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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Zwölfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 3. August 1920. (Abends)
Redebeitrag Salimow
Redebeitrag Walcher
Redebeitrag Bombacci
Redebeitrag Losowski
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Reed
Redebeitrag Radek
Redebeitrag MacAlpine
Redebeitrag Gallacher
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Tanner
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Reed
Redebeitrag Tanner
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Maring
Redebeitrag Sinowjew
Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und die Kommunistische Internationale.
Anmerkungen
Source


Zwölfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 3. August 1920. (Abends)

Baba Achunde Salimow. Werte Genossen. Wir bevollmächtigten Vertreter von Chiwa [Choresmien] begrüssen Euch im Namen der werktätigen armen Bevölkerung von Chiwa. Der gegenwärtige II. Kongress der Kommunistischen Internationale ist das Symbol der Einigung der Werktätigen der ganzen Welt. Daher gratulieren wir Euch dazu, dass Ihr die Möglichkeit habt, Euch auf dieser grossen Versammlung zu vereinigen, und wir rechnen es uns als besonderes Glück an, dass wir in dieser frohen Stunde hier anwesend sein können.

Genossen! Wir Werktätigen von Chiwa waren zur Zeit der Herrschaft der europäischen Kapitalisten durch das politische und wirtschaftliche Joch ihrer Zaren und Parlamente erdrückt, da sie kleine Völker wie das unsere in Ketten schmachten liessen und die Freiheit nur den Reichen gewährten.

Gegenwärtig haben wir Unterdrückten uns mit Hilfe der russischen Sowjetmacht aufgerichtet, uns von der schweren Hand der Bedrücker befreit und unser Land für eine unabhängige Sowjetrepublik erklärt.

Wir glauben aufrichtig, dass sich die Werktätigen der ganzen Welt mit Hilfe des Ostens, der dank der russischen Sowjetmacht vor kurzem erwacht ist, in nächster Zukunft von den Vergewaltigern und Kapitalisten befreien werden, und dass die Völker des Ostens die Waffe nicht aus den Händen lassen werden, bevor nicht die Werktätigen der ganzen Welt sich zu einer einzigen Familie vereinigt haben.

Es lebe die Einigkeit der Werktätigen der ganzen Welt!

Es lebe das europäische Proletariat und die Vorhut der Weltrevolution, die Kommunistische Partei!

Es lebe die Kommunistische Internationale!

Es lebe die Weltsowjetrepublik!

Es lebe der Führer der Weltrevolution, Genosse Lenin, und Genosse Broido, der Befestiger der Revolution in Chiwa!

Es lebe die Kommunistische Partei Chiwas und die Sowjetrepublik Chiwa !

Walcher. Genossen, der Referent hat heute früh auf die wichtige Tatsache hingewiesen, dass viele von uns bei Beginn der Revolution glaubten, die Gewerkschaften hätten in Zukunft keine Aufgaben mehr zu erfüllen. Er ist aber im Irrtum, wenn er glaubt, dass auch die Genossin Rosa Luxemburg zu denen gehörte, die diese Auffassung vertraten. Ich stelle hier fest, dass sie auf dem Gründungsparteitag sich ausdrücklich gegen diejenigen gewandt hat, die die ganze Frage mit der Parole »Heraus aus den Gewerkschaften« zu lösen beabsichtigten. Zur Sache selbst möchte ich sagen, dass ich dem Bericht des Genossen Radek und den Ausführungen der folgenden Redner, die erkennen liessen, dass in der Kommission prinzipiell eine Einigung über die strittigen Fragen erzielt worden ist, skeptisch gegenüberstehe. Es ist in der Kommission so manche Äusserung gefallen, die erkennen lässt, dass die Genossen in Europa und Amerika den Kampf gegen die alte verknöcherte Gewerkschaftsbürokratie durch die Gründung neuer Gewerkschaften und durch den Austritt aus den alten zu führen gewillt sind. Manche Äusserung, die dort gefallen ist, hat KAPD-Geist geatmet und klang mir sehr vertraut.

Die Verhältnisse in England und Amerika sind gewiss sehr kompliziert; aber wenn die englischen Genossen in den Gewerkschaften bleiben und zugleich in der Shop-Steward-Bewegung arbeiten wollen, dann begreife ich nicht, warum sie sich von vornherein so scharf und so nachdrücklich gegen die Leitsätze ausgesprochen haben.

Wir haben schon den Grundsatz ausgesprochen, dass die Kommunisten verpflichtet sind, in allen Organisationen kommunistische Zellen zu bilden und Propaganda zu treiben. Die englischen Genossen haben also nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, ungeachtet ihrer Tätigkeit in den Gewerkschaften in den Shop-Steward-Committees in unserem Sinne tätig zu sein. Wenn sie trotzdem die Leitsätze grundsätzlich bekämpfen, so scheint mir das zu beweisen, dass die englischen und amerikanischen Genossen der Gewerkschaftsfrage ebenso gefühlsmässig gegenüberstehen wie der Frage des Parlamentarismus. Wir müssen uns meiner Meinung nach hüten, diese Frage gefühlsmässig zu betrachten, erst recht in der Revolution. Wir dürfen als Marxisten nicht vergessen, dass die Gewerkschaften, so wie sie heute sind, nicht zufällig geworden sind, sondern wir sehen vor uns das Resultat einer jahrzehntelangen reformistischen Aera, die es mit sich brachte, dass die Gewerkschaften in steigendem Masse mit der kapitalistischen Gesellschaft verwachsen sind. Die objektive revolutionäre Situation, die wir heute vor uns haben, gibt uns die Möglichkeit, die alten Gewerkschaften zu revolutionieren. Wenn einige Genossen an dieser Möglichkeit zweifeln, so übersehen sie die grundsätzliche Änderung in der objektiven Lage, die heute das zur Pflicht macht, was vor dem Kriege utopisch erscheinen mochte. Die Genossen meinen, das dauere zu lange, der Weg sei zu mühsam. Es sollte aber doch nachgerade jeder Genosse wissen, dass wir ohne die Millionen, die in den Gewerkschaften stehen, unsere Aufgabe nicht erfüllen können und diese mühevolle Arbeit in den Gewerkschaften unbedingt leisten müssen. Die Antrittsparole ist ein Versuch, unbequeme Hindernisse zu umgehen, womit sie aber leider nicht aus der Welt geschafft sind.

Ich verstehe nicht, wie jene, die sagen, die Massen seien reif, wir könnten die ganze Welt erobern, die Möglichkeit bestreiten, die gewerkschaftlichen Massen geistig zu erobern. Ich sage, dies ist möglich, es kann und muss von uns gemacht werden. Es wird uns dann weiter entgegengehalten: Ja, wir brauchen ja nicht die grossen Massen, die Revolutionen sind stets das Werk kleiner Minderheiten. Ich glaube, die Genossen denken hierbei an eine Palastrevolution wie die in Portugal oder sonst wo. Eine Revolution, wie wir sie durchzuführen haben, kann nur das Werk der grossen Massen sein.

Man wird sagen: Ja, die Massen sind reif; aber die Führer sind schuld. Aus dieser Auffassung resultiert die Annahme: es gilt, die Führer zu beseitigen, und alles ist gut. Die ganze Taktik der deutschen Unabhängigen in den Gewerkschaften ist darauf eingestellt, einzelne Führerposten durch ihre Anhänger zu besetzen. Damit vernachlässigt man die revolutionäre Tätigkeit in den Massen selbst. Die Wolffheim und Rühle [würden] wieder sagen: Auch wenn die Bürokratie beseitigt würde, werde an der Tatsache nichts geändert. Auch die englischen Genossen argumentieren in ihren Leitsätzen so.

