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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Zweite Sitzung des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale am 23. Juli 1920.
Geschäftsordnung
Tagesordnung
Redebeitrag Reed
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Ramsay
Redebeitrag McLaine
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Tanner
Redebeitrag Rákosi
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Levi
Redebeitrag McLaine
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Trotzki
Redebeitrag Souchy
Redebeitrag Ramsay
Redebeitrag Serrati
Anmerkungen
Source


Zweite Sitzung des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale am 23. Juli 1920.

Lenin eröffnet die Sitzung.

Serrati erhält das Wort, um die Geschäftsordnung vorzulesen:

Text der Geschäftsordnung:
1. Die Plenarsitzungen des Kongresses finden von 11–3 Uhr und von 6–9 Uhr statt.
2. Die Referenten haben eine Berichtzeit von einer Stunde und bekommen ausserdem eine halbe Stunde Sprechzeit für das Schlusswort.
3. Den Korreferenten steht dieselbe Sprechzeit zu.
4. Zur Geschäftsordnung dürfen die Redner 2 Minuten lang sprechen, das Wort hierzu wird ihnen nur einmal erteilt.
5. Zu jeder Frage kann jeder Delegierte zweimal das Wort ergreifen (das erste Mal 10 Minuten, das zweite Mal 5 Minuten).
6. Die Wortmeldungen müssen schriftlich eingereicht werden.
7. Die namentliche Abstimmung wird auf Verlangen von drei Delegationen, die beschliessende Stimme haben, vorgenommen.
8. Jeder Antrag (auch zur Geschäftsordnung) muss dem Büro schriftlich vorgelegt werden (in einer der zwei Geschäftssprachen): das Wort kann dem Antragsteller erst nach Erfüllung dieser Formalität erteilt werden.

Serrati verliest die vom Büro vorgeschlagene Tagesordnung.

1. Die Rolle und die Struktur der kommunistischen Partei vor und nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat.
2. Die Gewerkschaften und die Betriebsräte.
3. Die Frage des Parlamentarismus.
4. Die Nationalitätenfrage und die Kolonialfrage.
5. Die Agrarfrage.
6. Stellungnahme zu den neuen Strömungen des »Zentrums« und die Bedingungen des Beitritts zur Kommunistischen Internationale.
7. Statuten der Kommunistischen Internationale.
8. Organisationsfrage (legale und illegale Organisationen, Frauenorganisationen usw.).
9. Jugendbewegung.
10. Wahlen.
11. Verschiedenes.

Reed. Im Namen von 29 Genossen schlage ich eine Abänderung der Tagesordnung in folgender Reihenfolge vor: 1. Über die Rolle der kommunistischen Partei in der Revolution; 2. Parlamentarismus; 3. Gewerkschaftsfrage. Dies ist für uns eine wichtige Angelegenheit. Wir müssen die Gewerkschaftsfrage gründlich besprechen und Zeit haben, alles darauf Bezügliche zu übersetzen und durchzustudieren. Ich beantrage, dass bei der Diskussion dieser Frage die englische Sprache als Geschäftssprache zugelassen werde.

Serrati. Im Namen des Büros ersuche ich den Kongress, den Antrag abzulehnen. Die Genossen, die heute verlangen, dass die Gewerkschaftsfrage an dritter Stelle behandelt werde, verlangten anfangs, dass man sie in erster Linie behandle. Das Exekutivkomitee hat die Tagesordnung in vollkommener Kenntnis der Sachlage festgesetzt. Was die Frage der Geschäftssprachen anbetrifft, erklären wir, dass wir die englische Sprache als Geschäftssprache nicht zulassen können, da dies die Debatten zu sehr erschweren würde. Die englischen Genossen können übrigens englisch sprechen, und es wird alles getan, um die Reden sofort übersetzen zu lassen.

(Der Antrag des Genossen Reed gelangt zur Abstimmung. Er wird mit einer Mehrheit von 14 Stimmen abgelehnt. Zur Frage über die Rolle und Struktur der kommunistischen Partei vor und nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat erhält das Wort Genosse Sinowjew.)

Sinowjew. Genossen! Ich muss leider eine Frage, die ziemlich kompliziert ist, in einer Sprache vortragen, die ich nur mangelhaft beherrsche. Zu dieser Frage liegen aber ausführliche Leitsätze in allen vier Sprachen vor, und ich kann daher meine jetzigen Ausführungen auf einige der wichtigsten dieser Leitsätze beschränken.

Wir leben in einer Zeit, in der alle Werte umgewertet werden und in der man auch eine solche Frage wie die Rolle und sogar die Notwendigkeit der Partei in manchen Kreisen verneint. Es ist sonderbar, dass auch in Arbeiterkreisen in den vorgeschrittenen Ländern wie England, Amerika, Frankreich ziemlich starke Strömungen zu konstatieren sind, die die Rolle ihrer eigenen politischen Partei nicht verstehen und sie sogar direkt negieren. Es ist vielleicht das Bezeichnendste in dieser schwierigen Lage, dass eben eine solche Frage aufgeworfen wird. Ich sehe hier den Höhepunkt der Krise, die die Arbeiterbewegung und der Sozialismus während des Krieges durchgemacht haben. Es ist die Folge und eine Äusserung dieser Krise, des Bankerotts der II. Internationale, dass jetzt in ziemlich breiten Schichten diese Frage überhaupt gestellt wird und oft in ziemlich akuter Weise.

Ihr wisst, dass eine ganze Anzahl von Genossen, die sich Kommunisten nennen und mit der Massenbewegung Fühlung haben, die Partei dennoch negieren oder missverstehen. Den Ausdruck ihres Standpunktes (oder vielmehr ihrer Stimmung) haben wir am ausführlichsten beim Genossen Pannekoek gefunden, dessen Broschüre wir zu dieser Frage herausgegeben haben und heute oder morgen verteilen werden. Ihr findet in dieser Broschüre eine blinde Anbetung der Massen, die man der Partei als solcher gegenüberzustellen versucht. Ich glaube, die Broschüre von Pannekoek ist in dieser Frage die beste Propaganda gegen die Gruppe, die die Rolle der Partei nicht versteht und negiert, wie es z. B. die KAPD Zusammen mit Pannekoek macht.

Was ist die kommunistische Partei?

Ich habe in meinen Leitsätzen erklärt: die kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der vorgeschrittenste, klassenbewussteste und daher revolutionärste. Man kann dagegen erwidern: es sollte so sein, es ist aber nicht immer so. Und das ist wahr. Manche Parteien, die der II. Internationale angehörten, haben eine solche Politik verfolgt, haben sich so zurückentwickelt, dass ihnen am Ende wirklich nicht der beste Teil der Arbeiterklasse, nicht der bewussteste angehört. Und dennoch glaube ich, dass wir darauf bestehen müssen, dass die kommunistische Partei in der Entwicklung den besten und den bewusstesten Teil der Arbeiterklasse organisiert. Unseres Erachtens ist es unmöglich, die Massen in dieser Beziehung der Partei gegenüber zu stellen, Man kann nicht den Kopf dem Rumpf, man kann nicht die rechte Hand des Menschen seinem Körper gegenüberstellen. Und die Partei ist eben der Kopf der Arbeiterklasse. Die Organisation ist die rechte Hand des Proletariats in seinem Emanzipationskampfe.

In der russischen Revolution haben wir Massen von Tausenden, von Millionen gesehen. Mit ihnen haben wir auf Schritt und Tritt gearbeitet, Niederlagen erlitten, Siege davongetragen. Aber wir haben auf Schritt und Tritt konstatieren können, dass die Arbeitermassen nur dann erfolgreich handeln konnten, wenn sie eine kräftig organisierte Partei an ihrer Spitze hatten, die ihnen den Weg zeigte.

Manchmal fühlen die Genossen, die gegen die Notwendigkeit der Partei auftreten, sich als »linke« Opposition. Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Das ist keine linksstehende Opposition, sondern ganz umgekehrt. Es äussert sich in dieser Stimmung gegen die Partei ein Rest des bürgerlichen Einflusses auf das Proletariat. Das Bürgertum trinkt Wein und propagiert dem Proletarier Wasser. Jeder gute Bürger ist mit 21 Jahren Mitglied einer politischen Partei. Zu den Arbeitern aber kommt er mit der Propaganda der Parteilosigkeit, und mit dieser Angel kann er ziemlich oft Arbeiter fangen.

Wir können auch jetzt noch, nach drei Jahren Revolution, konstatieren, dass mit dieser Angel ziemlich grosse Schichten der Arbeiterklasse auch in Russland zu fangen sind.

Es ist eine ganz bewusste Politik der Bourgeoisie, wenn sie den Arbeitern die Parteilosigkeit propagiert. Sie kann nicht zu den Arbeitern kommen und ihnen sagen: kommt in unsere bürgerliche Partei, denn die Arbeiter werden ihr nicht folgen. Da stellt sie eine »Theorie« auf, die dem Arbeiter sagt: du brauchst ja keine Partei, du kannst dich mit Gewerkschaften und anderen Vereinigungen begnügen. Über politische Programme brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Und da die Bourgeoisie nachtvolle Mittel der Propaganda in ihren Händen hat, wie Schule, Presse, Kunst, Parlament, so hat sie es gelernt, einen ziemlich grossen Teil der Arbeiterklasse der Idee der Partei zu entfremden und ihr die falsche Idee einzuflössen, dass der Arbeiter keine Partei braucht.

Die Schichten, die sich gegen eine Partei sträuben und sie ständen links, verstehen nicht, was vor sich geht, und wiederholen das, was ihnen die Bourgeoisie jahrzehntelang durch ihren ganzen Apparat eingeimpft hat. Und noch eins. Die Genossen, die meinen, dass man in unserer Epoche ohne Führung der Partei kämpfen kann, beweisen dadurch, dass sie eigentlich die revolutionäre Epoche nicht verstehen, dass sie sie verkennen. Würden sie begreifen, dass wir wirklich in eine Epoche hartnäckigster, heftigster Klassenkämpfe eingetreten sind, so wäre das erste, was ihnen einleuchten würde, dass wir in einer solchen Epoche einen Generalstab, eine zentralisierte Partei brauchen. Es ist klar, dass, nachdem die II. Internationale zusammengebrochen ist, nachdem eine ganze Reihe von Parteien mit der deutschen sozialdemokratischen und der französischen Partei an der Spitze versagt haben, dass in einer solchen Stunde bei manchen Arbeitern der Gedanke auftaucht: es ist das Parteiwesen überhaupt, das bankerott ist. Man sagt es oft, dass das Parteiwesen als solches in diesem Kriege Bankerott erlitten hat. Dagegen erklären wir in Punkt 4 der Leitsätze folgendes:

Die Kommunistische Internationale hält beharrlich an der Überzeugung fest, dass der Zusammenbruch der alten »sozialdemokratischen« Parteien der II. Internationale unter keinen Umständen als Zusammenbruch des proletarischen Parteiwesens überhaupt dargestellt werden darf. Die Epoche des direkten Kampfes um die Diktatur des Proletariats bringt eine neue Partei des Proletariats zur Welt: die kommunistische Partei.

Und darauf bestehen wir auch den revolutionären Syndikalisten gegenüber, die wir als Freunde und Brüder betrachten, die aber in dieser Frage eine irrige Stellung einnehmen. Der Bankerott der sozialpatriotischen Parteien, der Bankerott der II. Internationale ist nicht der Bankerott des Parteiwesens. Man könnte den Spiess umdrehen und den Syndikalisten sagen: Legien hat Bankerott erlitten und die sogenannten »freien«, die frei-gelben Gewerkschaften Deutschlands und die französischen Syndikalisten mit Jouhaux an der Spitze haben doch auch Bankerott gemacht. Aber wir werden daraus nicht folgern, dass die Idee der Gewerkschaften Bankerott erlitten hat. Also können wir auch nicht sagen, dass, weil die II. Internationale und eine ganze Anzahl politischer Parteien Bankerott erlitten haben, darum überhaupt das Prinzip des Parteiwesens Bankerott erlitten habe. Der »linke« Konfusionsrat Rühle erklärte letzthin feierlich, dass mit der bürgerlichen Demokratie zusammen das Prinzip des Parteiwesens überhaupt den gemeinsamen Bankerott erleiden muss. Nun, das ist einfach eine Dummheit. Das Sowjetsystem schliesst eine proletarische Partei nicht aus, sondern es setzt im Gegenteil eine proletarische Partei voraus; gewiss eine Partei aus anderem Teig als die sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale, d. h. eine wirkliche kommunistische Partei, die die Vorhut der Arbeiterklasse organisiert und durch sie die ganze Arbeiterklasse zum Siege führt.

