats. Jeder Traum von irgend einem Dritten ist eine reaktionäre Lamentation des Kleinbürgers. Dafür zeugt die Erfahrung einer mehr als hundertjährigen Entwicklung der bürgerlichen Demokratie und der Arbeiterbewegung in allen fortgeschrittenen Ländern und besonders die Erfahrung der letzten fünf Jahre. Dafür spricht auch die ganze Lehre der Nationalökonomie, der ganze Inhalt des Marxismus, welcher die wirtschaftliche Notwendigkeit der Diktatur der Bourgeoisie bei jeder Warenwirtschaft darlegt, der Diktatur, welche von niemand als von der Klasse, die sich durch die Entwicklung des Kapitalismus selbst immer mehr entwickelt, vermehrt, zusammenschliesst und kräftigt, nämlich von der Klasse der Proletarier, beseitigt werden kann.

13. Der zweite theoretische und politische Fehler der Sozialisten besteht darin, dass sie nicht verstehen, dass die Formen der Demokratie sich unvermeidlich im Laufe der Jahrtausende, angefangen von ihren Keimen im Altertum, zusammen mit der Ablösung einer herrschenden Klasse durch die andere, geändert haben. In den Republiken des alten Griechenlands, in den Städten des Mittelalters, in den fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten hat die Demokratie verschiedene Formen und verschiedene Ausdehnung. Es wäre die grösste Albernheit, anzunehmen, dass die tiefste Revolution in der Geschichte der Menschheit, der erste Übergang der Macht aus den Händen der Minderheit der Ausbeuter in die Hände der Mehrheit der Ausgebeuteten, sich im Rahmen der alten bürgerlichen parlamentarischen Demokratie, ohne die grössten Umwälzungen, ohne Schaffung neuer Formen der Demokratie, neuer Institutionen, neuer Bedingungen ihrer Anwendung usw. vollziehen kann.

14. Die Diktatur des Proletariats ist dadurch der Diktatur anderer Klassen ähnlich, dass sie, wie jede andere Diktatur, durch die Notwendigkeit hervorgerufen ist, mit Gewalt den Widerstand der Klasse, welche ihre politische Macht verliert, zu unterdrücken. Der grundlegende Unterschied der Diktatur des Proletariats von der Diktatur der anderen Klassen, von der Diktatur der Grossgrundbesitzer im Mittelalter, von der Diktatur der Bourgeoisie in allen zivilisierten kapitalistischen Ländern, besteht darin, dass die Diktatur der Grossgrundbesitzer und der Bourgeoisie eine gewaltsame Unterdrückung des Widerstandes der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, nämlich der arbeitenden Massen, war. Im Gegensatz dazu ist die Diktatur des Proletariats eine gewaltsame Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuter, d. h. der ausgesprochenen Minderheit der Bevölkerung, der Grossgrundbesitzer und Kapitalisten.
Hieraus ergibt sich wiederum, dass die Diktatur des Proletariats, allgemein gesprochen, nicht nur eine Veränderung der Formen und Institutionen der Demokratie unvermeidlich mit sich bringen muss, sondern dass eine solche Veränderung derselben, welche eine von der Welt noch nie gesehene Ausdehnung der tatsächlichen Ausnutzung des Demokratismus durch die vom Kapitalismus geknechteten, durch die arbeitenden Klassen ergibt.

Und wirklich, die Form der Diktatur des Proletariats, welche tatsächlich schon ausgearbeitet ist, d. h. die Sowjetmacht in Russland, das Rätesystem in Deutschland, die Shop Stewards Committees und andere analoge Sowjetinstitutionen in anderen Ländern, alle diese verwirklichen und bedeuten für die arbeitenden Klassen, d. h. für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, eine tatsächliche Möglichkeit, sich der demokratischen Rechte und Freiheiten zu bedienen, wie sie noch niemals, auch nur annähernd, in den besten demokratischen bürgerlichen Republiken vorhanden war.
Das Wesen der Sowjetmacht besteht darin, dass die Massenorganisationen gerade der Klassen, welche von den Kapitalisten unterdrückt wurden, d. h. der Arbeiter und Halbproletarier (der Bauern, die keine fremde Arbeit ausbeuten und die ständig zum Verkauf wenigstens eines Teils ihrer Arbeit gezwungen sind), die ständige und einzige Grundlage der ganzen Staatsmacht, des ganzen Staatsapparats sind. Gerade die Massen, welche sogar in den demokratischsten bürgerlichen Republiken, in denen sie dem Gesetze nach gleichberechtigt, in der Tat aber durch tausend Mittel und Kniffe von der Beteiligung an dem politischen Leben und von der Ausnutzung der demokratischen Rechte und Freiheiten ferngehalten waren, werden jetzt zur dauernden, unbehinderten und dabei entscheidenden Beteiligung an der demokratischen Verwaltung des Staates herangezogen.

15. Die Gleichheit der Bürger ohne Rücksicht auf Geschlecht, Konfession, Rasse, Nationalität, welche die bürgerliche Demokratie immer und überall versprochen, aber nirgends durchgeführt hat und infolge der Herrschaft des Kapitalismus nicht durchführen konnte, hat die Sowjetmacht oder die Diktatur des Proletariats auf einmal voll verwirklicht, da nur die Macht der Arbeiter, die am Privateigentum, an den Produktionsmitteln und am Kampfe um ihre Teilung und Wiederverteilung nicht interessiert sind, dazu imstande ist.

16. Die alte, d. h. die bürgerliche Demokratie und der Parlamentarismus waren so organisiert, dass gerade die arbeitenden Klassen dem Verwaltungsapparat am meisten entfremdet wurden. Die Sowjetmacht, d. h. die Diktatur des Proletariats, ist dagegen so organisiert, dass sie die arbeitenden Massen dem Verwaltungsapparat nähert. Dem gleichen Ziele dient auch die Vereinigung der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt bei der Sowjetorganisation des Staates und die Ersetzung der territorialen Wahlkreise durch Produktionseinheiten, wie Werke, Fabriken.

17. Das Heer war ein Apparat der Unterdrückung nicht nur unter der Monarchie; es blieb ein solcher auch in allen bürgerlichen, sogar den demokratischsten Republiken. Nur die Sowjetmacht als einzige ständige Staatsorganisation gerade der durch die Kapitalisten unterdrückten Klassen ist imstande, die Abhängigkeit des Militärs von der bürgerlichen Kommandogewalt aufzuheben und das Proletariat wirklich mit dem Militär zu verschmelzen, die Bewaffnung des Proletariats und die Entwaffnung der Bourgeoisie, ohne welche Vorbedingungen der Sieg des Sozialismus unmöglich ist, wirklich durchzuführen.

18. Die Sowjetorganisation des Staates ist darauf eingerichtet, dass das Proletariat als Klasse, die am meisten durch den Kapitalismus konzentriert und aufgeklärt ist, die leitende Rolle im Staate inne hat. Die Erfahrung aller Revolutionen und aller Bewegungen der geknechteten Klassen, die Erfahrung der sozialistischen Weltbewegung lehrt uns, dass nur das Proletariat imstande ist, die verstreuten und rückständigen Schichten der arbeitenden und ausgebeuteten Bevölkerung zu vereinigen und mit sich zu führen.

19. Nur die Sowjetorganisation des Staates ist imstande, auf einmal und vollständig den alten, d. h. den bürgerlichen Beamten- und Gerichtsapparat zu zerstören, der unter dem Kapitalismus sogar in den demokratischsten Republiken bestehen blieb und bestehen bleiben musste, indem er tatsächlich für die Arbeiter und arbeitenden Massen das grösste Hindernis bei der Durchführung des Demokratismus wurde. Die Pariser Kommune hat den ersten welthistorischen Schritt auf diesem Wege getan, die Sowjetmacht den zweiten.

20. Die Vernichtung der Staatsmacht ist das Ziel, welches sich alle Sozialisten gestellt haben, unter ihnen und an ihrer Spitze Marx. Ohne Verwirklichung dieses Zieles ist der wahre Demokratismus, d. h. die Gleichheit und Freiheit, nicht erreichbar. Zu diesem Ziele aber führt praktisch nur die Sowjetmacht oder die proletarische Demokratie, denn sie beginnt sofort das völlige Absterben jeglicher Staatsorganisation vorzubereiten, indem sie die Massenorganisationen des werktätigen Volkes zur dauernden und unbedingten Anteilnahme an der Staatsverwaltung heranzieht.

21. Der völlige Bankerott der Sozialisten, die sich in Bern versammelt haben, der völlige bei ihnen zutage tretende Mangel an Verständnis der neuen, d. h. der proletarischen Demokratie, ist besonders aus folgendem zu ersehen: Am 10. Februar 1919 hat Branting in Bern die internationale Konferenz der gelben Internationale für geschlossen erklärt. Am 11. Februar 1919 haben ihre Teilnehmer in Berlin in der Zeitung »Die Freiheit« einen Aufruf der Unabhängigen an das Proletariat veröffentlicht. In diesem Aufruf wird der bürgerliche Charakter der Regierung Scheidemanns zugegeben, ihr wird der Vorwurf gemacht, dass sie den Wunsch hat, die Räte abzuschaffen, welche »Träger und Schützer der Revolution« genannt werden, und der Vorschlag gemacht, die Räte zu legalisieren, ihnen staatliche Rechte zu verleihen, ihnen das Recht zu geben, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu sistieren und die in ihnen behandelten Angelegenheiten einer allgemeinen Abstimmung zu überweisen.
Ein solcher Vorschlag offenbart den völligen geistigen Bankrott der Theoretiker, die die Demokratie verteidigen und ihren bürgerlichen Charakter nicht verstanden haben. Der lächerliche Versuch, das System der Räte, d. h. der Diktatur des Proletariats, mit der Nationalversammlung, d. h. der Diktatur der Bourgeoisie, zu vereinigen, enthüllt endgültig die Geistesarmut der gelben Sozialisten und Sozialdemokraten und die reaktionäre Politik der Kleinbürger sowie ihre feigen Konzessionen an die unaufhaltsam wachsenden Kräfte der neuen proletarischen Demokratie.

