IBKL – Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken
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I. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:

I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale: IV. Sitzungstag
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Platten
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Sinowjew
Resolution: Die Stellung zu den sozialistischen Strömungen und der Berner Konferenz
Redebeitrag Lenin
Ansprache des Vertreters Chinas
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Platten
Source


I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale:

IV. Sitzungstag am 4. 3. 1919

Gen. Lenin eröffnet um 12.30 Uhr die Sitzung und erteilt Gen. Platten (Schweiz) das Wort.
Thema: »Die Berner Konferenz und die Stellung zu den sozialistischen Strömungen«.

Gen. Platten. Parteigenossen! Die II. Internationale erwies sich bei Ausbruch des Krieges als ein Kollegium von Sozialdemokraten, die nicht gewillt waren, früheren Beschlüssen Achtung zu verschaffen oder eine revolutionär-proletarische Tätigkeit an den Tag zu legen. Das Büro und seine Anhänger sind übergeschwenkt zu den Sozialdemokraten, zu jenen, die ängstlich bemüht waren, ihren Einfluss auf die Organisationen zu benützen, um auch die Arbeiterorganisationen in den Dienst der Regierung ihres Landes zu stellen. Diese Leute haben wir mehrfach während des Krieges aufgefordert, sich ihrer internationalen Verpflichtungen zu erinnern und nunmehr gemäss der Stuttgarter Beschlüsse zu Taten zu schreiten, die eine Entwaffnung der internationalen Bourgeoisie zur Folge hätten. Diesem Aufruf, dieser Anforderung kam das Büro nicht nach, und es ist typisch, dass der europäische Krieg liquidiert werden konnte, ohne dass das Büro auch nur das Geringste getan hätte, um einen Kampfaufruf an die Proletarier der ganzen Welt ergehen zu lassen. Es hat dazu beigetragen, den herrschenden Klassen den Krieg um die Vermehrung ihres Besitzes zu erleichtern.

In diesem Büro repräsentierten sich die Sozialpatrioten, die an Lug und Trug ihr Möglichstes an den Tag gelegt haben. Für uns als Sozialisten revolutionärer, kommunistischer Auffassung, war es ganz klar, dass mit diesen Leuten, die sich, wie eine arme Seele dem Teufel, ihren Regierungen verschrieben haben, keinerlei Beziehungen mehr bestehen dürften. Für uns ist die II. Internationale tot. Mögen diese Leute, um sich ihr Prestige wiederzuverschaffen und um den Regierungen verkünden zu können, dass sie weiter existenzberechtigt und gewillt seien, den Arbeiterverrat weiter zu üben, zu einem Kongress zusammentreten, die alte Internationale zu restaurieren wird ihnen nicht gelingen.

Ich werde Sie mit dem rein organischen Zustandekommen der internationalen Tagung in Bern vertraut machen, um Ihnen zu zeigen, welche Bemühungen unsererseits an den Tag gelegt wurden, um unsere Zimmerwalder Kameraden zu veranlassen eine ablehnende Stellung gegenüber dem Kongress einzunehmen. Es ist ganz klar, dass mit dieser Konferenz der Zweck, der Beweis erbracht werden sollte, dass das Proletariat überhaupt noch eine Internationale hätte. Der tiefere Grund des Zusammentritts bestand darin, dass es von den Herren Politikern der Entente als wünschenswert erachtet wurde, für die von ihnen betriebene Politik auch noch eine entsprechende Sanktion von der »sozialistischen Internationale« zu erhalten. Als getreue Knechte ihrer Landesregierungen konnten diese Leute zusammenkommen und fielen nicht aus der Rolle, wenn sie sich als bürgerliche Werkzeuge der Ententemächte etablierten. Der Kongress dürfte auch die Absicht verfolgt haben, mit der Wiederbelebung der II. Internationale gleichzeitig auch die Front der Revolution zu durchbrechen, die Zimmerwalder Gruppe in ihrem alten Bestande der Auflösung entgegenzuführen und, wenn möglich, die revolutionären Kommunisten zu isolieren. Es soll hier anerkannt werden, dass Zimmerwald als ein politisches Gefüge verschiedener Gruppierungen nicht über die Kraft verfügt hat, sagen zu können, es sei eine Internationale, mit einheitlicher Idee und mit dem Willen zur Tat beseelt. Die Zimmerwalder Konferenz ist ein Bündnis von Parteien gewesen, die bereit waren, den Kampf gegen die Fortsetzung des Krieges aufzunehmen. Dass schwere Differenzen unter den Bundesgenossen bestanden zeigte sich, sobald man an die Frage der Revolutionierung der Massen und des gewaltsamen Umsturzes herantrat. Es ist in der Tat den Sozialpatrioten bei Einberufung der Berner Konferenz gelungen, einige der ehemaligen Zimmerwalder Kameraden zur Teilnahme zu veranlassen, was beweist, wie schwach fundiert die revolutionäre Ideologie bei einem Teil der Zimmerwalder war. Wir revolutionären Internationalisten in der Schweiz, die wir als ein Bindeglied zwischen den Ländern Westeuropas und den Zentralmächten dienen konnten, hatten eine schwierige Aufgabe zu lösen, die vor allem darin bestand, unsere eigene Landespartei zu bestimmen, an der Konferenz nicht teilzunehmen. Es ist klar, dass, wenn die schweizerische Partei ihre Anteilnahme beschlossen hätte, dies mit grossem Pomp kundgetan wäre, aber wir, die Geschäftsleitung in Zürich, hatten alles getan, um diesen Schritt zu verhindern.

Hier sei auch erwähnt, dass wir uns einem Auftrag unterziehen mussten, der mir von dem Gen. Longuet in Frankreich erteilt wurde, nämlich den russischen Genossen die Mitteilung zu machen, dass die Konferenz von seiten der französischen Partei beschickt werde und sie es mit Freuden begrüssen würde, wenn die russischen Kameraden ebenfalls erscheinen würden. Dieses Telegramm gab ich an Gen. Worowski weiter, in der Hoffnung, dass es uns durch unsere Mitteilungen vielleicht gelingen werde, Ihnen Eingang in die Schweiz zu verschaffen, denn wir hörten, Sie seien aus technischen Gründen nicht in der Lage, nach Bern zu kommen. Dass Sie sich nicht an einer Sozialpatriotenkonferenz als Opposition beteiligen würden, wusste ich genau. Naturgemäss waren die Parteien, die auf dieser Konferenz als ehemalige Zimmerwalder Parteien vertreten waren, diejenigen von der äussersten Rechten, die Leute, die noch immer hofften, es möchte gelingen, die Vertreter der alten Internationale zu überzeugen, dass sie eine revolutionäre Internationale vorstellen müssten. Fast alle Franzosen, bis auf Loriot und Frossard, sind der Meinung gewesen, es sei ein ausserordentlich grosser Fehler gewesen, dass weder die Schweizer, noch die Russen, noch die Spartakisten nach Bern gekommen seien, weil man auf dieser Konferenz die rechtsstehenden Elemente hätte über den Haufen rennen können. Wir müssen sagen, dass wir in richtiger Erkenntnis der Sachlage es gleich von Anfang an bedauert haben, dass die französischen Genossen sich herbeiliessen, diese Konferenz zu besuchen und sich nicht gleich von Anfang an von den ausgesprochenen Sozialpatrioten getrennt haben. Um das Unsrige dazu beizutragen, die Stellung der ehemaligen Zimmerwalder auf dieser Konferenz zu klären, bin ich mit einigen anderen Genossen auf den Gedanken gekommen, die Genossen gleich zu einer Sitzung einzuladen. Die Stellung der Schweizer Partei, der italienischen Genossen, der Russen und, soweit sie mir bekannt war, auch die Stellung der Genossen in anderen Ländern legte ich den Versammelten dar. Es musste versucht werden, sie zu dem Beschluss zu bewegen, die Konferenz zu boykottieren und es abzulehnen, mit den Sozialpatrioten zusammen zu tagen. Zu dieser Konferenz wurde eine Anzahl Kameraden eingeladen, darunter auch die Genossen Fritz Adler, Petrow, Paul Faure, Frossard, Loriot, Morgari, Rappoport, Herzfeld, Verfeuil, Burian, Schefflo, Besturo Betritos, Marnus. Diesen Genossen unterbreiteten wir den Antrag, sie sollen in einer öffentlichen Erklärung bekanntgeben, dass sie zur Berner Konferenz nicht gehen würden. Wir hätten uns dann einverstanden erklärt, mit ihnen Spezialtagungen über Neugliederungen, welche in der Internationale geschaffen werden könnten, abzuhalten, und, was das Wesentliche war, wir hätten vielleicht eine normale Verbindung mit unserer heutigen Tagung herbeigeführt. Doch zeigte es sich rasch, dass alle, bis auf Loriot und Morgari, sich auf Formalitäten stützend, erklärten, sie seien mit dem bestimmten Mandat betraut, an der Konferenz teilzunehmen, und würden auf derselben die Opposition bilden.

