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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Dritte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 24. Juli 1920.
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Reed
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Balabanoff
Redebeitrag Sinowjew
(Pause)
Redebeitrag Sinowjew
Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution.
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Balabanoff
Redebeitrag Schazkin
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Van Leuven
Redebeitrag Guilbeaux
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Däumig
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Levi
Redebeitrag Bucharin
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Serrati
Anmerkungen
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Dritte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 24. Juli 1920.

Serrati. Die gestern abend gewählte Kommission hat ihre Arbeit beendet und ist bereit, darüber zu berichten. Da die Mitglieder des Büros noch nicht erschienen sind, mache ich den Vorschlag, die Eröffnung der Sitzung zu verlegen.

(Die Sitzung wird um 10 Uhr abends eröffnet.)

Serrati. Wir beginnen mit einer Verspätung von zwei Stunden. Aber das Büro schlägt vor, eine Arbeitsteilung vorzunehmen, die es ermöglicht, die Debatten in fühlbarer Weise abzukürzen. Es sollen fünf Kommissionen, bestehend aus je 11 Mitgliedern, bestimmt werden, um sich mit den verschiedenen Leitsätzen bekannt zu machen. Jede Delegation soll das Recht haben, je einen Vertreter für die Kommissionen vorzuschlagen. Das Büro trifft unter den von den Delegationen vorgeschlagenen Namen die Wahl. Die Kommission bestimmt einen Berichterstatter, und der Kongress erteilt die endgültige Bestätigung.

Pestaña. Der Vorschlag des Büros scheint mir nicht logisch zu sein. Ich schlage vor, es den Delegationen jeder einzelnen Nationalität freizustellen, selbst die Mitgliederzahl der Kommissionen zu bestimmen.

Serrati. Das Büro würde gern auf den Vorschlag eingehen, wenn es mit allen Delegierten bekannt wäre. Aber viele von ihnen sehen wir zum ersten Mal.

Pestaña. Da das Büro zugibt, dass es die Mitglieder der Delegationen nicht genügend kennt, finde ich es gerade logischer, den Vertretungen selbst die Verantwortung zu überlassen, über die Mitgliederzahl der Kommissionen zu bestimmen.

Serrati. Das Büro wird nicht die Qualität, sondern nur die Quantität bestimmen. Die Qualität wird von den einzelnen Delegationen bestimmt.

Pestaña. Soll die Frage erörtert werden?

Serrati. Gewiss, und der Kongress soll sich frei darüber aussprechen können. Ich schlage vor, über den Vorschlag des Büros abzustimmen.

(Der Vorschlag des Büros wird mit grosser Stimmenmehrheit angenommen.)

Serrati. Ich verlese den Beschluss.

Der Kongress wird in Kommissionen geteilt, welche die Leitsätze über die auf der Tagesordnung des Kongresses stehenden Hauptfragen erörtern sollen. Jede Kommission setzt sich aus 7–11 Mitgliedern zusammen.
Jede nationale Delegation hat das Recht, jede Kommission mit je einem Mitglied zu beschicken.
Das Büro wählt endgültig die Mitglieder der einzelnen Kommissionen.
Jede Kommission wählt einen Berichterstatter, der dem Kongress über die Beschlüsse der genannten Kommission berichtet.
Die Kommissionen müssen folgende auf der Tagesordnung stehenden Fragen ausarbeiten und ihre Vorschläge zu den einzelnen Fragen machen:
1. Parlamentarismus.
2. Gewerkschaften.
3. Nationalitäten- und Kolonialfrage.
4. Agrarfrage.
5. Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale.
6. Statuten. Organisationsfragen (Jugendorganisation, Frauenorganisation).
7. Die augenblickliche Weltlage und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale.

Serrati. Das Büro hat folgende Erklärung der amerikanischen Vertretung, gerichtet an den II. Kongress der Kommunistischen Internationale, erhalten:

Gemäss dem Beschluss des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale und dem Verlangen der amerikanischen Kommunisten selbst ist es notwendig, beide kommunistischen Parteien zu vereinigen.
Infolgedessen begrüssen wir die Bildung der Vereinigten Kommunistischen Partei, die sich aus der Kommunistischen Arbeiterpartei (Communist Labour Party) und einem erheblichen Teil der Kommunistischen Partei (Communist Party) zusammensetzt. Aber diese Vereinigung ist nicht vollständig.
Da die vollständige Vereinigung der amerikanischen kommunistischen Bewegung eine unbedingte Notwendigkeit ist, erklären wir, Vertreter der Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Arbeiterpartei, uns bereit:
1. auf dem Kongress als eine einzige Gruppe zu arbeiten;
2. das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ersuchen, die Elemente, die sich weigern, eine vollständige Vereinigung anzuerkennen, zu verpflichten, sich auf dem Boden der Kommunistischen Internationale zu einigen;
3. uns in der Frage der Vereinigung den Entscheidungen des Exekutivkomitees der Internationale zu unterwerfen.[3]

(Beifall.)

Folgendes Telegramm ist uns von der Internationalen Sozialistischen Liga Südafrikas zugegangen:

Auf dem Jahreskongress der Internationalen Sozialistischen Liga Südafrikas, der am 4. Januar 1920 in Johannesburg stattgefunden hat, wurde einstimmig beschlossen, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Ich trat in Verbindung mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Englands und durch deren Vermittlung mit dem Genossen Rutgers von dem Amsterdamer Büro, der mir geraten hat, durch seine Vermittlung Euch dieses Beitrittsgesuch zu senden.
Anbei eine Resolution und Bestimmungen, die Euch überzeugen werden, dass unsere Politik vollständig mit der Politik der kommunistischen Parteien Europas und der ganzen Welt übereinstimmt. Auf Eure Anfrage werden wir Euch mit Vergnügen weitere Erklärungen geben.

(Beifall.)

Serrati. Die verschiedenen nationalen Delegationen werden gebeten, ihre Mitglieder für die Kommissionen zu bestimmen.

Das Büro hatte vorgeschlagen, eine Kommission zur Prüfung der Mandate zu bilden. Das Büro bittet, diese Kommission zu bestätigen. Es sind die Genossen: Rosmer, Meyer, Bombacci, Bucharin, Radek, Rudnyánszky.

(Der Vorschlag wird von dem Kongress angenommen. Die Diskussion über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution wird fortgesetzt.)

Reed. Ich bitte, dass der Gebrauch auch der englischen Sprache von dem Kongress offiziell zugelassen wird. Die Zahl der Genossen, die die englische Sprache beherrschen, ist grösser als die Zahl der Genossen, die andere Sprachen sprechen. Man hat uns einen englischen Übersetzer versprochen, aber wir haben keinen gesehen.

Serrati. Wir werden versuchen, den Genossen Reed zufriedenzustellen, was den Übersetzer betrifft. Aber wie bereits dem Genossen mehrmals erklärt worden ist, kann das Büro den Vorschlag Reeds, den Gebrauch des Englischen als offizielle Sprache zuzulassen, nicht annehmen.

Balabanoff. Genosse Reed, es ist das dritte Mal, dass Sie diesen Vorschlag machen. Die Frage ist bereits entschieden.

Sinowjew. Genossen, ich muss Euch Bericht erstatten über die Arbeit der Kommission, die wir gestern gewählt haben. Die Kommission bestand aus Vertretern von acht Ländern: Deutschland, Russland, Frankreich, England, Amerika, Italien, Holland, Bulgarien. Es waren dabei auch Vertreter der Shop-Steward- Bewegung und der revolutionären Syndikalisten. Das Erfreuliche ist, dass ich Euch mitteilen kann, dass die Resolution von der Kommission einstimmig angenommen wurde. (Beifall.)

Ich werde Euch die Veränderungen mitteilen, die die Kommission beschlossen hat, und muss im voraus sagen, dass die stilistische Arbeit noch bevorsteht. Die Kommission hat eine kleine Redaktionskommission aus drei Mitgliedern gewählt, die aber ihre Arbeit noch nicht vollständig leisten konnte. Es handelt sich nur um rein stilistische Abänderungen.

Die Kommission hat erstens beschlossen, eine andere Einleitung zu den Leitsätzen zu schreiben, da die Einleitung vor dem Kongress geschrieben wurde und wir sie jetzt anders formulieren wollen. Die neue Einleitung soll folgendermassen lauten. (Genosse Sinowjew verliest die neue Einleitung.)

Wir haben beschlossen, in der These 3, in der es sich um die Verwechslung der Begriffe Partei und Klasse handelt und ausschliesslich russische Beispiele angeführt waren, eine ganze Reihe paralleler Beispiele aus der Arbeiterbewegung in verschiedenen Ländern anzuführen.

§ 5 behandelt unsere Meinungsverschiedenheiten mit den revolutionären Syndikalisten und mit den Anhängern der IWW Dieser Paragraph ist ebenfalls einstimmig angenommen worden. Es wurde beschlossen, noch zwei Sätze einzuschieben. Der eine soll darauf hinweisen, dass für uns nicht der Generalstreik, sondern der bewaffnete Aufstand das letzte Mittel ist. Und dies soll für uns ein Motiv mehr sein, eine straff disziplinierte Partei zu haben.

Es scheint uns, dass manche Genossen aus den Reihen der revolutionären Syndikalisten, der IWW und vielleicht auch der Shop-Steward-Bewegung darum die Bedeutung einer straffen politischen Partei unterschätzen, weil manche von ihnen sich die Sache so denken, dass für uns als äusserstes Kampfmittel die Taktik der verschränkten Arme, der Generalstreik, in Betracht kommt. Das ist nicht der Fall.

Das äusserste Kampfmittel ist der bewaffnete Aufstand, und der erfordert eben Organisation der revolutionären Kräfte, eine militärische Organisation und darum eine zentralisierte Partei.

Und das haben wir beschlossen noch einmal einzufügen, damit es für jeden Arbeiter, der revolutionärer Syndikalist ist, verständlich ist.

Der beste Teil der Syndikalisten hat immer erklärt, die Rolle der revolutionären Minderheit (la minorité initiative) sei sehr gross in der Revolution. Das ist wahr. Wir nehmen sie beim Wort und sagen: weil das wahr ist, sollt ihr begreifen, dass eine revolutionäre Minderheit, die kommunistisch gesinnt ist, eben eine kommunistische Partei ist. Dieses Argument wird also noch hinzugefügt.