Wenn wir die Wurzeln dieser Negierung der Partei unter suchen wollen, so sind sie folgende: Die tiefste Wurzel besteht darin, dass wir in dieser Frage die Auswirkung der bürgerlichen Ideologie vor uns haben, dass wir das aufgenommen haben, was die Bourgeoisie uns jahrzehntelang propagiert hat, dass der Arbeiter parteilos sein könne, dass man nicht eine politische Partei haben müsse und dass die Gewerkschaften genügen. Das ist eine Konzession an die Ideologie des Bürgertums. Nichts anderes.

Die zweite Wurzel liegt in der Tatsache, dass eine ganze Reihe alter sozialdemokratischer Parteien vor unseren Augen während der Epoche des imperialistischen Krieges sich in Parteien verwandelt haben, die die Sache der Arbeiterklasse verrieten. Wir sagen unseren Genossen aus den Reihen der Syndikalisten, aus den IWW und aus der Shop-Stewards-Bewegung, dass das Zeichen der Zeit nicht darin besteht, dass wir die Partei negieren sollen. Das Zeichen der Epoche, in der wir leben, in der die Kämpfe immer heisser, immer hartnäckiger werden, besteht darin, dass wir sagen müssen: Die alten Parteien haben Schiffbruch erlitten, nieder mit ihnen, es lebe eine neue kommunistische Partei, die sich jetzt unter neuen Bedingungen bilden muss. Es wird ebenso gehen wie mit dem Parlamentarismus.

Der Verrat einer ganzen Anzahl von sozialdemokratischen Parlamentariern hat einen grossen Teil der Arbeiterklasse zu grundsätzlichen Gegnern des Parlamentarismus gemacht. Aber es ist jetzt schon klar, dass die neue Epoche neue Persönlichkeiten, auch in den bürgerlichen Parlamenten, zeigen muss, Genossen, die als Kämpfer auftreten und die durch ihre Tat der Arbeiterklasse zeigen werden, dass es auch im bürgerlichen Parlament wirkliche Kommunisten geben kann, wie es Karl Liebknecht war. Nicht nur durch Wortpropaganda sollen wir überzeugen, sondern durch Taten.

Eine ganze Reihe von Parteien beweist durch ihre Tätigkeit, dass man eine neue, wirklich proletarische kommunistische Partei bilden kann. Wir haben in unseren Leitsätzen den Syndikalisten gesagt, dass die von den revolutionären Syndikalisten und den Anhängern der IWW betriebene Propaganda gegen die Notwendigkeit einer selbständigen Arbeiterpartei objektiv nur zur Unterstützung der Bourgeoisie und der gegenrevolutionären »Sozialdemokraten« beigetragen hat. Sofern die Syndikalisten und Industrialisten gegen die kommunistische Partei agitieren, die sie ausschliesslich durch Gewerkschaften oder irgend welche formlosen »allgemeinen« Arbeiterunionen ersetzen wollen, berühren sie sich mit unverhüllten Opportunisten; die russischen Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution 1905 einige Jahre lang die Idee des sogenannten Arbeiterkongresses gepredigt, der die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ersetzen sollte. Die »Labouristen« jeglicher Art in England und in Amerika predigten den Arbeitern die Schaffung von formlosen Arbeiterverbänden an Stelle der politischen Partei und treiben tatsächlich eine durchaus bürgerliche Politik. Die revolutionären Syndikalisten und Industrialisten wollen gegen die Diktatur der Bourgeoisie kämpfen, wissen aber nicht, wie. Sie merken nicht, dass die Arbeiterklasse ohne eine selbständige politische Partei ein Rumpf ohne Kopf ist.

Der revolutionäre Syndikalismus und Industrialismus bedeutet nur im Vergleich mit der alten, dumpfen, gegenrevolutionären Ideologie der II. Internationale einen Schritt vorwärts. Im Vergleich aber mit dem revolutionären Marxismus, d. h. mit dem Kommunismus, bedeuten der Syndikalismus und der Industrialismus einen Schritt rückwärts. Die Erklärung der »linken« Kommunisten Deutschlands auf ihrem Gründungsparteitag im April, dass sie eine Partei gründen, aber »keine Partei im überlieferten Sinne«, bedeutet eine geistige Kapitulation vor den Anschauungen des Syndikalismus und Industrialismus, die reaktionär sind.

Ich habe gute Freunde, revolutionäre Syndikalisten, gesprochen, die uns sagen: »Wir werden alles tun, was Ihr uns vorschlagt, wir werden eine Sowjetregierung bilden und die Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie führen. Das werden aber alles die Syndikate und unsere Gewerkschaften tun. Wozu denn eine Partei?« Ich frage diese Freunde: soll das Wirklichkeit werden, dass Ihr eine Sowjetregierung bilden wollt, so müsst Ihr doch sofort das Programm dieser Regierung haben, Ihr müsst ein Programm in der Agrarfrage haben, in der äusseren, in der inneren Politik, Ihr müsst uns erklären, wie Ihr Euch zu den Mittelbauern verhalten werdet, wie Ihr eine Armee aufbauen werdet, was Euer Programm in der Schulfrage ist usw. Und sobald Ihr angefangen habt, Eure Auffassung in allen diesen Fragen zu formulieren und genau festzustellen, in dem Moment fangt Ihr an, Euch zu einer Partei zu entwickeln! Dasselbe sagen wir auch unseren parteilosen Arbeitern in Russland.

Es gibt bei uns viele Tausende Arbeiter, die noch jetzt parteilos sind, die uns aber unterstützen und mit uns zusammengehen. Wir organisieren Konferenzen von solchen parteilosen Arbeitern, wir diskutieren mit ihnen alle komplizierten Fragen, wir sagen ihnen: wir müssen die Ernährungsfrage, die Frage des Krieges gegen Polen lösen, wir müssen eine Antwort in der Agrarfrage, in der Schulfrage haben; wollt ihr mit uns zusammen diese Antworten finden? Ja? Dann wollen wir diskutieren! Wenn wir zu allen diesen Fragen eine einheitliche Antwort haben, so ist das eben ein grosser Teil des Programms der kommunistischen Partei. Wenn wir die besten Elemente vereinigen wollen, dann brauchen wir eben eine Organisation. Diese Organisation ist die kommunistische Partei.

Dasselbe müssen wir auch den Genossen sagen, die wir gestern mit beschliessender Stimme aufgenommen haben, die sich zum Kommunismus entwickeln werden und müssen. Wir müssen ihnen sagen, dass, je grösser die Klassenpartei ist, die wir haben, um so schneller und leichter der Weg zum Siege führt. Und diese Partei soll, da wir schon den Kampf auszukämpfen haben, nicht in der Hitze des Gefechts, sondern jetzt schon, Tag für Tag, das Programm ausarbeiten und die besten, die bewusstesten Elemente der Arbeiterklasse um sich sammeln, damit sie, wenn die entscheidende Stunde geschlagen hat, die besten Elemente aufsaugen kann. In jedem Betriebe sollen die besten Leute Mitglieder unserer Partei sein. Sie werden am Anfang freilich in der Minderheit sein, aber da sie ein klares Programm haben, da sie die aufgeklärtesten sind, da die Arbeiter Vertrauen zu ihnen haben, so werden sie zur gegebenen Stunde sofort zu Führern der Massenbewegung werden. Der Kampf, der sich vorbereitet, ist ein riesiger Kampf, dessen wirkliche Dimensionen sich niemand bisher vorgestellt hat. Erst jetzt beginnen wir zu verstehen, wie gross dieser Kampf sein wird, den wir auszufechten haben.

Nicht formlose Arbeiterunionen, die von der Hand in Mund leben, sondern eine Partei, die die besten aus der Arbeiterklasse umfasst, die im Verlauf von Jahrzehnten sich organisiert und die einen festen Keim bildet, wird der Arbeiterklasse den richtigen Weg zeigen. Es handelt sich darum, dass wir die Vorhut der Arbeiterklasse organisieren, damit sie in diesem Kampfe die Massen wirklich leiten kann.

Es ist logisch klar, dass die Genossen, die gegen die Parteibildung sind, manchmal, ohne sich dessen selbst bewusst zu sein, ihren Ausgangspunkt nicht von der Epoche eines schonungslosen Kampfes, sondern von einer alten friedlichen Epoche nehmen, in der jede Parteiarbeit fast nur Propaganda (wenn auch oft schlechte Propaganda) gewesen ist. Sie verstehen nicht, das, obwohl auch jetzt die Propaganda selbstverständlich einen grossen Teil unserer Parteiarbeit ausmachen soll und muss, sie nicht das einzige ist, sondern dass jetzt die Tat kommt, dass der Bürgerkrieg gekommen ist, dass wir die revolutionäre Tat Tag für Tag, Stunde für Stunde haben müssen und nichts mit Organisationen anfangen können, die heute selbst noch nicht wissen, was sie morgen in den akutesten Fragen der proletarischen Politik sagen werden.

Wir brauchen eine Partei. Aber was für eine Partei? Und da müssen wir ganz klar aussprechen, was wir den rechtsstehenden Elementen zu sagen haben. Wir brauchen nicht eine Partei wie die Parteien der II. Internationale oder eine Partei, wie es einige Parteien des Zentrums noch jetzt sind. Solche Parteien spielen objektiv eine reaktionäre Rolle. Es ist klar, dass z. B. die deutsche Sozialdemokratie keine revolutionäre, sondern eine direkt gegenrevolutionäre Rolle im eigentlichen Sinne dieses Wortes gespielt hat und spielt. Das zu beweisen ist ganz überflüssig. Es ist klar, dass in Deutschland der Kampf der Arbeiterklasse jetzt so schwer ist, weil dort eine so grosse, wohlorganisierte, aber bürgerliche sozialdemokratische Partei existiert. Wir brauchen keine Parteien, die die schlechtesten Traditionen der II. Internationale weiter verfolgen, wir brauchen keine Parteien, die das einfache Prinzip haben, möglichst viele Mitglieder um sich zu sammeln, die zu kleinbürgerlichen Parteien werden, in denen die Arbeiteraristokratie organisiert ist, in denen sehr oft die Arbeiterbürokratie zur Kaste wird und nur ihre eigenen Interessen verfolgt. Wir brauchen nicht Parteien, die z. B. bei den Wahlen Kandidaten aufstellen, die erst gestern zur Partei gekommen sind. Wir brauchen nicht Parlamentsfraktionen, in denen wir statt Arbeitern 46 Professoren, 45 Advokaten oder noch mehr haben und von denen man sagen müsste: 45 Advokaten, proletarische Revolution, du bist verraten! (Beifall.) Wir brauchen nicht Parlamentsfraktionen, wie in Deutschland und Italien, in denen es Leute gibt, die in der wichtigsten Stunde – wir wissen das ganz genau – entweder auf der Seite der Bourgeoisie stehen oder zwischen zwei Stühlen sitzen und unseren Kampf sabotieren werden.

Wir müssen die soziale Zusammensetzung unserer Parteien aufmerksam, wie durch eine Lupe, verfolgen. Wir müssen aufpassen, dass nicht antiproletarische Elemente zu uns kommen. Wir müssen danach streben, wirklich proletarische Parteien zu haben. Es ist erklärlich, dass jetzt eine grosse Anzahl, und nicht der schlechteste Teil der Arbeiter – solcher Arbeiter, die den Kampf gegen die Bourgeoisie ehrlich nehmen – verwirrt wird, wenn er solche Parteien wie die sozialdemokratische Partei, wenn er Parlamentsfraktionen wie in Italien sieht. In Italien ist fast die Siedehitze erreicht, die Arbeiterklasse ist für den Kommunismus, für revolutionäre Politik, aber im Parlament spricht auch jetzt noch im Namen der Partei ein Mann wie Turati, der Jahrzehnte lang bürgerliche Politik getrieben hat und noch treibt. Da ist es zu verstehen, dass unter solchen Verhältnissen Strömungen entstehen, die die Partei als solche negieren. Dasselbe ist in Deutschland der Fall bei den Unabhängigen, die eine Parlamentsfraktion haben, in der Männer wie Henke in der Hauptsache oft dasselbe sagen wie Scheidemann, nur mit ein wenig anderen Worten. Da ist es zu verstehen, dass auch dort ganz gute Revolutionäre sagen: besser gar keine Partei als eine solche Partei. Die Folgerung aber ist unrichtig, wenn sie sagen: Besser keine Partei als eine solche Partei. Nein, sagen wir, wenn diese oder jene Partei schlecht ist, so sollen wir um jeden Preis eine gute Partei bilden, wir sollen uns zunächst als Minderheit organisieren, wir sollen Schritt für Schritt arbeiten, um die besten Elemente der Arbeiterklasse in unsere Reihen zu bekommen.