Nachdem uns diese Erklärung abgegeben war, schritten wir zu der Aufgabe, ihnen wenigstens in der Organisierung der Opposition behilflich zu sein. Wir sagten uns: »Nachdem Ihr uns versichert habt, dass Ihr nur als Opposition an dem Kongress teilnehmen wollt, müsst Ihr Euch auf einer Grundlage einigen», und wir schlugen ihnen vor, dass sie sich als Linke konstituieren und bei jedem Punkte der Tagesordnung mit einer anderen Resolution als der vom Büro vorgeschlagenen auftreten sollten, indem sie vom Standpunkte Zimmerwalds die Bemühungen des Büros als das geisselten, als was sie gegeisselt werden müssen, als eine Politik im Dienste der Bourgeoisie. Wir erklärten ihnen, dass sie als ehemalige Zimmerwalder doch nicht umhin könnten, festzustellen, dass grundsätzliche Gegensätze zwischen den Auffassungen der Sozialpatrioten und den ihrigen bestünden. Sie mussten den Resolutionen des Büros die Deklarationen der Zimmerwalder Gruppe gegenüberstellen. Lange haben wir in diesem Sinne zu wirken versucht, aber nur mit dem Erfolg, dass die Leute erklärten, ihre respektiven Landesvertretungen nicht spalten zu wollen, sondern sie wollten in dieser Einheit der Landesorganisationen in Erscheinung treten. Damit war jedes organisierte Auftreten unmöglich gemacht, und die Genossen waren nichts anderes als ein Kahn ohne Steuer auf treibendem Fluss. Schon bei der Erörterung der Schuldfrage zeigte es sich, dass die Delegierten von der Zimmerwalder Gruppe in den Kommissionssitzungen sich bemühten, eine möglichst gute Resolution zustande zu bringen in dem Sinne, dass man zu einheitlichen Beschlüssen gelangen konnte. Nun kann man sich ja denken, dass die Politik eines Renaudel oder des deutschen Sozialpatrioten Wels und vor allem Grumbachs und Huysmans nur schwer mit der Auffassung der ehemaligen Zimmerwalder zu verbinden war, und dass eine Einstimmigkeit erzielt wurde, spricht nicht für diese Resolution. Es hätten Gegensätze in Erscheinung treten müssen.

Es kam also zu einer vollständigen Isolierung dieser zusammenberufenen Kameraden; jeder operierte auf eigene Faust in Verbindung. mit dem entsprechenden Landesdelegierten. Diese Stellung wurde in der Territorialfrage innegehalten, wie auch in der Völkerbundsfrage. Es ist rührend, mit welcher Energie die verschiedenen Kameraden, auch Genosse Adler aus Österreich, sich abmühten, etwas zustande zu bringen, dem die äusserste Rechte, das Zentrum und die Linke zustimmen konnten. Interessant wurde dann dies Verhältnis auf dem Kongress dadurch, dass der eine Teil sich entschieden bemühte, eine Resolution über Sowjetrussland zustande zu bringen. Der Unterton dieser Bemühungen bestand darin, eine entschiedene Verurteilung der bolschewistischen Politik und eine entschiedene Verurteilung der Sowjetregierung durchzusetzen, nicht etwa um parteipolitisch dabei etwas ausgedrückt zu erhalten, sondern, wie ich vermute, die Leute wollten einer eventuell noch in Sicht stehenden Intervention der Entente gleichzeitig die Sanktion der sozialpatriotischen Konferenz verleihen. Es war klar, dass, wenn eine solche Resolution zustande käme, damit öffentlich bekundet würde, dass die Sozialpatrioten ihren Regierungen indirekt den Auftrag gegeben haben, »Ordnung zu schaffen in diesem Chaos« in Russland.

Dies war die Hauptabsicht. Eine zweite war die, dass mit der Annahme einer solchen Resolution gleichzeitig eine entschiedene Diskreditierung der Partei und der revolutionären Bewegung in Russland vor den Arbeitern des Auslandes sich vollziehe. Die Bemühungen, die nun die Oppositionellen, die ehemaligen Zimmerwalder, an den Tag legten, waren von Erfolg begleitet. Schon am dritten Tage wollten Leute wie Grumbach diese Resolution einbringen. Den Bemühungen des Gen. Adler ist es zu verdanken, dass beschlossen wurde, auf diese Frage nicht einzugehen. Adler begründete seinen Standpunkt damit, dass man über die Lage in Russland ungenügend aufgeklärt sei und über die Politik der Bolschewiki nicht genügende Informationen besitze. Man müsse mit einem solchen Beschluss zurückhalten, bis durch persönlichen Einblick in die Verhältnisse Russlands von einer entsprechenden Kommission die Frage der Beurteilung der Politik der russischen Sowjetregierung entschieden werden könne. Zwei Tage darauf machte Grumbach einen neuen Vorstoss. Vor allem erklärte der Franzose Renaudel, sie seien ausserstande, nach Frankreich zurückzukehren, ohne dass eine entsprechende Stellung des Kongresses in dieser sehr wichtigen Frage herbeigeführt sei. Ihnen schwebte auch vor, durch die Verurteilung der bolschewistischen Politik den unter der Arbeiterschaft Westeuropas immer mehr und mehr sich ausdehnenden Sympathien gegenüber den russischen Revolutionären einen Damm entgegenzusetzen, eine Barriere vorzulegen. Die Bewegung der Arbeiter in Westeuropa ist bereits darauf eingestellt, sich fast ausschliesslich nur noch mit den Fragen der revolutionären Bewegung in Russland zu beschäftigen, und es ist typisch und darf gesagt werden, dass die Arbeiter fast aller Länder sich um diese achttägige Sitzung der Sozialpatrioten in Bern gar nicht kümmern. Viel Wesens von ihr machten die Bürgerlichen; die hatten viel Arbeit, um zu beweisen, wie tüchtig die Arbeit dieser Konferenz sei und was für grosse Politiker es wären, die den Weg gefunden hätten, den auch die Bourgeoisie einzuschlagen in der Lage wäre. Die Arbeiter dagegen erkannten, dass die wirklichen Revolutionäre dort nicht vertreten waren, und nur das Erscheinen Adlers war geeignet, dieses Bild zu verwirren. Einige Genossen haben sich dann wirklich so benommen, dass wir in ihnen eine gute Unterstützung gefunden haben, so z. B. bemühte sich der Gen. Morgari aus Italien, der ausdrücklich erklärte, nicht an der Konferenz teilzunehmen und der wesentlich als Vertreter der italienischen Presse sich beteiligte, verschiedentlich, linksstehende Elemente zu veranlassen, eine ablehnende Stellung einzunehmen. Gen. Loriot hat durch seine Erklärung das wahre Gesicht der Berner Konferenz gekennzeichnet. Es ist auch zu bemerken, dass die norwegischen Genossen ebenfalls eine Erklärung einreichten, dass sie auftragsgemäss zwar an der Konferenz teilnehmen müssten, sie wären aber über den Charakter der Konferenz nicht genügend informiert gewesen, hätten sich daher der Stimmabgabe enthalten und seien veranlasst worden, ihrer Arbeit einen rein informatorischen Charakter zu verleihen. Sie würden jede Verantwortlichkeit ablehnen, und die Beschlüsse erklärten sie für sich in keiner Weise verbindlich. Sie würden zurückgehen, um den wahren Charakter der Konferenz ihrer Partei zur Kenntnis zu bringen. Die Delegierten erklärten, ihre Partei veranlassen zu wollen, den endgültigen Bruch mit der II. Internationale zu vollziehen und den Antrag zu stellen, sich der Dritten Internationale zuzuwenden.

