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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Vierte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 26 Juli 1920.
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Lenin
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Maring
Redebeitrag Roy
Ergänzungsthesen über die Nationalitäten- und Kolonialfrage.
Redebeitrag Reed
Redebeitrag Fraina
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Rosmer
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Guilbeaux
Redebeitrag Maring
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Rosmer
Anmerkungen
Source


Vierte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 26 Juli 1920.

Sinowjew. Ich erkläre die Sitzung für eröffnet. Ich wende mich mit der Bitte an alle Delegationen, sie möchten möglichst bald die schriftlichen Berichte über die Lage in ihrer Partei einreichen. Wir haben bisher nur drei Berichte erhalten, und wir fordern Euch auf, während der nächsten zwei, drei Tage uns das Material zustellen zu wollen.

Es haben seit der letzten Plenarsitzung verschiedene Kommissionen gearbeitet, sie sind aber noch nicht fertig geworden. Die Kommission, die sich mit der Nationalitäten- und Kolonialfrage beschäftigte, hat ihre Arbeit am weitesten gebracht und ist in der Lage, Bericht erstatten zu können. Wir schlagen dem Kongress vor, die Nationalitäten- und Kolonialfrage heute zur Diskussion zu stellen. Ist niemand dagegen? Es scheint nicht der Fall zu sein. Wir schreiten also zur Diskussion. Als Berichterstatter hat Genosse Lenin das Wort.

Lenin. Genossen, ich werde nur eine kurze Einleitung geben, und dann wird Genosse Maring [Henk Sneevliet], der Sekretär unserer Kommission, ganz genau Bericht erstatten über die Änderungen, die in den Leitsätzen vorgenommen worden sind. Sodann wird Genosse Roy das Wort haben, der die Ergänzungsthesen formuliert hat. Unsere Kommission hat sowohl die ersten als auch die zweiten einstimmig angenommen. Ihr werdet aus den Leitsätzen ersehen, dass wir in den wichtigsten Fragen einstimmige Beschlüsse gefasst haben, und ich möchte jetzt nur einige kurze Bemerkungen machen.

Was ist das wichtigste, die Grundidee unserer Leitsätze? Das ist der Unterschied zwischen den unterdrückten und den unterdrückenden Nationen. Wir heben diesen Unterschied hervor – im Gegensatz zur II. Internationale und zur bürgerlichen Demokratie. Es ist für das Proletariat und die Kommunistische Internationale besonders wichtig, während der Epoche des Imperialismus konkrete ökonomische Tatsachen festzustellen und nicht vom abstrakten, sondern nur vom konkreten Standpunkt aus an alle kolonialen und nationalen Fragen heranzutreten.

Es ist das Charakteristikum des Imperialismus, dass die ganze Welt jetzt eingeteilt ist in eine grosse Anzahl unterdrückter Nationen und eine ganz kleine Anzahl unterdrückender Nationen, die enorm reich und stark im militärischen Sinne sind. Die enorme Masse, mehr als eine Milliarde, höchst wahrscheinlich eine Milliarde und ein Viertel, wenn wir die Bevölkerung der Erde auf 1 ¾ Milliarden schätzen also etwa 70 Prozent der Bevölkerung der Erde, gehören zu den unterdrückten Nationen, die entweder direkt in kolonialer Abhängigkeit sind oder als halbkoloniale Staaten erscheinen, wie z. B. Persien, die Türkei, China, oder die, besiegt von einem grossen imperialistischen Heer, nach den Friedensverträgen in starke Abhängigkeit geraten sind. Dieser Gedanke des Unterscheidens, der Teilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte zieht sich durch alle Leitsätze, nicht nur durch die ersten, die von mir unterzeichnet und schon gedruckt waren, sondern auch durch die Leitsätze des Genossen Roy. Diese sind vorwiegend vom Standpunkt Indiens und anderer grosser asiatischer Völkerschaften, die von England unterdrückt werden, geschrieben und deshalb für uns besonders wichtig.

Zweitens ist es ein Hauptgedanke unserer Leitsätze, dass bei der jetzigen Weltlage, nach dem imperialistischen Kriege, das Verhältnis der Völker zueinander, das Weltsystem der Staaten bestimmt wird durch den Kampf der kleinen Zahl der imperialistischen Nationen gegen die Sowjetbewegung und die Sowjetmächte mit Sowjetrussland an der Spitze. Wenn wir diese Frage übersehen, können wir keine einzige nationale oder koloniale Frage, sei es in dem entlegensten Teile der Welt, richtig stellen. Nur von diesem Standpunkt aus können die politischen Fragen von den kommunistischen Parteien, sowohl in den zivilisierten als auch in den zurückgebliebenen Ländern, richtig gestellt und beantwortet werden. Drittens möchte ich besonders die Frage der bürgerlich-demokratischen Bewegung in den zurückgebliebenen Ländern betonen. Das ist der Punkt, der einige Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen hat. Wir debattierten darüber, ob es prinzipiell und theoretisch richtig sei, zu erklären, dass die Kommunistische Internationale und die kommunistischen Parteien verpflichtet sind, die bürgerlich-demokratische Bewegung in den zurückgebliebenen Ländern zu unterstützen, und das Ergebnis dieser Diskussion war, dass wir zu einem einstimmigen Beschluss gekommen sind, statt von »bürgerlich-demokratischen« Bewegungen nur von nationalistisch-revolutionären Bewegungen zu sprechen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass jede nationalistische Bewegung nur eine bürgerlich-demokratische Bewegung sein kann, weil die grosse Masse der Bevölkerung der zurückgebliebenen Länder aus der Bauernschaft besteht, die die Vertreterin der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse ist. Es wäre utopisch, zu denken, dass proletarische Parteien, soweit es überhaupt möglich ist, dass solche in diesen Ländern entstehen, ohne zu der Bauernbewegung ein bestimmtes Verhältnis zu haben, ohne sie in der Tat zu unterstützen, imstande seien, die kommunistische Taktik und kommunistische Politik in den zurückgebliebenen Ländern durchzuführen. Aber die Einwände, die gemacht wurden, waren die, dass, wenn wir bürgerlich-demokratisch sagen, der Unterschied zwischen der reformistischen und revolutionären Bewegung verloren geht, der in den zurückgebliebenen Ländern und in den Kolonien in der letzten Zeit ganz klar geworden ist, weil eben die imperialistische Bourgeoisie alles Mögliche getan hat, um auch unter den unterdrückten Völkern eine reformistische Bewegung zu schaffen. Es ist eine gewisse Verständigung zwischen der Bourgeoisie der ausbeutenden und der kolonialen Länder eingetreten, so dass sehr oft, vielleicht sogar in den meisten Fällen, die Bourgeoisie der unterdrückten Länder, trotzdem sie auch nationale Bewegungen unterstützt, dennoch in gewissem Einvernehmen mit der imperialistischen Bourgeoisie, d. h. Zusammen mit ihr, gegen alle revolutionären Bewegungen und revolutionären Klassen kämpft. Das wurde in der Kommission vollständig bewiesen, und wir glaubten, dass es das einzig Richtige sei, diesen Unterschied in Erwägung zu ziehen und das Wort »bürgerlich-demokratisch« fast überall durch den Ausdruck »nationalistisch-revolutionär« zu ersetzen. Der Sinn ist der, dass wir als Kommunisten die bürgerlichen Freiheitsbewegungen in den kolonialen Ländern nur dann unterstützen werden, wenn diese Bewegungen wirklich revolutionär sind, wenn ihre Vertreter nicht dagegen sind, dass wir die Bauernschaft und die grossen Massen der Ausgebeuteten im revolutionären Sinne erziehen und organisieren. Wenn das nicht geht, sind die Kommunisten auch dort verpflichtet, gegen die reformistische Bourgeoisie, zu der auch die Helden der II. Internationale gehören, zu kämpfen. Es gibt schon reformistische Parteien in den Kolonialländern, und bisweilen nennen sich ihre Vertreter Sozialdemokraten oder Sozialisten. Dieser Unterschied ist jetzt in allen Leitsätzen gemacht worden, und ich glaube, so ist unser Standpunkt viel präziser formuliert.

