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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Elfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 3. August 1920. (Morgens)
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Fraina
Redebeitrag Tanner
Anmerkungen
Source


Elfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 3. August 1920. (Morgens)

Sinowjew (erklärt die Sitzung für eröffnet und verliest folgendes Begrüssungstelegramm der Arbeitsgemeinschaft der revolutionären Sozialdemokraten Österreichs:)

»An den Kongress der Kommunistischen Internationale. Die Arbeitsgemeinschaft der revolutionären Sozialdemokraten Österreichs, die Majorität des letzten Rätekongresses, kämpft als äusserste Linke in der Partei für die Rätediktatur und den Anschluss an die Kommunistische Internationale. Geistig eng mit Euch verbunden, hoffen wir auf dem nächsten Kongress vertreten zu sein. Begeistert grüssen wir das kämpfende Proletariat Sowjetrusslands und harren sehnsüchtig des Augenblicks, wo wir vereint den Endsieg der Weltrevolution erkämpfen werden. Eurer Tagung wünschen wir vollen Erfolg.
Revolutionäre Grüsse. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der revolutionären Sozialdemokraten Österreichs: Franz Rothe, Josef Benisch, Ernst Fabri

(Verliest das Antwortschreiben:)

»Werte Genossen! Der Kongress der Kommunistischen Internationale nimmt Eure Begrüssung mit Befriedigung zur Kenntnis. Die der Kommunistischen Internationale angeschlossenen Parteien aller Länder haben auf dieser Tagung beschlossen, durch unbedingte Disziplin und solidarische Tat die Idee der Sowjets in allen Ländern zu verwirklichen. In Deutsch-Österreich führt diesen Kampf die Kommunistische Partei. Ist es Euch tiefer Ernst mit Eurer Sehnsucht nach dem Endsieg der Weltrevolution, dann habt Ihr in Deutsch-Österreich die ernste und heiligste Pflicht zu erfüllen: Vernichtungskampf gegen den Teil der deutsch-österreichischen Sozialdemokratie, der vertreten ist durch die reformistischen und sozialverräterischen Führer Renner, Bauer, Fritz Adler, Hueber, Tomschik, Domes; um nur die bekanntesten zu nennen. Bedingungsloser Bruch mit der Sozialdemokratischen Partei Deutsch-Österreichs, Kampf im Arbeiterrate um die Durchsetzung der kommunistischen Forderungen. Nicht Lippenbekenntnisse, sondern rücksichtslose revolutionäre Tat wird den Sieg der Weltrevolution in kurzer Zeit herbeiführen.« (Über den vom Büro vorgeschlagenen Antworttext wird abgestimmt. Er wird angenommen.)

Sinowjew. Wir schreiten jetzt zur Tagesordnung und zwar zur Gewerkschaftsfrage. Der Referent, Genosse Radek, hat das Wort.

Radek. Genossen! Die Frage vom Verhältnis der Kommunistischen Internationale zu den Gewerkschaften ist die ernsteste, wichtigste Frage unserer Bewegung. Die Gewerkschaften sind die grössten Massenorganisationen des Proletariats; sie spielen die entscheidende Rolle in den ökonomischen Kämpfen, den hauptsächlichsten Zersetzungselementen des Kapitals, und nach dem Siege der Revolution werden die Gewerkschaften die Massenorganisationen sein, die in erster Linie dazu berufen sind, an dem wirtschaftlichen Aufbau des Sozialismus zu arbeiten. Schon die Bedeutung der Gewerkschaften in dem sich immer mehr und mehr verschärfenden ökonomischen Kampfe und beim Aufbau des Sozialismus erlaubt es nicht, an diese Frage anders heranzutreten als unter der genauesten Prüfung der Verhältnisse in ihnen, wenn wir es erreichen wollen, uns nicht von Wünschen leiten zu lassen, sondern von der sachlichen Beurteilung der Entwicklungsmöglichkeiten.

Am Anfang des Krieges hielten viele von uns die Gewerkschaftsbewegung für abgetan. Viele waren der Meinung, dass die Gewerkschaften, die früher in erster Linie durch ihre Kassen gegen das Kapital kämpften, bei Ausgang des Krieges angesichts der grossen Aufgaben, vor die sie gestellt sein würden, zusammenbrechen müssten, und keine geringere als Rosa Luxemburg war bei Ausbruch der deutschen Revolution der Meinung, dass die Gewerkschaften ausgespielt hätten. Es ist sehr charakteristisch, dass auf dem Gründungsparteitag der KPD diese Frage selbst in den Debatten keine Rolle gespielt hat.

Wenn wir die Entwicklung der Gewerkschaften für die Zeit vor dem Kriege, während des Krieges und während der Revolution in den wichtigsten Ländern an uns vorbeiziehen lassen, so bekommen wir ungefähr folgende Ziffern: in Deutschland waren die Gewerkschaften vor Ausbruch des Krieges 2 ¼ Millionen stark.

Während des Krieges fiel die Kurve beträchtlich, und die Zahl war niedriger. Seit Ausgang des Krieges, seit dem Dezember 1918, als die Gewerkschaften keine zwei Millionen zählten, sind sie bis zu acht Millionen gestiegen. In England sind sie von 4 ½ Millionen am Anfang des Krieges bis zu 6 ½ Millionen gewachsen. In Frankreich sind sie von 400 000 organisierten Arbeitern jetzt auf zwei Millionen angewachsen, in Italien von 450 000 auf zwei Millionen. Sogar in Amerika sind die Gewerkschaften von ca. zwei Millionen bei Ausbruch des Krieges auf vier Millionen angewachsen. Einer der Führer der KAPD, Schröder, äusserte in seiner Broschüre über die Betriebsräte über diese Ziffern, dass sie nicht einen gesunden Wachstumsprozess, sondern ein ungesundes Anschwellen ausdrücken. Wenn es sich darum handeln würde, den Erscheinungen der Geschichte, die uns nicht gefallen, ein schlechtes Attest auszustellen, dann könnte man sich damit begnügen, dass man die Gewerkschaften als eine Geschwulst an dem Kadaver des Kapitalismus betrachtet. Aber da es sich um etwas anderes handelt, so muss man folgende Tatsachen anerkennen:

Die Arbeitermasse sah im Krieg zwar den Verrat der Gewerkschaftsführer, und zum grossen Teil ist sie voll Erbitterung gegen die Gewerkschaftsbürokratie; aber gleichzeitig hat sie im Kriege gelernt, organisiert vorzugehen, als Bataillone, als Armeekorps. Wo sie jetzt den grössten wirtschaftlichen Kämpfen entgegengeht, wo sie das ungeheure Wachsen der Preise, alle Schwierigkeiten der Wohnungsfrage, das wirtschaftliche Chaos an sich heranstürmen lassen muss, sucht sie ihre Macht im Kampfe auszubauen und zu stärken. Sie hat dabei keinen anderen Weg, als in die Gewerkschaften zu gehen, sie zu einem grossen Massengebilde zu machen. Und diesen Weg geht die Masse. Es ist ein charakteristisches Anzeichen, dass in allen Ländern, wo wir kein. besonderes Wachstum der revolutionären Gewerkschaften sehen – z. B. die IWW in Amerika oder die Syndikalisten in Deutschland, die zwar in der Zahl gewachsen sind, aber nur in geringer Proportion –, die Masse direkt in die grossen Gewerkschaften geht. Natürlich ist damit die Frage nicht entschieden, was die Gewerkschaften und welches ihre Funktionen sind, und bei der Beurteilung unserer Haltung den Gewerkschaften gegenüber haben wir von der Analyse der Möglichkeiten und der Wege des kommunistischen Kampfes auszugehen. Wir haben die Frage zu beantworten: gibt es einen anderen Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse als den, den die Gewerkschaften durch die Steigerung ihrer bisherigen Kampfesmethoden gehen? Auf eine politische Formel zurückgeführt, könnte man die Frage so stellen: Worin können die Aufgaben der revolutionären Gewerkschaften bestehen?