22. Die Mehrheit der gelben Internationale in Bern, welche den Bolschewismus verurteilt, aber aus Furcht vor den Arbeitermassen nicht gewagt hat, für eine entsprechende Resolution formell zu stimmen, hat vom Klassenstandpunkt aus richtig gehandelt. Gerade diese Mehrheit ist völlig solidarisch mit den russischen Menschewiki, den Sozialrevolutionären und den Scheidemännern in Deutschland. Die russischen Menschewiki und Sozialrevolutionäre, welche über die Verfolgungen durch die Bolschewiki klagen, bemühen sich, die Tatsache zu verheimlichen, dass diese Verfolgungen durch die Teilnahme der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre am Bürgerkrieg auf der Seite der Bourgeoisie gegen das Proletariat hervorgerufen sind. Geradeso haben in Deutschland die Scheidemänner und ihre Partei schon am Bürgerkrieg auf seiten der Bourgeoisie gegen die Arbeiter teilgenommen.
Es ist daher völlig natürlich, dass die Mehrzahl der Teilnehmer an der Berner gelben Internationale sich für die Verurteilung der Bolschewiki ausgesprochen hat. Darin ist aber nicht die Verteidigung der »reinen Demokratie«, sondern die Selbstverteidigung von Leuten zum Ausdruck gekommen, welche fühlen, dass sie im Bürgerkrieg auf seiten der Bourgeoisie gegen das Proletariat stehen.
Aus diesen Gründen muss man den Beschluss der Mehrheit der gelben Internationale vom Klassenstandpunkt aus als richtig bezeichnen. Das Proletariat soll aber die Wahrheit nicht fürchten, sondern ihr offen ins Gesicht schauen und hieraus alle politischen Folgerungen ziehen.

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Gen. Lenin. Parteigenossen! Ich möchte zu den letzten zwei Punkten noch etwas hinzufügen. Ich glaube, die Genossen, die uns über die Berner Konferenz Bericht zu erstatten haben, werden uns darüber noch mehr sagen.

Auf der ganzen Berner Konferenz wurde kein Wort über die Bedeutung der Sowjetmacht gesprochen. Seit zwei Jahren diskutieren wir in Russland diese Frage. Im April 1917 wurde von uns auf der Konferenz der Partei schon theoretisch und politisch die Frage gestellt: »Was bedeutet die Sowjetmacht, was ist ihr Inhalt, was ist ihre historische Bedeutung?« Fast seit zwei Jahren diskutieren wir diese Frage und haben auf unserem Parteitage dazu Resolutionen angenommen.

Die Berliner »Freiheit« druckt am 11. Februar einen Aufruf an das deutsche Proletariat ab, der nicht nur von der Parteileitung der unabhängigen Sozialdemokraten Deutschlands, sondern von der gesamten Mitgliedschaft der Fraktion der Unabhängigen unterzeichnet ist. Im August 1918 hat der grösste Theoretiker dieser Unabhängigen, Kautsky, in seiner Broschüre »Diktatur des Proletariats« geschrieben, dass er für die Demokratie und die Sowjetorgane sei; die Sowjets dürften aber nur wirtschaftliche Bedeutung haben und niemals als Staatsorganisationen anerkannt werden. Jetzt in der »Freiheit« wiederholt Kautsky dasselbe in den Nummern vom 11. November und 12. Januar. Am 9. Februar kommt ein Artikel von Rudolf Hilferding, der auch eine der grössten theoretischen Autoritäten der II. Internationale ist. Hilferding macht den Vorschlag, das Rätesystem mit der Nationalversammlung juristisch auf staatlichem Wege zu verkoppeln. Das war am 9. Februar. Am 11. Februar wird dieser Vorschlag von der ganzen Unabhängigen Partei angenommen und in einem Aufruf veröffentlicht.

Obwohl die Nationalversammlung schon existiert, nachdem die »reine Demokratie« verwirklicht ist, nachdem die grössten Theoretiker der unabhängigen Sozialdemokraten erklärt haben, die Sowjetorganisationen dürften keine staatlichen Organisationen sein, nach alledem wieder dieses Schwanken! Das beweist, dass diese Leute von der neuen Bewegung und deren Kampfesbedingungen wirklich nichts verstanden haben. Aber das beweist auch noch ein weiteres: nämlich, dass Verhältnisse vorhanden sein müssen, Ursachen, welche dieses Schwanken hervorrufen.

Nach, diesen Ereignissen, nach dieser fast zwei Jahre siegreichen Revolution in Russland dürfen wir, wenn man uns solche Resolutionen vorlegt, wie die Berner Konferenz, in denen nichts von den Räten, von ihrer Bedeutung gesagt und in keiner Rede irgendeines Delegierten ein Wort über sie gefallen ist, danach behaupte ich, dürfen wir mit Recht sagen, dass alle diese Leute als Sozialisten und Theoretiker für uns tot sind.

Aber praktisch, vom politischen Standpunkte aus, Genossen, ist es ein Beweis, dass in den Massen ein grosser Umwandlungsprozess vor sich geht, wenn diese Unabhängigen, die theoretisch, prinzipiell gegen diese staatlichen Organisationen waren, plötzlich so einen Blödsinn vorschlagen, man solle die Nationalversammlung mit dem Rätesystem verkoppeln, d. h. die Diktatur der Bourgeoisie mit der Diktatur des Proletariats »friedlich« vereinigen. Wir sehen, wie sie alle sozialistisch und theoretisch bankrott geworden sind, wie aber draussen in den Massen die grösste Umwandlung sich vollzieht. Die zurückgebliebenen Massen des deutschen Proletariats kommen zu uns, sind zu uns gekommen! Die theoretische, die sozialistische Bedeutung der Unabhängigen Partei der deutschen Sozialdemokraten des besten Teils der Berner Konferenz, ist also gleich null, aber eine gewisse Bedeutung bleibt und besteht darin, dass diese schwankenden Elemente uns die Stimmung der zurückgebliebenen Teile des Proletariats anzeigen. Darin besteht auch nach meiner Überzeugung die grösste historische Bedeutung dieser Konferenz. Wir haben so etwas ähnliches in unserer Revolution erlebt. Unsere Menschewiki haben fast Schritt für Schritt dieselbe Entwicklung durchgemacht, wie die Theoretiker der Unabhängigen in Deutschland. Sie waren früher für die Sowjets, als sie in ihnen die Mehrheit hatten. Da hiess es: »Hoch die Sowjets«, und »für die Sowjets«, »die Sowjets sind revolutionäre Demokratie!« Nachdem wir, die Bolschewiki, die Mehrheit innerhalb der Sowjets bekamen, hiess es, die Sowjets dürfen nicht neben der Nationalversammlung existieren, und verschiedene Theoretiker der Menschewiki machten fast dieselben Vorschläge, wie die deutschen Unabhängigen, das Rätesystem mit der Nationalversammlung zu verkoppeln und im Staatsrahmen zu organisieren. Es zeigt sich hier noch einmal, dass der allgemeine Gang der proletarischen Revolution in der ganzen Welt derselbe ist. Zuerst spontane Gründung der Sowjets, hierauf ihre Verbreitung und Entwicklung, dann die praktisch auftretende Frage: Sowjets oder Nationalversammlung, oder Konstituante, oder bürgerlicher Parlamentarismus, vollste Konfusion der Führer und endlich die proletarische Revolution. Aber ich glaube, dass wir nach fast zwei Jahren Revolution die Frage nicht so stellen dürfen, sondern direkte Vorschläge machen müssen, denn die Ausbreitung des Rätesystems ist für uns, besonders für die meisten westeuropäischen Länder, die wichtigste Aufgabe.

Ich möchte hier nur eine Resolution der Menschewiki erwähnen. Ich hatte den Genossen Obolenski ersucht, diese Resolution ins Deutsche zu übersetzen. Er hat es mir versprochen, aber leider ist er nicht da. Ich muss versuchen, sie aus dem Gedächtnis wiederzugeben, denn ich habe den vollständigen Text dieser Resolution nicht hier.