Die nächste Bemerkung, die ich machen wollte, ist über die Bauernräte. Die praktische Arbeit der russischen Kommunisten in den Kolonien, die früher dem Zarismus gehörten, in zurückgebliebenen Ländern wie Turkestan und anderen, hat uns vor die Frage gestellt, wie die kommunistische Taktik und Politik auf die vorkapitalistischen Verhältnisse anzuwenden sind. Das wichtigste Merkmal dieser Länder ist, dass dort noch vorkapitalistische Zustände herrschen, und deshalb kann dort von einer rein proletarischen Bewegung nicht die Rede sein. Es gibt dort fast gar kein Industrieproletariat. Trotzdem haben wir in ihnen die führende Rolle übernommen und übernehmen müssen. Unsere Arbeit hat uns gezeigt, dass die Schwierigkeiten dort wirklich enorm sind, aber das praktische Ergebnis der Arbeit hat auch gezeigt, dass es trotz dieser Schwierigkeiten möglich ist, das selbständige politische Denken, die selbständige politische Tätigkeit auch da zu erwecken, wo es fast kein Proletariat gibt. Diese Tätigkeit war für uns schwieriger als für die Genossen in den westeuropäischen Ländern, weil das Proletariat in Russland mit Staatsarbeit überbürdet ist. Es versteht sich, dass die Bauern, die sich in halb feudalem Abhängigkeitsverhältnis befinden, die Idee der Sowjetorganisation erfassen und sich auch praktisch auf diesem Felde betätigen können. Es ist auch klar, dass die ausgebeuteten Massen, die nicht nur durch das Handelskapital ausgebeutet werden, sondern auch durch die Feudalen und den Staat auf feudaler Basis, diese Waffe, diese Art der Organisation auch für diese Verhältnisse anwenden können. Die Idee der Sowjetorganisation ist einfach und kann angewandt werden nicht nur auf proletarische Verhältnisse, sondern auch in den feudalen und halbfeudalen Bauernverhältnissen. Unsere Erfahrungen sind noch nicht gross auf diesem Gebiet. Aber die Besprechungen in der Kommission, in der mehrere Vertreter der Kolonialländer anwesend waren, haben uns ganz entschieden bewiesen, dass wir in die Leitsätze der Kommunistischen Internationale aufnehmen müssen, dass die Bauernräte, die Räte der Ausgebeuteten, nicht nur für kapitalistische Länder ein geeignetes Mittel, sondern auch für vorkapitalistische Zustände passend sind, und dass es unbedingte Pflicht der kommunistischen Parteien und der Elemente, die bereit sind, kommunistische Parteien zu schaffen, ist, die Bauernräte, die Räte der Arbeitenden überall, auch in den zurückgebliebenen Ländern und in den Kolonien, zu propagieren und den praktischen Versuch zu machen, sofort, wo es nur die Bedingungen zulassen, Räte des werktätigen Volkes zu bilden.

Hier öffnet sich uns ein sehr interessantes und wichtiges Tätigkeitsfeld. Die allgemeinen Erfahrungen sind noch nicht besonders gross, aber wir werden mehr und mehr Material sammeln, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das Proletariat in den vorgeschrittenen Ländern den zurückgebliebenen arbeitenden Massen helfen muss und kann, und dass die Entwicklung der zurückgebliebenen Länder ihr jetziges Stadium ändern würde, sobald das siegreiche Proletariat der Sowjetrepubliken diesen Massen seine Hand reichen und Hilfe gewähren kann.

Über diese Frage gab es ziemlich lebhafte Diskussionen in der Kommission; nicht nur im Zusammenhang mit den Leitsätzen, die ich unterzeichnet habe, sondern noch mehr mit denen des Genossen Roy, die er hier verteidigen wird und in denen einstimmig einige Änderungen gemacht wurden.

Die Frage lautete: können wir als richtig anerkennen, dass die kapitalistische Entwicklung der Volkswirtschaft notwendig ist für die zurückgebliebenen Völker, die sich jetzt befreien, unter denen jetzt, nach dem Kriege, fortschrittliche Bewegungen zustande gekommen sind? Wir sind zu dem Schluss gekommen, es verneinen zu müssen. Wenn das revolutionäre siegreiche Proletariat eine systematische Propaganda organisiert und die Sowjetregierungen ihm mit allen Mitteln zu Hilfe kommen, ist es unrichtig, anzunehmen, dass das kapitalistische Stadium der Entwicklung für solche Völkerschaften notwendig sei. Wir müssen nicht nur in allen Kolonien und zurückgebliebenen Ländern selbständige Kerntruppen und Parteien bilden, wir müssen nicht nur sofort Bauernräte propagieren und die Räteorganisation den vorkapitalistischen Verhältnissen anzupassen suchen, sondern auch theoretisch muss die Kommunistische Internationale erklären und begründen, dass mit Hilfe des Proletariats der vorgeschrittenen Länder die zurückgebliebenen Länder zur Sowjetorganisation und durch eine Reihe von Stadien auch unter Vermeidung des kapitalistischen Systems zum Kommunismus kommen können.

Welche Mittel dazu notwendig sind, kann nicht vorausgesagt werden, die praktische Erfahrung wird das zeigen. Aber es steht fest, dass die Räteidee allen arbeitenden Massen, auch in den entlegensten Völkerschaften, zugänglich ist, dass diese Organisationen den vorkapitalistischen Verhältnissen angepasst werden müssen und dass die Arbeit der kommunistischen Parteien in der ganzen Welt sofort in dieser Richtung beginnen muss.

Das Letzte, was ich hier noch bemerken möchte, ist die Rolle der revolutionären Arbeit der kommunistischen Parteien nicht nur in ihrem Lande, sondern auch in den Kolonialländern, und besonders unter den Truppen, die von den ausbeutenden Nationen zur Niederhaltung der Kolonialvölker gebraucht werden.

Genosse Quelch von der B.S.P. hat darüber in unserer Kommission gesprochen. Er hat gesagt, dass der gewöhnliche englische Arbeiter es als einen Verrat betrachten würde, wenn er den abhängigen Völkern helfen würde, gegen die englische Herrschaft Aufstände zu machen. Es ist richtig, dass die jingoistisch und chauvinistisch gestimmte Arbeiteraristokratie in England und Amerika die grösste Gefahr für den Sozialismus, die grösste Stütze der II. Internationale bildet und den grössten Verrat seitens der Führer und der Arbeiter, die zu einer solchen bürgerlichen Internationale gehören, vollführt. Auch in der II. Internationale wurde von der Kolonialfrage gesprochen. Das Basler Manifest sprach darüber ganz klar. Die Parteien der II. Internationale versprachen, revolutionär zu handeln. Aber wirkliche revolutionäre Arbeit zu tun, um den ausgebeuteten und abhängigen Völkern in ihren Aufständen gegen die unterdrückenden Nationen zu helfen, davon ist in den Parteien der II. Internationale keine Rede, und ich glaube, auch in den meisten Parteien, die aus der II. Internationale ausgetreten sind und Aufnahme in die Kommunistische Internationale suchen, ist davon keine Rede. Wir müssen das offen sagen, das kann nicht widerlegt werden. Wir werden sehen, ob der Versuch gemacht wird, das zu widerlegen.

Auf Grund dieser Erwägungen kamen wir zu den Resolutionen, die ohne Zweifel zu lang sind. Aber ich glaube, sie werden trotzdem nützlich sein und dazu beitragen, die wirklich revolutionäre Arbeit in der Nationalitäten- und Kolonialfrage zu fördern und zu organisieren, und das ist unsere Hauptaufgabe.

Sinowjew. Das Wort hat der Sekretär der Kommission, Genosse Maring.

Maring. Genossen, ich erstatte Bericht über die Arbeit der Kommission zur Nationalitäten- und Kolonialfrage. Die Kommission hat die Leitsätze des Genossen Lenin sowie die Ergänzungsthesen des Genossen Roy geprüft. Zu den Leitsätzen des Genossen Lenin sind die nachfolgenden Abänderungen und Zusätze angenommen worden:

In der 1. These am Schluss ist statt »Vernichtung« »Abschaffung der Klassen« zu lesen.

In der 3. These, erster Satz, ist zu lesen: »Der imperialistische Krieg von 1914 hat mit besonderer Klarheit allen Nationen und allen unterdrückten Klassen der ganzen Welt usw. (liest den Text der These). Dieser Satz ist in dieser Weise abgeändert worden: (liest.)

4. These (deutsche Ausgabe: S. 52, Zeile 3 von unten) ist zu lesen »und werktätigen Massen aller Nationen und Länder.«

5. These (S. 52, Zeile 16) ist zu streichen »um sich schart« und hinzuzufügen »und die unterdrückten Völkerschaften um sich scharen soll«. Dieselbe These (Zeile 20): »dass es für sie keine Rettung gibt ausser ihrer Verbindung mit dem revolutionären Proletariat und dem Sieg der Sowjetmacht.«

6. These, Zeile 10 von oben: anstatt »der bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegung« zu lesen: »der revolutionären Befreiungsbewegung«. In Zeile 11 dieser These sind die Worte »Arbeiter und Bauern« zu streichen.