Wir hören oft von der Gegenüberstellung der revolutionären Gewerkschaften und der Gewerkschaften überhaupt. Fragen wir uns: worin besteht der Zerfall des Kapitals, welches sind die Kampfmittel der Arbeiterklasse und was können die Gewerkschaften leisten, wenn sie diesen Kampf führen wollen. Vorerst: wir wissen, dass die Gewerkschaftsbürokratie als Ausweg aus der Situation gemäss ihrer gegenrevolutionären Auffassung die Abschaffung des Wirtschaftskampfes überhaupt betreibt. Die deutschen Gewerkschaften begannen seit dem Siege der Revolution die Arbeitsgemeinschaften auszubauen, d. h. die Organisationen des dauernden Ausgleichs mit den Kapitalisten, wobei natürlich die Arbeiterklasse der unterliegende Teil ist. In England wuchsen die Whitley-Committees sich zu den Joint Industrial Councils aus, die der Idee der Arbeitsgemeinschaft – dem Versuch, ein dauerndes Abkommen zwischen Arbeitern und Kapitalisten als Organisation zwecks Erledigung der Streitfragen zu schaffen – vollkommen entsprechen. Diese Taktik der Gewerkschaftsführer ist eine Taktik des Abbaus des Klassenkampfes, und ich brauche hier nicht weiter darüber zu sprechen, dass wir damit nichts gemein haben können, sondern im schärfsten Kampfe gegen diese Versuche stehen müssen. Dieser Kampf braucht aber nicht geführt zu werden unter der Losung einer neuen Gewerkschaftstaktik, denn das Neue liegt hier umgekehrt auf der Seite der Gewerkschaftsführer. Was eine neue Taktik der Gewerkschaften und die Möglichkeit des Vorhandenseins einer besonderen revolutionären gewerkschaftlichen Taktik betrifft, so haben wir folgendes zu sagen: Der Prozess des kapitalistischen Zerfalls besteht in der Desorganisation der Kontinuität des Wirtschaftsprozesses. Indem das angelsächsische Kapital die eine Hälfte des europäischen Kontinents, die gleichzeitig die grösste Masse der industriellen Rohprodukte auf die Weltmärkte wirft, aus dem Wirtschaftsprozess auszuschalten und diese Länder zu seinen Sklaven zu machen sucht, führt es zu einer Unterbrechung des Arbeitsteilungsprozesses der ganzen Weltwirtschaft. Es ist dies ein Versuch, der kein anderes Endergebnis haben kann als den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems auch in Amerika und England. Die Störung der Produktion, die grosse Arbeitslosigkeit lässt keinen Zweifel darüber, dass diese Länder sich in einer grossen wirtschaftlichen Krise befinden.

In der amerikanischen Literatur gibt es jetzt Untersuchungen, die – wie z. B. das Buch von Sparge – Russland als die »amerikanische Sache« hinstellen und zu beweisen suchen, dass Amerika vor einer Krise stehe. Diese Unterbrechung des Wirtschaftsprozesses im Weltmasstabe ist begleitet von einem geradezu wahnsinnigen Anwachsen der Preise. Wir haben das kolossale Wachstum aller Preise auf dem Weltmarkte erlebt, das verschärft wird durch die Valutaunterschiede zwischen den besiegten und »siegreichen« Ländern. Jetzt beginnen wir den Fall der Preise zu erleben, und während das Wachsen der Preise einerseits eine Art Schwindelkonjunktur, andererseits die vollkommene Auspressung der Zentralmächte herbeiführte, bedeutet jetzt das Fallen der Preise eine neue Produktionskrise.

Die allgemeine Lage der Arbeiterklasse ist eine solche, dass jeder Gedanke an eine reformistische Taktik, an die allmähliche Steigerung der realen Löhne der Arbeiterklasse, ihres Standard of Life, eine vollendete opportunistische Illusion ist. Die Möglichkeit der allmählichen Besserung der Lage der Arbeiterklasse ist eine reaktionäre Utopie. Wenn man die statistischen Daten von Kuczynski ansieht, wo er zum Resultat kommt, dass eine vierköpfige Familie zur Erreichung eines allernotwendigsten Lebensniveaus, niedriger als das vor dem Kriege, in Deutschland 16 000 Mark jährlich braucht, wobei er berechnet, dass nur ca. 10 Prozent der Bevölkerung einen solchen Lohn beziehen, wenn wir dann andererseits die Ziffern für Amerika nehmen, also auf der einen Seite das höchstentwickeltste besiegte kapitalistische Land, auf der anderen den Triumphator im Kriege, so wird diese Feststellung vollauf bestätigt. In einem Artikel »The high cost of Labour«, den die Washingtoner »Nation« (vom 19. Juni 1920) bringt, werden folgende Ziffern angeführt: Nach den statistischen Aufstellungen für das Jahr 1919 war für eine Familie von Mann, Frau und drei Kindern das Minimum des Lebensunterhalts 2500 Dollar jährlich, wobei gesagt wird, dass das nicht der amerikanische Standard of Life ist, sondern ein Niveau, »unter dem die Familie in die Gefahr der physischen und der moralischen Ausartung geraten würde«. Andere Statistiken, die im Artikel angeführt werden, kommen zu einer Ziffer von 2180 Dollar, und jetzt berechnet das Blatt die Löhne für 103 Berufe und kommt zu dem Ergebnis, dass ein Lohn von 6,50 bis 8,50 Dollar, der diesem Jahresbudget entsprechen würde, von nur 10 Prozent der Metallarbeiter bezogen wird, so dass jedenfalls nach der Berechnung der »Nation« 90 Prozent in einer Lage leben, die sie, nach der Meinung der amerikanischen Statistiker, in die Gefahr der physischen und moralischen Ausartung bringt. Das bürgerliche Blatt sagt weiter, dass ein Viertel der Arbeiterklasse bereits aktueller Unterernährung und dem Kleidungsmangel ausgesetzt ist. Das war die Lage in Amerika, bevor die Krise begann. In dieser Situation ist es klar, dass die Taktik der Gewerkschaften, die Aufgaben des kommunistischen Kampfes nicht in Reparaturen des kapitalistischen Gebäudes bestehen können, sondern in dem bewussten Hinarbeiten auf die Niederwerfung des Kapitals. Auf welchem Wege können wir diesen Kampf führen? Da trifft man in unserem »linken« Flügel häufig folgende Auffassung an: Da es unmöglich ist, die Lage der Arbeiterklasse durch Steigerung der Löhne zu verbessern, so ist es unnütz, darum zu kämpfen. Die ökonomischen Kämpfe sind nutzlos, man muss warten, bis sich der Groll so angehäuft hat, dass die Arbeiterklasse dann mit einem Schlage mit dem Kapitalismus fertig wird. Auf der anderen Seite finden wir die Propaganda der Sabotage (der Arbeit, der Industrie) als des Weges, der zu einem schnellen Zusammenbruch des Kapitals führen wird. Die eine Auffassung ist ebenso unrichtig wie die andere. Wenn die Arbeiterklasse auch nicht imstande ist, sich auf dem Wege der Erhöhung der Löhne zu retten, so darf sie doch aus stichhaltigen Gründen dem Lohnerhöhungskampf nicht gleichgültig gegenüberstehen. So unterliegt es keinem Zweifel, dass z. B. die Berliner Metallarbeiter, falls sie nicht imstande sind, ihre Löhne der Preissteigerung entsprechend zu erhöhen, im März schlechter stehen werden als im Januar. Wenn also die Erhöhung der Löhne auch kein Mittel ist, die Frage zu lösen, so ist sie doch ein Mittel, die Arbeiter zum Kampfe fähig zu erhalten. Ferner: Ein sofortiger Zusammenbruch des Kapitals ist ebenso wie der sofortige Einsturz eines Hauses, dem man die Pfeiler weggezogen hat, schon aus den Gründen der Mechanik undenkbar. Der Kapitalismus könnte auch bei der grössten Not der Welt noch jahrelang bestehen, wenn sein Zerfall nicht entgegengesetzte Kräfte auslöste. Die Arbeiterklasse kann sich von der Rettungslosigkeit der kapitalistischen Situation nur dann überzeugen, wenn sie, durch Not getrieben, in den Kampf tritt und sich in diesem Kampfe überzeugt, dass sie sich auf dem Boden des Kapitalismus nicht retten kann. Die Lohnkämpfe haben in ihrem momentanen Resultat die grosse Bedeutung dass sie die grossen Arbeitermassen zum revolutionären Kampfe mobilisieren.