Dann hat die Kommission ziemlich viel über den § 6 gesprochen, der auch gestern von verschiedenen Seiten kritisiert worden ist. § 6 behandelt die Frage unseres Verhaltens zu den parteilosen Organisationen. Wir haben beschlossen, um Missverständnisse zu vermeiden, das Wort »parteilos« nicht zu gebrauchen und stattdessen den Ausdruck »nicht parteimässig« zu setzen.

Das ist aber nur eine stilistische Änderung. Die Diskussion in der Kommission zeigte uns, dass das ein sehr wichtiger Punkt ist, über den wir uns etwas eingehender verständigen müssen.

Einige Genossen meinten, dass es sich hier um neutrale Gewerkschaften handelt. Das ist nicht der Fall. Wir sind entschieden gegen die Neutralität der Gewerkschaften und erklären, dass dies einfach unmöglich ist. Es handelt sich hier um etwas ganz anderes.

Wir brauchen eine straff zentralisierte Partei. Wir brauchen aber eine Partei, die immer Fühlung mit den Massen hat. Das Wichtigste, was wir den Kommunisten in allen Ländern zu sagen haben, besteht darin, dass wir in allen Etappen des Kampfes enge Fühlung mit den Arbeitermassen haben müssen, die auf verschiedenen Wegen zu erlangen ist, auch auf dem Wege der Kooperation mit parteilosen, nicht parteimässigen Organisationen, Gruppen, Konferenzen. Einige Beispiele werden am besten zeigen, was wir dabei im Auge haben.

In England hat sich die Organisation »Hands off Russia!« geltend gemacht, die recht viel Einfluss gewinnt. Es ist dies eine parteilose Bewegung, die aber ziemlich grosse Massen ergriffen hat. Unsere Meinung geht dahin, dass die Kommunisten an einer solchen Bewegung unbedingt teilnehmen müssen. Sie sollten darin die führende Rolle spielen und dieser Bewegung die Richtung geben. Auch wurden in letzter Zeit grössere nationale und internationale Konferenzen der »Opfer und Invaliden des Weltkrieges« einberufen. Es handelt sich um Millionen von Menschen, die sich auf dieser Basis, wenn auch nur vorübergehend, organisieren. Sollen die Kommunisten da abseits stehen? Im Gegenteil! Diese Organisationen müssen von uns beeinflusst werden.

Ein drittes Beispiel, das wir aus Österreich entnehmen, ist die Wohnungsfrage. Sie wurde in Wien sehr akut und die Arbeiterschaft sehr erregt. Wir haben in Wien einen Arbeiterrat, der sich aber in den Händen der Sozialpatrioten befindet. Die Sozialpatrioten wollen den Arbeitern nicht entgegenkommen. Es herrscht daher eine grosse Erregung in Wien und in anderen Städten, und es könnten sich vielleicht vorübergehend lose Organisatformen der proletarischen Mieter bilden. Sollen die Kommunisten abseits stehen? Keineswegs. Obwohl wir in Wien eine parteimässige kommunistische Organisation haben, müssen und sollen wir doch eine solche nicht parteimässige Vereinigung unterstützen, sie weiter leiten, um die Leute auf diesem Wege zum Kommunismus zu führen.

Jetzt ein Beispiel aus der russischen Revolution. Unsere Partei ist ziemlich stark, und dennoch organisieren wir parteilose Konferenzen von Proletariern, auch parteilosen Bauern. Diese Konferenzen haben für uns grosse Bedeutung. Es gibt grosse Arbeiterkreise, die mit Stolz sagen: wir sind parteilos. Einen solchen Arbeiter nehmen wir beim Wort und sagen ihm: du bist parteilos, aber du bist Proletarier. Wir wollen eine Konferenz aller Parteilosen dieses Betriebs oder dieses Distrikts oder der Stadt organisieren. Willst du an einer solchen Konferenz teilnehmen? Er antwortet: Ja. Eine solche Konferenz findet statt. Welche Fragen wird sie behandeln? Die akutesten Fragen: die Ernährungsfrage, die Frage des polnischen Krieges, die Schulfrage usw. Sollen wir dabei abseits stehen? Keineswegs Wir gehen in eine solche Konferenz, wir nehmen an ihr teil, wir organisieren für sie die Kerntruppe der Kommunisten, und auf diesem Wege führen wir grosse Massen gestern parteiloser Arbeiter heute unserer Partei zu. Das ist eine der besten Formen der Fühlung mit den Massen. Diese Konferenzen sind lose Organisationen, vielleicht Halborganisationen, obwohl sie auf Grund unserer Dekrete grosse Rechte bei uns geniessen. Sie können z. B. Kontrolleure wählen, die Rechte von Staatskontrolleuren in verschiedenen wichtigen Angelegenheiten haben. Es kann vielleicht auch anders organisiert werden. Aber dieses Beispiel ist sehr wichtig. Und wir lenken die Aufmerksamkeit der Parteien, die wie die englische und amerikanische und einige andere noch jung sind und leider noch wenig Fühlung mit den Massen haben, auf diese These. Es ist sehr wichtig, zu begreifen, dass auf diesem Wege eine weit engere Fühlung mit den Arbeitern und armen Bauern zu erzielen ist. Wir glauben, dass in jedem Lande, auch in Deutschland, sich in dieser Beziehung noch sehr viel tun lässt, um nicht nur die besten, sondern auch die breitesten Schichten des Proletariats in die Partei aufzunehmen und sie zum Kommunismus zu führen.

In den anderen Leitsätzen sind nur kleine Änderungen vorgenommen worden. Es ist für die englischen und amerikanischen Genossen wichtig, zu wissen, dass wir dort, wo wir von den Labouristen sprechen und sagen: »Die Labouristen jeglicher Art in England und in Amerika predigen den Arbeitern die Schaffung von formlosen Arbeiterverbänden an Stelle der politischen Partei« gesetzt haben: die »gelben Labouristen«. Es handelt sich hier nicht um die Shop-Stewards, sondern um die Henderson. Die gelben Labouristen propagieren Parteilosigkeit, oder sie bilden verschwommene, nur parlamentarisch-politische Vereinigungen, wie wir es formuliert haben. Die Labour Party ist eben eine solche verschwommene Vereinigung. Wenigstens die Henderson wollen, dass ihre Partei so aussieht.

Das sind die wichtigsten Abänderungen, die wir vorgenommen haben. Den Zusatzantrag McLaine haben wir beschlossen. gesondert zu behandeln. Er hat dazu seine Zustimmung gegeben. Wir werden die Lage in der englischen, vielleicht auch die in der amerikanischen Partei ausführlich in einer besonderen Kommission behandeln und den englischen und amerikanischen Genossen eine präzise Antwort in dieser Frage geben.

So sieht die Arbeit der Kommission aus, und wie ich betonte, hat die Kommission die Resolution einstimmig angenommen.

Ich möchte noch ein paar Worte über einige Argumente sagen, die gestern gegen mein Referat vorgebracht worden und noch nicht widerlegt sind. Zunächst der Einwand des Genossen Pestaña, des spanischen Syndikalisten. Er sagt: Ja, wenn schon eine Partei, dann, wie es in Frankreich war, die Partei als Ergebnis der Revolution. Die jakobinische Partei wurde ja erst als Ergebnis der französischen Revolution geboren. Genosse Pestaña wollte damit sagen, dass wir auch jetzt vor der proletarischen Revolution so vorgehen sollen. Er stellt eine Partei erst als Ergebnis der Revolution in Aussicht. Ist das richtig? Ich glaube nicht. Auch wenn dem so wäre – und dem ist nicht so – ist denn das wirklich ein Argument dafür, dass wir jetzt im Jahre 1920, wo wir gegen eine ganze Welt von bis an die Zähne bewaffneten bürgerlichen Parteien zu kämpfen haben, die Frage so stellen sollen, dass wir erst »als Ergebnis« der Revolution eine Partei bilden sollen? Was machen wir aber während der Revolution? Wer wird die besten Reihen der Arbeiter im Anfang der Revolution organisieren? Wer wird vorbereiten, das Programm ausarbeiten, es propagieren? Ich glaube, dass wir jedem Arbeiter, auch jedem revolutionären Syndikalisten, dem es ernst ist mit der proletarischen Revolution – und ich weiss, dass Genosse Pestaña zu diesen Genossen gehört, die die Sache der Revolution ernst nehmen – sagen müssen, dass die Folgerung daraus die sein muss, dass wir nicht abwarten, bis die Revolution kommt, uns überrascht und als ihr Ergebnis eine Partei sich herauskristallisiert, sondern dass wir schon jetzt, ohne eine Stunde zu säumen, diese Partei zu organisieren beginnen.

Der Genosse Pestaña sagt weiter: In Russland haben nicht die Kommunisten die Revolution gemacht, sondern das Volk. Das ist richtig. Wir wollen das gar nicht leugnen, das Volk hat die Revolution gemacht, wenn man überhaupt von Revolutionen »machen« sprechen kann. Aber die kommunistische Partei ist der beste Teil des arbeitenden Volkes, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist gar nicht so wenig, eine organisierte Kerntruppe zu sein, die den Volksmassen vorangeht, die besten Leute um sich sammelt und die Arbeitermassen weiterführt.

Ich möchte noch einiges über die »Autonomie« sagen, von der man gestern gesprochen hat. Von verschiedenen Seiten hörten wir gestern, dass man die Entscheidung dieser oder jener Fragen den Parteien der betreffenden Länder überlassen, dass man die Autonomie nicht antasten solle. Ich glaube, das sind die Nachklänge der Autonomie, die die II. Internationale propagiert hat. Das müssen wir offen aussprechen. Selbstverständlich muss eine gewisse Autonomie für jede Partei bestehen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber es gibt Autonomie und Autonomie. Wir wissen, dass die Revisionisten schon vor 15 Jahren die Losung der Autonomie angenommen haben und immer damit kommen, nicht nur im internationalen Masstabe, sondern innerhalb der eigenen Partei, wo sie sagen: Berlin, Leipzig, kurz jede Stadt muss autonom sein. Die Erfahrung unserer russischen Revolution lehrt, dass es, wenn wir das so auffassen wollten, keine Partei gäbe, sondern eine Anzahl Parteien. In Frankreich ist es auch jetzt so, man sagt dort »die Partei von Paris«, die »Partei von Lyon«, usw. So lautet der technische Ausdruck. Das ist die Autonomie in dem von der II. Internationale überlieferten Sinne. Wir brauchen keine Partei, die in jeder Stadt »autonom« ist. Wir brauchen eine zentralisierte Partei im nationalen wie auch im internationalen Masstabe.