In der 8. These, Zeile 5 von oben ist anstatt »ohne Basis« zu lesen: »auf der Basis«.

9. These, Zeile 7 bis 11 ist zu lesen: »auf die sich die – mögen sie sich auch »sozialistisch« heissen – bürgerlichen Demokraten beschränken«.

These 10, Zeile 2 ist hinzuzufügen das Wort »lediglich«, also zu lesen: »lediglich in Worten«.

Zeile 13 hinter Wort »Vorurteilen« ist einzufügen in Klammern »die in allen möglichen Formen auftreten, wie Rassenhass, nationale Verhetzung, Antisemitismus«.

These 11, § 1 ist zu lesen: »alle kommunistischen Parteien müssen die revolutionären«, usw.

§ 2 zu lesen: »notwendigerweise ist ein Kampf gegen den reaktionären und mittelalterlichen Einfluss der Geistlichkeit, der christlichen Missionen und ähnlicher Elemente zu führen«.

In § 3 ist zu lesen: »notwendig ist der Kampf gegen den Panislamismus und die panasiatische Bewegung und ähnliche Strömungen«.

In § 4 ist hinter dem Wort »zu geben« einzufügen: »womöglich die Bauern und alle Ausgebeuteten in Sowjets zu organisieren«.

In § 5 sind in den Zeilen 2, 6 und 17 die Worte »bürgerlich demokratisch« zu ändern in »revolutionär«.

§ 6, Zeile 5 zu lesen: »die imperialistischen Mächte mit Hilfe der privilegierten Klassen«.

In These 12 ist der Satz zu streichen, angefangen mit »andererseits« bis »auftreten«.

Die Leitsätze des Genossen Roy sind von der Kommission gründlich geprüft und in dem Wortlaut angenommen worden, wie ihn der Genosse Roy dem Kongress mitteilen wird. Ich denke, dass es möglich ist, alle diese Abänderungen schon jetzt in den Leitsätzen anzubringen.

Roy. Genossen! Ich habe dem Kongress und der Kommission einige Ergänzungsthesen unterbreitet, die vorgelesen werden müssen, weil sie nicht gedruckt worden sind. Ich fange mit der Verlesung dieser Ergänzungsthesen an, die wie folgt lauten:

Ergänzungsthesen über die Nationalitäten- und Kolonialfrage.

1. Eine der wichtigsten Fragen, die dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale vorlagen, ist die genaue Feststellung der Wechselbeziehungen zwischen der Kommunistischen Internationale und der revolutionären Bewegung in den politisch unterdrückten, vom eigenen kapitalistischen System beherrschten Ländern, wie in China und Indien. Die Geschichte der Weltrevolution durchlebt eine Periode, die eine richtige Auffassung dieser Wechselbeziehungen erfordert. Der grosse europäische Krieg und seine Folgen haben deutlich gezeigt, dass die Volksmassen der nichteuropäischen unterdrückten Länder infolge der Zentralisation des Weltkapitalismus mit der proletarischen Bewegung in Europa unlösbar verbunden sind, was während des Krieges z. B. in der Entsendung von Kolonialtruppen und zahlreichen Arbeitermassen an die Front seinen Ausdruck fand.

2. Der europäische Kapitalismus schöpft seine Kraft in der Hauptsache weniger aus den europäischen Industrieländern als aus seinen Kolonialbesitzungen. Zu seiner Existenz bedarf er der Kontrolle über die umfangreichen Kolonialmärkte und ein weites Feld der Ausbeutungsmöglichkeit. England, das Bollwerk des Imperialismus, leidet schon ein Jahrhundert lang unter Überproduktion. Ohne die ausgedehnten Kolonialbesitzungen, die für den Absatz seiner Waren notwendig sind und zugleich die Rohstoffquellen bilden, wäre die kapitalistische Ordnung Englands schon lange unter ihrer eigenen Last zusammengebrochen. Indem der englische Imperialismus Hunderte von Millionen Bewohner Asiens und Afrikas zu Sklaven macht, hält er gleichzeitig das britische Proletariat unter der Herrschaft der Bourgeoisie.

3. Der Extragewinn, der in den Kolonien erzielt wird, ist eine der Hauptquellen der Mittel des zeitgenössischen Kapitalismus. Der europäischen Arbeiterklasse wird der Sturz der kapitalistischen Ordnung erst dann gelingen, wenn diese Quelle endgültig verstopft ist. Die kapitalistischen Länder versuchen, und zwar nicht ohne Erfolg, durch umfangreiche und intensive Ausbeutung der menschlichen Arbeit und der natürlichen Reichtümer der Kolonien ihre erschütterte Lage wiederherzustellen. Infolge der Ausbeutung der Kolonialbevölkerung ist der europäische Imperialismus imstande, der Arbeiteraristokratie in Europa eine ganze Reihe von Almosen (Kompensationen) zu gewähren. während der europäische Imperialismus einerseits durch die Einfuhr von Waren, die von der billigeren Arbeitskraft der Arbeiter der Kolonialländer hergestellt sind, das zum Lebensunterhalt nötige Minimum des Proletariats herabzudrücken sucht, ist er andererseits bereit, den im Heimatland zu erzielenden Mehrgewinn zu opfern, um sich nur den durch die Ausbeutung der Kolonien zu erreichenden Extragewinn zu erhalten.

4. Der Fortfall der Kolonien und die proletarische Revolution in den Mutterländern werden die kapitalistische Ordnung in Europa stürzen. Folglich muss die Kommunistische Internationale ihr Tätigkeitsfeld erweitern. Die Kommunistische Internationale muss sich in enger Verbindung mit den revolutionären Kräften befinden, die sich gegenwärtig in den politisch und wirtschaftlich unterdrückten Ländern an dem Sturz des Imperialismus beteiligen. Zum vollen Erfolg der Weltrevolution ist das Zusammenwirken dieser beiden Kräfte notwendig.

5. Die Kommunistische Internationale ist der konzentrierte Wille des Weltproletariats. Ihre Aufgabe ist die Organisation der Arbeiterklasse der ganzen Welt zum Sturze der kapitalistischen Ordnung und zur Verbreitung des Kommunismus. Die Kommunistische Internationale ist eine kriegerische Einheit, die die revolutionären Kräfte aller Länder der Welt vereinigen muss.
Die durch und durch mit bürgerlicher Kultur durchtränkte, von einem Häuflein Politikaster geführte II. Internationale hat die ganze Wichtigkeit der Kolonialfrage nicht genügend gewertet. Für sie war die Welt ausserhalb Europas nicht vorhanden. Sie erkannte nicht die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens der revolutionären Bewegung in Europa und in den anderen Erdteilen. Anstatt die revolutionäre Bewegung in den Kolonien materiell und moralisch zu unterstützen, wurden die Mitglieder der II. Internationale selbst zu Imperialisten.

6. Der den Ostvölkern gewaltsam aufgezwungene ausländische Imperialismus hat ohne Zweifel ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung gehemmt und ihnen die Möglichkeit genommen, jene Entwicklungsstufe zu erreichen, die in Europa und Amerika erreicht ist. Dank der imperialistischen Politik, die bestrebt ist, die industrielle Entwicklung in den Kolonien aufzuhalten, hat das eingeborene Proletariat eigentlich erst vor kurzem zu existieren begonnen. Die lokal zersplitterte Hausindustrie hat der zentralisierten Industrie der imperialistischen Länder den Platz geräumt; infolgedessen wurde die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung gezwungen, sich mit Ackerbau zu beschäftigen und die Rohstoffe ins Ausland auszuführen. Andererseits ist eine schnell anwachsende Konzentration des Bodens in den Händen der Grossgrundbesitzer, der Kapitalisten und des Staates zu beobachten, was wieder zur Vermehrung der Zahl der landlosen Bauern beiträgt. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung dieser Kolonien befindet sich im Zustande der Unterdrückung. Infolge dieser Politik kommt der unentfaltet in den Volksmassen lebende Geist der Empörung nur bei der zahlenmässig schwachen intelligenten Mittelklasse zum Ausdruck. Die Fremdherrschaft hemmt beständig die freie Entwicklung des sozialen Lebens; daher muss der erste Schritt der Revolution die Beseitigung dieser Fremdherrschaft sein. Den Kampf zum Sturz der ausländischen Herrschaft in den Kolonien unterstützen heisst also nicht, die nationalen Bestrebungen der eingeborenen Bourgeoisie unterschreiben, vielmehr bedeutet es, dem Proletariat der Kolonien den Weg zu seiner Befreiung zu ebnen.