Auf der anderen Seite ist die Losung der Sabotage, soweit es sich um die Sabotage der technischen Mittel handelt, eine direkt gegenrevolutionäre Losung. Wir werden so schon ein genügend kleines Erbe bekommen, da der Bürgerkrieg ohnehin eine Vernichtung der Produktionswerte und -mittel mit sich bringt. Daher ist es die Aufgabe der Arbeiterklasse, diese technischen Mittel nur angesichts der grössten Notwendigkeit zu vernichten. Die Sabotage ist keine Losung im Kampf. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass es nicht unsere Pflicht ist, dem Arbeiter zu sagen, dass er sich für die Kapitalisten besonders anstrengen soll, doch ist die passive Resistenz kein Mittel, das zu einem Zusammenbruch des Kapitals führen könnte. Die Mittel des Kampfes der Arbeiterklasse sind aktive Mittel: die Ausbreitung der Kampffront durch die Heranziehung von Millionen kämpfender Arbeiter, die Verschärfung, die Verlängerung des Kampfes und die Einigung der kämpfenden Massen.

Das Problem besteht darin, dass die resultatlosen Kämpfe schliesslich zu einem allgemeinen Angriff der Arbeitermassen auf den Kapitalismus führen werden. Es gibt kein neues Mittel in diesem Kampf. Wenn wir in den grossen Massengebilden, den Gewerkschaften, die gegenrevolutionären Tendenzen der Bürokratie ausrotten, wenn wir sie absetzen, so sind diese Massenorganisationen des Proletariats die Organe, die am meisten befähigt sind, den Kampf des Proletariats in breiter Front zu führen.

Jetzt kommen wir zur Frage der praktischen Möglichkeiten der Umwandlung der reaktionären Gewerkschaften in Institutionen der Revolution. In unseren Leitsätzen, die wir dem Kongress unterbreiten, geben wir als generelle Regel an die Kommunisten die Losung aus: Eintritt in die Gewerkschaften und Kampf in den grossen Gewerkschaften um ihre Eroberung. Aber wenn wir diese generelle Regel geben, so sollen wir nicht die Augen verschliessen vor den Schwierigkeiten, die uns besonders in den langen Beratungen unserer Kommission klar wurden. Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass wir bei der Aufstellung der Leitsätze vielleicht zu sehr die russischen und die deutschen Erfahrungen im Auge hatten. Die deutschen Gewerkschaften mit ihren acht Millionen organisierten Arbeitern umfassen die grosse Masse der deutschen Arbeiter, die gute Hälfte des deutschen Proletariats, und sie sind deshalb nicht mehr nur Organe der Arbeiteraristokratie. Wir haben in den Gewerkschaftsorganisationen über 600 000 landwirtschaftliche Arbeiter, und schon die Tatsache, dass die grossen Massen den Gewerkschaften angehören, eröffnet die besten Perspektiven.

Wenn wir jedoch in Betracht ziehen, dass wir in Amerika nur vier Millionen gewerkschaftlich organisierte Arbeiter haben, wenn wir in Betracht ziehen, dass sie in Fachverbände zersplittert sind, so stehen wir in Amerika der Tatsache gegenüber, dass vorderhand die organisierte Arbeiterschaft die Arbeiteraristokratie darstellt, dass sie sich zweitens hermetisch abschliesst von den grossen Massen der Arbeiter, dass drittens diese Arbeiteraristokratie verstreut ist in einer grossen Masse kleiner Organisationen alten Stils. Es gibt in Amerika und England Gewerkschaftsorganisationen, wo die Gewerkschaftsbürokratie auf Lebenszeit bestimmt wird. Daher müssen wir bei Aufrechterhaltung der allgemeinen Leitsätze die Kommunisten Amerikas und Englands dazu veranlassen, in allen grossen Organisationen in Amerika die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Bildung neuer Gewerkschaften in Erwägung zu ziehen. Wir haben hierzu ein gutes Feld vor uns, nämlich die Berufe, wo die Arbeiteraristokratie freiwillig auf die führende Rolle als Organisator verzichtet, also die vielen Berufe der unqualifizierten, unentwickelten Arbeiter. Wenn wir in unseren Leitsätzen nur den einen Fall der Unterdrückung der Organisationsmitglieder durch die Gewerkschaftsbürokratie angaben, so müssten wir für Amerika den Kommunisten ausdrücklich sagen: Ihr habt die Pflicht, die Gründung neuer Organisationen auf euch zu nehmen. Wir haben dort in den IWW eine Organisation, die an diese Aufgabe herangeht. Wohl ist sie die am meisten verfolgte Organisation, in deren Brust alle Speere des amerikanischen Kapitalismus stecken. Und so wollen wir uns denn nicht stossen an der revolutionären Romantik der IWW, sondern wir sagen unseren Genossen, sie sollen diese Organisationen mit voller Kraft unterstützen, um die Massen zu organisieren. Eine Möglichkeit für eine einheitliche Taktik ist nur darin gegeben, dass wir unsere Bemühungen um die Organisation der breiten unqualifizierten Arbeitermassen mit denen der IWW in Einklang bringen. Im Interesse der englisch-amerikanischen Arbeiterbewegung darf es nicht zur Isolation der revolutionären Gewerkschaften kommen. Wir müssen durch die neuen Organisationen nicht nur den Kapitalismus stürmen, sondern wir müssen auch in die Federation of Labour gehen. Die amerikanischen Genossen antworten uns darauf, dass sie während Jahrzehnten versucht haben, die F. of L. umzugestalten; aber dieses Argument ist kaum überzeugend. Insoweit es sich um die F. of L. handelt, gingen die Leute immer mit dem guten Willen in die Gewerkschaften, sofort die Waffen zu ergreifen; aber da handelte es sich nicht nur um die revolutionären Elemente, und man darf auch nicht vergessen, dass alle diese Bemühungen unternommen wurden in der Epoche der friedlichen Entwicklung, wo der Arbeiter in England und Amerika gar nicht an die Revolution denken konnte. Jetzt befindet sich die F. of L. selbst in einem Umwandlungsprozess. Ich habe dafür kompetente Zeugen, wie die Londoner »Times«, die in der Jubiläumsnummer vom vorigen Jahr folgendes schreibt: »während des Krieges und vermutlich als seine Folge wuchsen die Gewerkschaften gewaltig. Die Streiks wurden weit zahlreicher als in normalen Zeiten und die Unzufriedenheit mit Herrn Gompers wurde, wenn nicht formell und öffentlich, so doch wenigstens privatim laut kundgetan … Das Bestehen einer starken sozialistischen Gruppe in der Föderation hat sich schon während einer langen Periode gezeigt und fand seinen Ausdruck in wiederholten Anstrengungen, Gompers als Vorsitzenden abzusetzen. Ferner ist es die Meinung erfahrener Beobachter, dass diese Gruppe weit stärker ist, als es die Handlungen des Kongresses, seine Beschlüsse oder seine Wahlen des Vorsitzenden und der Exekutive zeigen würden. Weiter ereignete sich eine Reihe von Fällen, wo fähige und erfahrene Vorsitzende und Craft-Unions in Neuwahlen besiegt und ihre Plätze von Männern des extremen sozialistischen Typus ausgefüllt wurden …« Das wurde am 4. Juli v. J. geschrieben. Ich habe einen Bericht über den letzten Kongress der F. of L., der im Januar d. J. stattfand. In diesem Bericht, der im Organ von Sidney Webb, im »New Statesman«, erschien, wird darüber gesprochen, dass in dem Kongress jetzt mit 29 000 gegen 8000 Stimmen das Projekt nicht nur der Verstaatlichung der amerikanischen Eisenbahnen, sondern der Überweisung der Eisenbahnen unter die Leitung einer gemischten Kommission, ein Projekt von revolutionärer Bedeutung, angenommen wurde, ein Projekt, das, wenn auch an sich reformistisch, eine Bresche in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung darstellt. Der »New Statesman« schreibt über den Ausfall der Diskussion auf dem Kongress folgendes: »Herr Gompers wurde für eine weitere Zeit zum Vorsitzenden gewählt. Zum ersten Mal in seiner Karriere drückte er den Wunsch aus, das Zepter niederzulegen. Er fühlt, dass sein Thron wankt und dass seine Zeiten vorbei sind. Die Radikalen reisten voll Jubel ab. Sie hatten ihren ersten grossen entscheidenden Sieg in einer Konferenz der F. of L. errungen und, wie ein Delegierter sich ausdrückte, gezeigt, ›wie man einen Rammblock in die Maschine dreht‹.«