Ich weiss sehr gut, dass, wenn wir jetzt Statuten der Kommunistischen Internationale schaffen, die auf dem Prinzip des Zentralismus beruhen, das noch nicht bedeutet, dass wir schon eine einheitliche revolutionäre Internationale haben. Wir müssen sie noch erkämpfen. Und es versteht sich, dass es nicht anders geht, als dass man sich fügen muss. Es ist besser, manchmal Fehler zu machen und sich doch der Gesamtheit zu fügen, als eine solche »Autonomie« durchzuführen, die die Zersplitterung der Arbeiterklasse bedeutet. In dem Statut der I. Internationale von Marx ist gesagt: Wenn wir Lohnsklaven bleiben, wenn der Kampf der Arbeiterklasse so lange ohne Erfolg vor sich geht, so darum, weil wir so zersplittert sind, weil die Arbeiter es nicht begreifen, dass man eine geschlossene Organisation haben muss. während der 50 Jahre ist ein grosser Zeitabschnitt der Geschichte verstrichen. Der imperialistische Krieg hat uns gezeigt, und jeder Arbeiter versteht es heute schon, dass das Schicksal der Arbeiterklasse jedes Landes verbunden ist mit dem Schicksal der Arbeiterklasse aller anderen Länder. Der Krieg hat uns das nur zu handgreiflich gezeigt. Es handelt sich jetzt darum, dass wir die nötigen Schlussfolgerungen ziehen und die Massen davon überzeugen, damit sie verstehen, dass man eine solche zentralisierte internationale Organisation haben muss.

Die einstimmige Annahme der Resolution, die die geschichtliche Bedeutung der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution zum Ausdruck bringt, die Einstimmigkeit, die wir auch auf dem Kongress selbst, wie ich hoffe, erzielen werden, ist von grösster historischer Wichtigkeit. Der Sozialismus hat eine schreckliche Krise durchgemacht. Es brodelt überall. In allen Ländern gibt es verschiedene Gruppen; die Arbeiter suchen den richtigen Weg. Wir müssen nicht, wie es die II. Internationale getan hat, die Arbeiter, die noch nicht vollkommen mit uns sind, aber zu uns gehören, verfolgen, sie auslachen, wie das in der II. Internationale geschah, sobald sich Tendenzen nach links bemerkbar machten. Solche Genossen müssen wir im Gegenteil in unsere Reihen aufnehmen, mit ihnen die Fragen studieren, mit ihnen diskutieren, ihre Irrtümer aufdecken, damit sie von ihnen geheilt werden. Diese Tatsache ist der beste Beweis der Lebensfähigkeit der Kommunistischen Internationale. Darin besteht eben ihr Wesen, dass wir alle revolutionären Elemente der Arbeiterklasse zusammenfassen, ob sie gestern Syndikalisten waren, ob sie der Shop-Steward-Bewegung angehörten, wenn es nur Genossen sind, die verstanden haben, was revolutionärer Kampf bedeutet, die für die Diktatur sind, die gezeigt haben, dass sie mit uns zusammen kämpfen wollen. Sie müssen in unseren Reihen sein. Dann werden sie sich von Tag zu Tag über alle Fragen klarer werden.

Wenn wir diese Richtlinien im Leben durchführen und jedes Wort in die Tat umsetzen, so wird das bedeuten, dass wir endlich anfangen, eine wirklich internationale, einheitliche kommunistische Partei zu bilden, und das sollen wir eigentlich sein. Wir sollen eine einzige kommunistische Partei sein, die Abteilungen in verschiedenen Ländern hat. (Beifall.) Das soll der Sinn der Kommunistischen Internationale sein. Als die russischen Kommunisten als die ersten vorangegangen waren und sich statt Sozialdemokraten Kommunisten genannt hatten, wurde bei uns der Vorschlag gemacht, sich nicht Kommunistische Partei Russlands, sondern einfach Kommunistische Partei zu nennen. Wir sollen eine einzige Partei sein, die ihre Sektionen in Russland, in Deutschland, in Frankreich usw. hat, eine Partei, die ganz bewusst und systematisch ihren Weg geht. Nu dann werden wir die Konzentration unserer Kräfte erlangen, nur unter dieser Vorbedingung wird jede Gruppe der internationalen Arbeiterklasse immer im gegebenen Moment die höchstmögliche Unterstützung anderer Länder haben können. Das müssen wir den Genossen klar und deutlich sagen.

Jetzt gibt es noch in der Kommunistischen Internationale innerhalb der uns schon angeschlossenen Parteien einen Fremdkörper, der nicht zu uns gehört. Ich meine die Reformisten. Wir sagen das in jeder Rede und werden es immer wiederholen, bis dem endlich ein Ziel gesetzt wird. Am Anfang des imperialistischen Krieges wurde der Satz geprägt: Der Feind steht im eigenen Lande. Man meinte die Bourgeoisie. Solange wir noch einen reformistischen Flügel dulden in einer Partei, die sich kommunistisch nennt, wie z. B. die italienische, solange wir vollkommene Reformisten, d. h. bürgerliche Ideologen, in unseren Reihen haben, müssen wir Alarm schlagen und erklären: Der Feind sitzt im eigenen Hause. (Beifall.)

Deshalb sagen wir den italienischen Genossen: Der Feind sitzt in Eurem eigenen Hause, Ihr müsst ihn hinaustreiben.

Da wir auf dem Wege zum Siege sind, wollen sich die Reformisten bei uns einschleichen. Sie haben eine gute Nase, diese Herrschaften. Sie spüren ihre Niederlage, und wenn man sie durch das Fenster hinauswirft, so kommen sie durch die Tür wieder herein. (Beifall.) Sie unterzeichnen manchmal unsere Resolutionen und bleiben, was sie waren. Sie bleiben Reformisten, sie bleiben Verfechter der Sache der Bourgeoisie im Lager des Proletariats. Die Bourgeoisie existiert jetzt nur noch mit Hilfe der Sozialpatrioten, die nicht verstehen, dass die bürgerliche Klasse unser Gegner ist. Die Bourgeoisie könnte sich jetzt keine sechs Monate mehr halten, hätte sie nicht die Herren Sozialpatrioten, hätten wir nicht die gelbe Internationale in Amsterdam, hätten wir nicht Leute, die in den Arbeiterparteien und Gewerkschaften sitzen, um unseren Kampf zu sabotieren.

Ein einfacher Arbeiter aus Helsingfors in Finnland, der 11 ½ Jahre unter dem weissen Terror in Finnland illegal gearbeitet hat, erzählt mir unlängst, wie schwierig der Kampf dort ist und wie sich die finnischen Arbeiter dennoch organisieren. Er sagte dabei: Bei uns weiss jeder einfache revolutionäre Arbeiter – wenn die Stunde kommt, dann zuerst mit den weissen Sozialdemokraten brechen, zunächst mit den Verrätern abrechnen. (Grosser Beifall.) Die Bourgeoisie wird schon drankommen, ihre Stunde wird schlagen. Aber zunächst mit diesen Arbeiterverrätern abrechnen, die die Schuld daran tragen, dass Tausende von unseren Genossen hingeschlachtet worden sind und der weisse Terror überall wütet.

Diese einfachen Gefühle des finnischen Arbeiters sind die echte politische Wahrheit und nicht das, was die schlechte Diplomatie einiger unserer guten Genossen hervorgebracht hat. Turati hat eine gute Arbeiterhymne verfasst vor 25 Jahren, er mag jetzt ein guter Familienvater sein, sollen wir darum diesen Saboteur der proletarischen Partei in der Partei lassen? Vielleicht wird Hilferding noch einmal gnädigst zugestehen, dass man die Bourgeoisie beim Kragen fassen muss. Also sollen wir diesem verräterischen Sozialpatrioten und Sozialpazifisten die Redaktion unseres Organs überlassen?

Nein, das geht nicht. Recht hat der einfache finnische Arbeiter, der die Lage gut erfasst hat nach alledem, was er an seinem eigenen Körper während dieser schrecklichen Jahre erlitten hat. Wir wollen unseren Genossen ganz klar und offen sagen: Es ist vielleicht eine grosse Tragödie für manchen alten Genossen, der mit seinen alten Freunden brechen muss. Das ist aber nicht zu ändern, ein neuer Abschnitt der Geschichte hat angefangen. Diesem besten Teil der alten Führer sagen wir: Ihr müsst verstehen, dass eine neue Epoche angebrochen ist. Ihr müsst sagen: Wir haben geirrt, wir kommen zu Euch, wir wollen mit Euch jetzt die proletarische Revolution weiterführen.

Das soll die einstimmige Annahme der Leitsätze über die wichtige Rolle der kommunistischen Partei in der kommenden, wachsenden, nahenden proletarischen Revolution bedeuten.

(Grosser Beifall. Pause.)

Sinowjew. Ich erkläre die Sitzung für eröffnet. Wir werden jetzt den Punkt über die Rolle der kommunistischen Partei diskutieren. Es ist fraglich, ob wir eine Diskussion brauchen oder einfach abstimmen können; ich bin der Meinung, dass man einfach abstimmen kann, aber der Kongress soll beschliessen. Die Leitsätze lauten wie folgt:

Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution.