7. Es lassen sich zwei Bewegungen feststellen, die mit jedem Tage mehr auseinander gehen. Eine von ihnen ist die bürgerlich-demokratische nationalistische Bewegung, die das Programm der politischen Unabhängigkeit unter Beibehaltung der kapitalistischen Ordnung verfolgt; die andere ist der Kampf der besitzlosen Bauern um ihre Befreiung von jeglicher Ausbeutung. Die erste Bewegung versucht, oft mit Erfolg, die zweite zu kontrollieren; die Kommunistische Internationale aber muss gegen eine derartige Kontrolle ankämpfen, und die Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeitermassen der Kolonien muss demgemäss auf den Sturz des ausländischen Kapitalismus gerichtet werden. Die wichtigste und notwendigste Aufgabe jedoch ist die Schaffung kommunistischer Organisationen der Bauern und Arbeiter, um diese zur Revolution und zur Errichtung der Sowjetrepublik zu führen. Auf diese Weise werden die Volksmassen in den rückständigen Ländern nicht durch die kapitalistische Entwicklung, sondern durch die Entwicklung des Klassenbewusstseins, unter der Führung des bewussten Proletariats der fortgeschrittenen Länder dem Kommunismus angeschlossen werden.

8. Die reale Kraft, das Fundament der Befreiungsbewegung, lässt sich in den Kolonien nicht in den engen Rahmen des bürgerlich-demokratischen Nationalismus zwingen. In dem grössten Teile der Kolonien bestehen schon organisierte revolutionäre Parteien, die in enger Verbindung mit den Arbeitermassen arbeiten. Die kommunistische Partei muss die Verbindung mit der revolutionären Bewegung in den Kolonien durch Vermittlung dieser Parteien und Gruppen herstellen, denn sie sind die Vorhut der Arbeiterklasse. Gegenwärtig sind sie nicht zahlreich, drücken jedoch den Willen der Volksmassen aus und führen die Revolution nach sich. Die kommunistischen Parteien der verschiedenen imperialistischen Länder müssen in engstem Kontakt mit den proletarischen Parteien der Kolonialländer arbeiten und durch diese die revolutionäre Bewegung überhaupt materiell und moralisch unterstützen.

9. In der ersten Zeit wird die Revolution in den Kolonien keine kommunistische Revolution sein; wenn jedoch von Anfang an die kommunistische Vorhut an ihre Spitze tritt, werden die revolutionären Massen auf den richtigen Weg gebracht werden, auf dem sie durch allmähliche Sammlung von revolutionärer Erfahrung das gesteckte Ziel erreichen werden. Es wäre ein Fehler, die Agrarfrage sofort nach rein kommunistischen Grundsätzen entscheiden zu wollen. Auf der ersten Stufe ihrer Entwicklung muss die Revolution in den Kolonien nach dem Programm rein kleinbürgerlicher reformistischer Forderungen, wie Aufteilung des Landes usw., durchgeführt werden. Daraus aber folgt nicht, dass die Führung in den Kolonien sich in den Händen der bürgerlichen Demokraten befinden darf. Im Gegenteil, die proletarischen Parteien müssen eine intensive Propaganda der kommunistischen Ideen betreiben und bei der ersten Möglichkeit Arbeiter- und Bauernräte gründen. Diese Räte müssen in gleicher Weise wie die Sowjetrepubliken der vorgeschrittenen kapitalistischen Länder arbeiten, um den endgültigen Sturz der kapitalistischen Ordnung der ganzen Welt herbeizuführen.

Zur näheren Information des Kongresses habe ich folgendes hinzuzufügen. Ich lenke die besondere Aufmerksamkeit des Kongresses auf diese sehr wichtigen Fragen. Es freut mich, Gelegenheit zu haben, zum ersten Male auf einem Kongress des revolutionären Proletariats ernstlich an einer Diskussion über die Kolonialfrage teilnehmen zu können. Bis heute haben die europäischen Parteien diesem Problem noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, denn sie waren immer mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt und haben die Kolonialfragen meist übergangen, obwohl sie in der jetzigen Periode von sehr grosser Bedeutung für die internationale Bewegung sind. Die Kolonialfrage ist eine der wichtigsten Angelegenheiten nach dem Kriege geworden. England ist jetzt die grösste imperialistische Macht der Welt und hat eben eine sehr gewaltige Bedeutung, eine gewaltige Kraft, eine starke soziale Position als Ergebnis seines kolonialen Besitzes. Obgleich jetzt von Deutschland nicht dasselbe gesagt werden kann, da Deutschland jetzt keinen kolonialen Besitz hat, hat die Frage doch keine besondere englische Bedeutung. Deshalb haben auch die deutschen Genossen dieser Frage ihre Aufmerksamkeit zu widmen, weil es eine internationale Frage geworden ist. Die ökonomischen Beziehungen zwischen Europa und den Kolonien sind jetzt das Fundament des Kapitalismus. Der Mehrwert, der in England in vergangenen Zeiten produziert worden ist, ist jetzt zum Teil in den Kolonien investiert. Ferner sind die Mehrprodukte, die in England selbst produziert wurden, nach dem Kolonialmarkt gebracht worden. England hat auf diese Weise seine eigene Produktion so geordnet, dass es nicht mehr Lebensmittel als für drei Monate im Jahr allein produzieren kann. England hat immer in der brutalsten Weise seine Arbeiter ausgebeutet. Dasselbe System der Ausbeutung, der Enteignung, der Unterdrückung des Menschen im Arbeiter wird jetzt auch in den eroberten Ländern angewandt. Britisch-Indien allein hat eine Bevölkerung von nicht weniger als 315 Millionen. Neben Britisch-Indien beutet England noch viele Millionen farbiger Völker in den Kolonien aus.

Wenn die Kommunistische Internationale sich darüber klar geworden ist, dass sie diese Angelegenheiten zu den ihrigen machen muss, dann ist die zweite Frage, wie man die Kolonialbewegung am besten fördern und weiter entwickeln kann, noch zu lösen. Bis vor kurzem gab es in den Kolonien nur nationalistisch-revolutionäre Bewegungen der Mittelklasse, deren einziger Wunsch es war, die Stelle der herrschenden Fremden einzunehmen, um selbst das eigene Proletariat ausbeuten zu können. Wenn wir die Sache nicht zu doktrinär beleuchten, wenn wir sie hier auf dem Kongress etwas näher betrachten, dann kann man den grossen Wert der nationalistisch-revolutionären Bewegung auch unter den ostindischen Nationen für die Kommunistische Internationale richtig einschätzen. Zur Zeit des Krieges und nachher sind in Indien grosse Veränderungen vor sich gegangen. während früher der englische Kapitalismus immer die Entwicklung einer britisch-indischen Industrie verhindert hat, ist das in den letzten Jahren nicht mehr der Fall. Die Industrie in Britisch- Indien hat sich in den letzten Jahren in sehr raschem Tempo entwickelt, wovon man hier in Europa gar keine Ahnung hat. Wenn man in Betracht zieht, dass in derselben Zeit, in der das industrielle Proletariat in Britisch-Indien um 15 Prozent gewachsen ist, das Kapital, das in der britischen Industrie angelegt wurde, um 2000 Prozent gestiegen ist, so kann man eine Vorstellung von der schnellen Entwicklung des kapitalistischen Systems in Britisch-Indien bekommen. Das trifft auch für Ägypten, für Holländisch-Indien und für China zu. Dieselbe Entwicklung, die in Britisch-Indien vor sich geht, ist auch in diesen Ländern zu konstatieren. Es hat in den letzten Jahren in Indien eine neue Bewegung unter den ausgebeuteten Massen gegeben, die sehr schnell Ausbreitung gefunden hat und sich in gewaltige Streikbewegungen äusserte. Diese Massenbewegung steht nicht unter der Kontrolle der revolutionären Nationalisten; sie entwickelt sich selbständig, obgleich die Nationalisten versuchen, diese Bewegung für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Von dieser Massenbewegung kann man sagen, dass sie jedenfalls revolutionär ist, doch wird niemand sagen, dass die Arbeiter und Bauern, die diese Bewegung bilden, auch klar klassenbewusst sind. Jedenfalls aber ist die Bewegung revolutionär. In ihren Formen kommt dies tagtäglich zum Ausdruck. Genossen, ich meine, dass in diesem Stadium der revolutionären Massenbewegung für die Kommunistische Internationale das Arbeitsfeld offen liegt. Es kommt nur darauf an, die richtigen Massnahmen zu treffen, um schnell die Früchte der Arbeit unter diesen Massen zu ernten. Natürlicherweise wird eine Revolution dieser Massen im ersten Stadium keine kommunistische Revolution sein, natürlich wird im ersten Stadium der revolutionäre Nationalismus eine Rolle spielen. Aber jedenfalls wird auch dieser revolutionäre Nationalismus zum Zusammenbruch des europäischen Imperialismus führen, was für das europäische Proletariat von ungeheurer Bedeutung ist.

