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DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI ITALIENS UND DIE FASCHISTISCHE OFFENSIVE (IV)


Content:

Die Kommunistische Partei Italiens und die faschistische Offensive (IV)
Weitere Lehren aus dem Auguststreik
Die Auflösung der Allianz der Arbeit
Fragen der militärischen Aktion
Die politische Entwicklung vom August-Streik bis zum »Marsch auf Rom«
Die Einschätzung des Faschismus auf dem IV. Kongress der KI. Radek und Bordiga
Die pluralistischen Jahre und die Entwicklung zur totalitären Herrschaft
Die »Matteotti-Krise«, Gramsci und die »neue KPI«
Anstelle eines Schlusswortes
Anmerkungen
Source



Die kommunistische Partei Italiens und die Faschistische Offensive 1921–1924 (IV)

Weitere Lehren aus dem Auguststreik

Wir haben uns lange bei dem Streik vom August 1922 und den ihm vorausgehenden proletarischen Kämpfen aufgehalten, weil daraus eine handgreifliche Bestätigung für wesentliche kommunistische Thesen hervorgeht: 1. die unentwegt konterrevolutionäre Rolle der reformistischen Sozialdemokratie, 2. die nicht minder konterrevolutionäre Rolle des Zentrismus am Beispiel des maximalistischen Flügels der sozialistischen Partei Italiens, 3. das Zusammenspiel von Sozialdemokratie, demokratischem Staat und Faschismus.

Was den ersten Punkt angeht, so ist es nützlich, einen kurzen Blick auf den 2. Parteitag der KPI zu werfen, der im März 1922 in Rom stattgefunden hatte[42]. Dort spielte sich eine heftige Auseinandersetzung zwischen den italienischen Kommunisten und dem KPD-Delegierten ab, dessen Thesen die Positionen des späteren IV. Kongresses der Kommunistischen Internationale (KI) vorwegnahmen und die Rolle der KPD als Vorreiter aller taktischen »Wenden« der Kl erneut bestätigten. Der KPD-Delegierte sprach sich nicht allein für eine politische Einheitsfront mit der Sozialdemokratie aus, sondern auch und vor allem für eine »Arbeiterregierung«, d. h. für eine sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung oder sogar unter direkter Beteiligung der Kommunisten, als »Brücke« zur revolutionären Machteroberung. Für uns hingegen durfte es keinen Zweifel über die ständige und unveränderliche Rolle der Sozialdemokratie geben: »Die Kommunistische Partei ist für die Revolution, was die Sozialdemokratie für die Konterrevolution ist (…). Wenn wir uns auf politischer Ebene weigern, den Noskes und Scheidemanns die Hand zu reichen, so nicht, weil an ihren Händen das Blut von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht klebt, sondern weil wir wissen, dass die revolutionäre Bewegung des Proletariats in Deutschland höchst wahrscheinlich schon gesiegt haben würde, wenn die Kommunisten unmittelbar nach dem Kriege der Sozialdemokratie niemals die Hand gereicht hätten. Warum will man das Bündnis mit der Sozialdemokratie? Etwa um das zu tun, was sie tun kann und tun will? Oder etwa um von ihr zu verlangen, was sie nicht tun kann und nicht tun will? Was möchte man von uns? Dass wir den Sozialdemokraten erklären, wir seien bereit, mit ihnen auch im Parlament und auch in der Regierung, in einer sogenannten ›Arbeiterregierung‹ zusammenzuarbeiten? Würde man dies von uns verlangen, würde man also von uns verlangen, im Namen der Kommunistischen Partei das Projekt einer Arbeiterregierung aus Sozialdemokraten und Kommunisten auszuarbeiten, würde man von uns verlangen, diese Regierung vor den Massen als eine »antikapitalistische Regierung« hinzustellen, so würden wir entgegnen – und wir würden die ganze Verantwortung für diese Antwort übernehmen –, dass eine solche Position im Gegensatz zu allen grundlegenden Prinzipien des Kommunismus steht. Wir würden doch unsere Fahne zerreissen, wenn wir diese politische Formel annähmen – unsere Fahne, auf der geschrieben steht, dass es keine proletarische Regierung gibt, die nicht auf der Grundlage des revolutionären Sieges des Proletariats errichtet wird«.

Entweder geht man davon aus, dass die Sozialdemokratie immer eine konterrevolutionäre Kraft darstellen wird, ob sie nun an der Regierung ist und die harte Methode anwendet, oder ausserhalb der Regierung steht und vorgibt, mit uns in Verteidigung »gemeinsamer« Positionen zu handeln; oder man geht im Gegenteil davon aus, dass die Sozialdemokratie ihre eigene Natur ablegen und daher zu unserem »Verbündeten« werden kann. In diesem Falle brechen aber unsere Theorie und unsere Aktion gänzlich zusammen, denn einerseits verschwindet unsere Existenzberechtigung und andererseits machen wir uns zu Helfershelfern einer konservativen Kraft.

Der Auguststreik lieferte für diese Einschätzung einen zusätzlichen, unwiderlegbaren Beweis. Zum Zeitpunkt der grossen Arbeiterkämpfe vom Herbst 1921 und Frühjahr 1922 war die Sozialdemokratie gegen einen Generalstreik gewesen. Hatten die Kommunisten darauf gedrängt, die »Allianz der Arbeit« (AA) müsse eine wichtige Episode des Kampfes gegen die Faschisten oder der faschistischen Offensive gegen das Proletariat zum Anlass nehmen, um den Generalstreik auszurufen, so hatten die Sozialdemokraten während des ganzen aktiven Lebens der AA diesen Vorschlag bekämpft. Und als die rechte Führung des Gewerkschaftsverbandes CGL schliesslich den Generalstreik beschloss, tat sie das ohne Rücksicht auf den wirklichen Verlauf des Kampfes, ohne angemessene Vorbereitung und in Verbindung mit einem schmutzigen parlamentarischen Manöver zur Regierungsumbildung. Den Streikbefehl, der ihr selbst zufolge hätte »geheim« bleiben sollen, gab sie durch eine ihrer Zeitungen preis, so dass die Ordnungskräfte rechtzeitig gewarnt wurden. Sie gab der faschistischen Erpressung, einem rein verbalen »Ultimatum« nach und befahl den Abbruch des Streiks, obwohl er die totale Zustimmung der Arbeiter gefunden hatte und in einer mächtigen Entwicklung begriffen war. Schliesslich machte sie aus dem Streikabbruch ein Alibi, um die Streikbewegung in Verruf zu bringen und die Kampfmoral des Proletariats zu zerstören:
»Wir müssen den Mut haben, anzuerkennen: der Generalstreik, den die AA ausgerufen und befohlen hat, war unser Caporetto[43]. Wir sind aus dieser Probe erbärmlich geschlagen hervorgegangen«.
Soweit die Lehre, welche die reformistischen Sozialdemokraten um Turati am 12. August in ihrer Zeitung »La Giustizia« im Namen der Arbeiterbewegung gezogen haben.

Was den Maximalismus angeht, so bestand seine Rolle im Laufe dieser ganzen entscheidenden Periode darin, dem rechten reformistischen Flügel Rückendeckung zu geben und sich hinter einer falschen »parlamentarischen Unnachgiebigkeit« zu verschanzen, um die Rechten daran zu hindern, sich an der Regierung zu beteiligen, d. h. um das Gesicht der sozialistischen Partei zu wahren und die Sabotage des proletarischen Kampfes durch die Reformisten zu vertuschen.

So zog die maximalistische Führung der PSI in ihrem Manifest vom 8. August eine einzige Lehre aus dem Streik:
»Wir müssen uns alle zurückziehen, und dies soll dazu dienen, die Fehler zu berichtigen, die Frontlinie zu begradigen und das Instrument des Kampfes zu vervollkommnen. Ergebung und Ungeduld sind dabei ausgeschlossen«.
Doch was war der Befehl zum Abbruch des Streiks, wenn nicht gerade eine völlige Kapitulation gewesen? Und wie konnte der erbitterte Kampf, der in einigen Grossstädten noch ablief, eine Schafsgeduld rechtfertigen? Die Führung der PSI verbarrikadierte sich wie üblich hinter der Notwendigkeit einer breiten und festen Organisation, deren Entstehung gerade sie immer verhindert hatte. Man müsse den Angriff des Staates und der Faschisten
»mit einer starken Organisation zurückschlagen«, erklärte sie in ihrem Manifest und: »Die Organisation ist mit der Ungeduld der einzelnen unvereinbar, denn sie verlangt Disziplin in der Aktion. Das ganze Proletariat, das das alleinige Mittel zur Erprobung seiner Kraft entdeckt hat, muss sich einer solchen Disziplin unterziehen. (…) Die PSI braucht die Anstrengung aller ihrer Mitglieder, um diesen Kampf, der sich vielleicht in der entscheidenden Phase befindet, weiterzuführen. Die Beweise für individuelle Opferbereitschaft, die ihr geliefert habt, sind bewunderungswürdig, sie reichen aber nicht aus. Die Raserei des Gegners verlangt mehr, und dabei an erster Stelle den Widerstand auf den in der öffentlichen Verwaltung eroberten Posten«.
Kein Wort zur Verurteilung der CGL-Führung, kein Tadel für Turati, der im Quirinal-Palast verhandelt, kein Hinweis auf die gerade laufenden bewaffneten Kämpfe – die grosse Sorge der Maximalisten an der Spitze der PSI besteht darin, die Kontrolle der Kommunalverwaltungen zu behalten! Unter der Überschrift »Der Maximalismus hat gesprochen« ging zwei Tage später »Il Comunista«, das Organ der KPI, auf die Haltung der sozialistischen Rechten wie des sozialistischen Zentrums ein und zeigte, wie diese Haltung unserer Einschätzung dieser zwei zusammenhängenden Seiten des reformistischen und legalistischen Verrats vollkommen entsprach:

»Zweimal schien es, als würde zwischen den zwei opportunistischen Strömungen ein Bruch stattfinden, weil die Reformisten entschlossen waren, in der Regierung mitzuwirken, während der Maximalismus stets eine schwachsinnige Unnachgiebigkeit beibehalten muss, um seine entnervende Unfähigkeit zur Massenaktion weiterhin mit Demagogie zu verdecken. Die Gruppe um Serrati hat an dem Reformismus jedoch niemals etwas anderes kritisiert, als seine parlamentarische Taktik. Vorausgesetzt, man wahrt im Parlament eine unnachgiebige Haltung, so ist alles übrige zulässig: der Pazifismus und der Defätismus gegen über dem Klassenkampf, die Entfaltung einer Propaganda, die alle revolutionären Werte anschwärzt, die Unterzeichnung von Übereinkommen mit den Vertretern des Faschismus (…). Hätten die Reformisten erklärt, dass sie aus Disziplin auf die Kollaboration verzichten, so hätte der Maximalismus ihnen vergeben. Man hat sich aber nicht darauf beschränkt. Nicht allein haben die Reformisten auf ihre Taktik keineswegs verzichtet; um diese Taktik durchzuführen, haben sie auch das grösste Verbrechen an der proletarischen Sache begangen, und lediglich infolge ihrer grenzenlosen Unfähigkeit wurden sie verdienterweise mit einem Fusstritt aus den Vorzimmern der königlichen Ministerien wieder verscheucht. Und so gelten sie wieder als Militanten der ruhmreichen und unnachgiebigen PSI. Das sozialistische Manifest äussert sich in der Tat überhaupt nicht zu der Frage der Verantwortungen in der jüngsten Bewegung und ebensowenig zu dem, was man tun muss, damit die proletarische Aktion auf eine neue Grundlage gestellt wird und so die offensichtlich gewordenen und verheerenden Mängel der AA – gerade die maximalistische Mehrheit überliess der AA die Vorherrschaft der Klassenkollaborateure – überwindet. Für solche Probleme braucht man wohl keine Parteitage und Diskussionen. Der Maximalismus ist schon zufrieden, wenn keine Regierung unter Beteiligung eines Modigliani oder eines Turati zustande kommt. Andere Sorgen hat er nicht …
Dies müssen sich auch die sozialistischen Arbeiter überlegen. Wenn sie die Augen nicht öffnen, wenn sie sich nicht den Programmen und Methoden der kommunistischen Partei zuwenden, wenn sie nicht lernen, den opportunistischen Betrug in allen seinen Äusserungen zu erkennen – wovon die demagogisch verbrämten die Schlimmsten sind – dann wird der Gegenangriff, auf den sich alle unsere Anstrengungen richten, unmöglich sein«.

Kommen wir schliesslich auf den dritten Punkt, auf den wir oben hingewiesen haben, das Zusammenspiel von Sozialdemokratie, demokratischem Staat und Faschismus. Die Sozialdemokratie bereitet den Boden für den Eingriff des Staates als »Organ zum Schutz der Rechtsordnung«; der Staat tritt mit seinen eigenen Kräften auf den Plan und legt den Weg für die Faschisten frei, die erst dann, dank der somit geschaffenen Umstände, die proletarischen Festungen zu »erobern« vermögen. Dies geht aus dem Bericht der KPI für den IV. Kongress der Kl vom November 1922, der auch andere Punkte erhellt, sehr deutlich hervor[44]:

»Die 48 Stunden (des faschistischen »Ultimatums«) verliefen ohne ernste Zusammenstösse. Die offiziellen Kreise der Faschisten bemühten sich zu beweisen, dass der Streik gescheitert sei. Am dritten Tag, wo mit einem überwältigenden Erfolg des Streiks zu rechnen war, wurde er von der AA jedoch zersetzt. Dann entfesselten die Faschisten ihre Vergeltungsaktionen. Da sie nicht mehr überall im Lande gebunden waren (…) und die Eisenbahn, die nicht mehr stillgelegt war, benutzen konnten, waren sie in der Lage, ihre Kräfte zusammenzuziehen, und sie griffen jene Städte an, in denen die Arbeiter während des Streiks die dortigen Faschisten angegriffen hatten (…). Dieser Kampf hatte fast ausnahmslos folgenden Charakter: Vom Stadtzentrum, in dem sie sich konzentriert hatten, starteten die Faschisten ihren Angriff auf die Arbeiterviertel. Man hat sie mit Schüssen, die von den Strassenecken, den Häusern, den improvisierten Barrikaden und Verschanzungen abgefeuert wurden, empfangen. Die Frauen halfen ihren Männern, Steine und Gegenstände aller Art ergänzten die unzureichende Bewaffnung.
Um Hilfe bittend zogen sich die Faschisten zurück, und die öffentlichen Ordnungskräfte traten auf den Plan mit Maschinengewehren und Panzerwagen: Ein Kugelhagel prallte gegen die Häuser, die von Hunderten von Bewaffneten gestürmt wurden. Alle Bewohner, die im Verdacht standen, sich verteidigt zu haben, wurden verhaftet. Danach kamen die Faschisten wieder, um zu zerstören, Feuer zu legen und zu plündern. Die Polizei, die sie zurückhalten sollte, hatte den Befehl, in die … Luft zu schiessen, und sie liess sie durch. Auf diese Weise wurden – von der Polizei und nicht von den Faschisten – Ancona und Livorno erobert, während Mailand, Bari, Rom und Genua noch Widerstand leisteten«[45].

In der Folge wurde in Mailand die sozialistische Stadtverwaltung durch die Schwarzhemden verjagt. Jene von Cremona und Treviso wurden aufgelöst, und in der Regel trat der Staat in allen solchen Fällen auf, um den Handstreich der Faschisten durch die Auflösung der bestehenden Stadträte rechtlich abzusichern. Gegen diese Aktion der legalen und »illegalen« Ordnungskräfte gab es allein in Terni und Citavecchia einen echten »Volkswiderstand«. Der Kreis um die grossen Arbeiterstädte schloss sich enger und enger; in Udine und Novara, in Piacenza und Cremona wurden grossen faschistische Kräfte massiert, und solche Konzentrationen von Kräften, die an erster Stelle auf eine Einschüchterung des Gegners abzielten, zeigten immer deutlicher, dass Unternehmer, Agrarier, Kaufleute, Intellektuelle und in weitem Masse die kleinbürgerlichen Schichten sich den Faschisten anschlossen.

Die Auflösung der Allianz der Arbeit

»Es muss sofort eine Konferenz der Delegierten aller örtlichen Organisationen der AA einberufen werden, um die Lage zu untersuchen und eine neue Welle der proletarischen Aktion zu organisieren«
– hatte die KP unmittelbar nach dem Streik geschrieben[46]. Es erübrigt sich zu sagen, dass dieser Aufruf weder von den Führern der AA und noch weniger von der CGL beantwortet wurde, und im übrigen sollte sich die Eisenbahnergewerkschaft, die ja Vorreiter der AA gewesen war, schon am 19. August von dieser wieder trennen, um die »eigene Aktionsfreiheit« zurückzuerlangen

Die Proletarier kämpften noch, oder sie suchten einen Weg, um den Kampf in Solidarität mit ihren Klassenbrüdern wieder aufzunehmen. Man musste ihnen Losungen geben, die, ohne jegliche Demagogie, dazu verhelfen würden, sie aus der ersten Welle der Ermattung und Demoralisierung nach dem plötzlichen Abbruch des Streiks herauszuführen; Losungen, die ihnen den Weg einer sicheren, unter besseren Bedingungen und auf einer gut abgegrenzten politischen Grundlage stattfindenden Wiederaufnahme des Kampfes gewiesen hätten. Das »Sichzurückziehen«, zu dem die PSI-Führung die Arbeiter aufrief, bedeutete in Wirklichkeit die Verabreichung einer neuen Opiumdosis, wozu die scheinbar beabsichtigte »Reorganisierung der Bewegung«, bzw. die angekündigte gründliche Bilanz der Ursachen für die Niederlage nur als Vorwand dienten. Der Weg, der zu befolgen war, sah ganz anders aus. Erstens musste man die noch kämpfenden Proletarier unterstützen. Dabei musste man zugleich um jeden Preis vermeiden, dass die infolge der Erstickung des Generalstreiks und der Gegenoffensive des Staates und der Faschisten unvermeidliche Demoralisierung um sich griff. Man musste den Proletariern das Gefühl geben, dass sie nicht nur »moralisch«, sondern vor allem materiell durch eine entschlossene und führungsfähige politische Kraft unterstützt wurden. Die ökonomischen Organisationen und insbesondere die Arbeitskammern, diese traditionellen Festungen des bewaffneten Widerstands, mussten geschützt werden – vor den Angriffen der legalen wie »illegalen« Ordnungskräfte, aber nicht minder vor den Manövern der CGL, die unter dem Vorwand, sich von der Niederlage zu erholen, dabei war, die Gewerkschaften auf Abwege und zu »Kampfmethoden« zu führen, deren Ergebnis nur die Preisgabe ihres Klassencharakters und – entsprechend der Reformisten wie Faschisten kennzeichnenden Ideologie – ihre Verwandlung in Organisationen der nationalen Partnerschaft bzw. in staatstragende Organisationen sein konnte. Nachdem der Versuch, eine Regierung unter Anschluss der Reformisten zu bilden, gescheitert war, begannen übrigens auch die Maximalisten der CGL, dieses Ziel zu verfolgen. Und auf diesem Wege hätten sie sich durchaus mit ihren »Feinden« im Schwarzhemd treffen können, wie später ihre deutschen Kollegen, die 1933 wirklich nichts unterlassen haben, um die Nazis von den Vorteilen einer Zusammenarbeit mit ihnen zu überzeugen.

Im Sinne der obigen Bedürfnisse veröffentlichte »Sindacato Rosso«, das Organ des zentralen Gewerkschaftsausschusses der KPI, das Manifest:
»Für das Kampfprogramm des Proletariats. Der Kampf war trotz allem nützlich. Das Proletariat wusste zu kämpfen, und ohne den Eingriff der legalen Staatskräfte gegen die Arbeiter hätten sich die Siege des Faschismus wahrscheinlich überall in Niederlagen verwandelt (…). (Die Partei) zeigte, dass sie über eine kampffähige Organisation, die zum Widerstand und zum Gegenangriff in der Lage ist, verfügt, und alle ihre Militanten haben in den Reihen der kämpfenden Massen ihre Pflicht erfüllt.[47]. (…)
Wie sieht die Lage nach dem Generalstreik aus? Die Bourgeoisie und der Faschismus rühmen sich eines endgültigen Sieges, was aber eine Lüge ist. Alle Nachrichten, die wir weiterhin sammeln«
(es handelt sich um eine von der Partei durchgeführte Umfrage über die Verantwortung für das Scheitern des Streiks, IKP) »zeigen, dass das Proletariat dem Streikaufruf einhellig folgte und sich nach wie vor nicht beugen liess. Der Klassenkampf wird nicht erlöschen. Weit davon entfernt, wird er sich zunehmend in einen offenen Krieg verwandeln. Das Proletariat hat eine neue Etappe seiner Vorbereitung auf die heute gebotenen und von den überkommenen Methoden so verschiedenen revolutionären Methoden hinter sich gebracht«.

Während die CGL-Bonzen und die Sozialisten die Lage ausnutzten, um die Gewerkschaften zu »demobilisieren« und die Proletarier zu demoralisieren und vom gewaltsamen Kampf abzulenken, gaben die Kommunisten die Losung der »Gewerkschaftseinheit des italienischen Proletariats ausserhalb des Einflusses der Arbeitgeber und des Staates« aus. Sie riefen zur Aufrechterhaltung der AA »trotz aller und gegen alle, die ihre Natur entstellt haben«, auf. Das Manifest schloss mit den Worten:

»Das Proletariat muss sich darauf vorbereiten, die Waffe der gleichzeitigen Mobilisierung all seiner Kräfte anzuwenden und alle Kämpfe zusammenzufassen, die sich infolge der bürgerlichen Offensive auf dem Boden der gewerkschaftlichen Aktion wie im täglichen Zusammenstoss mit den Faschisten weiterhin unentrinnbar vermehren werden (…). Der Generalstreik ist die entscheidende Waffe in diesem Krieg. Ohne an sich Wunder wirken zu können, ist er jedoch schlagkräftig, wenn er richtig organisiert und geführt wird. Nachdem die Hindernisse des Sozialpazifismus und alle Versuche, die Bewegung für parlamentarische Zwecke auszunutzen, beseitigt sein werden, wird das Ziel des nächsten allgemeinen Zusammenstosses, wenn nicht die politische Revolution so doch immerhin die Zurückhaltung der ökonomischen und militärischen Offensive des Feindes und die Eroberung von festen Machtstellungen sein.
Deshalb warnen die Kommunisten vor den Gefahren der von offenkundig unlauteren Führern befolgten Taktik und sie vertreten nach wie vor die Losung der allgemeinen Aktion des Proletariats gegen die Reaktion, d. h. die direkte Anwendung der Klassenkraft anstelle der flehentlichen Bitten an den Staat, er möge die Massen schützen. Die Arbeiterregierung erreicht man durch die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse, durch den Klassenkrieg, der viele Schlachten und Etappen kennt, auf den man jedoch nicht verzichten kann, wenn man nicht will, dass das Proletariat sein Haupt immer unter dies Joch beugt, das ihm die Sklavenhalter, diese treu ergebenen Prätorianer des Kapitals, mit bestialischer Gewalt aufzwingen wollen«.

Die CGL-Führer starteten eine Diffamierungskampagne; sie setzten falsche Gerüchte in Umlauf – darunter z. B., dass die Kommunisten (ausgerechnet sie!) die bestehenden Gewerkschaften spalten und eine neue bilden wollten – und sie eröffneten die Jagd auf die kämpferischsten Proletarier und Organisatoren in den Reihen der CCL, um sie durch jene Mitglieder zu ersetzen, die sich am bereitwilligsten gezeigt hatten, als es darum gegangen war, den Bonzen auf dem Weg des Verrats zu folgen. Die KPI ihrerseits rief am 6. September zu einem Kongress der »Gewerkschaftslinken« (»Drittinternationalisten«[48], Maximalisten, Syndikalisten, Anarchisten usw.) auf, um in folgenden Punkten, die auf allen Arbeiterversammlungen und Gewerkschaftstagungen zu propagieren und zu vertreten waren, Übereinstimmung zu erreichen:

»Die Gewerkschaftsorganisationen müssen von jedem Einfluss des Staates und der Arbeitgeberparteien unabhängig sein; ihr Banner muss die Befreiung der Arbeiter von der Ausbeutung durch die Kapitalisten sein. Die proletarische Einheitsfront zur Abwehr der kapitalistischen Offensive muss in der AA bestehen bleiben und erneuert werden, die AA muss zu einer geschlossenen Kraft der Organisationen, die sie ins Leben riefen, werden und sie muss so gestaltet werden, dass die Kräfte und der Wille der Massen in ihr zum Ausdruck kommen«.

Die Zusammenkunft fand am 8. Oktober statt, und obige Punkte wurden von allen Beteiligten mit folgender Zusatzklausel aufgenommen:
»Die AA muss so organisiert werden, dass Beschlüsse mit Stimmenmehrheit zu fassen sind und dass allen in den jeweiligen angeschlossenen Gewerkschaften tätigen Fraktionen eine weitestgehend wirklichkeitsentsprechende Vertretung und Stimmenanzahl anteilig gesichert wird.« Die Initiative wurde ausserdem begründet »als notwendige Vorbereitung des gewünschten endgültigen Zusammenschlusses aller ökonomischen Klassenorganisationen des italienischen Proletariats zu einer einzigen Organisation.«

Selbstverständlich haben alle Bonzen, und zwar nicht allein die Führer der CGL, sondern auch die anarchistischen und syndikalistischen, darauf sehr negativ reagiert; mehr noch, auf die Propaganda und Agitation der Kommunisten antworteten sie mit einer heftigen Verleumdungskampagne und mit Ausschlussdrohungen. Wenn der Wiederaufbau der AA zwar nicht mehr gelang, so trug diese Initiative dennoch zu einem gewissen Zusammenhalt der nach den Augustereignissen auseinandergehenden und demoralisierten proletarischen Reihen bei. Und sie erlaubte den Kommunisten eine rege Propaganda ihrer Prinzipien und Methoden bzw., der Prinzipien und Methoden des Klassenkrieges in ihrer Anwendung auf den täglichen Widerstandskampf gegen das Joch des Kapitals. Somit verhinderte sie den totalen Zusammenbruch der gewerkschaftlichen Organisationen, denen sie sogar Schichten von Nichtorganisierten und von Arbeitslosen näherbringen konnte. Wenn die ökonomischen Organisationen nach dem faschistischen »Marsch auf Rom« für die Verfechter von »Rizinusöl und Knüppel« noch sehr lange ein harter Knochen blieben, so ist das weitgehend der Initiative der KP zu verdanken.