Eine weitere Aufgabe der Schweizer Genossen bestand darin, sich zu bemühen, die einzelnen Delegierten, die nach Bern kamen, in Gespräche privaten Charakters zu verwickeln, um zu erfahren, wie die Bewegung in den einzelnen Ländern stehe. Ich möchte Ihnen hier einige Äusserungen unserer Genossen kundtun, selbst auf die Gefahr hin, den grossen Hoffnungen einen schwachen Dämpfer geben zu müssen.

Die ersten Genossen, die uns eingehend Bericht erstatteten, waren die Italiener. Morgari erklärte, dass in Italien nach seinem Dafürhalten die Revolution noch nicht unmittelbar vor der Tür stehe, denn die Demobilisation würde von der Regierung künstlich verhindert. Die Truppenmassen würden noch weiter in fremden Gebieten gehalten, und erst wenn die Demobilisation sich vollzöge, würde die Situation eine derartige werden, dass das Proletariat, getrieben durch Hunger und Missstimmung, die die zurückkehrenden Soldaten in der Bevölkerung säten, das Signal zur Revolution geben würde. Er war in bezug auf den Zeitpunkt des Ausbruchs pessimistischer gestimmt als andere Genossen in Italien! Dagegen war eine Äusserung interessant, nämlich, dass die Entwicklung in der Partei und in den Gewerkschaften derartig sei, dass sie sich der extremsten Auffassung innerhalb der revolutionären Internationale zugewendet hätten, und es wurde uns bekannt, dass die italienische Partei sich für die Diktatur des Proletariats ausgesprochen hatte. Das ist nicht erstaunlich, wenn man weiss, dass dort unten die Lage eine derartige ist, dass, wenn das Proletariat zu einem Aufstand gelangt, es keinen Halt mehr gibt, bis die Diktatur des Proletariats verkündet sein wird. Die italienischen Genossen sind also der Auffassung, dass in Italien eine der russischen Revolution verwandte Bewegung entstehen werde.

Einem Bericht des Gen. Loriot entnahmen wir, dass vier Fünftel der Arbeiter in Frankreich ganz entschieden gegen eine Intervention in Russland seien. Er erklärte, dass bei einer interventionistischen Aktion der französischen Regierung in Russland die Arbeiter das nicht ruhig hinnehmen würden, sondern ein revolutionärer Kampf herbeigeführt würde. Es- bestehe nur die Möglichkeit, mit Hilfe von Kolonialvölkern die Intervention in Russland zu betreiben; mit den eigenen Soldaten sei das nicht mehr möglich. Die Demobilisation der Truppen hätte zwar die revolutionäre Stimmung in den Massen gehoben, und vor allem die zurückkehrenden Soldaten seien so gestimmt, dass man Ereignisse erwarten könne, doch bedürfe es noch einiger Zeit, um diese Stimmung in den Massen so weit zu verdichten, dass sie politisch ihren Ausdruck finden könnte. Loriot erklärte, dies sei hauptsächlich bei den Arbeitern im Seinedistrikt der Fall. Er könne nicht erklären, dass er über eine grosse Zahl von Anhängern verfüge und dass eine Parteigruppe von vielen Zehntausenden von Genossen hinter ihm stehe, doch sei sein Einfluss auf die gesamte Arbeiterschaft viel grösser als zahlenmässig seine Partei sich repräsentieren kann. Die Propagandamöglichkeit wird jetzt, nach dem Besuch in Bern, noch erhöht werden können, da der Ausgang den Sozialpatrioten nicht günstig war und die Differenzen in der französischen Partei nur grösser werden.

Eine Rücksprache mit einem anderen Genossen aus Gewerkschaftskreisen ergab, dass die Gewerkschaftler bereits eine entschiedene Stellung gegenüber den Sozialpatrioten in Frankreich einnehmen; er glaubt, dass die Ministerialsozialisten mit ihrem Anhang in kürzester Zeit ganz aus der Partei herausgedrängt würden. Auch für die Syndikalisten bietet sich bei der jetzt verminderten Zensur Gelegenheit, eine ausgedehntere revolutionäre Propaganda als bisher zu betreiben. Alle, von Loriot bis zu Longuet, erklärten übereinstimmend, dass sie schützend vor den russischen Genossen stehen werden, denn was die Bewegung im Osten auch an Fehlern aufzuweisen hätte, sicher sei, dass sie eine echt proletarische Bewegung sei, und es wäre nicht Sache der Genossen Westeuropas, in kritischer Form diesen Genossen entgegenzutreten. Aus den englischen Delegierten konnte wenig herausgeholt werden. Soweit wir wissen, ist es auf Grund einer Abmachung zwischen den einzelnen Parteien in England so weit gekommen, dass immer die Mehrheit, die sich auf einer Konferenz bildet, auf der alle Arbeiterparteien vertreten sind, bestimmt, welche Personen als Auslandsdelegierte abgeordnet werden sollen. Die Delegierten gaben zu, dass auch in England eine äusserst starke Bewegung unter den Arbeitern bestehe, und dass es viele gäbe, die sich entschieden gegen den Besuch der Sozialpatriotenkonferenz ausgesprochen hätten und ihre Sympathien mit den revolutionären russischen Genossen bekundeten. Sie sagten allerdings, dass in England den Kämpfen keine revolutionäre sozialistisch-umwälzende Bedeutung zukomme, sondern dass sie eine rein ökonomische Bewegung in grandiosen Dimensionen seien. Wir dürfen wohl annehmen, dass diese ökonomische Arbeiterbewegung in England sich sehr bald zu einer wirklich revolutionären Bewegung entwickeln wird.

Als letzten, den wir über die Verhältnisse in seinem Lande befragt haben, erwähne ich den Gen. Adler aus Österreich. Seine Antworten gaben uns vollkommene Klarheit über die Stellung, die er gegenüber der Kommunistischen Partei in Deutsch-Österreich einnimmt. Er erklärte, zuerst hätte er einer Periode der politischen Orientierung bedurft und danach trachten müssen, seine Person wieder zu legalisieren. Als er dann befragt wurde, aus welchen Gründen er sich nicht an die Spitze der Kommunisten stelle, da erklärte er, es sei ihm unmöglich, an dieser Bewegung teilzunehmen, weil er der Hoffnung sei, innerhalb der Partei eine so starke Linksströmung herbeizuführen, dass man das Proletariat Österreichs einig in den Kampf gegen die Bourgeoisie führen könnte. Ein näheres Eingehen in die Verhältnisse in Österreich und in seine Stellung zu der Wiener Arbeiterschaft zeigte auch, dass Adler vor dem wachsenden Chaos zurückschreckte. Er wollte der Mann des Aufbaus sein und erklärte rundweg, dass, wenn der Politik der Kommunisten nachgegeben würde, mit Bestimmtheit zu erwarten wäre, dass Wien einer völligen Entvölkerung entgegengeführt würde, denn der Klassenkampf zwischen Bauer und Städter würde zur Lebensmittelsperre führen. Diesen Gedankengang ist eine ziemlich starke Bedeutung beizumessen, die uns erklären kann, aus welchen Gründen er eine so zögernde Haltung einnimmt.

Sie sehen aus diesem Bericht, dass die Bemühungen dieser Genossen, für uns einzutreten, nicht übermässigen Erfolg aufzuweisen haben. Das eine glaube ich, dass die Bewegung in den einzelnen Ländern imstande ist, einigen von ihnen die Augen zu öffnen, so dass sie nachträglich sich von der II. Sozialpatrioteninternationale lossagen und sich der III. Kommunistischen Internationale anschliessen werden. »Mit oder gegen die Arbeiter« ist als Gewissensfrage vor die Führer gestellt worden. Die klassenbewussten Arbeiter werden sich der neuen Kommunistischen Internationale anschliessen, mit oder ohne ihre bisherigen Führer.