Das Weltproletariat steht vor entscheidenden Kämpfen. Die Epoche, in der wir jetzt leben, ist die Epoche der offenen Bürgerkriege. Die entscheidende Stunde naht. Fast in allen Ländern, in denen es eine bedeutende Arbeiterbewegung gibt, steht die Arbeiterklasse vor einer Reihe erbitterter Kämpfe, mit der Waffe in der Hand.
Mehr als jemals braucht die Arbeiterklasse straffe Organisation. Unermüdlich muss sie sich jetzt für diese Kämpfe vorbereiten, ohne eine einzige Stunde der kostbaren Zeit zu verlieren.
Hätte die Arbeiterklasse während der Pariser Kommune (1871) eine straffe, wenn auch kleine kommunistische Partei gehabt, so würde der erste heroische Aufstand der französischen Proletarier viel stärker ausgefallen sein, und viele Irrtümer und Schwächen hätten vermieden werden können.
Die Kämpfe, die dem Proletariat jetzt in einer anderen historischen Situation bevorstehen, werden viel schicksalsschwerer sein als im Jahre 1871. Der zweite Weltkongress der Kommunistischen Internationale macht daher die revolutionäre Arbeiterschaft der ganzen Welt auf folgendes aufmerksam:

1. Die kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der fortgeschrittenste, klassenbewussteste und daher revolutionärste. Die kommunistische Partei wird auf dem Wege der natürlichen Auslese der besten, klassenbewusstesten, opferwilligsten, weitsichtigsten Arbeiter geschaffen. Die kommunistische Partei hat keine von den Interessen der gesamten Arbeiterklasse abweichenden Interessen. Die kommunistische Partei unterscheidet sich von der gesamten Arbeiterklasse dadurch, dass sie eine Übersicht über den ganzen historischen Weg der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit hat und bestrebt ist, auf allen Biegungen dieses Weges nicht die Interessen einzelner Gruppen oder einzelner Berufe zu verteidigen, sondern die Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit. Die kommunistische Partei ist der organisatorisch-politische Hebel, mit dessen Hilfe der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterklasse die gesamte Masse des Proletariats und des Halbproletariats auf den richtigen Weg lenkt.

2. Bis zu der Zeit, wo die Staatsmacht vom Proletariat erobert worden ist und das Proletariat seine Herrschaft ein für allemal gefestigt und vor bürgerlicher Restauration gesichert hat – bis dahin wird die kommunistische Partei in ihren Reihen nur die Minderheit der Arbeiter organisiert haben. Bis zur Ergreifung der Macht und in der Übergangszeit vermag die kommunistische Partei unter günstigen Umständen einen ungeteilten geistigen und politischen Einfluss auf alle proletarischen und halbproletarischen Schichten der Bevölkerung auszuüben, vermag aber nicht, sie all in ihren Reihen organisatorisch zu vereinigen. Erst nachdem die proletarische Diktatur so mächtige Beeinflussungsmittel wie die Presse, die Schule, das Parlament, die Kirche, den Verwaltungsapparat usw. der Bourgeoisie aus den Händen gewunden hat, erst nachdem die endgültige Niederlage der bürgerlichen Ordnung für alle klar wird – erst dann werden alle oder fast alle Arbeiter beginnen, in die Reihen der kommunistischen Partei einzutreten.

3. Die Begriffe Partei und Klasse müssen strengstens auseinander gehalten werden. Die Mitglieder der »christlichen« und liberalen Gewerkschaften Deutschlands, Englands und anderer Länder sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Die noch hinter Scheidemann, Gompers und Konsorten stehenden mehr oder minder bedeutenden Arbeiterkreise sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Unter gewissen historischen Verhältnissen ist es sehr wohl möglich, dass die Arbeiterklasse von sehr zahlreichen reaktionären Schichten durchsetzt ist. Die Aufgabe des Kommunismus besteht nicht in der Anpassung an diese zurückgebliebenen Teile der Arbeiterklasse, sondern darin, die gesamte Arbeiterklasse bis zum Niveau des kommunistischen Vortrupps zu heben. Die Verwechslung dieser zwei Begriffe – Partei und Klasse – kann zu den grössten Fehlern und zur Konfusion führen. So ist es z. B. klar, dass trotz der Stimmungen und der Vorurteile eines gewissen Teiles der Arbeiterklasse während des imperialistischen Krieges die Arbeiterpartei um jeden Preis diesen Stimmungen und Vorurteilen entgegenzutreten hatte, indem sie die historischen Interessen des Proletariats vertrat, die erforderten, dass die proletarische Partei Krieg dem Kriege erklärt.
So beriefen sich z. B. bei Beginn des imperialistischen Krieges im Jahre 1914 die Parteien der Sozialverräter aller Länder, indem sie die Bourgeoisie ihres »eigenen« Landes unterstützten, stets konsequent auf den entsprechend lautenden Willen der Arbeiterklasse. Sie vergassen dabei, dass, selbst wenn dem so wäre, es die Aufgabe der proletarischen Partei bei solcher Lage der Dinge sein müsste, den Stimmungen der Mehrheit der Arbeiter entgegenzutreten und trotz alledem die historischen Interessen des Proletariats zu vertreten. So verwarfen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die russischen Menschewiki jener Zeit (die sog. Ökonomisten) den offenen politischen Kampf gegen den Zarismus mit der Begründung, die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit sei noch nicht zum Verständnis des politischen Kampfes gereift.
So berufen sich immer die rechten Unabhängigen Deutschlands in allen ihren Halbheiten darauf, dass die »Massen das wünschen«, ohne zu verstehen, dass die Partei dazu da ist, den Massen voranzugehen und ihnen den Weg zu zeigen.

4. Die Kommunistische Internationale hält beharrlich an der Überzeugung fest, dass der Zusammenbruch der alten »sozialdemokratischen« Parteien der Zweiten Internationale unter keinen Umständen als Zusammenbruch des proletarischen Parteiwesens überhaupt dargestellt werden darf. Die Epoche des direkten Kampfes um die Diktatur des Proletariats bringt eine neue Partei des Proletariats zur Welt: die kommunistische Partei.

5. Die Kommunistische Internationale verwirft auf das entschiedenste die Ansicht, als könne das Proletariat seine Revolution vollziehen, ohne eine selbständige politische Partei zu haben. Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf. Das Ziel dieses Kampfes, der sich unvermeidlich in einen Bürgerkrieg verwandelt, ist die Eroberung der politischen Macht. Die politische Macht kann nicht anders ergriffen, organisiert und geleitet werden als durch irgendeine politische Partei. Nur in dem Fall, wenn das Proletariat als Führer eine organisierte und erprobte Partei mit streng ausgeprägten Zielen und mit handgreiflich ausgearbeitetem Programm über die nächsten Massnahmen sowohl auf dem Gebiet der inneren, wie auch der auswärtigen Politik hat, wird die Eroberung der politischen Macht nicht als zufällige Episode erscheinen, sondern sie wird als Ausgangspunkt dienen zu einem dauernden kommunistischen Aufbau der Gesellschaft durch das Proletariat.
Derselbe Klassenkampf erfordert gleichfalls die zentrale Zusammenfassung und die gemeinsame Leitung der verschiedenartigen Formen der proletarischen Bewegung (Gewerkschaften, Konsumvereine, Betriebsräte, Bildungsarbeit, Wahlen und dergleichen). Ein derartiges zusammenfassendes und leitendes Zentrum vermag nur eine politische Partei zu sein. Der Verzicht, eine solche zu schaffen und zu stärken, sich einer solchen unterzuordnen, bedeutet den Verzicht auf die Einheitlichkeit in der Führung der einzelnen Kampftrupps des Proletariats, die auf den verschiedenen Kampfplätzen vorgehen. Der Klassenkampf des Proletariats erfordert eine konzentrierte Agitation, welche die verschiedenen Etappen des Kampfes von einem einheitlichen Standpunkt beleuchtet und die Aufmerksamkeit des Proletariats in jedem betreffenden Augenblick auf bestimmte, der gesamten Klasse gemeinsame Aufgaben lenkt. Das kann ohne einen zentralisierten politischen Apparat, d. h. ausserhalb einer politischen Partei, nicht durchgeführt werden. Die von den revolutionären Syndikalisten und den Anhängern der Industriearbeiter der Welt (IWW) betriebene Propaganda gegen die Notwendigkeit einer selbständigen Arbeiterpartei trug und trägt daher sachlich nur zur Unterstützung der Bourgeoisie und der gegenrevolutionären »Sozialdemokraten« bei. In ihrer Propaganda gegen eine kommunistische Partei, die sie ausschliesslich durch Gewerkschaften oder irgendwelche formlosen »allgemeinen« Arbeiterunionen ersetzen wollen, berühren sich die Syndikalisten und Industrialisten mit unverhüllten Opportunisten. Die russischen Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution 1905 einige Jahre lang die Idee des sogenannten Arbeiterkongresses gepredigt, der die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ersetzen sollte. Die »gelben Labouristen« jeglicher Art in England und in Amerika predigen den Arbeitern die Schaffung von formlosen Arbeiterverbänden oder verschwommenen, nur parlamentarischen Vereinigungen an Stelle der politischen Partei und setzen gleichzeitig eine durchaus bürgerliche Politik in die Tat um. Die revolutionären Syndikalisten und Industrialisten wollen gegen die Diktatur der Bourgeoisie kämpfen, wissen aber nicht, wie. Sie merken nicht, dass die Arbeiterklasse ohne eine selbständige politische Partei ein Rumpf ohne Kopf ist.
Revolutionärer Syndikalismus und Industrialismus bedeuten einen Schritt vorwärts nur im Vergleich mit der alten, dumpfen, gegenrevolutionären Ideologie der Zweiten Internationale. Im Vergleich aber mit dem revolutionären Marxismus, d. h. mit dem Kommunismus, bedeuten Syndikalismus und Industrialismus einen Schritt rückwärts. Die Erklärung der »linken« KAPD auf ihrem Gründungsparteitag im April, dass sie eine Partei gründe, aber »keine Partei im überlieferten Sinne«, bedeutet eine geistige Kapitulation vor denjenigen Anschauungen des Syndikalismus und Industrialismus, die reaktionär sind.
Allein durch den Generalstreik, durch die Taktik der verschränkten Arme, kann die Arbeiterklasse nicht den Sieg über die Bourgeoisie davontragen. Das Proletariat muss zum bewaffneten Aufstand greifen. Wer das verstanden hat, wird auch begreifen müssen, dass dazu eine organisierte politische Partei not tut und formlose Arbeiterunionen nicht genügen.
Die revolutionären Syndikalisten sprechen oft von der grossen Rolle einer entschlossenen revolutionären Minderheit. Nun, eine wirklich entschlossene Minderheit der Arbeiterklasse, eine Minderheit, die kommunistisch ist, die handeln will, die ein Programm hat, die den Kampf der Massen organisieren will, ist eben die kommunistische Partei.