Wenn man uns also fragt, was für eine Partei wir brauchen, so müssen wir antworten: Wir haben eine ganze Anzahl von Parteien, die sogar der Kommunistischen Internationale angehören wollen und von denen wir dennoch sagen müssen: da hast du ein Beispiel dafür, wie eine kommunistische Partei nicht aussehen soll. Da sollst du sofort Alarm schlagen, den besten Teil der Arbeiterklasse überzeugen und diese Partei reinigen, wenn nötig spalten und um jeden Preis eine wirklich kommunistische Partei bilden.

Noch eins möchte ich hinzufügen zu der Frage, was für eine Partei wir haben müssen. Wir müssen hier auch die Organisationsfrage im allgemeinen berühren.

Was für eine Partei brauchen wir, vom Organisationsstandpunkt betrachtet? Wir müssen uns in jedem einzelnen Fall den betreffenden Verhältnissen anpassen. Es gibt Erscheinungen in der Arbeiterbewegung, die in jedem Lande auftreten, es gibt aber auch Fälle, in denen wir uns den betreffenden nationalen Verhältnissen anpassen müssen. Ich will nicht von diesen konkreten Fällen sprechen. Nur das eine will ich erwähnen. Es gibt eine Strömung gegen den Grundsatz der strengen Zentralisation der Partei. Es gibt Kreise, die überhaupt die Partei negieren, und es gibt auch Kreise, in denen man einverstanden ist, dass man eine Partei braucht, aber keine zentralisierte Partei mit einer eisernen Disziplin. Und nicht nur von den Intellektuellen, den Revisionisten, sondern auch von einem Teile der IWW und der Shop Stewards wird dies vertreten. Betrachten wir die generelle Frage, ob wir wirklich eine zentralisierte Partei brauchen oder nicht.

Sehr oft spricht man von der Erfahrung der russischen Revolution. Die wichtigste Erfahrung dieser Revolution besteht darin, dass wir, wenn wir keine zentralisierte, militärische, eisern disziplinierte Partei organisiert gehabt hätten, die wir während 20 Jahren haben, schon ohne Zweifel zwanzigmal geschlagen wären. Das ist die Erfahrung der russischen Revolution, und diese Lehre wird Euch jeder einfache Arbeiter, jedes Mitglied unserer Partei bestätigen. Das ist’s, was wir gelernt haben.

Man soll die Sache nicht leicht nehmen, man soll bedenken, was der Bürgerkrieg in Wirklichkeit bedeutet. Es ist leicht zu sagen: jetzt beginnen wir den Bürgerkrieg! Aber es ist ziemlich schwierig, den Bürgerkrieg auszukämpfen, wenn man ihn ein, zwei, drei Jahre führen, wenn man viele Tausende von Genossen an die Front schicken muss, wo Tausende getötet werden, wenn man die grössten Opfer von den Mitgliedern der Partei verlangen muss, wenn man Entscheidungen von ungeheurer Bedeutung innerhalb 24 Stunden oder sogar 24 Minuten treffen muss, wenn man das absolute Vertrauen der Arbeiter haben muss, um überhaupt etwas zu erreichen. Die Tatsache, dass wir jetzt einem titanischen Kampf entgegengehen, dass jetzt wirklich die Stunde geschlagen hat, in der das Schwert gegen die Bourgeoisie spricht, veranlasst uns, nicht nur bezüglich der nationalen Parteien, sondern auch der Internationale zu sagen: Wir brauchen eine zentralisierte Organisation mit einer eisernen militärischen Disziplin. Nur dann erreichen wir das, was wir wirklich brauchen. Wir müssen in dieser Beziehung von unseren Feinden lernen. Wir müssen verstehen, dass wir bei unserer schweren Lage nur dann siegen können, wenn wir wirklich gut und straff organisiert sind. Wir werden darüber noch ausführlicher sprechen, wenn wir die Statuten der Kommunistischen Internationale auszuarbeiten haben und dann über diese Frage im internationalen Masstabe sprechen müssen.

Manchmal hören wir einige Genossen sagen: »Ja, so lange wir unter der bürgerlichen Ordnung leben, solange wir die Macht noch nicht ergriffen haben, brauchen wir vielleicht wirklich noch die Partei, aber wenn wir den Sieg davongetragen haben, dann brauchen wir durchaus keine Partei«. Ich habe mit guten deutschen kommunistischen Arbeitern darüber gesprochen, habe ihre Erwägungen gehört und erlaube mir, auch hier an die Erfahrungen der russischen Partei zu appellieren. Gerade nachdem wir die Macht ergriffen, nachdem wir die Regierung gebildet hatten, ist die Rolle der Partei nicht kleiner geworden, sondern gewachsen von Tag zu Tag. Niemals war bei uns in Russland die Bedeutung der Partei so gross wie gerade jetzt, nachdem wir den Sieg davongetragen haben. In allen wichtigen Fragen ist eine wirkliche Kontrolle durch die Partei nötig.

Es kommen heute Leute wie Kautsky, die sagen: Bei euch in Russland habt ihr ja nicht die Diktatur der Arbeiterklasse, sondern die Diktatur der Partei. Man meint, dass das ein Vorwurf gegen uns sei. Keine Spur! Wir haben die Diktatur der Arbeiterklasse, und eben darum haben wir auch die Diktatur der kommunistischen Partei. (Beifall.) Die Diktatur der kommunistischen Partei ist nur eine Funktion, nur ein Merkmal und eine Äusserung der Diktatur der Arbeiterklasse. Was ist die Partei bei uns? Man soll sie nicht verwechseln mit anderen Parteien, die aus Advokaten bestehen. Sie besteht bei uns aus 600–700 000 der besten Arbeiter, der Vorhut des Proletariats. Und es ist klar, dass die Geschäfte der Arbeiterklasse von diesen ihren besten Vertretern besorgt werden. Daher ist die Diktatur des Proletariats gleichzeitig auch die Diktatur der kommunistischen Partei. Die Kontrolle der verschiedenen Organisationen, das Recht, sie zu säubern, gehört der Partei; so muss es ja während der proletarischen Revolution sein. Die Rolle der Partei nach dem Siege wird nicht kleiner, sondern sie wird im Gegenteil gesteigert.

Die Sowjetidee hat jetzt die Gedanken der Arbeiter fast der ganzen Welt erobert. Die Arbeiterklasse ist halb bewusst, halb unbewusst der Meinung, dass die Menschheit dem Sowjetsystem entgegengeht. Das ist richtig. Aber daraus wird manchmal gefolgert: Wenn wir Sowjets haben, brauchen wir keine Partei; die Sowjets sollen die Partei ersetzen, die Partei soll in den Sowjets aufgehen, die Partei soll sich der Idee der Sowjets »anpassen«. Auch hier müssen wir die Erfahrung der ersten siegreichen proletarischen Revolution anrufen. Wir haben in Russland 1917 die Sowjets, die acht Monate lang gegen die Arbeiterpolitik waren, darum so schnell gewonnen, weil wir eine feste, tatkräftige, entschlossene Partei hatten. Und in den Sowjets ist der Einfluss des Kommunismus jetzt darum so stark, weil wir eine starke Partei haben. Die Sowjets schliessen die Partei nicht aus, sondern im Gegenteil, ihre direkte Voraussetzung ist die Partei; das ist ihre führende Kraft, ihr wichtigster Teil, der Kopf, das Gehirn dieser Sowjets. Wir wollen den Genossen auch ganz klar sagen:

Nicht allein, wenn wir von diesen Sowjets nur sprechen, sondern gerade, wenn wir diese Sowjets schon haben, brauchen wir eine starke kommunistische Partei, die Tag für Tag wachsen wird. Man erwiderte uns oft: In den Sowjets ist fast die gesamte Arbeiterklasse organisiert, in der Partei ist aber nur eine Minderheit, und das wird immer so bleiben. Immer wird das nicht so bleiben, und auch jetzt ist dem schon nicht mehr so. In der Epoche der II. Internationale wurde öfters erklärt: Die Mehrheit der Arbeiterklasse wird niemals innerhalb der sozialdemokratischen Partei organisiert sein. Damals war das richtig. Solange die Macht der Bourgeoisie gehört, solange sie die Presse, die Schule, das Parlament und die Kunst beherrscht, wird ein bedeutender Teil der Arbeiterklasse durch die Propaganda der Bourgeoisie und ihrer Agenten verdorben und ins bürgerliche Lager getrieben. Die bürgerliche Presse beraubt die Partei selbstverständlich eines Teils der Arbeiterklasse. Sobald aber die Pressefreiheit für die Arbeiterklasse besteht, sobald wir die Schule und die Presse in den Händen haben, wird eine Zeit kommen, die nicht so fern ist; in der allmählich, Tag um Tag, grosse Gruppen der Arbeiterklasse zu uns in die Partei kommen, bis wir eines Tages die Mehrheit der Arbeiterklasse in unseren Reihen organisiert haben werden. Die Perspektive ist jetzt schon eine ganz andere. Wir brauchen also die Partei, auch wenn wir die Sowjets haben.

Die alte, sogenannte klassische Einteilung der Arbeiterorganisationen in Partei, Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften ist jetzt falsch. Es besteht jetzt eine andere: Partei, Sowjets, Gewerkschaften. Vielleicht werden Modifikationen, vielleicht werden neue Formen kommen, vielleicht wird diese oder jene Revolution etwas Neues zeitigen. Es wird wahrscheinlich so kommen, aber soweit wir es jetzt übersehen können, soweit die russische Revolution ein Beispiel bringt, ist die jetzige Einteilung so: kommunistische Partei, Sowjets, Gewerkschaften. In den Parlamenten, in den Gewerkschaften, in den Parteiorganisationen müssen wir den Kommunismus propagieren. Aber die leitende Kraft, der Geist der ganzen Bewegung ist die Partei.

Weder die Sowjetregierung noch die Revolutionierung der Gewerkschaften schliesst die Partei aus. Man wird uns vielleicht sagen: Wenn die Gewerkschaften gelb sind, dann brauchen wir eine Partei, aber nicht, wenn sie gut, wenn sie revolutionär sind; dann brauchen wir keine Partei. Ich sage – nein. Auch wenn die Gewerkschaften revolutionär sind, selbst wenn sie durchweg konsequent kommunistisch sind, wie das bei uns der Fall ist, so brauchen wir doch die Partei.

Wir haben eine graphische Darstellung der IWW gesehen, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Sie stellen sich die ganze Sache vor als Zentralrat der Gewerkschaften in der Mitte und an der Peripherie eine ganze Anzahl einzelner Gewerkschaften. Gut. Aber mit welchen Mitteln werden sie die Macht erobern? Wie werden sie eine Rote Armee bilden? Es ist doch klar, es gibt keine proletarische Revolution ohne Rote Armee. Werden sie auch auf gewerkschaftlicher Grundlage eine Rote Armee der Metallarbeiter, eine parallele Rote Armee der Textilarbeiter usw. und einen Generalrat der Roten Armeen dieser Gewerkschaften bilden? Das ist unmöglich. Auch die Ernährungsfrage können wir nicht bei einem solchen Aufbau lösen.

Wir müssen eine staatliche Organisation haben, und diese kann nur von der Partei geleitet werden, weil eine staatliche politische Organisation die ist, die die besten Elemente der Arbeiterklasse des ganzen Landes umfasst. Wir haben in Russland Gewerkschaften, die jetzt Hand in Hand mit uns gehen. Es war aber nicht immer so. Vor der Oktoberrevolution waren die Gewerkschaften in den Händen der Menschewiki; am Anfang der Julitage war die Mehrheit bei den Menschewiki. Wir haben in den Gewerkschaften kommunistische Zellen, dann Fraktionen gebildet und haben jetzt die grosse Mehrheit auf unserer Seite. Und dennoch ist die Rolle der Partei nicht kleiner, sondern viel grösser geworden. Denn diese Gewerkschaften haben sich, soweit sie kommunistisch sind, der Partei unterstellt, und das ist anders auch nicht möglich. Schon Marx hat diese Auffassung vertreten, wenn er meinte, es sei falsch, wenn man sagt, die Partei behandele nur die politische Seite der Bewegung und die Gewerkschaften die ökonomische. Dem ist nicht so. Die kommunistische Partei ist nach der Auffassung des Marxismus eine Organisation, die alle Seiten der Arbeiterbewegung ohne Ausnahme berührt. Ihr Geist soll leitend sein für die Sowjets und die Gewerkschaften, für die Schule, für die Genossenschaften, für alle Organisationen, in die die Arbeiterklasse zusammengefasst wird. Das ist der wirkliche Marxismus.