Zum Schluss richte ich die dringende Bitte an alle Delegierten des Kongresses, unter keiner Bedingung die Unterstützung abzulehnen, die jetzt die Kolonialvölker des revolutionären Proletariats Britisch-Indiens bieten, und ich hoffe, dass der Kongress meiner Auffassung sehr ernstlich Rechnung tragen wird. Ich hoffe, dass die Genossen durch meine Leitsätze veranlasst werden, ihre Meinung der meinigen gegenüberzustellen, dass sie die sich ihnen bietende Gelegenheit ausnutzen werden, um durch die Debatte grössere Klarheit unter den Kommunisten Europas und Amerikas zu schaffen. (Beifall.)

Reed. In Amerika leben zehn Millionen Neger, die hauptsächlich in den Südstaaten konzentriert sind. In den letzten Jahren jedoch sind viele Tausende von ihnen nach dem Norden übergesiedelt. Die Neger des Nordens sind in der Industrie beschäftigt, während im Süden die Mehrzahl Landarbeiter und kleine Farmer sind. Die Lage der Neger, besonders in den Südstaaten, ist furchtbar. Paragraph 16 der Konstitution der Vereinigten Staaten gewährt den Negern das volle Bürgerrecht. Nichtsdestoweniger entziehen die meisten Südstaaten den Negern dieses Recht. In anderen Staaten, in denen die Neger dem Gesetze nach das Stimmrecht besitzen, werden sie getötet, wenn sie es wagen, dieses Recht auszuüben.

Die Neger dürfen nicht in einem Eisenbahnwagen mit den Weissen fahren, nicht dieselben Gasthöfe und Speisehäuser besuchen, nicht in dem gleichen Stadtviertel wohnen. Es bestehen besondere und zudem schlechtere Schulen für die Neger, ebenso besondere Kirchen. Diese Absonderung der Neger heisst »System Jim Crows«, und die Geistlichkeit der südlichen Kirchen predigt über das Paradies nach dem »System Jim Crows«. In der Industrie werden die Neger als ungelernte Arbeiter verwendet. Bis vor kurzem waren sie aus den meisten der Verbände, die zur amerikanischen Föderation der Arbeit gehören, ausgeschlossen. Die IWW haben natürlich die Neger organisiert, die alte sozialistische Partei jedoch hat keine ernsthaften Versuche zur Organisation der Neger unternommen. In einigen Staaten wurden die Neger überhaupt nicht in die Partei aufgenommen, in anderen wurden sie in eine besondere Sektion abgesondert, und die Parteistatuten verboten im allgemeinen die Verwendung von Parteimitteln für die Propaganda unter den Negern.

Im Süden hat der Neger überhaupt keine Rechte und geniesst nicht den Schutz des Gesetzes. Meist kann man Neger ungestraft töten. Eine furchtbare Einrichtung der Weissen ist das Lynchen der Neger. Dies geschieht folgenderweise: der Neger wird mit Öl bestrichen, an einen Telegraphenpfosten gehängt und emporgezogen. Die ganze Bevölkerung der Stadt – Männer, Frauen und Kinder – läuft zu diesem Schauspiel zusammen und nimmt »zum Andenken« einen Teil der Kleidung und der Haut des zu Tode gequälten Negers mit nach Hause.

Ich habe zu wenig Zeit, um die geschichtlichen Voraussetzungen der Negerfrage in den Vereinigten Staaten darzulegen. Den Nachkommen der Sklavenbevölkerung, deren Befreiung nur eine militärische Massnahme während des Bürgerkrieges war, als sie politisch und wirtschaftlich noch vollkommen unentwickelt waren, wurden später die vollen politischen Rechte gewährt, um im Süden einen erbitterten Klassenkampf hervorzurufen, der die Entwicklung des südlichen Kapitalismus so lange aufhalten sollte, bis die Kapitalisten des Nordens alle Hilfsquellen des Landes in ihren Besitz gebracht hätten.

Bis vor kurzem zeigten die Neger keinerlei aggressives Klassenbewusstsein. Das erste Erwachen der Neger fand nach dem spanisch-amerikanischen Kriege statt, in dem die schwarzen Truppen mit aussergewöhnlicher Tapferkeit gekämpft hatten und aus dem sie mit dem Gefühl heimkehrten, dass sie als Menschen den weissen Soldaten gleichstanden. Bis dahin bestand die einzige Bewegung unter den Negern in einem halb philanthropischen Erziehungsverein, an dessen Spitze Booker T. Washington stand und der von den weissen Kapitalisten unterstützt wurde. Diese Bewegung fand ihren Ausdruck in der Organisation von Schulen, in denen die Neger daran gewöhnt wurden, gute Diener der Industrie zu sein. Als geistige Nahrung wurde ihnen der gute Rat vorgesetzt, sich mit dem Lose eines unterdrückten Volkes abzufinden. während des spanischen Krieges entstand unter den Negern eine aggressive reformistische Bewegung, welche die soziale und politische Gleichberechtigung mit den Weissen forderte. Mit Beginn des europäischen Krieges wurde eine halbe Million Neger, die der amerikanischen Armee angegliedert waren, nach Frankreich befördert, wo sie, in französischen Truppenteilen untergebracht, plötzlich die Entdeckung machten, dass man mit ihnen in sozialer und in jeder anderen Hinsicht wie mit Gleichen umging. Der amerikanische Generalstab wandte sich an das französische Oberkommando mit der Bitte, den Negern den Aufenthalt an Orten, die von Weissen besucht werden, zu untersagen und sie wie Tieferstehende zu behandeln. Nach dem Kriege kehrten die Neger, von denen viele von der französischen und englischen Regierung Tapferkeitsmedaillen erhalten hatten, in ihre südlichen Dörfer zurück, wo sie der Lynchjustiz unterworfen wurden, weil sie es wagten, auf der Strasse ihre Uniform und ihre Orden zu tragen.

Zu gleicher Zeit entstand unter den zurückgebliebenen Negern eine starke Bewegung. Sie siedelten zu Tausenden nach dem Norden über, begannen in der Kriegsindustrie zu arbeiten und kamen mit dem wogenden Strom der Arbeiterbewegung in Berührung. Die Lohnsätze blieben trotz ihrer Höhe hinter den unglaublich steigenden Preisen für die notwendigsten Bedarfsartikel zurück. Ausserdem empörten sich die Neger über die Aussaugung aller Kräfte, über die fürchterliche Anspannung bei der Arbeit viel mehr als die weissen Arbeiter, die sich im Laufe der vielen Jahre an die furchtbare Ausbeutung gewöhnt hatten.

Die Neger streikten im Bunde mit den weissen Arbeitern und vereinigten sich sehr schnell mit dem industriellen Proletariat. Sie erwiesen sich als sehr empfänglich für revolutionäre Propaganda. Damals wurde die Zeitschrift »Messenger« gegründet, die von einem jungen Neger, dem Sozialisten Randolf, herausgegeben wurde und revolutionäre Propagandazwecke verfolgte. Diese Zeitschrift vereinigte die sozialistische Propaganda mit dem Appell an das Rassenbewusstsein der Neger und mit der Aufforderung zur Organisation des Selbstschutzes gegen die brutalen Angriffe der Weissen. Zu gleicher Zeit bestand die Zeitschrift auf die enge Verbindung mit den weissen Arbeitern, ungeachtet dessen, dass diese sich manchmal an den Negerhetzen beteiligten, wobei sie hervorhob, dass die Gegnerschaft der weissen und schwarzen Rasse von den Kapitalisten in deren Interesse unterstützt werde.

Die Rückkehr der Armee von der Front warf mit einem Male viele Millionen weisser Arbeiter auf den Arbeitsmarkt. Das hatte Arbeitslosigkeit zur Folge, und die Ungeduld der demobilisierten Soldaten nahm einen so drohenden Umfang an, dass die Unternehmer, die die Unzufriedenheit in ein anderes Geleise schieben wollten, gezwungen waren, den Soldaten zu erklären, dass ihre Stellen von Negern eingenommen seien, um so die weissen Arbeiter zur Niedermetzelung der Neger herauszufordern. Der erste dieser Ausbrüche fand in Washington statt, wo die aus dem Kriege heimgekehrten Beamten der Regierungsinstitutionen ihre Stellen mit Negern besetzt fanden. Diese Beamten waren in der Mehrzahl Südländer. Sie organisierten einen nächtlichen Überfall auf die Negerviertel, um die Neger durch Abschreckung zur Aufgabe ihrer Stellen zu veranlassen. Zur allgemeinen Verwunderung kamen die Neger vollständig bewaffnet auf die Strasse heraus. Es entspann sich ein Kampf, und die Neger kämpften so, dass auf einen getöteten Neger drei Weisse kamen. Einige Monate später brach in Chicago eine andere Revolte aus, die mehrere Tage dauerte, wobei es auf beiden Seiten viele Tote gab. Noch später fand eine Metzelei in Omaho statt. Bei allen diesen Kämpfen zeigten die Neger zum ersten Mal in der Geschichte, dass sie bewaffnet und prächtig organisiert sind und die Weissen durchaus nicht fürchten. Die Ergebnisse des Widerstandes der Neger waren: erstens eine verspätete Einmischung der Regierung und zweitens die Aufnahme von Negern in die Verbände der amerikanischen Föderation der Arbeit.