Das ist ein merkwürdiger Widerspruch. Auf der einen Seite die Führer, die schuld sind, auf der anderen Seite ist es belanglos, ob die Führer da sind oder nicht. In Deutschland haben die Wolffheim-Rühle die Probe aufs Exempel gemacht. Es ist unsere Pflicht, eindringlich davor zu warnen, diesen Spuren zu folgen. Wir haben schwere Kämpfe gerade in dieser Frage gehabt, und die Spaltung in der KPD hat ihre Ursache hauptsächlich in der Stellungnahme zur Gewerkschaftsfrage. Wir haben nicht einen, sondern hundert Belege dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie den Tag festlich begrüssen würde, an dem die Kommunisten aus ihren Reihen austreten würden. Ich habe persönlich lange um meine Mitgliedschaft im Metallarbeiterverband kämpfen müssen. Wir werden der Gewerkschaftsbürokratie den Gefallen nicht tun. Unsere Genossen wissen, dass dies ebenso wäre, als wenn man von einem Zuge die Lokomotive loskoppelt und allein mit ihr in der Welt herumfährt, den Zug selbst aber seinem Schicksal überlässt. Sehr mit Recht ist sowohl in den Leitsätzen, als auch in den Ausführungen von den Referenten darauf hingewiesen worden, dass wir in den Gewerkschaften nicht nur kommunistische Propaganda zu treiben haben, sondern alle Interessen des Proletariats wahrzunehmen und uns für alle Fragen energisch einzusetzen haben. Gerade in den Gewerkschaften – das hat mir meine eigene Erfahrung bewiesen – erobert der Kommunist das Vertrauen der Massen um so leichter, je selbstloser und energischer er sich zum Anwalt für alle Sorgen und Nöte seiner Kollegen macht.

Nun hätte ich noch gewünscht, dass das, was Genosse Radek über die Sabotage und passive Resistenz gesagt hat, in den Leitsätzen Aufnahme gefunden hätte. Nach den Erfahrungen, die wir mit der Sabotage als Kampfmittel in den gewerkschaftlichen Kämpfen gemacht haben, erscheint mir das sehr zweckmässig. Es gibt selbstverständlich Situationen, in denen wir gezwungen sind, die Sabotage zur Anwendung zu bringen; aber im allgemeinen ist sie untauglich und vor ihrer Anwendung zu warnen.

Ich möchte noch ein Wort sagen über die Stellung der Betriebsräte. Die Leitsätze, die uns vorliegen, sagen ganz richtig, dass die Verteilung der Aufgaben zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften das Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung ist. Aber Genosse Radek hat gesagt, jeder Versuch, die Betriebsräte den Gewerkschaften auszuliefern, sei gegenrevolutionär. Prinzipiell erscheint mir dieser Satz richtig; aber bei der gegenwärtigen Situation, wie wir sie in Deutschland haben, ist es möglich, dass dieser Satz zu Missverständnissen Veranlassung gibt. In Deutschland wird nämlich seit Monaten die Frage umstritten, ob die Betriebsräte als selbständige Organisationen zusammengefasst oder ob sie den Gewerkschaften angegliedert werden sollen. Der Kampf wird geführt einerseits von der Gewerkschaftsbürokratie und andererseits von der Betriebsrätezentrale. Wir haben die linken Unabhängigen unterstützt mit ihrem Bestreben, die Betriebsräte als selbständige Organisationen zusammenzufassen; aber das Bemühen ist bis heute ohne Erfolg geblieben aus Gründen, auf die ich in diesem Kreise nicht eingehen will. Ich will nur sagen, dass es in diesem Kampfe der Fall ist und auch vorher der Fall war, dass die eine Hälfte der U.S.P. auf der einen Seite stand und die andere auf der anderen, dass sie sich gegenseitig aufgehoben haben und dass es praktisch dazu gekommen ist, dass die Gewerkschaften, gestützt auf den rechten Flügel der U.S.P. ihre Ansichten durchsetzen konnten. Jetzt kann der Kampf als abgeschlossen betrachtet werden, und wir müssen sagen, dass Legien als vorläufiger Sieger aus diesem Kampfe hervorgegangen ist, denn der Gewerkschaftsbund der alten deutschen Gewerkschaften hat einmütig seine Richtlinien angenommen, und es ist bereits angekündigt, dass ein Reichskongress der Betriebsräte in Bälde stattfinden soll. Unsere Genossen sind gewillt, sich daran zu beteiligen und von diesem Boden aus den Kampf gegen Legien weiterzuführen. Die Legien trachten danach, die Betriebsräte zu Organen der burgfriedlichen Arbeitsgemeinschaft zu machen; aber wir sind sicher, dass ihnen das nicht gelingen wird. Wir werden sie daran dadurch zu hindern suchen, dass wir unsere Genossen allerorts straff zusammenfassen, dass wir auch in den Betriebsräten unsere Genossen zu Fraktionen zusammenschliessen. Und wenn sie sich dann zum Anwalt für alle Nöte machen, die sich für das Proletariat aus dem Zerfall der kapitalistischen Ordnung ergeben, dann sind wir gewiss, dass es uns gelingen wird, aus den Betriebsräten und Gewerkschaften Organe zu machen, die mit vollkommenem Bewusstsein ihre Stosskraft gegen die kapitalistische Gesellschaft richten und die bewusst eintreten für den Kommunismus.

Bombacci. Ich möchte ein paar Worte darüber sagen, warum Ich die Leitsätze des Genossen Radek nicht annehmen kann. Alles, was hier vorgetragen wird, entspricht weder der geschichtlichen Entwicklung der Gewerkschaften, noch dem historischen Moment überhaupt. Ich befürchte – und zwar möchte ich, dass man das Augenmerk auf Westeuropa richtet –, dass man in den Leitsätzen Radeks eine Gefahr darin erblickt, dass die Gewerkschaften die Partei ersetzen müssten. Ich betone, dass der Gedanke mir klar genug ist, um den Sinn der betreffenden Leitsätze nicht so auf zufassen, als sollte die Partei ohne weiteres durch die Gewerkschaften ersetzt werden. Aber die Tendenz ist eine solche. Ich bestreite absolut, dass die Gewerkschaften irgendwelche revolutionären Funktionen haben. Ich berufe mich auf das Beispiel Amerikas und Westeuropas. Gerade in Russland, obwohl man dort eine gewerkschaftliche Bewegung hat, hat sie nicht eine revolutionäre Funktion erfüllt. Sie war eine Art Vermittler zwischen der Arbeiterschaft und der Bourgeoisie, und deshalb wäre es ein Fehler, den Gewerkschaften irgend eine revolutionäre Rolle zuzuschreiben, und um so weniger wäre es zuzulassen, dass man den Gewerkschaften die Möglichkeit gibt, die Partei zu ersetzen. Ich möchte sagen, auch die Gewerkschaften stellen eine Tribüne für Propaganda dar. Im Parlament ist diese Propaganda darauf beschränkt, dass sie sich an eine gewisse Anzahl von Leuten wendet, während man sich in den Gewerkschaften an die gesamte Arbeiterklasse wendet. Es hat sich während des Krieges in Italien eine Tendenz entwickelt, die aus den Gewerkschaften eine neue Arbeiterpartei gründen will. Auch in Deutschland haben die Gewerkschaften während der Kapp-Tage gesagt: Wenn man uns die Macht übergibt, werden wir diese Macht im Namen der Gewerkschaften ausüben. In allen diesen Erscheinungen sehe ich ein gefährliches Symptom. Auch in Italien ist die Rede davon, dass man eine Arbeiterpartei gründet. Das ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaften. Man sollte nicht zulassen, dass die Gewerkschaften politische Funktionen ausüben. Die Gewerkschaften haben eine reformistische Tätigkeit ausgeübt, und sie sind revolutionären Aufgaben nicht gewachsen. Ich möchte die englischen und amerikanischen Genossen auf diese Gefahr aufmerksam machen. Ich berufe mich auf die italienischen Erfahrungen, wo man versucht hat, die verschiedenen Bewegungen zu vereinigen, wo aber dies nicht gelungen ist.

Was steht der kommunistischen Partei in den Gewerkschaften bevor? Das Beispiel in Italien zeigt, dass die einen Gewerkschaften syndikalistisch waren und die anderen reformistisch. Es handelt sich darum, in den Gewerkschaften vor allem die opportunistischen Führer durch kommunistische zu ersetzen, damit auch in den Gewerkschaften die Führung eine kommunistische sei. Den Gewerkschaften als solchen möchte ich keine politische Rolle zuschreiben.

Losowski. Genossen! Die Frage über die Gewerkschaften und ihre Bedeutung für die Revolution, die wir erleben, ist äusserst wichtig nicht nur für diesen Kongress, sondern auch in dem Kampfe, der sich jetzt in allen Ländern abspielt.

Meiner Meinung nach befinden sich viele Genossen, die über die Gewerkschaftsbewegung geredet haben, in einem grossen Irrtum, da sie die Gewerkschaftsbewegung von einem falschen Standpunkt aus betrachten.

So z. B. Genosse Bombacci, der soeben über die Gewerkschaftsbewegung gesprochen und behauptet hat, es sei absolut unmöglich, die Gewerkschaften z. B. in Italien für die kommunistische Bewegung zu gewinnen.