Die kommunistische Partei ist nicht nur ein politisches Organ, sie behandelt nicht nur politische Fragen, sie ist nicht eine Wahlmaschine, ein Parlamentsapparat, wie es die Opportunisten wollen, sie ist eine Organisation, der die besten Teile der Arbeiterbewegung angehören, die alle gesellschaftlichen Organe und den Kampf der Arbeiter in seinem ganzen Umfang und in allen seinen Äusserungen leitet. Darum sagen wir auch hier denen, die meinen, dass formlose Arbeiterunionen die Partei ersetzen können: Ihr habt nicht recht. Auch in diesem Fall brauchen wir eine kommunistische, marxistische Partei, die die Gewerkschaften leitet, ihnen frisches Blut gibt, ihnen den Weg zeigt, für sie der leitende Stern ist.

Deshalb sind wir der Meinung, dass der kommunistische Kongress jetzt klipp und klar sagen soll: Da wir vor der proletarischen Revolution stehen, muss sich jeder Arbeiter klar bewusst sein, – wie vor der Ergreifung der Macht, so auch während des bewaffneten Aufstandes und auch nach dem bewaffneten Aufstand, nachdem wir die Macht ergriffen haben, brauchen wir eine kommunistische Partei, die in ihrer Zusammensetzung eine Arbeiterpartei ist, die kleinbürgerliche Elemente nicht aufnimmt. Sie kann mit den letzteren vorübergehend politische Bündnisse haben, aber nicht innerhalb der Partei, sie kann nicht kleinbürgerliche Elemente aufnehmen und mit ihnen in der Partei einen Bund schliessen. Sie muss den revolutionären Parlamentarismus in gegenrevolutionären Parlamenten im Geiste von Karl Liebknecht pflegen und in die Parlamente einfache revolutionäre Arbeiter schicken und nicht geschickte Advokaten, die nur dazu geschickt sind, die Sache der Bourgeoisie zu verfechten. Wir müssen eine Partei haben, die den Sowjets immer, jeden Augenblick, in allen schweren Lagen den richtigen revolutionären Weg zeigen kann.

Genossen, stellt Euch für eine Minute vor, dass wir während der Pariser Kommune im Jahre 1871 eine kommunistische Partei gehabt hätten. Es ist klar, warum wir sie nicht hatten: es fehlten dazu die notwendigen wichtigen Vorbedingungen. Wenn wir aber damals eine, wenn auch kleine, aber bestimmt kommunistische Partei gehabt hätten, so wäre vielleicht die französische Arbeiterklasse dennoch besiegt worden; aber es ist klar, dass eine grosse Anzahl von Fehlern, die unsere französischen Vorkämpfer begangen haben, nicht gemacht worden wären. Wir wollen den Heroismus der Pariser Kommune selbstverständlich nicht abschwächen, aber ihren Fehlern wollen wir vorbeugen.

Eine grosse Anzahl von Ländern befindet sich in einer Lage, in der von heute auf morgen ein Aufstand grossen Stils ausbrechen kann. Wenn wir nicht überall wenigstens eine kleine, aber bewusste kommunistische Partei haben, werden wir grosse unnütze Opfer erleiden. Wir müssen gut machen, was versäumt worden ist. In Ländern wie England und Amerika, in denen wir keine starke kommunistische Partei haben, in denen die Genossen sich gegen eine kommunistische Partei sträuben, wird man das mit der Zeit bitter bereuen. Wenn der Kampf begonnen hat, wird man an den Folgen sehen, wie leichtsinnig es war, dass man sich nicht rechtzeitig die Waffen geschmiedet hat, dass man das versäumt hat, womit man zur rechten Stunde der Arbeiterschaft den Weg zeigen soll.

Ich meine, Genossen, ich kann jetzt damit schliessen und zusammenfassend noch einmal sagen, dass wir, wenn wir die Erfahrungen der russischen Revolution ausnützen wollen, diese Hauptidee vor allen anderen annehmen müssen: Wir brauchen eine kommunistische Partei, und zwar eine zentralisierte, eine eisern disziplinierte Partei. Anders geht es nicht während des wütenden Bürgerkrieges, den wir durchleben. Es geht nicht anders, als eine eiserne Partei aus einem Guss zu haben. Ihr sollt von den russischen Arbeitern das annehmen, was wirklich Nachahmung verdient. Gewiss hat auch unsere Bewegung grosse Schwächen. Wir sind uns dessen bewusst und wollen durchaus nicht als Schulmeister auftreten. Aber das eine sage ich: dass wir während mehr als 20 Jahren diese Waffe Tag um Tag geschmiedet haben, die Partei, die bolschewistische Partei, die dann zur kommunistischen Partei geworden ist. Das ist ein gutes Beispiel. In den Gefängnissen, in Sibirien, in der Verbannung, in der Fremde – immer war der leitende Stern die Partei. Das Beste, was wir dem russischen Arbeiter eingeimpft haben, ist die Liebe zur Partei. Die Partei ist für den vorgeschrittenen russischen Arbeiter ein Heiligtum, das beste Wesen, teurer als das Leben, lieber als alles andere, das Höchste, der Leitstern. Und darin soll die Arbeiterklasse der ganzen Welt der russischen folgen. (Lauter, langanhaltender Beifall.)

Ramsay (Shop Stewards). Es tut mir leid, dass die Kommunistische Internationale trotz aller Berichte und Dokumente nicht genügend darüber unterrichtet zu sein scheint, was eigentlich die Shop-Steward-Bewegung vorstellt. Ich erinnere daran, in welcher Zersplitterung die Arbeiterorganisationen waren, als die Shop-Steward-Bewegung entstand, welche Mühe sich die Shop Stewards gaben, um eine kommunistische Bewegung auszulösen. Auch jetzt geben wir uns alle Mühe, um unser Bestes für das Wachstum der kommunistischen Bewegung zu tun. Unsere ganze Propaganda und unsere ganze Arbeit wird in diesem Sinne geführt, und wir fordern alle unsere Mitglieder und Organisationen, die der kommunistischen Richtung angehören, auf, in diesem Sinne zu wirken.

McLaine (B.S.P.). Ich schlage vor, dass man den Punkt 6 der Leitsätze noch abändert, dass man einen Schlusssatz anfügt, der gerade für die englischen Genossen von besonderem Interesse ist. Wir brauchen Richtlinien über einen Punkt, der gerade England besonders interessiert. In England existiert eine grosse Arbeiterpartei, die gar nicht kommunistisch ist und die verschiedene kommunistische Parteien umfasst – die Labour Party. Unter den verschiedenen Parteien Englands ist eine Diskussion darüber entstanden, ob die kommunistischen Parteien dieser Partei, die nicht sozialistisch und nicht kommunistisch ist und der sie angegliedert sind, angeschlossen bleiben sollen. Die B.S.P. hat die Frage im bejahenden Sinne beantwortet. Die Labour Party ist nicht sozialistisch, sie verfügt aber über einen grossen Apparat. Sie verfügt über die Presse, hat ihre Vertreter im Parlament und im Stadtrat, und es wäre Selbstmord, wenn man die Möglichkeit ausschlagen wollte, durch diesen grossen Apparat in der Gewerkschaftsbewegung und überall Propaganda zu machen. Die Gruppe, die ich vertrete, wünscht diesen Selbstmord nicht. Wir möchten hier eine entsprechende Weisung von der Kommunistischen Internationale bekommen. Ausserdem betone ich, dass die B.S.P. und andere Parteien in ihrer Stellung in der letzten Zeit umsomehr bekräftigt worden sind, als die Labour Party, die nicht sozialistisch und nicht revolutionär ist, doch allmählich immer mehr nach links rückt. Die Tatsache, dass unter dem Druck der Massen die rechtsstehenden Führer und die alten Organisationen allmählich verschwinden, ist ein Grund mehr, an diese Organisation angeschlossen zu bleiben. Bevor ich meine Rede schliesse, möchte ich den Antrag stellen, dass in den Ländern, in denen eine nichtkommunistische Arbeiterpartei der vorherrschende Faktor in der Arbeiterbewegung ist, die kommunistischen Gruppen ihr angeschlossen bleiben sollen, um in ihr für kommunistische Ideen Propaganda zu machen und die Arbeitermassen in kommunistische Bahnen zu leiten. Dies kann nur unter der Bedingung geschehen, dass die kommunistische Partei ihre Aktionsfreiheit wahrt und das Werk der Propaganda weiterführt. Dieser Antrag ist von den beiden Vertretern der B.S.P. unterschrieben. Zum Schluss knüpfe ich noch an die Ausführungen des Vorredners an. Ich bin erfreut, von dem Vertreter der Shop-Steward-Bewegung zu hören, dass sie entschlossen ist, der kommunistischen Partei Hilfe zu leisten. Bisher hat die Shop-Steward-Bewegung der kommunistischen Partei negativ und feindlich gegenübergestanden. Wenn jetzt offiziell erklärt wird, dass das nicht mehr der Fall sein wird und dass die Shop Stewards sich verpflichten, in Zukunft den Kommunisten zu helfen, so kann das die anderen kommunistischen Parteien, besonders die B.S.P., nur freuen.

Pestaña (Spanien). Die Gewerkschaftsbewegung als solche ist viel wichtiger, als man anzunehmen scheint, und zwar die beiden Gewerkschaftsbewegungen, sowohl die rechte, als auch die linke. Man muss sie nicht danach beurteilen, in welchem Grade sie sich vom Kommunismus entfernen. Russland ist dafür das beste Beispiel. Auf den Geist der Gewerkschaften kommt es an, der Geist soll ein revolutionärer sein. Man hat behauptet, dass einer der Gründe, warum die Arbeiter keine politischen Parteien haben wollen, auf den Einfluss der Bourgeoisie zurückzuführen sei. Es ist eine zu einfache Auslegung, zu glauben, dass man die revolutionären Strömungen, wie zum Beispiel die syndikalistische, ohne weiteres als reaktionär bezeichnen könne. Das ist ein Fehler. Es ist auch nicht richtig, dass die Führer der Gewerkschaften sagen, sie wollen sich der Politik enthalten. So steht es nicht, dass sie sich von jeder Arbeit fernhalten. Es gab Zeiten, in denen das Bürgertum in Spanien darauf hinwies, dass die Arbeiter sich mit Politik abgeben sollten, weil das den Interessen der Arbeiter entspricht. Es erschwert meine Lage, dass ich keine politische Partei vertrete, und darum kann meine Politik missdeutet werden. Ich habe nie gesagt, dass die Gewerkschaften Selbstzweck sind. Es kommt darauf an, von welchem Geist sie getragen sind. Ich bin nicht mit der Auffassung einverstanden, dass es ein Verdienst der kommunistischen Partei ist, dass sie eine Rote Armee, über die sie verfügt, zustande gebracht hat. Das ist nicht der Fall. Ich berufe mich auf die französische Revolution, die beweist, dass man immer eine Armee und eine politische Partei, die zur Macht verhilft, hatte. Die Hauptsache ist, dass die Gewerkschaften als solche revolutionär und kampffähig und solche Organisationen sind, die den Kampf und die Revolution beschleunigen.