Unter den Negern selbst wuchs das Rassenbewusstsein. Gegenwärtig besteht unter den Negern eine Sektion, die den bewaffneten Aufstand der Neger gegen die Weissen predigt. Die aus dem Kriege heimgekehrten Neger haben überall Vereine zum Selbstschutz, zum Kampf mit den weissen Anhängern der Lynchjustiz gegründet. Die Verbreitung des »Messenger« nimmt immer mehr zu; gegenwärtig erscheint er in 180 000 Exemplaren monatlich. Zu gleicher Zeit haben die sozialistischen Ideen Wurzel gefasst und verbreiten sich schnell unter den in der Industrie beschäftigten Negern.

Betrachten wir die Neger als geknechtetes und unterdrücktes Volk, so stellen sie uns zwei Aufgaben: einerseits eine starke Rassenbewegung, andererseits eine starke proletarische Arbeiterbewegung, die schnell an Klassenbewusstsein zunimmt. Die Neger stellen nicht die Forderung nationaler Unabhängigkeit. Eine Bewegung, die besondere nationale Existenz anstrebt, hat unter den Negern keinen Erfolg, wie z. B. die Bewegung »Zurück nach Afrika«, die vor einigen Jahren beobachtet werden konnte. Sie halten sich vor allem für Amerikaner, fühlen sich in den Vereinigten Staaten zu Hause. Das vereinfacht die Aufgabe der Kommunisten überaus.

Die einzig richtige Politik der amerikanischen Kommunisten gegenüber den Negern ist die, sie vor allem als Arbeiter zu betrachten. Die landwirtschaftlichen Arbeiter und die kleinen Farmer des Südens stellen trotz der Rückständigkeit der Neger die gleichen Aufgaben wie die, welche wir gegenüber dem weissen ländlichen Proletariat zu lösen haben. Unter den Negern, die im Norden als Industriearbeiter beschäftigt sind, kann kommunistische Propaganda betrieben werden. In beiden Teilen des Landes muss die Organisation der Neger in gemeinsamen Arbeiterverbänden mit den Weissen angestrebt werden. Das ist das beste und schnellste Mittel, die Rassenvorurteile auszurotten und die Klassensolidarität zu wecken.

Die Kommunisten dürfen sich nicht fernhalten von der Bewegung der Neger, die ihre soziale und politische Gleichberechtigung fordert und die sich gegenwärtig, im Augenblick des schnellen Wachstums des Rassenbewusstseins, rasch unter den Negermassen verbreitet. Die Kommunisten müssen diese Bewegung ausnützen, um die Lüge der bürgerlichen Gleichberechtigung und die Notwendigkeit der sozialen Revolution hervorzuheben, die nicht nur alle Arbeiter aus der Sklaverei erlösen wird, sondern die auch das einzige Mittel zur Befreiung des geknechteten Negervolkes ist.

Fraina. Mein Vorredner hat über die Neger als ein unterdrücktes Volk in den Vereinigten Staaten gesprochen. Wir haben indessen noch zwei unterdrückte Völker anderer Art: die ausländischen Arbeiter und die Kolonialbewohner. Die furchtbare Unterdrückung der Streiks und der revolutionären Bewegung überhaupt ist keineswegs eine Folge des Krieges, sie ist vielmehr ein verstärkter politischer Ausdruck des früheren Verhaltens zu den unorganisierten, unqualifizierten Arbeitern. Die Streiks dieser Arbeiter werden gewaltsam unterdrückt. Weshalb? Deshalb, weil diese Arbeiter grösstenteils Ausländer sind (sie bilden ungefähr 60 Prozent des industriellen Proletariats), die sich tatsächlich in derselben Lage wie die Kolonialbevölkerung befinden. Nach dem Bürgerkriege (1861–1865) entwickelte sich der Kapitalismus mit grosser Geschwindigkeit. Der bisher unentwickelte Westen wurde durch den Bau der Überlandeisenbahnen erschlossen. Das Anlagekapital für diese Entwicklung stammte aus den östlichen Staaten und aus Europa. Die Eingewanderten aber waren menschliche Rohstoffe, die genau wie die Bevölkerung rückständiger kolonialer Länder von der imperialistischen Gewalt entwickelt wurden. Die Konzentration der Industrie und die Monopolisierung, alle diese typischen Voraussetzungen eines inneren Imperialismus, wuchsen heran, bevor die Vereinigten Staaten ihren auswärtigen Imperialismus entfalten konnten. Die Schrecken, denen die Kolonialbevölkerung ausgesetzt war, unterschieden sich in nichts von den Schrecken, welche die in die Vereinigten Staaten eingewanderten Arbeiter zu erdulden hatten. So streikten z. B. im Jahre 1912 die Kohlenarbeiter in Ludlow. Mit Hilfe von Soldaten wurden die Kohlenarbeiter aus ihren Häusern getrieben und in Baracken einquartiert. Eines Tages, als die Männer einige Meilen von dort entfernt mit dem Militär kämpften, wurden die Baracken von einem Trupp Soldaten umzingelt und in Brand gesetzt, wobei Hunderte von Frauen und Kindern in den Flammen umkamen. Unter diesen Umständen wird der Klassenkampf in den Vereinigten Staaten häufig zu einem Rassenkampf. Und wie ein Negeraufstand das Signal für eine bürgerliche Gegenrevolution und nicht für eine proletarische Revolution darstellt, so kann dasselbe auch bei einem Aufstand der eingewanderten Arbeiter der Fall sein. Die grosse Aufgabe ist, diese Bewegungen unter den Amerikanern in eine revolutionäre Bewegung zu vereinigen.

Das ganze lateinische Amerika muss als Kolonie der Vereinigten Staaten betrachtet werden, und nicht nur seine augenblicklichen Kolonien wie die Philippinen usw. Zentralamerika steht durch die Besatzungstruppen unter völliger Kontrolle der Vereinigten Staaten. Die gleiche Kontrolle wird aber auch in Mexiko und Südamerika ausgeübt, wo sie sich auf doppelte Weise äussert: erstens durch die wirtschaftliche und finanzielle Durchdringung, die sich seit der Enteignung der deutschen Unternehmungen in diesen Ländern noch verstärkt hat; zweitens durch die Anwendung der Monroe-Doktrin, die sich aus dem ursprünglichen Schutz Amerikas vor dem monarchistischen System in ein Werkzeug der Führerstellung und Festigung des Imperialismus der Vereinigten Staaten über das lateinische Amerika verwandelt hat. Ein Jahr vor dem Kriege legte Präsident Wilson die Monroe-Doktrin so aus, dass sie ein Mittel der amerikanischen Regierung wurde, um die britischen Kapitalisten zu verhindern, neue Naphthaquellen in Mexiko zu erwerben. Mit anderen Worten, das lateinische Amerika ist die koloniale Basis des Imperialismus der Vereinigten Staaten. während die Wirtschaftsverhältnisse aller Länder in der übrigen Welt immer mehr zerrüttet werden, befestigt sich der Imperialismus der Vereinigten Staaten, indem er sich auf die Ausbeutung und Entwicklung des lateinischen Amerikas wirft. Es ist durchaus notwendig, durch Einleitung revolutionärer Bewegungen im lateinischen Amerika gegen diesen Imperialismus anzukämpfen, ebenso wie es notwendig ist, gegen den britischen Imperialismus durch die Auslösung revolutionärer Bewegungen in seinen Kolonien vorzugeben.

Die Bewegung in den Vereinigten Staaten hat bisher der Bewegung im lateinischen Amerika keine Aufmerksamkeit geschenkt; infolgedessen greift letztere in ihrer Ideologie auf Spanien anstatt auf die Vereinigten Staaten zurück. Die Bewegung im lateinischen Amerika muss sich von dieser Rückständigkeit ebenso wie von ihren syndikalistischen Vorurteilen freimachen. Die amerikanische Föderation der Arbeit und die reaktionäre sozialistische Partei sind bestrebt, allamerikanische Organisationen zu schaffen, jedoch nicht zu revolutionären Zwecken.