Es ist für einen Ausländer, der nichts von Bolschewismus gehört hat, höchst schwierig, sich ein selbständiges Urteil über unsere Streitfragen zu bilden. Alles, was die Bolschewiki sagen, das bestreiten die Menschewiki und umgekehrt. Natürlich, im Kampfe kann es nicht anders sein, und deshalb ist es von besonders grosser Wichtigkeit, dass die letzte Konferenz der menschewistischen Partei im Dezember 1918 eine lange, ausführliche Resolution angenommen hat, die vollinhaltlich in der menschewistischen »Zeitung der Typographiearbeiter« publiziert ist. In dieser Resolution geben uns die Menschewiki selbst eine kurze Geschichte der Klassenkämpfe und des Bürgerkrieges. Diese Resolution sagt, dass sie die Gruppen ihrer Partei verurteilen, die im Bunde mit den besitzenden Klassen sind, im Ural, im Süden, in der Krim und in Georgien, und zählt alle diese Gebiete auf. Diejenigen Gruppen der menschewistischen Partei, die im Bunde mit den besitzenden Klassen gegen die Sowjetmacht gingen, werden jetzt in dieser Resolution verurteilt, aber der letzte Punkt verurteilt auch die Leute, die zum Kommunismus übergegangen sind. Daraus sehen wir: erstens, dass die Menschewiki selbst zugestehen müssen, dass in ihrer Partei eine Einheit nicht existiert, sondern dass sie teils auf seiten der Bourgeoisie, teils auf seiten des Proletariats stehen. Der grösste Teil der Menschewiki war auf die Seite der Bourgeoisie getreten und kämpfte im Bürgerkriege gegen uns. Wir verfolgen natürlich die Menschewiki, wir erschiessen sie sogar auch, wenn sie im Kriege gegen uns, gegen unsere Rote Armee kämpfen, wenn sie unsere Roten Offiziere erschiessen. Auf den Krieg der Bourgeoisie antworteten wir mit dem Kriege des Proletariats; einen anderen Ausweg kann es nicht geben. Es ist also, politisch betrachtet, nur menschewistische Heuchelei. Historisch ist es nicht zu verstehen, wie auf der Berner Konferenz im Auftrage der Menschewiki und Sozialrevolutionäre Leute, die nicht offiziell für verrückt erklärt worden sind, vom Kampfe der Bolschewiki gegen sie sprechen und von ihrem Kampfe zusammen mit der Bourgeoisie gegen das Proletariat schweigen.

Sie alle sprechen sehr heftig gegen uns, weil wir sie verfolgen. Das ist richtig. Aber kein Sterbenswörtchen darüber, welchen Anteil die Menschewiki an dem Bürgerkriege genommen haben! Ich glaube, den vollständigen Text der Resolution muss ich dem Protokoll überlassen und die ausländischen Genossen ersuchen, dieser Resolution ihre Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie ein historisches Dokument ist, das die Frage richtig stellt und das beste Material zu dem Streite der »sozialistischen« Richtungen in Russland liefert. Es gibt eine Klasse zwischen Proletariat und Bourgeoisie, Leute, die hin und her schwanken, wie es in allen Revolutionen immer war, und es ist absolut unmöglich, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft, wo Proletariat und Bourgeoisie feindliche Lager darstellen, keine Mittelschichten geben sollte. Sie sind historisch notwendig, und leider werden diese schwankenden Elemente, die selbst nicht wissen, auf welcher Seite sie morgen kämpfen werden, ziemlich lange existieren.

Ich habe einen praktischen Vorschlag zu machen, der dahin geht, eine Resolution anzunehmen, in der speziell drei Punkte hervorgehoben werden sollen.

Erstens: Eine der wichtigsten Aufgaben für die Genossen der westeuropäischen Länder besteht darin, die Massen über die Bedeutung, die Wichtigkeit und die Notwendigkeit des Rätesystems aufzuklären. Darüber herrscht Mangel an Verständnis. Wenn auch Kautsky und Hilferding bankrott sind als Theoretiker, so beweisen doch die letzten Artikel in der »Freiheit«, dass sie die Stimmung der zurückgebliebenen Teile des deutschen Proletariats richtig darstellen. Es war auch hier so: in den ersten acht Monaten der russischen Revolution wurde die Frage der Sowjetorganisationen sehr viel diskutiert, und den Arbeitern war es unklar, worin das neue System bestände und ob man aus den Räten einen Staatsapparat machen könnte. Wir gingen in unserer Revolution praktisch, nicht theoretisch vor. Die Frage der Konstituante haben wir früher z. B. nicht theoretisch gestellt, wir haben nicht gesagt, dass wir die Nationalversammlung nicht anerkennen. Erst später, nachdem die Sowjetorganisationen sich über das ganze Land verbreitet und die politische Macht erobert hatten, erst dann sind wir dazu gekommen, die Konstituante auseinanderzujagen. Jetzt sehen wir, dass in Ungarn und in der Schweiz die Frage viel akuter gestellt ist. Das ist einerseits sehr gut, daraus schöpfen wir die feste Zuversicht, dass die Revolution in den westeuropäischen Ländern schneller vonstatten geht als bei uns und uns grössere Siege bringen wird. Andererseits besteht aber darin eine gewisse Gefahr, nämlich die, dass die Kämpfe, so stürmisch werden, dass das Bewusstsein der Arbeitermassen mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten kann. Die Bedeutung des Rätesystems ist für die grosse Masse der politisch gebildeten Arbeiter Deutschlands heute noch nicht klar, weil sie im parlamentarischen System und in bürgerlichen Vorurteilen erzogen ist.

Zweitens: über die Ausbreitung des Rätesystems. Wenn wir hören, wie schnell die Räte in Deutschland, und sogar in England Erfolg haben, so ist das für uns der wichtigste Beweis, dass die proletarische Revolution zum Siege kommen wird. Man kann sie nur auf kurze Zeit aufhalten. Aber etwas anderes ist es, wenn der Genosse Albert und der Genosse Platten uns mitteilen, dass es bei ihnen auf dem Lande, unter den Landarbeitern und Kleinbauern, fast gar keine Räte gibt. Ich habe in der »Roten Fahne« einen Artikel gegen die Bauernräte, aber – ganz richtig – für die Landarbeiter- und Kleinbauernräte gelesen. Die Losung der Bourgeoisie und ihrer Lakaien, wie Scheidemann und Co., war schon: Bauernräte. Aber erst die Landarbeiter- und Kleinbauernräte sind das, was wir brauchen. Leider sehen wir jedoch aus den Berichten der Genossen Albert, Platten und anderer Genossen, dass – mit Ausnahme Ungarns – für die Ausbreitung des Rätesystems auf dem Lande besonders wenig getan wurde. Darin besteht vielleicht noch eine praktische und ziemlich grosse Gefahr für den sicheren Sieg des deutschen Proletariats. Der Sieg kann nur dann sicher sein, wenn nicht nur die städtischen Arbeiter, sondern auch die ländlichen Proletarier organisiert sind, und zwar organisiert nicht wie früher in Gewerkschaften und Kooperativen, sondern in Sowjets. Bei uns war der Sieg dadurch leichter, dass wir im Oktober 1917 mit der Bauernschaft gingen, der ganzen Bauernschaft. Damals war unsere Revolution in diesem Sinne eine bürgerliche. Der erste Schritt unserer proletarischen Regierung bestand darin, dass die alten Forderungen der ganzen Bauernschaft, die schon früher unter Kerenski durch die Bauernräte und Vereine ausgedrückt waren, von unserer Regierung am 26. Oktober 1917 (alt. St.), einen Tag nach der Revolution, zum Gesetz erklärt wurden. Darin bestand unsere Kraft, darum war es für uns so leicht, eine grosse, überwiegende Mehrheit zu gewinnen. Damals blieb unsere Revolution für das Land, für das Dorf, noch eine bürgerliche, und erst später, nach einem halben Jahre, waren wir gezwungen, im Rahmen der Staatsorganisation Klassenkämpfe in den Dörfern zu organisieren, in jedem Dorfe Komitees der Armen, der Halbproletarier zu gründen und systematisch gegen die ländliche Bourgeoisie zu kämpfen. Das war bei uns unvermeidlich wegen der Rückständigkeit Russlands. Das wird in Westeuropa anders sein, und deshalb müssen wir betonen, dass die Ausbreitung des Rätesystems, auch für die ländliche Bevölkerung in entsprechenden, vielleicht neuen Formen absolut notwendig ist.

Drittens: müssen wir sagen, dass die Eroberung einer kommunistischen Mehrheit in den Sowjets die Hauptaufgabe in allen Ländern ist, in denen die Sowjetmacht noch nicht gesiegt hat. Gestern hat unsere Resolutionskommission diese Frage besprochen. Vielleicht werden andere Genossen noch darüber berichten, aber ich möchte beantragen, dass wir diesen dritten Punkt als spezielle Resolution annehmen. Natürlich können wir der Entwicklung den Weg nicht vorschreiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Revolution in mehreren westeuropäischen Ländern sehr bald zum Ausbruch kommen wird, aber was wir als organisierter Teil der Arbeiterschaft und Partei anstreben und anstreben müssen, ist, eine Mehrheit in den Räten zu gewinnen. Dann ist unser Sieg sicher, und keine Macht wird imstande sein, etwas gegen die kommunistische Revolution zu unternehmen. Auf andere Weise wird der Sieg nicht so leicht und dauerhaft sein. Ich möchte also beantragen, den dritten Punkt als spezielle Resolution anzunehmen.

Gen. Albert. Die von dem Gen. Lenin erwähnte Resolution kann Ihnen nachmittags vorgelesen werden. Wir kommen zur Diskussion über die hier vorgeschlagenen Richtlinien und fragen, ob sie in die Diskussion eintreten oder diese Richtlinien dem Büro zur Verbreitung überweisen wollen. Wird eine Diskussion über diese Richtlinien verlangt? Sind Sie damit einverstanden, dass diese dem Büro zur Verbreitung überwiesen werden?

Gen. Sinowjew. Der Beschluss der Kommission war etwas weitgehender, nämlich die Kommission hat einstimmig beschlossen, diese Richtlinien nicht nur dem Büro zu übergeben, sondern sich auch im Namen der Konferenz mit den Hauptlinien solidarisch zu erklären.

Gen. Albert. Das ist wohl dasselbe, dass das Büro im Namen der Konferenz die Richtlinien in den verschiedenen Ländern zur Drucklegung gibt und dort verbreiten lässt.