Ich will mich keinesfalls mit diesem optimistischen Urteil identifizieren. Es ist sehr gut möglich, dass die Entwicklung einen anderen Kurs nehmen wird, aber jedenfalls zeigen die Dinge, dass die F. of L. kein einheitlicher Block mehr ist. Es sind Risse in ihr, und es ist die Pflicht der amerikanischen Kommunisten, diese zu erweitern. Wenn mich die amerikanischen Kommunisten fragen, mit welchen Mitteln es möglich ist, die Bürokratie in der F. of L. umzugestalten oder sie unschädlich zu machen, so antworte ich: Wenn die Kommunisten von vorn herein in die F. of L. gehen mit der Losung, sie zu zerstören, so werden sie ihre eigene Arbeit zerstören; wenn es sich jedoch als Resultat ihres Kampfes ergibt, dass es notwendig ist, die F. of L. zu zerstören, so sollen sie es tun. Aber kein taktisches Interesse erfordert, dass wir uns darauf versteifen, nicht in die F. of L. zu gehen. Die Aufgabe ist, dort zu arbeiten und zu wirken als der Faktor der Einigung der Kräfte, die von aussen wirken, mit den Kräften der englischen und amerikanischen Arbeiter, die in der F. of L. organisiert sind und deren aristokratischer Hochmut gebrochen wird durch alle die Leiden, die der zusammenbrechende Kapitalismus auch in Amerika über sie bringen wird.

Als generelle Regel stellen wir also den Kampf um die Eroberung der Gewerkschaften auf. Die andere Frage, die an uns herantritt, ist die Frage über die spontanen Organisationen, die sich im Prozess des Kampfes während des Krieges und jetzt zu bilden beginnen und die verschiedenen Ursprungs sind, die aber als Neuerscheinungen die grösste Aufmerksamkeit unsererseits erfordern. Es sind Organisationen wie die Shop Stewards, die Factory Committees in England, die Betriebsräte in Deutschland, die in ihrem ersten Stadium, was ihre Zusammensetzung anbetrifft, ein Chaos darstellen, aber ein Chaos, aus dem ein neues Leben entsteht, und man muss der vernageltste deutsche Gewerkschaftler sein, um in dieser Bewegung nicht ein neues Leben zu sehen. – Wir sahen, wie die Shop Stewards entstanden, als die englische Gewerkschaftsbürokratie im Kriege auf die Streikwaffe verzichtete. Die Arbeiter bildeten selbst die Komitees, die den Streik leiteten. Wir sehen weiter, wie nach dem Kriege diese Shop Committees zum Mittelpunkt des aktivsten Teils der englischen Arbeiterklasse wurden, der abermals ohne Hilfe der Gewerkschaftsbürokratie an die Organisierung von Streiks heran geht, wie er sich jetzt die Aufgabe stellt, bewusst auf die Unschädlichmachung der Gewerkschaftsbürokratie hinzuarbeiten und sie zurückzudrängen, so dass die Shop Stewards auf diese Weise eine Organisation zur Erneuerung des englischen Gewerkschaftslebens sind. Je mehr sich der Kampf entwickelt und diese Bewegung eine bewusst revolutionäre wird, desto mehr sehen die Shop Stewards in sich auch die Leiter der politischen revolutionären Tätigkeit. Sie werden zum Mittelpunkt der direkten Aktion in England. Wenn wir nach Deutschland gehen, so sehen wir, dass die Entstehung der Betriebsräte zum grossen Teil der Enttäuschung über die Gewerkschaften zuzuschreiben ist. während neue unorganisierte Massen in die Gewerkschaften hineinströmen, sehen wir wie der Stamm der Arbeiter, der nachdenkt, fühlt, dass die Gewerkschaften nicht genügen, weil sie von einer gegenrevolutionären Bürokratie beherrscht werden, weil sie Fachorganisationen sind, weil sie die Massen zerschneiden, zersplittern. Vielfach führt diese Erkenntnis die Arbeiter dazu, sich von diesen Gewerkschaften völlig abzuwenden. Wir sehen, wie die Betriebsrätebewegung versucht, unter dem Joch des Kapitalismus, unter der Herrschaft Noskes die Grundlage der zukünftigen wirtschaftlichen sozialistischen Ordnung zu schaffen.

Jetzt stehen wir vor der prinzipiellen Frage der Beurteilung und der Bewertung der Möglichkeiten, die der Arbeit der Gewerkschaften in den kapitalistischen Ländern gegeben sind. Wir brauchen nicht besonders hervorzuheben, dass wir verpflichtet sind, jede aufkommende Fabrikorganisation des Proletariats, die den Zweck hat, die Allmacht der Gewerkschaftsbürokratie zu brechen, zu unterstützen, nicht nur in England, sondern auch in Deutschland und Frankreich und in allen anderen Ländern. Wenn wir in Deutschland die Frage des Verhältnisses der Betriebsräte zu den Gewerkschaften betrachten, und wenn wir sehen, dass nicht nur die Legien, sondern auch die rechten Unabhängigen, die Dissmann usw. diese Organisationen in den Gewerkschaftsapparat einzuschachteln suchen und das begründen mit der Ökonomie der Revolution – man müsse die Kämpfe einheitlicher leiten –, so kennen wir diese Pfiffikusse zu gut, um nicht ihre Absicht zu durchschauen. Würde die Sache so stehen, dass die Legien und die Dissmann die Leiter des revolutionären Kampfes des Proletariats werden, so würden wir den Betriebsräten sagen: Tretet ein in die Reihen! Aber so steht die Frage nicht. Die Legien sind die Leiter der deutschen Gegenrevolution, und wenn man sich die Praxis der rechten Unabhängigen betrachtet, wenn man die Politik Dissmanns im Metallarbeiterverband im Auge hat, so kann man nicht den geringsten Unterschied zwischen seiner Politik und der Politik der Legien gelten lassen. Unter diesen Umständen bedeutet das Bestreben, die Betriebsräte in den Gewerkschaftsapparat einzufügen, den Versuch der Zerstörung dieser revolutionären Organisationen, die im Moment des Kampfes als Organe der Revolution auftreten könnten. Was das Bestreben anbetrifft – es gehört einer Übergangsepoche an –, aus diesen Betriebsräten eine systematische Organisation zu bilden, die imstande wäre, den Übergang zum Sozialismus zu erleichtern, so war dies eine Illusion, und ich glaube, dass das auch die Genossen einsehen müssen, die in diesem Sinne gearbeitet haben. Es ist unmöglich, unter der Fuchtel des Kapitalismus und des Belagerungszustandes eine Organisation aufzubauen, die imstande wäre, den Apparat der zukünftigen sozialistischen Wirtschaftsordnung darzustellen. Worum es sich handelt, ist, dass die Bewegung wächst, und zwar aus verschiedenen Gründen. Sie umfasst die aktivsten Teile des Proletariats, sie kämpft gegen die Bleigewichte der Gewerkschaftsbürokratie, und sie wird, je weiter, desto mehr, die Organisationen des Kampfes und der Kontrolle der Produktion werden.