Fragen der militärischen Aktion

Es bleibt die Frage der militärischen Aktion. Die Linie der Partei war auf diesem Gebiet seit über einem Jahr festgelegt[49] und es gab keinen Grund, sie zu verändern. Die militärische Organisation der Partei hatte sich in den Augusttagen vollkommen auf der Höhe ihrer Aufgaben gezeigt, die Kommunisten hatten bei den Zusammenstössen mit den faschistischen Banden überall an vorderster Front gekämpft und in verschiedenen Städten, wie z. B. in Parma, materiell bewiesen, dass die rigorose organisatorische Unabhängigkeit keineswegs ausschloss, dass sich im Kampf ein Zusammenwirken mit anderen entschlossenen und zu jedem Schlag bereiten Kräften herstellte, sondern im Gegenteil die Wirksamkeit der gemeinsamen Aktion steigerte, weil diese nicht durch einen künstlichen und »administrativen« Kuhhandel zusammengekittet war, sondern durch die Ernsthaftigkeit und Opferbereitschaft bei der Schaffung einer kompakten Front der Gewalt gegen die Anmassungen des Feindes zustande kam.

Andererseits waren bewaffnete proletarische Keime entstanden oder gerade in Entstehung begriffen, die aus den bitteren Lehren und Erfahrungen einen Antrieb für die Bildung von Organisationen – mindestens für den eigenen Schutz, der ja nur bewaffnet sein konnte – zu machen suchten, Es handelte sich um eine leicht verständliche Erscheinung. Ein Artikel – »Die Mittel für den neuen Kampf« –, der in den letzten Augusttagen in der Parteipresse erschienen war, bemerkte hierzu:

»Die Flucht ergreifend und resigniert, unterlag das Proletariat noch vor einem Jahr den faschistischen Gewalttaten und Verwüstungen; rund zwölf Monate später ist dasselbe Proletariat, das voriges Jahr nicht reagiert hatte, den faschistischen Horden überall entgegengetreten, und die Faschisten, wenn sie die Arbeiterfestungen bezwingen wollten, haben sie die Polizei und die Streitkräfte um Hilfe bitten müssen.
Es wurden in der Tat wahrhaftige Schlachten ausgefochten, in denen sich das Proletariat, wie niemand leugnen kann, ehrenvoll geschlagen hat. Die schlecht bewaffnete, schlecht organisierte, noch kaum gebildete Arbeiterarmee musste einer hervorragend organisierten, bewaffneten und ausgebildeten Masse gegenübertreten, und sie konnte es«. Wenn dies geschah, so weil (zwar noch unscharf und noch nicht verallgemeinert) das Bewusstsein herangereift war, »dass es notwendig ist, dass jeder Arbeiter, jeder Soldat der Arbeit, zugleich Soldat der proletarischen Armee, bewaffneter Soldat sei (…). Unter dem Schutz des Gesetzes und mit Einverständnis der Regierungen geht man heute mit Knüppel und Revolver gegen die Streikenden vor. Eine neue Form der Sklaverei, die offensichtlicher als die alte ist, wird somit in Italien errichtet. Wenn sie keine Sklaven sein wollen, dann müssen die Sklaven auf Spartakus’ Appell hören – aber Spartakus war bewaffnet».

Zugleich entstanden auf der anderen Seite Gruppen des »antifaschistischen Widerstandes«, die sich mitunter für »proletarisch« ausgaben, die aber als spanische Wand für parlamentarische Manöver mit Blick auf eine x-malige Koalitionsregierung zur Wiederherstellung von »Recht und Ordnung« dienten. Sie hatten nicht einmal den vagen volkstümlichen Schimmer der »Arditi del Popolo«[50], sondern waren, was Ursprung, Zusammensetzung und Programm angeht, weit zwielichtiger als diese und weit anfälliger für die Gefahr einer Infiltration durch Provokateure. In dieser Lage, und da selbst die Militärorganisation der Partei einer solchen Gefahr ausgesetzt war, mussten die Normen und Richtlinien, auf deren Grundlage die kommunistische Militärorganisation schon seit über einem Jahr nach und nach aufgebaut wurde, wieder bekräftigt werden. Sie mussten zudem durch praktische Richtlinien, die dem Gebot der Stunden entsprachen, ergänzt werden.

Im bereits zitierten Bericht für den IV. Kongress der KI, oder genauer gesagt, in dem darin enthaltenen Entwurf eines Aktionsprogramms der KPI fasste die »linke Parteizentrale« die Frage des »direkten Kampfes gegen die Reaktion« sehr deutlich zusammen:

»Zu den Aktionsformen, die auf die Eroberung der Massen ausgerichtet sind, gehört auch die Aktion der Partei im direkten Kampf gegen die Reaktion, auch dort, wo sie nur mit ihren eigenen Kräften rechnen kann. Die Kommunistische Partei muss sich mit der Vorbereitung und Bewaffnung befassen, die notwendig sind, um den Kleinkrieg gegen einen kräftemässig überlegenen Feind, der sich in einer vorteilhaften Lage befindet, mit den angemessenen technischen Mitteln unterstützen zu können. Sie bildet sich nicht ein, damit die bürgerliche Macht zu stürzen oder die Faschisten zu zerschlagen, und sie darf sich dabei nicht in Aktionen hineinreissen lassen, die ihre eigene Organisation und Vorbereitung gefährden würden. Der Grund für diese Aktion liegt auch nicht in der Übung und Erprobung der eigenen Militärorganisation oder darin, sich rühmen zu können, das Beispiel für einen selbstgenügsamen Mut und Heroismus geliefert zu haben, sondern er steht in einem engen Verhältnis mit der Taktik des Faschismus. Der Faschismus benutzt die terroristische Methode, um das Proletariat zu demoralisieren und zu schlagen. Er möchte den Eindruck verbreiten, man könne ihn weder besiegen noch ihm Widerstand leisten. Will man diesem Prozess der Demoralisierung der Massen entgegentreten, so muss man dem Proletariat das Gefühl geben, dass der Einsatz von Gewalt gegen die Gewalt, von Organisation gegen die Organisation, von Waffen gegen die Waffen keine unbestimmte Losung für eine ferne Zukunft ist, sondern eine praktische und durchführbare Aktion bedeutet, die man in Angriff nehmen muss, um einen bewaffneten Gegenangriff des Proletariats vorzubereiten. Auf diesem Tätigkeitsgebiet steckt sich die Partei keine prinzipiellen Grenzen, abgesehen davon, dass jede Aktion, die nicht von den zuständigen Parteiorganen beschlossen wird, d. h. jede individuelle Initiative, abzulehnen ist. Das soll nicht heissen, dass man auf individuelle Initiativen verzichtet, die darauf gerichtet sind, bestimmte Individuen im Lager des Gegners zu schlagen, oder die von einzelnen kommunistischen Genossen auf Parteibefehl ausgeführt werden. Während die Aktionen, die vom Einsatz militärischer Formationen und Abteilungen geprägt werden, erst dann in Frage kommen, wenn die grossen Massen in Bewegung sind und kämpfen, muss man im Laufe des üblichen proletarischen Kleinkriegs hingegen Aktionen von sorgsam ausgewählten Einzelnen oder kleinen Gruppen organisieren. Solche Aktionen müssen sehr gut durchdacht werden, um nachteilige Folgen zu vermeiden. Ihre Ziele werden nicht nur die bewaffneten Kräfte der Faschisten sein, sondern auch im allgemeinen der Besitz, die Institutionen und die Persönlichkeiten der bürgerlichen Klasse und all ihrer Parteien. In der Regel muss man vermeiden, dass die Interessen der Arbeiter oder neutraler sozialer Schichten direkt oder indirekt zu weit in Mitleidenschaft gezogen werden. Solche Kämpfe müssten mit dem Ziel geführt werden, jedem Anschlag des Gegners auf proletarische Einrichtungen mit Vergeltungsmassnahmen zu antworten. Auf diesem Gebiet musste die Kommunistische Partei gegenüber der Bourgeoisie so handeln, wie die Faschisten gegenüber dem ganzen Proletariat. Eine Folge dieser Taktik muss sein, dass man in der antifaschistischen Kampagne davon absieht, die Grausamkeit und Unerbittlichkeit der faschistischen Aktion übermässig zu betonen, denn damit würde man nur auf das Spiel des Faschismus eingehen. Man muss zwar dem Faschismus die ganze Verantwortung zuschreiben, man muss aber vermeiden, in eine Haltung des Klagens und Jammerns abzugleiten, und zugleich muss man die Gewalttaten, mit denen unsere Kräfte oder spontan das Proletariat den Schlägen des Feindes entgegentreten, aufs äusserste hervorheben«.

Im Laufe dieser Monate nach dem Auguststreik spitzte sich die Entwicklung mit einem überstürzten Tempo zu, und das Proletariat musste sich an allen Fronten verzweifelt gegen die konzentrischen Angriffe eines Feindes verteidigen, der um so stärker war, als er eine immer grössere Rückendeckung durch die »verfassungsmässigen« Staatsorgane erhielt und sich die unterschwellige Demoralisierungs- und Entwaffnungsarbeit des Opportunismus in den Reihen der Arbeiterklasse zunutze machen konnte. Es ist auch vom praktischen Standpunkt interessant, mindestens zwei von den Direktiven zu zitieren, die das Exekutivkomitee in dieser Zeit ausgab. Ein Kommuniqué, das am 11. Oktober in den Parteizeitungen erschien, betonte die Notwendigkeit, den militärischen Schutzapparat zu sichern und zu stärken. Man hatte nicht allein mit einer Lage zu tun, in der sich die Angriffe des Feindes vervielfältigten; es wurden auch tendenziöse Gerüchte verbreitet, um im Proletariat und insbesondere in den Reihen der KPI-Militanten und -Sympathisanten Panik zu erzeugen. Wir zitieren einen Auszug:

»Für den Kampf gegen die faschistische Offensive

Die faschistischen Aktionen haben im ganzen Land zunehmend an Intensität gewonnen und sie richten sich immer zielstrebiger gegen die Kräfte der kommunistischen Partei. Unsere Organisation ist auf den Widerstand und den Kampf unter den ungünstigsten Bedingungen bereits weitgehend vorbereitet. Um zum Schutze unserer Bewegung zu handeln und den Schlägen, die gegen sie gerichtet werden, mit denselben Mitteln wie der Gegner bzw. mit allen möglichen und geeigneten Mitteln zu entgegnen, erhalten die örtlichen Organe durch interne Kanäle ständig die angemessenen Anweisungen. Darüber hinaus ist ein direkter Eingriff der zentralen Parteistellen gesichert. (…)
Wenn reaktionäre Operationen entfesselt werden, sind die Genossen, welche örtlichen Parteiorganisationen vorstehen, verpflichtet, jedes Opfer zu bringen, um die internen Verbindungen aller Zweige der Parteiorganisation sicherzustellen, Sieht man von Fällen höherer Gewalt ab, so sind sie auch verpflichtet, solange auf ihrem Posten zu bleiben, bis sie anderen Genossen, die dazu berechtigt sind, entsprechende Anweisungen erteilt haben. Zu diesem Zweck müssen sie jedes Risiko in Kauf nehmen, sie dürfen aber kein Risiko eingehen, um ihre eigene Person zur Schau zu stellen oder Tätigkeiten auszuführen, die mit den obigen Erfordernissen nicht ausdrücklich verbunden sind.
In jenen Gebieten, die noch nicht von der reaktionären Offensive erreicht wurden oder in denen diese unterbrochen wurde, muss man alle Anstrengungen unternehmen, um gemäss den bereits bekannten und mehrmals wiederholten Instruktionen die erforderlichen Massnahmen zur Sicherstellung eines illegalen Funktionierens unserer Organisation und ihrer Fähigkeit zum Gegenangriff zu treffen. Wo eine ausserordentliche menschliche oder materielle Hilfe benötigt wird, muss man sich an die Zentralstelle wenden; dabei muss man aber bedenken, dass die Partei diese Aufgaben in der Regel mit ihren Kräften vor Ort erfüllen muss, da die Möglichkeiten der Zentralstellen begrenzt sind. (…)
Die Fahnen aller legalen Parteiorganisationen (Sektionen, Jugendverbände) sind abgeschafft. Allein die Verbände unserer Militärorganisationen können Fahnen einer geeigneten Art haben. Sie müssen aber auf jeden Fall mit militärischen Mitteln verhindern, dass sie in die Hände der Gegner fallen.
Sieht man von eventuellen Disziplinarmassnahmen gewöhnlicher Natur ab, so wird darauf hingewiesen, dass offizielle Erklärungen, denen zufolge Parteiorganisationen aufgelöst werden, allein die Bedeutung haben können, dass die betreffenden Organisationen weiterhin illegal funktionieren.«

Um der Gefahr einer organisatorischen wie politischen Verseuchung des Militärapparates vorzubeugen und zugleich gemeinsame Aktionen mit ernsthaft organisierten und geführten proletarischen Gruppen zu möglichen (Aktionen, die gerade deshalb nicht zu politischer Verwirrung führen oder für Kulissenmanöver, die den Bedürfnissen des Kampfes zuwiderlaufen, ausgenutzt werden können), forderte ein am 17. Oktober in den Parteizeitungen erschienenes Kommuniqué der zentralen Führung der kommunistischen Brigaden »alle Brigadenleiter und -mitglieder« zur strikten Einhaltung folgender Anordnungen auf:

»1. Durch die neue Lage, in der sich die proletarischen politischen Parteien befinden, werden die Richtlinien für die Beziehungen zwischen unseren militärischen Organisationen und den Mitgliedern anderer politischer Parteien nicht im geringsten geändert. Mitglieder anderer politischer Parteien (Erwachsene oder Jugendliche) werden in den Brigaden nicht zugelassen. Gewerkschaftliche und anarchistische Organisationen werden bei Anwendung dieser Norm nicht als Parteien angesehen, Syndikalisten und Anarchisten können daher in die Brigaden aufgenommen werden, wenn sie sich verpflichten, gegenüber der Militärorganisation zu jedem Zeitpunkt strikteste Disziplin einzuhalten.
2. Auf dem Boden der Aktion sind Vereinbarungen mit anderen subversiven proletarischen Gruppierungen, soweit sie ernsthaft organisiert, diszipliniert und geführt sind, zulässig. Die Vereinbarung muss aber als technische und praktische Aufgaben- und Arbeitsteilung verstanden werden und nicht als Zusammenwürfelung von Militanten und Leitungen und ebensowenig als Austausch von Kenntnissen oder Mitteln. Die Militanten unserer Brigaden, ob Genossen oder Sympathisanten, gehorchen einzig und allein unseren Militärführern, die gerne bereit sind, mit subversiven Proletariern zusammenzuarbeiten, die noch einer anderen Disziplin unterworfen sind.
3. Die vorhergehende Anordnung gilt auch gegenüber den sogenannten proletarischen Verteidigungskomitees. Mitglieder und Leiter unserer Brigaden sollen weder Einladungen zu Versammlungen und Tagungen annehmen, die von solchen Komitees einberufen werden, noch örtlich eigene Delegierte mit der Teilnahme an derartigen Komitees beauftragen. Über proletarische Bündnisse entscheiden allein die politischen Parteiorgane.«

Den entarteten »Kommunisten« unserer Tage erscheint diese strenge Aufforderung wie eine Äusserung von Sektierertum und Dogmatismus. In Wirklichkeit wurde sie einerseits durch eine sehr realistische Einschätzung der leichtsinnigen, laschen und geradezu »familiären« Gewohnheiten, die in einem demokratischen Mi1ieu, zumal in Italien, entstehen, andererseits durch eine präzise Auffassung der Aufgaben des revolutionären Kampfes diktiert. Und es ist eine Tatsache, dass nur eine Partei, die nicht bei der sozialistischen Tradition in die Schule ging, sondern unter ganz anderen, unter entgegengesetzten »Sitten« aufwuchs und über einen festen, wenn auch zwangsläufig noch embryonalen, illegalen und militärischen Apparat verfügte, dass nur eine solche Partei der Welle von Verhaftungen, Prozessen und Verfolgungen, die zwischen Ende 1922 und Ende 1923 gegen sie (und gegen sie allein) losschlug, widerstehen konnte.

Die politische Entwicklung vom August Streik bis zum »Marsch auf Rom«

Die Monate nach dem Generalstreik wurden durch eine »Rechtsschwenkung« aller bürgerlichen Parteien gekennzeichnet, von den Liberalen bis zu den Republikanern, von der Volkspartei, der Vorläuferin der heutigen Christdemokraten, bis zu den Radikaldemokraten. Sympathieerklärungen für die Faschisten vermehrten sich, und zwar nicht allein seitens Giolittis und Salandras (die im Oktober sogar als mögliche Vorsitzende eines Koalitionskabinetts mit breiter faschistischer Beteiligung in Betracht kommen sollten), sondern auch seitens Nittis, jenes selben Nitti, in dem die Sozialisten sehr lange eine Garantie für den Schutz der Arbeiterrechte zu sehen glaubten. Die Volkspartei einerseits, Liberale und Republikaner andererseits begannen in dieser Periode auf Provinz-, vor allem aber auf Kommunalebene Koalitionen mit den Faschisten zu bilden. Diese Koalitionen, welche die nach dem sogenannten Marsch auf Rom entstandene Regierungskonstellation vorwegnahmen, beweisen nicht nur, dass jene politischen Kreise, die später als Bannerträger des demokratischen Antifaschismus hochstilisiert werden sollten, gegen den Aufstieg des Faschismus absolut keinen Widerstand geleistet haben, sondern auch, dass sie mit den Bestrebungen und dem Programm der »Fasci« vollkommen solidarisch waren.

Man muss darauf hinweisen, dass die kommunistische Partei seit August die Bildung einer linken Koalitionsregierung aus rechten Sozialisten und bürgerlichen Parteien für nunmehr entfernte Perspektive hielt, da die Bourgeoisie inzwischen nicht mehr glaubte, dem Proletariat wichtige Zugeständnisse machen zu müssen, um die revolutionäre Bewegung dadurch zurückzuhalten. Was die somit erwartete faschistische Lösung angeht, so hielt es die Partei für »viel wahrscheinlicher«, dass sie sich durch einen »kampflosen Kompromiss zwischen dem Faschismus und den Staatskräften« als durch »den Ausbruch eines bewaffneten Zusammenstosses«[51] durchsetzen würde. Und die Ereignisse von Ende Oktober sollten diese Prognose völlig bestätigen.

Wenn man also nicht sagen kann, die KP hätte eine Lösung wie den »Marsch auf Rom« nicht in Betracht gezogen – auf solche Vorwürfe werden wir noch zurückkommen –, so machte eine solche Perspektive, bzw. die ganze Entwicklung in Richtung auf eine faschistische »Machtergreifung« die Strategie und Taktik einer unabhängigen Aktion nur noch zwingender.

Zwischen dem 1.–5. Oktober sollte die Sozialistische Partei auf ihrem Kongress von Rom die Turatianer und im allgemeinen die Reformisten ausschliessen, die sie praktisch zu dieser Massnahme zwangen, denn sie waren entschlossen, die letzte Maske abzuwerfen und sich als das zu zeigen, was sie wirklich waren. Die Rechten organisierten sich in der PSU, der Sozialistischen Einheitspartei, während die PSI zum x-ten Mal beschloss, der III. Internationale beizutreten. Dieser Beschluss war keinen Pfifferling wert, doch hat die Internationale in ihrer Naivität ihn nicht als einen neuen Betrug entlarvt, sondern für bare Münze gehalten. Kaum war Serrati aber mit seiner Delegation zum IV. Weltkongress nach Moskau abgefahren, und schon wehrte sich die neue sozialistische Führung mit Händen und Füssen gegen den »Ausverkauf der PSI«. Als Mindestbedingung forderte sie das Recht, in völliger Unabhängigkeit über ihr eigenes Schicksal selbst zu entscheiden – und tatsächlich wird die Mehrheit auf dem folgenden Parteitag vom 15.–17. April 1923 die von Moskau gestellten »Bedingungen« als »unannehmbar« zurückweisen[52].

Es handelte sich um das klassische, maximalistische bzw. zentristische Manöver zur Rettung der Sozialdemokratie, ein Manöver, das so alt war wie der erste Weltkrieg und die erste Nachkriegszeit, und wofür die deutschen »Unabhängigen« das beste Beispiel geliefert hatten. Man hätte also dieses Manöver voraussehen und als solches bekämpfen müssen, wie es die KPI forderte, anstatt es zu begünstigen, wie es die Internationale trotzdem in der illusorischen Hoffnung tat, dadurch nützliche Kräfte für den zunehmend schwierigen und blutigen internationalen Kampf des Proletariats gewinnen zu können.

Während sich die sozialdemokratischen Rechten der Bourgeoisie als eventuelle Regierungspartei (und zwar selbst in einer Koalition mit den Faschisten) anboten, sicherte der Zentrismus um Serrati ihnen den Weg des Rückzuges.

Die Beharrlichkeit, mit der die Kl das Trugbild einer Verschmelzung der von den klassischen Reformisten gesäuberten PSI mit der KPI verfolgte, war einerseits, wie wir bereits gezeigt haben[53], das Ergebnis einer falschen Einschätzung der »revolutionären« Fähigkeiten des Maximalismus. Sie stellte aber andererseits eine Abweichung von den deutlichen prinzipiellen Positionen des II. Weltkongresses über die Natur und den Bildungsprozess der Kommunistischen Parteien dar. Unter den in Italien herrschenden Umständen bedeutete sie in der Praxis ausserdem den Beginn einer Zerstörung der von der KPI seit Livorno geleisteten Arbeit. Die Folgen waren verheerend, sowohl für die Fähigkeit der Partei, die Führung der Massen im Widerstand gegen den Faschismus zu übernehmen (ein freilich noch langfristiges Ziel), wie auch für ihre Fähigkeit, mindestens die Vorhut des Proletariats im Hinblick auf die bevorstehenden, aber entscheidenden Kämpfe zu organisieren.

Bereits auf der Tagung des Zentralkomitees der KPI vom 10.–11. September beklagte sich Terracini darüber, dass die Internationale seit einem Jahr »unsere Partei als etwas Vorübergehendes und Künstliches einzuschätzen« pflegte und sich ununterbrochen zum Ziel setzte, »die sozialistische Partei, auch um den Preis von Verzichtleistungen und Transaktionen wieder in den Schoss der Internationale zu ziehen». Zu diesem Zweck zögerte Moskau nicht davor, den Flügel der »Terzini«, der »Drittinternationalisten« in der PSI, finanziell und politisch zu unterstützen, der KPI zum Trotz und auch ohne sie davon in Kenntnis zu setzen. Welche Folgen hatte nun die Entscheidung, die Maximalisten en bloc aufzunehmen, die ihrerseits übrigens keineswegs die Absicht hatten, sich en bloc schlucken zu lassen? Sie stellte die Autorität der KPI in den Augen der grossen Massen in Frage; sie lähmte die Aktion ihrer Führer; sie untergrub die straffe Disziplin ihrer Militanten, die sich plötzlich mit der Umkehrung von Positionen konfrontiert sahen, die lange und hartnäckig verteidigt worden waren; sie erzeugte die Gefahr, die mutmassliche Gewinnung von »vielleicht zwanzig tausend neuen Genossen« (bei der Fusion, die 1924 schliesslich stattfand, waren es im Endeffekt doch nur weniger als dreitausend) »mit dem Verlust einer unabsehbaren Zahl von Genossen« bezahlen zu müssen, »die heute in unseren Reihen kämpfen, die aber niemals eine Vereinigung mit Leuten akzeptieren werden, die im Kampf gegen die Reaktion und in der Verteidigung des Proletariats bis heute ein schändliches Spektakel dargeboten haben«. (Terracini).

Seit den ersten Tagen des Oktober, also während des entscheidenden Monats von 1922, wurde die Führung der KPI dann fast vollständig von Diskussionen und Gegendiskussionen über das Vereinigungsprojekt in Anspruch genommen. Dieses Projekt wurde von einem Delegierten der Kl zu dem Zeitpunkt nach Italien überbracht, da sämtliche Kräfte der Partei an der Basis wie in der Führung sich konsequent und mit klaren Zielvorstellungen auf die Verteidigung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen wie auf die Vorbereitung eines Gegenangriffs hätten konzentrieren müssen. War nun dieser Gegenangriff trotz allem langfristig gesehen durchaus möglich, so war eine Aussöhnung von Kommunismus und Maximalismus auf jeden Fall unmöglich. Und doch forderte man von der KPI, sie solle alles opfern – programmatische Klarheit, organisatorische Disziplin, Einheitlichkeit und Festigkeit der praktischen Richtlinien –, um gerade dieses Ziel zu erreichen.

Die Sozialisten waren also trotz ihrer Parteispaltung strikt nach den »Leitsätzen über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale« vom II. Weltkongress zu behandeln, und unsere Warnung, jede Abweichung davon würde »Gefahren für die organisatorische Struktur und die politische Führung der Partei, aber auch für den revolutionären Kampf des italienischen Proletariats« bringen (Erklärung des Zentralkomitees auf der Tagung vom 10.–11. September 1922), war nur allzu berechtigt.

Die Partei konnte sich aufgrund der ihr eigenen Festigkeit den Beschlüssen der Kl vollkommen diszipliniert fügen, und das war auch ihre strikte Pflicht. Dennoch hat die Internationale, und zwar gegen die Absichten der Anhänger einer »Wiedervereinigung«, durch diese Politik die objektiven Grundlagen für die Disziplin der Militanten und für die Autorität der Führer gerade in einer Partei untergraben, die angesichts der geschichtlichen Umstände diese Disziplin und Autorität mehr denn je und mehr als irgendeine andere brauchte.

• • •

Der Faschismus hatte im Laufe dieser Zeit ein leichtes Spiel. Man darf sich durch die Heldenmythen und Kampflegenden, die er nach seinem Sieg fabriziert hat, nicht blenden lassen. Zwar haben die schwarzen Banden zwischen September und Oktober die »Einnahme« der Grossstädte des Nordens, von Udine bis Trient und Bozen, vervollständigt, es handelte sich dabei aber um friedliche Eroberungen, so etwas wie die Schlüsselübergabe durch die verfassungsmässigen Regierungen. Zwar haben die Faschisten andererseits ab Mitte September ihren Militärapparat neu organisiert und zentralisiert, zunächst einem Dreier-, dann einem Viererkommando unterstellt, und sie haben auch im Laufe des Oktober ihre »viereckigen Legionen« in der Umgebung von Rom massiert, wobei sie nunmehr davon redeten, auf die Hauptstadt zu »marschieren«. Dieses Aufgebot an Männern und Waffen hatte aber eher den Charakter einer Parade. Es diente einerseits als Druckmittel für die parlamentarischen und ausserparlamentarischen Verhandlungen mit Hinblick auf die Bildung einer Regierung der grossen Koalition. Andererseits stellte es ein Ablassventil für die unbändigen und ungeduldigen »Brigadisten aus Prinzip und um jeden Preis« dar, die darauf brannten, sich zu raufen, und die »Kompromisse« und »Geschäfte« des Duce mit Ärger verfolgten. Ähnliche »extremistische« Auflehnungen hatte es ein Jahr zuvor schon gegeben, und es sollte sie wieder geben; auch Hitler wird seine Röhms und Strassers zu »disziplinieren« haben, was er »im grossen Stil« machen wird, während Mussolini, da er keine andere Möglichkeit hatte, seine Säuberungen mit dem Besen und nicht mit dem Staubsauger durchführen musste.