Gen. Lenin. Das Wort hat der zweite Referent Genosse Sinowjew.

Gen. Sinowjew. [Wir haben noch zwei Richtlinien] zu besprechen: die erste – unser Verhalten zu der Berner Konferenz der Sozialpatrioten; die zweite: unser Verhalten zu den Grundrichtungen innerhalb der modernen Arbeiterbewegung überhaupt. Das Hauptmaterial zu der ersten Frage schöpfte ich aus einer soliden bürgerlichen Zeitung, »Neue Züricher Zeitung«, die der Berner Konferenz sehr wohlwollend gesinnt ist und die über diese Konferenz sehr ausführliche, fast stenographische Berichte gebracht hat. Bezeichnend sind schon die Umstände, unter denen die Eröffnungssitzung stattfand. Die Konferenz wurde von Branting eröffnet, und in seinen ersten Worten gedenkt er der Entstehung der Internationale und ihres Präsidenten Jaurès, zu dessen Ehren sich alles erhebt. Dann, fährt der Bericht fort, schlägt Herr Branting vor, einen zweiten Mann zu feiern, einen Lebenden, und zwar Herrn Wilson. Sie sehen Genossen, schon die ersten Worte des Vorsitzenden waren sehr bezeichnend: zur linken Hand unser verstorbener Jaurès, zur rechten der noch lebende Wilson!… Kommentare sind überflüssig.

Darauf ergreift Herr Albert Thomas, der ehemalige Kriegsminister Frankreichs, das Wort. Seine Rede bringt Bewegung in die apathische Versammlung. Thomas erklärt:
»Die Konferenz soll Resolutionen fassen, aber welche Wirkung werden sie haben? Vor dem Kriege bestand die Internationale, jetzt hat sie sich wieder zusammengefunden, aber seid Ihr dieselben, und ist das gegenseitige Vertrauen noch da? Hier ist das Problem, und das ist der Grund der Absage Belgiens«.

Herr Thomas, einer der einflussreichsten Teilnehmer dieser Konferenz, sagte die Wahrheit. Er sagte, wie es in einem russischen Sprichwort heisst: Wenn Du einmal gelogen hast, so wird man dir danach niemals wieder Vertrauen schenken. Den Worten Thomas lag die Frage zu Grunde: nachdem Ihr vier Jahre gelogen habt, wer wird euch jetzt glauben? Herr Thomas zielte gegen die deutschen Sozialpatrioten aber diese konnten mit demselben Recht Herrn Thomas dieselbe Frage stellen, und sie hätten beide Recht gehabt.

In der zweiten Sitzung wurde von Herrn Henderson, einem der einflussreichsten Führer der II. Internationale, folgende Resolution eingebracht:
»Die Konferenz beschliesst, dass ihre Arbeit in solcher Weise fortgesetzt wird, die ihr im Interesse der Arbeiter und der sozialistischen Bewegung der vertretenen Länder den grössten Einfluss auf die Pariser Konferenz verschafft«.
In diesen Worten ist die Hauptaufgabe der Berner Konferenz bezeichnet, und diesen Worten begegnen wir viele Male bei Henderson und bei den anderen; sie sehen ihre Aufgabe ausschliesslich darin, einen möglichst grossen Einfluss auf die Pariser Konferenz auszuüben. Das ist die politische Aufgabe der Berner Konferenz. Und weiter sagt die Resolution Hendersons:
»Die Konferenz anerkennt auch, dass der Krieg Missverständnisse und starke Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die einzunehmende Haltung zur Folge hatte«.

Also während viereinhalb Jahre hätten wir nur kleine »Missverständnisse« innerhalb der Arbeiterbewegung gehabt. Das höchste, wozu sich die Resolution Hendersons aufschwingt, ist, dass sie den Forderungen, die auch von Vibaut und Kautsky ausgesprochen sind, nachkommt, nämlich: nicht die Vertreter der Regierungen sollen die Frage des Völkerbundes bestimmen, sondern die Vertreter der Parlamente. Also nicht die Vertreter der Arbeiter und Soldaten, sondern die Vertreter der bürgerlichen Elemente, da Regierungen und bürgerliche Elemente in der Hauptsache doch dasselbe sind. Herr Wilson beherrschte geistig diese Konferenz, obwohl er nicht anwesend war. Huysmans hatte in der vierten Sitzung der Konferenz eine Resolution unterbreitet über die Einsetzung einer Kommission, bestehend aus Henderson, Branting und Huysmans und je zwei Delegierten, um den grösstmöglichsten Einfluss auf die Pariser Konferenz auszuüben und die Ausführung der Beschlüsse zu überwachen. Als aber ein Mitglied des Zentrums ein paar Worte gegen Wilson gesagt hatte, da stand Millhaud auf und erklärte, dass er mit Protest die Konferenz verlassen müsse, wenn Wilsons Politik nicht gebilligt werde. Sofort stand Huysmans auf und beruhigte ihn, es könne keine Rede davon sein, dass man die Politik Wilsons nicht billige.

Die erste Frage auf der Konferenz war die sogenannte Schuldfrage, die mit der Territorialfrage eng verbunden war. In der Schuldfrage vertieften sie sich bis in das kleinste Detail über diesen oder jenen Schritt des betreffenden bürgerlichen Ministers vor dem Kriege. Man wollte eben über die Hauptsache dem Proletariat nicht die Augen öffnen, nämlich, dass die Schuldigen das Finanzkapital beider Koalitionen und die Sozialpatrioten selbst sind.

In der Territorialfrage und in der Frage des Völkerbundes erreicht die Zweideutigkeit der Berner Konferenz ihren Gipfel, und dennoch hatten die Herren Thomas und Henderson ziemlich volle Klarheit zugunsten der Bourgeoisie erlangt. Sie haben beschlossen, das sogenannte Selbstbestimmungsrecht durch Volksabstimmung zu erwirken, aber im Punkt 2 der Resolution über die territorialen Fragen fordert die Konferenz:
»In umstrittenen Gebieten Entscheidung über die Zugehörigkeit durch Volksabstimmung unter Kontrolle des Völkerbundes, der in letzter Instanz entscheidet«.
Also der Kontrolle des Völkerbundes ist das Entscheidungsrecht in dieser Frage überlassen, dieses Völkerbundes, der sich aus bürgerlichen Imperialisten zusammensetzt!

Sie haben auch nebenbei die Kolonialfrage berührt, haben aber nicht gewagt, diese Frage ausführlich zu besprechen. Die deutschen Sozialpatrioten haben die Konferenz angefleht, man solle doch die deutschen Kolonien Deutschland überlassen, d. h. der Ausbeutung des deutschen Kapitals. Man hat ihnen keine direkte Antwort gegeben. Die Franzosen und Engländer hielten es für selbstverständlich, dass die Kolonien der Ausbeutung des französischen und englischen Kapitals überlassen werden. In Punkt 5 der obenerwähnten Resolution fordert die Konferenz:
»Schutz der Bevölkerungen der abhängigen Gebiete, Kolonien und Protektorate durch die Gesellschaft der Nationen, die dahin zu wirken hat, dass Einrichtungen getroffen werden, die deren eingeborene Bevölkerungen möglichst rasch zu staatlicher Selbstbestimmung entwickeln«.
Wie der Völkerbund die Kolonien schützen wird, können wir uns vorstellen. Also keine einzige Silbe in der Resolution davon, dass überhaupt die Knechtung der Kolonien aufhören solle, keine Silbe von dem, was Kautsky einmal geschrieben hat:
»Weg von den Kolonien, nieder mit der Ausbeutung der Kolonien«
sondern nur eine Verkleisterung dieser bürgerlichen Politik gegenüber den Kolonien. Das waren die Hauptlinien der Politik der Mehrheit der Berner Konferenz.