6. Die wichtigste Aufgabe einer wirklich kommunistischen Partei besteht darin, immer in engster Fühlung mit den breitesten Schichten der Proletarier zu bleiben.
Um das zu erreichen, können und sollen die Kommunisten auch in solchen Vereinigungen wirken, die nicht parteimässig sind, die aber grosse Proletarierschichten umfassen, z. B. Kriegsbeschädigtenorganisationen in verschiedenen Ländern, Komitees der »Hands off Russia« in England, proletarische Mietervereine usw. Besonders wichtig ist das russische Beispiel der sogenannten »parteilosen« Arbeiter- und Bauernkonferenzen. Solche Konferenzen werden fast in jeder Stadt, in jedem Arbeiterviertel und auch auf dem Lande organisiert. Bei den Wahlen zu diesen Konferenzen beteiligen sich die breitesten Massen auch der zurückgebliebenen Arbeiter. Auf die Tagesordnung werden die aktuellsten Fragen gestellt: Ernährungsfrage, Wohnungsfrage, militärische Fragen, Schulfrage, politische Aufgaben des Tages etc. Die Kommunisten beeinflussen diese »parteilosen« Konferenzen auf das eifrigste – und mit grösstem Erfolg für die Partei.
Die Kommunisten halten für ihre wichtigste Aufgabe die systematische organisatorisch-erzieherische Arbeit innerhalb dieser weiten Arbeiterorganisationen. Aber um eben diese Arbeit erfolgreich zu gestalten, um die Gegner des revolutionären Proletariats daran zu hindern, dass sie sich dieser weiten Arbeiterorganisationen bemächtigen, müssen die fortgeschrittenen kommunistischen Arbeiter ihre eigene, selbständige, geschlossene kommunistische Partei bilden, die stets organisiert vorgeht und die imstande ist, bei jeder Wendung der Ereignisse und bei allen Formen der Bewegung die allgemeinen Interessen des Kommunismus wahrzunehmen.

7. Die Kommunisten meiden keineswegs nicht parteigemässe Massenorganisationen der Arbeiter. Sie scheuen sich unter Umständen selbst dann nicht, wenn sie einen ausgeprägt reaktionären Charakter tragen (gelbe Verbände, christliche Verbände usw.), an ihnen teilzunehmen und sie auszunutzen. Die kommunistische Partei leistet innerhalb dieser Organisationen beständig ihre Propaganda und überzeugt die Arbeiter unermüdlich, dass die Idee der Parteilosigkeit als Prinzip von der Bourgeoisie und ihren Handlangern zielbewusst unter den Arbeitern gefördert wird, um die Proletarier vom organisierten Kampf für den Sozialismus abzulenken.

8. Die alte »klassische« Einteilung der Arbeiterbewegung in drei Formen – Partei, Gewerkschaften und Genossenschaften – ist offenbar überholt. Die proletarische Revolution in Russland hat die Grundform der proletarischen Diktatur – die Sowjets – geschaffen. Die Neueinteilung, der wir überall entgegengehen, ist: 1. Partei, 2. Sowjet, 3. Produktionsverband (Gewerkschaft). Aber auch die Arbeiterräte wie auch die revolutionären Produktionsverbände müssen beständig und systematisch von der Partei des Proletariats, d. h. von der kommunistischen Partei, geleitet werden. Der organisierte Vortrupp der Arbeiterklasse: die kommunistische Partei, die in gleichem Masse die Kämpfe der gesamten Arbeiterklasse auf wirtschaftlichem wie politischem Gebiet, wie auch auf dem Gebiet des Bildungswesens leiten muss, muss den lebendigen Geist bilden, sowohl in den Produktionsverbänden und Arbeiterräten, als auch in allen anderen Formen der proletarischen Organisation.
Die Entstehung der Sowjets als historische Grundform der Diktatur des Proletariats schmälert keineswegs die führende Rolle der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution. Wenn von den »linken« Kommunisten Deutschlands (siehe ihren Aufruf an das deutsche Proletariat vom 14. April 1920, gezeichnet »Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands«) erklärt wird, »dass auch die Partei sich immer mehr dem Rätegedanken anpasst und proletarischen Charakter annimmt« (»K.A.Z.« Nr. 54), so ist das ein verworrener Ausdruck der Idee, als müsse sich die kommunistische Partei in den Räten auflösen, als könnten die Räte die kommunistische Partei ersetzen.
Diese Idee ist grundfalsch und reaktionär.
In der Geschichte der russischen Revolution erlebten wir einen ganzen Abschnitt, in dem die Sowjets gegen die proletarische Partei marschierten und die Politik der Agenten der Bourgeoisie unterstützten. Dasselbe war auch in Deutschland zu beobachten. Das gleiche ist auch in anderen Ländern möglich.
Damit die Sowjets ihren geschichtlichen Aufgaben gerecht zu werden vermögen, ist im Gegenteil das Bestehen einer kräftigen kommunistische Partei notwendig, einer Partei, die sich nicht einfach den Sowjets »anpasst«, sondern die in der Lage ist, diese selbst zu veranlassen, der »Anpassung« an die Bourgeoisie und die weissgardistische Sozialdemokratie zu entsagen, einer Partei, die vermittels der kommunistischen Fraktionen der Sowjets imstande ist, die Sowjets ins Schlepptau der kommunistischen Partei zu nehmen.
Wer der kommunistischen Partei den Vorschlag macht, sich den Sowjets »anzupassen«, wer in einer solchen Anpassung die Stärkung des »proletarischen Charakters« der Partei sieht, der erweist sowohl der Partei wie den Sowjets einen höchst fraglichen Dienst, der begreift weder die Bedeutung der Partei noch die der Sowjets. Die »Sowjetidee« wird um so eher siegen, je stärker die von uns in jedem Lande geschaffene Partei sein wird. Für die »Sowjetidee« legen jetzt auch viele »Unabhängige« und sogar Rechtssozialisten ein Lippenbekenntnis ab. Diesen Elementen werden wir nur dann verwehren können, die Sowjetidee zu verdrehen, wenn wir eine starke kommunistische Partei haben, die imstande ist, die Politik der Sowjets ausschlaggebend zu beeinflussen.

9. Die Arbeiterklasse benötigt der kommunistischen Partei nicht nur bis zur Eroberung der Macht, nicht nur während der Eroberung der Macht, sondern auch nach Übergang der Macht in die Hände der Arbeiterklasse. Die Geschichte der seit bald drei Jahren an der Macht stehenden Kommunistischen Partei Russlands zeigt, dass die Bedeutung der kommunistischen Partei nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse sich nicht verringert, sondern im Gegenteil ausserordentlich zunimmt.

10. Am Tage der Eroberung der Macht durch das Proletariat bleibt seine Partei dennoch nach wie vor nur ein Teil der Arbeiterklasse. Das ist gerade derjenige Teil der Arbeiterklasse, der den Sieg organisierte: seit zwei Jahrzehnten wie in Russland, seit einer Reihe von Jahren wie in Deutschland, führt die kommunistische Partei ihren Kampf nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern auch gegen diejenigen »Sozialisten«, welche die Träger der bürgerlichen Beeinflussung des Proletariats sind; sie nahm in ihre Reihen die standhaftesten, weitsichtigsten und fortgeschrittensten Kämpfer der Arbeiterklasse auf. Nur bei Vorhandensein einer derartigen geschlossenen Organisation der Elite der Arbeiterklasse ist es möglich, alle die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich der Arbeiterdiktatur am Tage nach dem Siege in den Weg stellen. In der Organisierung einer neuen proletarischen roten Armee, in der tatsächlichen Vernichtung des bürgerlichen Staatsapparats und in dessen Ersetzung durch Keime eines neuen proletarischen Staatsapparats, im Kampf gegen zünftige Tendenzen einzelner Arbeitergruppen, im Kampf gegen den Lokal- und Bezirks-»Patriotismus«, in der Anbahnung von Wegen zur Schaffung einer neuen Arbeitsdisziplin – auf allen diesen Gebieten gehört das entscheidende Wort der kommunistischen Partei. Ihre Mitglieder müssen durch das eigene Beispiel die Mehrheit der Arbeiterklasse anfeuern und führen.

11. Die Notwendigkeit einer politischen Partei des Proletariats fällt erst mit der völligen Auflösung der Klassen weg. Auf dem Wege zu diesem endgültigen Siege des Kommunismus ist es möglich, dass die historische Bedeutung der drei Grundformen der proletarischen Organisation der Gegenwart (Partei, Sowjets, Produktionsverbände) sich verändern wird und dass sich allmählich der einheitliche Typus der Arbeiterorganisation herauskristallisiert. Die kommunistische Partei wird sich aber erst dann vollständig in der Arbeiterklasse auflösen, wenn der Kommunismus aufhört, ein Kampfobjekt zu sein, und die gesamte Arbeiterklasse kommunistisch geworden ist.

12. Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale bestätigt nicht nur die geschichtlichen Aufgaben der kommunistischen Partei überhaupt, sondern sagt dem internationalen Proletariat, wenn auch in allgemeinen Umrissen, was für eine kommunistische Partei wir benötigen.

13. Die Kommunistische Internationale ist der Ansicht, dass besonders in der Zeit der Diktatur des Proletariats die kommunistische Partei auf der Grundlage eines eisernen proletarischen Zentralismus aufgebaut werden muss. Um die Arbeiterklasse mit Erfolg in dem ausgebrochenen langwierigen und harten Bürgerkriege zu führen, muss die kommunistische Partei in ihren eigenen Reihen eine eiserne, militärische Ordnung schaffen. Die Erfahrungen der Kommunistischen Partei, die im Verlauf von drei Jahren im russischen Bürgerkriege die Führung der Arbeiterklasse hatte, haben gezeigt, dass ohne die strengste Disziplin, ohne vollendeten Zentralismus und ohne volles kameradschaftliches Vertrauen aller Parteiorganisationen zu der leitenden Parteizentrale der Sieg der Arbeiter unmöglich ist.

14. Die kommunistische Partei muss auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus aufgebaut werden. Das Hauptprinzip des demokratischen Zentralismus bildet die wählbarkeit der oberen Parteizellen durch die untersten, die unbedingte und unerlässliche Verbindlichkeit aller Vorschriften der übergeordneten Instanz für die untergeordnete und das Vorhandensein eines starken Parteizentrums, dessen Autorität allgemein anerkannt ist für alle führenden Parteigenossen in der Zeit von einem Parteitag bis zum andern.