Unmittelbar nach dem Generalstreik hatte der Duce einen seiner treuesten Anhänger erklären lassen: Entweder wird der Staat den Faschismus aufnehmen, oder der Faschismus den Staat. Die Alternative war aber nur für den Zuschauerraum bestimmt, denn die Marschroute lag allein in der ersten Lösung, die ein anderer ergebener Diener suggestiv zum Ausdruck brachte:
»Wir sind die einzige Kraft, die imstande ist, die gegen den Staat gerichteten Kräfte in den Bereich der liberalen Einrichtungen zu integrieren«, denn »unser Kollaborationismus« (auf neudeutsch Sozialpartnerschaft) »bringt alle Vorteile, aber keine der Gefahren der sozialistischen Kollaboration» (Interview von Grandi mit »Popolo d’Italia«, 10. August 1922).

Im September hängte Mussolini die letzten und verblassten Überbleibsel seiner republikanischen Nostalgien an den Nagel und erklärte:
»Man muss den Mut haben, Monarchist zu sein«.
Es gab sich Mühe, die Kirche seiner guten Absichten zu versichern, und in der frenetischer Suche nach einer Regierungsformel im Laufe der Monate September und Oktober war er pausenlos darum bemüht, Trümpfe zu sammeln. Wie ein Historiker schrieb, »liegt für ihn die Ideallösung darin, dass alles so geschieht, als hätte der Marsch auf Rom, ohne zu Ende durchgeführt zu werden, dennoch stattgefunden« (Angelo Tasca, »Nascita del fascismo«, Bari 1972, II, S. 425).

Es stimmt zwar, dass die faschistische Partei PNF am 24. Oktober zu einem Kongress in Neapel zusammentrat und bei dieser Gelegenheit Pläne für die »militärische Eroberung« der Hauptstadt festlegte. Wurde aber mit solchen Beschlüssen geprahlt und gedroht, und erklärte Mussolini am selben Ort, dass »die Faschisten nicht vorhaben, durch den Dienstboteneingang an die Regierung zu gelangen«, so wiederholte er zugleich das verfolgte Ziel: »ein Kabinett, zu dem mindestens sechs faschistische Minister in den wichtigsten Ressorts gehören«, anstelle der fünf Ministerposten, die ihm Giolitti, bzw. Salandra angeboten hatten. Das faschistische Schiff verfolgt denselben Kurs, auf den alle parlamentarischen Parteien zusteuern. Als schliesslich alle Möglichkeiten einer klassisch-liberalen Lösung für die Regierungskrise erfolglos durchgespielt waren, machte Salandra selbst, der entschlossenste Vertreter der liberalen Rechten, am 28. Oktober dem König der Vorschlag, Mussolini zum Regierungschef zu ernennen[54]. Mussolini kam am 29. Oktober in Rom an – im Schlafwagen. Er bildete seine erste Regierung mit Vertretern aller Parteien, ausgenommen die Sozialisten und selbstverständlich die Kommunisten. Fünf Ministerposten gingen an die Faschisten, zwei an die Volkspartei, drei an Liberaldemokraten der verschiedenen Tendenzen, einer an die Konservativen und einer an die Nationalisten. Einige Tage später räumte das Parlament der Regierung uneingeschränkte Vollmachten für die Dauer eines ganzen Jahres ein. Erst nachdem Mussolini die offizielle Einladung nach Rom erhalten und den Auftrag zur Regierungsbildung angenommen hatte, erhielten einige Kolonnen der faschistischen Brigaden den Befehl, am 30.–31. Oktober nach der Hauptstadt zu kommen, mit dem Zug, friedlich, legal, artig »defilierend«. Kein einziger Gewehr-, geschweige denn Kanonenschuss. War es also übertrieben, wenn wir die »faschistische Revolution«, den »Marsch auf Rom«, als eine Komödie bezeichneten?

Die Aufforderungen der KPI an die Gewerkschaften, den landesweiten Generalstreik auszurufen, war von der CGL am 28. Oktober abgelehnt worden. Diese »Antifaschisten« haben vielmehr am selben Tag eine ekelhafte Erklärung abgegeben. Dort warnten sie
»die Arbeiter vor den Spekulationen und vor der Aufwiegelung, die durch Parteien oder politische Gruppierungen betrieben werden, die das Proletariat in eine Auseinandersetzung einbeziehen möchten, der es sich vollkommen fernhalten muss, um seine eigene Unabhängigkeit nicht zu gefährden«. Soweit die Haltung der reformistischen Gewerkschaftsbonzen zur Übernahme der Regierung durch die Faschisten. Wir glauben, dass sich ein Kommentar hier erübrigt[55].

In ihrem Manifest über »die Aufgaben des Proletariats«, das am 29. Oktober vor Mussolinis Ankunft in Rom erschien, betonte die KPI ihre Position:
»Gegen die heuchlerische Einladung zu einer unmöglichen sozialen Befriedung! Gegen jedes linke oder rechte Programm der bankrotten Bourgeoisie! Für die Reorganisierung der proletarischen Kraft in der AA, um zur Gewerkschaftseinheit zu kommen und die ganzen leidenden Massen hinter sich zusammenzuschliessen! Für die unabhängige Rolle des Proletariats in der bürgerlichen Regierungskrise und für den Kampf um die revolutionäre Arbeiterregierung!«

Die KPI war sich dessen bewusst, dass sie in ihrem Abstand und in ihrer Opposition zu den innerparteilichen und parlamentarischen Manövern, die sich hinter dem Schreckbild des »Staatsstreiches« und des »Marsches auf Rom« verbargen, völlig allein war. Und vor allem wegen der Haltung der anderen Arbeiterparteien verbreitete sie weder in ihren eignen Reihen noch im Proletariat die Illusion, »auf den Lauf der Ereignisse einen eigenen Einfluss nehmen zu können«. Während sie also verfügte, dass ihre Kräfte keine Initiativen ergreifen sollten, die zwangsläufig zum Scheitern verurteilt wären, bestimmte sie ebenso energisch, dass man auf »jeden Angriff und jede Provokation gegen das Proletariat und seine Organisationen» prompt antworten musste. Und in der Praxis war es die KPI, die fast die ganze Last, sei es der Zusammenstösse in der Periode vor der definitiven Einrichtung der neuen Regierung, sei es der nachfolgenden Polizeioffensive zu tragen hatte.

Wie deutete die KPI den Machtanstieg der Faschisten? Wir werden einen Artikel zitieren, der knapp nach dem »verhängnisvollen« Marsch auf Rom in »Rassegna Comunista« (zweiter Jahrgang, Nr. 30, 31. Oktober 1922) veröffentlicht wurde. Die vollkommene Übereinstimmung mit allen bisherigen Erklärungen der Partei wird der Leser selbst feststellen können. Die faktische Entwicklung selbst, deren grundlegendes Schema sich im übrigen elf Jahre später bei der Machtübernahme durch Hitler in fast allen Zügen wiederholen sollte, bestätigen die Richtigkeit der kommunistischen Interpretation der Ereignisse.

»Wir bestreiten, dass das Geschehene auch nur im geringsten einen revolutionären Charakter gehabt hat oder auch nur entfernt den Eindruck eines Staatsstreiches erwecken kann.

Eine Revolution bringt einen Wechsel des Regimes. Das faschistische Heer wurde mobilisiert, es handelte, marschierte, siegte – und festigte sehr stark das monarchische Regime und dessen Obliegenheiten.

Ein Staatsstreich stürzt eine Führungsschicht und ändert die grundlegenden Gesetze eines Staates – bis heute hat der faschistische Sieg ein Kabinett erneuert … Der ganze bürokratische Apparat des italienischen Staates wurde aber nicht angetastet. Die Verwaltung funktioniert unverändert weiter. Die neuen Regierungsführer äussern ihre feste Absicht, das Gesetz anzuwenden und die Verfassung zu schützen. Die ersten Beschlüsse des Ministerrates lassen keinen tiefgreifenden Wechsel in der Innen- und Aussenpolitik erkennen.

Wie sollen wir dann die Ereignisse, die das Leben in Italien erschüttert haben, kennzeichnen? Wir waren ganz einfach Zeuge der Legalisierung eines faktischen Zustandes, der bereits zum Bestandteil des Regimes geworden war, sich gefestigt hatte und von allen Gruppen der italienischen Bourgeoisie akzeptiert wurde. Diese hatte sich nach Kriegsende zunächst mit demokratischem Flittergold geschmückt, um ihren Widerstand gegen die Angriffe des Proletariats in die Wege zu leiten: Ist der konservative Liberalismus das Regime der kapitalistischen Stärkeperioden, so die Demokratie das Regime des kapitalistischen Widerstandes. Im Laufe von vier Jahren ist es den bürgerlichen Führungsschichten durch geschickte Manöver gelungen, den wiederholten Vorsturm der Arbeiter jeweils einzudämmen. Es ist ihnen ebenso gelungen, die Arbeiter an einer äussersten Grenze zurückzuhalten, an der Grenze des ständig in Aussicht gestellten und niemals verwirklichten Kompromisses mit der Sozialdemokratie. Im Laufe dieser Zeit haben sie ihre eigene 0ffensive organisiert. Als diese herangereift war, begann die umgekehrte Erscheinung: Die wiederholten Angriffe des Kapitalismus wurden durch eine Teilverteidigung des Proletariats jeweils zurückgehalten. Sie gipfelten im jetzigen Angriff, der die bürgerliche Klasse in ihre Machtstellung der Vorkriegszeit zurückbringt.

Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen bürgerlichen Gruppen betrafen nicht die Notwendigkeit, dieses Ergebnis zu erzielen, sondern vielmehr die Frage, wie es zu erreichen sei. Einige bevorzugten noch die Fortsetzung des bisher andauernden Betrugs: die Regierung ist formal eine linke Regierung, begünstigt und schützt aber zugleich die antiproletarischen Aktionen, für die eine nichtstaatliche Armee verpflichtet wird. Andere wollten die Bildung einer strikt reaktionären Regierung, welche die Funktionen des Zwangs und des Terrors für die eigenen verfassungsmässigen Organe beansprucht. Die jetzigen Sieger schliesslich vertraten das Ziel eines offiziellen und ausdrücklichen Bündnisses zwischen dem Staat und der bisher illegalen Organisation, der, wenn auch nach einer Umbildung, weiterhin die Aufgabe des antiproletarischen Kampfes zufallen wird«.

Dieser These werden die Demokraten, auch jene im »sozialistischen« oder »kommunistischen« Mäntelchen, entgegnen, dass der Faschismus rund zwei Jahre später einen weiteren und entscheidenden Schritt vorangehen wird, um schliesslich die Verbündeten von 1922, jene bürgerlichen Parteien und Parteicliquen, die in der ersten Mussolini-Regierung zusammenwirkten, mit Gewalt zu beseitigen, die Verfassung zu ändern und alle demokratischen Rechte und Garantien abzuschaffen. Das stimmt. Er wird es tun, weil die Tatsachen bewiesen, dass die Aufgabe, die Bourgeoisie im Hinblick auf erneute soziale Gefahren zu einem einzigen Block zu vereinigen, nicht zu verwirklichen war, solange der Pluralismus, selbst wenn er mehr Schein als Wirklichkeit war, herrschte. Aber auch dann wird er die überwältigende Mehrheit der herrschenden Klassen auf seiner Seite haben: Einzige Ausnahme bildeten jene Gruppen und Individuen, deren bürgerliche Existenz unter der Planierraupe des Grosskapitals und seiner Überlebenszwänge verschwinden musste, denen in der neuen Verfassung der bürgerlichen Regierung keine wirkliche Rolle mehr verblieb. So wird es nicht einmal jetzt einen Bruch mit der Vergangenheit geben und selbstverständlich um so weniger einen Bruch in der Kontinuität einer Klassenherrschaft.

Die Einschätzungen des Faschismus auf dem IV. Kongress der KI. Radek und Bordiga

In denselben Tagen, da in Italien für die »Krise des Regimes« eine Lösung gefunden wurde, tagte in Moskau der IV. Kongress der KI In der 11. und 12. Sitzung, also am 15.–16. November 1922, hielten zunächst Karl Radek und dann Amadeo Bordiga ihre einander entgegengesetzten, aber jeweils grundlegenden Referate über die »Offensive des Kapitals« und insbesondere den Faschismus. Wie alle grossen Fragen der Taktik – so die Einheitsfront, die Arbeiterregierung usw. – führte auch die Interpretation des Faschismus, bzw. die Frage, wie man ihm entgegentreten und ihn bekämpfen müsse, zu einer scharfen und – bezieht man die logischen Konsequenzen mit ein – unversöhnlichen Auseinandersetzung zwischen unserer Strömung auf der einen Seite und auf der anderen hauptsächlich den bei dieser Gelegenheit von Radek verkörperten »Rechten« in der Internationalen[56].

Radek geht von der naheliegenden und banalen »soziologischen« Feststellung aus, dass die faschistische Bewegung durch die Krise der Mittelschichten der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere der Kleinbourgeoisie, entstanden war. Welche Schlussfolgerung zieht er aber daraus? »Die Faschisten stellen das Kleinbürgertum dar, das, gestützt durch die Bourgeoisie, zur Macht kommt«. Nach Radeks Auffassung liegt in der Kleinbourgeoisie der Ursprung der faschistischen Regierung in Italien und gegebenenfalls in anderen Ländern. In der Kleinbourgeoisie liegt auch das innere Wesen dieser Regierungen, deren Scheitern somit einprogrammiert ist, da die Kleinbourgeoisie, die zur Macht gekommen ist, »genötigt sein wird, nicht das Programm des Kleinbürgertums, sondern des Kapitalismus durchzuführen«. Und was ergibt sich daraus? »Und darum ist diese grelle Konterrevolution die schwächste der konterrevolutionären Mächte Europas«.

Wird aber die faschistische Macht einerseits zur Achillesferse der bürgerlichen Ordnung in Europa heruntergeputzt, so wird sie andererseits dennoch zum wichtigsten Anlass genommen, um die Kommunistischen Parteien auf die Anwendung der Losungen der Einheitsfront und der Arbeiterregierung in ihrer breitesten Auffassung zu trimmen. Ein Widerspruch? In Radeks Auffassung keineswegs, denn es geht schliesslich darum, dass man sich der vom Ausgang ihres Kampfes enttäuschten und um ihren Sieg betrogenen Kleinbourgeoisie anbiedert, um sie zu gewinnen. Es ist leicht ersichtlich, dass Radek auf dem IV. Kongress Positionen vertritt, die seine Haltung im Laufe der Ruhr-Krise von 1923 – Schlageterrede, Hofierung des kleinbürger1ichen Nationalismus, gemeinsamer Auftritt mit den Nazis usw. – vorwegnehmen.

Für Bordiga bedeutet der Faschismus im Gegenteil eine Mobilisierung der Kleinbourgeoisie für und durch das Grosskapital. Sein globales Vorhaben ist die Vereinigung aller »Abteilungen« der bürgerlichen Klasse zum Zweck der Offensive gegen das Proletariat und der äussersten Zusammenballung der eigenen Kräfte, um die Krise zu überwinden. Sein Aufstieg stellt keine Schwächeerscheinung dar, sondern zeichnet vielmehr den Gipfel eines Kampfes, zu dessen Erfolg sämtliche bürgerlichen und opportunistischen Kräfte der Demokratie beigetragen haben. Die Antwort der kommunistischen Weltpartei kann einzig und allein auf dem Boden des erbittertsten Klassenkrieges liegen. Dabei muss sie selbstverständlich die Spannungen innerhalb des gegnerischen Lagers ausnutzen, aber keineswegs dadurch, dass sie ihre eigenen Positionen abschwächt oder gar aufgibt, sondern im Gegenteil noch schärfer hervortreten lässt.

Radeks Position kennzeichnet sich einerseits durch die Überschätzung der Bedeutung der inneren Krise der Bourgeoisie, andererseits durch die Unterschätzung der revolutionären Fähigkeit des Proletariats, was zu seiner Entwaffnung in programmatischer wie organisatorischer Sicht führt.

Bordiga geht im Gegenteil davon aus, dass das Proletariat auf seinem eigenen Boden, auf dem Boden der organisierten und geballten Gewalt, geschlagen wurde. Und die immense revolutionäre Fähigkeit des Proletariats hängt aufs engste mit der Fähigkeit der Klassenführung, der Partei, zusammen, die Herausforderung des Feindes anzunehmen. Hier wird nicht davon ausgegangen, dass die Macht dieses Feindes an den inneren Widersprüchen der Kleinbourgeoisie zerbröckelt. Die allgemeine Entwicklungslinie, die hier aufgezeigt wird, ist die einer wachsenden Zentralisierung der gegnerischen Klasse für die Verteidigung der allgemeinen Interessen des Kapitals. Auf den darin implizierten heftigen Zusammenstoss muss das Proletariat durch eine erhöhte politische Zentralisierung seiner eigenen Kräfte antworten. Es kann sich dieser objektiv gestellten Aufgabe nicht entziehen, und sie zu erkennen, ist kein Grund für Schwäche- und Unterlegenheitsgefühle, sondern ein Element der Stärke und Überlegenheit gegenüber dem Feind.

In dem einen Fall marschiert man in Richtung auf eine Einheitsfront als Parteienkartell mit sozialdemokratischen Parteien und – über das später zu betrachtende Experiment eines Gegenparlaments in Italien – letztendlich geradewegs in Richtung auf die Volksfronten. Im anderen Fall marschiert man in Richtung auf die Liquidierung jeder demokratisch-reformistischen Illusion und auf die Bildung einer proletarischen Front unter Führung der Partei,

Wir drucken Bordigas Referat, das zugleich als Rekapitulation dient, im folgenden vollständig ab[57].

(…) »Ich muss mich, nach dem, was Gen. Radek gestern hier in seiner Rede über das Verhalten der Kommunistischen Partei zum Faschismus gesagt hat, auch mit einer anderen Seite dieser Frage befassen.

Unser Gen. Radek hat das Verhalten unserer Partei zur Faschistenfrage, die heute die herrschende politische Frage in Italien ist, kritisiert. Er hat unseren Standpunkt – unseren angeblichen Standpunkt – kritisiert, der darin bestehe, dass wir eine kleine Partei haben wollen und sämtliche Fragen derart beurteilen, dass wir uns auf das Gebiet der Organisation der Partei und ihrer unmittelbaren Rolle beschränken, ohne unser Augenmerk auf die grossen politischen Fragen zu richten.

In Anbetracht der Kürze der Zeit werde ich mich bemühen, nicht allzu weitschweifig zu sein. Bei der Erörterung der italienischen Frage und unserer Beziehungen zur Sozialistischen Partei werden wir auch die Frage behandeln müssen, wie wir in der in Italien durch den Faschismus geschaffenen neuen Situation vorzugehen haben.

Ich gehe jetzt direkt zu meinen Ausführungen über.

Untersuchen wir vor allem den Ursprung der Faschistenbewegung.

Was sozusagen den unmittelbaren und äusseren Ursprung der Faschistenbewegung anbelangt, reicht dieser in die Jahre 1914/15 zurück, in jene Periode, die dem Eingreifen Italiens in den Weltkrieg vorangegangen ist. Ihre ersten Anfänge sind jene Gruppen, die diese Intervention unterstützt haben. In politischer Hinsicht bestanden diese Gruppen aus Vertretern verschiedener Tendenzen.

Es gab eine Rechtsgruppe mit Salandra: die Grossindustriellen, die am Krieg interessiert waren und die, bevor sie den Krieg für die Entente befürworteten, sogar den Krieg gegen die Entente unterstützt hätten.

Andererseits gab es auch Tendenzen der linken Bourgeoisie: die italienischen Radikalen, d. h. die linksseitigen Demokraten, die Republikaner, die aus Tradition für die Befreiung Triests und Trients waren. An dritter Stelle enthielt die Interventionistenbewegung gewisse Elemente der Proletarierbewegung: revolutionäre Syndikalisten und Anarchisten. Zu diesen Gruppen gehörte namentlich – es ist wohl ein persönlicher Fall, der aber von besonderer Bedeutung ist – der Führer des linken Flügels der Sozialistischen Partei: Mussolini, der Leiter des ›Avanti!‹

Man kann ungefähr sagen, dass die mittlere Gruppe sich an der Faschistenbewegung nicht beteiligt und sich in den Rahmen der traditionellen bürgerlichen Politik eingefügt hat.

In der Faschistenbewegung verblieben die Gruppen der äussersten Rechten und jene der äussersten Linken: die ex-anarchistischen, die ex-syndikalistischen und die ex-syndikalistisch-revolutionären Elemente.

Diese politischen Gruppen, die im Mai 1915 dadurch, dass sie entgegen dem Willen der Mehrheit des Landes und selbst des Parlaments, das dem plötzlichen Handstreich nicht zu widerstehen vermochte, dem Lande den Krieg aufdrängten, einen grossen Sieg errungen hatten, sahen nach dem Kriegsschluss, wie sich ihr Einfluss verringerte. Schon während des Krieges konnten sie diese Tatsache konstatieren.

Sie hatten den Krieg als ein sehr leichtes Unternehmen hingestellt; als man jedoch sah, dass der Krieg sich in die Länge zog, büssten diese Gruppen ihre Volkstümlichkeit, die sie ja eigentlich niemals recht besessen hatten, vollends ein.

Unmittelbar nach dem Krieg sank der Einfluss dieser Gruppen auf ein Minimum.

Während und nach der Demobilisierungsperiode gegen Ende des Jahres 1918, während des Jahres 1919 und in der ersten Hälfte 1920 lag diese politische Tendenz inmitten der durch die Folgen des Krieges hervorgerufenen allgemeinen Unzufriedenheit vollständig am Boden.

Dennoch lässt sich der politische und organische Zusammenhang dieser damals schon fast erloschen scheinenden Bewegung mit der mächtigen Bewegung, die sich heute vor unseren Augen entrollt, feststellen.

Die ›fasci di combattimento‹ haben niemals aufgehört zu existieren; der Führer der faschistischen Bewegung war stets Mussolini, ihr Blatt ist ›Il Popolo d’Italia‹.

Bei den politischen Wahlen, Ende Oktober 1919, wurden die Faschisten in Mailand, wo sie ihr Tageblatt hatten und wo sich ihr politischer Führer befand, vollständig geschlagen. Sie erhielten eine verschwindend kleine Stimmenzahl: trotzdem aber setzten sie ihre Arbeit fort.

Die revolutionäre sozialistische Richtung des Proletariats hatte dank der revolutionären Begeisterung, die sich der Massen bemächtigt hatte – die Gründe brauche ich hier wohl nicht ausführlich auseinanderzusetzen –, in der Nachkriegsperiode eine bedeutende Verstärkung erfahren. Dennoch verstand sie es nicht, sich diese günstige Situation zunutze zu machen.

Diese Tendenz verkümmerte schliesslich, weil all diese der Erstarkung einer revolutionären Organisation günstigen objektiven und psychologischen Verhältnisse keine Partei vorfanden, die imstande gewesen wäre, auf ihnen eine stabile Organisation aufzubauen. Ich behaupte nicht, dass die Sozialistische Partei – wie Gen. Sinowjew dieser Tage sagte – in Italien die Revolution hätte machen können, sie hätte es jedoch zumindest fertig bringen müssen, den revolutionären Kräften der Arbeitermasse eine feste Organisation zu geben. Sie war aber dieser Aufgabe nicht gewachsen.

Wir haben also die Abnahme der Popularität, deren sich die immer kriegsfeindliche sozialistische Richtung in Italien erfreut hatte, mit ansehen müssen.

In dem Masse, wie die sozialistische Bewegung in der Krise des sozialen Lebens Italiens einen Irrtum nach dem anderen beging, begann die entgegengesetzte Bewegung – der Faschismus – zu erstarken.

Der Faschismus verstand es ganz besonders, die Krise auszunutzen, die sich in der wirtschaftlichen Lage geltend machte und deren Einfluss auf die gewerkschaftliche Organisation des Proletariats fühlbar zu werden begann.

Im schwierigsten Augenblick fand die Faschistenbewegung eine Stütze in der Fiumaner Expedition d’Annunzios. Aus der Fiumaner Expedition schöpfte der Faschismus eine gewisse moralische Kraft, und dort entstand auch, obgleich die Bewegung D’Annunzios und der Faschismus zwei verschiedene Dinge waren, seine Organisation und seine bewaffnete Macht.

Wir haben über das Verhalten der sozialistischen Proletarierbewegong gesprochen; die Internationale hat an ihren Fehlern wiederholt Kritik geübt.

Die Folge dieser Fehler war ein völliger Stimmungsumschwung bei der Bourgeoisie und den übrigen Klassen. Das Proletariat war entzweit, war demoralisiert. Die Stimmung der Arbeiterklasse, die den Sieg aus ihren Händen gleiten sah, erfuhr eine bedeutende Änderung. Man kann sagen, dass die italienische Bourgeoisie im Jahre 1919 und in der ersten Hälfte 1920 sich so ziemlich damit abgefunden hatte, den Sieg der Revolution mit ansehen zu müssen. Die Mittelklasse und die Kleinbourgeoisie waren geneigt, eine passive Rolle zu spielen, und zwar nicht im Gefolge der Grossbourgeoisie, sondern im Gefolge des Proletariats, das im Begriffe war, den Sieg zu erringen.

Diese Stimmung hat nun eine gründliche Änderung erfahren. Statt Zeugen des Sieges des Proletariats zu sein, sehen wir im Gegenteil, wie die Bourgeoisie sich zur Verteidigung sammelt.

Als die Mittelklasse sah, dass die Sozialistische Partei es nicht verstand, sich so zu organisieren, dass sie die Oberhand gewinnen konnte, gab sie ihrer Unzufriedenheit Ausdruck; sie verlor allmählich ihr Vertrauen, das sie in die Bestimmung[58] des Proletariats gesetzt hatte, und wandte sich der entgegengesetzten Seite zu.