Wenn der Prozess des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaftsweise weiterschreitet, wird nicht nur der bewusste, sondern auch der letzte Arbeiter in der Fabrik vor die Frage gestellt werden: Woher bekommt man Kohlen, Rohstoffe usw. Aus all diesen Kombinationen entsteht ein Kampf, der in den Betrieb hineinwächst und dessen Träger die Masse wird. Die Gewerkschaften allein können nicht diese Träger sein, sie umfassen nicht die ganze Masse der Arbeiter des Betriebes, sie sind noch Fachorganisationen. Hier ist eine revolutionäre Organisation notwendig, die als revolutionäre Kraft auftritt, die es sich bei einer solchen Frage zur Hauptaufgabe macht, die Massen in Bewegung zu setzen, sie in den Kampf zu führen. Wenn wir sagten, es sei die Aufgabe der Kommunisten, in den Gewerkschaften an der Spitze zu marschieren, sich nicht zu begnügen mit der kommunistischen Propaganda, sondern zu versuchen, der leitende Teil der Bewegung zu sein, so ist es in der Frage der Betriebsräte, der Shop Stewards selbstverständlich, dass die Initiative den Kommunisten zufällt. Wenn die Frage gestellt wird: Sind neben den Gewerkschaften neue Organisationen zu schaffen? wie soll ihr gegenseitiges Verhältnis sein? so antworten wir: solange die Gewerkschaften durch die Bürokratie beherrscht werden, sind diese neuen Organisationen unsere Stützpunkte gegen die Gewerkschaftsbürokratie; wenn aber die Kommunisten die Leiter der Bewegung geworden sind, dann ist die Zeit gekommen, die beiden Ströme zusammenfliessen zu lassen und die Betriebsräte zu gewerkschaftlichen Organen zu machen.

Jeder Versuch jedoch, jetzt den Gewerkschaften die Räte auszuliefern, ist ein gegenrevolutionärer Versuch.

Es ist noch eine Frage, zu der wir Stellung nehmen müssen, und das ist die Frage des Industrialismus und der Industrieverbände. Wenn wir hören, wie die Frage des Industrialismus von verschiedenen Seiten propagiert wird, so glauben wir, es mit einem neuen Fetisch zu tun zu haben. Es wird behauptet, dass die Fachgewerkschaften nicht mehr der Revolution dienen können. Die Industrieverbände seien das Höchste und Vollkommenste. Das ist eine vollkommen metaphysische Stellungnahme. Es ist schon praktisch erwiesen, dass ein reaktionärer Industrialismus möglich ist. Wenn die Arbeiterschaft sich in Industrieverbänden organisiert, um mit den Kapitalisten ein Abkommen zu treffen, so liegt darin nichts Revolutionäres, während es andererseits möglich ist, dass gewerkschaftliche Organisationen, die noch zurückgebliebener sind als die Fachgewerkschaften, sich in revolutionärem Kampf vereinigen, wenn sie vom revolutionären Geist erfüllt sind. Die Ideologie dieser Industrieverbände lässt sich reell auf eine ganz einfache Tatsache zurückführen, nämlich, dass es besser ist, die Arbeiter nach Industrien zu organisieren und nicht nach Fächern. Unsere Stellung zu Industrieverbänden ist progressiv. Wir wollen sie unterstützen; aber wir dürfen uns daraus kein Schiboleth machen, denn sonst verhindern wir nicht die Zersplitterung, sondern wir schaffen neben 20 Fachgewerkschaften den 21. Industrieverband, der wieder einen hundertsten Teil der Masse einkapselt. Der Weg zu den Industrieverbänden soll durch unseren Kampf in den Gewerkschaften beschritten werden. Falls wir zur Spaltung der Gewerkschaften schreiten würden, um einen Verband zu gründen, so wäre das Resultat keineswegs das von uns gewünschte. Das sehen wir am Beispiel Amerikas, wo die Gewerkschaften, nachdem die Arbeiterindustrieverbände, die alle Arbeiter vereinigen sollten, entstanden waren, genau so zersplittert blieben wie sie waren. Die Frage des Industrialismus steht im Zusammenhang mit der Frage des Syndikalismus, und wenn manche unserer Genossen immerfort davon sprechen, so sehe ich darin die Tendenz, eine Anlehnung an eine syndikalistische Bewegung zu suchen, die gegen den proletarischen Staat, gegen die Diktatur des Proletariats ist. Der Kampf gegen diese Richtung ist in den angelsächsischen Ländern, wo die Arbeiter niemals weder eine wirklich revolutionäre Partei gehabt, noch einen revolutionären Kampf gesehen haben, sehr schwierig. Man soll ihn ihnen nicht schwerer machen, indem man die syndikalistische Ideologie annimmt.

Die Stellung der Kommunistischen Internationale zu den syndikalistischen Strömungen ist durch den Beschluss des Kongresses bewiesen, der syndikalistische Organisationen zur Kommunistischen Internationale zulässt. Dadurch hat die Kommunistische Internationale gezeigt, dass ihr der alte Geist der Sozialdemokratie vollkommen fremd ist. Weil wir im Syndikalismus eine Übergangskrankheit der revolutionären Arbeiterbewegung sehen, suchen wir an die Syndikalisten heranzutreten, uns mit ihnen zu blockieren und Schulter an Schulter mit ihnen zu kämpfen, wenn es möglich ist. Aber gleichzeitig müssen wir ihnen alle Unklarheiten des Weges, wie sie ihn sehen, zeigen und uns in der gewerkschaftlichen Bewegung daran erinnern, dass die grossen Massen der Arbeiter nicht im syndikalistischen Lager stehen. Damit müssen wir rechnen, und organisatorisch müssen unsere Bemühungen darauf gerichtet sein, an die Massen heranzukommen.

Wir kommen zum Ende. Die Aufgabe des Kommunismus den Gewerkschaften gegenüber ist gleichzeitig eine sehr schwierige und sehr undankbare. Hier in den Gewerkschaften sehen wir das Zusammenfliessen von Millionen von Arbeitern, die von der Geschichte dazu berufen sind, der Haupttrupp der sozialen Revolution zu werden. Sie kommen mit allen ihren Vorurteilen, mit all ihrer Schwerfälligkeit, mit all den wechselnden Stimmungen. Trotzdem werden diese Massen die entscheidenden Kämpfe führen, und aus diesem Grunde ist es die Aufgabe der Kommunisten, nicht nur die Legien an der Spitze zu sehen, ihre Aufgabe ist, die Massen selbst ins Auge zu fassen und so lange in den Gewerkschaften zu arbeiten, wie dies notwendig sein wird. Die Genossen sagen: Ja, hätten wir dazu Zeit, ein paar Jahre zu arbeiten, so würden wir die Organisationen erobern. – Niemand kann bestimmen, wie lange Zeit es in Anspruch nehmen wird, bis die soziale Revolution ihren siegreichen Fuss auf den Nacken des Kapitalismus setzt, und wenn es notwendig ist, die Massen für die Idee des Kommunismus zu erobern, so ist dazu nicht weniger Zeit notwendig, als zur Eroberung der Gewerkschaften. Es gibt nur eins: keine Schwierigkeiten zu scheuen, in die Organisationen zu gehen und den Kampf zu führen. Ich sage meinen deutschen Parteigenossen: Ihr habt bis heute nicht einmal ein gewerkschaftliches Wochenblatt gegründet, das systematisch den Kampf leiten könnte. Wo gibt es geschlossene Fraktionen der Kommunisten und der Unabhängigen in den Gewerkschaften? Wo ist der Versuch gemacht worden, die Organisationen der Gewerkschaftsbürokratie von unten her zu brechen? Wir stehen erst am Anfang unseres systematischen Kampfes, und wir haben kein Recht, über die geringen Resultate zu klagen. Soweit es sich um die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern handelt, müssen wir sagen: weniger Verzweiflung und mehr kommunistischer Optimismus werden euch ganz gewiss dienen.