Tanner (Shop Stewards). Genosse Sinowjew hat das Hauptgewicht seines Referats auf die Notwendigkeit einer kommunistischen Partei gelegt. Das erscheint mir verfehlt; ebenso, dass sich die Diktatur des Proletariats mit der Diktatur der kommunistischen Partei deckt. Was jetzt in Russland vorgegangen ist, kann nicht mustergültig für alle Länder sein. In England z. B. ist die Situation im allgemeinen ganz verschieden von der Lage, wie sie in Russland vor der Revolution gewesen ist. Die Shop Stewards verstehen unter der Diktatur des Proletariats etwas anderes, als was man in Russland darunter versteht. Sie verstehen darunter die Diktatur einer Minderheit, wie sie durch die Shop Stewards vertreten ist. Man mag im einzelnen dem nicht zustimmen, aber wir sind der Meinung, dass wir über eine grössere und breitere Schicht von klassenbewussten Proletariern verfügen, als dies in Deutschland der Fall ist. Vom Genossen McLaine ist uns vorgeworfen worden, dass wir apolitisch seien und dass wir uns jeder politischen Tätigkeit enthalten. Das entspricht nicht der Wahrheit. Wir sind antiparlamentarisch, doch das heisst noch nicht, dass wir apolitisch sind. Genosse McLaine hat sich gefreut, dass die Shop Stewards mit der B.S.P. arbeiten wollen. Er kann nicht behaupten, dass die B.S.P. die einzige revolutionäre Partei in England sei. Sehr viele von denen, die jetzt in der Shop-Steward-Bewegung und in anderen ökonomischen Bewegungen tätig sind, sind gegen die Bildung der Partei aufgetreten, weil sie glauben und sich überzeugt haben, dass es ein Zeitverlust ist, sich in einer politischen Partei zu betätigen. Sie sind nach wie vor für die Revolution. Jetzt trachtet die öffentliche Meinung danach, die Arbeiter von der direkten Aktion abzuhalten und das Parlament als ein Mittel zur Betätigung ihrer Klasseninteressen zu betrachten. Wir sind mit die ersten gewesen, die für die direkte Aktion eingetreten sind, und nicht nur für wirtschaftliche, sondern auch für politische Zwecke. Genosse Sinowjew hat gesagt, dass man sich nur durch eine politische Partei auf den verschiedenen Gebieten des sozialen und kulturellen Lebens betätigen könne. Man kann das auch auf andere Weise tun. Ein endgültiges Urteil über meine Stellung zur Revolution kann ich nur dann abgeben, wenn ich in England gewesen bin und die englischen und die westeuropäischen Verhältnisse mit den russischen noch einmal verglichen habe. Ich frage die Russen und die anderen Vertreter, ob sie nicht auch von den anderen etwas zu lernen haben, das heisst, dass man auch von den

Wirtschaftlichen Kämpfen und der revolutionären Bewegung der anderen Länder lernen und nicht nur sie lehren soll. Ich berufe mich auch darauf, dass gerade in der Frage der direkten Aktion die politischen Parteien sehr viel von anderen Organisationen gelernt haben. Noch unlängst sind politische Parteien gegen die direkte Aktion aufgetreten. Jedenfalls ist in der letzten Zeit ihre Stellung eine andere geworden. Zum Schluss will ich betonen, dass die II. Internationale zugrunde gegangen ist, weil sie charakterlos war und verschwommene Richtlinien gegeben hat. Ich fürchte, dass die Kommunistische Internationale in das entgegengesetzte Extrem verfällt und zu dogmatisch wird. Man sollte allen Organisationen Bewegungsfreiheit innerhalb ihres Landes lassen. Der Vorschlag, sich des Parlamentarismus als Kampfmittel zu bedienen, stösst bei vielen auf Bedenken. Die Kommunistische Internationale muss eine weite, breite Basis schaffen, auf der sich die einzelnen Parteien über die wichtigsten prinzipiellen Fragen verständigen können. Das übrige sollte man einer jeden Partei selbst überlassen.

Rákosi (Ungarn). Räteungarn fand in jeder Beziehung entwickeltere Verhältnisse vor als Sowjetrussland. Die ungarischen Arbeiter waren intelligenter, das Land besser zentralisiert, die Eisenbahnen mehr ausgebaut, die Wege in besserem Zustande, die Landwirtschaft auf höherer Stufe.

In jeder Beziehung standen wir den westlichen Ländern näher als Sowjetrussland. Unsere Erfahrungen bestätigen dennoch in jedem Punkte die Richtigkeit der russischen Auffassung über die kommunistische Partei. Solange unsere kommunistische Partei nach russischem Muster streng zentralistisch, streng diszipliniert war und ihre Mitglieder nur nach einer gewissen Prüfung aufgenommen und streng behandelt wurden, stellte die Partei wie die russische die Vorhut des Proletariats dar. Sobald die Partei sich mit den Sozialdemokraten vereinigte und dadurch die zurückgebliebenen Teile des Proletariats und einen grossen Teil des Kleinbürgertums, der in der Sozialdemokratischen Partei mit organisiert war, in sich aufnahm, verlor die Partei diese Bedeutung.

Ausserdem entstand bei der Errichtung der Diktatur ein ungeheures Bedürfnis nach klassenbewussten, selbständigen Arbeitern. Man war gezwungen, alle brauchbaren Kräfte der vereinigten Partei in den verschiedenen Sowjets anzustellen. Dadurch wurde die Partei ganz entkräftet. So waren wir gezwungen, auch in politischen Fragen, in denen wir an das ganze Proletariat zu appellieren hatten, uns an die Gewerkschaften zu wenden, die es fast ganz umfassen. Dadurch entstand eine Lage, wie sie ungefähr die IWW-Leute oder die Shop Stewards wünschen; die Gewerkschaft erfüllte auch die Aufgaben der Partei. Es stellte sich heraus, dass mit der Diktatur ein ungeheurer Funktionswechsel und eine Änderung der Aufgaben der Gewerkschaften entsteht. Die Gewerkschaften mussten eine ganze Reihe neuer Aufgaben erfüllen, wie die Neuorganisation der Produktion, die Herstellung der Arbeitsdisziplin usw.; sie waren durch die Aufnahme einer Flut von neuen Mitgliedern so in Anspruch genommen, dass sie selbst diese Aufgaben nicht in erforderlicher Weise erfüllen konnten.

Nach der Errichtung der Diktatur werden in jedem Lande unbedingt Schwierigkeiten und Erschütterungen erfolgen, teilweise deshalb, weil die Gewerkschaften nicht imstande sind, die ungeheure Menge von Fragen, die mit der ersten Stunde der Revolution unaufschiebbar an sie herantreten, rechtzeitig zu lösen, und dadurch eine gewisse Störung entsteht. Durch die Untauglichkeit der Partei waren wir in Ungarn gezwungen, ausser diesen Aufgaben noch politische, wie die Bildung der Roten Armee, Schulwesen, dann Lebensmittelverteilung und ähnliches den Gewerkschaften zu übergeben. Es stellte sich aber heraus, dass diese Fragen von ihnen nicht gelöst werden konnten. Sie hatten diese Aufgaben zwar übernommen, aber auf keinem Gebiet irgend eine befriedigende Lösung erzielt; nicht nur, weil sie meistens reaktionär waren – es gab einige Gewerkschaften, die schon vor der Diktatur revolutionär waren – sondern auch, weil sie nicht zur Lösung politischer Fragen geschaffen waren. Nach einigen Monaten waren wir vor die unbedingte Notwendigkeit gestellt, eine starke, neue kommunistische Partei zu gründen. Wir waren dadurch gezwungen, neben den schweren Aufgaben, die die Diktatur mit sich brachte, noch eine neue zu erfüllen, die in Russland schon vor der Diktatur gelöst wurde dadurch, dass eine kommunistische Partei vorhanden war.

Wir wurden in kurzer Zeit gezwungen, eine Partei auszubauen, die in jeder Beziehung dem russischen Muster folgen sollte. Der innere Zerfall und die militärischen Niederlagen haben diese Absicht vereitelt. Ich muss aber noch einmal wiederholen, dass die Erfahrungen der ungarischen Räterepublik in jeder Beziehung die russischen Erfahrungen bestätigt haben, und wo wir von ihnen abgewichen sind, haben wir Fehler begangen und mussten sie mit ungeheuren Opfern bezahlen. Nachher, als wir zur Reorganisation unserer Kräfte schritten, haben wir den grössten Mangel der ungarischen Räteherrschaft darin erblickt, dass wir während der Diktatur keine stärkere und besser disziplinierte Partei besassen. Wir sind nachher an die Organisation einer streng zentralisierten, mit eiserner Disziplin ausgestatteten Partei herangegangen. Ich bin überzeugt, dass die neue Partei in der neuen Rätediktatur in Ungarn die Richtlinien, die die Kommunistische Partei in Russland verfolgt, fortsetzen und die russischen Erfahrungen unterstützen und bekräftigen wird.

Wijnkoop (Holland). Man sagt mir, dass ich deutsch sprechen soll. Ich hätte lieber das, was ich zu sagen habe, englisch gesprochen, weil es sich auf das bezieht, was die englischen Genossen gesagt haben. Ich meine, es ist nicht weise, dass der Kongress dem Zusatzantrag des Genossen McLaine zustimmt. In den Leitsätzen des Genossen Sinowjew steht nichts von diesen Sachen, und ich möchte sagen, dass die englischen Genossen sehr erfreut sind, dass in den Leitsätzen nichts davon steht, weil sie dadurch ihre eigene Sache in ihrem eigenen Lande auskämpfen können. Jetzt kommt Genosse McLaine und sagt: Wir wollen von dem internationalen Kongress bestätigt haben, dass wir in die Labour Party hineingehen dürfen, und man weiss, dass die S.P. in der Labour Party bleiben will. Nun sage ich: das soll man hier nicht machen. Es ist sehr schwierig – das hat Genosse Lenin in seiner Broschüre »Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus« gesagt, eine Entscheidung zu treffen. Deshalb will ich es den englischen Genossen überlassen, ihre Entscheidung selbst zu treffen und das auch aus dem Grunde, weil man in England zu einer einigen kommunistischen Partei zu gelangen sucht. Die Genossen Ramsay und Tanner haben zu dieser Frage vortrefflich gesprochen, und sie wissen, dass die Frage der Labour Party der Einheit viele Schwierigkeiten bereiten kann.

Falls sich nun der internationale Kongress schon im voraus dafür ausspricht, dass die B.S.P. in der Labour Party bleiben kann, so bedeutet das entweder, dass die einige kommunistische Partei in England nicht zustande kommen oder dass sie zustande kommen wird ohne die B.S.P. Und beides wäre meines Erachtens nicht gut. Die kommunistische Partei wird in England zustande kommen müssen mit Hilfe der B.S.P., und man soll sich über die Bedingungen in England selbst verständigen. Falls wir einen solchen einschneidenden Antrag in dieser englischen Frage hier annehmen sollen, müssen Sie erst diese Sache hier besprechen, und es wird schwierig sein, hier die ganze Geschichte der besonderen Bedingungen der Labour Party aufzurollen. Nun noch eine Bemerkung über etwas anderes, und zwar über das, was Genosse Tanner hier gesagt hat. Meine Partei steht nicht auf dem Standpunkt des Genossen Tanner, aber doch will ich sagen, dass ich dem Genossen Tanner zugehört habe, weil ich in seinen Worten den Wunsch gespürt habe, in die Kommunistische Internationale hineinzukommen. Genosse Tanner hat davor gewarnt, nicht zu dogmatisch zu sein. Und da hat er ganz recht. Genosse Lenin hat in der Broschüre, die ich schon nannte, davor gewarnt, dass man nicht zu dogmatisch sein soll nach links. Er hat gesagt, der reine Dogmatismus sei in Wirklichkeit nur Phrase, und man solle Phrasen vermeiden. Wenn man keinen Dogmatismus nach rechts anerkennt, muss man dies auch nicht nach links tun. Gen. Tanner hat sehr richtig darauf aufmerksam gemacht, dass die Verhältnisse in anderen Ländern ganz anders sind als in Russland. Das wissen die russischen Genossen sehr gut. Man hat oft genug davon gesprochen, dass schliesslich die russische Revolution, wie schwer sie auch war, doch immer noch leichter war, als die Revolution in den anderen Ländern werden wird. Der Aufbau ist eine andere Sache als die Revolution. Man soll dem russischen Beispiel nicht doktrinär folgen, man soll von der russischen Revolution lernen, aber man kann nicht ohne weiteres die Verhältnisse von Westeuropa oder Amerika dem russischen Vorbild anpassen. Genosse Tanner hat gesagt, dass man nicht dogmatisch, sondern ein wenig biegsam und geschmeidig sein müsse. Nur so kommt man zu einer Internationale, die die wirklich revolutionären Gruppen zusammenbringt und zusammenbringen muss.

Levi. Wenn wir über das Wesen der Partei sprechen, so müssen wir ausgehen von dem Gegensatz zwischen Partei und Klasse, die sich verhalten wie das Subjekt zum Objekt oder wie der Kern zur Schale, die beide zusammen die Frucht bilden. Wenn wir dann fragen, worin die Partei sich von der Klasse unterscheidet, so können wir nur sagen, dass eines besonders die Partei als solche kennzeichnet, und das ist ihre Klarheit: der klare Kopf, das klare Ziel, das klare, scharf umrissene Wesen, das klare, scharf umrissene Programm. Wenn man diese einheitliche Auffassung des Sinnes und der Ziele der Partei im Auge hat, so stimme ich überein mit dem, was Genosse Sinowjew in seinen Leitsätzen ausgeführt hat: »Nur in dem Fall, wenn das Proletariat als Führer eine organisierte und erprobte Partei mit streng ausgeprägten Zielen und mit handgreiflich ausgearbeitetem Programm der nächsten Massnahmen sowohl auf dein Gebiet der inneren wie auch der auswärtigen Politik hat, wird die Eroberung der politischen Macht nicht als zufällige Episode erscheinen, sondern sie wird als Ausgangspunkt dienen zu einem dauernden kommunistischen Aufbau der Gesellschaft durch das Proletariat«.