In diesem Augenblick setzte die kapitalistische Offensive der Bourgeoisie ein, die sich hauptsächlich die Stimmung der Mittelklasse zunutze machte. Der Faschismus stellte dank seiner sehr verschiedenartigen Zusammensetzung die Lösung dieses Problems dar; dadurch war er sogar in der Lage, die Offensive der Bourgeoisie und des Kapitalismus einzudämmen.

Das italienische Beispiel ist ein klassisches Beispiel für die Offensive des Kapitals. Diese Offensive bildet, wie Gen. Radek gestern von dieser Tribüne herab sagte, eine komplizierte Erscheinung, die man nicht nur hinsichtlich der Lohnherabsetzungen oder der Verlängerung der Arbeitszeit, sondern auch auf dem allgemeinen Gebiet der politischen und militärischen Aktion der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse einer Prüfung unterziehen müsse.

In Italien haben wir in der Entwicklungsperiode des Faschismus alle Erscheinungsformen der kapitalistischen Offensive erlebt.

Vom ersten Augenblick ihres Bestehens an hat unsere Kommunistische Partei die Lage kritisch erörtert und dem italienischen Proletariat seine Aufgabe in der einheitlichen Selbstverteidigung gegen die bürgerliche Offensive gewiesen; sie entwarf einen einheitlichen Plan, auf Grund dessen das Proletariat gegen diese Offensive hätte aufmarschieren müssen.

Wenn wir die kapitalistische Offensive als Ganzes betrachten wollen, müssen wir die Lage in ihren allgemeinen Linien, und zwar einerseits auf dem Gebiete der Industrie, andererseits auf dem Gebiete der Landwirtschaft untersuchen.

In der Industrie nutzt die kapitalistische Offensive vor allem die wirtschaftlichen Erscheinungen unmittelbar aus.

Die Krise beginnt und die Arbeitslosigkeit macht sich geltend. Ein Teil der Arbeiter muss entlassen werden und die Arbeitgeber haben leichtes Spiel, denn sie können aus den Betrieben jene Arbeiter, die an der Spitze der Gewerkschaften stehen, sie können die Extremisten davon jagen. Die industrielle Krise bildet für die Arbeitgeber den Ausgangspunkt, der es ihnen ermöglicht, die Herabsetzung der Löhne und die Revision der disziplinarischen und moralischen Zugeständnisse zu fordern, die sie vorher den Arbeitern ihrer Betriebe machen mussten.

Am Anfang dieser Krise entsteht in Italien der Allgemeine Industrieverband, der Klassenverband der Arbeitgeber, der diesen Kampf leitet und die Aktion jedes einzelnen Industriezweiges seiner Führung unterwirft.

In den Grossstädten kann der Kampf gegen die Arbeiterklasse nicht mit der sofortigen Anwendung der Gewalt einsetzen. Die städtischen Arbeiter bilden im allgemeinen grosse Gruppen; sie können sich mit einer gewissen Leichtigkeit in grossen Massen versammeln und einen ernsten Widerstand leisten. Vor allem zwang man daher dem Proletariat gewerkschaftliche Kämpfe auf, die zu ungünstigen Ergebnissen führten, weil die wirtschaftliche Krise sich im akutesten Zustande befand. Die Arbeitslosigkeit nahm ununterbrochen zu. Die einzige Möglichkeit, die sich in der Industrie entrollenden wirtschaftlichen Kämpfe siegreich zu bestehen, hätte in der Übertragung[59] der Tätigkeit vom Gebiete der Gewerkschaftsbewegung auf das revolutionäre Gebiet in der Diktatur einer wahrhaft kommunistischen politischen Partei bestanden; die italienische Sozialistische Partei war aber keine solche Partei.

Sie hat es nicht verstanden, im entscheidenden Sturm die Aktion des italienischen Proletariats auf das revolutionäre Gebiet zu verlegen. Die Periode der grossen Erfolge der italienischen Gewerkschaftsorganisation im Kampfe um die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse machte jener neuen Periode Platz, in der die Streiks zu Defensivstreiks der Arbeiterklasse wurden; die Gewerkschaften erlitten eine Niederlage nach der anderen.

Da in Italien in der revolutionären Bewegung den landwirtschaftlichen Klassen, besonders den landwirtschaftlichen Lohnarbeitern und auch jenen Schichten, die nicht vollständig proletarisiert sind, eine grosse Bedeutung zukommt, sahen sich die herrschenden Klassen genötigt, sich gegen den Einfluss, den die roten Organisationen auf dem flachen Lande erlangt hatten, eines Kampfmittels zu bedienen.

Die Lage, die wir in einem grossen Teile Italiens, in dem vom landwirtschaftlichen Standpunkt aus wichtigsten Teil, in der Po-Ebene, vor uns hatten, sah einer örtlichen Diktatur des Proletariats oder wenigstens der Landarbeiter verzweifelt ähnlich. Dort hat die Sozialistische Partei Ende 1920 viele Gemeinden erobert, die dann eine lokale Steuerpolitik gegen die landwirtschaftliche und die mittlere Bourgeoisie betrieben. Wir hatten dort blühende Gewerkschaftsorganisationen, bedeutende Genossenschaften und zahlreiche Sektionen der Sozialistischen Partei. Und selbst dort, wo sich die Bewegung in der Hand der Reformisten befand, nahm die Arbeiterklasse des flachen Landes eine revolutionäre Haltung ein. Man zwang die Arbeitgeber, einen Steuerbeitrag, einen gewissen Betrag an die Organisation zu zahlen, der gewissermassen eine Garantie für die Unterwerfung der Arbeitgeber unter den ihnen im gewerkschaftlichen Kampf aufgezwungenen Vertrag darstellte.

Es entstand eine Lage, in der die landwirtschaftliche Bourgeoisie auf dem flachen Lande nicht mehr leben konnte und gezwungen war, sich in die Städte zurückzuziehen.

Die italienischen Sozialisten begingen gewisse Fehler, und zwar hauptsächlich in der Frage der Aneignung des Bodens und der Tendenz der Kleinpächter, nach dem Krieg Land anzukaufen, um zu Kleinbesitzern zu werden.

Die reformistischen Organisationen zwangen diese Kleinpächter, sozusagen Sklaven der Landarbeiterbewegung zu bleiben; unter solchen Verhältnissen fand dort die faschistische Bewegung eine bedeutende Stütze.

In der Landwirtschaft gab es keine mit grosser Arbeitslosigkeit verbundene Krise, die den Grundbesitzern auf dem Gebiete der einfachen Gewerkschaftskämpfe eine siegreiche Gegenoffensive ermöglicht hätte.

Hier begann der Faschismus sich dadurch zu entwickeln und die Methode der physischen Gewalt, der bewaffneten Gewalt in Anwendung zu bringen, dass er sich auf die Klasse der ländlichen Grundbesitzer stützte und die in der mittleren Schicht der landwirtschaftlichen Klassen durch die organisatorischen Fehler der Sozialistischen Partei und der reformistischen Organisatoren hervorgerufene Unzufriedenheit ausnutzte. Der Faschismus stützte sich auch auf die allgemeine Situation, auf die von Tag zu Tag zunehmende Unzufriedenheit sämtlicher kleinbürgerlicher Schichten, der kleinen Kaufleute, der Kleingrundbesitzer, der ausgedienten Soldaten, der ehemaligen Offiziere, die nach der Stellung, die sie während des Krieges innegehabt hatten, durch ihre jetzige Situation enttäuscht war.

Man nutzte all diese Elemente aus; und indem man sie organisierte und in Formationen einreihte, konnte man die Bewegung zur Zerstörung der Macht der roten Organisationen auf dem italienischen flachen Lande in Angriff nehmen.

Die Methode, deren sich der Faschismus bediente, ist höchst charakteristisch; der Faschismus sammelte sämtliche demobilisierten Elemente, die in der Gesellschaft nach dem Kriege ihren Platz nicht finden konnten, und machte sich ihre militärischen Erfahrungen zunutze.

Er begann mit der Bildung seiner militärischen Formationen nicht in den grossen Industriestädten, sondern in jenen Städten, die wir als Hauptstädte der italienischen landwirtschaftlichen Bezirke betrachten können, wie zum Beispiel Bologna und Florenz: er stützt sich hierbei auf die staatlichen Behörden, worauf wir noch zurückkommen. Die Faschisten verfügen über Waffen und Transportmittel, erfreuen sich der Straflosigkeit vor dem Gesetze und geniessen die Vorteile dieser günstigen Verhältnisse auch dort, wo sie die Zahl ihrer revolutionären Gegner noch nicht erreichen. Sie organisieren zunächst die »Spedizioni primitive«[60] genannten Expeditionen. Sie gehen hierbei folgendermassen vor:

Sie überfluten ein bestimmtes kleines Gebiet, zerstören die Zentralstellen der proletarischen Organisationen, zwingen die Munizipalräte gewaltsam zum Rücktritt, verwunden oder töten im Notfalle die gegnerischen Führer oder zwingen sie im besten Falle, das Gebiet zu verlassen. Die Arbeiter der betreffenden Ortschaften sind ausserstande, diesen bewaffneten und von der Polizei unterstützten, aus allen Teilen des Landes zusammengezogenen Truppen Widerstand entgegenzusetzen. Die faschistische Ortsgruppe, die vorher gegen die proletarischen Kräfte keinen örtlichen Kampf wagen konnte, konnte jetzt die Oberhand gewinnen, weil die Bauern und Arbeiter terrorisiert waren und wussten, dass, wenn sie es wagen würden, gegen diese Gruppe irgendeine Aktion zu unternehmen, die Faschisten ihre Expedition mit noch grösseren Kräften wiederholen könnten, denen man keinesfalls Widerstand entgegensetzen könnte.

So erobert der Faschismus eine herrschende Stellung in der italienischen Politik und marschiert hierbei sozusagen gebietsweise auf, nach einem Plan, der sich auf der Landkarte sehr gut verfolgen lässt.

Sein Ausgangspunkt ist Bologna, wo sich im September und Oktober 1920 die sozialistische Administration eingerichtet und bei dieser Gelegenheit eine grosse Mobilisierung der roten Streitkräfte durchgeführt hatte.

Es ereignen sich Zwischenfälle; die Sitzungen werden durch Provokationen von aussen gestört. Auf die Bänke der bürgerlichen Minderheit wird, vielleicht mit Hilfe von Lockmitteln, geschossen.

Diese Tatsache führt zum ersten grossen faschistischen Überfall.

Die entfesselte Reaktion unternimmt Zerstörungen und Brandstiftungen, sowie Gewalttätigkeiten gegen die Führer des Proletariats.

Mit Hilfe der Staatsmacht bemächtigen sich die Faschisten der Stadt.

Mit diesen Ereignissen setzt der Terror am historischen 21. November 1920 ein, und nachher gelingt es dem Bologner Munizipalrat nicht wieder, die Macht zu ergreifen.

Von Bologna ausgehend, verfolgte der Faschismus einen Weg, den wir hier nicht in allen Einzelheiten beschreiben können; wir sagen nur, dass er zwei geographische Richtungen einschlug: einerseits zum nordwestlichen industriellen Dreieck: Mailand, Turin und Genua, und andererseits nach Toscana und dem Zentrum Italiens, um die Hauptstadt umzingeln und bedrohen zu können. Es war von vornherein klar, dass in Süditalien aus denselben Gründen, die auch die Entstehung einer grossen sozialistischen Bewegung unmöglich gemacht hatten, keine faschistische Bewegung entstehen konnte.

Der Faschismus stellt so wenig eine Bewegung des rückständigen Teiles der Bourgeoisie dar, dass er zuerst nicht in Süditalien, sondern gerade dort auftauchte, wo die proletarische Bewegung am meisten entwickelt und der Klassenkampf am deutlichsten in Erscheinung getreten war.

Wie sollen wir uns nach diesen Angaben die faschistische Bewegung erklären? Ist sie eine rein agrarische Bewegung? Das wollten wir am allerwenigsten sagen, als wir die Behauptung aufstellten, dass die Bewegung hauptsächlich auf dem flachen Lande entstanden war; man kann den Faschismus nicht als unabhängige Bewegung eines einzigen Teiles der Bourgeoisie, als die Organisation der agrarischen Interessen im Gegensatz zu jenen der industriekapitalistischen hinstellen. Der Faschismus hat übrigens seine politische und gleichzeitig militärische Organisation selbst in jenen Provinzen, wo er seine Aktionen auf das flache Land beschränkte, in den grossen Städten geschaffen.

Wir sahen, dass in der Kammer, als der Faschismus nach seiner Beteiligung an den Wahlen 1921 eine parlamentarische Fraktion erlangt hatte, sich unabhängig vom Faschismus eine Agrarpartei bildete. Im Verlaufe der weiteren Ereignisse sahen wir, dass die industriellen Arbeitgeber den Faschismus unterstützten.

Entscheidend für die neue Situation war in allerletzter Zeit eine Deklaration des Allgemeinen Industrieverbandes, der sich dafür aussprach, dass Mussolini mit der Bildung des neuen Kabinetts betraut werde.

Eine noch interessantere Erscheinung in dieser Hinsicht ist jedoch das Phänomen der faschistischen Gewerkschaftsbewegung.

Wie bereits gesagt, verstanden es die Faschisten, sich die Tatsache zunutze zu machen, dass die Sozialisten niemals eine Agrarpolitik hatten und dass gewisse Elemente auf dem flachen Lande, die nicht ausgesprochen dem Proletariat angehörten, Interessen hatten, die jenen der Sozialisten entgegengesetzt waren.

Der Faschismus war eine Bewegung, die sämtliche Mittel der brutalsten und wildesten Gewalt ausnutzen musste. Er verstand es jedoch, diese Mittel mit der Anwendung der zynischsten Demagogie zu paaren. Der Faschismus versuchte, mit den Bauern und sogar mit den landwirtschaftlichen Lohnarbeitern Klassenorganisationen zu bilden. In gewissem Sinne trat er sogar gegen die Gutsbesitzer auf. Wir hatten Beispiele von gewerkschaftlichen Kämpfen unter faschistischer Leitung, die sehr viel Ähnlichkeit mit den früheren Methoden der roten Organisationen aufwiesen.

Wir können diese Bewegung, die durch Zwang und Terror eine faschistische Gewerkschaftsbewegung macht, keinesfalls als eine Form des Kampfes gegen die Arbeitgeber betrachten, wir können aber andererseits auch nicht den Schluss ziehen, dass der Faschismus eine Bewegung der landwirtschaftlichen Arbeitgeber im eigentlichen Sinne darstelle. Tatsache ist, dass der Faschismus eine grosse einheitliche Bewegung der herrschenden Klasse ist, die imstande ist, sämtliche Mittel, sämtliche partiellen und lokalen Interessen gewisser Gruppen landwirtschaftlicher und industrieller Arbeitgeber in ihren Dienst zu stellen, sie anzuwenden und auszunutzen.

Das Proletariat hat es nicht verstanden, sich zu einer einheitlichen Organisation zum gemeinsamen Kampf um die Eroberung der Macht zusammenzuschliessen und diesem Zwecke die unmittelbaren Interessen der kleinen Gruppen zu opfern. Es verstand nicht, dieses Problem in einem günstigen Augenblick zu lösen.

Die italienische Bourgeoisie nützte diesen Umstand aus, um dies ihrerseits zu versuchen. Es ist dies ein ungeheures Problem. Die herrschende Klasse schuf eine Organisation zur Verteidigung der in ihrer Hand befindlichen Macht und sie verfolgte hierbei einen einheitlichen Plan der antiproletarisehen, kapitalistischen Offensive.

Der Faschismus schuf eine Gewerkschaftsbewegung.. In welchem Sinne? Um den Klassenkampf zu führen? Niemals! Der Faschismus schuf seine Gewerkschaftsbewegung unter der Losung: Alle wirtschaftlichen Interessen haben das Recht, eine Gewerkschaft zu bilden; es können sich Vereine bilden unter den Arbeitern, den Bauern, den Kaufleuten, den Kapitalisten, den Grossgrundbesitzern usw. Sie alle können sich auf Grund desselben Prinzips organisieren. Die gewerkschaftliche Aktion sämtlicher Organisationen muss sich aber den nationalen Interessen, der nationalen Produktion, dem nationalen Ruhm usw. unterordnen.

Das ist eine Arbeitsgemeinschaft der Klassen und kein Klassenkampf. Sämtliche Interessen werden in eine angebliche nationale Einheit zusammengeschweisst. Wir wissen, was diese nationale Einheit bedeutet: die unbedingte gegenrevolutionäre Konservierung des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen. Die Gründung des Faschismus kann unserer Ansicht nach drei Hauptfaktoren zugeschrieben werden:

Dem Staat, der Grossbourgeoisie und den Mittelklassen.

Der erste dieser Faktoren ist der Staat. Der Staatsapparat hat in Italien bei der Gründung des Faschismus eine wichtige Rolle gespielt. Die Nachrichten über die aufeinanderfolgenden Krisen der bürgerlichen Regierung Italiens liessen den Glauben aufkommen, dass die italienischer Bourgeoisie einen derart unbeständigen Staatsapparat habe, dass zu dessen Sturz ein einziger Handstreich genügen würde.

Das stimmt keinesfalls. Die Bourgeoisie konnte die Faschistenorganisation gerade in dem Masse aufbauen, wie sich ihr Staatsapparat befestigte.

Während der unmittelbar auf den Krieg folgenden Periode macht der Staatsapparat eine Krise durch. Die offenkundige Ursache dieser Krise ist die Demobilisierung; sämtliche Elemente, die bis dahin am Krieg beteiligt waren, werden jetzt auf einmal auf den Arbeitsmarkt geworfen, und in diesem kritischen Augenblick soll sich die Staatsmaschine, die bis dahin mit der Herbeischaffung aller Hilfsmittel gegen den äusseren Feind beschäftigt war, in einen Apparat der Verteidigung der Macht gegen die innere Revolution verwandeln. Es war dies für die Bourgeoisie ein ungeheures Problem. Sie konnte dieses Problem weder vom technischen, noch vom militärischen Standpunkte aus durch einen offenen Kampf gegen das Proletariat lösen: sie musste es vom politischen Standpunkt aus tun.

In dieser Periode entstehen die ersten linken Regierungen nach dem Krieg; in dieser Periode kommt die politische Richtung Nittis und Giolittis zur Herrschaft.

Gerade diese Politik hat es dem Faschismus ermöglicht, seinen späteren Sieg zu sichern.

Man musste vorerst dem Proletariat Zugeständnisse machen; in dem Augenblick, da der Staatsapparat der Konsolidierung bedurfte, tauchte der Faschismus auf: es ist pure Demagogie, wenn er an diesen Regierungen Kritik übt und sie der Feigheit den Revolutionären gegenüber bezichtigt.

In Wirklichkeit haben die Faschisten die Möglichkeit ihres Sieges den Zugeständnissen der demokratischen Politik der ersten Minister der Nachkriegszeit zu verdanken.

Nitti und Giolitti haben der Arbeiterklasse Zugeständnisse gemacht. Gewisse Forderungen der Sozialistischen Partei – die Demobilisierung, das politische Regime, die Amnestie für die Fahnenflüchtigen – wurden erfüllt. Man machte diese verschiedenen Konzessionen, um zur Wiederherstellung des Staatsapparates auf solider Grundlage Zeit zu gewinnen. Nitti war es, der die ›Guardia Regia‹, d. h. ›die Königliche Garde‹ schuf, eine Organisation, die nicht gerade polizeilicher Natur war[61], sondern einen ganz neuen militärischen Charakter trug. Einer der grossen Fehler der Reform-Sozialisten war es, dass sie dieses Problem, das sie sogar auf verfassungsmässiger Grundlage, durch Protest gegen die Tatsache, dass der Staat eine zweite Armee bildet, hätten behandeln können, nicht als grundlegend betrachteten. Die Sozialisten begriffen nicht die Wichtigkeit dieser Frage und betrachteten Nitti als einen Mann, mit dem man in einer Linksregierung zusammenarbeiten könnte. Es ist dies wieder ein Beweis dafür, wie unfähig diese Partei ist, Verständnis für den Werdegang der italienischen Politik aufzubringen.

Giolitti vervollständigte das Werk Nittis. Im Ministerium Giolitti unterstützte Kriegsminister Bonomi die ersten Versuche des Faschismus; er stellte sich der im Entstehen begriffenen Bewegung und den demobilisierten Offizieren, die sogar nach ihrer Rückkehr ins bürgerliche Leben den grössten Teil ihrer Gagen weiter bezogen, zur Verfügung.

Er stellte den Staatsapparat im höchsten Masse dem Faschismus zur Verfügung. Man gewährte den Faschisten alle zur Bildung einer Armee nötigen Mittel.

Diese Regierung begreift im Augenblick der Besetzung der Betriebe sehr wohl, dass das bewaffnete Proletariat sich der Fabriken bemächtigt, dass das landwirtschaftliche Proletariat in seinem revolutionären Schwung darauf los steuert, sich des Bodens zu bemächtigen, dass es aber ein ungeheurer Fehler wäre, jetzt, bevor die Organisierung der konterrevolutionären Kräfte durchgeführt ist, den Kampf aufzunehmen.

Diese Regierung, die die Organisierung der reaktionären Kräfte vorbereitet hatte, die eines Tages die proletarische Bewegung zerschmettern sollten, konnte sich auf die Manöver der verräterischen Führer des Allgemeinen Gewerkschaftsverbandes stützen, die damals Mitglieder der Sozialistischen Partei waren. Durch das Zugeständnis des Gesetzes über die Arbeiterkontrolle, das niemals durchgeführt oder auch nur votiert wurde, gelang es der Regierung, in der kritischen Situation den bürgerlichen Staat zu retten.

Das Proletariat hatte sich der Betriebe und des Grund und Bodens bemächtigt, die Sozialistische Partei bewies aber wieder einmal, dass sie unfähig war, das Problem der Einheit, der Aktion der industriellen und landwirtschaftlichen Arbeiterklasse zu lösen. Dieser Fehler wird es der Bourgeoisie morgen ermöglichen, die gegenrevolutionäre Einheit zu verwirklichen, und diese Einheit wird sie in die Lage versetzen, einerseits die Arbeiter der Betriebe, andererseits die Arbeiter des flachen Landes zu besiegen.

Wie wir sehen, hat der Staat in der Entwicklung der faschistischen Bewegung eine Rolle von grösster Wichtigkeit gespielt.

Nach den Ministerien Nitti, Giolitti und Bonomi kam ein Ministerium Facta. Diese Regierung dient zur Maskierung der vollständigen Aktionsfreiheit des Faschismus in seinen territorialen Vormarsch. Zur Zeit des Auguststreiks 1922 entwickelten sich zwischen den Arbeitern und den Faschisten, die von der Regierung offen unterstützt wurden, ernste Kämpfe. Wir können das Beispiel von Barri[62] anführen. Eine ganze Woche Kampf genügte nicht, die Arbeiter von Barri, die sich in ihre Wohnungen in der Altstadt zurückgezogen hatten und sich mit der Waffe in der Hand verteidigten, zu besiegen, obwohl die ganze Macht der Faschisten aufgeboten war. Die Faschisten mussten sich zurückziehen, wobei ihrer mehrere auf dem Schlachtfelde blieben. Was tat jedoch die Regierung Facta? In der Nacht liess man die Altstadt durch Tausende von Soldaten, Hunderte von Carabinieri und Soldaten der ›Guarda Regia‹ umzingeln; man liess zum Sturm aufmarschieren. Vom Hafen her nahm ein Torpedoboot die Häuser aufs Korn. Maschinengewehre, Panzerautos, Geschütze fahren auf. Die im Schlafe überrumpelten Arbeiter wurden geschlagen, die Arbeiterkammer genommen. Genau so verfuhr der Staat überall. Überall, wo man merkte, dass der Faschismus vor den Arbeitern den Rückzug antreten musste, griff die Staatsmacht ein; man schoss auf die widerstehenden Arbeiter, man verhaftete und verurteilte die Arbeiter, deren einzige Schuld die Selbstverteidigung war, während Faschisten, die zweifellos gemeine Verbrechen begangen hatten, von den Behörden systematisch freigesprochen wurden.

Der erste Faktor ist also der Staat.

Der zweite Faktor des Faschismus ist, wie ich bereits gesagt habe, die Grossbourgeoisie. Die Grosskapitalisten der Industrie, des Bankwesens, des Handels, sowie die Grossgrundbesitzer haben ein natürliches Interesse daran, dass eine Kampforganisation gegründet werde, die ihre Offensive gegen die Werktätigen unterstützt.

Aber der dritte Faktor spielt in der Bildung der Faschistenmacht gleichfalls eine sehr wichtige Rolle.

Um neben dem Staat eine illegale reaktionäre Organisation zu schaffen, musste man andere Elemente anwerben, als jene, die die hohe herrschende Klasse unter ihren sozialen Elementen aufweisen konnte. Man erhielt sie dadurch, dass man sich an jene Schichten der Mittelklasse wandte, die wir erwähnt haben, indem man ihre Interessen vertrat, um sie zu umgarnen. Das ist es, was der Faschismus versuchte und was ihm, das muss man anerkennen, auch gelungen ist. Er hat in den Schichten, die dem Proletariat am nächsten stehen, Anhänger angeworben; desgleichen unter den Unzufriedenen des Krieges, unter all jenen Kleinbürgern, Halbbürgern, Kaufleuten und Händlern und vor allem unter jenen intellektuellen Elementen der bürgerlichen Jugend, die, indem sie Anhänger des Faschismus sind, die Energie wiederfinden, sich moralisch zu lieben und sich in die Toga der Bekämpfung der Proletarierbewegung zu hüllen, wobei sie dann zum exaltierten Patriotismus und italienischen Imperialismus gelangen. Diese Elemente brachten dem Faschismus eine bedeutende Anzahl von Anhängern und machten es ihm möglich, sich militärisch zu organisieren.

Das sind die drei Faktoren, die es unseren Gegnern gestatteten, uns diese Bewegung gegenüberzustellen, die an Roheit und Wildheit ihresgleichen sucht, der man aber zugestehen muss, dass sie eine solide Organisation ist und Führer von grosser politischer Gewandtheit hat. Die Sozialistische Partei hat niemals die Bedeutung der auftauchenden Gegenbewegungen begreifen können. Der ›Avanti!‹ hat von dem, was die Bourgeoisie unter Ausnutzung der verhängnisvollen Fehler der proletarischen Führer vorbereitete, nichts verstanden. Er wollte Mussolini nicht erwähnen, da er befürchtete, durch ein zu starkes Hervorheben Reklame für ihn zu machen.