Gen. Platten. Parteigenossen, wir haben zur Besprechung für heute vom Büro aus folgende Anträge zu stellen: In erster Linie ist zu bemerken, dass zwei Erklärungen eingegangen sind, die Richtlinien betreffend: eine Erklärung von dem Genossen Reinstein, eine andere von der Genossin Kascher. Dann ist ein Antrag eingebracht worden, die Konstituierung der III. Internationale zu behandeln. Anschliessend daran würde eine Erklärung der ehemaligen Teilnehmer von Zimmerwald und Kienthal erfolgen. Drittens werden wir, wenn wir uns zum Kongress konstituieren, uns schlüssig werden müssen über das Stimmrecht der Delegierten, die nicht im Namen ihrer Partei die Erklärung abgeben können. Dann würde Berichterstattung über die Berner Konferenz erfolgen, eventuell, wenn wir sofort in der Lage sind, den Referenten schon stellen zu können, werden wir nach dem Punkt »Begründung der Resolution« noch das Traktandum »Politik der Entente« vornehmen. Werden Einwendungen erhoben oder sind Erläuterungen gewünscht?

Erklärung der Genossin Kascher.
Es scheint mir, dass meine Stellungnahme zu den »Richtlinien« nicht so ausgelegt worden ist, wie es meiner Auffassung entsprochen hat. Dies zwingt mich zur folgenden Erklärung:
»Ich bin mit dem Inhalt und allen dort ausgedrückten Prinzipien ganz und gar einverstanden. Nur fand ich es für sehr notwendig, den überaus wichtigen Punkt des Weges zum Siege im Sinne der Erfahrungen der russischen und deutschen Revolution erweitert zu sehen, und konnte deshalb den meines Erachtens unvollständigen Richtlinien nicht zustimmen«.

Amendement des Genossen Reinstein zu den Richtlinien.
»Die Kommunistische III. Internationale fordert die revolutionären Proletarier aller Länder auf, mit verdoppelter Energie und Entschlossenheit an die Arbeit zu gehen, die Gewerkschaftsbewegung in den einzelnen Ländern ins wirklich revolutionäre Fahrwasser zu bringen, sie in bezug auf Organisationsform, Ziel, Taktik und Geist zu einer Bewegung umzugestalten, die den revolutionären Zielen des Kommunismus gewachsen ist«.

Nun gebe ich Ihnen Kenntnis von einem Anfrage, der von den Delegierten Rakowski, Gruber, Grimlund, Rudnyánszky eingereicht worden ist. Er lautet:

»Die Vertreter der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs, der Linken Sozialdemokratischen Partei Schwedens, der Sozialdemokratischen Revolutionären Arbeiterföderation des Balkans, der Kommunistischen Partei Ungarns beantragen die Gründung der Kommunistischen Internationale.
I. Die Notwendigkeit des Kampfes um die Diktatur des Proletariats erfordert eine einheitliche, geschlossene, internationale Organisation aller kommunistischen Elemente, die auf diesem Boden stehen.
II. Diese Gründung wird umsomehr zur Pflicht, da augenblicklich in Bern und möglicherweise später auch an anderen Stellen der Versuch gemacht wird, die alte opportunistische Internationale wieder herzustellen und alle unklaren, unentschiedenen Elemente des Proletariats wieder zu sammeln. Deshalb ist es notwendig, eine scharfe Scheidung zwischen den revolutionären proletarischen und den sozialverräterischen Elementen herbeizuführen.
III. Würde die III. Internationale durch die in Moskau tagende Konferenz nicht begründet, so würde der Eindruck entstehen, dass die Kommunistischen Parteien uneins seien; was unsere Lage schwächen und die Verwirrung unter den unentschiedenen Elementen des Proletariats aller Länder vergrössern würde.
IV. Die Konstituierung der III. Internationale ist deshalb ein unbedingtes geschichtliches Gebot und muss durch die in Moskau tagende Internationale Kommunistische Konferenz zur Tat werden«.

Dieser Antrag setzt voraus, dass wir auf einen Beschluss zurückkommen, ob Konferenz oder Kongress. Der Antrag ist auf Konstituierung der III. Internationale gestellt. Die Diskussion ist eröffnet.

Gen. Albert. Parteigenossen! Wir hatten uns im Anfang der Konferenz bereits in langen Auseinandersetzungen mit der Frage beschäftigt, ob diese Konferenz zu einem Kongress werden soll, auf dem die III. Internationale gegründet wird, oder ob wir erst die Vorbereitungen zur Gründung vorzunehmen hätten. Wir hatten uns auf Veranlassung der deutschen Vertretung, die sich durch ihr Mandat gebunden fühlte, nicht für die sofortige Gründung zu stimmen, dahin verständigt, dass hier eine Konferenz sein soll, die die Gründung der III. Internationale vorbereitet, diese aber erst später zu gründen sei. Da heute abermals, trotz der damaligen Entscheidung, von einigen Vertretern der Versuch gemacht wird, dennoch hier die III. Internationale sofort zu gründen, sehe ich mich gezwungen, Ihnen kurz die Beweggründe anzugeben, die uns veranlassten, abzuraten, jetzt schon an die Gründung heranzugehen. Wenn hier gesagt wird, dass die Gründung der III. Internationale eine unbedingte Notwendigkeit sei, wagen wir das zu bestreiten. Wenn gesagt wird, dass das Proletariat in seinem Kampfe zuerst einmal ein geistiges Zentrum braucht, so kann man sagen, dass ein solches Zentrum schon vorhanden ist, und dass alle Elemente, die sich zusammenfinden auf der Grundlage des Rätesystems, sich damit schon heute von all den anderen Elementen innerhalb der Arbeiterklasse, die noch zur bürgerlichen Demokratie neigen, losgesagt haben, wir sehen, dass überall die Trennung sich vorbereitet und durchgeführt wird. Aber was eine III. Internationale sein muss, ist nicht allein ein geistiges Zentrum, nicht allein eine Institution, in der sich die Theoretiker gegenseitig heisse Reden halten, sondern sie muss die Grundlage einer organisatorischen Macht sein. Wollen wir aus der III. Internationale ein gebrauchsfähiges Werkzeug machen, wollen wir diese Internationale zu einem Kampfmittel gestalten, dann ist es notwendig, dass dazu auch die Vorbedingungen vorhanden sind. Also allein vom geistigen Gesichtspunkte darf diese Frage unseres Erachtens nach nicht erörtert, nicht beurteilt werden, sondern es ist notwendig, dass wir uns sachlich fragen, ob die organisatorischen Grundlagen vorhanden sind. Ich habe dabei immer das Gefühl, als ob die Genossen, die so zur Gründung drängen, sich doch bedeutend beeinflussen lassen vom Werdegang der II. Internationale, dass sie nach dem Zustandekommen der Berner Konferenz ihr ein Konkurrenzunternehmen entgegensetzen wollen. Das erscheint uns weniger wichtig, und wenn gesagt wird, dass die Klärung notwendig sei, dass sonst alle zweifelhaften Elemente zur Gelben übergehen könnten, so sage ich, die Gründung der III. Internationale wird die Elemente, die heute noch hinüberlaufen, nicht abhalten, und wenn sie dennoch hinübergehen, dann gehören sie dorthin. Aber die wichtigste Frage bei der Gründung einer III. Internationale ist, doch zuerst einmal zu wissen, was man will, auf welcher Plattform die Möglichkeit besteht, sich miteinander zu verbinden. Die Berichte der Genossen verschiedener Länder zeigten, dass die Ansichten über die Tätigkeit, über die Wege zum Ziel unbekannt waren, und wenn die Delegierten aus den einzelnen Ländern hierhergekommen sind, so konnten sie nicht mit dem Entschluss hierherkommen, sich an der Gründung der III. Internationale zu beteiligen. Es muss ihre Aufgabe sein, ihre Mitgliedschaften erst zu informieren, und schon die Einladung deutet darauf hin, indem es auf der ersten Seite heisst:
»Alle diese Umstände zwingen uns, die Initiative zu ergreifen, um die Frage der Zusammenberufung eines internationalen Kongresses der revolutionären proletarischen Parteien auf die Tagesordnung zur Diskussion zu stellen«.
Schon in der Einladung ist also gesagt, dass wir hier erst die Frage prüfen müssen, ob es möglich ist, die Genossen zu einem Gründungskongress zusammenzurufen. Dass die Unkenntnis über die Wege und Ziele der einzelnen Parteien, solange die Aussprache hier noch nicht stattgefunden hatte, gross war, zeigt die Tatsache des Briefes von Longuet, eines im politischen Leben tätigen Genossen, der sich zum Zentrum bekennt, es aber doch noch für möglich hält, dass wir uns an den Sitzungen der Berner Konferenz beteiligen. Auch wir in Deutschland hatten keine Ahnung, wie gross die Gegensätze unter den Parteien sind; und als ich von Deutschland fortfuhr, war ich gefasst auf schwere Auseinandersetzungen über die verschiedenen Fragen. Ich kann konstatieren, dass wir in den meisten Fragen konform gehen, aber das wussten wir nicht vorher. Will man an die Gründung einer III. Internationale herangehen, dann muss man zuerst der Welt sagen, was man will, erst erklären, welchen Weg wir vor uns haben, auf dem wir uns einigen wollen und können. Wenn darauf hingewiesen wird, dass die III. Internationale in Zimmerwald schon gegründet wurde, so ist das unzutreffend. Die ist längst auseinandergeflogen, und nur ein kleiner Teil der Linken kann für spätere gemeinschaftliche Arbeit in Betracht kommen. Wenn auf der einen Seite alle diese Dinge ausschlaggebend sind, abzuraten, jetzt schon an die Gründung der III. Internationale heranzugehen, so sind es auf der anderen Seite organisatorische Fragen, die uns davor warnen. Denn wie liegen die Dinge? Wirkliche kommunistische Parteien sind nur in wenigen Ländern vorhanden, in den meisten sind sie erst in den letzten Wochen geschaffen, in mehreren Ländern, in denen es heute Kommunisten gibt, besitzen sie noch keine Organisation. Ich bin erstaunt, wenn der Vertreter von Schweden die Gründung der III. Internationale beantragt und zugeben muss, dass sich in Schweden noch keine rein kommunistische Organisation, sondern nur eine grosse kommunistische Gruppe innerhalb der schwedischen sozialdemokratischen Partei befindet. Wir wissen, dass in der Schweiz und in anderen Ländern eigentliche Parteien nicht vorhanden sind, erst geschaffen werden müssen, so dass die Genossen, die hier sind, nur im Namen von Gruppen reden können. Können sie heute wirklich sagen, wer hinter ihnen steht? Finnland, Russland, Schweden, Österreich-Ungarn, vom Balkan nicht einmal der ganze Bund – die Vertreter von Griechenland und Serbien betrachten Rakowski nicht als ihren Vertreter. Was fehlt, ist das ganze Westeuropa, Belgien, Italien sind nicht vertreten, der Schweizer Vertreter kann nicht im Namen einer Partei sprechen, es fehlen Frankreich, England, Spanien Portugal, und Amerika ist ebenfalls nicht imstande zu erklären, welche Parteien zu uns stehen würden. Es sind so wenige Organisationen an der Gründung der III. Internationale beteiligt, dass es schwer ist, an die Öffentlichkeit zu treten. Es ist also notwendig, bevor wir an die Gründung schreiten, dass wir der Welt unsere Plattform bekannt geben und die kommunistischen Organisationen auffordern, sich zu erklären, ob sie bereit sind, mit uns die III. Internationale zu gründen.