Andere Genossen, hauptsächlich die amerikanischen und die englischen, sind, nachdem sie die Gewerkschaftsbewegung in ihren Ländern geprüft haben, ebenfalls zu ganz pessimistischen Schlüssen gekommen. Sie erklären, dass die Gewerkschaftsbewegung nicht für die soziale Revolution ausgenutzt werden kann.

Entsprechen diese Schlussfolgerungen der Wahrheit?

Wenn wir die Worte Gewerkschaft, Gewerkschaftsbewegung aussprechen, verstehen wir darunter die Gewerkschaften selbst oder die Sowjets? Haben wir nur die Führer im Auge, so ist es klar, dass nicht sie es sind, die das Material für die soziale Revolution bilden. Wenn wir aber von der Gewerkschaftsbewegung und den Gewerkschaften reden, wollen wir über die Masse sprechen, die sich in diesen Organisationen befindet. Und wenn die pessimistisch gesinnten Genossen uns erklären, dass es absolut unmöglich ist, die Gewerkschaften zu gewinnen, und wenn es andererseits wahr wäre, dass die Gewerkschaften in Frankreich, in Italien reformistische Gewerkschaften sind und immer bleiben werden, so müssen sie sich sagen, dass die soziale Revolution in diesen Ländern überhaupt unmöglich ist, da die moderne Gewerkschaft keine kleine Organisation ist, sondern eine Massenorganisation, die Millionen von Arbeitern umfasst. Und wenn es wahr ist, dass wir diese Organisation nicht gewinnen können, müssen wir an der Weltrevolution verzweifeln.

Zugleich sagt uns Genosse Bombacci aber, dass die Revolution in Italien Fortschritte macht und dass ihre Verwirklichung die Frage nur einiger Wochen ist. Daraufhin frage ich ihn: Mit wem werdet Ihr Eure Revolution machen? Und wer wird sie machen? Was werden die Gewerkschaften in der Revolution anfangen? Welche Rolle werden sie spielen? Der Genosse muss uns auf diese Fragen Antwort geben.

Jedenfalls darf nicht behauptet werden, dass man auf diese Organisationen nicht rechnen kann.

Wir wollen nicht die russischen Gewerkschaften, die kaum drei Jahre alt sind, als Beispiel anführen. Wir wurden in der Tat erst 1917 geboren. Wir sind noch ganz jung.

Wenn wir uns den alten kapitalistischen Ländern zuwenden, besonders Amerika oder Deutschland, wo die Gewerkschaften bereits seit langem bestehen, oder England, wo sie schon seit einem Jahrhundert vorhanden sind, sehen wir, dass im Laufe der letzten Jahre, der letzten Monate Millionen von Arbeitern in die Gewerkschaften eintreten und sie umgestalten.

Nicht die Führer kommen hier in Betracht. Diese müssen wir vertreiben. Es gilt, die Masse zu gewinnen.

Jede Taktik, die den Austritt der fortgeschrittensten Elemente des Proletariats aus den Gewerkschaften bezweckt, ist eine reaktionäre Taktik, die sich eingesteht: Wir sind so schwach, dass wir die Masse nicht gewinnen können.

Genossen, je schwerer die Aufgabe ist, um so grössere Mühe muss man sich geben, sie durchzuführen. Man muss in die Gewerkschaften eintreten und sie erobern.

Wenn wir eine schön konstituierte Gewerkschaft haben, wie die Gewerkschaft der Metallarbeiter in Deutschland, sollen wir dann ihr zur Seite eine neue bilden? Wenn wir, wie in England, eine fest konstituierte Gewerkschaftsbewegung haben, müssen wir dann eine neue gründen?

Daraus ist klar zu ersehen, dass einige Genossen, die sich in ihren Reden als Revolutionäre zeigten, uns in Wirklichkeit eine reaktionäre Taktik vorschlagen, die verworfen werden muss.

Ein Kommunist, der die Situation versteht und der hofft und glaubt, dass die Arbeitermasse mit den Kommunisten Hand in Hand gehen wird, sagt: Tretet in die Gewerkschaften ein und gewinnt sie für unsere Sache! Das ist eine Hauptbedingung für die Eroberung der Macht und den Sturz des bürgerlichen Staates!

Hier setzt die Frage über die Betriebsräte ein, die sich in verschiedenen Ländern verschieden gestaltet. Ich habe einen deutschen Genossen gefragt: Wieviel Arbeiter habt ihr in diesen Betriebsräten in Deutschland organisiert? Er antwortete mir: Wir hatten 17 Millionen.

Man sprach auch über die Shop-Steward-Committees in England. Das sind nicht Fabrikkomitees wie in Russland und nicht Betriebsräte wie in Deutschland. Es sind Gruppen von Arbeitern, die Gesinnungsgenossen sind, die sich vereinigt haben und Komitees bilden, die Shop-Steward-Committees genannt werden. Sie bilden kommunistische oder revolutionäre Fraktionen in den Betrieben.

Wenn man uns von den Shop-Steward-Committees spricht, antworten wir, dass es sich um eine ganz besondere Frage handelt, da ihre Lage nichts mit der Lage der Betriebsräte in Deutschland und der Fabrikkomitees in Russland gemein hat.

Wir müssen uns über diese Frage verständigen. Wenn Ihr uns sagen wollt, dass man in den Gewerkschaften eine kommunistische oder Vortruppsfraktion bilden müsste, so tut es. Wenn Ihr aber Betriebsräte ausserhalb der Gewerkschaft organisieren wollt, Komitees, die alle Arbeiter umfassen, antworten wir, dass Ihr Unrecht habt, sie ausserhalb der Gewerkschaften zu bilden. Manche sagen: Die Gewerkschaften sind reaktionär, daher muss man eine Gegenorganisation ausserhalb der Gewerkschaften bilden. Nein, diese Organisation muss in den Gewerkschaften selbst gebildet werden. Wenn Ihr Betriebsräte als ausserhalb der Gewerkschaften stehende Organisationen bildet, werdet Ihr die gewerkschaftliche Arbeitermasse gegen Euch haben. Wenn Ihr aber in den Betrieben und Fabriken Betriebsräte organisiert, die dieselbe Arbeit verrichten wie die Gewerkschaften und die durch ihre Arbeit die Gewerkschaften umformen und aufrütteln, werdet Ihr endlich durch Eure Ausdauer, Eure Arbeit, Eure Propaganda die Gewerkschaften revolutionieren. Das ist ein Ergebnis, das nicht durch Reden, sondern durch die Tat erreicht werden kann. Und diese Tat muss durch die Sowjets, durch die Betriebsräte vollbracht werden. Nur von diesem Standpunkt aus kann die Arbeit der Betriebsräte verstanden werden, nur so kann man verstehen, warum sie organisiert werden müssen.

Wir haben die Fabrikkomitees vor der Oktoberrevolution umgeschaffen. Nicht durch Propaganda in Worten, sondern durch die Tat werden wir die Gewerkschaften noch vor der sozialen Revolution umbilden, da die Gewerkschaften das Organ dieser Revolution werden müssen.

Wenn wir die Gewerkschaften nicht vor der entscheidenden Schlacht gewonnen haben, wenn wir die gewerkschaftliche Disziplin in allen Ländern für die soziale Revolution nicht ausnutzen können, werden wir geschlagen werden. Diese Gewerkschaften müssen noch vor der sozialen Revolution erobert werden, damit sie die Grundlage für die Diktatur des Proletariats bilden. Dies ist die Erfahrung, die man aus der russischen Revolution ziehen kann.

Noch einige Worte über die internationale Bewegung.

Wir haben mit einigen amerikanischen Genossen die Aussichten einer internationalen Gewerkschaftsorganisation besprochen. Sie sagten, dass die geschaffene Organisation nicht genügend revolutionär wäre.

Wir haben hier in Moskau die Grundlagen für eine neue Organisation geschaffen.

Sechs Tage und sechs Nächte lang haben wir mit den englischen Genossen diskutiert. Worin bestanden unsere Meinungsverschiedenheiten? Ich will es Euch sagen: Dieselben Genossen, die uns heute den Vorwurf machen, nicht genügend revolutionär zu sein, wollten den Punkt über die Diktatur des Proletariats nicht unterzeichnen. Sie sagten uns: man muss den Staat stürzen. Wir fragen Sie: welchen Staat? Sie sagen: Man muss den bürgerlichen Staat stürzen. Wir erklären Ihnen: Wir wollen eine Revolution, aber wir wollen keine Zweideutigkeiten.