Die kommunistische Bewegung in den Vereinigten Staaten im besonderen und die Kommunistische Internationale im allgemeinen müssen aktiv in die Bewegung im lateinischen Amerika eingreifen. Die Bewegung in den Vereinigten Staaten und im lateinischen Amerika muss als eine einzige Bewegung angesehen werden. Unsere Strategie und unsere Taktik müssen vom Gesichtspunkt einer amerikanischen Revolution, die ganz Amerika umfasst, ausgehen. Die Grundaufgabe der Kommunistischen Internationale, deren Verwirklichung allein die Weltrevolution sichert, ist die Vernichtung des Imperialismus der Vereinigten Staaten; und diese Vernichtung wird allein durch eine riesenhafte, ganz Amerika umfassende revolutionäre Bewegung ermöglicht, wobei jede nationale Einheit sich den gemeinsamen Problemen der amerikanischen Revolution unterordnet.

Radek. Auf allen Kongressen der Zweiten Internationale wurden häufige Proteste gegen das Wüten der imperialistischen Regierungen in den Kolonialländern erhoben. Auch jetzt wird auf den Konferenzen der Zweiten Internationale die Kolonialfrage andauernd behandelt, und wir sehen, wie Huysmans, Henderson und Konsorten nach rechts und links den Völkern die Unabhängigkeit austeilen, selbst wenn sie sie gar nicht fordern. Wenn es darum ginge, Proteste gegen die imperialistische Politik in die Welt hinauszuposaunen, die Unabhängigkeit der Kolonialvölker »anzuerkennen«, so wäre unsere Aufgabe eine sehr einfache. Aber auf dem Gebiet des praktischen Kampfes in den Kolonialländern betreten wir einen ganz neuen Boden. Da gilt es nicht nur, die Grundlagen der kommunistischen Politik zu entwerfen, es gilt, sie nicht aus den Fingern zu saugen, sondern aus dem Studium der konkreten kolonialen Verhältnisse zu entwickeln. Es handelt sich darum, wirklich zur praktischen Unterstützung des Kampfes in den Kolonien zu schreiten. Genosse Lenin zitierte einen Ausspruch des Genossen Quelch, der in der Kolonialkommission erklärte: Falls in Indien ein Aufstand ausbrechen sollte, so würde es der jingoistischen Presse gelingen, einen grossen Teil der englischen Arbeiter dahin zu beeinflussen, dass sie sich zur Unterdrückung des Aufstandes hergeben. Wenn Quelch nur darauf hinweisen will, dass in den englischen Arbeiterkreisen eine starke imperialistische Strömung besteht, so ist das eine Tatsachenfrage; sollte aber diese Feststellung dazu führen, dass sich unsere englischen Genossen bei einem kolonialen Aufstande passiv verhalten sollten, dass sie sich sagen würden, man dürfe wegen dieser Stimmung nichts weiter tun als Protestresolutionen annehmen, so könnte man sagen, dass die Kommunistische Internationale ihre Mitglieder erst das ABC der Politik lehren muss. Wenn die englischen Arbeiter, anstatt sich den bürgerlichen Vorurteilen entgegenzustellen, den englischen Imperialismus unterstützen oder ihn passiv dulden, so arbeiten sie für eine Unterdrückung jeder revolutionären Bewegung in England selbst. Es ist unmöglich, dass das englische Proletariat sich von dem Joch, das ihm der Kapitalismus auferlegt, befreit, ohne dass es für die revolutionären Kolonialbewegungen in die Bresche tritt. Wenn die Zeit kommt, da die englischen Arbeiter sich gegen ihre eigene kapitalistische Klasse erheben, werden sie vor der Situation stehen, dass England im besten Falle 30 Prozent seiner Lebensmittel aus seiner eigenen Produktion decken kann. Sie werden vor der Situation stehen, dass das amerikanische Kapital versuchen wird, das proletarische England zu blockieren. Denn wenn auch die Schiffe der amerikanischen Kapitalisten nicht imstande sein werden, dem proletarischen Europa die Lebensmittelzufuhr auf die Dauer abzuschneiden, weil die Amerikaner verkaufen müssen, so ist es doch sehr gut möglich, dass das englische Kapital für ein oder zwei Jahre in der Lage sein wird, das amerikanische Getreide aufzukaufen, um es nicht nach England gelangen zu lassen. In dieser Situation werden die Geschicke der englischen Revolution zum grossen Teil davon abhängen, ob die Bauern und Arbeiter Irlands, Indiens, Ägyptens usw. in den englischen Arbeitern ihre Verteidiger sehen werden, oder ob sie in der englischen Arbeiterschaft die Helfershelfer der englischen Imperialisten zu sehen gewohnt sind. Der Arbeiterkongress in Scarborough hat eine wichtige Resolution angenommen, in der er die Unabhängigkeit Indiens und Ägyptens fordert. Kein einziger Kommunist stand auf, um dem Kongress zu sagen, dass die McDonald die englische Bourgeoisie unterstützen, indem sie die englischen Arbeiter täuschen, wenn sie von der Unabhängigkeit Indiens, Irlands und Ägyptens sprechen. Es ist eine direkte Heuchelei, ein Schwindel, wenn dieselben Leute, die sich aus Anlass des Blutbades in Amritsar im Parlament nicht zur Charakterisierung des Generals Dyer als eines gewöhnlichen Mörders aufschwingen konnten, sich als die Verteidiger der Unabhängigkeit der Kolonien hinstellen. Wir bedauern es sehr, dass unsere Parteigenossen, die in der Labour Party sind, diesen Schwindlern nicht die Maske vom Gesicht gerissen haben. Die Internationale wird die englischen Genossen nicht nach den Artikeln, die sie im »Call«, im »Workers Dreadnought« schreiben, beurteilen; sie wird sie beurteilen nach der Anzahl der Genossen, die für die Agitation in den Kolonialländern in die Gefängnisse geworfen werden. Wir weisen die englischen Genossen darauf hin, dass es ihre Pflicht ist, die irische Bewegung mit allen Kräften zu unterstützen, dass es ihre Pflicht ist, Agitation unter den englischen Truppen zu treiben, dass es ihre Pflicht ist, mit allen Mitteln die Politik zu durchkreuzen, die der englische Transport- und Eisenbahnarbeiterverband jetzt treibt, indem er zulässt, dass Truppentransporte nach Irland eingeschifft werden. Es ist sehr leicht, jetzt in England gegen die Intervention in Russland zu sprechen, denn sogar die bürgerliche Linke ist dagegen. Es ist schwieriger für die englischen Genossen, für die Unabhängigkeit Irlands und für die antimilitaristische Tätigkeit einzutreten. Wir haben ein Recht, diese schwierige Arbeit von den englischen Genossen zu fordern.