Zum Schluss: Die U.S.P.-Presse vertrat gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie den Standpunkt, den wir jetzt einnehmen. Hier kommen wir zu der letzten Frage der gewerkschaftlichen Bewegung, die natürlich die Frage des Kommunismus ist. Zwischen uns und der Theorie und Praxis der U.S.P. in dieser Frage liegt nicht so sehr der Abgrund der Form, als der der Tat. Es handelt sich nicht allein darum, ob wir in die Gewerkschaften gehen oder nicht, sondern was wir in diesen Gewerkschaften tun werden. Der Eintritt der U.S.P. in die Gewerkschaften hat nur dazu geführt, dass anstelle Schlickes Dissmann gesetzt worden ist. Es handelt sich nicht darum, in die Gewerkschaften zu gehen, sondern auf die Gefahr der Spaltung hin, die wir nicht fürchten, wenn sie im Kampf erfolgt, den Kampf gegen die alte Gewerkschaftsbürokratie und ihren Geist aufzunehmen. Wenn die U.S.P.-Leute sich mit dem Siege auf dem Kongress der Metallarbeiter begnügen und sich sofort wieder das Bleigewicht der Proportion anhängen, indem sie die alte Bürokratie im Vorstand belassen, wenn sie als Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes praktisch an die Arbeitsgemeinschaft gebunden sind, wenn sie sich bei jedem Schritt immer wieder umschauen, so ist dies natürlich keine Eroberung der Gewerkschaften, sondern es bedeutet nichts anderes, als dass die Stelle der Legien die U.S.P. einnimmt und dass sie weiter eine Legiensche Politik treibt. Wir sind dafür, in die Parlamente zu gehen; auch die Unabhängigen sind dafür. Wir gehen jedoch in die Parlamente, um dort revolutionäre Agitation und Propaganda zu treiben, um Zusammenstösse herbeizuführen. Wenn es gilt, werden wir sogar in die Kommissionen gehen, da wir dort am besten Material sammeln können. Die Unabhängigen hingegen handeln anders. Ich kann ein Beispiel geben. während des Krieges war Genosse Haase in der Kommission für Auswärtiges; aber er hat sich gehütet, im Parlament die Geheimnisse dieser Kommission aufzudecken, selbst dann, wenn sie gegen das deutsche Volk gerichtet waren. Für ihn war das Behüten der Regierungsgeheimnisse sehr wichtig. Ich glaube, wenn unsere Genossen in die Kommissionen gehen werden, dann werden sie ihr Verhalten anders einrichten. Ebenso steht die Frage in den Gewerkschaften. Wir gehen in die Gewerkschaften, um dort die Bürokratie niederzuwerfen und, wenn nötig, die Gewerkschaften zu spalten. Wir gehen in die Gewerkschaften, um sie zu einem Kampfmittel zu machen. Das Resultat der Arbeit der U.S.P. während des ersten Jahres in den Gewerkschaften ist, dass sie die Betriebsräte, die revolutionären Organisationen des Proletariats, unter die Fuchtel der Gewerkschaftsbürokratie bringen wollen. Es handelt sich um den Unterschied des Geistes, um den Willen zur Tat und zum Kampfe, um den Willen, die Gewerkschaften zu einem Instrument der Revolution zu machen. Die kommunistische Partei baut ihre Politik auf den Elementen auf, die von der bürgerlichen Gesellschaft übrig geblieben sind. Wir werden versuchen, die Gewerkschaften in Kampforganisationen umzubauen. Sollten sich die Widerstände der Bürokratie stärker zeigen als wir annehmen, so werden wir nicht fürchten, sie zu zertrümmern, denn wir wissen, dass das Wichtigste nicht die Form ist, sondern die Organisationsfähigkeit der Arbeiter und ihr Wille zur Organisation des revolutionären Kampfes. Wir gehen in die Gewerkschaften und werden sie mit allen Kräften zu erobern suchen, ohne uns an sie zu binden. Wir werden uns nicht niederknüppeln lassen von der Gewerkschaftsbürokratie, und wo sie im Kampfe versuchen wird, die Möglichkeit unseres revolutionären Kampfes zu schmälern, werden wir an der Spitze der Massen sie aus diesen Gewerkschaften hinausjagen. Wir gehen in die Gewerkschaften, nicht um sie zu bewahren, sondern um den Zusammenhalt der Arbeiterschaft zu schaffen, auf dem erst die grossen Industrieverbände der sozialen Revolution gebildet werden können. Das Wichtigste ist, zwei Dinge zu vereinigen: mit den Massen zu sein und mit diesen Massen zu gehen, nicht aber hinter den Massen zurückzubleiben. Das ist die Linie der kommunistischen Politik in den Gewerkschaften. In den Räten sieht sie die spontane Organisation des Proletariats, und solange die Gewerkschaften versagen, solange die Gewerkschaftsbürokratie ein Wall gegen die Revolution ist, wollen wir die Selbständigkeit der Räte bewahren, ihnen helfen, um mit ihnen zusammen die Massen in den Kampf zu führen. Das ist es, was ich zu sagen hatte.

Jetzt noch ein paar formelle Dinge. Die Kommission, die von dem Kongress gewählt wurde, hatte grosse Schwierigkeiten zu überwinden. Sie lagen eben darin, dass die Resolutionen zu eng gefasst wurden. Unsere Leitsätze haben zu wenig die englisch- amerikanischen Verhältnisse berücksichtigt, und ich gebe zu, dass es mir lange Zeit schwierig war, herauszufinden, was die Genossen wollen. Wir sind dazu gekommen, einzusehen, dass zwischen unseren Standpunkten keine prinzipiellen Unterschiede vorliegen. Alle waren darüber einig, dass sie die Pflicht hätten, in den Gewerkschaften zu arbeiten. Ein einziger amerikanischer Genosse hatte in seinen Leitsätzen den Vorschlag gemacht, dass die Kommunisten ausserhalb der F. of L. bleiben sollten. Dann kam die Frage der Feststellung der Fälle, wo sie ausserhalb der Gewerkschaften arbeiten müssten. Ein Fall war in unseren Leitsätzen schon eingereiht: falls nämlich die revolutionäre Agitation von der Gewerkschaftsbürokratie unterdrückt wird. Den zweiten Fall haben wir festgestellt, als wir fanden, dass in Amerika 80 Prozent der Arbeiterschaft unorganisiert sind, und dass die F. of L. bewusst auf die Organisation grosser Massen verzichtet, indem sie sehr hohe Eintrittsbeiträge verlangt. Da ist es klar, dass die Kommunisten die Aufgabe haben, diese Massen zu organisieren. Die letzte Schwierigkeit, die wir in der Kommission nicht entscheiden konnten, besteht darin: die amerikanischen Genossen behaupten, dass eine ganze Reihe von Statuten der Gewerkschaften es ihnen unmöglich machte, in den Gewerkschaften zu arbeiten, dass dort die Bürokratie unabsetzbar ist, dass jahrelang keine Kongresse einberufen wurden usw. Wir nehmen theoretisch die Möglichkeit solcher Fälle an, aber ich habe den Genossen offen gesagt, dass ich bei ihnen eine Tendenz vermute, sich die Sache leicht zu machen und aus den Gewerkschaften zu flüchten. So übernehme ich denn keine Verantwortung für diesen Antrag. Die amerikanischen Genossen sollen diesen Fall hier spezifizieren. Liegen die Verhältnisse so, wie die Genossen berichten, dann können wir nicht abschlagen, dass sie in solchen Fällen Sondergewerkschaften bilden.

Die andere Frage betraf die Betriebsräte. Die Resolution zeigt die Betriebsräte in ihrer letzten Phase, wenn sie im Kampfe an die Aufgabe der Kontrolle der Produktion gehen. Dieser Passus macht den Eindruck einer Perspektive, die erst kommen wird. Daher sind wir übereingekommen, die vorhergehenden Phasen der Entwicklung der Betriebsräte ebenfalls in der Resolution zu berücksichtigen.

Der letzte Punkt bezieht sich auf die Frage der intemationalen Organisation der Gewerkschaften. Wir haben zwei Fassungen. Die russische Gewerkschaftskommission gab eine Fassung, in der sie zum Ausgangspunkt die Deklaration der Gewerkschaften von England, Italien, Russland, Bulgarien nimmt, die einen Kongress einberufen haben. Die russische Resolution weist darauf hin, dass die Gewerkschaften ein Teil der Kommunistischen Internationale werden müssen. Die amerikanischen Genossen wenden sich gegen den Aufruf der italienischen, russischen und englischen Gewerkschaften. Sie haben eine grosse Anzahl von Vorwürfen dagegen erhoben. Die Genossen werden diese Schwierigkeiten selbst hier vorbringen und wir überlassen es dem Kongress, darüber zu entscheiden. Ich werde nicht die einzelnen Anträge vorlesen, aus dem einfachen Grunde nicht, da sie ohnehin erst in der Kommission redigiert werden müssen. Ich wiederhole darum nur: sie umfassen die Fälle, in denen besondere Organisationen zu bilden sind, also Fälle, wo die revolutionäre Organisation der Gewerkschaften unterdrückt wird. Dann besagen sie die Notwendigkeit der Unterstützung der Shop Stewards und der Betriebsräte als Kampforganisationen des Proletariats. Sie besagen weiter, dass die Organisationen selbständig bleiben müssen, solange die gegenrevolutionäre Gewerkschaftsbürokratie die Gewerkschaften beherrscht, und befassen sich schliesslich mit der noch unentschiedenen Frage über die Gewerkschaftsinternationale.