Das sind die Meinungsverschiedenheiten, die die Shop-Steward-Committees und die IWW verhindert haben, sich der Deklaration anzuschliessen, die wir unterzeichnet haben. Ich wünsche, dass diese Deklaration im Protokoll des Kongresses Aufnahme findet. Zwei Fragen dieser Deklaration sind von grosser Wichtigkeit.

Diese Deklaration, die von den Delegierten von sieben Ländern unterzeichnet worden ist, enthält drei wichtige Abschnitte.

1. Wir schaffen jetzt eine Organisation, die gegen die Amsterdamer Internationale gerichtet ist.

2. Diese Organisation gründet sich auf die Diktatur des Proletariats, auf den gewaltsamen Sturz der bürgerlichen Gesellschaft.

3. Die Hauptelemente des Vortrupps dürfen nicht aus den Arbeitergewerkschaften austreten, sondern müssen dieselben erobern.

Diejenigen, die sich zu schwach fühlen, für die Eroberung der Gewerkschaften zu kämpfen, teilen diesen Standpunkt nicht. Wir aber glauben, dass die Arbeiterbewegung in allen Ländern mit Riesenschritten fortschreitet und die Arbeiter zur sozialen Revolution treibt. Es liegt an den Kommunisten, ihr möglichstes zu tun, um die Gewerkschaften (die heute noch opportunistisch gesinnt sind) zu erobern und die gewerkschaftliche Disziplin zum grössten Heil der sozialen Revolution auszunutzen.

Ich habe nicht alles gesagt, was ich sagen wollte, aber es ist fast alles, was ich in der kurzen Zeit, die mir bewilligt worden ist, sagen konnte.

Sinowjew. Das Präsidium schlägt vor, die Debatte zu schliessen und zur Abstimmung überzugehen. Es sind noch 16 Redner eingetragen. Wir haben ein Referat und zwei Korreferate gehabt, die den Standpunkt genügend erläutert haben. Die Kommission hat sechs Sitzungen gehabt von je fünf Stunden, und die Frage ist auch in der Literatur genügend erläutert.

Reed. Ich habe nichts einzuwenden dagegen, dass man die Liste schliesst, aber wohl bin ich gegen Schluss der Diskussion. Man schliesst die Diskussion absichtlich, um mit der englischen und der amerikanischen Delegation über diesen Punkt nicht zu diskutieren. In den Sitzungen der Kommission hat Genosse Radek darauf verzichtet, über die Gewerkschaftsfrage zu diskutieren, weil prinzipielle Gegensätze da wären, und heute hat er erklärt, es seien keine Gegensätze vorhanden. Das alles weist darauf hin, dass eine Diskussion notwendig ist, selbst wenn sie die ganze Nacht dauern sollte; denn die Sache ist eigentlich hier gar nicht diskutiert worden.

Radek. Die Rede von Reed zeichnet sich nicht durch ein Übermass von Scheu vor Wahrheitsentstellung aus. Die ganze Darstellung der Sachlage in der Kommission ist eine objektive Unwahrheit. In der Kommission hatten wir folgende Lage: in zwei Sitzungen haben wir durch keinerlei Massage einen Gedanken aus dem Genossen Reed herauskriegen können. Schliesslich brachte dann Genosse Reed mit seinen Genossen Leitsätze vor. In diesen Leitsätzen wurde als prinzipieller Standpunkt entwickelt, dass die Organisationen der Gewerkschaften niedergerissen werden müssen. Er hat den prinzipiellen Standpunkt der Zertrümmerung der Gewerkschaften verteidigt. Daraufhin habe ich erklärt, es sei ein prinzipieller Gegensatz zwischen seinen und unseren Leitsätzen. Eine Diskussion Punkt für Punkt erschien infolgedessen nicht zweckmässig. Die Genossen Murphy und Fraina waren auch in der Kommission anwesend. Aus ihren Ausführungen konnte man einen sachlichen Inhalt heraushören, den man aus den Reden von Reed nicht herausbekommen konnte. Gestern hatten wir eine Sitzung in dieser Frage. Die amerikanischen und englischen Delegierten waren der Meinung, dass wir ein Übereinkommen getroffen haben, dass kein prinzipieller Gegensatz besteht. Der Standpunkt von Reed wurde fallen gelassen. Reed hat persönlich keinen einzigen Antrag vorgebracht. Trotzdem der andere Standpunkt nicht vorlag hatten heute die englischen und amerikanischen Genossen zwei Korreferenten. Und wenn Reed danach die Stirn hat, zu sagen, dass man die Diskussion abbricht, dass man das grosse Licht von John Reed fürchtet, so ist das eine Schamlosigkeit. Er hat Zeit, bis morgen früh zu diskutieren. Andere Leute haben keine Zeit dazu.

MacAlpine. Ich bitte, dass die Diskussion nicht geschlossen wird, sondern nur die Rednerliste. Das, was Radek in zwei Stunden gesprochen hat, hat man in einer Übersetzung von 20 Minuten wiedergegeben. Es berührt sehr seltsam, dass man hier in Russland so ökonomisch mit der Zeit umgeht. Ich bitte dringend, dass man noch sechs oder sieben Stunden zur Diskussion verwendet und dass man den englischsprechenden Genossen die Möglichkeit gibt, sich auszusprechen.

Gallacher. Radek soll hier seinen Mann stellen. Auch in der Kommission hat er eine schlechte Übersetzung gegeben. Man wollte uns nicht Zeit genug geben, über die Leitsätze zu diskutieren. Und wir englischsprechenden Genossen haben den Eindruck, dass man die Leitsätze hier einfach durchpeitschen will. Wir bitten daher, man möchte eine Diskussion eröffnen und dem Genossen Reed Gelegenheit geben, seinen Standpunkt darzulegen.

Sinowjew. Wir haben sechs Sitzungen der Kommission gehabt. Wir haben heute den ganzen Tag Diskussionen im Plenum gehabt, und da sagt man uns: Sie wollen uns den Mund schliessen, sie wollen nicht ihren Mann stellen usw. Man diskutiert aber nicht bis zum Umfallen. Sieben Redner haben gesprochen. Drei Redner waren von der englisch-amerikanischen Gruppe, drei Redner waren Anhänger der Leitsätze von Radek, der siebente Redner war Bombacci, der eine Position eingenommen hat, die der englischen ziemlich nahe steht. Die Diskussion war ganz richtig verteilt. Die englischsprechenden Genossen haben die Hälfte oder noch mehr der Redner gehabt. Darum glaube ich, dass, wenn unsere englischen Freunde hier solche heissen Reden halten, sie im Unrecht sind. Nachdem wir hier soviel diskutiert haben, erklären sie jetzt, dass wir ihnen gegenüber eine Illoyalität begehen. Es ist unerhört ihrerseits, einen solchen Standpunkt einzunehmen, nachdem man ihnen so entgegengekommen ist. Ich schlage vor, zu beschliessen, dass man die Diskussion beendet.

Tanner. Ich bestehe darauf, dass man uns das Wort gibt und die Rednerliste jetzt nicht schliesst. In der Kommission hat man uns versprochen, dass man die Frage eingehend besprechen würde, da es doch eine der wichtigsten Fragen ist. Die Leitsätze, die Anträge, die vorliegenden Vorschläge waren nicht übersetzt, und die Mitglieder der Kommission hatten kaum die Möglichkeit, davon Kenntnis zu nehmen. Man hat zweieinhalb Tage dazu gebraucht, die Frage der Aufnahme der französischen Sozialisten und der U.S.P. Zu diskutieren. Und darum müsste man doch diese Frage, die mehr Wert hat, ausführlicher behandeln.

Radek. Ich habe noch niemals gehört, dass eine Gruppe ihre eigenen Referenten desavouiert. Die englisch-amerikanische Gruppe hat zwei Referenten aufgestellt. Nachdem sie gesprochen haben, kommt Tanner und sagt, ihre Argumente seien nicht entwickelt worden. Glaubt Reed, dass man seine Gedanken zwei Tage lang entwickeln muss? Es handelt sich hier nicht um lange Diskussionen. Reed ist doch nicht eine selbständige politische Partei und eine selbständige Richtung. Die Richtung, die er vertritt, wurde vertreten durch die englisch-amerikanischen Referenten. Wenn sie Reed nicht als Korreferenten aufgestellt haben, so haben sie bewiesen, dass sie in ihm nicht den Vertreter einer selbständigen Richtung sehen. Sie hatten die Möglichkeit, ihren Standpunkt hier auseinanderzusetzen. Fraina und Tanner waren es, die im Namen der Gruppen gesprochen haben. Wenn hier behauptet wird, es sei nicht wahr, dass Reed den Austritt aus den Gewerkschaften gefordert habe, so habe ich hier die Leitsätze, die er vorgelegt hat.