Es ist notwendig, dass kommunistische Organisationen gefördert werden, denn es ist nicht mehr möglich, gemeinsame Sache mit den Kautsky und Scheidemann zu machen. Ich warne Sie dringend, heute daran zu gehen, die III. Internationale zu gründen, ich bitte Sie, nicht übereilt zu handeln, sondern in kürzester Frist einen Kongress zusammenzuberufen, auf dem dann die neue Internationale gegründet wird, aber eine Internationale, die tatsächlich eine Macht hinter sich haben wird.

Das sind die Bedenken, die meine Organisation gegen die sofortige Gründung der III. Internationale hat, und ich bitte Sie, reiflich zu überlegen, ob es ratsam ist, auf diesen schwächlichen Grundlagen heute schon an die Gründung zu gehen.

Gen. Sinowjew. Genossen! Sie wissen, dass unsere Partei sich vom Anfang unserer Arbeit an für die sofortige Gründung der III. Internationale ausgesprochen hat. Wir haben im Namen unseres Zentralkomitees erklärt, dass wir der Meinung sind, dass die Interessen des russischen Proletariats wie auch die der internationalen Arbeiterklasse dies gebieterisch fordern. Wir haben aber erklärt, dass unsere deutschen Freunde darauf dringen, man solle das noch aufschieben. Wir haben uns am Anfang unserer Arbeit bereit erklärt, uns als Konferenz zu konstituieren. Danach sind aber die Genossen aus Österreich, aus den Balkanländern und aus Schweden gekommen und sagen uns, wie wir es auch erwartet haben, dass ein weiteres Zögern der revolutionären Bewegung in ihren Ländern schaden könnte. Die Frage haben wir gestern in der Resolutionskommission ausführlich diskutiert, und wir haben einstimmig beschlossen, der Versammlung vorzuschlagen, sich als III. Internationale zu konstituieren. Genosse Albert sagt: Warum drängen wir so darauf? Welche Notwendigkeit besteht denn, dass die III. Internationale sofort gegründet werde? Ich glaube, wir können den Spiess umdrehen und ihn bitten, die Gründe anzuführen, warum die internationalen Arbeiter die Gründung der III. Internationale jetzt aufschieben sollen. Wir haben eine siegreiche proletarische Revolution in einem grossen Lande, wir haben eine grosse, zum Sieg schreitende Revolution in zwei Ländern und danach sollen wir sagen: Wir sind noch zu schwach! Wir stellen die Parole der Internationalen Räterepublik als Devise auf, und niemand wird das eine Utopie nennen. Wir sind überzeugt, dass das Sache der nächsten Zeit ist, und wir sollen zurückschrecken vor der Bildung einer III. Internationale, die doch nur als Werkzeug zur Gründung einer internationalen Räterepublik dienen soll? Jedermann wird sagen müssen, dass, wenn wir die III. Internationale gründen, die breitesten Schichten der Arbeitermassen in allen Ländern diese Tat mit Enthusiasmus aufnehmen werden. Zögern wir aber, so wird man uns grosse Fragezeichen stellen.

Sie wollten vorher die formelle Gründung kommunistischer Parteien in allen Ländern haben? Sie haben eine siegreiche Revolution, das ist mehr als eine formelle Gründung. Sie haben in Deutschland eine Partei, die zur Macht schreitet und in einigen Monaten in Deutschland eine proletarische Regierung bilden wird. Und da sollen wir zögern? Man wird uns nicht verstehen. Vom Standpunkte Longuets könnte man das aufschieben. Man soll abwarten, bis die betreffenden Kongressonkel zusammengekommen sind, aber gerade vom Standpunkt der Kommunisten kann man ein solches Abwarten nicht verteidigen. In erinnere Sie daran, dass die geistige Klärung schon 1915 in Zimmerwald angefangen hat. Nicht nur geistige Klärung, sondern eine Organisation steht jetzt vor uns. Und die Partei der jetzigen deutschen Kommunisten hat rege daran teilgenommen. Ich erinnere Sie daran, dass die Zimmerwalder Linke eine Plattform ausgearbeitet hat und einige der deutschen Kommunisten an der Ausarbeitung dieser Plattform teilgenommen haben. Wir haben damals als Basis die Richtlinien genommen, die von der Gruppe Internationale ausgearbeitet worden sind. Drei Jahre sind verflossen, jetzt sind wir zum ersten Mal wieder zusammen, und es handelt sich darum, zur internationalen Organisation zu schreiten. Deshalb glaube ich, wir sollen es tun. Wir sind überzeugt, dass die deutschen Arbeiter sagen werden: Ihr habt recht gehandelt. Wir wollen jetzt nicht mit dem Gefühl arbeiten, dass wir zu schwach sind, wir sollen vom Gefühl der grössten Stärke beseelt sein, von der Überzeugung, dass die nächste Zukunft der III. Internationale gehört, und wenn wir in dieser Stimmung arbeiten, werden wir ohne Schwanken diesen notwendigen Schritt tun. Nach reiflicher Überlegung schlägt unsere Partei also vor, man solle sofort eine III. Internationale bilden. Das wird der ganzen Welt zeigen, dass wir geistig wie organisatorisch gerüstet sind. Sehen wir uns das Bild der Berner Konferenz an. Es handelt sich darum, dass wir diesen Schwächlingen gegenüber mit voller Überzeugung auftreten. Die geistige Armut zeigt sich auf jeder Zeile der Berner Resolutionen. Sie haben nicht gewagt, das letzte Wort zu sagen. Wir haben Gründe, mutig alles auszusprechen, was wir glauben.

Gen. Balabanoff (Zimmerw. Komm.). Ich benutze die Gelegenheit, um, meine Pflicht erfüllend, den hier Versammelten den heissesten Gruss der grossen Mehrheit der Parteien und Organisationen, die zu Zimmerwald gehören und aller derjenigen, die sich um das Banner Zimmerwalds geschart haben, zu überbringen. Ich habe das moralische Recht, anzunehmen, dass, wenn politische und technische Hindernisse die betreffenden Parteivertreter nicht verhindert hätten, hier zu erscheinen, sie sich nicht mit einem platonischen Gruss begnügt hätten, sondern die Gründung der Dritten Kommunistischen Internationale persönlich begrüsst und befürwortet hätten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Einwände des Genossen Albert eingehen. Seine Ausführungen scheinen zwar logisch, allein die Hauptsache berücksichtigt er nicht. Auch in der II. Internationale, besonders in der letzten Phase ihrer Existenz, wurde in den Reden oft der Zwiespalt zwischen Wort und Tat unterstrichen. Es gibt aber historische Momente, in denen das Wort zur Tat und das zur rechten Zeit nicht ausgesprochene Wort zum Hemmschuh der Tat wird. Heutzutage ist nicht nur das Proletariat, sondern auch die gesamte öffentliche Meinung, alles was politisch denkt oder empfindet, sich bewusst, dass es sich um einen Entscheidungskampf zwischen der Macht der Bourgeoisie und der Macht des Proletariats handelt. Da es mir gegeben war, bis zu dem Augenblick, in dem die Ereignisse, die deutsche Revolution einerseits, die wahnsinnige Reaktion der siegestrunkenen Ententeländer andererseits, die Rahmen jeglicher internationalen Organisation zunichte machten, das Banner der Zimmerwalder Organisation hochzuhalten und, so weit es unter den gegebenen politischen Verhältnissen möglich war, mit den betreffenden Organisationen in Fühlung zu bleiben, glaube ich mich dazu berechtigt, auch hier festzustellen, dass seit der zweiten proletarischen Revolution in Russland die revolutionäre klassenbewusste öffentliche Meinung sich ganz auf die Seite der russischen Sowjetmacht gestellt hat und sich den in ihr verwirklichten Grundgedanken anschliesst. Was Zimmerwald betrifft, so muss ich betonen, dass es sich um eine provisorisch gegründete Organisation, die wesentlich den Charakter einer Defensive gegen den imperialistischen Krieg, gegen das schmähliche Verhalten der sozialpatriotischen Mehrheiten trug, nicht etwa um eine definitive Gründung eines neuen internationalen Zentrums handelte. Wir wussten, dass, wenn das politische Leben seinen normalen Lauf nehmen würde, das klassenbewusste Proletariat, seine revolutionäre Vorhut, nicht versäumen werde, mit denjenigen abzurechnen, die sie im schwersten und entscheidendsten Moment so schmählich verrieten; inzwischen lag es den dem Sozialismus treu gebliebenen Elementen aller Länder daran, in theoretische und praktische Fühlung miteinander zu treten, die überwältigenden Ereignisse den Massen gegenüber im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus zu beleuchten und die entsprechenden theoretischen Konsequenzen aus ihnen zu ziehen.