15. Eine Reihe kommunistischer Parteien Europas und Amerikas ist infolge des von der Bourgeoisie gegen die Kommunisten verhängten Belagerungszustandes gezwungen, eine illegale Existenz, zu führen. Man muss dessen eingedenk sein, dass man bei einer derartigen Lage der Dinge mitunter gezwungen ist, von der strengen Durchführung des Prinzips der wählbarkeit abzusehen und den leitenden Parteieinrichtungen das Recht der Kooptierung (Vervollständigung) zu überlassen, wie das seinerzeit in Russland der Fall gewesen ist. Unter dem Belagerungszustande vermag die kommunistische Partei sich nicht bei jeder ernsten Frage des demokratischen Referendums zu bedienen, sie ist vielmehr gezwungen, ihrem leitenden Zentrum das Recht einzuräumen, im nötigen Augenblick wichtige Beschlüsse für alle Parteimitglieder zu fassen.

16. Die Propagierung einer weiten »Autonomie« für die einzelnen lokalen Parteiorganisationen schwächt gegenwärtig nur die Reihen der kommunistischen Partei, untergräbt ihre Aktionsfähigkeit und begünstigt die kleinbürgerlichen, anarchistischen, auflösenden Tendenzen.

17. In den Ländern, in denen noch die Bourgeoisie oder die gegenrevolutionäre Sozialdemokratie an der Macht ist, müssen die kommunistischen Parteien es lernen, die legale Tätigkeit planmässig mit der illegalen zu verbinden. Dabei muss sich die legale Arbeit stets unter der tatsächlichen Kontrolle der illegalen Partei befinden. Die kommunistischen Parlamentsfraktionen, sowohl in den zentralen (Reichs-) wie in den lokalen (Landes- bzw. Gemeinde-) Staatsinstitutionen müssen völlig der Kontrolle der Gesamtpartei unterstellt werden – ganz abgesehen davon, ob die Gesamtpartei im gegebenen Augenblick legal oder illegal ist. Diejenigen Abgeordneten, die sich in irgendeiner Form weigern, sich der Partei unterzuordnen, müssen aus den Reihen der Kommunisten ausgestossen werden.
Die legale Presse (Zeitungen, Verlag) muss unbedingt völlig der Gesamtpartei und ihrem Zentralkomitee unterstellt werden.

18. Die Grundlage der gesamten Organisationstätigkeit der kommunistischen Partei muss überall die Schaffung einer kommunistischen Zelle sein, mag auch die Anzahl der beteiligten Proletarier und Halbproletarier mitunter noch so gering sein. In jedem Sowjet, in jeder Gewerkschaft, in jedem Konsumverein, in jedem Betrieb, in jedem Einwohnerausschuss (Mieterrat), überall, wo sich auch nur drei Mann finden, die für den Kommunismus eintreten, muss sofort eine kommunistische Zelle gegründet werden. Nur die Geschlossenheit der Kommunisten ist es, die dem Vortrupp der Arbeiterklasse die Möglichkeit gibt, die gesamte Arbeiterklasse zu führen. Alle kommunistischen Parteizellen, die in den nicht parteimässigen Organisationen arbeiten, sind der Gesamtparteiorganisation unbedingt untergeordnet, ganz abgesehen davon, ob die Partei in dem betreffenden Moment legal oder illegal arbeitet. Die kommunistischen Zellen aller Art müssen einander untergeordnet sein auf der Grundlage der strengsten Rangordnung nach einem möglichst genauen System.

19. Die kommunistische Partei entsteht fast überall als städtische Partei, als Partei von Industriearbeitern, die hauptsächlich in den Städten wohnen. Für den möglichst leichten und schnellen Sieg der Arbeiterklasse ist es notwendig, dass die kommunistische Partei nicht nur die Partei der Städte, sondern auch die der Dörfer wird. Die kommunistische Partei muss ihre Propaganda und ihre organisatorische Tätigkeit unter den Landarbeitern und den Klein- und Mittelbauern entfalten. Die kommunistische Partei muss mit besonderer Sorgfalt auf die Organisierung von kommunistischen Zellen auf dem flachen Lande hinarbeiten.

Die internationale Organisation des Proletariats kann nur dann stark sein, wenn in allen Ländern, in denen Kommunisten leben und kämpfen, sich die oben formulierten Anschauungen über die Rolle der kommunistischen Partei festigen. Die Kommunistische Internationale hat zu ihrem Kongress jede Gewerkschaft eingeladen, die die Prinzipien der Kommunistischen Internationale anerkennt und bereit ist, mit der gelben Internationale zu brechen. Die Kommunistische Internationale wird eine internationale Sektion der roten Gewerkschaften organisieren, die auf dem Boden des Kommunismus stehen. Die Kommunistische Internationale wird sich nicht weigern, mit jeder nicht parteimässigen Arbeiterorganisation zusammenzuarbeiten, wenn diese einen ernsten revolutionären Kampf gegen die Bourgeoisie führen will. Dabei wird aber die Kommunistische Internationale die Proletarier der ganzen Welt auf folgendes hinweisen:
1. Die kommunistische Partei ist die Haupt- und Grundwaffe zur Befreiung der Arbeiterklasse. In jedem Lande müssen wir jetzt nicht mehr nur Gruppen oder Strömungen, sondern eine kommunistische Partei haben.
2. In jedem Lande soll nur eine einzige einheitliche kommunistische Partei bestehen.
3. Die kommunistische Partei soll auf dem Prinzip der strengsten Zentralisierung aufgebaut sein, und in der Epoche des Bürgerkrieges soll sie in ihren Reihen militärische Disziplin walten lassen.
4. Überall, wo es auch nur ein Dutzend Proletarier oder Halbproletarier gibt, muss die kommunistische Partei eine organisierte Zelle haben.
5. In jeder nicht parteimässigen Institution muss eine kommunistische Parteizelle bestehen, die der Gesamtpartei strengstens unterstellt ist.
6. Das Programm und die revolutionäre Taktik des Kommunismus fest und beharrlich beschützend, muss die kommunistische Partei stets auf das engste mit den breiten Arbeiterorganisationen verbunden sein und das Sektierertum in demselben Masse meiden wie die Prinzipienlosigkeit.

Serrati. Welche Anträge liegen vor? Schlägt jemand eine Diskussion vor? Es scheint nicht der Fall zu sein. Also werden wir sofort abstimmen. Wer für die Leitsätze ist, mit den Abänderungen, die hier mitgeteilt worden sind, wird gebeten, die Hand zu heben. Wer dagegen ist, hebe die Hand. Sind vielleicht Enthaltungen da? Die Leitsätze sind einstimmig angenommen. Wir schlagen eine Unterbrechung von einer halben Stunde vor, damit die Delegationen sofort ihre Kandidaten für die Kommissionen vorschlagen können. Das Büro wird sodann die Listen prüfen und dem Kongress eine endgültige Liste vorlegen.

Balabanoff. Es wird jetzt abgestimmt über den Vorschlag des Büros. Wer dafür ist, hebe die Hand. Wer ist dagegen? Der Vorschlag ist einstimmig angenommen. (Eine halbe Stunde Pause.)

(Serrati verliest die Kommissionslisten.)

Schazkin. Ich habe einen Abänderungsvorschlag zur Organisationskommission zu machen. Ich möchte vorschlagen, dass in die Kommission, die auch die Frage der internationalen Jugendbewegung bespricht, Vertreter der Jugendinternationale entsandt werden. Die Jugend hat Leitsätze aufgestellt, die in dieser Kommission besprochen werden; sie muss deshalb auch das Recht haben, sie zu verteidigen. Es ist merkwürdig, dass die Verfasser dieser Leitsätze trotz ihres Vorschlags nicht in die Kommission aufgenommen worden sind.

Sinowjew. Das Präsidium hat vorgesehen, dass zur Frauenfrage und zur Jugendfrage zwei Unterkommissionen gewählt werden sollen. An diesen Unterkommissionen sollen nicht einer oder zwei, sondern mehrere Jugendliche, und nicht eine Vertreterin der Frauenbewegung, sondern einige teilnehmen. Wir stellen uns das so vor: die Organisationsfrage, die Statuten der Kommunistischen Internationale sind sehr wichtig. Dann kommen noch andere Fragen. Deshalb hat das Präsidium beschlossen, zwei Unterkommissionen zur Organisationskommission zu bilden: für die Frauenbewegung und für die Jugendfrage. Ich glaube, so ist es am zweckmässigsten. Dem sollte der Kongress zustimmen.

(Es wird abgestimmt. Der Vorschlag des Büros wird ohne Abänderung einstimmig angenommen.)

Sinowjew. Wir haben eine Kommission gewählt zur Ausarbeitung der Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale. Es wird vorgeschlagen, im Namen des Kongresses auch die Vertreter der USPD und der Französischen Sozialistischen Partei in diese Kommission einzuladen.

Es handelt sich um ihre Parteien, und ihre Anwesenheit bei der Erörterung dieser Fragen wäre sehr erwünscht.

Wijnkoop. Falls ich den Vorschlag recht verstanden habe, Genossen, sollen die USPD und die Sozialistische Partei Frankreichs in unsere Kommission über den Anschluss an die Kommunistische Internationale eingeladen werden. Ich muss sagen, dass ich das nicht begreife und dass ich mich für meine Partei dagegen erkläre.

Wir haben in der Exekutive schon vorgeschlagen, dass man diese beiden Parteien gar nicht zum Kongress zulassen soll, weil es keine kommunistischen Parteien sind. Meine Partei meint, dass man mit der U.S.P. gar nicht verhandeln soll, mit einer Partei, die jetzt im Präsidium des Reichstags sitzt, also mit einer Regierungspartei. Mit einer solchen Partei kann man nach unserer Meinung gar nicht verhandeln.

Etwas anders steht es mit der französischen Partei, nicht viel, aber ein wenig besser.

Ich brauche Euch nicht zu sagen, wie wir zu der Aufnahme dieser Partei in die Kommunistische Internationale stehen. Darüber werde ich später sprechen. Ich kann begreifen, dass die Frage der Aufnahme einer solchen Partei in die Kommunistische Internationale aufgeworfen werden kann, aber nur dann behandelt wird, wenn diese Partei einen offiziellen Antrag gestellt hat, zu der Kommunistischen Internationale zugelassen zu werden. Von einer derartigen Erklärung weiss ich aber vorläufig nichts, habe nichts davon gehört, und wir werden darüber sprechen, wenn sie erfolgt; ebenso kann solchen Parteien und ihren Delegierten das Recht, an dem Kongress teilzunehmen, nur dann gewährt werden, wenn sie um Anschluss an die Kommunistische Internationale nachgesucht haben.