Es heisst darin:

»Der Gewerkschaftsapparat muss ebenso zerstört werden, wie wir den bürgerlichen Staat zerstören müssen.«

Ich verstehe nicht, was von den Gewerkschaften übrig bleibt, nachdem der Gewerkschaftsapparat zerstört wird. Ausserdem ist zu bedenken, dass wir heute in der Sitzung keine endgültigen Beschlüsse fassen werden. Ich werde kein Schlusswort halten. Die Sache kehrt zurück in die Kommission, denn die Verlängerung der Diskussion ist noch keine Erledigung der Geschichte.

Sinowjew. Niemand hat sich zum Wort gemeldet. Man wird jetzt abstimmen. Wer für den Vorschlag des Büros ist, die Diskussion abzubrechen und über die Leitsätze abzustimmen, der hebe die Hand. Wer für Schluss der Debatte ist, den bitte ich, die Hand mit roter Karte zu erheben. 50 sind dafür und 25 dagegen. Die Diskussion ist geschlossen. (Reed will eine Erklärung abgeben.) Wir kommen zur Abstimmung der Leitsätze. Wenn verschiedene Gruppen Deklarationen zur Abstimmung abgeben wollen, so gebe ich ihnen das Wort für zwei Minuten.

Reed. Im Namen der amerikanischen Delegierten möchte ich erklären, dass wir es ablehnen, über diese Leitsätze abzustimmen.

Tanner. Im Namen der englischen Delegationen erkläre ich: Wenn das Büro die Sache nicht für so wichtig hält, lehnen wir es ab, uns sowohl an der Kommission als auch an der Abstimmung über die Leitsätze zu beteiligen.

Serrati. Ich erkläre, dass ich für die Leitsätze des Genossen Radek stimmen werde. Ich hatte keine Anträge gestellt, aber ich denke, dass dieselben im Leben unserer Organisation notwendig sein werden. Wir werden auf dem nächsten Kongress sehen, was für Anträge wir machen werden. In derselben Weise kann man die Frage der amerikanischen Delegation organisieren. Ich stimme zwar nicht völlig mit dem Gedanken des Genossen Radek überein; denn ich glaube, dass es nicht möglich ist, die Direktiven der A. F. of L. zu ändern. Es ist eine enge Organisation, die sich seit 25 Jahren nicht geändert hat und immer reaktionärer wird. Es ist unmöglich dagegen anzukämpfen. Ich werde jedoch für die Leitsätze stimmen, weil sie den Richtlinien unserer Partei entsprechen. Und wir haben sie immer unterstützt mit Ausnahme der Frage der Organisation der Roten Gewerkschaftsinternationale. Diese Organisation dürfte nicht von der Kommunistischen Internationale abhängig sein, sondern sie müsste etwas Unabhängiges, freundschaftlich Nebenhergehendes darstellen.

Radek. Ich glaube, dass hier ein Missverständnis besteht. Genosse Serrati hat nicht gewusst, dass es sich um die endgültige Abstimmung handelt, sondern hat geglaubt, dass es sich darum handelt, die Anträge in die Kommission zurückzusenden, wie das in allen anderen Fragen getan worden ist und wie ich angekündigt habe.

Wijnkoop. Ich habe verstanden, als Radek sprach, dass er die Absicht hatte, zu sagen, wir würden über diese Anträge und nicht über seine Leitsätze abstimmen. Es tut mir leid, dass jetzt, nachdem Genosse Radek die Sache in der Weise eingeleitet hat, die weitere Entwicklung unmöglich ist und die Diskussion in einer solchen Weise abgebrochen wird. Ich habe die Debatte so verstanden, dass Genosse Radek selbst vorgeschlagen hat, nicht jetzt über seine Leitsätze abzustimmen. Falls er gesagt hätte, dass man über die Leitsätze nur als Basis abstimmen werde, so bestünde kein Unterschied gegenüber dem Vorgang, der bei den anderen Leitsätzen beobachtet wurde. Ich meinte aber, dass er hier einen Unterschied machen wollte. Ich glaube, dass einige andere Mitglieder es ebenso verstanden haben, als sie für Schluss der Diskussion stimmten, dass um sechs Uhr hier eine Kommissionssitzung stattfinden würde, bei welcher Gelegenheit die Diskussion, die jetzt verweigert wird, fortgesetzt werden würde. Da aber ohne Diskussion abgestimmt werden soll, meine ich, dass wir nicht in der Lage sind, unsere Stimme über eine solche Sache abzugeben.

Pestaña. Ich protestiere gegen die falsche Art, die Debatte zu führen. Man übersetzt uns nichts ins Französische. Die Gewerkschaftsfrage ist von grösster Bedeutung, ja, sie ist die wichtigste Frage des Kongresses. Infolgedessen will ich nicht abstimmen.

Sinowjew. Es handelt sich um die Abstimmung der Leitsätze als Basis. Die Frage geht in die Kommission zurück und wird dort noch behandelt werden. Ich möchte. noch bemerken, dass man mit Drohungen des Verlassens des Kongresses sparsam sein soll, erstens, weil niemand Drohungen fürchtet, und zweitens, weil das auf einem kommunistischen Kongress nicht angeht.

Maring. Genossen, ich glaube, dass diese Sache geregelt werden, kann. Auch mit der Kolonialfrage ist es so gegangen. Die Sache ist wieder der Kommission übergeben worden. Wenn da nicht völlige Einigkeit erzielt worden wäre, so hätte die Kommission vor den Kongress zurückkommen müssen. Also, wenn jetzt die Gewerkschaftskommission nicht völlig zur Einigkeit kommt – und ich sehe bis jetzt diese Möglichkeit nicht – dann kommt die Frage von der Kommission aus wieder vor den Kongress. Wenn es so geht, kann ich mich mit der vorgeschlagenen Ordnung einverstanden erklären.

Sinowjew. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die vom Genossen Radek vorgetragenen Leitsätze als Basis stimmt und dafür, dass die Anträge in die Kommission zurückkommen, dort noch einmal besprochen werden, und falls keine Einstimmigkeit erzielt wird, hier nochmals vorgetragen werden, erhebe die Hand. (Abstimmung.) Der Vorschlag ist mit 64 Stimmen bei 13 Enthaltungen angenommen. Das Büro hat noch folgenden Vorschlag zu machen: Wir müssen einen genauen Text aller unserer Resolutionen haben. Wir haben vier grosse Gruppen, und wir ersuchen die betreffenden Gruppen, je einen verantwortlichen Genossen zu wählen, die dann alle Texte vorzunehmen, zu prüfen und den endgültigen Text in den vier Sprachen herzustellen haben. Morgen um 11 Uhr ist Plenarsitzung zur Behandlung der Agrarfrage, morgen nachmittag zur Organisationsfrage.

(Schluss der Sitzung.)

Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und die Kommunistische Internationale.

I.

1. Die von der Arbeiterklasse in der Periode der friedlichen Entwicklung des Kapitalismus geschaffenen Gewerkschaften waren Organisationen der Arbeiter zum Kampf um die Erhöhung des Preises der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt und für die Verbesserung der Bedingungen ihrer Verwendung. Die revolutionären Marxisten waren bestrebt, sie mit der politischen Partei des Proletariats, der Sozialdemokratie, zu gemeinsamem Kampf für den Sozialismus in Verbindung zu bringen. Aus denselben Gründen, denen zufolge die internationale Sozialdemokratie sich mit geringen Ausnahmen nicht als Werkzeug des revolutionären Kampf es des Proletariats zum Sturz des Kapitalismus, sondern als eine Organisation erwies, die das Proletariat im Interesse der Bourgeoisie von der Revolution zurückhält, erwiesen sich die Gewerkschaften während des Krieges in den meisten Fällen als Teil des Kriegsapparats der Bourgeoisie und halfen dieser, aus der Arbeiterklasse möglichst viel Schweiss auszupressen, zwecks möglichst energischer Kriegsführung für die Interessen des kapitalistischen Gewinns. Die Gewerkschaften, die hauptsächlich qualifizierte, von den Unternehmern am besten bezahlte Arbeiter umfassten, die, durch ihre gewerkschaftliche Engherzigkeit beschränkt, durch den von den Massen losgelösten bürokratischen Apparat gebunden, durch ihre opportunistischen Führer irregeleitet wurden, haben nicht nur die Sache der sozialen Revolution, sondern sogar die Sache des Kampfes um die Verbesserung der Lebensbedingungen der von ihnen organisierten Arbeiter verraten. Sie sind vom Standpunkt des gewerkschaftlichen Kampfes gegen die Unternehmer abgegangen und haben ihn durch ein Programm der friedlichen Abmachungen mit den Kapitalisten um jeden Preis ersetzt. Eine solche Politik haben nicht nur die liberalen Verbände in England und Amerika, nicht nur die angeblich »sozialistischen« freien Gewerkschaften in Deutschland und Österreich, sondern auch die syndikalistischen Verbände in Frankreich geführt.

2. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges, die volle Desorganisierung der Weltwirtschaft, die wahnsinnige Teuerung, die ausgedehnte Anwendung der Frauen- und Jugendarbeit, die Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse – alles dies treibt die breitesten Massen des Proletariats auf den Weg des Kampfes gegen den Kapitalismus. Dieser Kampf ist der Ausdehnung und dem Charakter nach, den er mit jedem Tage immer mehr annimmt, ein revolutionärer Kampf, der die Grundlagen der kapitalistischen Ordnung objektiv zerstört. Die heute von dieser oder jener Arbeiterkategorie durch wirtschaftlichen Kampf erzielte Erhöhung des Arbeitslohns ist morgen schon durch die Teuerung überholt. Die Teuerung muss steigen, weil die kapitalistische Klasse der siegreichen Länder, während sie durch ihre Ausbeutungspolitik Mittel- und Osteuropa zerstört, nicht nur nicht imstande ist, die Weltwirtschaft neu zu organisieren, sondern sie unermüdlich desorganisiert. Um im wirtschaftlichen Kampf Erfolg zu haben, strömen die breitesten Arbeitermassen, die bisher ausserhalb der Gewerkschaften standen, in ihre Reihen. In allen kapitalistischen Ländern ist ein riesiges Anwachsen der Gewerkschaften zu verzeichnen, die jetzt nicht mehr eine Organisation allein des vorgeschrittenen Teils des Proletariats, sondern seiner Hauptmassen sind. Indem sie in die Gewerkschaften hineinströmen, suchen diese Massen sie zu ihrer Kampfwaffe zu machen. Die sich verschärfenden Klassengegensätze nötigen die Gewerkschaften zur Leitung der Streiks, die in breiter Welle durch die ganze kapitalistische Welt fluten und den Prozess der kapitalistischen Produktion und des Austausches ständig unterbrechen. Indem sie mit der wachsenden Teuerung und ihrer eigenen Erschöpfung ihre Forderungen erhöhen, vernichten die Arbeitermassen die Grundlage für jegliche kapitalistische Kalkulation – diese elementare Voraussetzung für jede geordnete Wirtschaft. Die Gewerkschaften, die während des Krieges zu Organen für die Beeinflussung der Arbeitermassen im Interesse der Bourgeoisie geworden waren, werden jetzt zu Organen der Zerstörung des Kapitalismus.

3. Diese Änderung des Charakters der Gewerkschaften wird von der alten Gewerkschaftsbürokratie und durch die alten Organisationsformen der Gewerkschaften auf jede Weise behindert. Die alte Gewerkschaftsbürokratie sucht vielerorts die Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiteraristokratie aufrechtzuerhalten: sie behält die Vorschriften bei, die den schlechtentlohnten Arbeitermassen den Zutritt zu den Gewerkschaftsorganisationen unmöglich machen. Die alte Gewerkschaftsbürokratie versucht auch jetzt noch, den Streikkampf der Arbeiter, der mit jedem Tage immer mehr den Charakter eines revolutionären Ringens des Proletariats mit der Bourgeoisie annimmt, durch eine Politik der Übereinkunft mit den Kapitalisten, eine Politik langfristiger Verträge, die schon in Anbetracht der ununterbrochenen wahnsinnigen Preissprünge jeden Sinn verloren haben, zu ersetzen. Sie sucht den Arbeitern die Politik der Arbeitsgemeinschaften, der Joint Industry Conseils aufzudrängen und mit Hilfe des kapitalistischen Staates die Führung des Streiks gesetzlich zu erschweren. In den angespanntesten Augenblicken des Kampfes sät diese Bürokratie Zwietracht in die kämpfenden Massen der Arbeiter, hindert sie den Zusammenschluss des Kampfes verschiedener Arbeiterkategorien zu einem allgemeinen Klassenkampf. Bei diesen Versuchen wird sie von der alten Organisationsform der Gewerkschaften nach Berufen unterstützt, die die Arbeiter eines Industriezweiges in gesonderte Berufsgruppen trennt, obgleich der Prozess der kapitalistischen Ausbeutung sie zusammenschliesst. Sie stützt sich auf die Macht der Überlieferung der Ideologie der alten Arbeiteraristokratie, obgleich diese beständig durch den Prozess der Aufhebung der Privilegien einzelner Gruppen des Proletariats infolge des allgemeinen Zerfalls des Kapitalismus, der Nivellierung der Lage der Arbeiterklasse, der Verallgemeinerung ihrer Not und Unsicherheit geschwächt wird.
Auf diese Weise teilt die Gewerkschaftsbürokratie den mächtigen Strom der Arbeiterbewegung in schwache Rinnsale, vertauscht die allgemeinen revolutionären Ziele der Bewegung gegen reformistische Teilforderungen und hemmt im allgemeinen die Ausgestaltung des Kampfes des Proletariats zu einem Revolutionskampfe für die Vernichtung des Kapitalismus.

4. In Anbetracht des Hineinströmens gewaltiger Arbeitermassen in die Gewerkschaften, in Anbetracht des objektiven revolutionären Charakters des wirtschaftlichen Kampfes, den diese Massen im Gegensatz zur Gewerkschaftsbürokratie führen, müssen die Kommunisten in allen Ländern in die Gewerkschaften eintreten, um aus ihnen bewusste Kampforgane zum Sturze des Kapitalismus und für den Kommunismus zu machen. Sie müssen die Initiative zur Bildung von Gewerkschaften ergreifen, wo solche nicht existieren.
Jedes freiwillige Fernbleiben von der Gewerkschaftsbewegung, jeder künstliche Versuch der Schaffung von besonderen Gewerkschaften, ohne dazu entweder durch aussergewöhnliche Vergewaltigungsakte seitens der Gewerkschaftsbürokratie (Auflösung einzelner revolutionärer Ortsgruppen der Gewerkschaften durch die opportunistischen Zentralen) oder durch ihre engherzige aristokratische Politik, die den grossen Massen der wenig qualifizierten Arbeiter den Eintritt in die Organisationen versperrt, genötigt zu werden, stellt eine riesige Gefahr für die kommunistische Bewegung dar. Er droht die vorgeschrittensten, die klassenbewusstesten Arbeiter von den Massen zu trennen, die sich auf dem Wege zum Kommunismus befinden, und diese Massen an die opportunistischen Führer auszuliefern, die der Bourgeoisie in die Hände arbeiten. Die Halbheit der Arbeitermassen, ihre geistige Unentschlossenheit, ihre Zugänglichkeit für die Scheingründe der opportunistischen Führer kann nur im Prozess des sich verschärfenden Kampfes überwunden werden, in dem Masse, in dem die breitesten Schichten des Proletariats durch ihre Erfahrung, durch ihre Siege und Niederlagen begreifen lernen, dass auf der Grundlage des kapitalistischen Wirtschaftssystems menschliche Lebensbedingungen unmöglich mehr erreicht werden können, in dem Masse, in dem die vorgeschrittenen kommunistischen Arbeiter es lernen werden, im Wirtschaftskampf nicht nur Verkünder der Ideen des Kommunismus zu sein, sondern die entschlossensten Führer des Wirtschaftskampfes und der Gewerkschaften zu werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, die opportunistischen Führer aus den Gewerkschaften zu entfernen. Nur auf diese Weise können die Kommunisten an die Spitze der Gewerkschaftsbewegung treten und sie zu einem Organ des revolutionären Kampfes für den Kommunismus machen. Nur auf diese Weise werden sie die Zersplitterung der Gewerkschaften beheben und sie durch Industrieverbände ersetzen, die von den Massen losgelöste Bürokratie beseitigen und sie durch einen Apparat von Betriebsvertretern ersetzen können, wobei den Zentralen nur die allernotwendigsten Funktionen vor- behalten bleiben.