Wir werden über diese Frage und über die Frage des Parlamentarismus noch zu sprechen haben, aber schon heute ist es wichtig, den englischen Genossen von den Shop Stewards, die die kommunistische Bewegung unterstützen wollen, zu zeigen, wie kindisch sie handeln, wie sehr sie die Möglichkeit des Kampfes aus den Händen geben, wenn sie sich nicht an den Kämpfen im Parlament beteiligen. Die Bauern Indiens können es nicht wissen, dass unsere Shop Stewards gegen ihre Unterdrückung kämpfen. Aber wenn einer die Dinge, ohne lange Reden zu halten, im Parlament beim Namen nennen würde, ganz gewiss würde er vom Speaker des Hauses ausgewiesen werden, und Reuter würde in der ganzen Welt berichten, dass sich im englischen Parlament ein Verräter gefunden hat, der einen Mörder einen Mörder genannt hat. Das englische Kapital, gestützt auf eine starke Bourgeoisie, kann nicht allein in London, Sheffield, Manchester, Glasgow gestürzt werden, es muss in den Kolonien geschlagen werden. Dort ist seine Achillesferse, und es ist die Pflicht der englischen Kommunisten, in die Kolonien zu gehen und dort an der Spitze der sich erhebenden Volksmassen zu kämpfen und sie zu unterstützen. In der alten Internationale kennen wir fast keinen einzigen Fall, dass eine sozialdemokratische Partei sich zum Vorkämpfer der Befreiung der Kolonialvölker gemacht hätte. Als die Hereros zu Tausenden in die Wüste getrieben wurden, enthielten sich die deutschen Sozialisten der Abstimmung, wobei sie erklärten, die Gründe des Aufstandes nicht zu kennen, kein Urteil über die Sache zu haben. Es ist die Pflicht der Kommunistischen Internationale, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es möglich wird, hier an dem Kongress teilzunehmen, ohne sich darüber ausweisen zu können, dass man praktisch an dem Aufstand in den Kolonien geholfen hat. Es handelt sich um eine der grössten und wichtigsten Lebensfragen der Kommunistischen Internationale. So wie wir in jedem Lande versuchen müssen, für unseren Kampf auch die kleinbürgerlichen Elemente zu gewinnen, die in die Richtung des Proletariats getrieben werden, so muss die Kommunistische Internationale eine Säule sein, die den aufständischen Völkern in Asien und Afrika voranleuchtet. Die Kommunistische Internationale muss den Kapitalismus der Welt schlagen, nicht nur durch die europäischen, sondern auch durch die kolonialen Volksmassen. Der Kapitalismus wird sich nicht nur ökonomisch, sondern sogar militärisch auf die Kolonialvölker stützen. Die soziale Revolution in Europa wird noch mit schwarzen Truppen zu tun haben. Es ist die Pflicht der Kommunistischen Internationale, zu Taten zu schreiten. Die russische Sowjetrepublik hat diesen Weg beschritten, und wenn man in England unsere mühselige Arbeit im Osten, unsere bewusste Agitation, in Turkestan und im Kaukasus Sowjetorganisationen zu bilden, die ersten Fühler nach Persien und nach der Türkei auszustrecken, als Dinge auffasst, die die Sowjetrepublik macht, um den Engländern Schwierigkeiten zu bereiten, so ist das ein Missverstehen der auswärtigen Politik der Sowjetregierung. Es ist ein Teil des Programms der Kommunistischen Internationale, es ist Pflichterfüllung Sowjetrusslands als eines Teils der Kommunistischen Internationale. Wir betrachten die orientalische Agitation nicht als ein Aushilfsmittel im Kampf gegen den europäischen Kapitalismus, wir betrachten sie als den Kampf, zu dem wir im dauernden Interesse des europäischen Proletariats verpflichtet sind. Die Hilfeleistung kann nicht darin bestehen, dass man künstlich kommunistische Parteien bildet, wo kein Boden für den Kommunismus vorhanden ist; sie kann geschehen, indem wir diesen Völkern helfen. Vom Genossen Lenin ist darauf hingewiesen worden, dass keine theoretische Notwendigkeit vorliegt dafür, dass alle Völker die Phase des Kapitalismus durchschreiten müssen. Nicht alle Völker, die heute kapitalistisch sind, sind zum Kapitalismus durch die Periode der Manufaktur gekommen. Japan ging aus einem Feudalzustand in die Phase der imperialistischen Kultur über. Wenn es den proletarischen Massen in Deutschland, Frankreich und England gelingt, den Sozialismus zu erobern, dann werden wir zu den Kolonialvölkern gehen nicht nur mit allen modernen Mitteln, die uns vom Kapitalismus zurückgelassen worden sind, sondern mit den Produktionsmethoden, die der Sozialismus schaffen wird. Wir werden ihnen helfen, aus der feudalen Barbarei den direkten Weg zu finden zu einer Produktion, bei der sie die modernen Mittel der Technik anwenden können, ohne durch die Phase des Handwerks und der Manufaktur hindurchgehen zu müssen. Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche. Der europäische Kapitalismus fürchtet das Erwachen der orientalischen Völker; er erzählt von der »gelben Gefahr«, und man kann sagen, wenn der Kapitalismus weiter bestehen bleibt, so besteht eine gelbe Gefahr. Der proletarisierte Bauer in China oder in der Türkei, dem man die Haut über die Ohren zieht, wird auswandern müssen, um Arbeit zu suchen, er wird sich in grossen Völkerwanderungen zur Wehr setzen. Aber der Kommunismus hat keine gelbe Gefahr zu fürchten, er kann allen unterdrückten Völkern seine Hand hinreichen, denn er bringt ihnen nicht Ausbeutung, sondern brüderliche Hilfe.

Rosmer. Es ist ein Antrag gestellt worden auf Schluss der Rednerliste.

Wijnkoop. Ich meine, dass man die Liste jetzt noch nicht schliessen kann. Die Sache ist wichtig, wenigstens für die Zukunft. Die Debatte hat noch nicht einmal angefangen. Vielleicht wird es keine Debatte geben.

Serrati. Ich bemerke, dass sich noch 12 Redner eingetragen haben. Vielleicht hat Genosse Wijnkoop Recht. Ich sehe, dass die Debatten einen Weg nehmen, auf dem wir einer Menge von Sonderfragen entgegengehen. Es gilt, die Fragen im allgemeinen zu behandeln. Ich glaube, dass wir die Frage auf morgen vertagen und die Redner in dem Sinne schliessen sollten, dass man die einzelnen Genossen bittet, die Frage allgemein zu betrachten und nicht auf Einzelheiten einzugehen.

Guilbeaux. Ich schlage vor, dass man jetzt die Sitzung, nicht aber die Liste schliesst. Die Frage ist sehr wichtig, und es ist absolut notwendig, dass alle Vertreter von Kolonialvölkern Bericht erstatten vor dem Kongress. Man könnte die Redezeit beschränken, aber man sollte die Genossen nicht verhindern, sich auszusprechen.

Maring. Ich möchte darauf drängen, dass der Antrag des Genossen Serrati nicht angenommen wird. Es wäre nicht gut, wenn man den Vertretern der Kolonien nicht Gelegenheit geben würde, einige kurze Worte über die Bewegung zu sagen. Genosse Serrati weiss selbst, dass keiner der Italiener heute in der Kolonialkommission vertreten war. Man wird sich daher wundern, dass ein solcher Vorschlag von ihm gemacht worden ist.

Radek. Ich spreche mich gegen den Antrag des Präsidiums aus. Ich verstehe, dass die hier Anwesenden orientiert sind über die Frage. Aber man kann bei den Verhandlungen nicht von dem Standpunkt ausgehen, dass dem einen oder dem anderen die Dinge bekannt sind, sondern es kommt dabei die politische Bedeutung der Kolonialfrage in Betracht. Wir haben ein politisches Interesse daran, dass die Arbeiter die Protokolle des Kongresses lesen und sehen, dass Vertreter der unterdrückten Völker hier gesprochen, an unseren Beratungen teilgenommen haben. Man kann nicht für jeden allgemeine Regeln der kommunistischen Taktik aufstellen; aber selbst ein einfacher Arbeiter kann viel zur Darstellung der Verhältnisse in seinem Lande beitragen. Es handelt sich darum, dass jeder das sagt, was er weiss, und je konkreter er spricht, desto besser ist es. Ich sehe, dass die Vertreter von Irland sprechen wollen. Es ist von grosser Bedeutung, dass der englische Imperialismus sieht, dass sich dort Elemente befinden, die sich mit uns verbünden und mit uns kämpfen wollen.

Serrati. Ich wünschte nicht, dass jemand glaubt, dass ich vorgeschlagen habe, nicht zu diskutieren. Vor allem erkläre ich, dass ich weder im Namen des Büros, noch im Namen der italienischen Delegation meinen Vorschlag eingebracht habe. Man spricht hier bereits zehn Minuten über die Frage der Schwarzen in Chicago. Man kann nicht die Fragen bis aufs kleinste zergliedern, man muss sie in sehr klaren und sehr konkreten Reden zusammenfassen. Ich möchte nicht, dass man glaubt, ich wäre dagegen, dass die Genossen der zurückgebliebenen Länder, wie man sie in den Leitsätzen des Genossen Lenin nennt, sprechen. Wenn ich den Schluss der Rednerliste vorgeschlagen habe, so deshalb, weil alle Vertreter der zurückgebliebenen Länder – China, Persien, Korea, Japan, Türkei – bereits eingetragen sind. Wenn noch andere Genossen zurückgebliebener Länder sich einschreiben, so werden wir die Geschichte der verschiedenen Völker der Welt hier zu hören bekommen. Ich schlage jedoch vor, dass man die Sitzung schliesst, und in der folgenden werden wir sehen, ob wir die Liste schliessen oder fortsetzen müssen.

Wijnkoop. Ich schlage vor, über den Antrag Serrati abzustimmen. In der nächsten Sitzung werden wir sehen, was wir weiter tun.

Serrati. Ich ziehe meinen Vorschlag zurück.

Rosmer. Die Diskussion wird morgen früh in der Plenarsitzung fortgesetzt werden. Übermorgen um 10 Uhr morgens findet wieder eine Plenarsitzung statt.

(Die Sitzung wird um 2 ½ Uhr morgens geschlossen.)



Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]

  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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