Wie der Kern verdorrt ohne die Schale, so muss die Partei verdorren und zur Sekte werden, wenn sie verabsäumt, die Wege zu finden, durch die sie in das Leben der revolutionären Massen eindringt. Und ich glaube, so weit wir hier Kommunisten sind, sind wir uns darüber einig, dass eine Partei klar und entschieden sein muss. Darüber brauchen wir hier nicht zu diskutieren. Für uns ist die Hauptfrage, wie wir den Weg finden zur Masse, und ich bin der Meinung, dass alle Wege beschritten werden müssen, die zu den Massen führen.

Es sind die Gewerkschaften, die Räte, wo sich Räteorganisationen bilden, parlamentarische Kampfstätten, auch parteilose Organisationen, soweit wenigstens, als sie erwachsen aus dem Untergrund des sozialen Lebens, aus der sozialen und ökonomischen Schichtung der Gesellschaft. Dieser Einschränkung halber glaube ich, vom Referenten abweichen zu müssen, wenn er in den Leitsätzen unter Ziffer 6 ausführt: »Die Kommunisten unterstützen in jeder Weise die Bildung von weiten parteilosen Arbeiterorganisationen neben der kommunistischen Partei. Die Kommunisten halten für ihre wichtigste Aufgabe die systematische organisatorisch-erzieherische Arbeit innerhalb dieser weiten Arbeiterorganisationen. Aber um eben diese Arbeit erfolgreich zu gestalten, die Gegner des revolutionären Proletariats daran zu hindern, dass sie sich dieser weiten Arbeiterorganisationen bemächtigen, müssen die fortgeschrittenen kommunistischen Arbeiter stets ihre eigene, selbständige, geschlossene kommunistische Partei bilden.«

In dieser These ist nichts enthalten von jener Einschränkung, und mir scheint, es müsse so etwas gesagt werden, damit die Bildung von Arbeiterfraktionen und parteilosen Arbeiterorganisationen nicht zum reinen Sport werde und nicht neue Organisationsformen ausgeklügelt werden, die nicht einzig und allein erwachsen aus den wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten.

Wir müssen mit der Bildung neuer Organisationen in höchstem Grade vorsichtig sein und da, wo solche Organisationen bestehen, es vermeiden, sie willkürlich und unbedingt auszubreiten. Bei dem, was ich sage, denke ich zumal an Deutschland, wo die Gewerkschaften gewachsen sind auf fast 9 Millionen Mitglieder und wo es trotzdem Genossen gab, die im Drang nach neuartigen Organisationen so weit gingen, dass sie uns Kommunisten verleiten wollten, dieses grosse Feld, auf dem wir arbeiten können, zu verlassen.

Ich bin weiter der Meinung, dass man bei der Neubildung nicht nur von parteilosen, sondern auch von Parteiorganisationen höchst vorsichtig vorgehen muss. Aus unserer deutschen Geschichte, aus den Erfahrungen der deutschen Kommunisten, werden wir da manche Lehre ziehen müssen. Deswegen wird auch die Frage, die die englischen Genossen aufgeworfen haben, sehr wohl von diesem Kongress entschieden werden müssen.

Ich bin durchaus der Meinung – und wir vom Westeuropäischen Sekretariat standen in diesem Punkt im Gegensatz zum Amsterdamer Büro – dass die B.S.P. unbedingt in der Labour Party, durch die sie den Zusammenhang mit der Masse hat, zu verbleiben habe.

Man muss aber besonders vorsichtig sein bei der Schaffung neuer Gebilde, die sich »parteilos« nennen. Ich glaube, dass es auch auf diesem Kongress Delegierte gibt, die in der Frage, in wie weit es notwendig ist, parteilose Organisationen an Stelle von Parteiorganisationen, die politisch klare Ziele haben, zu bilden, von uns Kommunisten abweichen. Ich überlasse es berufeneren Genossen, dem spanischen etwa, diese Frage zu beantworten, aber ich muss sagen, dass ich über den Erfolg nicht optimistisch denke, und zwar aus einer gewissen Erfahrung heraus. Mir scheint, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Kommunismus auf der einen und den Ansichten des spanischen Genossen auf der andern Seite durchaus nicht in der Linie der Aufgaben dieses Kongresses liegt und nicht im Interesse dessen, was die Welt heute von der Kommunistischen Internationale verlangt: die einheitliche klare Linie. Diese wird nicht dadurch gestärkt, dass wir hier, anstatt eine einheitliche klare Linie zu zeigen, über Fragen disputieren, die der grösste Teil der westeuropäischen Arbeiterschaft schon vor Jahrzehnten überwunden hat.

Im Gegenteil, es ist die Aufgabe des Kongresses, den englischen Genossen zu sagen, dass man die parteilosen Organisationen nicht verachten, nicht aus der Labour Party austreten dürfe. Der Kongress muss ein für allemal eine einheitliche klare Linie für alle ähnlichen Fälle zeigen.

McLaine. Ich beantrage angesichts der späten Stunde (10 Uhr abend), die Fortsetzung der Debatten bis zur nächsten Sitzung zu vertagen.

Serrati. Ich beantrage im Namen des Büros, die Sitzung fortzusetzen und die Kommission aufzufordern, die Leitsätze des Genossen Sinowjew Punkt für Punkt zu erläutern.

(Der Antrag des Genossen Serrati wird zur Abstimmung gestellt und angenommen.)

Serrati. Die italienische Delegation nimmt alle Leitsätze des Genossen Sinowjew vollinhaltlich an, weil sie, indem sie eine Analyse des Korporativwesens, des Syndikalismus, des Industrialismus, des Anarchismus und des Relativismus geben und den kleinbürgerlichen Geist dieser Richtungen hervorheben, die Sache des Proletariats, die Zentralisierung und Disziplin im Namen der Aufrichtung der Diktatur des Proletariats durch die kommunistische Partei verfechten. Aber wir finden, dass die Formulierung einiger Leitsätze nicht völlig klar ist, z. B. in der Frage über die Mittelbauern. Der Inhalt dieser Ausdrücke muss genau festgestellt werden, sonst laufen wir Gefahr, in Possibilismus zu verfallen. Denn diejenigen, die man Mittelbauern nennt, bilden häufig das rückständigste Element.

Was den Punkt 6 betrifft, so sind wir mit der Ansicht des Genossen Levi einverstanden. Die Kommunisten müssen alle Energie aufwenden, um kommunistische, nicht aber neutrale Organisationen zu schaffen, obgleich sie verpflichtet sind, auch in den letzteren zu arbeiten. Genosse McLaine hat gebeten, dass man der B.S.P. gestatten möge, in der Labour Party zu verbleiben. Ich persönlich bin aber in diesem Falle mit den Vertretern der Shop-Stewards einverstanden, die die Labour Party als politische Partei betrachten. während des Krieges hatte sie eine rein politische Richtung, was durch die Tätigkeit Hendersons bewiesen wird. Und wenn wir zulassen, dass die Kommunisten in derartigen Organisationen verbleiben, so öffnen wir dem Possibilismus nochmals weit die Tür.

Ein anderer Punkt der Leitsätze besagt, dass die Kommunisten in neutrale oder sogar reaktionäre Vereinigungen eintreten können, z. B. in die christlichen Verbände. Aber ein christlicher Verband ist unter keinen Umständen neutral. In ihn eintreten bedeutet Christ sein. Dann muss der Kongress auch die Frage des Eintritts von Kommunisten in die Freimaurerverbände erörtern, die ein Muster von Organisationen sind, in denen der Geist des kleinbürgerlichen Radikalismus und des politischen Opportunismus herrscht. Wir bitten, dass der Kongress den Kommunisten den Eintritt in solche Organisationen verbieten möge.

Lenin. Genossen! Ich möchte einige Bemerkungen über die Reden der Genossen Tanner und McLaine machen. Genosse Tanner hat davon gesprochen, dass er und die anderen für die Diktatur des Proletariats wären, aber sie verstanden darunter etwas anderes als wir hier. Er hat gesagt: Wir verstehen unter Diktatur des Proletariats eigentlich die Diktatur der organisierten und klassenbewussten Minderheit.

Nun, das ist eben eins der Hauptmerkmale der politischen Arbeiterparteien, dass sie nur die Minderheit ihrer Klasse umfassen können unter den kapitalistischen Verhältnissen, in denen die Arbeitermassen, immer ausgebeutet, nicht imstande sind, ihre menschlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Eine politische Partei kann nur die Minderheit der Klasse umfassen, wie auch wirklich klassenbewusste Arbeiter in jeder kapitalistischen Gesellschaft nur die Minderheit aller Arbeiter bilden. Deshalb sind wir gezwungen, anzuerkennen, dass die grosse Arbeitermasse nur von der bewussten Minderheit geführt und geleitet werden kann. Wenn Genosse Tanner sagt, er sei gegen die Partei, aber dafür, dass eine revolutionäre Minderheit der meist entschlossenen und klassenbewussten Proletarier das ganze Proletariat leite, dann sage ich: wir unterscheiden uns in Wirklichkeit nicht in unseren Anschauungen. Was ist die organisierte Minderheit? Wenn diese Minderheit wirklich klassenbewusst ist und die Massen zu führen versteht und auf alle Fragen Antwort geben kann, die auf der Tagesordnung stehen, dann ist es eigentlich die Partei. Wenn die Genossen wie Genosse Tanner, die besonders für uns wichtig sind, weil sie eine Massenbewegung vertreten, was man schwerlich von der B.S.P. sagen kann, eine Minderheit wollen, die entschlossen für die Diktatur kämpft und die Arbeitermassen dazu erzieht, dann wollen sie eine Partei. Genosse Tanner hat davon gesprochen, dass diese Minderheit die ganze Arbeitermasse führen und organisieren soll. Wenn Genosse Tanner und die anderen Genossen aus der Shop-Steward-Bewegung und aus den IWW anerkennen – und wir sehen täglich aus jeder Aussprache mit ihnen, dass sie das wirklich anerkennen – dass die bewusste kommunistische Minderheit der Arbeiterklasse das Proletariat führen kann, so müssen sie zugeben, dass dies der Sinn aller unserer Resolutionen ist, und dann unterscheiden wir uns nur dadurch, dass sie das Wort »Partei« vermeiden, weil unter den englischen Genossen eine Art Vorurteil gegen die politische Partei lebt. Sie meinen wohl, eine politische Partei sei so etwas wie die Parteien von Gompers und Henderson, der Geschäftsparlamentarier, der Verräter der Arbeiterklasse. Wenn sie unter Parlamentarismus die heutige englische und amerikanische Art des Parlamentarismus meinen, so sind auch wir dagegen. Wir brauchen neue, wir brauchen andere Parteien. Wir brauchen Parteien, die wirklich ständige Verbindung mit den Massen haben, die es verstehen, die Massen zu führen.

Jetzt komme ich zu der dritten Frage, die ich hier berühren wollte. Genosse McLaine war dafür, dass die Kommunistische Partei Englands bei der Labour Party bleiben solle. Ich habe mich schon in meinen Leitsätzen über die Aufnahme in die Kommunistische Internationale darüber geäussert. Ich habe diese Frage unbeantwortet gelassen. Aber nachdem ich mit mehreren Genossen gesprochen habe, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das Verbleiben in der Labour Party die einzige richtige Taktik ist. Und da kommt Genosse Tanner und sagt: nur nicht zu dogmatisch. Dieser Ausdruck passt hier gar nicht. Genosse Ramsay sagt: lasst uns englischen Kommunisten selbst darüber entscheiden. Was wird das für eine Internationale sein, wenn ein kleiner Teil kommt und sagt: einige von uns sind dafür, einige von uns sind dagegen, lasst uns selbst entscheiden. Wozu brauchen wir dann eine Internationale und einen Kongress und eine Diskussion? Genosse McLaine sprach nur von der Rolle der politischen Partei. Aber das bezieht sich auch auf die Gewerkschaften und den Parlamentarismus. Es ist wahr, dass die grosse Masse der besten Revolutionäre gegen den Anschluss an die Labour Party ist, weil sie den Parlamentarismus auch als Methode des Kampfes nicht akzeptieren. Vielleicht wäre es deshalb am besten, diese Frage der Kommission zu übergeben. Sie soll sie besprechen, studieren, und sie soll unbedingt von dem jetzigen Kongress der Kommunistischen Internationale entschieden werden. Wir können nicht sagen: das betrifft nur die englischen Kommunisten. Unsere Meinung über die richtige Taktik muss allgemein ausgedrückt werden.