Dann hat sich aber auch eine kleine Gruppe der alten Zentrumsleute, der Pazifisten, gebildet, an ihrer Spitze Vibaut, Kautsky und Bernstein. Diese Leute haben nur mit süsslichen Phrasen die imperialistische Politik der Mehrheit verdeckt. So hat Vibaut eine Resolution eingebracht, die folgendermassen lautet:
»Die Vereinigung der Völker zu einer Gemeinschaft gehörte von Anfang an zu den vornehmsten Idealen der sozialistischen Internationale. Dieses Ideal entspricht der Solidarität der Proletarier aller Länder und auch dem sozialistischen Endziel!«
Es handelt sich aber darum, zu welcher Gemeinschaft. Zu einer solchen, wie der Völkerbund? Sie wäre schwerlich das ideal der sozialistischen Internationale. Man hat viele Phrasen gedroschen, dass die Gemeinschaft neue Kriege zu verhindern hätte, aber kein einziges Wort davon, wie sie verhindert werden sollen. Herr Troelstra, der Führer der holländischen Sozialpatrioten, hatte sich auch als Pazifist aufgespielt und erklärte, dass wir, die russischen Bolschewiki, Schuld hätten, dass der Krieg nicht schon Anfang 1917 abgebrochen wurde. Die Brussilowsche Offensive bedeutet den Anfang des Bolschewismus, und wenn die Stockholmer Konferenz nicht vereitelt worden wäre, hätten sich die Ereignisse in Russland sicher anders entwickelt. Es wäre notwendig, Paris zu verhindern, den Bolschewismus künstlich in Deutschland zu fördern. Ich glaube, wir können antworten, dass, welche Schritte sie auch machen werden, sie trotz allem den Bolschewismus in Deutschland ebenso wie auch in allen anderen Ländern fördern werden. Die Geschichte hat ihnen keinen Ausweg gelassen.

Die allerwichtigste Frage auf der Konferenz in Bern war die Frage der Beurteilung der Lage in Russland oder die Verurteilung des Bolschewismus. Wir müssen hier mit Genugtuung konstatieren, dass eine ganze Anzahl unserer französischen Genossen glänzend gegenüber der Mehrheit aufgetreten ist, und dass wir ihnen im Namen unserer Partei Dank aussprechen müssen. Sie haben ihre proletarische Pflicht erfüllt, obwohl es von vornherein ein Fehler war, an der Konferenz teilzunehmen. Paul Faure und Loriot, das sind die einzigen gewesen, die den Herren Sozialpatrioten die Wahrheit ins Gesicht gesagt haben. Am merkwürdigsten war die Rede Kautskys, des Führers des Zentrums, er erklärte, man müsse gegen den Bolschewismus kämpfen schon darum, weil er sich mit der russischen Revolution nicht identifiziere. Er meint wahrscheinlich, dass die russische Revolution sich mit den Menschewiki, d. h. mit der Gegenrevolution, identifizieren müsse. Die wichtigste Aufgabe der heutigen Zeit ist nach Kautsky, die verarmte Menschheit wieder reicher zu machen und die Produktion wieder in Gang zu bringen. Auf welcher Grundlage sie wieder in Gang zu bringen ist, das interessiert ihn nicht; man soll die Menschheit reicher machen, die kapitalistische Produktion wiederherstellen und dann erst den Kampf um den Sozialismus beginnen. Kautsky geht zur Kritik der bolschewistischen Arbeit während eines Jahres über und erklärt:
»Die russische Revolution hat die grossen Industrien ruiniert, die proletarischen Organisationen zerstört und die Arbeiter, die nicht zu Grunde gingen, gezwungen, wieder auf das Land zurückzukehren. Die Bolschewiki wollen den Sozialismus durchführen. In Wahrheit aber ist ihr einziges positives Ergebnis die Schaffung eines neuen Militarismus«.
Dabei erntet er starken Beifall. Selbstverständlich gefällt unsere Rote Armee diesen Leuten nicht, und alle, die ziemlich starken Grund haben, sie auch im eigenen Lande zu meiden, mussten ihm Beifall spenden. Kautsky fährt fort:
»Wir müssen eine klare Stellung zum Bolschewismus einnehmen, um nicht das Vertrauen der Massen zu verlieren«.
Wir können ihm antworten, dass man das nicht verlieren kann, was man nicht hat! Durch klare Stellungnahme, d. h. durch gegenrevolutionäre Stellung zum Bolschewismus, konnten die Leute nur das Vertrauen der Herren Imperialisten gewinnen. Die Genossen Faure und Loriot haben auf diese Rede geantwortet. Loriot sagte: Lasst uns zunächst die Diktatur der Bourgeoisie behandeln – und erklärte dann, dass auch in den bürgerlichen Republiken diese Diktatur der Bourgeoisie ausgeübt werde, genau wie in den Monarchien. Er hatte Bernstein damit an den Kragen gepackt, denn Bernstein hatte eine ausgesprochene Pogromrede gegen den Bolschewismus gehalten.

Sie wissen, dass die Konferenz keine Resolution gegen den Bolschewismus fassen konnte. Die kleine Opposition, die sich herausgebildet hatte, hat es erwirkt, dass die Konferenz zu keinem Beschluss gekommen ist. Wir wollen darin nicht einen diplomatischen Sieg der einen oder der anderen Gruppe sehen, sondern erblicken darin den direkten Beweis dafür, dass die wirklichen Massen des westeuropäischen Proletariats uns nicht nur verurteilen wollen, sondern dass sie sogar mit Sympathie auf uns sehen. Die Konferenz hat die wichtigsten Fragen, die jetzt die breiten Massen der Arbeiterklasse interessieren, einfach übergangen. Die Konferenz hat nicht gewagt, ihre klare, offene Meinung über das Arbeiterrätesystem zu sagen. Sie haben ihre geistige Armut damit gezeigt, sind theoretisch bankrott geworden, wie Gen. Lenin gestern bereits ausgeführt hat. Sie haben kein einziges Wort über das, was wir geschaffen haben, gesagt. Sie hätten es verurteilen können, aber sie mussten doch wenigstens eine klare Stellung uns gegenüber einnehmen. Sie konnten aber nichts sagen, und ihre Haltung erinnert mich an die Haltung des Kongresses der Metallarbeitergewerkschaften in der Schweiz am 9. Dezember 1918. Da musste die Arbeiterrätefrage besprochen werden aus folgenden Gründen: ziemlich viele Metallarbeiter forderten von ihren Gewerkschaften, man solle die Gründung von Arbeiterräten als Losung aufstellen. Daraufhin haben sich die Gewerkschaftsfunktionäre damit beschäftigt und haben eine Resolution gegen die Arbeiterräte gefasst, weil die Arbeiterräte und ihre Tendenzen sich gegen die Zentralorganisationen richten, und was die Hauptsache ist, sie wären… statutenwidrig! Diese alten Leiter der sozialpatriotischen Bewegung können gegen die historische Bewegung nichts anderes sagen, als dass sie statutenwidrig sei. Damit haben sie ihre geistige Armut auf das Äusserstmögliche bezeugt.

So war die Arbeit dieser Konferenz. Nach dieser Arbeit ist eine Delegation nach Paris gewandert. Die Delegation wurde sogar von Herrn Clemenceau, dem reaktionärsten Vertreter der modernen Bourgeoisie, empfangen. Herr Clemenceau erklärte, dass die Berner Konferenz im grossen und ganzen dieselben Wege gehe wie die Pariser Konferenz. Er hat der Delegation vorgeschlagen, in den betreffenden Kommissionen an der Pariser Konferenz teilzunehmen. Damit hat er öffentlich bestätigt, dass die Berner Konferenz tatsächlich nur ein Werkzeug der Pariser Konferenz der Imperialisten sei. Damit ist die Konferenz gekennzeichnet. Ich hoffe, dass die grosse Mehrheit der Arbeiterklasse aller Länder diese Konferenz ebenso kennzeichnen wird wie wir. Die erste Weltlüge, die von der Vaterlandsverteidigung, ist von den Arbeitern gut erfasst. Die erste Aufgabe, die der Berner Konferenz von der Pariser gegeben worden ist, besteht darin, dass sie die Arbeitermassen überzeugen soll, diejenigen Methoden der Liquidation des Krieges zu bestätigen, die die Bourgeoisie jetzt aufstellt, d. h. die ganze Schulden- und Steuerlast auf die Schultern der Arbeitermassen zu wälzen, die alten Formen der Armee bestehen zu lassen und gegen die Räte, gegen die Diktatur des Proletariats aufzutreten.