Wir sehen also, dass der Faschismus keine neue politische Doktrin darstellt. Der Faschismus hat aber eine grosse politische und militärische Organisation, eine bedeutende Presse, die mit viel journalistischem Geschick und viel Eklektizismus gehandhabt wird. Aber er hat keine Ideen, kein Programm und jetzt, wo er an das Staatsruder gelangt ist, ist er konkreten Problemen gegenübergestellt und genötigt, sich der Organisation der italienischen Volkswirtschaft zu widmen. So bald er von seiner negativen Arbeit zur positiven Arbeit übergehen wird, wird er ungeachtet seines organisatorischen Talente Schwächen aufweisen.

Wir haben die historischen Faktoren und die soziale Realität betrachtet, aus denen die faschistische Bewegung entstanden ist. Wir müssen uns jetzt mit der Ideologie befassen, die der Faschismus angenommen hat, sowie mit dem Programm, mit dessen Hilfe er die verschiedenen ihm folgenden Elemente für sich gewonnen hat.

Unsere Kritik veranlasst uns zu dem Schluss, dass der Faschismus hinsichtlich der Ideologie und des traditionellen Programms der bürgerlichen Politik nichts Neues gebracht hat. Seine Überlegenheit und seine Eigenart bestehen alles in allem in seiner Organisation, seiner Disziplin und seiner Hierarchie. Ausser diesem ausserordentlichen und militärischen Äussern, bleibt ihm nichts als eine Lage voller Schwierigkeiten, die zu überwinden er unfähig ist: die ökonomische Krise, die stets die Ursachen der Revolution erneuern wird, während es dem Faschismus unmöglich sein wird, den sozialen Apparat der Bourgeoisie zu reorganisieren. Der Faschismus, der es nicht verstehen wird, die ökonomische Anarchie des kapitalistischen Systems zu überwinden, hat eine andere historische Aufgabe, die wir als den Kampf gegen die politische Anarchie, gegen die Anarchie der Organisation der bürgerlichen Klasse als politischer Partei bezeichnen können. Die Schichten der herrschenden Klasse Italiens haben traditionelle politische und parlamentarische Gruppierungen gebildet, die sich nicht auf fest organisierte Parteien stützen und die gegeneinander kämpfen und in ihren besonderen und lokalen Interessen einen Konkurrenzkampf führen, der unter den professionellen Politikern in den Couloirs des Parlaments zu allerlei Manövern führt. Die konterrevolutionäre Offensive der Bourgeoisie machte es notwendig, im sozialen Kampf und in der Regierungspolitik die Kräfte der herrschenden Klasse zu vereinen. Der Faschismus ist die Verwirklichung dieser Notwendigkeit. Indem er sich über alle traditionellen bürgerlichen Parteien stellt, beraubt er sie allmählich ihres Inhalts; er ersetzt sie in ihrer Tätigkeit und dank den Missgriffen der Proletarierbewegung gelingt es ihm, die politische Macht und das Menschenmaterial der Mittelklassen für seinen Plan zu verwerten. Aber es wird ihm unmöglich sein, sich eine Ideologie und ein konkretes Programm sozialer und staatlicher administrativer Reformen zu bilden, die die traditionelle bürgerliche Politik, die schon tausendmal bankrott gemacht hat, übertreffen.

Der kritische Teil der angeblichen Doktrin der Faschisten hat keinen grossen Wert. Sie gibt sich einen antisozialistischen und zugleich einen antidemokratischen Anstrich. Was den Antisozialismus anbelangt, so liegt es klar auf der Hand, dass der Faschismus eine Bewegung der antiproletarischen Mächte ist und dass es ihm ansteht, sich gegen alle sozialistischen oder halbsozialistischen wirtschaftlichen Formen zu erklären, ohne dass es ihm dabei gelingt, etwas Neues zu bieten, um das System des Privatbesitzes zu unterstützen, es sei denn, dass er sich mit dem Gemeinplatz des verfehlten Kommunismus in Russland begnügt. Die Demokratie muss aber durch einen faschistischen Staat ersetzt werden, weil sie es nicht verstanden hat, die revolutionären und antisozialen Tendenzen zu bekämpfen. Doch das ist bloss eine hohle Phrase.

Der Faschismus ist nicht eine Tendenz der bürgerlichen Rechten, die sich auf die Aristokratie, die Geistlichkeit, die hohen Zivil- und Militärbeamten stützt und die Demokratie der bürgerlichen Regierung und der konstitutionellen Monarchie durch die despotische Monarchie ersetzen will. Der Faschismus verkörpert den gegenrevolutionären Kampf aller verbündeten bürgerlichen Elemente, und darum ist es für ihn keineswegs unbedingt notwendig, die demokratischen Institutionen zu zerstören. Von unserem marxistischen Gesichtspunkte aus braucht dieser Umstand keineswegs als paradox angesehen zu werden, denn wir wissen, dass das demokratische System nur eine Zusammenfassung lügnerischer Garantien darstellt, hinter denen sich der Kampf der herrschenden Klasse gegen das Proletariat verbirgt.

Der Faschismus vereinigt gleichzeitig die reaktionäre Gewalt und das demagogische Geschick, womit die bürgerliche Linke es stets verstanden hat, das Proletariat zu betrügen und die Überlegenheit der grossen kapitalistischen Interessen allen sozialen und politischen Bedürfnissen der Mittelklassen gegenüber zu beweisen. Wenn die Faschisten von einer sogenannten Kritik der liberalen Demokratie dazu übergehen, uns ihre positiven, ideologischen Anschauungen zu enthüllen, indem sie einen überspannten Patriotismus predigen und von einer historischen Mission des Volkes faseln, so dichten sie einen historischen Mythos, der keine ernste Grundlage hat, sobald man die wahre soziale Kritik anwendet, die das Land der Scheinsiege, Italien genannt, entlarvt. Was den Einfluss auf die Massen betrifft, so haben wir hier eine Nachahmung der klassischen Haltung der bürgerlichen Demokratie vor uns: wenn man behauptet, dass alle Interessen sich dem überlegenen nationalen Interesse unterordnen müssen, so bedeutet das, dass man im Prinzip ein Zusammenarbeiten aller Klassen unterstützt, während man in der Praxis nur die konservativen bürgerlichen Institutionen gegen die revolutionären Selbstbefreiungsversuche des Proletariats unterstützt. Dasselbe hat die liberale bürgerliche Demokratie immer getan.

Das Neue im Faschismus besteht darin, dass er die bürgerliche Regierungspartei organisiert. Die politischen Ereignisse auf der Tribüne des italienischen Parlaments haben den Glauben erweckt, dass der bürgerliche Staatsapparat in eine derartige Krise geraten ist, dass ein Stoss von aussen genügen würde, um ihn zu zerbrechen. In Wahrheit handelte es sich bloss um eine Krise der bürgerlichen Regierungsmethoden, die entstanden war infolge der Ohnmacht der Gruppierungen und der traditionellen Leiter der italienischen Politik, die es nicht vermochten, den Kampf gegen die Revolutionäre während einer scharfen Krise zu führen.

Der Faschismus schuf ein Organ, das befähigt war, die Rolle des Hauptes der Staatsmaschine in diesem Lande zu übernehmen.

Als aber die Faschisten neben ihrem praktischen Kampf gegen die Proletarier ein positives und konkretes Programm der sozialen Organisation und Administration des Staates aufstellten, haben sie im Grunde nur die banalen Thesen der Demokratie und der Sozialdemokratie wiederholt. Sie haben keineswegs ein eigenes, geschlossenes System von Vorschlägen und Projekten geschaffen.

So haben sie z. B. immer behauptet, dass im faschistischen Programm eine Einschränkung des bürokratischen Staatsapparates enthalten sei, die von oben her mit der Einschränkung der Zahl der Ministerien begonnen und auf allen Gebieten der Administration fortgesetzt werden soll. Wenn es nun auch wahr ist, dass Mussolini auf den Salonwagen des Ministerpräsidenten verzichtet hat, so hat er andererseits die Zahl der Minister und Staatsuntersekretäre erhöht, um hier seine Prätorianer unterbringen zu können. Genau so wie der Faschismus sich nach verschiedenen republikanischen oder rätselhaften Gesten angesichts des Problems: Monarchie oder Republik? zum reinen loyalen Monarchismus entschlossen hat, so hat er auch nach vielem Geschrei über die parlamentarische Korruption, völlig die Praxis des Parlamentarismus übernommen.

Er zeigte so wenig Neigung, sich die Tendenzen der reinen Reaktion anzueignen, dass er dem Syndikalismus den weitesten Spielraum liess. Auf dem Kongress zu Rom im Jahre 1921, wo der Faschismus fast lächerliche Versuche machte, seine Doktrin zu fixieren, unternahm man den Versuch, den faschistischen Syndikalismus als die Vorherrschaft der Bewegung der intellektuellen Arbeiterkategorien zu bezeichnen. Aber diese angeblich theoretische Richtung ist durch die hässliche Wirklichkeit schon längst widerlegt worden. Dem Faschismus, der seine Gewerkschaftsorganisationen auf die materielle Gewalt und das Monopol der Arbeitsgelegenheiten gründete, das ihm von den Arbeitgebern überlassen wurde, um dadurch die roten Organisationen zu brechen, ist es doch nicht gelungen, sich auch auf jene Kategorien zu erstrecken, wo die technische Spezialisierung der Arbeit, die für den Arbeiter vorteilhaft ist, grösser ist. Er hat nur unter den landwirtschaftlichen Arbeitern und gewissen weniger qualifizierten Kategorien der städtischen Arbeiterschaft Erfolg gehabt, z. B. unter den Hafenarbeitern, ohne dass es ihm aber gelungen wäre, den fortgeschrittensten und intelligentesten Teil des Proletariats zu erobern. Er hat nicht einmal der Bewegung der Angestellten und Gewerbetreibenden auf gewerkschaftlichem Gebiet einen neuen Schwung gegeben. Der Syndikalismus[63] der Faschisten beruht auf keiner ernsten Theorie. Die Ideologie und das Programm der Faschisten enthalten ein wirres Gemisch von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen und Forderungen, und die systematische Anwendung von Gewalt gegenüber dem Proletariat verhindert keineswegs, dass man aus den sozialdemokratischen Quellen des Opportunismus schöpft.

Einen Beweis dafür gibt die Stellungnahme der italienischen Reformisten, deren Politik eine zeitlang von antifaschistischen Prinzipien und von der Illusion, eine bürgerlich-proletarische Koalitionsregierung gegen die Faschisten bilden zu können, beherrscht zu sein schien, und die sich jetzt den siegreichen Faschisten anschliessen. Diese Annäherung ist keineswegs paradox, sie kam durch eine ganze Reihe von Umständen zuwege und viele Dinge liessen sie voraussehen. Unter anderem auch die D’Annunzio-Bewegung, die einerseits mit dem Faschismus in Verbindung steht und andererseits den Versuch machte, sich auf Grund eines jener Fiumaner Konstitution entstammenden Programms, das angeblich auf proletarischer oder sogar sozialistischer Grundlage ruhte, den Proletarierorganisationen anzuschliessen.

Ich müsste noch einige Dinge erwähnen, die ich hinsichtlich des faschistischen Phänomens für sehr wichtig halte; doch fehlt es mir an der Zeit hierzu, aber die übrigen italienischen Genossen werden meine Rede ergänzen können, wenn sie an den Debatten teilnehmen. Ich wollte alles unerwähnt lassen, was die sentimentale Seite der Frage und die Leiden anbelangt, die die italienischen Arbeiter und Kommunisten zu erdulden hatten, weil mir das nicht das Wesentliche der Frage zu sein schien.

Ich muss mich noch mit den letzten Ereignissen befassen, die in Italien vorgefallen sind und über die der Kongress genaue Informationen erwartet.

Die letzten Ereignisse

Unsere Delegation hat Italien vor den letzten Ereignissen verlassen und war bis jetzt ziemlich schlecht über sie informiert.

Gestern abend ist ein Delegierter unseres Zentralkomitees angelangt und hat uns über diese Ereignisse berichtet. Ich bürge Ihnen für die genaue Wiedergabe der Tatsachen, die man uns über die letzten Ereignisse in Italien mitgeteilt hat, und werde sie Ihnen wiederholen.

Wie ich Ihnen bereits mitteilte, hat die Regierung Facta. den Faschisten bei der Durchführung ihrer Politik den allerweitesten Spielraum gelassen. Ich gebe dafür nur ein Beispiel. Der Umstand, dass es in den aufeinander folgenden Ministerien eine starke Vertretung der italienischen katholisch-bäuerlichen Volkspartei gab, hat die Faschisten nicht gehindert, den Kampf gegen die Organisationen, die Personen und die Institutionen dieser Partei fortzusetzen. Die bestehende Regierung war nur eine Scheinregierung, deren einzige Tätigkeit darin bestand, den auf die Macht gerichteten Vormarsch der Faschisten, den wir als rein territorial und geographisch bezeichnet haben, zu unterstützen.

In Wirklichkeit bereitete die Regierung den Boden zum faschistischen Umsturz vor. Unterdessen entwickelten sich aber die Dinge. Es entstand eine neue ministerielle Krise. Man forderte die Abdankung Factas. Die letzten Wahlen hatten hinsichtlich der verschiedenen Parteien eine derartige Zusammensetzung des Kabinetts ergeben, dass es unmöglich war, sich nach den alten Methoden der traditionellen bürgerlichen Parteien eine ständige Majorität zu sichern. Man pflegte immer zusagen, dass in Italien die ,»riesige liberale Partei« an der Macht sei. Das war aber keine Partei im eigentlichen Sinne des Wortes – als Partei hat sie niemals bestanden; sie war nicht zu einer Organisation ausgebildet. Sie stellte nur einen Mischmasch von persönlichen Cliquen dieser oder jener Politiker aus dem Norden oder Süden vor; ferner von Cliquen der industriellen oder ländlichen Bourgeoisie in den Händen von Berufspolitikern. Das Ensemble dieser Parlamentarier bildete in der Tat den Kern jeder parlamentarischen Kombination.

Nun aber war für den Faschismus der Augenblick gekommen, diese Lage zu ändern, wenn er nicht einer schweren inneren Krise verfallen wollte. Es handelte sich auch um eine Organisationsfrage. Man musste die Bedürfnisse der Faschistenbewegung befriedigen und die Kosten dieser Organisation bezahlen. Diese materiellen Mittel sind im grossen Massstab von den herrschenden Klassen und, wie es scheint, auch von den ausländischen Regierungen vorgestreckt worden. Frankreich hat der Gruppe Mussolini Geld gegeben. In einer geheimen Sitzung des französischen Kabinetts ist über ein Budget beraten worden, das bedeutende, im Jahre 1915 an Mussolini verabfolgte Summen umfasst. In Dokumente dieser Art hat die Sozialistische Partei Einsicht genommen; sie wollte aber damals die Sache nicht weiter verfolgen, denn sie behauptete, dass Mussolini ein geschlagener Mann sei. Andererseits hat die italienische Regierung den Faschisten immer die Aufgabe erleichtert, so dass diese z. B in ganzen Banden unentgeltlich die Eisenbahnen benutzen durften. Dessenungeachtet wurde die Lage infolge der ungeheuren durch die Faschistenbewegung verursachten Ausgaben eine schwierige, wenn sie nicht direkt die Macht ergreifen wollten. Sie konnten auf keine neuen Wahlen warten, trotzdem der Erfolg sicher war. Die Faschisten besitzen bereits eine starke politische Organisation.

Sie zählen schon 300 000 Mann; sie selbst behaupten, dass ihrer mehr seien. Sie hätten sogar mittels der ›Demokratie‹ siegen können. Doch Eile tat not.

Am 24. Oktober fand in Neapel die Sitzung des Nationalrates der Faschisten statt. Jetzt wird behauptet, dass dieses Ereignis, wofür in der ganzen bürgerlichen Presse Reklame gemacht worden ist, nur ein Manöver gewesen sei, um die Aufmerksamkeit vom Staatsstreich abzulenken. In einem gewissen Augenblick sagte man den Teilnehmern des Kongresses: brechen wir die Debatten ab, es gibt Besseres zu tun. Jeder gehe wieder an seinen Platz. Es begann eine faschistische Mobilisation. Das war am 26. Oktober. In der Hauptstadt herrschte noch völlige Ruhe.

Facta hatte erklärt, dass er nicht abdanken wolle, ehe er nicht noch einmal das Kabinett zusammenberufen habe, um den üblichen Vorgang zu beobachten. Doch ungeachtet dieser Erklärung reichte er beim König seine Abdankung ein.

Man begann über die Bildung eines neuen Ministeriums zu unterhandeln. Die Faschisten marschierten nach Rom, dem Zentrum ihrer Tätigkeit. Sie waren besonders in Mittelitalien, in Toscana, tätig. Man liess sie gewähren.

Salandra wurde mit der Bildung des neuen Ministeriums beauftragt. Doch infolge der Haltung der Faschisten lehnte er es ab, die Regierung zu übernehmen.

Es ist anzunehmen, dass die Faschisten, wenn man sie nicht durch die Ernennung Mussolinis befriedigt hätte, sich sogar gegen den Willen ihrer Führer wie Räuber aufgeführt und in den Städten und auf dem Lande alles geplündert und zerstört hätten.

Es bestand eine gewisse Erregung der öffentlichen Meinung. Die Regierung Facta erklärte: wir verhängen den Belagerungszustand. Man erklärte den Belagerungszustand und erwartete einen grossen Zusammenstoss der Staatsmacht mit den Kräften der Faschisten. Die öffentliche Meinung wartete darauf einen ganzen Tag lang, unsere Genossen verhielten sich zu dieser Möglichkeit sehr skeptisch.

Nirgends, wo die Faschisten vorüber kamen, stiessen sie auf ernstlichen Widerstand. Und dennoch gab es in der Armee gewisse Kreise, die gegen die Faschisten gestimmt waren; die Soldaten waren bereit gegen die Faschisten loszugehen, während die Mehrzahl der Offiziere für sie war.

Der König weigerte sich, die Verhängung des Belagerungszustandes zu unterschreiben. Das bedeutete die Annahme der Bedingungen der Faschisten, die im ›Popolo d’Italia‹ schrieben: Es genügt, Mussolini zu bitten ein neues Ministerium zu bilden, und man hat damit noch eine legale Lösung gefunden; ist das nicht der Fall, so marschieren wir auf Rom und bemächtigen uns seiner.

Einige Stunden, nachdem der Belagerungszustand aufgehoben worden war, erfuhr man, dass Mussolini sich nach Rom begebe. Man hatte schon eine militärische Verteidigung vorbereitet, man hatte Truppen zusammengezogen und die Stadt mit spanischen Reitern umgeben. Aber die Vereinbarung war schon getroffen worden und am 31. Oktober zogen die Faschisten siegreich in Rom ein.

Mussolini bildete das neue Ministerium, dessen Zusammensetzung bekannt ist.

Die Faschistenpartei, die im Parlament nur 35 Sitze besass, hatte in der Regierung die absolute Majorität.

Mussolini behielt sich nicht nur den Präsidentenstuhl im Ministerrat vor, sondern auch die Portefeuilles des Innern und des Äusseren. In die übrigen wichtigen Portefeuilles teilten sich die Mitglieder der Faschistenpartei.

In den anderen Ministerien machten sich die Faschisten ziemlich breit.

Da es aber mit den traditionellen Parteien noch zu keinem völligen Bruch gekommen war, gab es in der Regierung auch zwei Vertreter der sozialen Demokratie, das heisst der linken bürgerlichen Elemente, sowie auch der Rechts-Liberalen und einen Anhänger von Giolitti.

Die Repräsentanten des königlichen Monarchismus waren im Kriegsministerium der General Diaz und im Marineministerium Admiral Thaon di Revel.

Die Volkspartei, die im Kabinett eine sehr grosse Bedeutung besitzt, zeigte sich im Kompromiss mit Mussolini sehr geschickt. Unter dem Vorwand, dass die offiziellen Parteiorgane sich nicht in Rom versammeln konnten, wurde die Verantwortung für die Annahme der Vorschläge Mussolinis einer offiziösen Versammlung einiger Parlamentarier überlassen. Dennoch gelang es, Mussolini zu gewissen Zugeständnissen zu bewegen, und die Presse der Volkspartei konnte erklären, dass die neue Regierung keine grossen Veränderungen im Wahlsystem der Volksvertretung gebracht habe.

Der Kompromiss erstreckte sich bis auf die Sozialdemokraten. Einen Augenblick lang war man überzeugt, dass der Reformsozialist Baldesi an der Regierung teilnehmen würde. Mussolini war geschickt genug, durch einen seiner Leutnants seine Meinung einzuholen; nachdem Baldesi erklärt hatte, dass er glücklich sein würde, diese Stellung einzunehmen, erklärte Mussolini, dass dieser Schritt lediglich von einem seiner Freunde auf dessen persönliche Verantwortung hin unternommen worden sei. So kam es, dass Baldesi dem Ministerkabinett nicht beitrat.

Mussolini hat aus dem Grunde keinen Vertreter des reformistischen allgemeinen Gewerkschaftsverbandes aufgenommen, weil die rechten Elemente des Kabinetts sich dem widersetzt haben. Aber Mussolini ist der Meinung, dass man schliesslich doch eine Vertretung dieser Organisation in seiner ›grossen nationalen Koalition‹ haben müsse, jetzt, wo sie von jeder revolutionären politischen Partei unabhängig geworden ist.

Wir erblicken in diesen Ereignissen ein Kompromiss zwischen den traditionellen politischen Cliquen und den verschiedenen Schichten der herrschenden Klasse, den Grundbesitzern, Bank- und Industriekapitalisten, die dem neuen Regime zuneigen, das durch eine Bewegung. hervorgebracht wurde, die sich die Unterstützung der Kleinbourgeoisie gesichert hat.

Unserer Meinung nach ist der Faschismus ein Mittel, sich durch alle den herrschenden Klassen zur Verfügung stehenden Mittel, die Macht zu sichern, wobei sie sich sogar die Lehren der ersten Proletarierrevolution – der russischen Revolution – zunutze machten. Sobald es sich um eine ökonomische Krise handelt, genügt der Staat nicht, um die Macht aufrechtzuerhalten. Es bedarf einer einheitlichen Partei, einer einheitlichen gegenrevolutionären Organisation. Die Faschistenpartei ist infolge ihrer Berührung mit der gesamten Bourgeoisie in gewisser Hinsicht dasselbe, was in Russland die Kommunistische Partei infolge ihrer Beziehungen zum Proletariat ist, nämlich ein leitendes und kontrollierendes Organ des gesamten Staatsapparates, das gut organisiert und diszipliniert ist. Die Faschistenpartei in Italien hat mit ihren politischen Kommissaren fast alle bedeutenden Posten in den Ressorts des Staatsapparats besetzt. Sie ist das leitende bürgerliche Organ des Staates in der Periode des Niederganges des Imperialismus. Das ist meiner Meinung nach eine ausreichende geschichtliche Erklärung des Faschismus und der letzten Ereignisse in Italien.

Die ersten Massnahmen der neuen Regierung beweisen, dass diese nicht beabsichtigt, die Grundlagen der traditionellen Institutionen in Italien zu ändern.

Ich behaupte selbstverständlich nicht, dass die Lage für die proletarische und sozialistische Bewegung günstig sei, wenn ich auch voraussage, dass der Faschismus liberal und demokratisch sein wird. Die Regierungen der Demokratie haben dem Proletariat niemals etwas anderen als Erklärungen und Versprechungen gegeben. Z. B. hat die Regierung Mussolinis die Versicherung abgegeben, dass sie die Pressefreiheit respektieren werde. Aber sie hat nicht unterlassen hinzuzufügen, dass die Presse sich der Freiheit auch würdig erweisen müsse. Was soll das heissen? Das soll heissen, dass die Regierung zwar die Pressefreiheit zu respektieren vorgibt, dass sie aber ihre faschistisch-militärischen Organisationen, die gegen die kommunistischen Organe losgehen, gewähren lassen wird, wenn es ihr belieben sollte, sie so zu unterdrücken, wie es schon einmal der Fall war. Man muss übrigens zugeben, dass die faschistische Regierung gewissen bürgerlichen Liberalen Zugeständnisse macht und dass man nicht allzu grosse Hoffnung auf die Versicherung der Regierung Mussolinis setzen darf, nach der dieser seine militärische Organisation in einen Sportverein oder etwas ähnliches umzuwandeln gedenkt; es ist uns bekannt, dass man Dutzende von Faschisten in Polizeigewahrsam nehmen sah, weil sie sich dem von Mussolini erlassenen Demobilisierungsbefehl widersetzt hatten.

Welchen Einfluss hatten nun diese Ereignisse auf das Proletariat? Dieses hat sich in einer derartigen Lage befunden, dass es im Kampf keine wichtige Rolle spielen konnte und sich fast passiv verhalten musste.

Was die Kommunistische Partei anbelangt, so hat sie es stets wohl begriffen, dass der Sieg des Faschismus eine Niederlage der revolutionären Bewegung sein würde. Das Problem besteht hauptsächlich darin, zu wissen, ob die Taktik der Kommunistischen Partei imstande gewesen war, das Maximum der Ergebnisse bei der Verteidigung des italienischen Proletariats und in der Verteidigungsstellung zu erreichen, denn wir bezweifelten nie, dass sie gegenwärtig nicht imstande sei, eine Offensive gegen die faschistische Reaktion einzuleiten. Wenn an Stelle des Kompromisses zwischen der Bourgeoisie und dem Faschismus ein militärischer Konflikt, ein Bürgerkrieg entstanden wäre, so hätte das Proletariat vielleicht eine gewisse Rolle spielen, die Einheitsfront für den Generalstreik herstellen und einen Erfolg erringen können. Aber wie die Lage nun einmal war, hat das Proletariat an den Aktionen nicht teilgenommen. War auch die Bedeutung der sich entwickelnden Ereignisse ungeheuer, so muss man doch in Betracht ziehen, dass der Wechsel auf der politischen Bühne weniger brüsk war, als es den Anschein hat, da die Umstände sich noch vor dem endgültigen Losschlagen des Faschismus tagtäglich zugespitzt hatten. Als einziges Beispiel des Kampfes gegen Staatsmacht und Faschismus mag der Konflikt von Cremona gelten, bei dem sechs Personen getötet wurden. Das Proletariat hat nur in Rom gekämpft. Die revolutionären Arbeitertruppen hatten einen Zusammenstoss mit den Faschistentruppen. Es hat Verwundete gegeben. Am nächsten Tage hat die ›Guardia Regia‹ die Arbeiterviertel besetzt, sie aller Verteidigungsmittel beraubt und die heranziehenden Faschisten schossen die Arbeiter kaltblütig nieder. Das ist die blutigste Episode, die es während dieser Kämpfe in Italien gegeben hat.