Fraina. Nach unseren Diskussionen in der Gewerkschaftskommission hat es sich erwiesen, dass wir über Erwarten einig sind. Die Streitfragen, die noch vorhanden sind, beziehen sich auf die Wichtigkeit der einzelnen Punkte und die Ausübung, nicht aber auf die Prinzipien.

Diese Unterschiede traten zuerst in der Deklaration über die Einberufung einer Konferenz zur Organisierung von revolutionären Arbeiterverbänden zutage. Einige der wesentlichsten Bestimmungen dieser Deklaration waren für uns völlig unannehmbar, z. B. die Verurteilung von Revolutionären, die aus den Gewerkschaften austraten, war in eine solche Form gefasst, dass die Bildung einer neuen Arbeiterorganisation ausgeschlossen wäre, wodurch die amerikanische Bewegung lahmgelegt würde, denn in unserem Lande, wo 80 Prozent der Arbeiter nicht organisiert sind, und die Gewerkschaften von der Arbeiteraristokratie beherrscht werden, muss unbedingt eine neue revolutionäre Arbeiterorganisation geschaffen werden. Ferner wird die Beteiligung einzelner abgesonderter industrieller Verbände an der Konferenz von der Bestimmung der zentralen Arbeiterorganisation des Landes abhängig gemacht. Mehr noch, wir finden dort keine Bestimmung über die Zulassung von je einem Vertreter der Organisationskomitees der Arbeiterinternationale der IWW und der Shop Stewards, zweier Bewegungen, die für den revolutionären Massenkampf von ausserordentlicher Bedeutung sind.

Unsere Einwendungen gegen die Leitsätze des Genossen Radek, von denen einige durch die Annahme mehrerer unserer Zusatzanträge erledigt sind, betreffen vor allem seine Auffassung des Verbandswesens. Radek behandelt das Problem ausschliesslich von dem Standpunkt aus, dass die Massen in den Verbänden für den Kommunismus gewonnen werden müssen. Selbstverständlich muss dies die Hauptsache sein. Aber ebenso wichtig ist es, die Verbände als Organe für unsere Aufgabe des revolutionären Kampfes und als Faktoren des wirtschaftlichen Aufbaus der Gesellschaft nach der Eroberung der politischen Macht zu betrachten. Auch die Bedingungen, unter denen neue Arbeiterverbände gebildet werden können, sind von Radek allzu eng und künstlich aufgefasst worden. Endlich könnte man aus den Leitsätzen Radeks den Schluss ziehen, dass wir die Aufgabe haben, die Gewerkschaftsbürokratie zu verhaften. Wir finden dort keine Andeutungen und Verfügungen über die Bildung besonderer Organisationen (z. B. Berufskomitees, Shop Stewards usw.). als Mittel für den Kampf gegen die Bürokratie und zur Mobilisierung der Massen für die Aktion.

In den Vereinigten Staaten wurden die revolutionären Ideen durch die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung verbreitet. Diese Ideen waren: die Notwendigkeit der ausserparlamentarischen Aktion zwecks Eroberung der politischen Macht, die Notwendigkeit der Zerstörung der bürgerlichen Staatsmaschinerie und die Organisierung des proletarischen Staates nicht auf geographischer Grundlage, sondern auf der Grundlage der industriellen Betriebsorganisation. Diese Forderungen machten es uns leicht, die grundlegende Taktik der russischen Revolution zu verstehen. Zugleich waren wir aber genötigt, einen scharfen theoretischen Kampf gegen die Auffassung der IWW zuuuuuu führen, die der Meinung sind, dass die Bekämpfung des Kapitalismus nur durch die industriellen Verbände möglich ist ohne die Sowjets und die Diktatur des Proletariats. Die Kommunistische Partei Amerikas hat ein grosses Werk getan, indem sie die alten revolutionären Auffassungen des industriellen Unionismus mit den neuen Auffassungen des Bolschewismus in Einklang brachte. Es ist ein notwendiger Teil unserer Arbeit, die revolutionären Funktionen der Arbeiterverbände sicherzustellen.

Die IWW der Vereinigten Staaten sind eine wirklich revolutionäre Kraft gewesen, nicht darum, weil sie für die industriellen Verbände agitiert haben, auch nicht, weil sie versucht haben, die F. of L. zu boykottieren und zu zerstören – in beidem haben sie wenig Erfolg gehabt –, sondern die IWW sind eine ungeheure Kraft gewesen, weil in ihnen das Erwachen des Klassenbewusstseins und der Tatkraft der unorganisierten und ungelernten Arbeiter zum Ausdruck kam, die von der F. of L. ausgeschlossen waren. Alle Bewegungen zur Bekämpfung der F. of L. durch Austritt aus den alten Verbänden hatten keinen Erfolg. In der Kriegszeit, als die alten Verbände mit der Regierung Kompagniegeschäfte machten, waren die Mitglieder der IWW gezwungen, sich mit den alten Verbänden zu vereinen, und die Mitglieder der IWW entwickelten durch ihre Agitation innerhalb dieser Verbände gewaltige revolutionäre Bewegungen. Durch die Erfahrungen in Amerika wird also die Notwendigkeit der Arbeit (in revolutionärem Sinne) innerhalb der alten Verbände betont; aber diese Erfahrungen bestätigen auch die Notwendigkeit, neue Verbände zu bilden (in Übereinstimmung mit den objektiven Bedingungen), um die revolutionäre Arbeit in den alten Verbänden mit der Arbeit von aussen her zu vereinen.

Über die Notwendigkeit der Arbeit in den Verbänden gibt es bei uns keine geteilten Meinungen. Darin stimmen wir alle überein. Sollte die amerikanische kommunistische Bewegung die Arbeit in den alten Verbänden verwerfen und die Losung »Zerstörung der F. of L.« annehmen, so würde dadurch die kommunistische Bewegung und nicht die alten reaktionären Arbeiterverbände vernichtet.

Unsere Einwendungen beziehen sich auf die Arbeitsmethoden und Zwecke in den alten Verbänden. Wir sind der Meinung, dass nicht die Verhaftung der Bürokratie betont werden muss, sondern die Befreiung der Massen, unabhängig von der Bürokratie vorzugehen. In den alten Verbänden ist die Bürokratie praktisch unerschütterlich; sie stützt sich auf die Massen und ist ein Hindernis für alle Aktionen. In den Vereinigten Staaten benutzt die Gewerkschaftsbürokratie ausser konstitutionellen Mitteln, langfristigen Ämtern und parlamentarischen Tricks bewaffnete Soldaten, um den Widerstand in den Verbänden zu brechen. Ich führe das nicht als ein Argument gegen die Arbeit in den Verbänden an, sondern als ein Argument gegen den Gedanken, die Bürokratie zu verhaften. Wir müssen diese Bürokratie in den Verbänden bekämpfen; sie zu verhaften oder zu vernichten wird nur während der Revolution oder nach derselben möglich sein.

Die wirklich revolutionäre Tätigkeit in den Gewerkschaften verfolgt folgende wichtigen Zwecke:

1) Die Organisierung von kommunistischen Gruppen (die in jeder Arbeiterorganisation vorhanden sein müssen).