Genossen! Ebenso kindisch und übermütig, wie es wäre, behaupten zu wollen, dass die weltumgestaltenden Ereignisse in Russland und Deutschland sich nach irgend einer konkreten Vorschrift Zimmerwalds vollziehen, ebenso ungerecht wäre es, die Entgleisungen der Zimmerwald angehörenden Parteien oder Minderheiten Zimmerwald zuzuschreiben. Ebenso wie die Leiter der Zimmerwalder Organisationen es als ihre Pflicht und ihr Recht betrachteten, am zweiten Tage des proletarischen Aufstandes in Russland, als man noch nicht wusste, ob er nicht schon in den nächsten Stunden durch Niederlage und Blutvergiessen erstickt würde, sich mit ihm solidarisch zu erklären und durch die Veröffentlichung des Aufrufes zum internationalen Massenstreik die klassenbewussten Arbeitermassen daran zu mahnen, gemäss den Beschlüssen der dritten Zimmerwalder Konferenz die Sache des russischen Proletariats mit allen Mitteln zu unterstützen, glaube ich auch jetzt – die grosse Verantwortung, die ich auf mich lade, durchaus nicht verkennend – mein Recht und meine Pflicht auszuüben, wenn ich erkläre, dass die meisten in Zimmerwald zusammengeschlossenen Parteien die sofortige Gründung der Dritten Internationale befürworten. In einer Resolution, die der heutigen Zusammenkunft unterbreitet werden soll, habe ich gelesen, man ersuche das Exekutivkomitee der Zimmerwalder Kommission, ihr Archiv der neugegründeten Organisation zu übergeben. Ich möchte hinzufügen: abgesehen von dem Masse, in dem mir die juridische Kompetenz zusteht, als Sekretär der I.S.K. irgend etwas Konkretes vorzunehmen, ohne Beratung mit den andern Mitgliedern der Kommission, abgesehen davon, dass ich auch aus polizeilich-materiellen Gründen meiner Ausweisung aus der Schweiz und der Unmöglichkeit, das Archiv mitzunehmen und dergleichen nicht mehr imstande war, dieser Forderung nachzukommen, möchte ich der Überzeugung Ausdruck verleihen, dass, wenn keine polizeilichen Hindernisse der Teilnahme an dieser Tagung den breitesten Schichten des internationalen revolutionären Sozialismus und den weitesten Massen im Wege stünden, es uns gegeben wäre, nicht nur die materielle Erbschaft Zimmerwalds, sondern die tatkräftigste Solidarität, den heissesten Glückwunsch, die tatkräftigste Mitarbeit von Millionen proletarischer Hirne und Herzen der hier sich gründenden Internationale einzufügen.

Gen. Grimlund: Ich möchte Gen. Albert gegenüber betonen, dass er mich nicht ganz richtig verstanden hat. Ich vertrete die Linke Schwedische Partei, die sich von der sozialpatriotischen Partei getrennt hat. Diese Partei hat energisch den Standpunkt Zimmerwalds und der russischen proletarischen Revolution verteidigt. Es ist wohl wahr, dass in der Partei keine vollständige Einigkeit herrscht, dass sich in derselben Elemente befinden, die sich diesem Standpunkt nicht ganz anschliessen, aber es unterliegt keinem Zweifel, dass auf dem ersten Parteitag die Partei sich auch. formell der Kommunistischen Partei anschliessen wird. Es wundert mich, dass der Gen. Albert, der aus Deutschland kommt, Bedenken haben kann und nicht einsehen will oder kann, dass nur in der Gründung einer kommunistischen Internationale für das Proletariat die Möglichkeit liegt, festen Boden zu fassen. Ich begrüsse die III. Internationale und finde, dass es Pflicht und Schuldigkeit sei, jetzt sofort an ihre Gründung heranzutreten.

Gen. Rahja. Genossen! Der soeben vom Genossen Albert erwähnten Vorberatung wohnten auch die Delegierten der Organisation der Kommunistischen Partei Finnlands bei, die ich hier vertrete. Als daselbst die Frage erhoben wurde, ob es möglich und zweckentsprechend wäre, auf dieser Konferenz die III. Internationale zu gründen, hat unsere Delegation beschlossen, der gesamten Konferenz folgende Erklärung abzugeben, die ich jetzt hier verlesen werde.

Erklärung der Vertreter der Kommunistischen Partei Finnlands.

Da die Partei, die wir vertreten, uns mit einem klar ausgedrückten Ziel hierher, auf die Gründungskonferenz der III. Internationale delegiert hat, so möchten wir der Versammlung folgende kurz formulierte Erklärung abgeben:

»Erklärung.
Die Kommunistische Partei Finnlands ist der Meinung, dass die Frage der Gründung der III. Internationale herangereift ist und diese Notwendigkeit von der allgemeinen internationalen Lage und den Aufgaben der internationalen Bewegung des revolutionären Proletariats diktiert wird.
Die II. Internationale, deren Führer die Sache des Proletariats zu Anfang des Weltkrieges verraten haben, ist faktisch tot für das revolutionäre Proletariat und kann daher in dem weiteren Kampfe für die Befreiung der Arbeiterklasse nicht mehr als Bindeglied dienen.
Die Berner Konferenz der Sozialpatrioten hatte zum Hauptziel, die bereits abgelebten Formeln wieder aufzustellen und ein Zentrum zu schaffen, um das sich, unter der Maske des Kampfes für die Befreiung der unterdrückten Klassen, die sozialpatriotischen und schwankenden Elemente der II. Internationale gruppieren könnten, und – was besonders wichtig ist – die Berner Konferenz hat gefunden, dass die II. Internationale fortgefahren hat und fortfährt zu bestehen.
Der Mangel einer ideell und organisatorisch fest zusammengefügten kommunistischen Organisation im internationalen Massstabe bietet die Möglichkeit, dass, unter der Maske der internationalen Einheit, der internationale Betrug unter dem Banner der II. Internationale weiter produktiv fortgesetzt wird.
Der Bruch mit den Sozialverrätern und Sozialpatrioten ist in einer Reihe der führenden Länder tatsächlich schon vor sich gegangen.
Indem das revolutionäre Proletariat Russlands, Deutschlands, Italiens, Englands, Österreichungarns, Amerikas, Frankreichs, Schwedens und einer Reihe anderer Länder gegen die imperialistische Bourgeoisie kämpft, kämpft es zugleich auch gegen die Sozialverräter und Sozialpatrioten, die unter dem Deckmantel der II. Internationale weiter einherschreiten.
Die Gründung der III. Internationale wird in einer ganzen Reihe von Ländern an die bestehenden Parteien und Gruppierungen konkret die Frage stellen, welcher Internationale sie sich anschliessen wollen und zu welchem Zweck, und wird dadurch unbedingt eine entscheidende Grenzlinie ziehen und Klarheit schaffen in den Beziehungen der einzelnen Strömungen zueinander, wodurch ohne jeden Zweifel die revolutionären Kräfte der ganzen Welt in allerkürzester Zeit zusammengefügt werden.
Wenn die hier versammelte Konferenz in der Lage sein wird, eine theoretisch unbestreitbare und taktisch anwendbare Plattform auszuarbeiten, so findet die Partei, dass die Frage der Gründung der III. Internationale faktisch dadurch schon gelöst sein wird, jedoch die formelle Ablehnung einer solchen Gründung wird die Kräfte des internationalen Proletariats in seinem Kampf gegen den Kapitalismus und dessen Stütze – die sozialpatriotische gelbe Internationale – schwächen.«