Die Allgemeine Arbeitsföderation hat die Kommunistische Partei, als sie den Generalstreik vorschlug, entwaffnet, und forderte das Proletariat auf, den von den revolutionären Gruppen gegebenen gefährlichen Weisungen nicht zu folgen. Man hat sogar die Nachricht verbreitet, dass die Kommunistische Partei sich aufgelöst habe; das geschah in einem Augenblick, wo es unserer Presse unmöglich war, zu erscheinen.

In Rom war das für unsere Partei blutigste Ereignis die Besitzergreifung der Redaktion des ›Communista.‹. Am 31. Oktober wurde das Lokal der Druckerei in einem Augenblick besetzt, wo die Zeitung gerade erscheinen sollte und 100 000 Faschisten die Stadt besetzt hielten. Allen Redakteuren war es gelungen durch Nebenausgänge zu entkommen, mit Ausnahme des Gen. Togliatti, unseres Chefredakteurs. Er war in seinem Büro. Die Faschisten kamen herein und bemächtigten sich seiner. Die Haltung unseres Genossen war geradezu heldenhaft. Kühn erklärt er, dass er der Chefredakteur des ›Communista.‹ sei. Schon wurde er an die Wand gestellt, um erschossen zu werden, während die Faschisten die Menge zurücktrieben, um die Exekution vorzunehmen. Unser Genosse entging ihr nur dadurch, dass die Faschisten auf die Nachricht hin, die übrigen Redakteure seien über die Dächer entflohen, sich aufmachten, um sie zu fangen. Das hat unsern Genossen nicht daran gehindert, einige Tage später auf dem Meeting in Turin anlässlich der Jahresfeier der russischen Revolution eine Rede zu halten (Beifall).

Aber die eben von mir berichtete Tatsache steht ganz vereinzelt da. Die Organisation unserer Partei befindet sich in ziemlich gutem Zustande. Dass die ›Communista.‹ nicht erscheint, geschieht nicht infolge eines Regierungsbeschlusses, sondern weil die Druckerei ihn nicht herstellen will. Wir haben ihn dann auf illegale Weise in einer anderen Druckerei herausgegeben. Die Schwierigkeiten der Veröffentlichung waren nicht technischer, sondern nur ökonomischer Art.

In Turin wurde das Gebäude des ›Ordine Nuovo‹ besetzt und die dort zur Verteidigung befindlichen Waffen beschlagnahmt. Aber wir drucken die Zeitung an einem andern Orte.

In Triest hat die Polizei gleichfalls von der Druckerei unserer Zeitung Besitz ergriffen, aber wir lassen auch dieses Organ illegal erscheinen. Unsere Partei besitzt noch die Möglichkeit, legal zu arbeiten, und unsere Lage ist nicht allzu tragisch. Aber man kann nicht wissen, wie die weitere Entwicklung der Dinge sein wird, und deshalb bin ich genötigt, mich über die zukünftige Lage unserer Partei und unserer Arbeit zurückhaltend zu äussern.

Der soeben eingetroffene Genosse ist ein leitender Arbeiter aus einer wichtigen lokalen Organisation unserer Partei und er vertritt die interessante Auffassung, die auch von vielen anderen Kämpfern vertreten wird, dass man von nun ab besser als früher wird arbeiten können. Ich will diese Ansicht nicht für eine feststehende Wahrheit halten. Aber der Genosse, der das sagt, ist ein Kämpfer, der wirklich unter den Massen arbeitet, und seine Meinung ist von hohem Wert.

Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass die gegnerische Presse die falsche Nachricht über die Auflösung unserer Partei verbreitet hat. Wir haben ein Dementi veröffentlicht und die Wahrheit festgestellt. Unsere zentralen politischen Organe, unsere illegale militärische Zentrale, unsere Gewerkschaftszentrale sind in voller Arbeit begriffen und die Verbindungen mit der Provinz sind fast überall wiederhergestellt. Die in Italien gebliebenen Genossen haben keinen Augenblick den Kopf verloren und sind eben dabei alles zu tun, was nötig ist. Der ›Avanti!‹ ist durch die Faschisten zerstört worden und es wird einiger Tage bedürfen, um die Herausgabe der Zeitung wieder zu ermöglichen. Man hat das Gebäude der Zentrale der Sozialistischen Partei in Rom zerstört und alle Geheimpapiere bis auf das letzte Blatt verbrannt.

Über die Stellung der Maximalisten-Partei zu der Polemik zwischen der Kommunistischen Partei und der CGL. besitzen wir weder ein Manifest, noch eine Deklaration.

Was die Reformisten anbelangt, so geht es aus der Sprache ihrer Blätter, die noch erscheinen, klar hervor, dass sie sich mit der neuen Regierung vereinigen werden.

Hinsichtlich der Gewerkschaftsfrage ist der Gen. Repossi von unserem Gewerkschaftskomitee der Meinung, dass man die Arbeit werde fortsetzen können.

Das sind die von uns erhaltenen Informationen, die vom 6. November datieren.

Meine Rede dauert schon lange, und ich werde die Frage der Stellungnahme unserer Partei während der ganzen Entwicklungsperiode des Faschismus nicht berühren, indem ich es mir vorbehalte, das bei anderen Punkten der Geschäftsordnung des Kongresses zu tun. Wir wollen uns nur die Frage stellen, welches die Aussichten für die Zukunft sind. Wir haben behauptet, dass der Faschismus mit der durch die Politik der Regierung provozierten Unzufriedenheit wird rechnen müssen.

Dennoch wissen wir sehr wohl, dass, wenn man neben dem Staat eine militärische Organisation zur Hand hat, es leichter ist, die Unzufriedenheit und die ungünstigen ökonomischen Verhältnisse zu bewältigen.

Während der Diktatur des Proletariats ist das in einem viel weiteren Sinne wahr, weil die historische Entwicklung zu unseren Gunsten spricht. Die Faschisten sind ausgezeichnet organisiert und haben feste Aussichten. Unter diesen Umständen lässt es sich voraussehen, dass die Position der Faschistenregierung durchaus nicht unsicher sein wird. Sie haben gesehen, dass ich die Verhältnisse, unter denen unsere Partei gekämpft hat, keineswegs übertrieben habe. Wir wollen hier keine Gefühlsfrage daraus machen.

Die Kommunistische Partei Italiens hat vielleicht Fehler begangen; man kann sie kritisieren, aber ich glaube, dass im gegenwärtigen Augenblick die Haltung der Genossen davon zeugt, dass wir eine wirkliche Arbeit, die der Bildung einer revolutionären Partei des Proletariats geleistet haben, die die Grundlage der Erhebung der Arbeiterklasse Italiens bilden wird.

Die italienischen Kommunisten haben das Recht, Anerkennung zu verlangen. Wenn man auch ihre Haltung nicht immer gebilligt hat, so fühlen sie doch, dass sie sich gegenüber der Revolution und der Kommunistischen Internationale nichts vorzuwerfen haben.«

Die pluralistischen Jahre und die Entwicklung zur totalitären Herrschaft

Der Faschismus war seit zwei Wochen an der Macht. Er konnte zufrieden auf die Unterstützung zurückblicken, die er auf der letzten Strecke vor dem Ziel von allen Flügeln der Bourgeoisie und von ihren opportunistischen Lakaien erhalten hatte. Das Proletariat seinerseits hatte den Vorsturm des Gegners nicht aufhalten können (und die KP hatte keine Illusionen darüber gehabt oder verbreitet), es war aber, wie der Faschismus feststellen musste, bei weitem noch nicht erledigt. Der »Marsch auf Rom« hatte in einem wagon-lit bequem vollzogen werden können; der »Marsch auf das Proletariat« sollte noch harte Angriffe verlangen und allein bei den Arbeitern, wenn auch in spärlichen Gruppen, waren die wenigen Kolonnen aus Schwarzhemden, die Kurs auf die Hauptstadt genommen hatten, auf Widerstand getroffen.

An der Macht installiert, mobilisierte der Faschismus alle Abwehrkräfte der herrschenden Ordnung, vor allem die Staatskräfte, in der Hoffnung, den wahren Gegner im Laufe weniger Tage oder Monate beugen zu können,

Es war eine wahre Racheorgie. Die Redaktionen der kommunistischen Zeitungen – »Il Comunista« in Rom und »L’Ordine Nuovo« in Turin – wurden gestürmt, allein »Il Lavoratore« von Triest konnte am 7. Dezember wieder erscheinen; unzählige Parteilokale, Arbeiterzirkel und Arbeitskammern wurden angegriffen und zerstört; vom 18. bis zum 21. Dezember: Gemetzel in Turin mit 11 Toten, zahllosen Verwundeten, Brandstiftungen, Verwüstungen; bei den Kommunalwahlen in Mailand: Verhaftung von 700 Arbeitern, in der Mehrzahl Kommunisten; am 23. Dezember: »Amnestie« für alle… »mit nationaler Zielsetzung« begangenen Straftaten.

»Die alten Gewaltmethoden der faschistischen Aktion werden eben durch die Anwendung des Polizeiapparates vervollständigt« – schrieb Amadeo Bordiga am 8. Januar 1923, kaum aus Moskau zurückgekehrt an das Exekutivkomitee der KI: »Die Regierung hat die Reform eingeführt, die Königlichen Garden, einschliesslich der Agenten in Zivil, und die Carabinieri zu einer einzigen Truppe zusammenzufassen. Gleichzeitig werden die bewaffneten faschistischen Brigaden in eine nationale faschistische Miliz verwandelt, die vom Staat bewaffnet und subventioniert wird und dem Vorsitzenden des Ministerrates direkt unterstellt ist. Dieser Apparat führt den Kampf gegen die proletarische Bewegung durch. Allen legalen Formen der proletarischen Bewegung ist es unmöglich, Widerstand zu leisten, und sie überleben nur in dem Masse, in dem sie jeden Verzicht in Kauf nehmen. Gegen die politische Organisation der Partei und ihre illegale Tätigkeit erreicht die faschistische Polizei nur etwas mehr als die alte Polizei. Ihre Aktion leidet unter einer Welle von Unzufriedenheit, die sich im Aufruhr der entlassenen Königlichen Garden Luft machte und unter verschiedenen Beamten grassiert[64]. Denn mit ihren Initiativen verdrängen die Faschisten diese Beamten, und sie mischen sich auf eine manchmal ziemlich lächerliche, wenn auch oft brutale und gewaltsame Art in ihre Arbeit ein. Der Faschismus bildet sich ein, durch überenergische Methoden auch die gewöhnliche Kriminalität erfolgreich unterdrücken zu können (…). Man muss zugeben, dass die Regierung, bzw. Mussolini im Namen der Regierung die Probleme überwindet, ohne sich im geringsten um die Prozedur und Tradition zu kümmern. Das wird sie vor tödlichen Fehlern nicht schützen; zur Zeit bemühen sie sich aber, diesen »revolutionären« Kurs und Ton einzuhalten, denn sie möchten als ›Bürgerschreck‹ erscheinen. Zum Beispiel die ›Amnestie‹. Es ist äusserst einfach: Jedes im Laufe der politischen Kämpfe und des Bürgerkrieges begangene Verbrechen wird unter den Tisch gekehrt, wenn damit ein nationales Ziel verfolgt wurde. Infolge dieses neuen Rechtsgrundsatzes öffneten sich sofort die Tore der Gefängnisse für jene wenigen Faschisten, die so weit gegangen waren, dass die bürgerlichen Richter sie verurteilt hatten. Die Arbeiter bleiben in Haft und werden aus den geringsten Anlässen zu zig Jahren verurteilt.« Obwohl, wie im Bericht zu lesen ist, »die Gefühle der Arbeiterklasse noch wach sind und unsere Partei als Organisationsapparat aushält«,(wobei) »die Zentrale in enger Verbindung mit dem ganzen Land steht«, wird doch nicht verschwiegen, dass »der Arbeitsmangel, der faschistische Terror und die polizeilichen Verfolgungen« eine ernste Gefahr für die nach wie vor starke Widerstandsfähigkeit der Basismilitanten, aber auch einiger Sektionsleiter darstellen: »Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das Leben für die Arbeiter in Italien im echtesten Sinne des Wortes unmöglich wird, es sei denn, sie sind bereit, unerträgliche ökonomische und politische Opfer auf sich zu nehmen«.

Die Arbeiter krepieren; die Bourgeoisie ergötzt sich. Die Erbschaftssteuer wird abgeschafft, die Steuer auf Luxusgüter wird abgeschafft, der Ausschuss für die Überprüfung der Kriegslieferungsverträge wird aufgelöst, die Namenspflicht für Wertpapiere wird abgeschafft, der Einfuhrzoll für Getreide wird erhöht, die Löhne in den Staatsbetrieben werden gesenkt, der Kündigungsschutz in der Landwirtschaft wird aufgehoben, die Belegschaft der Eisenbahn, die sich in der Vergangenheit durch ihre Kampfkraft und vor allem durch die Anwesenheit der Kommunisten in ihren Reihen ausgezeichnet hatte, wird von 226 auf 190 Tausend abgebaut, die Strafen für Beleidigung des Klerus und der Religion werden erhöht usw. Aber bedeuten diese vom klassischen »Liberalismus« geprägten Massnahmen, dass der Faschismus den Weg des parlamentarischen Pluralismus einhalten wird, um ihn lediglich durch eine Stärkung des überkommenen Unterdrückungsapparats zu vervollständigen? Sicherlich nicht. Unsere Interpretation des Faschismus lässt im Gegenteil voraussehen, dass die Zügel der totalitären Zentralisation immer straffer gezogen werden müssen, aber selbstverständlich, um die herrschende Ordnung zu retten und keineswegs um sie umzuwälzen. Kurz vor einer neuen Welle der polizeilichen Verfolgung gegen die Kommunistische Partei zeigte der Artikel »Moskau und Rom«, erschienen am 17. Januar in »Il Lavoratore«, diesen unvermeidlichen Kurs sehr deutlich auf:

»Die Presse beschäftigte sich mit einem Artikel des Vorsitzenden Mussolini aus der faschistischen Zeitschrift ›Gerarchia‹, der in knappen Zeilen den Ansatz eines Vergleiches zwischen ›Rom und Moskau‹ enthält.
Das Oberhaupt der faschistischen Regierung, das sich ja nach wie vor als Führer seiner Partei versteht und es auch ist, versucht mit kurzen Hinweisen, die Beziehungen zwischen Faschismus und Staat theoretisch anzugehen. Er kann nicht systematisch vorgehen: Ihm fehlen nicht so sehr die Lust und die Zeit dazu, sondern, wie uns scheint, das Material selbst. Die Führer des russischen Staates haben uns hingegen ganze Bände über die Fragen des Kommunismus geliefert.
Es kommt aber nicht darauf an, Bolschewismus und Faschismus historisch miteinander zu vergleichen und einander entgegenzustellen, als könne man die weltgeschichtliche Bedeutung von Männern und Ländern in der modernen Welt mit demselben Massstab messen, denn man würde in diesem Fall die Grössenordnungen plump durcheinanderwerfen. Wenn man versuchen will, einen Vergleich zu ziehen, dann muss man die Frage folgendermassen stellen: Der Bolschewismus liefert ein Beispiel für die Politik, die das Proletariat tendenziell in allen Ländern durchführen wird: Kann man vom Faschismus als Methode der bürgerlichen Klasse dasselbe sagen?
Zunächst müssen wir aber feststellen, dass der faschistische Führer nicht von den Kriterien einer etwaigen politisch-historischen Ideologie des Faschismus ausgehen konnte. Als neuartiges Gebilde ist eine solche Ideologie für uns ohnehin nicht vorhanden. Seinen Ausgangspunkt entlehnte er vielmehr der für die kommunistische Kritik kennzeichnenden Fragestellung: Welche Verhältnisse bestehen zwischen einer Partei, die die Macht übernommen hat, und der ›Staatsmaschine‹? Selbst die Ausdrucksweise gehört uns.
So stellte Mussolini die Frage, um dann auf einen unbestreitbar exakten Unterschied zwischen der Aufgabe des Faschismus und jener des Bolschewismus hinzuweisen. Letzterer hat die alte Staatsmaschine zerstört, während sich der Faschismus statt dessen anschickt, sie Stück für Stück zu reparieren.
Wir können diese Unterscheidung ohne weiteres akzeptieren Wir müssen aber die Kennzeichnung der faschistischen Machtübernahme als einer Revolution zurückweisen. Wodurch kennzeichnet sich eine politische Revolution? Die Übernahme der Führung der Staatsmaschine durch eine andere Partei ist kein ausreichendes Kennzeichen. Wie es im untersuchten Artikel gesagt wird, erfolgte diese Übernahme im betreffenden Fall nicht einmal plötzlich und gewaltsam. Sie war nicht plötzlich, denn sie war im Gegenteil das Ergebnis einer langen Periode der fortschreitenden Beeinflussung der Regierungsmaschine von aussen. Sie war nicht gewaltsam, weil die abgesetzten Parteien und Klüngel diese Regierungsmaschine, die sich in ihrer Hand befand, nicht benutzten, um Widerstand zu leisten; sie sind im Gegenteil mit ihrem Nachfolger offen übereingekommen. Eine Revolution erkennt man aber an diesen zwei sichtbaren Merkmalen: einem offenen Zusammenstoss von politischen Kräften und der Zerstörung der Staatsmaschine durch den Sieger, der sie erobert hat. Diese Zerstörung äussert sich in einem Wechsel der ganzen Staatsordnung, der in den Formen der politischen Vertretung besonders sichtbar zutage tritt. Nun weiss man sehr wohl, dass der Faschismus weder das Parlament noch das formal-demokratische Gesetz abgeschafft hat, und man könnte sogar hinzufügen, dass er sie nicht abschaffen wollte, denn diese literarische Redewendung ändert nicht den Sinn der konkreten Tatsachen. Keine der beiden Merkmale, die von einer Revolution verlangt werden – bewaffneter Zusammenstoss und plötzlicher Wandel der Institutionen – ist beim Machtanstieg des Faschismus anzutreffen. Ausserdem kann es nur auf der Grundlage eines ökonomischen und sozialen Klassenkampf eine Revolution geben; und schon allein die Tatsache, dass man die Staatsmaschine zerstören will, schliesst die Möglichkeit ihrer friedlichen Eroberung durch die revolutionäre Partei aus. Diese zwei Erklärungen runden unsere Auffassung von diesem Phänomen ab, wir brauchen hier aber nicht auf sie zurückzukommen.
Wenn der Faschismus zu gibt, dass er nicht die Rolle des Zerstörers der Staatsmaschine spielt, so verzichtet er implizit darauf, sich revolutionär zu nennen. Und wenn er mit dieser Bezeichnung prunkt, so entspringt dies also nicht einem kritischen Bewusstsein der eigenen Aufgabe, sondern der Notwendigkeit, die gängige Demagogie zu verwenden.
Der Führer der faschistischen Regierung erklärt, oder besser gesteht nicht nur ein, dass die Staatsmaschine nicht zerschlagen werden wird. Er macht zugleich ein weiteres, wertvolles Eingeständnis: Die Maschine ist abgenutzt. Die alte bürokratische Staatsmaschine lief von alleine schlecht, während die Regierungen kinematographisch aufeinanderfolgten. Sie wurde also nicht durch die Politik der verschiedenen Regierungen der letzten Jahre ruiniert, Der Grund für diese Entwicklung reicht tiefer und ist gravierender. Wird die faschistische Regierungsmethode diese Entwicklung abbrechen? Daran glauben wir nicht. Die Maschine wird weiter einrosten. Und wir sind überzeugt, dass die Geschichte in der Zukunft, wenn dieser Prozess an einem äussersten Punkt angelangt sein wird, eine einzige Lösung bieten wird, nämlich den Eingriff einer wirklichen Revolution, die vor unerbittlichen Zerstörungsaufgaben nicht haltmacht.
Worin liegt aber diese neue faschistische Methode zur Leitung der Maschine? Wir geben bereitwillig zu, dass die faschistische Regierung im Vergleich zu den früheren das Steuerrad mit grösserer Willenskraft, Entschlossenheit und Stärke in der Hand hält. Das alles reicht nicht aus. Das Problem, die italienische Gesellschaft zu regieren und zu ordnen, beschränkt sich nicht auf die Führung der Staatsmaschine. Aber auch für die Lösung dieses Teilproblems benötigt man andere Mittel, die man in den theoretischen Darlegungen des Faschismus vergeblich suchen würde. Hierauf zu entgegnen, die faschistische Bewegung schaffe keine Theorien, sondern Tatsachen, ist zwar billig, zeugt aber nur von Hilflosigkeit. Sicherlich sind Bewegungen, die sich den Luxus einer vollständigen und feinen theoretischen Grundlage leisteten, oft gescheitert. Keine politische Bewegung hat jedoch eine bleibende Spur in der Geschichte hinterlassen, wenn sie nicht über klare und feste Prinzipien verfügt hat und wenn sie nicht in der Lage gewesen ist, das theoretische Bewusstsein ihrer Mission zum Ausdruck zu bringen. Diese These muss man betonen. Denn um sich auf der stürmischen Szene der zeitgenössischen Weltpolitik als Bahnbrecher eines neuen Zeitalters darzustellen, muss man schon wesentlich mehr als nur Agnostizismus und Empirie mitbringen. Nun, nicht einmal wenn er seine Regierungsmethode skizziert, liefert der faschistische Führer den Keim einer neuen Wissenschaft. Von wem hat er die Formeln übernommen: schrittweise, stückweise fortschreiten – logische(r), sichere(r), regelmässige(r) Prozess bzw. Entwicklung›nulla dies sine linea‹? Die Antwort liegt auf der Hand. Vom theoretischen Rüstzeug des Reformismus und der sozialen Demokratie.
Angeblich sollte die faschistische Bewegung den revolutionären Marxismus und die sozialistisch gefärbte Demokratie zerschlagen. Sie betrachtet aber das historische und politische Problem in dem Rahmen, in dem es der revolutionäre Marxismus gestellt hat. Und sie träumt davon, es mit den Methoden zu lösen, welche die Sozialdemokratie seit so langer Zeit liebgewonnen hat. Diese Bilanz ist einfach und genau.
Denselben Gegensatz, der zwischen dem konservativen, mit dem Kapital zusammenarbeitenden Reformismus und dem die heutige Gesellschaft umwälzenden Kommunismus besteht, finden wir hier zwischen Rom und Moskau wieder.
Seit langem behaupten wir, dass sich Faschismus und Reformismus berühren. Diese kritischen Urteile klangen zunächst paradox, die Sache wird aber im Bereich der Politik immer deutlicher. Wir schreiben dem Faschismus allerdings zu, die Regierungspolitik um etwas Neues bereichert zu haben, das weder in den Programmen der reformistischen bürgerlichen Linken noch in denjenigen der traditionellen rechten Parteien zu finden ist. Der Faschismus ist nicht in der Lage, diese Aufgabe theoretisch darzulegen Und selbst wenn er dazu imstande wäre, würde es sich für ihn nicht lohnen, aus ihr sein Banner zu machen. Es ist übrigens symptomatisch, dass der Faschismus im Gegensatz zu Liberalismus, Demokratie und Reformismus keine neuartige Theorie erzeugt, um sein wahres Wesen zu verbergen. UNSERER Auffassung nach liegt dies darin begründet, dass der Faschismus diese herkömmlichen Bewegungen gerade nicht ersetzt, sondern in einem bestimmten Sinne in sich auflöst, um sie durch eine Synthese ihrer alten Methoden fortzusetzen und zu vervollständigen.
Was ist also das Neue, das in einer allgemeinen Interpretation des Faschismus erkennbar ist.
Der Verfasser hat versucht, es in dem Referat über den Faschismus auf dem IV. kommunistischen Weltkongress heraus zuarbeiten und gerade durch eine Analogie zwischen faschistischer und kommunistischer Methode klarzustellen. Dabei kann sich diese Ähnlichkeit in eine Gegensätzlichkeit verwandeln, wenn, wie es leicht möglich ist, die Bourgeoisie, bedroht durch eine revolutionäre Krise, auch in anderen Ländern durch ihre Regierungspolitik die Erfahrungen und Entwicklungen wiederholt, die in Italien zum Faschisten führten,
Die Partei, die in Russland die Staatsmaschine führt, repräsentiert eine Klasse als ganzes, sie repräsentiert die Klasseneinheit des Proletariats. Die kommunistische Partei löst die Frage der revolutionären Macht dadurch, dass sie als zentralisierte Partei der Arbeiterklasse die Aktionseinheit aller Gruppen des Proletariats und sogar des Halbproletariats verwirklicht. Innerhalb dieser Klassen gibt es Sparten, deren berufliche, soziale und lokale Interessen nicht miteinander übereinstimmen. Die Bestrebungen, die aus diesen jeweiligen Interessen hervorgehen, müssen vereint und auf ein einziges Ziel gerichtet werden. Die Klassenpartei löst diese Aufgabe, indem sie die zweitrangigen und widerstreitenden Einzelforderungen zugunsten des allgemeinen Interesses und des Enderfolges zurückdrängt. In diesem Sinne also führt die Partei die Staatsmaschine und damit entfaltet sie bis aufs äusserste die Klassenkraft des Proletariats im Kampf gegen innere und äussere Feinde. Hier liegt in der Theorie die politische Rolle der kommunistischen Partei, die in Russland eine erste praktische Verwirklichung erfährt.
Nun erfüllt die faschistische Organisation gegenüber der Bourgeoisie und den verschiedenen halbbürgerlichen Schichten eine durchaus analoge Aufgabe. Zwischen diesen Schichten wie zwischen den verschiedenen Flügeln der Bourgeoisie gibt es unzählige Interessenkonflikte, und dadurch wird eine erfolgreiche Abwehr der proletarischen Revolution ernsthaft gefährdet. Der Faschismus tritt mit seiner einheitlich organisierten Regierungspartei auf, um die konterrevolutionäre Widerstandskraft maximal zu steigern. Und wenn sie sich an die Spitze des Staates gestellt hat, ersetzt die faschistische Partei die alten Politikantengruppen durch den einheitlichen Zusammenschluss jener sozialen Kräfte, die in der chaotischen Desorganisation der bürgerlichen Politik hinter ihnen gestanden haben.
Wir werden hier nicht wieder die verschiedenen Tatsachen aufzählen, die für diese Erklärung des Faschismus sprechen. Man denke allein an gewisse Praktiken, welche die faschistische Regierungspartei zur Entrüstung des ›mündigen Bürgers‹ in ihre Politik aufgenommen hat und deren Analogie zu dem, was die kommunistische Partei in Russland tut, auf der Hand liegt. So hat der Faschismus für alle Schlüsselpositionen des Staatsapparates Parteibeauftragte ernannt, er lässt die Fragen des Staates durch Parteigremien entscheiden, wobei die getroffenen Entscheidungen dann durch eine koordinierte und disziplinierte Kampagne der faschistischen Amtsträger in den Staatsorganen durchgesetzt werden usw.
Einer solchen Interpretation zufolge ist der Faschismus also die einheitliche, über eine zentralisierte und stark disziplinierte Organisation verfügende Partei der Bourgeoisie und ihrer Trabantenklassen: Der demokratisch-bürgerliche Staat, ergänzt durch eine Bürgerorganisation. Und nicht minder als der Staat aller Bürger wird auch eine Massenpartei dem Schutz der Interessen einiger weniger ausgezeichnet dienen. Um diese Partei den tatsächlichen Schwankungen aller alten bürgerlichen Parteien und halben Parteien zu entziehen, werden die Methoden der reaktionären Gewalt mit der demokratischen Demagogie widerspruchslos kombiniert. Die Übereinstimmung mit dem Reformismus ist deutlich. Die Kommunisten bekämpfen den Reformismus als einen Agenten der bürgerlichen Sache in den Reihen der proletarischen Klasse. Der Faschismus seinerseits erklärt, ihn als einen Agenten der revolutionären Sache in den bürgerlichen Institutionen zu bekämpfen. Da aber der Reformismus voll und ganz der ersten Einschätzung entspricht, wird er schliesslich in der faschistischen Synthese aller konterrevolutionären Abwehrmittel der Bourgeoisie aufgehen. Und er wird dazu nicht wenige Ideen und Instrumente beigesteuert haben, wie z. B. den Gedanken, die abgenutzte Maschine schrittweise zu reparieren – wodurch mit der geduldigen Wartehaltung der Massen spekuliert wird –, oder auch die Praxis eines korporativen Syndikalismus, der weder für die Revolution noch für den Kampf gegen die Arbeitgeber zu gebrauchen ist,
Was den nationalen Gedanken angeht, so wird er dem Ganzen keine neue Doktrin, sondern nur einen verschwommenen Mythos liefern können. Anders als bei der eigentlichen ›nationalistischen‹ Denkschule wird er hier nicht theoretisch ausgearbeitet, sondern so gewürzt, dass er jeweils den Imperialismus des fetten Kapitalisten und den Wunsch des reformistischen Kleinbürgers nach Klassenzusammenarbeit zum Ausdruck bringt
Dieser Interpretation zufolge besteht also eine Analogie zwischen Rom und Moskau. Im Gespräch mit einem bolschewistischen Führer sagte ich, dass ich nicht von einem baldigen Sturz des Faschismus ausgehe. Ich begründete meine Prognose damit, dass der Sowjetstaat dank einer zentralisierten Partei und einer geballten Militärmacht die ungeheuren Schwierigkeiten einer traurigen ökonomischen Lage überwunden hatte. Der Genosse entgegnete natürlich, dass die gesellschaftliche und geschichtliche Lage der Kommunisten Vorteile hat, auf die wir gleich zurückkommen werden. Ich habe darauf die Bemerkung gemacht, dass die kommunistische Partei den Staatsapparat brechen und daher die Sabotage dieses ganzen Apparates besiegen musste, während der Faschismus im wesentlichen die Solidarität dieser herkömmlichen Maschine (Armee, Polizei, Justiz, hohes Beamtentum usw.) geniesst. In der Tatsache, dass die Staatsmaschine nicht zerschlagen wird, liegt ein Vorteil, der freilich der objektiven historischen Lage und nicht den Berechnungen des faschistischen Duce zu verdanken ist,
Hier tritt der Unterschied ergänzend an die Stelle der von uns skizzierten Analogie der Methoden. Zwei Parteien haben den Staat in ihre Gewalt gebracht; die eine, die bolschewistische, um den Apparat zu zertrümmern, die andere, die faschistische, um ihn zu reparieren. Wie sehen die Perspektiven aus?
Mussolini betrachtet sie in seinem kurzen Artikel natürlich voll und ganz zu seinen Gunsten. Er argumentiert dabei restlos wie Turati. Moskau habe die wirklichen Möglichkeiten überspannen wollen und werde im Rückzug auf die Vergangenheit untergehen. Rom schreite langsam aber sicher voran. Mussolini entwirft das Bild vom Pendel, das zurückschlägt, darauf wollen wir aber nicht eingehen, denn selbst Drescher von bildereichen Phrasen könnten dem nur das Bild eines unbeweglichen Gehänges, das nicht einmal die Fähigkeit zu oszillieren hat, entgegenstellen Den vermeintlichen Vorteil hat er in Wirklichkeit nicht.
Die kommunistische Partei hat in Russland die politischen Kräfte vereint und zentral diszipliniert Sie wird mit der ungeheuren, aber keineswegs undurchführbaren Aufgabe konfrontiert, die ökonomischen Kräfte zentral zu organisieren. Sie hat Interessen, die sich in Nebensachen voneinander unterscheiden, zusammengefasst, und die Logik dieses Weges führt sie weiter zu einer Verwaltung kollektiver Interessen. Niederlagen und Rückzüge sind im Laufe dieser Entwicklung keineswegs ausgeschlossen, denn es handelt sich um ein Problem, das sich seinem Wesen nach im Weltmasstab stellt. Die revolutionären Anstrengungen in Russland können aus jeder Umwälzung der Situation in den anderen Ländern jedoch nur gewinnen, denn dadurch dehnt sich der Umkreis für den Aufbau einer kollektiven Wirtschaft historisch und geographisch aus und die erschütterte private, kapitalistische Wirtschaft weicht zurück.
Die faschistische Bewegung hat ihrerseits in Italien durch eine politische Einheitspartei die Interessen und Appetite der bürgerlichen Gruppen einer Disziplin unterworfen, was sich morgen vielleicht in anderen Ländern wiederholen wird. Doch kehrt sich die Logik ihrer Entwicklungslinie um. Sie scheitert an der geschichtlichen Zielrichtung des Faschismus, an derselben Zielrichtung, die ihn daran hinderte, die Staatsmaschine zu zerschlagen. Die Einheitsorganisation der Partei, die auf den Staat übertragen wird, dient der Verteidigung der freien Wirtschaft, des dezentralisierten Wirtschaftslebens, mit einem Wort dem Schutz des Kapitalismus, d. h. der Anarchie der Produktion und des gesellschaftlichen Lebens. Auf ökonomischer Ebene ist der Faschismus dezentralisierend und liberal.
Die Interessengegensätze, die der Faschismus dank einer beachtenswerten Anstrengung der herrschenden Klassen durch seinen Sieg erfolgreich zum Schweigen gebracht hat, werden nicht überwunden werden können, sondern mehr denn je gefördert. Hier liegt der innere Widerspruch der faschistischen Unternehmung, so gewaltig ihre Tragweite auch sein mag.
›Faschistische‹ Siege im Ausland schaffen dabei keine Abhilfe, denn der Faschismus führt nicht zum internationalen Interessenausgleich, sondern zum Interessenzusammenstoss und zum Kriege.
Aus diesen knapp geschilderten Gründen hat Moskau, das die alte Staatsmaschine zu brechen wagte, der Geschichte neue Bahnen geöffnet. Roms Versuch, die Maschine zu erneuern, wird hingegen nur darauf hinauslaufen, die Niederlage des reaktionären Terrors und der reformistischen Illusion zu synchronisieren.
Auch Rom ist eine starke Diktatur, auch Rom führte eine harte Sprache gegen die liberalen und reformistischen Schwächen und hatte dabei keine Hemmungen, alle Waffen des politischen Kampfes zu benutzen. Aber die Wirtschaftsform, die Rom verteidigt, ist der Inbegriff der freien Wirtschaft, und die politische Methode, die es anwendet, ist der echte Reformismus. Deshalb wird diese Diktatur niedergehen, ohne eine neue Ordnung ins Leben gerufen zu haben.
Uns scheint, dass der grundlegende Widerspruch zwischen der Freiheit der kapitalistischen Wirtschaftskräfte und der zentralistischen Organisation der politischen Tätigkeit der Bourgeoisie sich durch Zusammenstösse und Konflikte in der faschistischen Partei selbst zu äussern beginnt. Wie man gesehen hat, denken wir jedoch nicht, dass sich die Entwicklung sehr rasch vollziehen wird.
Auf jeden Fall ist es Moskau, das überleben wird[65]