Genossen, ich glaube, wenn wir die Arbeit der Berner Konferenz genau ansehen, so müssen wir sagen, sie ist ein naturnotwendiger Ausfluss der ganzen Entwicklung vor und während des Krieges. Schon vor dem Kriege war es ganz klar, dass innerhalb der II. Internationale sich eine Richtung, eine Mehrheit herausgebildet hat, die auf dem Standpunkt des bürgerlichen Patriotismus, des sozialistischen Chauvinismus steht und nicht auf dem Standpunkt von Marx und Engels. Ich erinnere Sie an die Verhandlungen des Stuttgarter Kongresses. Ich erinnere Sie an das, was die Herren Revisionisten mit Bernstein und dem Holländer van Cool an der Spitze der II. Internationale öffentlich vorgeschlagen haben: man solle die Kolonialpolitik anerkennen, aber sie nur in humaneren Formen durchführen. Ich erinnere Sie ferner daran, dass in der betreffenden Kommission der Antrag der Revisionisten nur von einer geringen Mehrheit abgelehnt wurde. Schon damals haben sich die Hauptgruppen der II. Internationale in der Frage der Kolonialpolitik, d. h. in der Frage des Imperialismus, auf den Standpunkt der Bourgeoisie gestellt. Ich erinnere weiter an den Hauptsatz der Stuttgarter Resolution:
»Sollte der Krieg ausbrechen, so werden wir unsere Aufgabe darin sehen, die Massen aufzurütteln, um gegen den Kapitalismus zu kämpfen«.
Dieser Satz wurde beantragt von den Führern der Linken, Lenin und Rosa Luxemburg, und wurde nur unter dem Druck der Linken angenommen. Die Hauptlinien innerhalb der II. Internationale sehen wir schon in Stuttgart, 7 Jahre vor Anfang des Krieges, zutage treten. Sie kennen alle die Resolution von Basel, die einstimmig und einmütig angenommen wurde. Nun, ich möchte Sie erinnern, was Marcel Sembat ein paar Monate nach Basel geschrieben hat; er hat diese Politik den »grand pardon de Bâle« genannt. Resolutionen werden gefasst, aber kämpfen wird niemand. Er hat das schon vor dem Kriege vorausgesehen und hatte Recht.

Ich möchte Sie weiter erinnern, welche Stellung die Parteien vor Beginn des Krieges, wenigstens auf dem Papier, eingenommen haben. Man kann sagen, noch 24 Stunden vor Ausbruch des Krieges 1914 haben die Leute ganz anders geredet als jetzt. Es ist ein Buch von dem Wiener Professor Karl Grünberg erschienen. Er hat die Materialien über den Krieg während der ersten Kriegswochen und vor den ersten Kriegswochen gesammelt. Es ist die beste Anklageakte gegen die II. Internationale, und diese sollen wir jetzt reichlich ausnutzen. 24 Stunden vor Ausbruch des Krieges hat in Frankreich die »Humanité« das Zentralorgan der Partei, erklärt, dass der Krieg ein imperialistischer sei und für die Bourgeoisie geführt werden würde. Dasselbe haben der »Vorwärts«, das Scheidemannsche Zentralorgan, und die italienischen Parteiorgane und die Parteipresse fast aller Länder gesagt. Doch als der erste Schuss fiel, haben sie alle die Front gewechselt und am 4. August das weiss genannt, was sie noch am 2. August schwarz genannt hatten.

Diese Entwicklung kam nicht plötzlich, es kam, wie es kommen musste. Während 25 Jahren der friedlichen Bewegung hat sich der Bankerott der II. Internationale vorbereitet. Die drei Grundrichtungen, die wir unterscheiden, haben sich nicht während eines Tages, sie haben sich im Verlauf von Jahren herausgebildet. Wir haben drei Grundrichtungen: die Sozialpatrioten die vor, während und nach dem Kriege ganz dieselbe Linie verfolgen, die Linie des Imperialismus und der bürgerlichen Demokratie. Die zweite Richtung, das Zentrum, das noch vor dem Kriege besonders in der Gruppe Kautsky verkörpert war und die ganz dieselbe Politik nur unter anderen Umständen führte. Sie sind vor dem Krieg gegen die Linksradikalen aufgetreten und haben sie als Anarchisten verschrien. Als der Krieg ausbrach, kam Kautsky mit einer Broschüre und seiner berühmten Formel: »Kampf um den Frieden«, »Klassenkampf im Frieden«, d. h. kein Klassenkampf während des Krieges. Dann seine Propaganda der Einheit mit den Herren Sozialpatrioten die geistig wie auch physisch zu Vollstreckern des Mordes an den Führern des Proletariats, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wurden. Derselbe Kautsky, der in Bern der Konferenz vorgeschlagen hat, durch Erheben das Andenken Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs zu ehren, kommt uns mit der Propaganda der Einheit mit den Mördern Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Die gegenseitige Amnestie, die jetzt Kautsky und ein Teil der Berner Konferenz gefordert haben, haben sich auch am Anfang des Krieges propagiert. Kautsky hat schon 1915 eine ganze Theorie der gegenseitigen Amnestie ausgearbeitet. Und im Jahre 1919, als der Krieg zu Ende war, und die proletarische Revolution anfing, da war es selbstverständlich, dass die Versicherungsgenossen sich gegenseitig Amnestie gewährten. Es ist die Frage, ob das Proletariat ihnen diese Amnestie erteilen wird, aber das wird nie geschehen. Das Proletariat wird jetzt nicht zulassen, dass die Frage des Zusammenbruchs der II. Internationale versteinert wird. Es wird die gewaltige Frage, die der imperialistische Krieg 1914–1919 erzeugte, beurteilen und lösen. Und wir sollen dazu beitragen, dass jeder einfache Arbeiter sich dafür interessiert, wir sollen jeden auffordern, diese Hauptfrage des Sozialismus zu studieren und zu verstehen, weshalb die II. Internationale zum Werkzeug der internationalen Bourgeoisie geworden ist, warum sie zusammengebrochen ist und warum wir eine III. Internationale aufbauen. müssen.

Es besteht ein Zweikampf zwischen der Berner gelben Internationale und der roten, die wir gestern gegründet haben. Und es kann kein Zweifel bestehen, dass die rote Internationale die gelbe besiegen wird, und zwar in kürzester Zeit.

Gen. Lenin. Wer wünscht das Wort zur Diskussion? Wir werden die Resolution zu dieser Frage der Resolutionskommission überreichen.

Gen. Sinowjew verliest die Resolution.

Die Stellung zu den sozialistischen Strömungen und der Berner Konferenz

Bereits im Jahre 1907, auf dem internationalen sozialistischen Kongress in Stuttgart, als die Zweite Internationale an die Frage der Kolonialpolitik und der imperialistischen Kriege herantrat, stellte es sich heraus, dass mehr als die Hälfte der Zweiten Internationale und der grösste Teil ihrer Führer in diesen Fragen den Ansichten der Bourgeoisie viel näher standen als dem kommunistischen Standpunkt von Marx und Engels.

Trotzdem nahm der Stuttgarter Kongress eine von den Vertretern des revolutionären Flügels N. Lenin und Rosa Luxemburg beantragte Abänderung an, die wie folgt lautete:
›Falls dennoch ein Krieg ausbricht, so sind die Sozialisten verpflichtet, sich zu seiner schnellsten Beendigung einzumischen und mit allen Mitteln die durch den Krieg hervorgerufene wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes zu benutzen und so den Sturz der kapitalistischen Herrschaft zu beschleunigen‹.
Auf dem Basler Kongress, der im November 1912, zur Zeit des Balkankrieges, einberufen war, erklärte die Zweite Internationale:

›Die Bourgeoisieregierungen mögen nicht vergessen, dass der deutsch-französische Krieg den revolutionären Aufstand der Kommune hervorrief und dass der russisch-japanische Krieg die revolutionären Kräfte Russlands in Bewegung setzte. Die Proletarier halten es für ein Verbrechen, zugunsten des kapitalistischen Gewinns, dynastischen Wetteifers und des Aufblühens diplomatischer Verträge auf einander zu schiessen‹.