Wir wissen vorläufig nicht, ob von der einen oder von der anderen Partei Anträge an uns ergangen sind, in die Kommunistische Internationale aufgenommen zu werden. Falls er aber von der U.S.P. kommt, muss man ihn glatt ablehnen. Man kann nicht mit einer Regierungspartei verhandeln.

Was die französische Partei betrifft, so muss zuerst dieser Antrag vorhanden sein. Liegt er aber nicht vor, so kann man doch nicht zu der Kommission, in der wir über die Vorschläge wegen der zukünftigen Zulassungsbedingungen beraten, diese Parteien zulassen, die nicht zu uns gehören, nicht revolutionär und nicht kommunistisch sind. Ich will nichts weiter sagen. Ich habe andere Vorschläge in der Exekutive gemacht, sie sind abgelehnt worden. Jetzt schlage ich vor, diese Parteien nicht in unsere Kommission zu lassen.

Radek. Genossen! Der Antrag des holländischen Delegierten widerspricht vorerst dem ganz gesunden Gedankengang des Kongresses. Die Delegierten der U.S.P. wurden von der Mandatskommission mit beratender Stimme ausgestattet. Wenn einer das Recht hat, zu beraten, dann hat er auch das Recht, zu erfahren, unter welchen Bedingungen er in eine internationale Vereinigung eintreten kann. Aber abgesehen von der formalen Seite spricht der Antrag gegen die gesunde Logik. Jeder von uns weiss, dass wir mit der U.S.P. über ihren Eintritt in die Kommunistische Internationale in Verhandlungen stehen. Jeder weiss, dass Millionen deutscher Arbeiter, die hinter dieser Partei stehen, in der energischsten Weise für den Eintritt in die Kommunistische Internationale gekämpft haben. Wenn diese grossen Arbeitermassen uns ihre Delegierten hierher senden, damit sie mit uns über die Bedingungen des Eintritts in die Kommunistische Internationale beraten, so wäre es nicht nur ein Akt der Unhöflichkeit diesen Delegierten gegenüber, sondern es wäre ein Akt – ich will ihn nicht näher bezeichnen – den deutschen Arbeitern gegenüber, wenn wir auf den Antrag des Genossen Wijnkoop eingehen würden. Es ist selbstverständlich, dass die Delegierten der U.S.P. die Möglichkeit haben müssen, nicht nur uns über das, was sie wollen, zu informieren, sondern sich auch zu informieren über das, was wir wollen. Der Eintritt in die Kommunistische Internationale geschieht nicht, wie Genosse Wijnkoop sich das vorstellt, in der Form: Angeklagter, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen? Er ist ein Akt der Verhandlung zwischen Parteien, die sich vereinigen wollen. Aus diesem Grunde schlage ich vor, den Antrag des Genossen Wijnkoop ohne weiteres abzulehnen.

Van Leuven. Genossen! Mein Mitdelegierter Genosse Wijnkoop hat gesagt, dass er sich im Namen der holländischen Partei gegen den Vorschlag erklärt, die USPD und auch die französische Partei in die Kommission zuzulassen. Vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, hat er recht, wenn er das sagt. Ich sage, wahrscheinlich hat er recht. Aber es muss festgestellt werden, dass die Frage in unserer Partei nicht besprochen worden ist. Wir konnten nicht wissen, dass wir diesem Fall hier begegnen würden. Also, er hat vielleicht recht. Ich persönlich denke über die Sache etwas anders. Ich meine, dass z. B. die Delegierten der U.S.P. unter dem Zwang des linken Flügels der Partei, also der Arbeitermassen, hierher gekommen sind. Aber wenn der Genosse Wijnkoop dagegen spricht, dass sie hier zugelassen werden, so bin ich mit ihm einverstanden. In der Exekutive haben wir Gelegenheit gehabt, diesen deutschen Delegierten Fragen zu stellen. Davon hat Radek neun gestellt und die anderen auch eine Anzahl. Auch ich habe dort Fragen gestellt. nämlich die, welche in den Leitsätzen des Genossen Lenin auf Seite 107 aufgestellt sind. Dort werden die Bedingungen angeführt für die volle Vereinigung. Wie ich erwähnte, haben andere Genossen, z. B. Genosse Levi, wie ich Fragen gestellt. Nun befremdet es mich ausserordentlich, dass man, ohne die Antwort auf diese Fragen bekommen zu haben, ohne also die Reise dieser Männer hierher auf ihre Richtigkeit prüfen zu können, sie hier schon zulassen will. Das wundert mich ausserordentlich. Wenn Genosse Radek sagt, dass die Äusserungen des Genossen Wijnkoop der gesunden Logik widersprechen, dann frage ich, ob es logisch ist, diese Leute hier zuzulassen, ohne auf die vorgelegten Fragen eine Antwort bekommen zu haben.

Guilbeaux. Ich bin der Meinung, dass man die Vertreter der U.S.P. und der französischen Partei nicht zulassen soll, weil sie keinen formellen Antrag zum Eintritt in die Kommunistische Internationale gestellt haben. Die Vertreter der französischen Partei sind seit längerer Zeit in Moskau und hatten Gelegenheit, die an sie gestellten Fragen zu beantworten. Die französische Partei hat inzwischen Briefe und Telegramme nach Moskau geschickt, die dazu angetan sind, die Konfusion zu vergrössern und unsere Arbeit zu erschweren. Ich stelle daher den Antrag, besonders die Vertreter der französischen Partei zu irgend einer Mitarbeit nicht zuzulassen.

Radek. Genossen! Wenn man eine Delegation einer grossen Partei mit beratender Stimme zulässt, dann muss man wissen, was diese Stimme bedeutet, dann führt man nicht eine Diskussion darüber. Aber nachdem schon die zwei holländischen Genossen und Genosse Guilbeaux tief begründet haben, weshalb eine beratende Stimme in Stummheit bestehen soll, erlaube ich mir noch einmal darauf einzugehen.

Genosse Van Leuven sagte, die Exekutive hätte den Vertretern der U.S.P. eine ganze Reihe Fragen gestellt und sie hätten diese Fragen noch nicht beantwortet. Ich habe als Sekretär der Exekutive festzustellen, dass sie die Fragen noch nicht beantwortet haben, weil vorerst keine zweite Sitzung stattgefunden hat und weil wir die Genossen gebeten haben, mit der Antwort abzuwarten, um sich über die Fragen des Kongresses zu orientieren. Aber wenn man Fragen stellt, soll man auch Antworten abwarten.

Die beste Gelegenheit, damit Genosse Van Leuven in die Seele der U.S.P. hineinleuchten kann, ist eben, sie an der Kommission teilnehmen zu lassen, die über die Aufnahme in die Kommunistische Internationale beraten soll.

Wir haben eine grosse Anzahl Anklagen gegen die U.S.P. erhoben, und ich glaube, nicht weniger Verdienste der Bekämpfung der U.S.P. in der Kommunistischen Internationale zu haben als Van Leuven und Wijnkoop zusammen. Aber wenn die U.S.P.-Vertreter einen Teil dieser Anklagen für faktisch unrichtig halten, so muss ihnen Gelegenheit gegeben werden, ihre Auffassung zu verteidigen und zu begründen. Was die französische Partei anbetrifft, so wurde hier auch gesagt, die beiden Parteien hätten keinen Antrag auf Zulassung gestellt. Wenn das wahr ist, weshalb haben wir ihnen denn die beratende Stimme gegeben? Weshalb verhandeln wir mit ihnen? Ich halte diese Diskussion für keine Diskussion, die zur Klärung beitragen kann, sondern für den Ausdruck eines Wortradikalismus, hinter dem kein revolutionärer Wille zur Tat steht.

Däumig. Ich habe nicht die Absicht, auf den materiellen Inhalt der Frage einzugehen, die jetzt den Kongress beschäftigt. Mag der Kongress über unsere Zulassung beschliessen, wie er es für richtig hält. Ich habe auch keine Veranlassung, auf die durch keine Sachkenntnis getrübten Ausführungen des Genossen Wijnkoop einzugehen. Man sollte von einem alten Politiker annehmen, dass er weiss, dass die U.S.P. keine gouvernementale, keine Regierungspartei ist, sondern im Gegensatz zur Regierung steht. Ich protestiere mit aller Entschiedenheit dagegen, dass meine Partei als eine nichtrevolutionäre Partei bezeichnet wird. Meine Partei zählt Tausende von Opfern, die geblutet haben, Tausende von Toten und Verwundeten, Tausende, die in den Gefängnissen sitzen und vor Gericht stehen. Ich wende mich dagegen, dass unsere Partei als eine nichtrevolutionäre Partei bezeichnet wird. Über alles weitere werden wir sprechen, wenn die Kommission tagen wird.

Wijnkoop. Ich meine, dass es beschämend ist, dass Däumig seine Demagogie schon auf diesem Kongress versucht. Soviel ich weiss, muss ich feststellen, dass dieser Däumig der Mann ist, der schon während des Kapp-Putsches zu den Arbeitern gesagt hat, dass sie sich nicht bewaffnen sollten. Das ist also der Mann, der hier in Russland, wo man weiss, dass man nur durch den Bürgerkrieg zum Siege kommen kann, auftritt. Aber der Genosse Radek hat hier gesagt, dass wir Wortradikalismus treiben. (Zwischenruf Radeks: Irrsinniger Mensch.) Er meint, ich bin ein irrsinniger Mensch… Er nimmt das zurück. Ich sage das, weil man sieht, wie diese Diskussion von dem Genossen Radek auf ein immer tieferes Niveau gezogen wird. Aber die Genossen hier scheinen nicht zu wissen, was es in westeuropäischen Ländern bedeutet, wenn man Menschen wie Däumig, Politiker wie Cachin hier in der Kommunistischen Internationale auf denselben Fuss setzt mit den kommunistischen und Revolutionären Parteien, die schon lange in der Arbeit stehen. Ich warne davor. Ich hoffe, dass die Genossen diesen Leuten hier nicht mehr geben werden, als ihnen zukommt, und das ist: der U.S.P. gar nichts, und den französischen Sozialisten, wenn sie beantragen, zugelassen zu werden, das Vertrauen, das ihnen gebührt.