• • •

Am 3. Februar, einen halben Monat nach Erscheinen dieses Artikels, wurde Amadeo Bordiga in Rom festgenommen. Im Laufe einer landesweiten Polizeiaktion, die binnen weniger Monate zur Verhaftung von mehr als zweitausend Militanten von der Führung bis zur Basis der Partei führte. Das Exekutivkomitee wurde somit enthauptet, wodurch sich der KI die Gelegenheit bot, dieses Organ, das sich trotz seiner festen Disziplin als besonders unbeugsam erwiesen hatte, mit geschmeidigeren Männern zu besetzen.

Die Anklage lautete auf Angriff gegen die Staatssicherheit und Verschwörung. Es ist aber charakteristisch für die erste Phase des faschistischen Regimes, dass der Prozess, der in eine glänzende Tribüne für die Propaganda der Ziele und Wege des revolutionären Kommunismus umgewandelt wurde, mit der Freisprechung aller Angeklagten zu Ende ging[66].

Das nachfolgende Kapitel, das Kapitel des Einparteiensystem und des Totalitarismus, wird in der Praxis Mitte 1924 mit der Matteottikrise eingeleitet werden, aber erst Ende 1926 vollendete Gestalt annehmen – die Entwicklung war, wie man sieht, keineswegs einfach und geradlinig.

Die »Matteotti-Krise«, Gramsci und die »neue KPI«

Erwähnt man die »Matteotti-Krise«, so muss man für den deutschen Leser, vor allem wenn er noch jung ist, einige knappe Informationen hinzufügen.

Der sozialistische Abgeordnete Giacomo Matteotti hatte in einer Parlamentsrede die Beeinträchtigung der Parlamentswahlen vom Frühjahr 1924 durch faschistische Einschüchterungen und Umtriebe angeprangert und sich dadurch bei Mussolini besonders unbeliebt gemacht. Kurz darauf, am 10. Juni, wurde er entführt. Dieses Ereignis, das Dunkel, in dem das Schicksal des Opfers lange umhüllt blieb, bevor am 16. August seine Leiche furchtbar entstellt aufgefunden wurde, der inzwischen immer zwingendere Verdacht, dass die Regierung und der Duce persönlich die Finger im Spiel hatten, obwohl sie natürlich alles entschieden leugneten (»Nur ein Feind, der von langer Hand etwas Diabolisches gegen mich durch geplant hat, konnte diese Straftat begehen«, hatte Mussolini noch am 13, August erklärt); dies alles hatte selbst unter den Faschisten und erst recht in der Bevölkerung, vor allem unter den Arbeitern, aber auch in der Bauernschaft und im allgemeinen in der Kleinbourgeoisie eine besondere Lage hervorgebracht. Wie Antonio Gramsci im folgenden November, freilich etwas spät, zugeben sollte, hätte in dieser Lage »eine unverzügliche (Herv, IKP) Intervention einer revolutionären Kraft das Schicksal (des Regimes) in ernste Gefahr gebracht«.

Und tatsächlich hatte es im Laufe des Monats Juni mehrere Tage lang so ausgesehen, als hinge das Leben der faschistischen Partei und ihrer Regierung an einem dünnen Faden. Doch wenn der Sturm vorüberzog und die Regierung aus ihm sogar gestärkt hervortrat, so liegt der Grund hierfür – im Gegensatz zu dem, was Gramsci, um die Taktik der unter seiner Führung stehenden KPI zu rechtfertigen, meinte – keineswegs darin, dass »die Mehrheit der Massen entweder unfähig war, sich zu bewegen, oder sich unter dem Einfluss der Demokraten und Sozialdemokraten auf Zwischenlösungen orientierte«. Der Grund liegt vielmehr darin, dass die revolutionäre Partei auf ihre Rolle, die Massen zu orientieren und zu führen verzichtet hat und sich den bürgerlichen und opportunistischen Parteien gerade dann anhängte, als sie sich von ihnen unbedingt hätte vollständig abgrenzen müssen.

Die Linke in der KPI hatte »das Alibi« der »demokratischen Orientierung« der grossen Massen zurückgewiesen, sie hatte gefordert, dass die Partei »eine feste Linie des selbständigen Auftritts verfolgt, die herkömmlichen Blöcke vermeidet und entschlossen die Liquidierung nicht allein des Faschismus, sondern auch der Oppositionen im Visier behält«. Denn man müsse klar davon ausgehen, dass diese Oppositionen nicht »im Ernst gegen den Faschismus» vorgehen würden, im Gegenteil, »ihnen wird es nur ernst sein, wenn sie den Schutz der bürgerlichen Ordnung verfolgen«, und sie würden sich dann mit den faschistischen Kräften »gegen jede revolutionäre Klassenaktion« verbünden. Die Linke hatte die Partei beschworen, diesen Weg, den einzigen, um die Massen zu erobern, einzuhalten, denn, wie sie erklärt hatte: »Es gibt nicht das Dilemma: entweder macht ihr die Revolution, oder ihr macht einen Block. Das ist eine alte maximalistische Schablone. Der herkömmliche Block aus verschiedenen Parteien ist ein Alibi, hinter dem sich die Beschränktheit und das Unvermögen ihrer Führer verbergen. Es gibt einen dritten Weg, nämlich die Massen auf Kampfstellungen zu bringen, die einen Fortschritt bedeuten können und nicht zwangsläufig den Endsieg beinhalten«.[67]

Statt dessen begab sich die neue Führungszentrale um Gramsci ins Fahrwasser der Oppositionen, der Liberalen mehrerer Schattierungen, Katholiken verschiedener Tendenz, Sozialdemokraten, Maximalisten usw. Diese machten aus dem »Fall Matteotti« eine »moralische« Frage und verliessen am 14. Juni das Parlament. Sie zogen sich ins »Aventin« zurück – in Anlehnung an die Plebejerverweigerung aus dem alten Rom ging die Episode unter dem Namen dieses römischen Hügels in die neuere Geschichte ein – und bildeten ein »Komitee der 16«, um die Massnahmen, die – selbstverständlich völ1ig gesetzestreu und um die Ehrverletzung des Parlaments wiedergutzumachen – gegen den Faschismus zu ergreifen wären, gegen denselben Faschismus, den sie bis jetzt entweder direkt unterstützt oder durch ihre Unbeweglichkeit friedlich an die Macht gelassen hatten.

Diesem Komitee schlug nun die KPI unter der Führung Gramscis sofort und später noch einmal die Auslösung eines Generalstreiks unter dem Ruf: »Weg mit der Mörderregierung; Entwaffnung der Weissen Garden; Arbeiter- und Bauernregierung!« vor. Doch die Ablehnung dieses Vorschlags seitens der demokratischen Opposition – die übrigens von vornherein vorauszusehen war – reichte nicht aus, um die neue Führung zu überzeugen, dass sie dringlichst einen eigenen Weg einzuschlagen hatte. Erst am l8.6. verliess sie endlich das »Aventin« und auch dabei konnte sie es nicht unterlassen, an die Maximalisten und Reformisten einen nicht minder leeren und natürlich sofort abgelehnten Appell für eine gemeinsame Aktion, in der die »Einheit der Arbeiterklasse« zum Ausdruck käme, zu richten.

Als die CGL später, am 27. Juni, beschloss, die Arbeiter dazu aufzurufen, die Arbeit für 10 Minuten (!) niederzulegen, hat die KPI zwar einen Aufruf zum Generalstreik am selben Tag erlassen, doch mit dem Ergebnis, dass sie sich allein gegen die Front, sei es der Reformisten, sei es der Faschisten, befand. Und auf jeden Fall befand sie sich inzwischen in einer enormen Verspätung gegenüber einer Situation der sozialen Gärung, die sofort und durch ein Crescendo unmissverständlich klassenmässiger Initiativen auszunutzen gewesen wäre. Doch damit nicht genug, verband sie den Streikaufruf mit einem Vorschlag an die demokratischen Oppositionen, »dem Aventin den Charakter eines wirklichen Parlaments zu verleihen«. Der Vorschlag, der dadurch, dass er nunmehr »von aussen« an das Aventin gerichtet wurde, nicht weniger falsch war, erhielt sofort die zu erwartende Abfuhr, was die KPI freilich nicht daran hinderte, ihn am 20. Oktober in einer anderen Form wieder zu unterbreiten, um erneut abgewiesen zu werden,

Diese schwankende Linie, die aber vorwiegend auf die Bildung eines mehr oder weniger breiten Blocks ausgerichtet war, kommt in einer Aussage von Gramsci in »Lo Stato Operaio« v. 3. Juli sehr plastisch zum Ausdruck: »Das revolutionäre Proletariat ist bereit, an der Seite derjenigen zu intervenieren, die wirklich gegen den Faschismus zu kämpfen vorhaben« (das Pech lag eben darin, dass diese ernsthafte Absicht bei keiner Partei vorhanden war). »Es kann aber auf seine Autonomie nicht verzichten und ebensowenig auf die Möglichkeit, auch allein den Kampf aufzunehmen« (einerseits Nachtrablertum, andererseits Abenteuertum!).

Diese Linie wird verständlich, wenn man sich die Einschätzung der historischen Lage vor Augen führt, die Gramsci in einer Reihe von Beiträgen jener Periode und vor allem am 24. August vor dem Zentralkomitee[68] lieferte. In Gramscis Auffassung, die in vollkommener Übereinstimmung mit den Ursprüngen der neuen Führungsgruppe, d. h. mit den Ideen der ehemaligen Gruppe »Ordine Nuovo« von Turin[69] steht, handelt es sich im wesentlichen um eine »Krise des Mittelstands«, und die Lage wird als eine »Demokratiewelle» gekennzeichnet, wobei aber nur das Proletariat »in der Lage ist, ein demokratisches Regime mit Inhalt zu füllen«. So »kann die Kleinbourgeoisie nur in einem Bündnis mit der Arbeiterklasse den Staat erobern«, aber die Arbeiterklasse kann ihrerseits den Staat auch nur unter der Bedingung erobern, dass sie »die Fabrik erobert (…), die Kapitalisten bei der Leitung der Produktivkräfte des Landes übertrifft«. Es sei daher dringend notwendig, »in den Betrieben eine breite Bewegung ins Leben zu rufen, die schliesslich zu einer Organisation von städtischen proletarischen Komitees auswächst; diese Komitees, die von den Massen direkt zu wählen sind, sollen in der sich abzeichnenden sozialen Krise zu der obersten Leitung der allgemeinen Interessen des ganzen Volkes werden«. Und dadurch soll die für die Partei grundlegende Aufgabe verwirklicht werden können: »die Eroberung der Mehrheit der Werktätigen und die molekulare Transformation der Grundlagen des demokratischen Staates«.

Kommt in dieser Perspektive, die sogar die Fata Morgana eines bevorstehenden Sprungs auf die »Revolution« hinausmalt, der »Druck von unten« zu Ehren, so werden andererseits die »Gipfelmanöver« mit Gruppen und Parteien der Kleinbourgeoisie nicht allein zugelassen, sondern geradezu zwingend, und zwar um so zwingender, je mehr die Perspektive vom Wunschdenken bestimmt wird. Von der demokratisch-parlamentarischen Kleinarbeit geht man zu einer Art … revolutionären Gradualismus über (»molekulare Transformation«), um von hier aus wieder in die verfassungsmässige Routine zurückzustürzen. Und der Vorwand ist der übliche – der »Durst nach Demokratie« der ach so hofierten »Massen«. Es verwundert daher nicht, wenn das Gramscische Zentralkomitee am 15. Oktober beschlossen hat, den Parteien des Aventin den Vorschlag zu unterbreiten, etwas zu bilden, was es nunmehr mit einer neuen Formel »Gegenparlament« nannte. Dieser Vorschlag, erklärte die Linke später in ihren »Thesen von Lyon«[70], »entfernte sich überhaupt von den Beschlüssen der Internationale, die nie Vorschläge an rein bürgerliche Parteien in Betracht gezogen haben; ausserdem war es ein Vorschlag, der von dem Boden der kommunistischen Prinzipien und Politik sowie von dem der marxistischen Geschichtsauffassung wegführte. In der historischen Perspektive unseres Programms gibt es nur eine einzige Grundlage für einen Gegenstaat: Die Organe der ausschliesslichen Vertretung der Arbeiterklasse, die Sowjets. Da hilft kein Erklärungsversuch der Zentrale über die ursprünglichen Zwecke und Absichten ihres Vorschlags: Abgesehen davon, dass solche Erklärungen auf jeden Fall äusserst geringen Widerhall gefunden hätten, bleibt die Tatsache, dass die Zentrale den Massen die Illusion eines parlamentarischen Gegenstaates, der sich dem traditionellen Staatsapparat entgegenstellt und ihn bekämpft, gegeben hat.«

Zu nachgiebig gegenüber den Oppositionen, ja so weit nachgiebig, dass sie sich nicht mehr klar abzugrenzen wusste, zugleich aber zu schwach, trotz ihrer hochtönenden Worte zu schwach, um die Grundlagen des faschistischen Regimes zu unterminieren – so hatte sich die KP der Arbeiterklasse und selbst den Bauern und Kleinbürgern bereits dargestellt, als sie dann später, zu spät, sich dazu entschloss, allein ins Parlament zurückzukehren, um die so gerühmte Tribüne für eine Klassenanklage gegen die Regierung auszunutzen. Und dazu hat sie sich nur unter dem Druck der Linken entschliessen können, in deren Augen der revolutionäre Parlamentarismus, wenn überhaupt, dann gerade in solchen Situationen einen Sinn hatte.

Angesichts der klaren Beweise, welche die Opposition für ihre Rückgratlosigkeit geliefert hatte, fühlte sich Mussolini im August schon wieder sicher genug, um die volle Verantwortung für alles, was sich seit dem 10. Juni ereignet hatte, auf sich zu nehmen.

Die zwei folgenden Jahre markierten, wie bereits bemerkt, den allmählichen Übergang von der »liberalen« zur »totalitären« Phase des Faschismus. Stand das Kapital unter dem wachsenden Zwang, eine tatsächlich umfassende und einheitliche Disziplin der bürgerlichen Klasse durchzusetzen, so sträubten sich die bürgerlich-liberalen und reformistischen Parteien jedoch davor, die Vorschriften der Regierung diszipliniert zu befolgen, wie sie es nach dem Marsch auf Rom getan hatten.

Ende 1926 wurden alle Parteien aufgelöst, die Führer der Parteien der äussersten Linken, in der Praxis vor allem der KPI, wurden verhaftet und vor Gericht gestellt, die ökonomischen Organisationen der Arbeiterklasse endgültig abgeschafft. Es entstand der korporative Staat mit einer einzigen Partei. In diesem Staat werden nicht die Klassen, die es im Wortschatz des Faschismus nicht gibt, sondern die verschiedenen »Kategorien«, bzw. Berufsgruppen, sozialen Untergliederungen oder Korporationen gemeinsam vertreten – lauter Arbeitsgemeinschaften von Kapital und Arbeit, die harmonisch für das Wohl der allgemeinen Produktionstätigkeit zusammenwirken. Es war für das Kapital in Italien – wie rund sechs Jahre später in Deutschland – ein leicht errungener Sieg. Wie wir aber glauben gezeigt zu haben, gehen seine Ursachen bis auf die Preisgabe der klaren revolutionären Linie zurück, von der sich die kommunistische Partei bis 1923 hatte leiten lassen.

Sicherlich hätte sich die KPI damit rechtfertigen können, dass die Richtlinien der Internationale im Laufe der ganzen »Matteotti-Krise« noch weiter »rechts« gestanden hatten. Das Exekutivkomitee der KI hatte sich immer gegen den Bruch mit den Oppositionen ausgesprochen, es hatte von der Rückkehr ins Parlament abgeraten und war schliesslich so weit gegangen, eine Politik zu befürworten, deren Achse die Losung »Es lebe die Freiheit!« bildete. Tatsache ist aber, dass die Jahre 1925–26 durch die vollständige Gleichschaltung der KPI unter Gramscis Führung mit der Politik des »Sozialismus in einem Land« und mit den daraus folgenden ultrarechten Manövern gekennzeichnet waren und dass sie darüber hinaus durch eine »antilinke« Kampagne geprägt wurden, deren grobschlächtige Argumente und brutale Methoden dem stalinistischen Vorbild des Kampfes gegen Trotzki in nichts nachstanden.

Und findet man in den »theoretischen« Ansätzen des Jahres 1924 über die »molekulare Transformation der Grundlagen des Staates« übrigens schon den Keim von Togliattis nationalreformistischer »neuer Partei«, was soll man dann erst von den »Theorien« sagen, die Gramsci im Gefängnis ausgebrütet hat, von den »Theorien« einer »nationalen Revolution«, die als »zweites Risorgimento«[71] verstanden wurde und in der das Proletariat eine »hegemonische« Rolle zu spielen und die aufgeklärten Teile der Bourgeoisie, Intellektuelle an der Spitze, hinter sich zu ziehen hätte, was im Grunde nichts anderes heisst, als dass es von ihnen ins Schlepptau genommen wird?