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Noch Ende Juli und Anfang August 1914, 24 Stunden vor dem Beginn des Weltkrieges, fuhren die massgebenden Organe und Institutionen der Hauptparteien der Zweiten Internationale fort, den herannahenden Krieg als das grösste Verbrechen der Bourgeoisie zu verurteilen. Die sich auf jene Tage beziehenden Erklärungen der führenden Parteien der Zweiten Internationale bilden die beredteste Anklageschrift gegen die Führer der Zweiten Internationale.

• • •

Mit dem ersten Schuss, der auf den Feldern der imperialistischen Massenschlächterei fiel, verrieten die Hauptparteien der Zweiten Internationale die Arbeiterklasse und gingen unter dem Mantel der »Vaterlandsverteidigung« eine jede auf die Seite »ihrer« Bourgeoisie über. Scheidemann und Ebert in Deutschland, Thomas und Renaudel in Frankreich, Henderson und Hyndman in England, Vandervelde und de Brouckère in Belgien, Renner und Pernerstorfer in Österreich, Plechanow und Rubanowitsch in Russland, Branting und seine Partei in Schweden, Gompers und seine Gesinnungsgenossen in Amerika, Mussolini und Konsorten in Italien forderten das Proletariat auf, »Burgfrieden« mit der Bourgeoisie, »ihres« Landes zu schliessen, auf den Krieg gegen den Krieg zu verzichten und tatsächlich Kanonenfutter für die Imperialisten zu werden.

Dies war der Augenblick, in dem die Zweite Internationale endgültig bankerott wurde und umkam.

• • •

Die Bourgeoisie der reichsten Länder erhielt, dank dem allgemeinen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung, die Möglichkeit, durch kleine Almosen aus ihren riesigen Gewinnen die Spitze der Arbeiterklasse, die Arbeiteraristokratie, zu bestechen und zu verführen. Die kleinbürgerlichen »Mitläufer« des Sozialismus strömten in die Reihen der offiziellen sozialdemokratischen Parteien und wandten allmählich den Kurs ihrer Politik nach der Seite der Bourgeoisie hin. Aus den Leitern der friedlichen parlamentarischen Arbeiterbewegung, den Führern der Gewerkschaften, den Schriftführern, Redakteuren und Beamten der Sozialdemokratie bildete sich eine ganze Kaste einer Arbeiterbürokratie, die ihre eigenen selbstsüchtigen Gruppeninteressen besass und in Wirklichkeit dem Sozialismus feindlich war.

Infolge aller dieser Umstände entartete die offizielle Sozialdemokratie in eine antisozialistische und chauvinistische Partei.

Schon im Schosse der Zweiten Internationale zeigten sich drei Grundrichtungen. Im Lauf des Krieges bis zum Beginn der proletarischen Revolution in Europa traten die Umrisse dieser drei Richtungen mit vollster Deutlichkeit hervor:

1. Die sozial-chauvinistische Strömung (Strömung der »Mehrheit«), deren typischste Vertreter die deutschen Sozialdemokraten sind, die jetzt mit der deutschen Bourgeoisie die Macht teilen und zu Mördern der Führer der Kommunistischen Internationale Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geworden sind.

Die Sozialchauvinisten haben sich jetzt vollständig als Klassenfeinde des Proletariats erwiesen und verfolgen dasjenige Programm der »Liquidation« des Krieges, das die Bourgeoisie ihnen vorgesagt hat: Abwälzung des Hauptteils der Steuern auf die arbeitenden Massen, Unantastbarkeit des Privateigentums, Belassung der Armee in den Händen der Bourgeoisie, Auflösung der überall entstehenden Arbeiterräte, Belassung der politischen Gewalt in den Händen der Bourgeoisie, bürgerliche »Demokratie« gegen den Sozialismus.

Wie scharf auch die Kommunisten bisher gegen die »Sozialdemokraten der Mehrheit« gekämpft haben mögen, so ist den Arbeitern doch noch nicht die ganze Gefahr klar geworden, welche dem internationalen Proletariat von diesen Verrätern droht. Allen Werktätigen die Augen über das Judaswerk der Sozialchauvinisten zu öffnen und diese gegenrevolutionäre Partei mit bewaffneter Hand unschädlich zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der internationalen proletarischen Revolution.

2. Die »Zentrumsströmung« (Sozialpazifisten, Kautskyaner, Unabhängige). Diese Strömung begann sich noch vor dem Kriege, hauptsächlich in Deutschland, zu bilden. Am Anfang des Krieges deckte sich das »Zentrum« fast überall in seinen Grundrissen mit den Sozialchauvinisten. Der theoretische Führer des »Zentrums«, Kautsky, trat mit einer Verteidigung der Politik auf, welche die deutschen und französischen Sozialchauvinisten verfolgten. Die Internationale sei nur ein »Friedensinstrument«. »Kampf um den Frieden«, »Klassenkampf während des Friedens«, so hiess die Parole Kautskys.

Das »Zentrum« besteht vom Beginn des Krieges an auf der Grundlage der »Einheit« mit den Sozialchauvinisten. Nach der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg predigt das »Zentrum« weiterhin die gleiche »Einheit«, d. h. die Einheit der kommunistischen Arbeiter mit den Mördern der kommunistischen Führer, Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Bereits zu Anfang des Krieges begann das »Zentrum« (Kautsky, Viktor Adler, Turati, MacDonald) »gegenseitige Amnestie« zu predigen, welche für die Führer der sozialchauvinistischen Parteien Deutschlands und Österreichs einerseits und Frankreichs und Englands andererseits gelten sollte. Diese Amnestie predigt das »Zentrum« auch noch heute, nach Beendigung des Krieges, und verhindert dadurch die Arbeiter, sich die Ursachen des Zusammenbruchs der Zweiten Internationale klarzumachen.

Das »Zentrum« hat seine Vertreter nach Bern zur Internationalen Konferenz der Kompromisssozialisten entsandt und dadurch die Täuschung der Arbeiter durch die Scheidemann und die Renaudel erleichtert.

Es ist unbedingt erforderlich, die revolutionärsten Elemente vom »Zentrum« abzuspalten, was nur durch schonungslose Kritik. und Blossstellung der Führer des »Zentrums« zu erreichen ist. Der organisatorische Bruch mit dem »Zentrum« ist eine absolute historische Notwendigkeit. Es ist Aufgabe der Kommunisten jedes einzelnen Landes, den Augenblick dieses Bruches je nach der Entwicklungsstufe, welche die Bewegung bei ihnen erreicht hat, zu bestimmen.

3. Kommunisten. Auf dem Kongress der Zweiten Internationale, auf dem die kommunistisch-marxistischen Ansichten über den Krieg und die Aufgaben des Proletariats verteidigt wurden (Stuttgart 1907, Resolution Lenin-Luxemburg), blieb diese Richtung in der Minderheit. Die »linksradikale« Gruppe (spätere Spartakusgruppe) in Deutschland, die Partei der Bolschewiki in Russland, die »Tribunisten« in Holland, die Gruppe der Jugendlichen in Schweden, der linke Flügel der Jugendinternationale in einer Reihe von Ländern bildeten den ersten Kern der neuen Internationale.

Getreu den Interessen der Arbeiterklasse, verkündete diese Richtung von Anfang des Krieges an die Losung: Umwandlung des Imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg. Diese Richtung hat sich jetzt als III. Internationale konstituiert.

II.

Die Berner Sozialistenkonferenz vom Februar 1919 war ein Versuch der Galvanisierung des Leichnams der II. Internationale.

Die Zusammensetzung der Berner Konferenz zeigt offensichtlich, dass das revolutionäre Proletariat der Welt mit dieser Konferenz nichts, gemein hat.

Das siegreiche Proletariat Russlands, das heroische Proletariat Deutschlands, das italienische Proletariat, der kommunistische Teil des Proletariats Österreichs und Ungarns, das Proletariat der Schweiz, die Arbeiterklasse Bulgariens, Rumäniens, Serbiens die linksstehenden Arbeiterparteien Schwedens, Norwegens, Finnlands, das ukrainische, lettische, polnische Proletariat, der beste Teil des organisierten Proletariats Englands, die internationale Jugend und die Fraueninternationale haben sich demonstrativ geweigert, an der Berner Konferenz der Sozialpatrioten teilzunehmen.