Jetzt gehe ich auf die Argumente des Genossen McLaine betreffend die englische Labour Party ein. Man muss offen sagen: Die kommunistische Partei kann an die Labour Party angeschlossen sein, wenn sie die Freiheit hat, zu kritisieren und ihre eigene Politik zu treiben. Das ist das wichtigste. Wenn Genosse Serrati von der Zusammenarbeit der Klassen spricht, so sage ich: das ist keine Zusammenarbeit der Klassen. Wenn die italienischen Genossen Opportunisten wie Turati und Konsorten, d. h. bürgerliche Elemente, in der Partei dulden, so ist dies wirklich Zusammenarbeit der Klassen. Im Fall der Labour Party handelt es sich um die Mitarbeit der vorgeschrittenen Minderheit mit der grossen Mehrheit der englischen Arbeiter. An der Labour Party nehmen alle Mitglieder der Trade-Unions teil. Sie ist ein Originalgebilde, wie wir es in keinem anderen Lande haben. Sie umfasst etwa 6–7 Millionen Arbeiter aus allen Gewerkschaften. Man fragt nicht nach ihrem politischen Bekenntnis. Beweisen Sie mir, Genosse Serrati, dass wir dort verhindert werden, unsere Kritik zu üben. Wenn Sie das beweisen, dann erst beweisen Sie, dass Genosse McLaine sich irrt. Die B.S.P. kann frei sagen, dass Henderson ein Verräter ist, und trotzdem in der Labour Party bleiben. Das ist Zusammenarbeit der Vorhut der Arbeiterklasse mit den zurückgebliebenen Arbeitern, der Nachhut. Das ist für die ganze Bewegung so wichtig, dass wir absolut darauf bestehen, dass die englischen Kommunisten ein Bindeglied bilden zwischen der Partei, d. h. der Minderheit der Arbeiterklasse, und der übrigen Masse der Arbeiter. Wenn die Minderheit nicht versteht, die Massen zu leiten, sich mit den Massen in Verbindung zu bringen, dann ist sie keine Partei, dann ist sie nichts wert, ob sie sich Partei nennt oder Nationalkomitee der Shop Stewards. So viel ich weiss, haben die Shop Stewards in England ein Nationalkomitee, haben eine Zentralleitung, das ist schon ein Schritt zur Partei. Wenn also nicht widerlegt wird, dass die englische Labour Party aus Proletariern besteht, so ist es Zusammenarbeit der Vorhut der Arbeiterklasse mit den zurückgebliebenen Arbeitern, und wenn diese Zusammenarbeit nicht systematisch entwickelt wird, dann ist die kommunistische Partei nichts wert, und dann kann von der Diktatur des Proletariats keine Rede sein. Falls unsere Genossen aus Italien kein überzeugenderes Argument bringen, dann müssen wir hier später die Frage endgültig entscheiden, und wir müssen auf Grund dessen, was wir wissen, zu dem Ergebnis kommen, dass der Anschluss die richtige Taktik ist.

Nun kommen Genosse Tanner und Genosse Ramsay und sagen: Die Mehrheit der englischen Kommunisten wird das nicht annehmen. Müssen wir denn mit der Mehrheit unbedingt einverstanden sein? Mitnichten. Vielleicht kann man, wenn sie die richtige Taktik noch nicht verstanden hat, abwarten. Selbst ein Bestehen von zwei Parteien wäre besser, als die Frage über die richtige Taktik unbeantwortet zu lassen. Natürlich werden sie keinen Anspruch darauf erheben, dass hier auf Grund der Erfahrung aller Mitglieder des Kongresses, auf Grund der vorgebrachten Argumente sofort eine einheitliche kommunistische Partei in allen Ländern gebildet werden kann. Das ist unmöglich. Aber offen unsere Meinung sagen, Richtlinien geben, das können wir. Wir müssen die Frage der englischen Vertretung in einer besonderen Kommission studieren und dann sagen: die richtige Taktik ist der Anschluss an die Labour Party. Wenn die Mehrheit dagegen ist, so sollen wir die Minderheit gesondert organisieren. Das soll erziehen. Wenn die grosse Masse der englischen Arbeiter noch an die alte Taktik glaubt, dann werden wir die Ergebnisse auf dem nächsten Kongress prüfen. Wir können nicht sagen – das ist die schlimmste Art der II. Internationale – dass das nur englische Fragen seien. Wir müssen unsere Meinung offen sagen. Wenn die Kommunisten in England nicht einverstanden sind und man noch keine Massenpartei schaffen kann, dann ist die Spaltung doch unvermeidlich.

Trotzki. Genossen! Es kann ja ziemlich merkwürdig erscheinen, dass Dreiviertel-Jahrhundert nach dem Erscheinen des »Kommunistischen Manifestes« auf einem internationalen kommunistischen Kongress die Frage aufgeworfen wird, ob Partei oder ob keine Partei. Genosse Levi hat gerade diese Seite der Debatten betont mit der Bemerkung, für die grosse Masse der westeuropäischen und amerikanischen Arbeiter sei diese Frage schon längst entschieden, und er glaubt, es diene nicht zur Klärung des Standpunkts der Kommunistischen Internationale, dass diese Frage überhaupt diskutiert wird. Nun glaube ich, dass der marxistische Grossmut, mit dem Genosse Levi sagt, die grosse Masse der Arbeiter wisse ganz gut, dass die Bildung einer politischen Partei notwendig sei, von den geschichtlichen Ereignissen ziemlich scharf widerlegt worden ist. Selbstverständlich, wenn wir hier den Herrn Scheidemann vor uns gehabt hätten oder Kautsky oder ihre englischen Gesinnungsgenossen, so brauchten wir diese Herren nicht darüber zu belehren, dass die Arbeiterklasse eine Partei haben muss. Sie haben für die Arbeiterklasse eine Partei gebildet, und diese Partei haben sie in die Dienste der bürgerlichen Klasse, der kapitalistischen Gesellschaft gestellt. Wenn wir aber an die proletarische Partei denken, so sehen wir, wie sie jetzt in verschiedenen Ländern in ihrer Entwicklung verschiedene Phasen durchmacht. In Deutschland, in diesem klassischen Lande der alten Sozialdemokratie sehen wir, wie die kolossale, auf hohem Kulturniveau stehende Arbeiterklasse ununterbrochen vorwärts dringt und dabei grosse Bruchstücke der alten Hülle mit sich schleppt. Wir sehen andererseits, dass gerade die Parteien, die im Namen der grossen Mehrheit der Arbeiterklasse gesprochen haben, die Parteien der II. Internationale, die die Stimmungen eines Teils der Arbeiterklasse ausgelöst haben, uns hier zwingen, die Frage aufzuwerfen, ob Partei oder keine Partei. Weil ich weiss, dass eine Partei notwendig ist, und weil ich den Wert der Partei ganz gut kenne, und weil ich einerseits Scheidemann und anderseits einen amerikanischen, einen spanischen, einen französischen Syndikalisten habe, der nicht nur das Bürgertum zu bekämpfen gewillt ist, wie es auch Scheidemann gewillt war, sondern auch wirklich ihm den Kopf abreissen will, so sage ich: Ich ziehe vor, mit diesem spanischen, amerikanischen, französischen Kameraden mich auseinanderzusetzen, um ihm für seine geschichtliche Mission – die Vernichtung des Bürgertums – die Notwendigkeit der Partei zu beweisen. Ich werde ihn kameradschaftlich belehren, mich dabei auf meine Erfahrung stützen, ihm aber nicht die grosse Erfahrung von Scheidemann gegenüberstellen und sagen: für die Mehrheit ist diese Frage schon gelöst. Genossen, in den alten Ländern des Parlamentarismus und der Demokratie sehen wir einen ziemlich grossen Einfluss der antiparlamentarischen Tendenzen, wie in Frankreich, England usw. In Frankreich habe ich bei Ausbruch des Krieges beobachtet, dass die erste tapfere Stimme gegen den Krieg – und zwar zur Zeit, da die Deutschen vor Paris standen – von einer kleinen Gruppe französischer Syndikalisten erhoben wurde, von meinen Freunden Monatte, Rosmer u. a. Zu jener Zeit haben wir die Frage der Bildung einer kommunistischen Partei nicht aufwerfen können. Die Elemente waren zu geringzählig. Aber ich fühlte mich mit den Genossen Monatte, Rosmer und den anderen, die eine anarchistische Vergangenheit hatten, als Kamerad unter Kameraden. Was hatte ich aber mit einem Renaudel zu tun, der die Notwendigkeit der Partei sehr gut begreift, oder mit Albert Thomas und den anderen Herren, deren Namen ich nicht nennen will, um nicht gegen die Regeln des guten Tones zu verstossen?

Genossen, die französischen Syndikalisten arbeiten revolutionär in den Syndikaten, und wenn ich jetzt z. B. mit dem Genossen Rosmer spreche, so finden wir gemeinsamen Boden. Die französischen Syndikalisten haben im Gegensatz zu den Traditionen der Demokratie, ihren Lügen und Illusionen, gesagt: Wir wollen keine Partei, wir wollen proletarische Syndikate und innerhalb derselben die revolutionäre Minderheit avec l’action directe, mit der Massenaktion. Was diese Minderheit für die französischen Syndikalisten bedeutet, darüber waren sie sich selbst nicht ganz klar. Es war die Vorahnung der weiteren Entwicklung, die trotz der Vorurteile und Illusionen dieselben Syndikalisten nicht hinderte, eine revolutionäre Rolle in Frankreich zu spielen, die jene kleine Minderheit herausgebildet hat, die zu uns auf den internationalen Kongress gekommen ist.

Was ist für unsere Freunde die Minderheit? Das ist der beste Teil der französischen Arbeiterklasse, die ein klares Programm und eine Organisation hat, in der sie diese Fragen diskutiert und nicht nur diskutiert, sondern zur Entscheidung bringt, eine Organisation, die eine gewisse Disziplin hat. Der französische Syndikalismus hat durch die Erfahrung des Zusammenstosses der Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie, durch die Erfahrung im eigenen wie in fremden Ländern dazu gedrängt, eine kommunistische Partei zu bilden. Genosse Pestaña sagt: Ich will diese Frage nicht berühren, ich bin Syndikalist, ich will von Politik nicht reden, ich will noch weniger von der Partei reden. Das ist höchst interessant. Er wollte nicht von der kommunistischen Partei sprechen, um nicht die Revolution zu verletzen, das heisst, dass die Kritik der kommunistischen Partei, ihre Notwendigkeit, ihm im Rahmen der russischen Revolution als eine Beleidigung der Revolution erscheint. Und dem ist auch so; denn die Partei hat sich hier im Lauf der Entwicklung mit der Revolution identifiziert. In Ungarn war dasselbe der Fall.

Genosse Pestaña, ein einflussreicher spanischer Syndikalist, ist zu uns gekommen, weil es hier Genossen gibt, die mehr oder weniger auf syndikalistischem Boden stehen. Es gibt hier Genossen, die sozusagen Parlamentarier sind, es gibt hier Genossen, die weder Parlamentarier noch Syndikalisten, aber für die Massenaktion sind usw. Also was bieten wir ihm? Wir bieten ihm die Internationale Kommunistische Partei, d. h. die Vereinigung der vorgeschrittensten Elemente der Arbeiterklasse, die ihre Erfahrung hierherbringen, sie miteinander austauschen, einander kritisieren, Entscheidungen treffen usw. Wenn Genosse Pestaña mit diesen Entscheidungen nach Spanien zurückkehrt, so werden seine Genossen ihn fragen: Was hast du von Moskau mitgebracht? Dann wird er ihnen die Leitsätze vorlegen und vorschlagen, entweder für oder gegen diese Resolution zu stimmen, und die spanischen Syndikalisten, die sich auf Grund dieser Leitsätze vereinigen werden, werden die Kommunistische Partei Spaniens sein.