Was die Linke angeht, so wurde die Politik, die sie während der »Matteotti-Krise« befürwortet hat, je nachdem als »putschistisch« oder »passivistisch« verurteilt. Wir versuchten zu zeigen, dass sie weder das eine noch das andere war. Im Gegenteil, gerade dadurch unterschied sie sich von der Politik des »Zentrums«, dass ihr revolutionäre Demagogie und Nachtrablertum gegenüber der angeblichen Orientierung der Massen, d. h. in Wirklichkeit gegenüber der tatsächlichen Orientierung jener Parteien, welche die Stimmungen und Wünsche der Massen zu äussern vermeinten, gleichermassen fernstanden. Wie Amadeo Bordiga in einem Brief vom 2. November 1924 an die linken Genossen schrieb, »kann man die eventuelle Ablösung des faschistischen Regimes, oder besser der faschistischen Regierung, durch eine bürgerlich-demokratische Regierung auf zweierlei Weise betrachten – als einen Schritt vorwärts, um die Möglichkeiten von Aktionen zur Emanzipation des Proletariats zu erweitern, oder als einen Schritt vorwärts, um die bürgerliche Gesellschaftsordnung zu erhalten, für die die faschistische Methode, die gestern unverzichtbar war, jetzt für eine gewisse Periode Gefahren bringt. Die erste Betrachtungsweise ist sozialdemokratisch, die zweite kommunistisch. Die von den Oppositionen gewollte Demokratie ist nichts als ein Mittel, um die Waffe der Klassengewalt und der Klassenreaktion ungebrochen erhalten zu können.
Demzufolge muss unsere Partei den Faschismus und die Oppositionen parallel bekämpfen. Sie muss die doppelte Erfahrung des Proletariats mit der Politik der bürgerlichen Demokratie (einschliesslich der dafür mitverantwortlichen Einheitssozialisten und Maximalisten) und des Faschismus progressiv in politische Haltungen und morgen schliesslich in eine autonome revolutionäre Aktion umsetzen. Die Partei handelte falsch, als sie sich dem Oppositionskartell anschloss und es nicht aus Prinzipiengründen, sondern unter spitzfindigen Formalitätsvorwänden verliess. Sie hätte statt dessen den Rückzug aufs Aventin als eine Geste der Standesverteidigung und Standesfurcht der Abgeordneten lächerlich machen müssen. Das Verlassen des Parlaments in den Tagen, in denen es möglich schien, die Losung des Generalstreiks auszugeben, kann hingegen gerechtfertigt werden. Man durfte aber auf keinen Fall, nachdem sich dies als unmöglich erwiesen hatte, unsere Haltung von derjenigen der Oppositionen abhängig machen. Nicht allein durch einige trockene Artikel, sondern mit Nachdruck hätte man die Auffassung bekräftigen müssen, dass es sich nicht um die Frage der Wiederherstellung der bürgerlichen Gerechtigkeit und Ordnung gegen den Faschismus handelte und ebensowenig um die berühmten Fragen eines bzw. einer über den Klassen und Parteien stehenden Anstandes, oder Normalität, sondern um eine revolutionäre Frage, um die Frage des proletarischen Kampfes gegen die bürgerliche Illegalität wie Legalität. In diesem Sinne hätte man erklären müssen, dass man niemals mit den Oppositionen marschieren würde, und man hätte ankündigen müssen, dass man ins Parlament gehen würde, um dort Agitation für die Vorbereitung der antifaschistischen Klassenaktion zu betreiben. Und jetzt müsste man seit der Wiedereröffnung des Parlaments dorthin gehen, ohne den Oppositionen oder auch nur den Sozialisten irgendeinen Vorschlag zu machen«
.[72]

Die »Matteotti-Krise« – liest man noch in den »Thesen von Lyon« – »war einer dieser Augenblicke, in denen sich die weitere Entwicklung entscheidet; der Fehler war folglich grundlegend und für die Beurteilung der Fähigkeit einer Führungsgruppe massgebend; ihm ist zu verdanken, dass sich die Arbeiterklasse zuerst die Schwächung des Faschismus und dann das aufsehenerregende Scheitern des ›Aventin‹ kaum nutzbar machen konnte

Für die Niederlage rächte sich das Zentrum in den zwei folgenden Jahren durch eine Offensive gegen die … Parteilinke.

Nicht der Faschismus hat die KPI als revolutionäre Kraft zerschlagen, sondern, noch bevor der internationale Stalinismus dieses Werk zu Ende führen konnte, der zum vermeintlichen Sachwalter nationaler Interessen sich aufrichtende »Ordinovismus«. Will man es an dem Namen einer Person festmachen, so war es entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung Gramsci, der den Boden für den Sieg Stalins in Italien und auch über die KPI bereitet hat.

Anstelle eines Schlusswortes

Die Kritiken, die schon damals an der italienischen Linken gemacht wurden, werden bis heute von »Rechten« und »Linken« papagaienhaft wiederholt, so z. B. von Herrn Pierre Frank, seines Amtes Führer und Historiker der sogenannten IV. Internationale, in seiner jüngsten »Geschichte der Kommunistischen Internationale«[73], einem Meisterwerk selbstzufriedener Banalität. Durch ihr Sektierertum und ihren Dogmatismus sei die Linke unfähig gewesen, die Eigenart des Faschismus zu erkennen. »Er – schreibt der trotzkistische Historiker in bezug auf Bordigasah keinen Unterschied zwischen Demokratie und Faschismus, selbst nicht in den jeweiligen Repressionsmassnahmen«. So hätte die Linke – auch Herr Frank erhebt den Vorwurf – die phantastische Theorie des »Sozialfaschismus«, d. h. die Gleichsetzung von Sozialdemokratie und Faschismus in der sog. »dritten Periode« der stalinistischen Internationale vorweggenommen.

Wir haben die praktische Aktion der KPI unter Führung der Linken im Klassenkampf gegen den Faschismus, aber auch ihren theoretischen Kampf zur Durchsetzung einer rigorosen marxistischen Einschätzung dieser Erscheinung dokumentiert. Die abgedruckten Dokumente dürften ausreichen, um eine wider besseres Wissen oder bestenfalls aus unheilbarer Oberflächlichkeit verbreitete Legende zu widerlegen. Die Linke wusste sehr wohl, dass Faschismus und Demokratie nicht dasselbe sind, und sie zeigte den Proletariern, wie man die eine und den anderen zu bekämpfen hat. Sie erkannte im Sieg des Faschismus »die grösste Niederlage der Arbeiterklasse«. Aber sie wusste eben sowohl dass Faschismus und Demokratie zwei Regierungsmethoden ein und derselben Klasse[74] sind. Aus dem Unterschied zwischen beiden hat sie daher nicht – und hier liegt der Hase im Pfeffer – die Schlussfolgerung gezogen, man müsse, um den Faschismus zu zerschlagen, für die Demokratie Partei ergreifen. Und ebensowenig hat sie daher aus der Diagnose der schwerwiegenden Niederlage die Schlussfolgerung gezogen, die Demokratie stelle eine weniger unterdrückende, verheerende und diktatorische Regierungsmethode des Kapitals dar.

Die Linke – lautet ein anderer, seit damals nachgeplapperter Kritikpunkt – hätte in ihren »Thesen von Rom« die Bildung einer sozialdemokratisch-liberalen Regierungskoalition für viel wahrscheinlicher als eine faschistische Machteroberung gehalten, sie hätte »alles« auf die »sozialdemokratische Lösung« der Krise gesetzt. Der Vorwurf, »alles« auf diese Lösung gesetzt zu haben, ist geradezu lächerlich: Wie kann eine Partei, die wie die KPI als einzige die vordringenden faschistischen Kräfte auf dem Boden der Gewalt bekämpfte und zurückzudrängen versuchte, sich ganz auf die »sozialdemokratische Lösung« der Krise ausgerichtet haben? Soweit was die Frage des Kampfes angeht. Was die Prognosen angeht, so haben wir gesehen, dass die Situation bis zum Schluss in der Schwebe zwischen beiden Lösungen blieb. Die Sozialdemokraten kamen nicht an die Regierung. Sie wurden zunächst von den Maximalisten zurückgehalten und schliesslich trotz ihrer Bereitschaft von der Bourgeoisie abgelehnt, weil sie erwiesenermassen nicht in der Lage waren, ihr glaubwürdige Garantien für die italienische Wiederholung einer Noske-Scheidemann Regierung zu geben. Die KPI hatte aber keineswegs die Möglichkeit einer faschistischen Regierung mit Unterstützung des ganzen Spektrums der demokratischen Parteien und eventuell sogar der Sozialdemokraten ausgeschlossen. Diese Lösung setzte sich – ohne sozialdemokratische Beteiligung – durch. Dadurch hätte sich aber unsere vor allem seit dem August gemachte Voraussage einer Annäherung von Sozialdemokratie und Faschismus nicht bewahrheitet. Wieder einmal hätten wir uns als schlechte Propheten erwiesen. Persönliche Versuche einer solchen Koalition, zu der sich die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer mehrmals bereit erklärten, hat es auf beiden Seiten gegeben, und sie scheiterten schliesslich am verständlichen Widerstand der Faschisten. Ausserdem sind viele Reformisten mit Leib und Seele zu den Faschisten übergelaufen. Wir wollen diese Punkte aber beiseite lassen, denn die entscheidende Frage ist eine andere: Der Faschismus hat (siehe »Moskau und Rom«) als Versuch einer Synthese von harter und weicher Methode, von Zuckerbrot und Peitsche, von repressiver Unerbittlichkeit und reformistischer Flexibilität, die reformistischen Parteien und Politiker beseitigt, um aber ihr Programm von Sozialreformen zu übernehmen und weitgehend zu verwirklichen, ein Programm, das die alten opportunistischen Bonzen nur bruchstückhaft und zum Teil überhaupt nicht durchgesetzt hatten. Und gerade nur unter dieser Bedingung konnte der Faschismus in Italien wie in Deutschland eine wenn auch relativ kurze Stabilitätsperiode geniessen. Die Klassenzusammenarbeit im Namen und im sogenannten höheren Interesse der Nation, diesen alten sozialdemokratischen Traum, versuchte der Faschismus zu verwirklichen. Und was kennzeichnet die Periode nach der militärischen Niederlage der faschistischen Staaten im imperialistischen Weltkrieg, d. h. die Periode nach dem Sturz des Faschismus, wenn nicht gerade eine Verbindung von reformistischem Demokratismus und faschistischem Tota1itarismus?

Doch damit kommen wir auf einen weiteren Punkt, der nach wie vor an der Linken kritisiert wird. Auch ihn greift Herr Frank in seinem Machwerk auf: Die Linke hätte unter anderem auf dem IV. Kongress der KI, »sogar (!) einen ›liberalen‹ Faschismus vor Augen gehabt, der das Räderwerk der bürgerlichen Demokratie beibehalten würde.« Das ist vollkommen richtig.

Gerade dieser »liberale« Faschismus charakterisierte die Jahre 1923–24 bis zum Matteotti-Fall und stellte im übrigen eine logische Entwicklungsphase dar. Die Linke nahm aber nicht allein diesen faktischen Zustand zur Kenntnis. Ihre Einschätzung von der Aufgabe der faschistischen Partei, die politische Organisation der Bourgeoisie zu disziplinieren und zu zentralisieren, lieferte zugleich den Schlüssel für die Vorbereitung der KP auf die weitere Entwicklung der faschistischen Herrschaft. Empirisch herumtappend, war der Faschismus von einer Kompromisslösung mit den politischen Kräften der Vergangenheit ausgegangen, er musste sich aber zwangsläufig als »die einheitliche, über eine zentralisierte und stark disziplinierte Organisation verfügende Partei der Bourgeoisie und ihrer Trabantenklassen« erweisen (»Moskau und Rom«) Hier lag seine Stärke, langfristig aber auch seine Schwäche, der innere Widerspruch zwischen politischer Zentralisierung und ökonomischer Dezentralisierung, der auf nationaler wie internationaler Ebene ausbrechen musste. Hier lag aber auch die Gewissheit für die schliessliche Niederlage des Faschismus unter einer kommunistischen Bewegung, die ihrem Programm treu geblieben wäre.

Wie wir entgegen einer anderen Legende gesehen haben, waren die Prognosen der italienischen Linke über die Lebenserwartung des Faschismus weit »pessimistischer« als die Wunschvorstellungen der Internationale. Aus diesem »Pessimismus« leitete die Linke aber keine jener verheerenden Folgen ab, denen die Internationale trotz ihres »Optimismus« schon damals zuneigte. Im Gegenteil, die daraus für die Partei und das Proletariat abgeleitete Linie stellte sich gegen jede Entwaffnung, gegen jeden Defätismus, gegen jede Abschwörung. Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg hatte sich die Frage gestellt, die herrschende Demokratie einschliesslich ihrer reformistischen Wasserträger zu stürzen, um dadurch zugleich den Triumph des Faschismus zu verhindern. Nach dem Oktober 1922 sollte die Frage darin liegen, den Faschismus (mit seiner Mischung aus Konservatismus und Reformismus) zu schlagen, um zugleich die triumphierende Rückkehr der sich auf die Ergebnisse der faschistischen Herrschaft stützenden Demokratie zu verhindern.

Man hat den anderen Weg eingeschlagen, den Weg der Unterstützung der Demokratie. Er führte vom Standpunkt der proletarischen Revolution zum Desaster, das sich bis in unsere Tage hinein verlängert. Der »innere Widerspruch« brach im zweiten Weltkrieg aus. Daraus ging die bürgerliche Gesellschaft gestärkt und die »gerettete« Demokratie gepanzert hervor.

»Wir hatten doppelt und dreifach recht«. Und das ist keine Frage der Selbstgerechtigkeit, sondern des künftigen Sieges.

Anmerkungen:
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  1. Hierzu siehe »Thesen von Rom« in »Kommunistisches Programm«, Nr. 13, Januar 1977.[⤒]

  2. Bei Caporetto erlitt die italienische Armee im ersten Weltkrieg eine verheerende Niederlage. [⤒]

  3. »Relazione del partito communista d’Italia al IV congresso dell’Internazionale Comunista«, iskra, Mailand 1976. Der Bericht wurde 1922 vor der faschistischen Machteroberung geschrieben.[⤒]

  4. Einem Artikel von G. Palazzolo (»L’apparato illegale del PCd’I nel 1921–22 e la lotta contro il fascismo«), erschienen in der Nr. 29/1966 der »Rivista storica del socialismo«, kann man folgende Einzelheiten über die Kämpfe entnehmen: Bari – Der Kampf mit der Polizei, der Sturm auf die Gefängnisse und die Carabinieri-Kaserne und die Barrikadenschlacht in der Altstadt endeten mit der Verhaftung von 20 Kommunisten, 11 Sozialisten, 3 Anarchisten, 1 Republikaner und …2 Faschisten. Mailand – Der Bürgermeister telegraphierte, dass »die Aufrührer sich in den Häusern verbarrikadierten und den ausreichend vorhandenen Polizeikräften drei Stunden Widerstand leisteten, es gab echte Schlachten, Angriffe und Verhaftungen«. Genua – Erst die gepanzerten Polizeiwagen konnten Zugang zum Hafen verschaffen. Es wurden 164 Kommunisten, 44 Sozialisten, 3 Anarchisten, 31 »Unpolitische« und … 5 Faschisten verhaftet. Ancona – Die Zusammenstösse, geführt vom geheimen Aktionskomitee, blockierten die Stadt. Erst mit Hilfe der Polizei und der Armee konnten die Faschisten die Stadt betreten. Auch die Festungen auf den Hügeln wurden besetzt. Es wurden 34 Kommunisten verhaftet (dazu noch 23 unter polizeiliche Überwachung gestellt), 18 Anarchisten, 17 Sozialisten, 1 Anhänger der Volkspartei, kein Faschist. Parma – hier erreichte der Widerstand gegen die Faschisten den Charakter eines echten Volksaufstands Einzelheiten fehlen.[⤒]

  5. Der Aufruf der KPI ist am Ende des 3. Teils dieser Arbeit (»Kommunistisches Programm«, Nr. 24, S 42) zu lesen. Dem dort ebenfalls abgedruckten Aufruf der Regierung Facta zum Frieden zwischen den Parteien antwortete die KPI ihrerseits mit der einfachen Bemerkung: »Zurück an den Absender«. Wenn hinter den schleimigen Worten dieses Friedensaufrufs die Drohung einer Art von nationaler Mobilmachung gegen die Proletarier und die »Roten« im allgemeinen gestanden hätte, würde die KPI, wie sie am 8. August erklärte, ohne Zögern antworten: »Wird angenommen«.[⤒]

  6. Vor allem die Jugendlichen hatten sich durch einen wunderbaren Kampfgeist ausgezeichnet. Selbst Historiker müssen feststellen: »Nur die kommunistische Organisation konnte den Zusammenstoss relativ gut bestehen. Ihr illegaler Apparat ging geschlagen, aber erhobenen Hauptes daraus hervor: Er hatte seine Feuertaufe gehabt und überstanden. Durch ihn wurden in den vom Faschismus eroberten Regionen die Parteigliederungen wieder miteinander verknüpft und die Grundlagen für eine halbkonspirative Reorganisierung geschaffen, wobei die Sektionen durch »Gruppen« ersetzt und die Befehle über interne Wege übermittelt wurden.« (Palazzolo, op. cit.). [⤒]

  7. Terzini = Drittinternationalisten, d. h. jener Flügel der Sozialistischen Partei, der für einen Anschluss an die III. Internationale war, sich freilich aber nicht von den Reformisten trennen wollte.[⤒]

  8. Siehe hierzu das Kapitel über die Frage der militärischen Organisierung der Massen (»Kommunistisches Programm«, Nr. 22, S. 50).[⤒]

  9. Siehe das Kapitel über die »Arditi del Popolo« (»Kommunistisches Programm«, Nr. 23, 5. 9–15). [⤒]

  10. So Amadeo Bordiga in einem Rückblick, der ein Jahr später, am 8. November 1923, mit dem Titel »Il Processo ai comunisti e gli altri« in »Lo Stato Operaio« erschien.[⤒]

  11. Schon unmittelbar nach der Spaltung der Maximalisten von den Reformisten wurde klar, dass die Mehrheit der neuen PSI sich einer Vereinigung mit der KPI in den Weg stellte und generell keinerlei Absicht hatte, sich der Autorität Moskaus zu unterwerfen. Die Linke, hinter deren Führung übrigens noch die absolute Mehrheit der Partei stand, hatte diese Entwicklung, die sich in den Monaten nach dem Marsch auf Rom zuspitzte, seit dem Oktober vorausgesehen. Anfang Januar schlossen sich die Vereinigungsgegner in ein »Komitee der sozialistischen Verteidigung« zusammen, dessen Inspirator Pietro Nenni war. Dieses Komitee eroberte nicht allein die Zeitung »Avanti!« und die Parlamentsfraktion, sondern sehr bald auch die Parteiführung, um somit den Boden für die Ergebnisse des ausserordentlichen Parteitags der Sozialisten vom 15.–17. April 1923 zu bereiten.[⤒]

  12. Siehe hierzu auch die Anmerkung 40 zum dritten Teil dieser Arbeit (»Kommunistisches Programm«, Anmerkung 14, Nr. 24, S. 44).[⤒]

  13. Unter den antifaschistischen Historikern ist es inzwischen Mode geworden, dem König Vittorio Emanuele III die Verantwortung für die »Abdankung« des »Rechtsstaates« vor dem sog. Gegenstaat der Gewalt und der Willkür in die Schuhe zu schieben. Man täuscht vor, vergessen zu haben, dass alle bekannten Führer der bürgerlichen Demokratie die offizielle Wachablösung mit vorbereitet haben und dass der König, als er Mussolini am Abend des 28. Oktober mit der Regierungsbildung beauftragte, nichts anderes tat, als einen Zustand der Dinge zu bestätigen, der bereits unumkehrbar war und den er mehr hingenommen als gewollt hat (wenn man unter solchen Umständen von Wollen überhaupt reden kann).[⤒]

  14. Ende September hat die CGL den alten Bündnispakt mit der sozialistischen Partei gekündigt. Dieser Pakt, ein Werkzeug, dessen sich die Gewerkschaft immer sehr gut bedient hatte, um die maximalistischen Maulhelden zu erpressen, wurde ihr jetzt zu einem Ballast, denn sie war ja dabei, sich den verschiedenen Regierungsanwärtern anzudienen, bzw. deren Angebote zu akzeptieren, und musste daher den Beweis für ihre »Unabhängigkeit« liefern. Es ist daran zu erinnern, dass d’Aragona, der CGL-Vorsitzende, eine faschistische Regierung unter sozialdemokratischer Beteiligung befürwortet hat während Baldesi, der zweite Vorsitzende, im Juli wie im Dezember seine Bereitschaft zur Mitwirkung an einer faschistischen Regierung erklärte. Sieht man von solchen Einzelheiten ab, so sollte sich der ADGB 1933 nicht anders verhalten.[⤒]

  15. Wir können hier nicht sehr ausführlich auf die verschiedenen Theorisierungen und politischen Schritte Radeks eingehen. Eine solche Untersuchung findet der Leser in der Einleitung unserer Broschüre »Communisme et fascisme«. Wir zitieren Radeks Rede nach dem Protokoll des IV.Kongresses (S.314). Hinweise auf die auf selber Linie stehende Position der KPD sind in den Anmerkungen zu den »Thesen von Lyon« zu finden.[⤒]

  16. Wir drucken die Rede in der deutschen Fassung des Protokolls des IV. Kongresses ab (S. 330–350). Es handelt sich dabei verständlicherweise um eine Rohübersetzung für Protokollzwecke, von deren genereller Überarbeitung wir hier allerdings absehen müssen. Offensichtliche Missverständnisse wurden am unteren Seitenrand vermerkt.[⤒]

  17. Gemeint ist: Entschlossenheit.[⤒]

  18. Gemeint ist: Verlagerung [⤒]

  19. Soll heissen: »speditioni punitivi«, d. h. »Strafexpeditionen«.[⤒]

  20. Gemeint ist: die keine Polizei im herkömmlichen Sinne war.[⤒]

  21. Hier und im folgenden heisst es: Bari [⤒]

  22. Gemeint ist die faschistische Gewerkschaftsbewegung. [⤒]

  23. Wir glauben zwar nicht, dass ein eingefleischter Demokrat die Lektüre dieser Schrift über sich ergehen lassen wird, es sei denn von Amts wegen oder aus Masochismus. Wie auch immer – an dieser Stelle wird er, der inzwischen Radeks zitierte Rede genüsslich durchgelesen haben wird, aufspringen: Wie recht hatte Radek gegen diese sektiererischen »Bordigisten«. Und er wird in seiner linksdemokratischen Borniertheit wohl die Wiedereinstellung der entlassenen Schergen und die Nichteinmischung der Faschisten in die Amtsgeschäfte der »unabhängigen Behörden« fordern, um die Kleinbourgeoisie »zu gewinnen«… Gegenüber solchen linken Demokraten muss man Radek allerdings in Schutz nehmen. Er war nicht allein eine andere Schuhgrösse. Er stand auch immerhin auf der anderen Seite der Barrikade, und Jahrzehnte der Entartung waren erforderlich, damit die demokratischen Aasgeier die Irrwege der Arbeiterbewegung bis auf die äussersten Konsequenzen unserer Tage führen konnten.[⤒]

  24. Es handelt sich hier selbstverständlich nicht um eine Prognose im Sinne der späteren bucharinistisch-stalinistischen Lehre vom »Sozialismus in einem Land« (eine Lehre, die einige Zeilen davor im voraus ausdrücklich zurückgewiesen wird), sondern um einen allgemeinen Ausdruck der Überzeugung, dass das Proletariat und der Kommunismus siegen werden. [⤒]

  25. Bordigas Rede vor Gericht ist auf deutsch unter »Der Angeklagte Bordiga hat das Wort« zu finden, bzw. im Sammelband »Freisprüche: Revolutionäre vor Gericht« (Suhrkamp Taschenbuch). [⤒]

  26. Rede von Bordiga in Neapel gem. »L’Unita« v. 15. 10. 1924. In dieser Rede wurden die von der Linken in den vorigen Monaten vorgebrachten Forderungen zusammengefasst.[⤒]

  27. Gramscis Rede erschien am 26. August 1924 in der »L’Unita«. Eine französische Übersetzung findet der Leser in »Communisme et fascisme«.[⤒]

  28. »L’Ordine Nuovo«, aus dem der Begriff »Ordinovismus« abgeleitet wurde, war, wie bereits angemerkt, eine Turiner Fraktion der sozialistischen Partei gewesen, die idealistische und ouvrieristische Auffassungen vertrat. Zu ihr gehörten u.a. Gramsci und Togliatti. Sie schloss sich der wahlboykottistischen Fraktion Bordigas an für die Gründung der KP in Livorno. Die Entartung der Komintern führte die ehemaligen »Ordinovisten« zu einem Mischmasch aus ihren ursprünglichen Positionen und den rechten Auffassungen, die in der Komintern kursierten, was sich nicht zuletzt bei Gramsci, der im Laufe seines langen Moskauer Aufenthaltes entsprechend bearbeitet wurde, bemerkbar machte. Zum »Ordine Nuovo« siehe u.a. den längeren Aufsatz in unserer französischen Zeitschrift »Programme Communiste«, Nr. 71 u. 72. Eine Kritik an Gramscis »Faschismustheorie« befindet sich im ersten Teil dieser Reihe (»Kommunistisches Programm«, Nr. 22). Auf deutsch zur Kritik am »Ordine Nuovo«: »Thesen von Lyon«, »Grundlagen des revolutionären Konmunismus« und – in »Kommunistisches Programm«, Nr. 19 u. 20 – die Schrift über den »linken Radikalismus«.[⤒]

  29. Eine deutsche Übersetzung der »Thesen von Lyon« erschien in »Kommunistisches Programm«, Nr. 14. Der Leitartikel der »Unita« vom 11. November 1924 malte das Gegenparlament mit den Farben des »Wohlfahrtsausschusses« der französischen Revolution und womöglich der »Commune« aus: »Ein Vertretungs und Führungsorgan aller antifaschistischen Strömungen, das das italienische Volk zur direkten Aktion aufruft«. Die berühmten Arbeiter- und Bauernkomitees wären somit ein Sockel, auf dem sich dieses oberste legislative und exekutive Organ des Antifaschismus aufrichten würde.[⤒]

  30. Risorgimento ist die Bezeichnung für die Periode der »Wiedergeburt« Italiens, sprich der Kriege und Kämpfe, die zur 1870 abgeschlossenen Bildung des italienischen Nationalstaates führten.[⤒]

  31. Allein der Abgeordnete Repossi, ein Anhänger der Linken, sollte am 12. November ins Parlament gehen, um den früher erwähnten heftigen Anklageakt gegen die Regierung vorzulesen. Die Fraktion kehrte erst am 26. November ins Parlament zurück.[⤒]

  32. Pierre Frank, »Histoire de l’Internationale Communiste«, Paris 1979, S. 233–234.[⤒]

  33. Wie bereits ausführlich dargelegt, ist es geradezu ein Unding, Mussolini etwa mit Kornilow zu vergleichen und der faschistischen Reaktion den geschichtlichen Charakter einer konservativen vorbürgerlichen oder ausserbürgerlichen »Rechte« verleihen zu wollen. In seinen Ursprüngen und Absichten wie in seiner faktischen Entwicklung war der Faschismus im Gegenteil Ausdruck des Versuchs des Grosskapitals, die Kleinbourgeoisie und möglichst auch einen Teil des Proletariats (d. h. des Lumpenproletariats und der Arbeiteraristokratie) zu seinem Schutz zu mobilisieren. Banaler, aber beredter Beweis: der Faschismus war und blieb eine Erscheinung Norditaliens (d. h. jener durch kapitalistischer Landwirtschaft und Grossindustrie geprägten Gebiete der Halbinsel) und er eroberte den Süden erst mit enormer Verspätung und durch das Netz der aus der Verbindung von parlamentarischer Demokratie und ökonomischer Rückständigkeit entstandenen Klientelwirtschaft.[⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 25/26, Juli 1980, S.4–35

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