Diejenigen Teilnehmer der Berner Konferenz, die noch einigen Kontakt mit der wirklichen Arbeiterbewegung unserer Zeit haben, bildeten eine Oppositionsgruppe, die wenigstens in der Hauptfrage: »Beurteilung der russischen Revolution« dem Treiben der Sozialpatrioten entgegentrat. Die Deklaration des französischen Genossen Loriot der die Mehrheit der Berner Konferenz als Handlanger der Bourgeoisie geisselt, ist die wirkliche Meinung aller klassenbewussten Arbeiter der ganzen Welt.

In der sogenannten »Schuldfrage« bewegte sich die Berner Konferenz immer in dem Rahmen der bürgerlichen Ideologie. Die deutschen und französischen Sozialpatrioten erhoben gegeneinander dieselben Beschuldigungen, die die deutschen und französischen Bourgeois einander entgegengeschleudert hatten. Die Berner Konferenz verlor sich in kleinlichen Details über diesen oder jenen Schritt der betreffenden bürgerlichen Minister vor dem Kriege und wollte nicht einsehen, dass der Kapitalismus, das Finanzkapital beider Koalitionen, und ihre sozialpatriotischen Lakaien die Hauptschuldigen des Krieges sind. Die Berner Sozialpatriotenmehrheit wollte den Hauptschuldigen des Krieges herausfinden. Ein Blick in den Spiegel, und sie hätten sich alle als Schuldige erkennen können.

Was die Berner Konferenz zur Territorialfrage erklärt hat, ist voll Zweideutigkeiten. Diese Zweideutigkeit ist das, was die Bourgeoisie braucht. Der reaktionärste Vertreter der imperialistischen Bourgeoisie, Herr Clemenceau, hat die Verdienste der Berner Sozialpatriotenkonferenz gegenüber der imperialistischen Reaktion anerkannt, indem er eine Delegation der Berner Konferenz empfangen und derselben vorgeschlagen hat, an allen betreffenden Kommissionen der Pariser Imperialistenkonferenz teilzunehmen.

In der Kolonialfrage kam deutlich zum Ausdruck, dass die Berner Konferenz im Fahrwasser jener liberal-bürgerlichen Kolonialpolitiker schwamm, die die Ausbeutung und Knechtung der Kolonien durch die imperialistische Bourgeoisie gerechtfertigt finden und dieselbe nur mit humanitär-philantropischen Phrasen zu verkleistern versuchen. Die deutschen Sozialpatrioten forderten die weitere Zugehörigkeit der deutschen Kolonien zum deutschen Reich, d. h. weitere Ausbeutung der betreffenden Kolonien durch das deutsche Kapital. Die dabei zutage getretenen Differenzen beweisen, dass die Sozialpatrioten der Entente auf demselben Standpunkte des Sklavenhalters stehen und die weitere Knechtung der französischen und englischen Kolonien durch das heimische Kapital als selbstverständlich betrachten. Damit zeigte die Berner Konferenz, dass sie die Parole »Weg von den Kolonien« gründlich vergessen hat.

In der Beurteilung des »Völkerbundes« zeigte die Berner Konferenz, dass sie in die Fussstapfen jener bürgerlichen Elemente getreten war, die durch den trügerischen Schein des sogenannten »Völkerbundes« die in der ganzen Welt wachsende proletarische Revolution bannen wollten. Statt das Treiben der Alliiertenkonferenz in Paris als einen Schacher mit Völkern und Wirtschaftsgebieten zu entlarven, sekundierte die Berner Konferenz es, indem sie sich zum Instrument derselben herabwürdigte.

Die unterwürfige Haltung der Konferenz, die die Frage der Arbeiterschutzgesetzgebung einer bürgerlichen Regierungskonferenz in Paris zu lösen überlassen hat, zeigt, dass die Sozialpatrioten sich bewusst für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Lohnsklaverei ausgesprochen haben und bereit sind, die Arbeiterklasse mit kleinlichen Reformen abspeisen zu lassen.

Die durch die Politik der Bourgeoisie inspirierten Versuche, die Berner Konferenz zu einer Beschlussfassung zu bringen, in der eine eventuelle bewaffnete Intervention in Russland durch die Zweite Internationale Deckung finden würde, wurden erst durch die Bemühungen der Opposition zu Fall gebracht. In diesem Erfolg der Berner Opposition über die ausgesprochen chauvinistischen Elemente sehen wir den indirekten Beweis dafür, dass das Proletariat Westeuropas mit der russischen proletarischen Revolution sympathisiert und gegen die imperialistische Bourgeoisie zu kämpfen bereit ist.

Die Furcht, die diese Lakaien der Bourgeoisie vor der unvermeidlichen Ausbreitung der Arbeiterräte haben, ist erkennbar durch das ängstliche Vermeiden, sich mit dieser welthistorischen Erscheinung auch nur im mindesten zu beschäftigen.

Die Arbeiterräte sind die wichtigste Erscheinung seit der Pariser Kommune. Durch die Tatsache, dass die Berner Konferenz diese Frage ignorierte, hat sie ihre geistige Armut, ihren theoretischen Bankerott öffentlich, bekundet.

Der Kongress der Kommunistischen Internationale betrachtet die »Internationale«, die die Berner Konferenz aufzurichten versucht, als eine gelbe, streikbrecherische Internationale, die nur ein Werkzeug der Bourgeoisie ist und bleibt.

Der Kongress fordert die Arbeiter aller Länder auf, einen entschlossenen Kampf gegen die gelbe Internationale aufzunehmen und die breitesten Massen des Proletariats vor dieser Lug- und Truginternationale zu bewahren.

• • •

Gen. Lenin. Wir haben diese Resolution, dann den Entwurf der taktischen Resolution zum Vortrag und einen Entwurf der Resolution vom Gen. Sadoul, der ins Deutsche übersetzt wird. Wir schlagen vor, alle diese Resolutionen der Redaktionskommission zu überweisen. Wird keine Einwendung erhoben? Also der Vorschlag ist angenommen. Dieser Punkt der Tagesordnung ist fertig. Jetzt geben wir das Wort dem Vertreter Chinas.

Der Vertreter Chinas hält eine Ansprache in chinesischer Sprache, sodann spricht er russisch [Wortlaut liegt nicht auf deutsch vor].

Gen. Lenin. Wir kommen zum Punkt 7 der Tagesordnung: »Die internationale Lage und die Politik«. Referent – Gen. Obolenski.

Gen. Platten. Parteigenossen, wir müssen die Sitzung abbrechen. Es ist keine Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsche vorhanden. Wir sind gezwungen, zu beantragen, dass die Sitzung jetzt abgebrochen wird und die Resolutionskommission den Auftrag erhält, die Thesen des Genossen Obolenski »Politik der Entente«, einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Die Kommission wird auch Bericht erstatten über eventuelle Abänderungsanträge, die jetzt schriftlich eingebracht werden können. Wir haben morgen noch die Frage des weissen Terrors, die Beschlussfassung über das Manifest und die Frage der Wahl des Büros und der Organisation zu erörtern. Das Büro schlägt vor, die Sitzung morgen um 11 Uhr zu beginnen, um 3 Uhr muss sie geschlossen werden. Es muss eine intensive und konzentrierte Arbeit geleistet werden, denn am Nachmittag findet im Grossen Theater eine öffentliche Versammlung statt. Darf ich Ihre Zustimmung voraussetzen? Es wäre also beschlossen, wir kommen morgen um 11 Uhr zusammen. Ich muss bitten, pünktlich zu sein, denn Genosse Lenin bemerkt eben, dass morgen um 11 Uhr angefangen wird, festzustellen, ob die Genossen vollzählig da sind oder nicht.



Source: »Der I. Kongress der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis zum 19. März 1919«, Bibliothek der Kommunistischen Internationale, Bd. VII, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg 1921. Digitalisierung und Bearbeitung: sinistra.net Februar/März 2001.

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