2) Die Bildung besonderer Verbandsorganisationen (Shop Stewards, Shop Committees etc.). Das sind nämlich die Arbeiterorganisationen innerhalb der Verbände, die die Forderungen des unmittelbaren wirtschaftlichen Kampfes der Arbeiter zum Ausdruck bringen und auch den Kampf gegen die Bürokratie und die Einschränkungen der Organisationsformen der Gewerkschaften aufnehmen. Wenn wir diese besonderen Verbandsorganisationen bilden, so soll das nicht heissen, dass die Arbeiter aus den alten Verbänden austreten sollen. Im Gegenteil: die Arbeiter verbleiben in den Verbänden, aber sie organisieren ihre Opposition auf eine andere Art. Diese besonderen Verbandsorganisationen wirken innerhalb und ausserhalb der Gewerkschaften, und wenn sie die Verbände in einer Krise nicht zur Aktion bewegen können, gehen diese besonderen Verbandsorganisationen unabhängig von diesen Verbänden und der Bürokratie vor. Sie sind die geeignetsten Organe zur Entfaltung einer revolutionären Tätigkeit und zur Mobilisierung der Massen zum Kampf gegen den Kapitalismus. In England und in den Vereinigten Staaten sind diese besonderen Verbandsorganisationen aus der Praxis selbst hervorgewachsen, aus der Erfahrung der Arbeiter im Kampfe. Durch die Schaffung dieser besonderen Verbandsorganisationen sind die Kommunisten die Führer in dem unmittelbaren wirtschaftlichen Kampfe der Arbeiterklasse geworden.

Wir fordern nicht den Austritt aus den alten Verbänden, sondern die Organisierung eines energischen entscheidenden Kampfes innerhalb der Verbände und gegen die Bürokratie.

Ebenso notwendig ist es, den Kampf ausserhalb der alten Verbände weiterzuführen. Das wird durch die Organisierung von neuen unabhängigen Verbänden ermöglicht. Es ist durchaus notwendig, dass sich die Organisation solcher Verbände und solcher, die die Arbeit in den alten Verbänden fortsetzen, auf sachliche Bedingungen gründet und den Massenkampf selbst ausdrücken muss. Es ist aber ebenso notwendig, diese neuen Organisationen nicht zu fürchten. Es ist genau so schädlich, sich im allgemeinen Spaltungen und neuen Verbänden zu widersetzen, als auf Spaltungen und neuen Verbänden als theoretischen Forderungen zu bestehen. Eine Spaltung ist immerhin eine entscheidende Angriffshandlung, die mehr revolutionäre Agitation bedeutet, als jahrelange friedliche Gewohnheit in den Verbänden. Wenn wir aber die unabhängigen industriellen Verbände vereinigen, werden wir eine Kraft gewinnen, die aussen und innen wirken wird und die, von den Kommunisten beeinflusst und beherrscht, einen mächtigen Faktor zur Mobilisierung der Massen für die Aktion bilden wird. Wir leben in einer Epoche der Revolution, und unsere Grundaufgabe besteht darin, die Massen zur Aktion freizumachen. Wir können nicht von dem friedlich verlängerten Prozess der Gefangennahme der Bürokratie abhängig sein.

Neben diesem Problem der besonderen Verbandsorganisationen steht das Problem der industriellen Verbände als Problem gegen die Zunftform der Gewerkschaftsvereinigungen. Dieses Problem hat eine dreifache Fassung:

1) Der industrielle Unionismus ist der Organisationsausdruck für die unorganisierten, unqualifizierten Arbeiter, die in den Vereinigten Staaten die Mehrheit des industriellen Proletariats bilden. Die Bildung neuer Verbände bedeutet gewöhnlich die Anpassung an den industriellen Unionismus. Der industrielle Unionismus ist die Grundlage für den revolutionären Unionismus.

2) Die Agitation für den industriellen Unionismus ist ein notwendiger Teil unserer Arbeit in den alten Verbänden. Diese Verbände, die sich meistenteils auf die alten Zünfte gründen, sind unter dem Druck der konzentrierten Industrie unfähig, die Arbeiter in den Verbänden wirklich zu vereinigen und den Angriffskampf fortzusetzen. Die Arbeiter in den alten Verbänden widersetzen sich den Einschränkungen der Zunftformen wie auch den Verfügungen der Gewerkschaften, und wir müssen sie veranlassen, die Organisationsform der industriellen Verbände – eine unausbleibliche Phase in unserem Kampfe für die Umbildung und Revolutionierung der alten Verbände anzunehmen.

3) Nach der Eroberung der politischen Macht werden die Verbände zu Organen der Verwaltung der Industrie des proletarischen Staates werden. Zunftverbände sind dazu nicht imstande, und zwar ihrer Organisationsform wegen. Industrielle Verbände sind notwendig, wie dies die russischen Erfahrungen beweisen. Je grösser die industriellen Verbände und das Verständnis für den industriellen Unionismus sind, umso leichter wird die Aufgabe des wirtschaftlichen Aufbaues nach der revolutionären Eroberung der Macht sein.

Das ist die von der amerikanischen Bewegung entwickelte und formulierte Auffassung des Unionismus, und wir sind überzeugt, dass dieser Unionismus eine unvermeidliche Phase der kommunistischen Taktik ist.

Tanner. Nach der Rede des Genossen Radek ist es ganz klar, dass es sich um keine prinzipiellen Unterschiede handeln kann. Ich möchte das noch einmal betonen. Die Hauptsache ist, die Beziehungen zwischen den Kommunisten und den Shop Stewards und den neuentstehenden revolutionären Organisationen festzustellen. Man hat erwähnt, dass zwischen den Kommunisten und allen revolutionären Organisationen Beziehungen bestehen müssen. während des Krieges, nachdem die Shop Stewards entstanden waren, haben manche behauptet, dass ihre Rolle mit dem Ende des Krieges ausgespielt sein werde. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Sie sind dazu berufen, auch jetzt eine revolutionäre Rolle zu spielen. Was das Ziel aller solcher Organisationen anbetrifft, so ist es eine ihrer schwersten Aufgaben, den schrecklichen Bürokratismus in den Gewerkschaften zu bekämpfen. Trotzdem dieses sehr schwer ist, muss man doch danach streben, in dieser Beziehung voranzukommen.

Wie stellen sich nun die Anhänger der Shop Stewards zu dieser hier aufgeworfenen Frage? Die Gewerkschaften sind nicht demokratisch aufgebaut, und doch sind wir weit davon entfernt, zu sagen, dass man ihnen unter keinen Umständen angehören darf. Genossen, Ihr seid für den Standpunkt, dass man sie verlassen muss. Aber Ihr versteht, dass diese Lage in jedem einzelnen Fall entschieden werden muss. Wir legen den Hauptwert auf den revolutionären Klassenkampf, der geführt werden muss auch gegen die Bürokratie der alten Gewerkschaften. Es ist davon gesprochen worden, dass wir unsere Stellung und Taktik der Sowjetbewegung gegenüber nochmals betonen möchten. Das Ziel unseres Kampfes ist, den Kapitalismus zu überwinden und das Lohnsystem auszurotten. In Anbetracht dessen, dass die Revolution nur von den Massenaktionen der Arbeiter verwirklicht werden kann, muss ich die Tatsache hervorheben, dass die Stellung der Shop Stewards zu den bereits vorhandenen Organisationen keine feindliche ist; man kann aber sagen, dass die Shop-Steward- und die Factory-Committee-Bewegung den Wunsch hat, die Gewerkschaften revolutionär umzugestalten und ihre Organisationsform zu verändern. Die Verwirklichung dieses revolutionären Zieles kann nur dann zustande kommen, wenn eine tüchtige Propaganda innerhalb der alten Gewerkschaften geführt wird, und durch eine viel regere Beteiligung an der inneren Arbeit dieser Organisationen. Damit will ich sagen, dass die Shop Stewards keineswegs auf dem Standpunkt stehen, dass man absolut nicht in den Gewerkschaften arbeiten könne. Sie sträuben sich aber dagegen, sich an der roten Internationale der Gewerkschaft zu beteiligen. Die Stellungnahme, die in dem entsprechenden Aufruf zum Ausdruck kommt, ist für die Shop Stewards unannehmbar, da dort festgestellt wird, dass man die alten Gewerkschaften nicht verlassen dürfe. Unter dieser Bedingung können die Shop Stewards den Vorschlag nicht annehmen. Die Tatsache, dass man einen solchen Passus aufgenommen hat, beweist, dass man die Verhältnisse in den einzelnen Ländern nicht in Betracht gezogen hat. Ich bin der Ansicht, dass dieser Aufruf einer Kritik des Kongresses unterzogen und der Kommission übergeben werden soll. Die Genossen, die in der Kommission gearbeitet haben, haben bewiesen, dass sie den Standpunkt dieses Aufrufs nicht teilen.

(Schluss der Sitzung.)



Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]

  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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