Heute haben wir von der polnischen Regierung den Vorschlag bekommen, Frieden zu schliessen. Wer entscheidet diese Frage? Wir haben den Rat der Volkskommissare, aber es muss ja auch einer gewissen Kontrolle unterstehen. Wessen Kontrolle? Der Arbeiterklasse als einer formlosen chaotischen Masse? Nein. Da haben wir die Zentrale der Partei zusammenberufen, um den Vorschlag zu erörtern und zu entscheiden, ob man ihn beantworten soll. Und wenn wir Krieg führen, neue Divisionen zu bilden, die besten Elemente dafür suchen müssen, wohin wenden wir uns? An die Partei, an das Zentralkomitee, und das gibt Anweisung an jedes Lokalkomitee, Kommunisten an die Front zu senden. Dasselbe gilt auch für die Agrarfrage, die Ernährungsfrage und alle anderen Fragen. Wer wird in Spanien diese Fragen lösen? Das wird die Kommunistische Partei Spaniens tun, und ich bin sicher, dass Genosse Pestaña einer der Gründer dieser Partei sein wird.

Nun fragt uns Genosse Serrati, dem man natürlich die Notwendigkeit einer Partei nicht zu beweisen braucht – er ist ja selbst Führer einer grossen Partei – in ironischer Form, was wir eigentlich unter den mittleren Bauern, unter den Halbproletariern verstehen, und wenn wir ihnen Zugeständnisse machen, ob das nicht Opportunismus sei. Nun, Genossen, was heisst Opportunismus? Die Arbeiterklasse, vertreten und geführt von der kommunistischen Partei, ist bei uns an der Macht. Wir haben aber nicht nur die fortgeschrittene Arbeiterklasse, wir haben auch zurückgebliebene und parteilose Elemente, die einen Teil des Jahres im Dorfe arbeiten und einen Teil des Jahres in der Fabrik; es gibt Bauern verschiedenartiger Schichten. Das alles ist nicht von unserer Partei geschaffen, das haben wir ererbt von der feudalen und kapitalistischen Vergangenheit. Die Arbeiterklasse ist an der Macht und sagt: das kann ich nicht von heute auf morgen ändern. Hier muss ich an die Barbarei der Verhältnisse Zugeständnisse machen. Opportunismus heisst, wenn man die werktätige Klasse vertritt und an die herrschende Klasse Zugeständnisse macht. Kautsky wirft uns vor, unsere Partei mache die grössten Zugeständnisse an die Bauern. Die Arbeiterklasse muss, selbst am Ruder, die Entwicklung eines grossen Teils der Bauernschaft von der feudalen Denkweise zum Kommunismus beschleunigen und muss gewisse Zugeständnisse an die rückständigen Elemente machen. Auf diese Weise, glaube ich, dass die Frage, die Genosse Serrati als Frage für sich gestellt hat, nicht zu den Fragen gehört, die die Rolle der kommunistischen Partei in Russland beeinträchtigen kann. Aber wenn das auch so wäre, wenn wir hier einen oder zwei oder drei Fehler gemacht hätten, so bedeutete das nur, dass wir in einem sehr komplizierten Milieu manövrieren müssen. Wir hatten die Macht in der Hand; da traten wir vor dem deutschen Imperialismus in Brest-Litowsk, dann vor dem englischen Imperialismus zurück. Hier manövrieren wir zwischen den verschiedenen Schichten der Bauernschaft; die einen ziehen wir an uns, die anderen stossen wir ab, die dritten unterdrücken wir mit gepanzerter Faust. Das ist das Manövrieren einer revolutionären Klasse, die an der Macht ist, die Fehler machen kann; aber diese Fehler gehören zum Inventar einer Partei, welche die akkumulierte Erfahrung der Arbeiterklasse darstellt. So fassen wir unsere Partei, unsere Internationale auf.

Souchy (Freie Arbeiterunion). Wir dürfen bei der Aufstellung von Leitsätzen für die internationale Arbeiterbewegung nicht von theoretischen, vorgefassten Voraussetzungen ausgehen, sondern müssen in den verschiedenen Ländern die Tendenzen, die in der Arbeiterbewegung zutage treten, erkennen und sie weiter und revolutionärer zu entwickeln versuchen. Unsere Theorien sollen nichts anderes sein, als die bewusste Weiterführung der in dem Kampfe der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie entstehenden Tendenzen und Kampfformen. Das ist in England die Shop-Steward-Bewegung, in Amerika die IWW, die Betriebsräte in Norwegen. All dies sind Tendenzen, die aus den Bedingungen des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit geboren wurden.

Man darf nicht versuchen, diese Bewegungen von einem theoretischen Standpunkt aus in andere Wege zu leiten, indem man sagt, diese Bewegungen seien nicht kommunistisch. Wenn wir den empirischen Weg verlassen und einen doktrinären betreten, können wir keine Internationale des Kampfes schaffen. Ich möchte aus diesem Grunde nicht so viel theoretisieren, sondern eben nur die Tendenzen, die während der Revolution zutage getreten sind, besprechen. Diese Tendenzen müssen wir beachten und zu entwickeln versuchen. Wir müssen die Seele der lebendigen Arbeiterbewegung zu erfassen suchen, die nicht in dem Kopfe einzelner Theoretiker entstanden, sondern aus dem Herzen der Arbeiterklasse selbst entsprungen ist. Wenn ich hier als Vertreter der Syndikalisten auftrete und nicht theoretisch auf die Argumente der russischen Genossen eingehen will, so muss ich, da man hier den Syndikalismus als eine halbbürgerliche Bewegung hingestellt hat, zu beweisen versuchen, dass dies nicht der Fall ist. Immerhin werde ich mich auch auf das Gebiet der Theorie begeben müssen, um die hier dargelegten Theorien zu behandeln.

So behauptete Genosse Sinowjew, die Bourgeoisie sage der Arbeiterklasse, dass sie sich politisch nicht organisieren solle, und dass, wenn im Syndikalismus die Tendenz vorhanden ist, die Arbeiter nicht in einer politischen Partei zu organisieren, so sei dies darauf zurückzuführen, dass diese Vorurteile, die von der Bourgeoisie herstammen, diese Tendenz des Syndikalismus bestimmen. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Was sagt die Bourgeoisie z. B. über die syndikalistische Bewegung, über die IWW und andere ähnliche Bewegungen? Genosse Sinowjew, glauben Sie, dass die Bourgeoisie die industrielle Bewegung gutheissen und nicht ebenso versuchen würde, gegen sie vorzugehen wie gegen die politischen Parteien? Die Bourgeoisie möchte nicht, dass das Proletariat politische Parteien gründet. Möchte die Bourgeoisie, dass das Proletariat industrielle Bewegungen gründet? Keineswegs.

Wir sehen aus den Verfolgungen der Syndikalisten in allen Ländern, dass diese Bewegung von der Bourgeoisie genau so gefürchtet wird wie jede politische Bewegung. Aus diesem Grunde können wir den Standpunkt nicht anerkennen, dass die industrielle Bewegung für die Bourgeoisie nicht so gefährlich ist. Im Gegenteil, wie an Beispielen konstatiert werden kann, ist die syndikalistische Bewegung für die Bourgeoisie genau so schädlich wie die politische revolutionäre Bewegung, wenn auch die politischen Parteien als solche von der Bourgeoisie nicht gefürchtet werden. Im Gegenteil, die politischen Parteien fussen in der Bourgeoisie. Wenn wir die französische Revolution betrachten, so sehen wir, dass die Jakobiner, in deren Fussstapfen die Bourgeoisie trat, die Idee förderten, politische Parteien zu gründen. Nicht die Idee, industrielle, sondern politische Parteien zu gründen, ist eine Erbschaft der Bourgeoisie. Wenn wir theoretisch jonglieren wollen, so ist es mir sehr leicht, Ihnen dieses zu beweisen.

Weiter sagte Genosse Sinowjew, man wünscht nicht nur den alten Parlamentarismus, sondern neue Formen desselben zu adoptieren. Auch hier möchte ich nicht vom theoretischen Standpunkt die Frage beleuchten, sondern auf die Tendenzen zurückgehen, die in der modernen Arbeiterbewegung vorhanden sind. Man muss zugeben, dass die Tendenz des Parlamentarismus in der revolutionären Arbeiterschaft mehr und mehr verschwindet. Im Gegenteil, eine starke antiparlamentarische Tendenz macht sich in den Reihen des fortgeschrittensten Teiles des Proletariats bemerkbar. Sehen wir uns die Shop-Steward-Bewegung an, den spanischen Syndikalismus – sie sind antiparlamentarisch. Die IWW sind absolut antiparlamentarisch. Und nicht nur das. Sie werden sagen: Die Syndikalisten in Deutschland haben keine Bedeutung. Wir sind aber über 200 000. Ich will darauf hinweisen, dass in Deutschland nicht nur durch den Einfluss von syndikalistischen Theorien, sondern durch die Revolution selbst die Idee des Antiparlamentarismus immer mehr durchdringt. Dies müssen wir beachten. In Deutschland sind die meisten Kommunisten heute antiparlamentarisch. Unter dieser Beleuchtung müssen wir die Frage betrachten und dürfen nicht von einem theoretisch doktrinären Standpunkt versuchen, den Parlamentarismus, den man mit Pauken und Trompeten zur Vordertür hinausgeblasen hatte, wieder zur Hintertür hineinzuschmuggeln, indem man meint, er sei für Agitationszwecke gut.

Die wichtigsten Punkte hat Genosse Trotzki in seinem Referat behandelt. Genosse Sinowjew sagt, dass die Gewerkschaften kein Programm haben für den Tag nach dem Ausbruch der Revolution. Er hat darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaften nicht in der Lage wären, die ökonomischen und sozialen Aufgaben zu lösen. Nun möchte ich fragen, welche Organisationen berufen sind, das ökonomische Leben in einer Gesellschaft zu organisieren; irgend welche bürgerlichen Elemente, die sich zu einer Partei zusammenschliessen, die nicht mit dem ökonomischen Leben in Berührung sind, oder die Elemente, die an der Wurzel der Produktion und der Konsumtion stehen. Jeder muss zugeben, dass nur diese Organisationen, die in intimster Berührung mit der Produktion stehen, berufen sind, das wirtschaftliche Leben zu organisieren und in die Hand zu nehmen. Darüber kann kein Zweifel sein – wir sehen es auch in Russland – dass den Gewerkschaften eine ungeheure Rolle im ökonomischen Leben zufällt.

Ramsay. Ich will mich so kurz wie möglich fassen. Ich spreche hier als Kommunist, der den Standpunkt der B.S.P. ablehnt, der die Zugehörigkeit zur Labour Party nicht anerkennt. Ich stelle fest, dass nur die B.S.P. diesen Standpunkt vertritt. Die verschiedenen anderen Gruppierungen sind alle gegen die Teilnahme an der Labour Party. Ich meine, es wäre ein taktischer Fehler, wenn man von hier aus in dieser Frage Richtlinien geben wollte, denn man müsste mit der ganzen Lage in England bekannt sein, um das von hier aus feststellen zu können und Richtlinien zu geben, und zwar der B.S.P., oder anderen Parteien das Recht gewähren zu können, sich der Labour Party anzuschliessen oder nicht. Das würde der englischen Partei grossen Schaden tun, denn die ganze englische Arbeiterschaft ist müde und angeekelt von der Taktik der Labour Party.

Serrati. Es wird Schluss der Debatten vorgeschlagen. Wer dafür ist, hebe die Hand. Wer dagegen ist, hebe die Hand. Der Vorschlag ist angenommen. Das Büro schlägt vor, heute abend eine Kommission zu ernennen, die diesen Punkt der Tagesordnung zu diktieren hat, und zwar die Genossen:

Fraina – Vereinigte Staaten von Amerika.
Ramsay und McLaine – England.
Meyer – Deutschland.
Graziadei – Italien.
Bucharin – Russland.
Kabaktschiew – Bulgarien.
Steinhardt – Österreich.
Wijnkoop – Holland.
Sinowjew – Exekutive der Komm. Internat.

Diese Genossen sollen sich morgen nachmittag versammeln, um die Einwände gegen die Leitsätze zu diskutieren und dann morgen um 8 Uhr abends in der Plenarsitzung Bericht erstatten.

(Anstelle des Genossen Meyer wird Genosse Levi vorgeschlagen.)

Wer für diese Kommission ist, wird gebeten, die Hand zu heben. (Es wird abgestimmt.) Wer ist dagegen? (Abstimmung.) Die Kommission ist gewählt. Die Genossen der Kommission sind gebeten, noch einige Minuten hier zu bleiben.

(Die Sitzung wird geschlossen.)



Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]

  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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