5. Da die Kommunisten Ziel und Wesen der Gewerkschaftsorganisation höher stellen als die Form, dürfen sie in der Gewerkschaftsbewegung nicht vor einer Spaltung der Gewerkschaftsorganisationen zurückschrecken, wenn der Verzicht auf die Spaltung gleichbedeutend sein würde mit dem Verzicht auf die revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften, mit dem Verzicht auf den Versuch, aus diesen ein Werkzeug des revolutionären Kampfes zu machen, und mit dem Verzicht auf die Organisation der am meisten ausgebeuteten Teile des Proletariats. Aber selbst wenn sich eine solche Spaltung als notwendig erweisen sollte, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn es den Kommunisten gelingt, durch unausgesetzten Kampf gegen die opportunistischen Führer und ihre Taktik, durch lebhafteste Anteilnahme am wirtschaftlichen Kampf die breiten Arbeitermassen davon zu überzeugen, dass die Spaltung nicht wegen der ihnen noch unverständlichen fernen Revolutionsziele, sondern wegen der konkreten nächsten Interessen der Arbeiterklasse an der Entwicklung ihres Wirtschaftskampfes vorgenommen wird. Die Kommunisten müssen im Fall der Notwendigkeit einer Spaltung ununterbrochen aufmerksam prüfen, ob die Spaltung nicht zu ihrer Isolierung von der Arbeitermasse führen wird.

6. Wo die Spaltung zwischen der opportunistischen und der revolutionären Gewerkschaftsführung schon früher erfolgt ist, wo, wie in Amerika, neben den opportunistischen Gewerkschaften Verbände mit revolutionären, wenn auch nicht kommunistischen Tendenzen bestehen, dort sind die Kommunisten verpflichtet, diese revolutionären Gewerkschaften zu unterstützen, ihnen zu helfen, sich von syndikalistischen Vorurteilen freizumachen, sich auf den Boden des Kommunismus zu stellen, der allein als verlässlicher Kompass in den Wirrnissen des Wirtschaftskampfes dienen kann. Wo sich im Rahmen der Gewerkschaften oder ausserhalb derselben in den Betrieben Organisationen bilden, wie die Shop Stewards, die Betriebsräte, die sich den Kampf gegen die konterrevolutionären Tendenzen der Gewerkschaftsbürokratie, die Unterstützung der spontanen direkten Aktionen des Proletariats zum Zweck setzen, dort haben die Kommunisten selbstverständlich mit voller Energie diese Organisationen zu unterstützen. Aber die Unterstützung der revolutionären Gewerkschaften darf nicht den Austritt der Kommunisten aus den opportunistischen Gewerkschaften bedeuten, die sich im Zustande der Gärung befinden und auf den Boden des Klassenkampfes übergehen. Im Gegenteil, indem die Kommunisten diese Entwicklung der Massengewerkschaften, die sich auf dem Wege zum Revolutionskampf befinden, zu beschleunigen suchen, werden sie die Rolle eines Elements spielen können, das die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter geistig und organisatorisch zum gemeinsamen Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus vereinigt.

7. Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats verwandelt sich in der Epoche des Zerfalls des Kapitalismus viel schneller in einen politischen Kampf, als dies im Zeitalter der friedlichen Entwicklung des Kapitals geschehen konnte. Jeder grosse wirtschaftliche Zusammenstoss kann die Arbeiter unmittelbar vor die Frage der Revolution stellen. Es ist daher Pflicht der Kommunisten, in allen Phasen des Wirtschaftskampfes die Arbeiter darauf hinzuweisen, dass dieser Kampf nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Arbeiterklasse im offenen Ringen die Klasse der Kapitalisten besiegt und auf dem Wege der Diktatur das Werk des sozialistischen Aufbaus in Angriff nimmt. Hiervon ausgehend, müssen die Kommunisten bestrebt sein, nach Möglichkeit eine volle Einheit zwischen den Gewerkschaften und der kommunistischen Partei herzustellen, die Gewerkschaften der tatsächlichen Leitung durch die Partei als Vortrupp der Arbeiterrevolution unterzuordnen. Zu diesem Zweck müssen die Kommunisten überall in den Gewerkschaften und Betriebsräten kommunistische Fraktionen bilden und mit deren Hilfe sich der Gewerkschaftsbewegung bemächtigen und sie leiten.

II.

1. Der Wirtschaftskampf des Proletariats für die Erhöhung des Arbeitslohns und die allgemeine Besserung der Lebensbedingungen der Arbeitermasse gerät täglich mehr und mehr in eine Sackgasse. Die wirtschaftliche Zerrüttung, die in immer ausgedehnterem Masse ein Land nach dem anderen ergreift, zeigt sogar den zurückgebliebenen Arbeitern, dass es nicht genügt, für die Erhöhung des Arbeitslohns und für die Verkürzung des Arbeitstages zu kämpfen, dass die Klasse der Kapitalisten mit jedem Tage weniger imstande ist, das Wirtschaftsleben wieder herzustellen und den Arbeitern auch nur die Lebensbedingungen zu sichern, die sie ihnen vor dem Kriege gab. Aus dieser wachsenden Erkenntnis der Arbeitermassen entspringt ihr Bestreben, Organisationen zu schaffen, die den Kampf zur Rettung der Wirtschaft durch die Arbeiterkontrolle der Betriebsräte über die Produktion aufnehmen können. Das Streben nach der Schaffung von Betriebsräten, das die Arbeiter verschiedener Länder mit jedem Tage mehr erfasst, nimmt seinen Ausgangspunkt von den mannigfaltigsten Ursachen (Kampf gegen die konterrevolutionäre Bürokratie, Entmutigung nach gewerkschaftlichen Niederlagen, Bestrebung zur Schaffung einer alle Arbeiter umfassenden Organisation); aber es mündet schliesslich in den Kampf um die Kontrolle der Industrie, die besondere historische Aufgabe der Betriebsräte. Es ist daher ein Fehler, Betriebsräte nur aus solchen Arbeitern organisieren zu wollen, die schon auf dem Boden der Diktatur des Proletariats stehen. Im Gegenteil, Aufgabe der kommunistischen Partei ist es, auf Grund der wirtschaftlichen Zerrüttung alle Arbeiter zu organisieren und sie zum Kampf für die Diktatur des Proletariats zu rüsten, und zwar durch Erweiterung und Vertiefung des ihnen allen verständlichen Kampfes für die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion.

2. Diese Aufgabe wird die kommunistische Partei lösen können, wenn sie beim Kampf der Betriebsräte in den Massen die Erkenntnis vertieft, dass die planmässige Wiederherstellung der Wirtschaft auf der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft, die eine neue Unterjochung der Arbeiter durch den Staat zugunsten der kapitalistischen Klasse bedeuten würde, jetzt unmöglich ist. Eine den Interessen der Arbeitermassen entsprechende Organisierung der Wirtschaft ist nur dann möglich, wenn der Staat sich in den Händen der Arbeiterklasse befinden wird, wenn die feste Hand der Arbeiterdiktatur an die Beseitigung des Kapitalismus und an den sozialistischen Neuaufbau gehen wird.

3. Der Kampf der Betriebsräte gegen den Kapitalismus hat als nächstes allgemeines Ziel die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion. Die Arbeiter jedes Unternehmens, jedes Industriezweiges leiden unabhängig von ihrem Beruf unter der Sabotage der Produktion durch die Kapitalisten, die es häufig für vorteilhafter halten, auf die Fortsetzung der Produktion zu verzichten, um die Arbeiter durch Hunger zu zwingen, auf die drückendsten Arbeitsbedingungen einzugehen, oder um nicht neue Kapitaleinlagen in die Produktion zur Zeit der allgemeinen Teuerung vorzunehmen. Der Schutz gegen diese Sabotage der Produktion durch die Kapitalisten verknüpft die Arbeiter, unabhängig von ihren politischen Überzeugungen, und daher sind die von allen Arbeitern des betreffenden Unternehmens gewählten Betriebsräte die allerbreitesten Massenorganisationen des Proletariats. Aber die Desorganisierung der kapitalistischen Wirtschaft ist ein Ergebnis nicht nur des bewussten Willens der Kapitalisten, sondern in weit höherem Grade ein Ergebnis des unaufhaltsamen Zerfalls des Kapitalismus. Daher werden die Betriebsräte in ihrem Kampf gegen die Folgen dieses Zerfalls über die Grenzen der Kontrolle des einzelnen Betriebes hinausgehen müssen. Die Betriebsräte der einzelnen Betriebe werden bald vor der Frage einer Arbeiterkontrolle über ganze Industriezweige und über deren Gesamtheit stehen. Da aber auf den Versuch der Arbeiter, die Versorgung der Fabriken mit Rohstoffen, die Finanzoperationen der Fabrikunternehmer zu kontrollieren, die Bourgeoisie und die kapitalistischen Regierungen mit den energischsten Massregeln gegen die Arbeiterklasse antworten werden, so führt der Kampf um die Arbeiterkontrolle über die Produktion zum Kampf um die Besitzergreifung der Macht durch die Arbeiterklasse.