Sinowjew. Genossen! Dass wir gegen diese Schwankungen und Halbheiten des rechten Flügels der U.S.P. kämpfen und kämpfen werden, brauche ich nicht noch einmal zu sagen. Aber was hier Genosse Wijnkoop gesagt hat, das ist einfach lächerlich und kompromittiert nicht unseren Kongress, sondern Wijnkoop und die Partei, die ihn hierher gesandt hat. Es ist klar, dass wir den grössten Respekt vor den 10 oder 11 000 Mitgliedern der U.S.P., die jetzt im Gefängnis sitzen, haben und haben sollen. Es sind Kämpfer und Proletarier, die für die Sache des Sozialismus kämpfen. Ich weiss nicht, wie viel Mitglieder der Partei Wijnkoops jetzt im Gefängnis sitzen und wieviel Mal Wijnkoop persönlich vor dem bürgerlichen Gericht gestanden hat und wieviel Mal er für die Sache des Proletariats im Gefängnis gesessen hat. Wir werden zwanzigmal mit den Genossen aus der U.S.P. streiten und mit ihnen die Waffen kreuzen. Aber das wollen wir nicht vergessen, dass Tausende von unabhängigen Arbeitern von der Bourgeoisie und vom kapitalistischen Gesindel erschossen worden sind, und wir werden niemals vergessen, dass in all diesen Kämpfen die Mitglieder der U.S.P. den Kerntrupp bildeten. Ich sage ganz klar, dass für die Kommunistische Internationale die objektiv revolutionäre Rolle der 800 000 Arbeiter, die zwar schlecht, mit Schwankungen und Halbheiten, geführt werden, die aber doch in der U.S.P. organisiert sind, auf der Waagschale der Geschichte für die proletarische Revolution schwerer wiegen werden als die paar tausend holländischer Tribunisten mit den Christlichsozialen zusammen. Wir haben es gesagt und wiederholen es, dass wir mit jeder Massenpartei, die sich zwar irrt, aber mit uns für die Sache des Proletariats kämpfen will, verhandeln werden, mit ihr Auseinandersetzungen suchen werden. Ebenso wie wir die Arbeiter aus der Shop-Steward-Bewegung behandeln, obwohl sie noch nicht Kommunisten sind, werden wir die revolutionäre Arbeiterschaft, die in der U.S.P. steht, behandeln. Wenn wir Zugeständnisse an die faule Ideologie Kautskys machen würden, dann hätten Sie recht, aber das haben wir nicht getan. Es wäre lächerlich, wie es das vom Genossen Wijnkoop ist, der im Namen einer Partei von anderthalbtausend Mitgliedern nach 15 Jahren Parteitätigkeit spricht, wenn wir Vertreter einer Partei nicht zulassen, in deren Reihen Hunderttausende einfacher Arbeiter organisiert sind, die immer Schulter an Schulter mit den Kommunisten kämpfen, ehrlich, revolutionär, wie es die Proletarier immer sind. Darum bestehe ich auf meinem Antrag, dass wir die Genossen einladen, mit ihnen offen sprechen, ihnen unsere Bedingungen sagen, und wir sind überzeugt, zwei Monate später wird die grosse Mehrzahl der Arbeiter aus der U.S.P. nicht nur moralisch, sondern auch formell in der Kommunistischen Internationale organisiert sein.

Levi. Genossinnen und Genossen, ich habe bis heute abend geglaubt, dass der Genosse Wijnkoop zu den Leuten gehört, die zwar nicht belehrt, aber wenigstens belehrbar sind. Ich habe mir vor zwei Tagen Mühe gegeben, ihm auseinanderzusetzen, dass die Zusammensetzung des deutschen Reichstagspräsidiums rein mechanisch nach der Stimmenzahl der Fraktionen vor sich geht, dass das Präsidium mit der Besetzung der Regierung in keiner Weise zusammenhängt und dass man daraus nicht auf eine Anteilnahme an der Regierung schliessen kann, denn das Präsidium des Reichstags hat mit der Regierung gar nichts zu tun. Genosse Wijnkoop hat vor zwei Tagen so ausgesehen, als ob er von der Belehrung etwas angenommen hätte. Wenn er heute abend also alles in den Wind schlägt und wieder mit der Phrase von der Regierungspartei kommt, so beweist er damit, dass es ihm auf die Phrase ankommt und auf nichts anderes. Und das beweist er damit, dass er hierherkommt und über deutsche Verhältnisse spricht wie einer, der noch niemals eine deutsche Zeitung gelesen hat. Ich sage, Sie würden nicht so töricht lachen, wenn sie den zehnten Teil von dem an revolutionären Kämpfen miterlebt hätten, was wir Seite an Seite mit den Unabhängigen erlebt haben. Jawohl, wir haben die U.S.P. bekämpft, wir bekämpfen sie noch auf Schritt und Tritt, treiben sie voran und sagen ihnen täglich ins Gesicht, wo sie sündigen. Aber wenn Leute aus Holland kommen, Leute, die für die deutsche Revolution und für die Weltrevolution noch keinen Finger gerührt haben, wenn sie kommen und Vorwürfe erheben, dann wollen wir für Hektor zeugen und müssen sagen: jawohl, es sind Zehn- und Hunderttausende deutscher Arbeiter gewesen, die in den Reihen der Unabhängigen gekämpft haben, und es sind Hunderte und Tausende und Hunderttausende von deutschen Arbeitern gewesen, die diese Genossen, die hierhergekommen sind, gezwungen haben, hierherzukommen. Der ganze geistige und organisatorische Apparat der Partei, er stand den Hunderttausenden entgegen, und die Hunderttausende haben es erzwungen: sie müssen nach Moskau. Und in Moskau tritt er auf, der Mann, der zu grossen revolutionären Taten bereit war, als es galt, das holländische Mandat zu erreichen mit dem Versprechen, nicht gegen die Entente zu kämpfen, in dem Augenblick, als Räterussland in Todesnöten schwebte. Das sage ich Ihnen, Genosse Wijnkoop. Jawohl, Sie haben sich von diesem Vorwurf noch nicht gerechtfertigt. Und so sage ich, wenn wir Veranlassung haben, mit diesen Genossen aus der U.S.P. über das, was sie gesündigt haben, noch zu sprechen, und ihnen sagen müssen, was wir von ihnen verlangen, so sind Sie, Genosse Wijnkoop, der letzte, der das Recht hat, hier in dieser Rolle aufzutreten. Ich will Sie noch an etwas anderes erinnern. Ich will Sie erinnern an den Sommer des vergangenen Jahres, an die schwerste. Zeit unserer Illegalität, als nahezu alle unsere Genossen im Gefängnis sassen. Da haben wir uns an Ihre Partei um Unterstützung gewandt, haben Ihre Parteigenossen gebeten, zu uns zu kommen. Die Parteigenossen, in deren Namen Sie sich hier entrüsten, haben wir gebeten, Pannekoek und Gorter zu uns zu schicken. (Zwischenruf von Wijnkoop und Van Leuven: Grosse Lüge.) Ich sage, in diesem schwersten Augenblick, in dem es uns nicht möglich war, auch nur unsere Zeitungsredaktionen zu besetzen, als wir verlangten, die holländischen Genossen möchten uns nur Redakteure stellen, ist keiner gekommen! (Zuruf Van Leuvens: Dittmann und Crispien liegen ja nicht im Grabe.) Wenn der Genosse, der sich so empört, sagt, Dittmann und Crispien liegen ja nicht im Grabe, dann möchte ich antworten: auch ich liege noch nicht im Grabe, und Sie, Genosse, erst recht nicht. Auch für Sie war Gelegenheit, in Deutschland zu sterben, und Hunderte und Tausende von Arbeitern aus der U.S.P. sind gestorben, und Sie sind in Holland geblieben auf Ihren Kaffeesäcken, und heute sind sie Revolutionär. (Zuruf Radeks: Börsenmakler.)

Bucharin. Ich bin dafür, keinen zu grossen Lärm zu machen wegen der Vertreter einer Partei, die so stark revolutionär ist, dass sie ein Mitglied einer christlichen Pfaffenorganisation mit einem weiteren Mandat ausgestattet hat. Deswegen schlage ich vor, sofort jede Diskussion abzubrechen und zur Tagesordnung überzugehen.

(Das Büro schlägt vor, über den Antrag Bucharin abzustimmen. Der Antrag wird mit überwiegender Stimmenmehrheit angenommen. Genosse Sinowjew lässt abstimmen, ob die Vertreter der U.S.P. und der französischen Sozialisten eingeladen werden sollen, an den Diskussionen teilzunehmen. Mit grosser Mehrheit wird der Antrag angenommen. Die Unterkommissionen werden gewählt. Das Büro macht den Vorschlag des Gen. McLaine bekannt, dass eine besondere Kommission ernannt werden solle, um die Frage der Labour Party in England zu studieren. Es wird abgestimmt und der Vorschlag angenommen.)

Sinowjew. Ich möchte vorschlagen, dass wir die Stunden festsetzen, wann die Kommissionen tagen sollen. Das Präsidium schlägt vor, dass morgen folgende vier Kommissionen arbeiten sollen: 1. Nationalitäten- und Kolonialfrage um 12 Uhr, 2. Gewerkschaftsfrage ebenfalls um 12 Uhr, 3. Parlamentarismus auch um 12 und 4. die Kommission, die die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale erörtern soll, um 5 Uhr. Alle vier Kommissionen arbeiten hier: zwei im grossen Saal und die zwei übrigen in den Nebenzimmern.

Dann für Montag die übrigen drei Kommissionen: Die Organisationskommission um 11 Uhr, die Agrarkommission um 11 Uhr, die Kommission, die sich mit den Hauptaufgaben des Kongresses beschäftigen soll, um 1 Uhr. Sollten die Kommissionen morgen noch nicht fertig sein, dann werden sie auch Montag arbeiten. Dann für Montag abend um 8 Uhr Plenarsitzung, zu der wir hoffen, dass wenigstens eine oder zwei Kommissionen mit ihrer Arbeit fertig werden.

Serrati. Die Sitzung des Kongresses wird vertagt.



Anmerkungen:
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  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]

  3. Als Anmerkung in der dt. Ausgabe: Kommunistische Partei Amerikas. – Gezeichnet: L. C. Fraina, A. Stocklitzki. Kommunistische Arbeiterpartei Amerikas – John Reed, J. Jurgis. A. Bilan.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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