Diese Erklärung entstand, als auf der Vorberatung faktisch nur ein Meinungsaustausch zwischen den Delegierten unserer Partei und denjenigen der Spartakisten stattfand. Als nämlich damals unsere Delegation die Gründung der III. Internationale begrüsste, hat Gen. Albert einige Einwände erhoben, auf die ich jetzt zurückzukommen mir erlaube. Gen. Albert erklärt, dass man, ehe man an die Gründung der III. Internationale schreite, wissen müsse, wonach man strebe. Ich erlaube mir, an Gen. Albert die Frage zu richten: Das deutsche Proletariat, das nicht nur gegen die imperialistische Bourgeoisie, sondern auch gegen die Scheidemann und Noske so heldenmütig gekämpft hat, weiss es, was es will? Ich bin fest überzeugt, dass das deutsche Proletariat, das augenblicklich eine Niederlage erlitten hat, seinen Kampf jedenfalls unter denselben Parolen fortsetzen wird, unabhängig davon, ob jetzt hier die III. Internationale gegründet wird oder nicht. Es handelt sich jetzt in der ganzen Welt nicht um die Frage der Propaganda oder der Schaffung eines Apparats zur Erziehung der Massen. In allen Ländern handelt es sich um den Kampf zweier Diktaturen, der bürgerlieben Diktatur und der Diktatur des Proletariats. Dieser Kampf hat bis jetzt kein internationales verbindendes Zentrum und wird zerstreut geführt. Gen. Albert hat erklärt, dass die Stellungnahme der einzelnen Parteien in den verschiedenen Ländern zur Gründung der III. Internationale einstweilen noch nicht festgestellt ist. Nach unserer Auffassung, der Auffassung der Kommunistischen Partei Finnlands, haben wir die Antwort auf diese Frage in der ungeheuren revolutionären Bewegung, die sich jetzt in der ganzen Welt entwickelt. Diese Antwort besagt klar und deutlich, wonach das Proletariat strebt. Diese revolutionäre Bewegung des westlichen Proletariats zeigt deutlich, dass, wenn das Proletariat der ganzen Welt ein solches bindendes Zentrum hätte, der Kampf bedeutend erleichtert und sich produktiver gestalten würde. Gen. Albert erklärt, dass das revolutionäre deutsche Proletariat prinzipiell nichts gegen die Gründung der III. Internationale haben könne. Es handelt sich bei ihm nur um rein formelle Erwägungen. Es wäre aber ein Fehler, die Gründung der III. Internationale aus Erwägungen rein formellen Charakters oder wegen Ausbleibens irgend eines Mandats oder des Vertreters eines Landes, dessen Proletariat ihn nicht hat senden können, aufzuschieben. Es ist ja ganz verständlich, dass die Vertreter sich nicht in der erforderlichen Anzahl hier versammeln konnten. Ausserdem ist die Gründung der III. Internationale noch deshalb sehr wichtig, weil dieselbe jetzt als das Zentrum der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung eine ungeheure Bedeutung haben würde. Wenn ein solches Zentrum gestern, vor einer Woche, vor einem Monat existiert hätte, so können wir sicher sein, dass das revolutionäre Proletariat aller Länder seinen Kampf, den es mit heldenmütiger Anstrengung fortsetzt, weit intensiver und richtiger hätte führen können. Die erste Kunde von der Gründung der III. Internationale wird in der ganzen Welt mit Jubel begrüsst werden.

Gen. Rakowski macht darauf aufmerksam, dass zwischen der Stellung der heutigen Vertreter der deutschen Kommunisten und der Stellung des Gen. Ledebour eine Analogie besteht, und zwar insofern, als auch damals, als von der Bewilligung der Kredite die Rede war, letzterer erklärte, dass er gegen die Kreditbewilligung sei, allein er wolle nicht durch einen Beschluss gebunden sein, von dem man sagen könne, er sei durch den Druck des Auslandes entstanden. Diese Vorurteile, die Furcht, die öffentliche Meinung könne von einem ausländischen Druck sprechen, haben in der II. Internationale geherrscht. Es ist Zeit, sich von diesen Vorurteilen zu befreien.

Auch aus anderen Gründen ist die sofortige Gründung der III. Internationale notwendig. Wenn man jetzt nicht zur Gründung der III. Internationale käme, würde man in der Aussenwelt den Verdacht erwecken, als ob die Kommunisten unter sich nicht einig wären. Ausserdem würde man zur Annahme berechtigt sein, dass es sich um ein Misstrauensvotum an die russische Sowjetrepublik handelt, was von einer grossen moralischen und politischen Tragweite wäre.

Was das Praktische anbelangt, dass nämlich hier nicht alle Parteien vertreten sind, so müsse man darauf aufmerksam machen, dass, – als man daran ging, die historische Erste Internationale zu gründen, die Verhältnisse in dieser Beziehung auch nicht besser waren; die Parteien waren nicht vollzähliger vertreten als jetzt. Es handelt sich darum, der Internationale Richtlinien zu geben. In der Hauptsache – was den Klassenkampf und die unmittelbare Enteignung des Grundbesitzes und des Kapitals betrifft – sind alle einverstanden, und darum wäre es nicht angebracht, aus formellen Gründen auf die sofortige Gründung der III. Internationale zu verzichten.

Gen. Rudnyánszky. Parteigenossen! Die Kommunisten Ungarns haben sich zu dem Antrag zusammengeschlossen, dass die III. Internationale auch formell hier begründet werden soll, denn tatsächlich lebt sie schon lange. Diese III. Internationale ist im Kampfe des russischen Proletariats gegen die russische Bourgeoisie geboren. Die Kommunistische Partei Ungarns steht fest auf diesem Standpunkt. Es ist unmöglich, immerfort zu betonen, dass die II. Internationale gestorben ist, dass die Stimmen der Beratenden in Bern tot sind und wir hier in Moskau Teilnehmer einer lebenden, jetzt im Kampfe geborenen Internationale sind. Fürchten wir vielleicht die formelle Sanktion einer Gründung dieser III. Internationale, welche tatsächlich im Kampfe des russischen Proletariats ausgekämpft ist? Einen solchen Kampf hat auch das deutsche kommunistische Proletariat begonnen und in solchem Kampfe steht bereits heute das revolutionäre kommunistische Proletariat Ungarns. Wir, Genossen, hoffen, dass diese Konferenz, wie es der Genosse Sinowjew beantragt hat, sich zu einem Kongress bilden und auch formell die III. Internationale gründen wird.

Gen. Sadoul (übersetzt von Genossin Balabanoff). Genosse Sadoul meint, er wolle nur ein paar Einwände erheben, um die Einwände des Genossen Albert zu widerlegen. Vor allem war gesagt worden, dass die heutige Versammlung nicht vollzählig sei. Aber könnte man auf eine vollzähligere rechnen? Man darf nicht vergessen, dass diejenigen Parteien, die in ihren Ländern noch mit grossen politischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, nicht die Möglichkeit haben, zu einem bestimmten Zeitpunkt hier zu sein.

Zweitens möchte er darauf, aufmerksam machen, in welcher Lage sich die nationalen Parteien befinden würden, wenn der Versuch nicht gelingen würde. Die Widersprüche würden sich vertiefen, weil es kein Zentrum gäbe. Würde dieses Zentrum gegründet sein, so könnte man die Bewegung durch eine strammere Organisation, deren ständige Vertretung in Russland sein sollte, regeln. Gen. Sadoul appelliert an das internationale Gefühl des Gen. Albert und bittet ihn, von seinem Standpunkt Abstand zu nehmen.

Die gesamten Kämpfe in den einzelnen Ländern würden an Prestige dadurch gewinnen, wenn sie von einem internationalen Zentrum geleitet würden.

Gen. Gruber (Deutsch-Österreich). Parteigenossen! Als einer der Antragsteller möchte ich noch einiges zur Begründung des Antrages sagen. Die österreichischen Kommunisten haben schon bei Beginn der Bewegung daran gedacht, eine neue Internationale zu errichten. Wir strebten danach, ohne zu wissen, dass sich in anderen Ländern Parteien gebildet haben auf der Grundlage des »Kommunistischen Manifestes«, der Diktatur des Proletariats. Nun erklärt zu unserem Befremden der Vertreter der Kommunistischen Partei Deutschlands, aus formellen Bedenken könne er sich nicht entschliessen, seine Zustimmung zu dem Antrage zu geben. Wir wissen, dass in Paris ein Werk geschmiedet wird ähnlich wie die heilige Alliance, das bestimmt sein soll, alle revolutionären Bewegungen des internationalen Proletariats von Grund aus zu zertrümmern, dass in Bern zu gleicher Zeit ein Werk geschaffen wird, das den Zweck hat, die revolutionäre Energie des Proletariats abzulenken. Man hat in Bern eine Kommission eingesetzt, die nach Russland kommen und ausforschen wird, wie es mit dem Bolschewismus steht. Die Herren Bauer, Renner, Adler, Kautsky sollen hier in Moskau nicht nur eine neue Plattform sondern auch eine neue Organisation des internationalen Proletariats vorfinden. Sie sollen sehen, dass wir nicht erst abwarten, wie der Bolschewismus im Innersten beschaffen ist, sondern dass wir viel weiter in die Zukunft denken als diese wissenschaftlichen Leuchten des Sozialismus. Dies veranlasst mich, den Genossen Albert zu ersuchen, von seiner Abstinenz abzusehen. Wir leben im permanenten Bürgerkrieg. Wir müssen heute schon der Koalition des Bürgertums eine gefestigte Koalition des revolutionären Proletariats entgegenstellen, und da müssen alle Bedenken schwinden, die einzelne Sektionen des Proletariats haben. Ich möchte meinen Kopf dafür wetten, dass, wenn ich nach München oder nach Bremen oder an irgend einen anderen Ort kommen würde und sagte: Genossen, wäret Ihr dafür gewesen, dass wir in Moskau die Internationale begründeten, dann bin ich sicher, sie würden sagen: Du hast Recht gehabt. Und selbst wenn einer von uns die Weisung bekommen hat, nicht zu stimmen, das Werk, das er mitgeschaffen hat, ist viel grösser und wichtiger als die formale Disziplin, die er glaubt einhalten zu müssen. Wir als Kommunisten wollen ökonomisch arbeiten, wir wollen Kraft und Zeit nicht vergeuden. Das kann nur durch eine Zentralstelle geschehen, die das Recht hat, für alle Sektionen bestimmte Richtlinien zu geben. Wenn wir ein Büro haben, so muss dasselbe die Vertretung aller Sektionen darstellen und unbedingt mit sämtlichen Sektionen des Proletariats im Kontakt sein. Nun will Gen. Albert seinen Parteigenossen erst Bericht erstatten, ehe er seine Stimme zur Gründung der Internationale gibt. Es wird aber nach Monaten vielleicht noch nicht möglich sein, wieder zusammenzukommen. Deshalb sind wir dafür, dass die Internationale gegründet wird. Schon seit Beginn der russischen Revolution ist Russland das geistige Zentrum für die kommunistische Bewegung der ganzen Welt; es soll aber auch ein materielles Zentrum geschaffen werden. Das kann nur durch eine Organisation geschehen. Wir haben keine Schuld, daran, dass nicht alle Länder vertreten sind. Die III. Internationale soll es doch erst ermöglichen, dass in jenen Ländern, in denen noch keine Organisationen auf kommunistischen Grundlagen bestehen, Organisationen geschaffen werden.