4. Die Agitation für die Betriebsräte muss so geführt werden, dass im Bewusstsein der breitesten Volksmassen, auch wenn sie nicht direkt zum Fabrikproletariat gehören, die Überzeugung Wurzel fasst, dass die Schuld an der Zerrüttung bei der Bourgeoisie liegt, während das Proletariat, indem es die Parole der Arbeiterkontrolle über die Industrie ausgibt, für die Organisierung der Produktion, für die Beseitigung der Spekulation, der Desorganisierung und der Teuerung kämpft. Es ist Aufgabe der kommunistischen Parteien, für die Kontrolle der Produktion zu kämpfen, auf Grund der brennendsten Tagesfragen, auf Grund des Heizstoffmangels, auf Grund des Verfalls des Transportwesens, durch Verknüpfung der vereinzelten Teile des Proletariats untereinander und durch Hinüberziehen breiter Kreise des Kleinbürgertums auf ihre Seite, – des Kleinbürgertums, das mit jedem Tage mehr proletarisiert wird und unter dem wirtschaftlichen Zerfall tatsächlich unerhört leidet.

5. Die Betriebsräte können die Gewerkschaften nicht ersetzen. Nur im Prozess des Kampfes können jene sich über den Rahmen einzelner Betriebe und Werkstätten hinaus nach Produktionszweigen vereinigen und einen allgemeinen Apparat zur Leitung des ganzen Kampfes schaffen. Die Gewerkschaften sind schon jetzt zentralisierte Kampforgane, obgleich sie nicht so grosse Arbeitermassen umfassen, wie die Betriebsräte dies tun können, die eine allen Arbeitern des Unternehmens zugängliche lose Organisation sind. Die Verteilung der Aufgaben unter die Betriebsräte und die Gewerkschaften ist ein Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung der sozialen Revolution. Die Gewerkschaften organisieren die Arbeitermassen für den Kampf auf Grund der Forderungen auf Lohnerhöhung und Verkürzung des Arbeitstages im gesamten Staat. Die Betriebskomitees organisieren sich für die Arbeiterkontrolle über die Produktion, für den Kampf gegen die wirtschaftliche Zerrüttung; sie umfassen alle Arbeiter der Unternehmungen; aber ihr Kampf kann nur allmählich einen gesamtstaatlichen Charakter annehmen. Nur in dem Masse, wie die Gewerkschaften die konterrevolutionären Tendenzen ihrer Bürokratie überwinden, wie sie bewusst zu Organen der Revolution werden, haben die Kommunisten das Bestreben, die Betriebsräte zu Betriebsgruppen der Gewerkschaften zu machen, zu unterstützen.

6. Die Aufgabe der Kommunisten besteht darin, sowohl die Gewerkschaften als auch die Betriebsräte mit dem gleichen Geist entschlossenen Kampfes, mit Erkenntnis und Verständnis für die besten Methoden dieses Kampfes, d. h. mit dem Geist des Kommunismus, zu erfüllen. Indem sie diese Aufgabe ausführen, müssen die Kommunisten die Betriebsräte und die Gewerkschaften tatsächlich der Leitung der kommunistischen Partei unterordnen und auf diese Weise ein Massenorgan der Proletarier schaffen, die Basis für eine mächtige zentralisierte Partei des Proletariats, die alle Organisationen des proletarischen Kampfes umfasst, sie alle den gleichen Weg führt, zum Sieg der Arbeiterklasse durch die Diktatur des Proletariats, zum Kommunismus.

7. Indem die Kommunisten aus den Gewerkschaften und den Betriebsräten mächtige Waffen der Revolution bilden, bereiten sie diese Massenorganisationen zu der grossen Aufgabe, die ihnen nach der Aufrichtung der proletarischen Diktatur zufallen wird, zu der Aufgabe eines Hauptelements der Neuorganisation des Wirtschaftslebens auf sozialistischer Basis, vor. Die Gewerkschaften, als Industrieverbände ausgebaut, auf die Betriebsräte als ihre Fabrikorganisationen sich stützend, werden dann die Arbeitermassen mit ihren Produktionsaufgaben bekannt machen und die erfahrensten Arbeiter zu Leitern der Betriebe ausbilden. Sie werden die technischen Spezialisten unter Kontrolle nehmen und zusammen mit den Vertretern der Arbeitermacht die Pläne der sozialistischen Wirtschaftspolitik entwerfen und durchführen.

III.

Die Gewerkschaften strebten schon zur Friedenszeit nach internationaler Vereinigung, denn die Kapitalisten griffen bei Streiks zur Heranziehung von Arbeitern aus anderen Ländern als Streikbrecher. Aber die Internationale der Gewerkschaften war vor dem Kriege nur von untergeordneter Bedeutung. Sie strebte die finanzielle Unterstützung einer Gewerkschaft durch die andere, die Organisierung einer sozialen Statistik an, nicht aber die Organisierung des gemeinsamen Kampfes, denn die von Opportunisten geleiteten Gewerkschaften suchten jeden revolutionären Kampf von internationalem Umfang zu vermeiden. Die opportunistischen Führer der Gewerkschaften, die während des Krieges, jeder in seinem Lande, Lakaien der Bourgeoisie waren, streben nun die Wiederherstellung der Gewerkschaftsinternationale an und versuchen, aus ihr eine Waffe für den unmittelbaren Kampf des internationalen Weltkapitals gegen das Proletariat zu machen. Unter der Führung von Legien, Jouhaux, Gompers bilden sie ein »Arbeitsbüro« beim Völkerbund, dieser Organisation des internationalen kapitalistischen Räuberwesens. Sie suchen in allen Ländern die Streikbewegung durch Gesetze zu erdrosseln, die Arbeiter zu verpflichten, sich den Schiedsgerichten der Vertreter des kapitalistischen Staates zu unterwerfen. Sie suchen überall durch Abkommen mit den Kapitalisten Konzessionen für die qualifizierten Arbeiter durchzusetzen, um auf diese Weise die wachsende Einheit der Arbeiterklasse zu zertrümmern.

Die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale ist somit ein Stellvertreter der bankrotten Brüsseler Zweiten Internationale. Die kommunistischen Arbeiter, die den Gewerkschaften aller Länder angehören, müssen im Gegenteil danach streben, eine internationale Kampffront der Gewerkschaften zu schaffen. Es handelt sich jetzt nicht um finanzielle Unterstützung im Streikfall, sondern darum, dass im Augenblick der Gefahr, die die Arbeiterklasse eines Landes bedroht, die Gewerkschaften der anderen Länder als Organisationen der breitesten Massen zu ihrem Schutz beitragen und es unmöglich machen, dass die Bourgeoisie ihres Landes der Bourgeoisie eines anderen Landes, die sich im Kampf mit der Arbeiterklasse befindet, Hilfe leistet. Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats in allen Ländern wird mit jedem Tage immer mehr zum Revolutionskampf. Daher müssen die Gewerkschaften bewusst alle Kraft zur Unterstützung jedes Revolutionskampfes aufwenden, sowohl im eigenen Lande, als auch in anderen Ländern. Zu diesem Zweck müssen sie nicht nur in jedem Lande die grösstmöglichste Zentralisierung ihres Kampfes anstreben, sondern sie müssen das in internationalem Masstabe tun, indem sie in die Kommunistische Internationale eintreten, sich mit ihr zu einer Armee vereinigen, deren verschiedene Teile bei gegenseitiger Unterstützung gemeinsam den Kampf führen.



Anmerkungen:
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  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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