Und so wäre noch eine Reihe von Gründen für die sofortige Errichtung der Internationale zu nennen. Ich bitte Sie zum Schluss: Nehmen. Sie den Antrag einstimmig an! Dann wird die Moskauer Konferenz in höherem Masse noch als die Gründung der I. und II. Internationale die Verkörperung des Kampfwillens und Siegbewusstseins des revolutionären Proletariats werden.

Gen. Platten teilt mit, dass noch vier Redner vorgemerkt sind und beantragt Schluss der – Rednerliste (wird angenommen).

Gen. Feinberg (übersetzt von Gen. Reinstein). Genosse Feinberg möchte den Genossen Albert darauf aufmerksam machen, dass er mit seinen Einwänden nicht einverstanden ist. Er sei zwar nicht berechtigt, im Namen der englischen sozialistischen Partei zu sprechen, weil er hier nur eine lokale Organisation vertritt, aber alles, was sich in der englischen Bewegung abgespielt hat, berechtigt ihn, anzunehmen, dass die englischen Arbeiter sich selbstverständlich für die Gründung der III. Internationale ausgesprochen hätten. Er betont, dass seine Partei, trotzdem sie sich in Zimmerwald nicht hat vertreten lassen können, als Mitglied der Zimmerwalder gegolten hat, und er glaubt, man könnte den Parteien gegenüber, die heute aus technischen Gründen nicht erscheinen konnten, dasselbe tun. Er weist darauf hin, dass die British Socialist Labour Party schon längst mit der II. Internationale gebrochen habe und es keinem Zweifel unterliege, dass sie die Gründung der III. Internationale begrüssen würde.

Gen. Platten. Es ist ein Antrag auf Schluss der Diskussion eingegangen.

Wer wünscht sich dafür, wer dagegen auszusprechen? Dem Antrag wird zugestimmt.

Es ist beschlossen worden, die Diskussion zu schliessen. Wir kommen also zur Abstimmung.

Zur Abstimmung gelangt ein Antrag, unterzeichnet von Rakowski, Gruber, Grimlund, Rudnyánszky.

Er wird verlesen.

Das ist ein Antrag, der gestellt ist, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob zur Gründung der III. Internationale geschritten werden soll.

Wer für diesen Antrag ist, ruft ja, wer dagegen ist, ruft nein.

Beschliessende Stimmen:
Kommunistische Partei Deutschlands: Stimmenenthaltung.
Russland: ja
Deutsch-Österreich: ja
Ungarn: ja
Schweden: ja
Norwegen: ja
Schweiz: ja
Amerika: ja
Balkanische Föderation: ja
Polen: ja
Finnland: ja
Ukraine: ja
Lettland: ja
Litauen: ja
Estland: ja
Armenien: ja
Kolonistengebiet: ja

Vereinigte Gruppe der Ostvölker Russlands: ja.
Einstimmig, gegen 5 Stimmenthaltungen.

Beratende Stimmen:
Tschechische: ja
Bulgarische: ja
Südslawische: ja
Englische: ja
Französische: ja
Holländische: ja
Amerikanische Liga der sozialistischen Propaganda: ja
Schweizerische: ja
Turkestanische: ja
Türkische: ja
Georgische: ja
Aserbeidschan: ja
Persien: ja
Chinesische: ja
Koreanische: ja
Resultat: Beratende einstimmig und beschliessende mit 5 Stimmenthaltungen.
(Lebhafter Beifall.)
Begeistert wird die Internationale angestimmt.

Gen. Platten. Parteigenossen! Wir setzen die Verhandlungen unter dem Namen »Kongress der Kommunistischen Internationale« fort. Wir haben jetzt in erster Linie eine Abstimmung vorzunehmen über das Stimmrecht. Es ist klar, dass unter den Umständen, unter denen einige Delegierte ihre Einladung erhielten, die Frage aufgeworfen werden muss, ob sie auch berechtigt sind, ihre Stimme nach dem soeben gefassten Beschluss abzugeben. Die Resolutionskommission beantragt einstimmig, den Genossen das Stimmrecht zu belassen.

Werden Einwendungen erhoben? Es scheint nicht der Fall zu sein. Sie haben beschlossen, das Stimmverhältnis keiner Veränderung zu unterziehen. Die Ukrainischen Delegierten – müssen uns jetzt verlassen, sie müssen nach Hause gehen, um an einem Kongress ihres Landes teilnehmen zu können. Es ist angebracht, den Kameraden einen Gruss für die Genossen mit auf den Weg zu geben.

Er lautet:
»Der Kongress der Kommunistischen Internationale entbietet den Ukrainischen Genossen zu der dritten Tagung der Ukrainischen Sowjets herzliche Grüsse. Endlich ist es den Ukrainischen Genossen gelungen, die Feinde im eigenen Lande zu stürzen und den Entente-Interventionisten zu bedeuten, dass die Arbeiter und armen Bauern der Ukraine für die Sowjetrepublik und nicht für die Herrschaft irgend welcher Bourgeoisien kämpfen werden. Es lebe die Diktatur des Proletariats. Es lebe die soziale Revolution!«
Wer diesem Gruss seine Zustimmung erteilen möchte, wird es durch Handaufheben bezeugen. Wir übergeben diesen Gruss den Ukrainischen Genossen.

Nun hat Genosse Albert zu einer Erklärung das Wort verlangt:
Gen. Albert. Genossen und Genossinnen! Ich habe im Auftrage meiner Partei. wie auch nach meiner persönlichen Überzeugung mir die grösste Mühe gegeben, die Gründung der Dritten Internationale hinauszuschieben. Ihre Gründung ist jetzt trotzdem zur Tatsache geworden. Ich kann nicht verhehlen, dass ernste Bedenken und schwere Sorgen mich befallen, wenn ich denke, dass sie noch nicht die Kraft und Stärke in sich trägt, die wir ihr wünschen. Ich erkläre Ihnen aber, dass ich nach Deutschland zurückkehre und mit aller Kraft meine Genossen zu bewegen versuche, so schnell als möglich die Erklärung abzugeben, dass auch sie Mitglieder der Dritten Internationale seien.

Gen. Platten. Die Zeit ist vorgerückt, aber wir müssen noch ein Traktandum kurz berühren und die übrige Zeit der Kommission zur Verfügung stellen. Es ist von seiten der Zimmerwalder Genossen, die hier durch die Genossen Balabanoff, Sinowjew, Lenin, Trotzki, Platten usw. vertreten sind, folgende Erklärung abgegeben worden.

Erklärung der Teilnehmer von Zimmerwald, abgegeben dem Kongress der Kommunistischen Internationale in Moskau (2.-6. März 1919).

»Die Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen hatten zu der Zeit Bedeutung, in der es wichtig war, alle diejenigen Elemente des Proletariats zu vereinigen, welche bereit waren, in dieser oder jener Form gegen das imperialistische Morden zu protestieren. Aber in die Zimmerwalder Vereinigung sind zusammen mit ganz entschieden kommunistischen Elementen auch Elemente des ›Zentrums‹, pazifistische und schwankende Elemente eingetreten. Diese Elemente des Zentrums, wie das die Berner Konferenz zeigte, verbinden sich jetzt mit den Sozialpatrioten zum Kampf gegen das revolutionäre Proletariat und nutzen auf diese Weise das Banner von Zimmerwald im Interesse der Reaktion aus.
Zu derselben Zeit ist die kommunistische Strömung in einer ganzen Reihe von Ländern erstarkt, und der Kampf mit den Elementen des Zentrums, die die Entwicklung der sozialen Revolution hemmen, ist eine der dringendsten Aufgaben des revolutionären Proletariats geworden.
Die Zimmerwalder Vereinigung hat sich überlebt. Alles, was wirklich revolutionär in der Zimmerwalder Vereinigung war, geht in die Kommunistische Internationale über.

Die endesunterzeichneten Teilnehmer von Zimmerwald erklären, dass sie die Zimmerwalder Organisation für liquidiert betrachten und ersuchen das Büro der Zimmerwalder Konferenz, alle seine Dokumente dem Exekutivkomitee der III. Internationale zu übergeben;
G. Sinowjew, Clz. Rakowski, L. Trotzki, N. Lenin, Fr. Platten

Gen. Platten: Von dem Gen. Bucharin ist folgende Resolution eingegangen.

Beschluss über die Zimmerwalder Vereinigung, angenommen von dem Kongress der Kommunistischen Internationale in Moskau (2.-6. März 1919).
»Nachdem der erste Kongress der Kommunistischen Internationale die Ausführungen des Sekretärs der Zimmerwalder I.S.K., Genossin Balabanoff, und die Erklärung der Teilnehmer von Zimmerwald, der Genossen Rakowski, Platten, Lenin, Trotzki, Sinowjew entgegengenommen hat, beschliesst er:
Die Zimmerwalder Vereinigung als liquidiert zu betrachten«

Wird einstimmig angenommen.

Gen. Platten schliesst hierauf um 9.30 Uhr die Sitzung.



Source: »Der I. Kongress der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis zum 19. März 1919«, Bibliothek der Kommunistischen Internationale, Bd. VII, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg 1921. Digitalisierung und Bearbeitung: sinistra.net Februar/März 2001.

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